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NATHALIE SCHNEITTER
Nathalie Schnietter gehört als E-Bikerin zur Weltelite – eine Karriere zwischen Stolz und Vorurteil: Wie viel sind Siege wert, wenn die Siegerin unter Strom steht?
Zugegeben, Liebe auf den ersten Blick war es nicht. «Ich habe mich anfangs wirklich geniert und mich auch bei jedem Biker entschuldigt, den ich beim Bergauffahren überholt habe», sagt Nathalie Schneitter über ihre ersten Fahrten mit dem E-Mountainbike. Das war im Jahr 2017, ein Jahr nachdem sie ihre erfolgreiche MTB Cross Country-Karriere beendet hatte.
Damals begann sie nur ihrer Familie zuliebe mit elektrisch unterstütztem Mountainbiken (EMTB). Der Vater hatte sie gebeten, drei E-Bikes zu besorgen, um auch künftig gemeinsame Bergtouren zu unternehmen. «Wie viele da draussen dachte ich, dass E-Biken keine echte Sportart ist und nur faule oder ältere Leute ein E-Bike fahren», erinnert sich Schneitter.
Ein mentaler Kraftakt
Schnell musste sie erkennen, wie falsch sie mit dieser Einschätzung lag. «Das Fahren auf dem E-Bike ist vor allem mental viel anstrengender als gedacht», sagt die nunmehrige Unternehmerin, die mit ihrer Firma antritt, um etwa die Begleitmassnahmen der Rad-WM 2024 zu organisieren und die Cycle Week, das nationale Velofestival der Schweiz, mitzuveranstalten.
Ein weiterer grosser Unterschied zum Mountainbiken, wie es Nathalie von früher kannte: «Beim E-Racing muss die Abstimmung von Athlet und Bike noch viel besser harmonieren. Die Strecken sind fahrtechnisch anspruchsvoller, und vor allem das Bergauffahren ist dabei extrem fordernd.»
Schneitter weiss, wovon sie spricht. Vor dem Umstieg fuhr die 36-Jährige aus dem Kanton Solothurn in der globalen Cross-Country-Elite. Mit 18 Jahren holte sie den Cross-Country-Weltmeistertitel bei den Juniorinnen. 2008 war sie bei den Olympischen Spielen in Peking dabei und wurde im selben Jahr Vize-Weltmeisterin in der U-23-Klasse. 2010 folgte ihr erster und einziger Sieg im Elite-Weltcup. 2016 zog sie sich aus dem Profi-Sport zurück. Doch die Leidenschaft für das Velo blieb, und drei Jahre später feierte Schneitter ihr Comeback – nur diesmal in der neu geschaffenen Disziplin E-Racing. Bei der 2019 erstmals ausgetragenen World E-Bike Series wurde sie beim allerersten Rennen in Monaco gleich Zweite und siegte im selben Jahr im kanadischen Mont Sainte-Anne bei der ersten Weltmeisterschaft im E-Mountainbiken – ein Höhepunkt in ihrer Karriere.
Ihr selbst nämlich sind die Siege im E-Biken genauso wichtig wie ihre anderen Erfolge. «Warum muss man immer kategorisieren?», fragt sich Schneitter. «Ob Gravel, Cross Country, Enduro oder E-MTB – ich bin in erster Linie Velofahrerin! Das E-Mountainbike ist eines meiner Pferde im Stall, ich muss es nicht jeden Tag reiten. Es ist eben ein Spassgerät, mit dem ich auch Rennen bestreite.» Seither sieht sie sich als Versöhnerin zwischen den Velo-Welten, wobei es darum geht, einfach die Leidenschaft und Freude für den Sport miteinander zu teilen. «Das Image des elektrischen Velos hat sich in den letzten Jahren gewandelt, immer mehr Menschen respektieren die Sportart und fahren mit elektrisierten Bikes», sagt Schneitter.
Silber ist das neue Gold
Gleichzeitig begeistert sich Schneitter auch abseits der Rennstrecke für das Bike, etwa als Messeleiterin der Cycle Week. „Die diesjährige Ausgabe des Events steht vor der Tür, und wir sind mitten in der Planung. Das Festival animiert zum Velofahren, zeigt Neues, vermittelt Wissen und bringt Menschen zusammen. Es kommen 110 Aussteller mit 250 Marken und 550 Testbikes. Und wir bieten über 150 Workshops, Fahrtechnikkurse und Vorträge an. Das ist einzigartig in der Velowelt“, sagt Schneitter. Aktuell arbeitet sie also nicht nur an der eigenen E-Bike-Karriere. «Ich sehe meine Aufgabe auch darin, meine Erfahrungen mit jungen Bikerinnen zu teilen.» Mit Nicole Göldi, der aktuellen Weltmeisterin im E-Mountainbiking, verbindet sie eine besondere Beziehung. «Wir motivieren uns gegenseitig, stehen in freundschaftlicher Konkurrenz.» Für die Weltmeisterschaft 2023 hat sich Schneitter einiges vorgenommen: «Gold und Bronze habe ich ja schon, eine Silbermedaille fehlt mir also noch, das ist mein Ziel.» So viel Bescheidenheit elektrisiert.