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LOUISE VARDEMAN
Louise Vardeman schwang sich aufs Rad, um ihre Scheidung zu verarbeiten. Bald sass die Bike-Aktivistin fest genug im Sattel, um eine Männerbastion aufzubrechen: die Tour de France.
Als Louise Vardeman vor sechs Jahren mit dem Radsport begann, war ihr Leben an einem emotionalen Tiefpunkt angelangt: Ihre Ehe war am Ende, sie litt unter Depressionen und musste zudem noch ihre letzte grosse Leidenschaft, den Langstreckenlauf, nach einer Verletzung aufgeben. Und so begann die heute 45-jährige Britin in ihrem Schmerz, in die Pedale zu treten. Und zwar so richtig! Zwei Jahre später vertrat sie Grossbritannien bereits bei einem Radmarathon für Hobbyradsportlerinnen.
Zur selben Zeit stiess sie auf eine Gruppe von Französinnen, die zwar die Route der Tour de France fuhren – aber immer einen Tag vor dem männlichen Teilnehmerfeld. Ihr Ziel: Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Tour de France nicht nur Männersache sein dürfe. Für Frauen war im Rahmen des berühmtesten Radrennens der Welt nämlich gerade einmal ein eintägiger Wettbewerb vorgesehen.
Also hob Vardeman die Gruppe unter dem Namen «The InternationElles» kommunikativ auf eine globale Ebene, und als die Bikerinnen 2019 losradelten, erregten sie jede Menge Aufmerksamkeit. Mit nachhaltigem Erfolg: Seit Juli 2022 gibt es eine offzielle, achttägige Tour de France für Frauen. Es sei ihr immer darum gegangen, nachfolgende Generationen von Radsportlerinnen zu inspirieren, sagt Vardeman: «Es widerstrebt mir, wenn junge Frauen denken: ‹Ich bin ein Mädchen, also kann ich das nicht.›»
THE RED BULLETIN: Sind Sie, während der Männer-Tour-de-France, der Sie vorangefahren sind, an Ihre Grenzen gestossen?
Nach drei Wochen befielen mich Zweifel. Ich hatte schlecht geschlafen, brach plötzlich in Tränen aus. Um die Stimmen in meinem Kopf zu über tönen, die mir ständig zuflüsterten, ich solle aufgeben und nach Hause fahren, musste ich laut Musik aufdrehen. Kurz vor dem Aufstieg zum Col du Galibier, einem Gebirgspass von 2642 Metern Höhe, war ich überfordert: Ich musste aufs Klo, mir war zu heiss – aber ich habe in die Pedale getreten, bis ich im Ziel zur Seite auf den Boden gefallen bin. Mir war klar geworden, dass ich es mir nie hätte verzeihen können, wenn ich auf der 18. Etappe von 21 aufgegeben hätte. Und als wir am Fusse des Galibier ankamen, spürte ich plötzlich Rückenwind. Ich fühlte mich stark und fuhr ohne Probleme hinauf. Es war unglaublich: Ich hatte diesen Berg bezwungen!
THE RED BULLETIN: Zeigen Sie die gleiche Entschlossenheit, wenn’s darum geht, die mangelnde Gleichstellung im Radsport zu bekämpfen?
Ja. Der Radsport ist wahnsinnig traditionsbewusst. Er ist weiss und männlich dominiert. Da ist es nicht hilfreich, dass die Räder mittlerweile so teuer und die Radclubs nicht gerade inklusiv sind. Es gibt so viele Hürden. Das spornt mich an.
THE RED BULLETIN: Was raten Sie anderen, die etwas verändern möchten?
Man kann darüber nachdenken, gleich die ganze Welt auf den Kopf zu stellen – aber auch viele kleine Veränderungen können etwas auslösen. Man glaubt gar nicht, wie viel man allmählich bewirken kann. Selbst wenn man «nur» das Leben einer einzigen Person ein bisschen zum Besseren verändern kann, ist das von grosser Bedeutung.