Predigt Text 19 Juli 2020

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Predigt 7-19-2020 5. Mose 7: 6-12 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. 7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, 8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. 9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, 10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. 11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust. 12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat,


Einsicht in die Gedankenwelt einer Pastorin bevor sie ihre Predigt schreibt: „Ganz ehrlich? Ich habe mir den Text nicht ausgesucht. Er ist mir auf den ersten Blick nicht sonderlich sympathisch. Ich mag diesen erzieherischen Gott nicht: Wenn … dann … Wenn du mich liebst, dann tue ich alles für dich. Wenn du mich hasst, dann bringe ich dich um. Auch bei Kindern finde ich diese Art der Erziehung, die so viele von uns geprägt hat, (selbst wenn sie nicht so drastisch ist wie diese Gottesrede) einfach unbarmherzig. Zuckerbrot und Peitsche. Ich habe nicht das Gefühl, dass so eine Erziehung Menschen zu Freiheit, Selbstliebe und verantwortlichem Handeln führt. Sondern zu Menschen, die sich selbst nicht genug wertschätzen und dennoch nur nach ihrem eigenen Wohl schauen. Zu Menschen, die sich ihr Leben lang fragen: Werde ich nun belohnt oder bestraft? Ich kann zu diesem Text nur predigen, wenn ich mir klar mache, dass es Menschenworte sind. Menschen haben die Bibel geschrieben. Menschen, die von ihren Erfahrungen von und mit ihrem Gott sprechen. Es ist nicht das ungefilterte Wort Gottes wie der Koran in Anspruch nimmt. Ich bin davon überzeugt, dass alle Worte der Bibel vermischt sind mit den Sehnsüchten, Ansprüchen und Glaubenssätzen der Menschen. Vermischt mit den Hoffnungen, Verletzungen und Ängsten des Menschen, der glaubt, Gott zu hören.


Nein, ich werde nicht über die Erwählung Israels sprechen. Dieses Thema ist mir zu groß und zu gewaltig für eine kleine Sonntagspredigt. Ich werde daher darüber nachdenken, was diese Gottesrede über den Menschen aussagt, der diese Rede aufgeschrieben hat. Wie viel innere Not muss dagewesen sein, dass diese Sehnsucht nach der einmaligen Erwählung so groß geworden ist! Wie viel Erfahrung von Erniedrigung und Getretensein steckt in einem Menschen, wenn es so nötig wird, von einem Gott zu reden, der mich liebt, wenn ich ihn liebe und der diejenigen hasst und tötet, die ihn hassen. Für mich bekommt der Text eine immense Bedeutung, wenn ich den Text lese als einen Dialog des Schreibers mit seinen eigenen Sehnsüchten und Ängsten. (Und nun die eigentliche Predigt:) Da ist er wieder. Der Gott des Alten Testamentes. Groß und schrecklich. Herrlich und angsterregend. Liebevoll und grausam streng. Wie oft werden im Gottesdienst die Texte des Alten Testaments nur in gemilderter Form gelesen! Wie oft werden Psalmen gekürzt und Worte gestrichen, wenn nicht nur von dem liebevollen, sondern auch von dem hasserfüllten und grausamen Gott die Rede ist. Aber ist das nicht ein Schönreden? Können wir diese Passagen eines grausamen und rächenden Gottes einfach streichen? Nur weil ich nicht selber Angst bekommen will vor diesem Gott, kann ich diese Zeilen nicht einfach streichen.


Aber ich kann mir eines klar machen. Diese Worte und Gottesreden sind von Menschen aufgeschrieben worden. Alle Worte der Bibel sind von Menschen aufgeschrieben worden. Von Menschen, die von ihrem ganz persönlichen Gottesbild reden. Und dieses Gottesbild muss meinem nicht entsprechen! Das ist ein großer Schatz in unserer Kirche und ein großer Schatz in meinem ganz persönlichen Glauben. Ich darf Sätze kritisch lesen. Ich darf und bin vielleicht sogar verpflichtet, sie zu meinem ganz persönlichen Gottesbild in Beziehung zu setzen. Wenn mir das bewusst wird, dann kann ich die Texte von einem allgewaltigen und auch rächenden Gott anders lesen. Ich muss mich nicht wütend davon abgrenzen, weil in meinem Denken ein rachegeleiteter Gott keinen Platz findet. Ich kann mich vielmehr fragen: Was hat Menschen dazu bewogen, von so einem Gott zu schreiben? Was ging in den Menschen vor, als sie davon schrieben, dass Gott Rache nehmen wird an Menschen, die nicht an ihn glauben? II. Ich kann diesen Text von der Erwählung des kleinen Volkes Israels und der damit einhergehenden Strafe Gottes an den Völkern, die nicht an ihn glauben, als Worte lesen, die mir viel über das Denken und vor allem über die Gefühle des Schreibers offenbaren. Was mag in ihm vorgegangen sein? Eine große Not, eine geradezu existentielle Not spricht mich hier an. Die Not des Schreibers, unterzugehen in dem


Gewirr der verschiedenen Kulturen und Religionen. Die Angst, nicht gesehen zu werden. Die Angst, nicht geliebt zu werden. Die Angst, die eigene Identität zu verlieren, wenn da nicht ein ganz großer von außen kommt, der sie mir immer und immer wieder zuspricht. Wenn nicht eben Gott selbst kommt und sagt: »Du bist gemeint. Du bist mein geliebtes Kind.« Was geschieht mit einem Menschen, wenn ihm diese Zusprache von außen nicht gegeben wird? Wenn er sie in seinem eigenen Leben nicht oder nur bruchstückhaft erfahren hat? Ich glaube, er wird diese Zusprache immer und immer wieder im Außen suchen und nicht bei sich selbst. Bei anderen Menschen. Bei Gott. Und sie wird nie genug sein. Denn sie dringt nicht bis in das Innerste durch. Jegliche Zusprache von außen und selbst die Zusprache und Liebe Gottes kann nicht die Fürsorge und die Liebe des Menschen zu sich selbst ersetzen. Denn wer nicht gelernt hat, mit sich selbst liebevoll umzugehen, der wird auch demjenigen nicht glauben, der ihm versichert, dass er ihn liebt. III. Ich glaube, der Schreiber dieser Gottesrede war zutiefst verunsichert. Ich glaube, er war voller Angst und Sehnsucht danach, endlich gesehen zu werden. Und diese Sehnsucht war so groß, dass die Zusage Gottes ihn und sein Volk zu lieben nicht ausreichte.


Ich glaube, die Sehnsucht danach, gesehen zu werden war in ihm so überbordnend groß, dass aus seiner Sicht Gott die anderen einfach hassen muss. Damit dann die Liebe zum kleinen Volk Israel umso strahlender leuchten kann. Ich glaube, dass der Schreiber den Hass und die Rache Gottes braucht, um dem eigenen Schmerz auszuweichen. Dem eigenen Schmerz, sich ungeliebt und klein zu fühlen. Wie oft und in welchen Situationen handle ich selbst ähnlich? Wann beginne ich andere zu kritisieren, bloßzustellen? Wann werde ich wütend auf andere? Wenn ich ehrlich bin, dann sind das oft Situationen, in denen ich mir selbst nicht genug vorkomme. Wenn ich der Meinung bin, andere nehmen sich etwas heraus, was ich mir selber nie trauen würde. Dann bahnt sich mein Ärger und mein Unmut über mein eigenes ungelebtes Leben nach außen zu meinen Mitmenschen. Oder ich beginne ihn irgendwann selbst körperlich zu spüren. Mein Körper schmerzt, ich werde krank. IV. Ich glaube, das einzige was dann wirklich hilft ist dieses: Uns selbst in unseren Gefühlen aufmerksam zu beobachten. Uns in unserem Denken aufmerksam selbst zu lauschen. Ein liebevoller, nicht verurteilender Beobachter unseres Selbst zu werden. Weil wir dann die Möglichkeit haben unterscheiden zu lernen, ob unsere Wut auf andere eigentlich eine Wut auf uns selber ist. Weil wir so


unterscheiden lernen, ob unsere Angst vor den anderen vielleicht auch die Angst vor uns selber ist. Weil wir so eher spüren, ob unser Aufschrei gesehen und geliebt zu werden von einem großen und schrecklichen Gott vielleicht eher einem großen Mangel an Selbstliebe entspringt. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst - welch eine Herausforderung! Nicht mehr als dich selbst, nicht weniger als dich selbst - wie dich selbst! Wer sich selbst liebevoll beobachten kann, wer es schafft, sich zu spüren ohne sich zu verurteilen, der ist wohl nicht weit davon entfernt, sich selbst lieben zu können. Und ich bin überzeugt, das ist die Chance, ähnlich auf unseren Nächsten schauen zu können. Und noch etwas ist dann die Folge: Ich brauche keinen rächenden Gott mehr, ich brauche keinen Gott mehr, der nur mich oder ein kleines Volk liebt und die anderen hasst. Ich spüre dann einen ganz anderen Gott in mir und um mich herum. Einen, der genug Raum an Liebe für alle hat. Einen, bei dem ich keine Angst haben muss, dass seine Liebe begrenzt ist auf einige wenige. Einen, von dem ich wahrhaft glauben kann, was von ihm geschrieben steht: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Amen.


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