07.06.2020 Gottesdienst Predigt (Deutsch)

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Wie kann ich predigen heute an diesen Sonntag in der Mitte von einer Pandemie, in der Mitte eines gesellschaftlichen Protests gegen Rassissmus und soziales Unrecht, in der Mitte einer Faschistischen Bedrohung einer Regierung die mich unheimlich immer mehr an den Ubergriff Hitlers erinnert und das allmaehliche Verschwinden einer Demokratie? Wie kann ich predigen, wenn die Bibel missbraucht wird als ein Symbol von Machtuebernahme nachdem der Presidet Traenengas und Militaergewalt einsetzte gegen friedlich protestierende Buerger? Was kann ich ueber die Trinitaet sagen, in diesen Tagen wo der Schmerz von vielen Generation von farbigen Amerikanern zu einem Ueberlaufspunkt gekommen ist? Der Vorhang ist zur Seite gezogen worden. Die boese und nackte Wahrheit von Rassissmus, Ungerechtkeit und die Gewalt und das Toeten von unschuldigen Menschen nur wegen ihrer Hautfarbe ist fuer alle Welt zu sehen. Was kann ich predigen? Ich bin sprachlos. Ein Teil von mir moechte weglaufen, ganz weit weg. Mich verstecken. Und dann ging ich raus, protestieren mit meinen beiden farbigen Toechtern. Ich schrieb und veroeffentlichte eine klare Deklaration an meiner anderen Arbeitsstelle gegen Rassengewalt. Fuer 23 Jahre lausche ich jeden Abend aengstlich dass die Garage hoch geht und mein Afrikanischer Mann auch heil und gesund nach Hause kommt und nicht von der Polizei gestoppt worden ist. Was predige ich? Was ist hier zu sagen, anders als dass wir uns in einer Liminalen Zeit befinden. Einer Grenzerfahrung, einer Schwellenerfahrung. Liminale Theologie ist die Rede von Gott in der Mitte von Ungewissheit und Ubergang. Daher ist liminale Theologie nicht so sehr eine Position oder eine Methode, es ist mehr eine Perspektive, naemlich eine, welche die mysterische Natur von Gesellschaft, Kultur und Alltaeglichem Leben ernst nimmt.


Wenn wir in einem liminal Ort sind, so wie wir heute, dann bedeutet das wir leben “im Zwischenraum“. Es bedeutet, dass wir Grenzen erforschen, dass wir aufmerksam Uebergaenge und Veraenderungen im hier und jetzt beobachten und verstehen dass wir in einer ‚Zwischenzeit“ leben. Liminalitaet ist ein Grenzbereich, einer Schwellenerfahrung wo alles was wir bisher wussten, aufeinmal fragwuerdig wird. Diese Grenzerfahrung liegt zwischen dem was wir wissen und dem was wir nicht kennen – und beides ist gleichzeitig gegenwaertig. Eine Schwellenerfahrung wie wir sie heute erleben kann sich so wie Chaos anfuehlen. Sie bringt viel Aengstlichkeit und Unsicherheit mit sich. Vielleicht aehnlich wie wenn man auf eine nahestehende Geburt wartet: Der Schmerz hat schon eingesetzt, und doch die Form des neuen Lebens ist noch verborgen und unbekannt. Was soll ich predigen? Was sage ich in solch einer „schwangeren“ Schwellenerfahrung? In einer Zeit wo durch soviel Schmerz die Zukunft geboren wird? Als Predigerin will ich nicht “billige Gnade” oder “billige Hoffnung” predigen, da ich nicht Weiss was die Zukunft bringen wird. Wird es eine Totgeburt sein? Wird das Boese Ueberhand gewinnen und die Amerikanische Demokratie wie wir sie kennen sterben da sie die Wellen der Angriffe nicht ueberlebt? Oder wird eine neue Bewegung fuer soziale Gerechtigkeit geboren in diesem Land, staerker als je zuvor? Wird die Amerikanische Demokratie bewahrt werden durch die vielen Menschen die gemeinsam protestieren. Wird sie staerker werden und alle Menschen im Blick haben wenn sie von Gerechtigkeit spricht? Ich weiss es nicht, bin keine Prophetin, da ich mit Euch in der Mitte dieser sehr schmerzlichen Schwellenerfahrung gehalten bin. Mit Traenen in meinen Augen, mit Knoten der Angst in meinem Bauch, mit dem Wunsch weit weglaufen zu koennen, oder mit dem Wunsche ankaempfen zu koennen und Teil eines Protestes zu sein, das unser Land so noch nicht erlebt hat.


Was predige ich in dieser Schwellenzeit, dieser Grenzerfahrung? In diesen Zeiten von grossem Unrecht und grossen Spaltungen und doch auch Zeiten von grossem Protest und grosser Einheit? Und so kann ich eigentlich gar nicht predigen heute, da ich nicht viel zu sagen habe als Mensch die so wie alle in der Welle der Veraenderung mitschwimmt, wie alle anderen auch. Und doch: Wir Predigerinnen muessen predigen, auch wenn wir eigentlich nicht predigen koennen. Und so bitte ich Gott, die Heilige Trinitaet, mir an diesem Morgen zu helfen. Ich bin dankbar dass Juergen Moltmann mein Lehrer gewesen ist als ich in meinen Mitte zwanzigern Theologie studiert habe. Seine Begeisterung fuer Gott als Trinitaet haben auch in mir eine Liebe hervorgebracht von Gott in dieser Weise zu reden. Und doch, heute fuehlte ich eine grosse Herausforderung: Wie can Gott als Trinitaet heute zu uns reden, in diesem Moment in unserer Geschichte? Ich kann nicht einfach meine Augen schliessen zu dem was in der Welt abgeht und so tun als ob die Trinitaet nur ein fernes Konzept ist, oder eine theologische Idee. Ich muss fragen: Heute am Trinitaetssonntag: Kann Gott uns als Trinitaet etwas darueber sagen wo wir uns heute befinden? Wie kann die Trinitaet zu uns sprechen in dieser Grenzzeit, in dieser Schwellenerfahrung? Juergen Moltmann began seine Predigt ueber die Trinitaet mit meinem Taufspruch, der von dem Geheimnis der Liebe spricht: 1. Johannes 3:3: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, and Gott in ihm, in ihr“. Und mit diesem Geheimnis der Liebe ist auch das ganze Geheimnis der Trinität zusammengefasst. In Gott, in der Trinitaet Gottes finden wir eine neue Gemeinschaft, die über die Grenzen von Klassen, Rassen, Geschlechtern und Kulturen hinwegreicht. Manche Christen denken, die Trinitätslehre sei schwer zu verstehen, sie wäre eine reine Spekulation oder eben ein großes Geheimnis. Sie sei also nur etwas für Theologen, und unter den Theologen nur etwas für Spezialisten. Nichts davon ist wahr. Es ist ganz einfach und leicht zu verstehen: Der Christusglaube hat selbst eine dreifache Orientierung. Denn


christlicher Glaube ist ein Leben in der Christusgemeinschaft. Was heißt das? Jesus wird mein Herr und mein Heiland, mein Bruder und Anführer meines Lebens. Das ist das Erste. Er ist in die Welt gekommen, um zu suchen, was verloren ist, und so hat er auch mich gefunden, als ich mich von Gott und allen guten Geistern verlassen fühlte. Er hat mich mitgenommen auf seinen Weg in die Auferstehung und das Leben. In seiner Gemeinschaft erfahren wir uns erhoben und aufgerichtet als Söhne oder Töchter Gottes wie er, der Sohn Gottes, der »der Erstgeborene unter vielen Brüdern und Schwestern« (Römer 8,29) ist. Das ist das Wunderbarste, was mir und Euch passieren kann und gewiss passiert ist: Wir nennen diese erste Erfahrung»die Gnade Jesu Christi«. Jesus rief zu Gott »Abba, lieber Vater«. Das ist das Zweite. Also beten auch wir mit Jesus »Abba, lieber Vater«. Das heißt: Ich glaube an den Gott Jesu Christi und an keinen anderen Gott. Persönlich wären sicher einige unter uns ohne Christus sicher Atheisten geblieben oder geworden. Denn aus dem Lauf der Natur und aus den Tragödien der menschlichen Geschichte wären wir nie auf die Idee gekommen, dass es einen Gott gibt und dass dieser Gott Liebe ist. Das haben wir erst bei Christus gelernt und in seiner Gemeinschaft erfahren. Um Jesu Willen glaube ich, in seinem Namen vertraue ich auf Gott als meinem »Abba, lieber Vater«? In der Christusgemeinschaft erfahre ich auf der anderen Seite, wie »seine Gnade jeden Morgen neu« ist. Das ist das Dritte. Ich erfahre die Lebenskräfte des göttlichen Geistes. Sie machen lebendig oder trösten, wie eine Muttter lebendig macht und tröstet. Der Heilige Geist ist der Geist des Lebens. In mich strömen seine Lebenskräfte ein. Sie überfluten mich mit Licht und schaffen mir Klarheit im Denken. Sie durchdringen mich mit ihrer Wärme und lassen mein Herz höher schlagen; Sie füllen meine schwachen Kräfte mit neuen Energien. Sie erwecken mich, und ich stehe auf und erhebe mein Haupt und gehe aufrecht durch den Tag. In der Christusgemeinschaft erfahren wir die Lebensströme des Geistes Gottes. Die Christusgemeinschaft, „Abba“ – lieber Vater –, die Lebenskräfte des Geistes – das ist die Gotteserfahrung im christlichen Glauben. Das ist die ganze Dreieinigkeit. Ich erfahre Gott in seiner Nähe als Liebe und den


Heiligen Geist als meine Lebenskraft. Ich beginne, in der einzigartigen Gemeinschaft von Jesus, dem Sohn Gottes, und Gott dem Vater Jesu Christi und dem Heiligen Geist zu leben. Ich glaube gar nicht »an« den dreieinigen Gott, ich lebe und sterbe »in« dem dreieinigen Gott. Mit Christus lebe ich in Gott. Und so ist Christlicher Glaube ist ein Leben in der Gemeinde Christi. Niemand ist als Christ einsam und alleinstehend. In der Christusgemeinschaft finden wir auch die Brüder und Schwestern in der Gemeinde Christi. Wir finden eine neue Gemeinschaft, die über die Grenzen von Klassen, Rassen, Geschlechtern und Kulturen hinwegreicht. Wir feiern unseren Gottesdienst »mit der ganzen Christenheit auf Erden«. Die Gemeinschaft Christi ist eine grenzensprengende Gemeinschaft. Aus welchem Grunde? Nach dem Johannesevangelium 17,21 betet Jesus zum Vater: »Auf dass sie alle eins seien, gleich wie du Vater in mir und ich in dir bin, dass sie auch in uns seien, auf dass die Welt glaube.« In diesem Gebet Jesu sind wir alle schon eins, ob wir uns evangelisch, katholisch, baptistisch, methodistisch, orthodox oder wie immer nennen. Das ist alles sehr überflüssig. Die Einheit im Gebet Jesu zählt. Aber wie sieht diese Gemeinschaft aus? Wir sind miteinander und füreinander und in der Fürbitte sogar ineinander so da, »gleichwie du Vater in mir und ich in dir bin«. Die Gemeinschaft Jesu mit Gott dem Vater und dem Heiligen Geist ist das Urbild – und die Gemeinde Christi und unsere Gemeinschaft untereinander ist das menschliche, gewiss unvollkommene, aber gewürdigte Abbild. Wo aber ist die Kraft zu einer solchen, gottentsprechenden Gemeinschaft von so verschiedenen Menschen, wie wir es doch sind? Dafür müssen wir auf die zweite Bitte Jesu achten: »dass sie auch in uns seien«. Gott der Vater eröffnet durch Jesus und in den Kräften seines Geistes einen weiten, offenen Lebensraum. Es ist der Raum und die Atmosphäre, in der wir uns begegnen, uns gegenseitig erkennen und anerkennen, an den Händen halten, uns umarmen. Es ist das Kraftfeld der Liebe, in dem wir das Misstrauen und die Ängste voreinander überwinden und uns wechselseitig


stärken. In der Gemeinde Christi verschwinden Abstiegsangst und Lebensgier. Der Konkurrenzkampf der Gesellschaft hat hier ein Ende. Verachtung und Neid gehören nicht hierher. Wir werden eine Gemeinschaft von Freunden, und manchmal ist es auch hier so wie in der ersten Pfingstgemeinde: »Sie waren ein Herz und eine Seele« (Apostelgeschichte 4, 32). Was mich persönlich an der ersten Pfingstgemeinde, von der die Apostelgeschichte erzählt, am meisten beeindruckt, ist dies: »Es ist keiner unter ihnen, der Mangel hatte.« Sie stellten ihre Gemeinschaft und ihre menschlichen Beziehungen über das Individuum und dessen Sicherung durch private Güter. In ihrer Gemeinschaft der gegenseitigen Hilfe an Leib und Seele fehlte es an nichts. Sie hatten an allen Dingen genug, mehr als genug. Warum? Weil sie miteinander teilten und Anteil nahmen. Die frühen christlichen Gemeinschaften versorgten nicht nur ihre Kinder, Kranken und Armen, sondern auch noch die der ganzen Stadt, berichteten Zeitgenossen. Es waren nicht nur Gottesdienstgemeinden, sondern auch Lebensgemeinschaften. Manche haben zwar hämisch darauf hingewiesen, dass sich dieser »urchristliche Kommunismus« in Jerusalem nicht lange gehalten habe. Sie übersehen, dass die christlichen Ordensgemeinschaften und radikalreformatorischen Gemeinden, die Hutterer und Mennoniten, die Brüderhöfe immer so gelebt haben und noch heute so leben. In den neuen Basisgemeinden in Lateinamerika erfahren Menschen diese Gemeinschaft wieder, in der Arme reich werden, reich an menschlichen Beziehungen und gegenseitiger Hilfe. Darum setzen diese Basisgemeinschaften in Brasilien auf das Plakat für ihre Treffen den Spruch: »Die Trinität ist die beste Basisgemeinschaft.« Wo eine Gemeinde auf dem Weg dahin ist, wird sie zu einer Hoffnung auf eine friedliche, neue Welt mitten in den Existenzkämpfen der alten Welt. Als letzte Woche hier in Atlanta nach einer Gewalttaetigen und Zerstoeherischen Nacht der Demonstration viele Gemeinden in die Innenstadt kamen und mithalfen die Innenstadt aufzuraeumen und wiederhezustellen, da keimte in mir Hoffnung auf, dass die Gewalt nicht das letzte Wort haben wird.


Wenn ich hoerte dass in vielen Laendern, in vielen Staedten und Gemeinden der Tod von George Floyd als Anlass zu oeffentlichen Protestmaerschen wurde, da keimte in mir Hoffnung auf. Wir, die wir mit der Trinitaet Gottes leben, werden nicht selber zu Gott. Das heisst, wir wissen nicht was die Zunkunft haelt. Aber mit Ralph Abernathy dem Freund Martin Luther Kings gesagt: „Wir wissen nicht WAS die Zukunft haelt, aber wir wissen WER die Zunkunft haelt“ Ja, wir werden nicht zum Gott, aber wir leben in Gott, und Gott lebt in uns. In dieser aengstlichen, liminalen Grenz- und Schwellenerfahrung, in dieser „Zwischen-zeit“ wird Gott als Trinitaet zu unserem Lebensraum, und wir werden zum Lebensraum Gottes. Gottes Liebe umgibt uns von allen Seiten in drei verschiedenen Weisen: Da ist die Gnade und grenzenlose Annahme unseres Herrn Jesus Christus für uns und alle Menschen, und die Liebe Gottes des Vaters fuer alle Menschheit und fuer die Schoepfung, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes die mit uns allen ist, vor allem in der Erfahrung von Einigkeit und dem Ruf nach Gerechtigkeit. In Gott, in der Trinitaet Gottes finden wir eine neue Gemeinschaft, die über alle Grenzen von Klassen, Rassen, Geschlechtern und Kulturen hinwegreicht. Das ist das ganze Geheimnis der Trinität. An diesem Geheimnis will ich mich orientieren in dieser chaotischen Zeit. Ja, wir wissen nicht WAS die Zukunft haelt, aber wir wissen WER die Zukunft haelt. Amen


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