Sonntag 22.März 2020 - Predigt - Pastorin Dorothea Lotze-Kola

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2. Timotheus 1, 7-10 Liebe Gemeinde, Was fuer eine verrueckte Zeit. Vieles was so selbstverstaendlich war, ist auf einmal nicht mehr da. Verrueckt eben. Keine Kinder die morgens den Schulbus nehmen. Keine Gruppentreffen, kein Essen im Restaurant, kein Besuch im Seniorenheim und kein Schwimmen oder Fussballspielen mehr. Alles ist auf den Kopf gestellt, verrueckt, unterbrochen und sogar verboten. Und das alles um eine Welt vor einem neuen Virus zu schuetzen. Die Menschen in Europa haben die gleiche Erfahrung wie in Asien, wie in den USA. Wir sind alle miteinander verbunden. Es gibt keine Waende, keine Grenzen, es gibt nur eine menschliche Familie. Und die ist gefaehrdet. Sogar auf Leben und Tod gefaehrdet. Und so kommt in uns Furcht auf. Aengste. Vor allem fuer Menschen die sowieso zur Aengstlichkeit neigen, aber auch fuer die welche sonst sorgenlos durchs Leben gehen. Wir sind alle aufeinmal in derselben Situation: uns begegnet die Ungewissheit. Die Zukunft ist auf einmal ganz offen und fuehlt sich eher bedrohlich an. In einer Atmosphaere wo alle um einen herum aengstlich sind, ist es oft nicht leicht Gottes Stimme herauszuhoeren. Wenn die inneren Stimmen der Aengstlichkeit laut werden, ist es ebenso nicht leicht Gottes Stimme auszumachen. Daher ist der Vers 7 von unserem Predigttext heute so hilfreich. Er kann uns helfen herauszuhoeren, welche Stimme von Gott kommt und was Gott


uns in aengstlichen Zeiten wie diese geben will, sodass wir haben was wir brauchen. Vers 7 lautet: “Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.” (2. Timotheus 1: 17) Mein Mann und ich haben uns diesen 2. Timotheusvers als unseren Trautext gewaehlt als wir beide unsere Heimatkontinente hinter uns liessen um gemeinsam auf einem dritten Kontinent zu leben. Wir ahnten, dass wir Zeiten entgegengingen, wo wir manchmal Angst oder Furcht haben wuerden. Wir sind beide zwar Pastoren, aber wir sind auch nur Menschen. In der Welt habt ihr Angst, so hat Jesus gesagt. Er wusste das Angst haben zum Menschsein gehoert. Auch der Apostel Paulus wusste das. Er hatten einen juengeren Kollegen Timotheus, der war ein eher ängstlicher Mensch; sein Bauchgefühl war in erster Linie eine Stimme der Ängstlichkeit. Zwar glaubte Timotheus an Jesus und wollte sich für die Ausbreitung des Evangeliums einsetzen, so wie Paulus, aber er zögerte oft wegen seiner Ängstlichkeit. Christsein war damals eine gefährliche Sache und konnte damals in lebensbedrohliche Situationen hineinfuehren. Den Apostel Paulus hatte sein Einsatz fuer die Sache Jesu sogar ins Gefängnis gebracht; und von dort aus schrieb er an Timotheus. Die Stimme der Ängstlichkeit hat dem Timotheus womöglich geraten, sich von Paulus zu distanzieren, um nicht selbst in das Visier von dessen Feinden zu geraten. Und so ruft Paulus demTimotheus (und auch


uns heute) zu: “Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Paulus ruft seinen jungen Kollegen auf, nicht auf sein ängstliches Bauchgefühl zu hören, sondern vielmehr auf die Stimme des Geistes. Und dieser Geist ist das Versprechen Gottes von Kraft, Liebe und Besonnenheit. Ich möchte zunächst die Zeitstufe betonen: Gott HAT uns seinen Geist gegeben. Das bedeutet, wir haben den Geist schon. Das Geschenk des Geistes das steht gleich am Anfang. In dem Moment wo ich Gott in mein Leben einlade, oder wenn ich getauft werde, oder wenn ich mich fuer Gott oeffne, so fuellt uns Gott mit seinem Geist. Und so sag tuns Paulus zu: diesen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit habt Ihr geschenkt bekommen. Manche haben das als Kinder schon erlebt, manche als Erwachsene, und einige unter uns oeffnen sich vielleicht in dieser Krise zum ersten Mal fuer Gottes Gegenwart und Geist. Das erste was geschieht wenn wir uns fuer Gott oeffnen, ist dass wir neue Kraft bekommen, und eine groessere Kapazitaet fuer Liebe und eine Besonnenheit die unsere Furcht vertreiben. Das heist nicht, dass wir nicht aengstlich werden, aber unsere tiefe, existentelle Angst um unser eigenes Leben und unseren eigenenTod wird aufgefangen von dem Geist Gottes. Und dieser Geist giesst aus eine Kraft die wir alleine nicht haben. Der Geist oeffnet uns ueber uns selbst hinaus mit einer Liebe, die wir selbst nicht produzieren koennten und mit einer Besonnenheit, die uns Wurzeln gibt und die uns gruendet in Zeiten wo um uns und in uns Chaos herrscht.


Und so spricht Paulus dem Timotheus und auch uns heute Mut und Selbstwertgefühl zu: “Gott hat uns seinen Geist gegeben! Und Gott wird uns seinen Geist geben, jeden Tag neu, wenn wir ihn darum bitten! Daran koenne wir uns festhalten auch in diesen Zeiten der Angst und Not! Paulus schreibt dies aus einer Notzeit der Gefangenschaft und Verfolgung heraus. Ich weiss nicht wie es Euch geht, aber ich fuehle wie wir Menschen zur Zeit von einem Virus verfolgt werden, und wie unser Leben in sozialer Isolierung, in unseren Haeusern ist zwar ein grosser Schutz ist, aber es fuehlt sich doch auch wie ein Gefaengnis an. Uns so kommen mir die Worte und Erfahrungen des Paulus auf einmal viel naeher als je zuvor. Vielleicht habt Ihr auch Einwaende: “Furcht als Erfahrung ist doch nicht nur negative?!” Sie erfüllt doch auch einen guten biologischen Sinn: sie erhöht die Wachsamkeit in uns, steigert die Einsatzbereitschaft, ehoeht unser Tempo und staerkt unsere Ausdauer. Ja, das stimmt. Aber Furcht macht auch panisch und zutiefst unruhig. Diese Panik ist nicht Gottes Absicht, sagt Paulus, der selbst allen Grund zur Panik hätte; er schreibt ja aus dem Gefängnis und seine Zukunftsaussichten sind wahrlich nicht rosig. Ich hoere Paulus Worte sagen: “Dein Vertrauen in Gott gibt Dir Zuversicht. Du brauchst nicht in Panik zu verfallen.” Und doch, es ist nicht so, dass wir als ängstliche Mensch plötzlich alle Ängstlichkeit verlieren, wenn wir Nachfolger Jesu, Christen werden. Ein ängstlicher Mensch behält sein furchtsames Bauchgefühl, auch wenn er an Jesus glaubt. Bei Timotheus war das nicht anders. Paulus wusste das, und


darum forderte er seinen geistlichen Sohn auf: “Bleib nicht in der Stimme der Aengstlichkeit, der Panik haengen! Lade Gottes Geist ein! Bitte um Kraft, um Empathie, um Liebe und um Besonnenheit, denn all die sind schon in Dich hineingelegt. Mache mutig den ersten Schritt in Liebe, und hoere auf die innere Stimme des Geistes Gottes, auch wenn dir dein aengstliches Bauchgefühl etwas anderes sagt!” Glauben, Vertrauen wie Paulus uns hier einlaedt, ist nicht so einfach, und es braucht viel Uebung. Liebe Gemeinde, liebe Freunde, in diesen Wochen und Monaten wird es viel Gelegenheit geben zu ueben! Ein Kollege von mir der von seiner Natur her recht aengstlich angelegt ist wollte ueben, sich von seiner Aengstlichkeit nicht laehmen zu lassen, und so machte er sich ein Schild fuer seinen Schreibtisch, auf dem geschrieben stand “Go scared!” – “Geh aengstlich!” GOTT HAT UNS DEN GEIST DER KRAFT GEGEBEN: Gottes Geist gibt uns Kraft, jeden Tag neu. Wenn das passiert dann wachen wir vielleicht aus dem Schlaf auf, und fuehlen uns gestaerkt, oder wir kommen von einem Spaziergang in der Natur zurueck und fuehlen uns besser. Der Geist Gottes der Kraft gibt erreicht uns vielleicht in einem hilfreichen Wort eines Freundes oder Nachbarn, und wir bekommen neuen Mut. Oder wir sehen die Gesichter von Freunden auf dem Bildschirm und bekommen neue Energie und erleben Momente von Kreativitaet. Der Geist der Kraft den wir in uns tragen und um den wir immer wieder bitten koennen, gibt uns auch Momente der Hoffnung, sodass wir faehig werden


auch das Positive um uns herum sehen, und nicht nur das Negative auf das sich die Medien oft begrenzen. GOTT HAT UNS DEN GEIST DER LIEBE GEGEBEN: In der Person Jesu haben wir gesehen wie der Geist der Liebe aussieht. Jesus wusste sich von Gott geliebt, und er hat diese Liebe in allem was er tat und sagte weitergegeben. In dieser Zeit der Krise, wie wirkt sich der Geist der Liebe in unserem Leben aus? Der Geist oeffnet unsere Augen nicht nur fuer unsere Familie, die unsere Liebe und Fuersorge braucht, sondern auch fuer andere, Nachbarn und Menschen weit weg. Der Geist der Liebe hat auch die Menschen am Rande im Blick: “Wie wird dieser Obdachlose Mann sich schuetzen koennen von dem Virus?” “Was braucht der Nachbar der keine Familie in der Naehe hat?” “Wie kann ich teilen von dem was ich habe?” (Eine Frau posted dass sie zuviel Toilettenpapier habe und gerne abgaebe an andere, die nichts mehr im Geschaeft finden konnten.”) Liebe bring tuns dazu einander zu texten, oder wir rufen an und “zoomen” um miteinander verbunden zu bleiben. Ich sehe die Menschen mit denen ich arbeite und Gottesdienst feiere auf einmal mit neuen Augen. Wieviel sie mir bedeuten. Ich vermisse sie. Der Geist der Liebe laesst uns aneinander denken und fuereinander beten. Wir sind nicht allein. Der Geist der Liebe Gottes laesst uns mitfuehlen mit den Krankenschwestern und Aerzten. Wir fuehlen mit den Familien die vom Virus betroffen sind. Der Geist der Liebe ueberwindet Grenzen, schafft Solidaritaet, verhindert das Urteilen. Die Menschen in Europa, Asien und


auch Afrika gehen durch die gleiche soziale Isolierung wie hier in den USA. Der Geist der Liebe macht keine Unterschiede: China, Iran, Nigerien, und viele andere Laender die betroffen sind. Wir hoeren auf Urteile zu faellen und Vorwuerfe zu machen wo der Virus anfing. Gottes Geist urteilt nicht, sondern ist solidarisch. Der Geist der Liebe teilt Resourcen und teilt Wissen. Der Geist der Liebe forscht und arbeitet fieberhaft an einer Impfung und an Medikamenten die dem Virus einhalt gebieten koennen, Der Geist der Liebe hat das Wohlergehen von allen Menschen im Sinn, egal wo der Virus anfing, egal wie er weitergetragen wurde. Viele wissen nicht, dass sie den Virus in sich tragen. Die Liebe kennt keine Verurteilung. Die Liebe arbeitet an allem was Heilung bringt fuer die Menschen in allen Laendern die betroffen sind, nicht nur im eigenen Land. GOTT HAT UNS DEN GEIST DER BESONNENHEIT GEGEBEN: Die dritte Gabe des Geistes ist die Besonnenheit. Was ist damit gemeint? Gemeint ist die Stimme die wir hoeren wenn wir ruhig werden, ein innere Stimme die Weisheit in sich traegt und die nach gründlicher Prüfung der Umstände die Stimme des Bauchgefühls und andere Stimmen ausbalanciert. Fuer Besonnenheit ist das Hoeren und das innere Gespraech mit Gott wichtig: Fragen kommen auf, wie: Ist mein Verhalten von der Liebe Gottes geprägt? Oder kommt mir meine Ängstlichkeit in die Quere, oder meine Bequemlichkeit, oder hoere ich auf rein menschliche Stimmen? Man kann den Geist der Besonnenheit auch auf die kurze Formel bringen: Wie würde sich Jesus an meiner Stelle verhalten? Der Geist Jesu spiegelt diese Besonnenheit wieder an die uns Paulus hier erinnert. “Als Nachfolger


Jesu habt Ihr den Geist der Besonnenheit, der Weisheit bekommen.” Nun folgt ihm auch. Kraft, Liebe und Besonnenheit, dies sind alles Gaben die der Geist Gottes uns schenkt. Und so schreibt Paulus ermutigend an Timotheus: „Aus diesem Grund erinnere ich dich an die Gabe, die Gott dir in seiner Gnade geschenkt hat, als ich dir die Hände auflegte. Lass sie zur vollen Entfaltung kommen!“ Und so will ich Euch heute in dieser Krisenzeit auch ermutigen: Es kann sein, dass Ihr schon lange Christen seid. Oder dass Ihr Euch gerade erst wieder erinnert, dass Ihr in der Taufe oder in der Konfirmation die Hand des Segens aufgelegt bekommen habt. Oder es kann sein, dass Ihr seid langem nicht nach Gott gefragt habt, oder noch nie Gottes direkten Segen erfahren habt. Es ist egal ob Ihr Euch nun zum allerersten Mal fragt wie Gott wohl gegenwaertig sein koennte in dieser weltweiten Krise: Wenn Ihr Gott bittet, (und das kann auch ohne Handauflegung sein), wenn Ihr Gott in einem einfachen Gebet bittet, so wird Euch Gott seinen Geist schenken. Hier und heute. In dieser Krisenzeit und jeden Tag Eures Lebens. Ihr werdet den Geist der Kraft empfangen und der Liebe und der Besonnenheit. Und die werden Euch hindurchtragen in die Zukunft und durch diese Zeit der Ungewissheit hindurch. Ja, wir haben Angst. Ja, wir fuerchten uns. Das ist menschlich. Jesus hat gesagt: (Johannes 16:33) Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Frieden habet. In der Welt habt Ihr Angst, aber seid getrost, ich habe


die Welt ueberwunden.� Und so hinterliess Jesus seinen Heiligen, Heilenden Geist der unter uns ist und wirkt. Und so ermutige ich Euch heute mit den Worten Jesu der sagte: (Lukas 11:9) “Bittet, und es wird Euch gegeben, suchet und Ihre werdet finden, klopfet an, und es wird Euch aufgetan: Der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit wird euch jeden Tag neu geschenkt. Gott weiss, wie sehr wir diese drei brauchen in diesen Tagen, Wochen und Monaten die vor uns liegen. Lasst uns beten: Guetiger Gott, wir bringen Dir unsere Angst vor der Zukunft, die Sorge um unser eigenes Leben, das Leben geliebter Menschen, und um das Leben der vielen Menschen die vom Virus betroffen sind. Schenke uns Deinen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit heute, und jeden Tag neu. Lass die Menschheit zusammenfinden. Hilf uns, dass wir Medikamente und Impfungen so schnell wie moeglich entwickeln, sodass vielen Menschen geholfen wird. Bewahre uns Gott und Segne uns Gott. Du willst uns, Deine Geschoepfe erfuellen mit Deinem Geist. Oeffne unsere Herzen fuer Deinen Geist, der uns mit Kraft, Mut, Mitgefuehl, Liebe und Weisheit erfuellen will, heute und alle Tage. Amen


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