blick punkt
HALLE (SAALE)
Jahrgang 5 | II/2011 | 08.10.11
MITGLIEDERZEITSCHRIFT DER SPD HALLE (SAALE) SEITE 3
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Angela Kolb im Gespräch
Peer Steinbrück in Halle
Umweltzone in Halle eingerichtet
Extremismus
Politischer Anstoß
Behördenposse
Inhalt Im Blick.punkt
Seite 02: Erster Mai in Halle Seite 03: Interview mit Angela Kolb Seite 05: Zum Extremismusbegriff Seite 06: NPD-Verbotsverfahren
Ein.Blick
Seite 07: Peer Steinbrück in Halle Seite 08: Umweltzone in Halle Seite 09: Ein Juso im Landtag Seite 09: Ausflug der AG 60plus Seite 10: Juso-Konferenz in Arendsee Seite 10: Neuer Vorstand in Nordost Seite 11: Ehrung für Marcus Turré Seite 11: Zeitpunkt Stefan Heym
Über.blick
Seite 12: Gebietsreform in Meck.-Pom. Seite 13: Wahlen in Meck.-Pom. Seite 14: Lobbyismus in Deutschland Seite 15: Kommunen machen Schule Seite 15: Problematik Schulübergang Seite 16: Tiefpunkt Parteireform Seite 16: Gedenken an Franz Peters
Impressum blick.punkt Mitgliederzeitschrift der SPD Halle (Saale) Große Märkerstraße 6 | 06108 Halle (Saale) blickpunkt-halle@googlegroups.com www.blickpunkt-halle.de Herausgeber SPD-Stadtvorstand Halle (Saale) V. i. S. d. P. Katja Pähle, SPD-Stadtvorsitzende Redaktion Katharina Hintz | Andrej Stephan | Marcel Thau Thomas Stimpel | Alexander von Moltke Marcus Schlegelmilch | Oliver Hartung Christian Weinert (Ltg.) | Felix Peter (Ltg.) Druck Druckerei Teichmann Halle Einschränkungen
Die Beiträge geben die private Meinung der Autoren wieder und sind nicht zwangsläufig mit der Meinung der SPD identisch. Die Redaktion behält sich das Recht vor, eingesandte Texte zu bearbeiten und ggf. nur auszugsweise abzudrucken. Die Vervielfältigung ist unter Verwendung eines vollständigen Quellenverweises gestattet. Die Rechte an Wort und Bild liegen – sofern nicht anders ausgewiesen – beim SPD-Stadtverband Halle (Saale).
Politischer Extremismus
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Im Blick.punkt
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„Kampftag“ Erster Mai
Am 1. Mai demonstrierte ein breites Bündnis gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Halle
Halle. Der vergangene 1. Mai in Halle war gleich dreifach aufgeladen: Klassisch als Tag der Arbeit, ebenso traditionell als Kirchsonntag und in diesem Jahr hatten auch noch Neonazis eine Demonstration angemeldet. Bereits im Vorfeld zeichnete sich ab, dass viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl gefragt sein würden, um alle notwendigen Vorbereitungen zu meistern. >> von Ute Larsen (Bündnis „Halle gegen Rechts“) & Marcel Muschter (Jusos Halle) Initiiert durch „Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage“ fanden an diesem Tag vielfältige Aktionen statt. Diese reichten vom Anwohner-Picknick in Glaucha über Sitzblockaden, damit Neonazis nicht ihre Parolen in die Innenstadt tragen konnten, bis hin zu zwei sich ergänzenden Demonstrationszügen vom Marktplatz (hervorgegangen aus der DGB-Kundgebung mit ca. 1.000 TeilnehmerInnen) und der südlichen Innenstadt (ca. 1.200 TeilnehmerInnen) kommend.
zentraler Aspekt der Aktionen zum 1. Mai. „Wir lassen uns in Halle nicht auseinanderdividieren. Gerade die vielfältigen Aktionen haben gezeigt, dass es hier für jeden eine Möglichkeit gibt, für Demokratie und gegen Rechts ein Zeichen zu setzen.“ erklärte Dagmar Szabados im Anschluss an die Kundgebung am Vorplatz des Hotels vor ca. 2.000 BürgerInnen. Auch wenn Blockadekonzepte als demokratische Protestform in Halle noch ungewohnt sind, hatten sie diesmal Erfolg und können durchaus gesellschaftliche Akzeptanz finDer 1. Mai und der NS den, konnte in Halle doch so Es ist kein neues Phänomen, die Route der Nazis massiv dass rechtsradikale Organiverkürzt werden. Albrecht sationen versuchen, soziale Schröter (Oberbürgermeister Fragen aufzugreifen und mit in Jena) meinte hierzu: „Friednationalistischem und völkiliche Blockaden sind legitim. schem Inhalt zu beantworten. Neonazismus und Faschismus Bereits 1933 kamen die Natiosind keine Meinung, sondern nalsozialisten vermeintlich der nachweislich ein Verbrechen. alten Gewerkschaftsforderung Und die Freiheit, gegen Neonanach, indem sie den 1. Mai zum zismus und Faschismus aufzugesetzlichen Feiertag erhoben. treten, nehmen sich die Bürger Die Ausgestaltung dessen main so einem Moment. Es ist nifestierte sich in der Form, dass bereits am 17. April 1933 Auf der Kreuzung vor der Strahlenklinik in der südlichen Innen- ein Akt zivilen Ungehorsams. Dazu gehört, im Zweifelsfall Goebbels in seinem Tagebuch stadt machte der Demozug des Bündnisses erstmals Station. notierte: „Den 1. Mai werden wir zu die Neonazis Konzepte der rassisch- ein Bußgeld in Kauf zu nehmen“. Einzig kritisch zu betrachten ist die einer grandiosen Demonstration ethnischen Volkswirtschaft entgegen. deutschen Volkswillens gestalten. Was die Neonazis in Halle und ande- Einschätzung der Polizei in Bezug auf Am 2. Mai werden dann die Gewerk- renorts zum 1. Mai forderten, beinhal- die Neonazis. So ging die Polizei bis schaftshäuser besetzt. Gleichschal- tet nichts Anderes als die Neuauflage zum Tag selbst von ca. 500 rechtsraditung auch auf diesem Gebiet.“ Damit rechtsradikaler Forderungen nach kalen DemonstrationsteilnehmerInnen aus, was später auch Thema im skizzierte er die sich bald ereignenden „Arbeitsplätzen nur für Deutsche“. Innenausschuss des Landtags wurde. Entwicklungen. So wurden auch in Halle GewerkschafterInnen, die sich Die Proteste in Halle nicht gleichschalten lassen wollten, zu Auf dem Marktplatz räumten der Ein positives Fazit Opfern der Nationalsozialisten. Die DGB und die SPD mit dieser Art der Das Bild der entschlossenen, ganz ursprünglichen internationalistischen Agitation auf, indem sie die Aus- normalen Menschen – und nicht und emanzipatorischen Forderungen wirkungen der Freizügigkeit und etwa von „BerufsdemonstrantInnen“, der ArbeiterInnenbewegung waren so die notwendigen Regelungen klar die ihr individuelles Zeichen für ein nicht wiederzufinden. Es ging um eine benannten. Bereits seit 2004 war es weltoffenes Halle gesetzt haben, prä„Demonstration deutschen Volkswil- ArbeitnehmerInnen aus Polen und gen die Erinnerungen an diesen Tag. lens“ und nicht mehr um eine „große der Tschechischen Republik möglich, Doch der Erfolg dieser Aktionen darf internationale Manifestation […] und hier zu arbeiten, seit diesem Jahr fal- uns nicht vergessen lassen, dass unter zwar dergestalt, dass gleichzeitig in len auch letzte Einschränkungen weg. den tausend Neonazis auch Hallenallen Städten an einem bestimmten Zu erwartende Nachteile wurden serInnen waren. Deshalb liegt es an Tage die Arbeiter an die öffentlichen größtenteils durch branchenbezo- unserem persönlichen, wie politiGewalten die Forderung richten, den gene Mindestlöhne abgefangen. Wer schen Handeln, dass Initiativen wie Arbeitstag auf acht Stunden festzuset- sich also keine Sorgen um den Ar- das Bündnis „Halle gegen Rechts – zen“, so die Forderungen auf dem In- beitsplatz machen will, muss sich für Bündnis für Zivilcourage“ und die deternationalen Arbeiterkongress 1889 gleiche Arbeits- und Entlohnungsbe- mokratische Kultur generell sowohl in Paris. dingungen aller ArbeitnehmerInnen ideell als auch finanziell unterstützt – egal welcher Herkunft – einsetzen. werden. Der 1. Mai in Halle war geNeben diversen Infoständen, die kennzeichnet durch entschlossene Rassistische Antworten Heute versuchen Neonazis immer sich flächendeckend durch Halle zo- und gewaltfreie Proteste – ein friedwieder, bestehende Ängste und sozi- gen, waren die Demonstrationszü- licher Kampftag für Demokratie und ale Unsicherheiten mit ihrer gefähr- ge, die sich am „Maritim“ vereinten, menschenwürdige Arbeit. lichen und falschen Aussage „sozial geht nur national“ als Antwort zu verkaufen. Die NPD und Rechtsradikale des sogenannten „Freien Spektrums“ versuchen, den Wegfall der Freizügigkeitsbeschränkungen für ArbeitnehmerInnen aus osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten für die Verbreitung rassistischer Ressentiments und bestehender sozialer Abstiegsängste zu nutzen. Durch die Themenverlagerung der Rechtsradikalen werden Debatten etwa zum gesetzlichen Mindestlohn rassistisch aufgeladen. Einer globalisierten Wirtschaft stellen
Foto: F. Peter
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Am RANDE
Inhalt: Randspalten S.03: S.04: S.08: S.10: S.11: S.12: S.13: S.14: S.15: S.16:
Red.ACTION - Hausmitteilg. Bericht - Norwegen Auf.TAKT - A. Tilgner Ein.Blick - Landesparteirat Ein.Blick - AG 60plus Straßen.SCHILD - H. Pera Kommentar - Berlin-Wahl SPD.AKTIV - OVs, SV, Fraktion SPD.AKTIV - AGs & AKs Kommentar - Parteireform
In Zahlen: SPD Halle >> 465 MITGLIEDER >> 11.45%/SPD Sachsen-Anhalt >> 132 davon Frauen (28.39%) >> 183 davon Jusos (39.35%) >> 119 davon 60plus (25.59%) >> AUFWUCHS UM 32 SEIT 03/09 Der Frauenanteil in der SPD Halle stagniert seit zwei Jahren. Der Anteil der Mitglieder unter 35 Jahren ist gestiegen. Bei den Mitgliedern über 60 Jahren gab es einen leichten Rückgang. Der Anteil der halleschen SPD-Mitglieder an der SPD Sachsen-Anhalt hat leicht zugenommen. Die Gesamtentwicklung der Mitgliederzahl in Halle (Saale) kann vorsichtig optimistisch bewertet werden, stellt der aktuelle Stand doch den höchsten Stand seit der Neugründung der SDP/SPD 1989/1990 in Halle dar.
Info: Die Redaktion Leitung:
>> Christian Weinert >> Felix Peter
Im Blick.punkt:
>> Marcus Schlegelmilch
Ein.Blick:
>> Oliver Hartung
Überblick:
>> Andrej Stephan >> Katharina Hintz
Am Rande:
>> Marcel Thau
Satz & Layout:
>> Oliver Hartung >> Felix Peter
Lektorat:
>> Oliver Hartung >> Thomas Stimpel >> Alexander von Moltke
Im Blick.punkt
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Red ACTION In eigener Sache
„Anstiftung zur Schnüffelei“
Justizministerin Prof. Dr. Angela Kolb im Interview zu aktuellen Fragen des Extremismus LSA. Sind Rechts- und Linksextremismus politisch gleich zu behandeln? Ist die sogenannte Extremismusklausel tatsächlich sinnvoll? Welche Möglichkeiten bestehen, Demonstrationen gegen Aufmärsche von Rechtsextremen im Rahmen der demokratischen und rechtlichen Spielregeln erfolgreicher zu machen? Diese und andere Fragen beantwortete uns Justizministerin Prof. Dr. Angela Kolb im Interview. >> das Gespräch führten Felix Peter & Marcel Muschter (unter Mitarbeit von Oliver Hartung), blick.punkt
nach dem Attentat am 22. Juli in Norwegen ist das Thema politischer Extremismus in Europa aktueller denn je. Aufhänger für dieses Schwerpunktthema (Seiten 2 bis 6) unserer aktuellen Ausgabe waren aber eigentlich der 1. Mai in Halle, bei dem ein Aufmarsch von Neonazis durch ein breites Bündnis stark eingeschränkt werden konnte, sowie der eher unglückliche Ausgang der Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt in puncto Bekämpfung des Rechtsextremismus. Weitere Themen der aktuellen Ausgabe sind unter anderem die Nachbetrachtung des „Politischen Anstoß“ mit Peer Steinbrück (S. 7), die Frage nach dem Sinn der Umweltzone in Halle (Saale), die sich die SPD-Stadtratsfraktion gestellt hat (S. 8), die Betrachtung der Gebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern (S. 12), die Nachbetrachtung der Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern (S. 13), die Frage nach der Legitimität von Lobbyismus in Deutschland (S. 14) sowie Aktuelles zur Bildungspolitik (S. 15). Um den blick.punkt noch übersichtlicher zu gestalten, haben wir uns dazu entschlossen, die Anzahl der Sparten auf drei zu reduzieren: Im Blick.punkt wird wie gewohnt ein Schwerpunktthema behandelt, der Ein.Blick gibt wie gewohnt Einblicke in die Geschehnisse in der SPD vor Ort und die neue Sparte Über.Blick lässt Raum für aktuelle politische Themen jeglicher Art, insbesondere für Kommentare. Auch die Redaktion hat sich verändert. Ausgeschieden ist Steven Leonhardt, der aus beruflichen Gründen den Stadtverband verlässt. Neu dabei ist Thomas Stimpel. Wir wünschen wie immer viel Lesevergnügen und freuen uns auf Deine Rückmeldungen, Leserbriefe oder Beiträge! Die Redaktion
Foto: angela-kolb.de
Liebe Leserin, lieber Leser,
Liebe Angela! Schwarz-Gelb proklamiert, dass sich der Extremismus-Begriff nicht nur auf Rechtsextremismus beschränken darf, sondern auch Linksextremismus umfassen müsse. Wie bewertest Du dies? Die Schwerpunktsetzung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ist aus meiner Sicht gerechtfertigt. Aber natürlich müssen wir Gewalt jeder Couleur bekämpfen. Wir müssen uns auch damit auseinandersetzen, dass die Straftaten im Zusammenhang mit linken Demonstrationen zunehmen. Wenn man jetzt aber feststellt, dass man auch Aktivitäten im Hinblick auf den Linksextremismus verstärken muss, darf das nicht automatisch heißen, dass damit Initiativen im Kampf gegen Rechtsextremismus zurückgefahren werden – gerade in Bezug auf die Unterstützung von vielen Vereinen und Verbänden, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben und unwahrscheinlich viel an Engagement entwickelt haben. Auch aus Sicht der Verfassungsschutzberichte gibt es im Moment keinen Grund, im Hinblick auf Rechtsextreme – etwa bezogen auf Gewaltstraftaten – Entwarnung zu geben. Das Besondere an der rechtsextremen Szene ist, dass sie unwahrscheinlich gut organisiert und vernetzt ist; dass die es tatsächlich auch schaffen, bestimmte gesellschaftliche Gliederungen – zum Beispiel Vereine oder Feuerwehren – zu unterwandern. Man versucht sehr subtil, an die Köpfe der Menschen heranzukommen. Das merkt man dann oft erst spät. Das ist bei den Linksextremen nicht so. Beim Rechtsextremismus stellt man nur immer wieder fest, dass er in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Deshalb gibt es aus meiner Sicht viele gute Gründe, das Engagement gegen Rechts weiter und deutlich fortzuführen.
Schwarz-Gelb hat die sogenannte Extremismus-Klausel eingeführt, durch die die Vergabe von Mitteln für Projekte gegen Rechtsextremismus an das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geknüpft wird. Ist dies tatsächlich notwendig? Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass die Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, auf dem Boden der freiheitlichdemokratischen Grundordnung stehen. Das war auch in der Vergangenheit Fördervoraussetzung und stand auch bisher schon in den Förderbescheiden. Neu ist, dass sie dies jetzt ausdrücklich erklären müssen. Und neu ist auch, dass dies nicht nur für die betreffenden Vereine gilt: Sie müssen quasi für alle Partner, mit denen sie zusammenarbeiten, diese Erklärung abgeben – und sie damit im Vorfeld auch erforschen. Man stiftet jetzt quasi zur Gesinnungsschnüffelei an. Es gibt aus meiner Sicht keinen stichhaltigen Grund, jetzt so zu verfahren. Im Gegenteil: Das ist wirkliches Misstrauen gegenüber der engagierten Arbeit dieser Vereine. In einem Fall betraf das auch die Stadt Riesa. Dort musste der Bürgermeister der Stadt diese Erklärung abgeben und konnte das nur – im Stadtrat sitzen zwei Mitglieder der NPD – indem er ausdrücklich erklärte, dass er für diese nicht bürgen könne. Demokratie lebt von Vertrauen. Gerade diejenigen, die sich für die Demokratie engagieren, verdienen dieses Vertrauen. Die Engagierten werden da in eine ganz missliche Situation gebracht. Gerade sie brauchen wir aber. Sie sind oftmals vor Ort viel näher an den Menschen, als es staatliche Angebote sein könnten. Das zeigt ja, dass die ganze Diskussion auch ideologisch aufgeladen ist. Ist der Extremismusbegriff dann überhaupt geeignet, damit zu operieren? Der Extremismusbegriff taucht im Grunde nirgendwo auf. Wir müssen von Sachen ausgehen, die uns das Grundgesetz vorgibt. Da geht es um Verfassungsmäßigkeit bzw. die Feststellung, dass bestimmte Vereinigungen oder Parteien nicht auf dem Boden der Verfassung stehen. Dann gibt
es entsprechende Verfahren, um auch das zu überprüfen. Es muss aber auch im Strafrecht darum gehen, stärker zum Ausdruck zu bringen, wenn eine Straftat politisch motiviert ist. Wenn also hinter der Straftat kein zwischenmenschlicher Konflikt steht, sondern jemand einen anderen angreift, weil er stellvertretend für eine bestimmte Gruppe steht. Dann ist das ein besonderer Verstoß gegen die Menschenwürde, der sich auch strafschärfend auswirken muss. Einige meinen, dass dies Richter schon heute können. Aber es gibt auch immer wieder Gegenbeispiele: Nach dem Übergriff auf die Theatergruppe in Halberstadt haben wir uns unter anderem mit Opferverbänden auseinandergesetzt. Da gab es etwa den Fall, bei dem im Urteil stand, dass es eine „übliche“ Herrentagsschlägerei war. Tatsächlich handelte es sich aber um einen fremdenfeindlichen Übergriff. Aus meiner Sicht hat das Opfer aber auch einen Anspruch darauf, dass sich diese Motivation zumindest in der Urteilsbegründung wiederfindet. Dass dann auch im Urteil steht, wessen Geistes Kind der Täter war. Nachdem wir erfolgreich hierzu eine Bundesratsinitiative zusammen mit Brandenburg in den Bundestag einbringen konnte, sich dieser vor der Wahl 2009 aber nicht mehr damit befasst hat, mussten wir es erneut versuchen. Allerdings fehlte uns beim zweiten Anlauf – wohl auch wegen der zeitlichen Distanz zu diesem Übergriff auf die Theatergruppe – leider die nötige Unterstützung. Es gab zuletzt Blockaden von Demonstrationen der Rechtsextremen in Halle und Jena. Wichtig erscheint auch, dass Gegendemonstrationen die Chance haben, für die Rechtsextremen sichtbar zu sein. Sonst laufen sie ja ins Leere. Gibt es Möglichkeiten, dies versammlungsrechtlich aufzugreifen? Es ist immer eine Abwägung der Grundrechte. Wir haben quasi zwei Gruppen, die beide das Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit haben. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung, wie das konkret vor Ort stattfinden kann, ohne dass daraus Gefahren entstehen.
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Im Blick.punkt Die Polizei steht natürlich vor einer Riesenaufgabe: Die stehen dazwischen. Sie müssen verhindern, dass die beiden Gruppen aufeinander stoßen. Denn dann – das wissen wir – kommt es ja meistens zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Letzten Endes muss die Polizei vor Ort entscheiden, wie sie sich verhält; was wird zugelassen und welche Blockade muss auch einmal geräumt werden. Aber es gibt nun einmal das verfassungsmäßige Recht auf Versammlungsfreiheit und insoweit kann man das durch andere Gesetze auch nicht einfach einschränken. Helfen hier Sensibilisierungen der Einsatzkräfte, damit solche Aufeinandertreffen nicht zugespitzt ablaufen? Die letzten Demos, die ich mitgemacht habe, haben gezeigt, dass es durchaus eine Sensibilität gibt. Man muss sich aber bewusst sein, dass es immer eine Gratwanderung ist. Schließlich werden sie zur Verantwortung gezogen, wenn es schiefgeht. Die Entscheidung kann man ihnen auch nicht abnehmen, weil es deren ureigenste Aufgabe ist. Natürlich müssen in dem Bereich auch Weiterbildungen stattfinden. Gerade, was die Entwicklungen der Szene betrifft. Dass man sich auch schon im Vorfeld informiert, wie die reagieren und man auch umfassende Informationen hat, wer da jetzt eigentlich kommt. Aber das ist im Einzelnen sehr viel Polizeitaktik. Da tut man, glaube ich, gut daran, wenn man auch nicht von außen versucht, das in irgendeiner Form zu beeinflussen. Man muss auch mit der hohen
Verantwortung, die sie haben – ich möchte manchmal nicht in deren Haut stecken – sehr sensibel umgehen. Wie stehen die Chancen für ein neues und erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren? Bei dem damals eingeleiteten Verfahren kam es gar nicht dazu, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der eigentlichen Frage – nämlich der Verfassungsfeindlichkeit der NPD – auseinandergesetzt hat. Es ist ja schon an ganz formalen Dingen gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt: Solange die V-Leute in der NPD sind, werden die Erkenntnisse, die vorgelegt werden, nicht bewertet werden können. Weil man eben nicht weiß, ob das wirkliche Erkenntnisse aus der NPD sind oder ob da auch in irgendeiner Form die V-Leute dazu beigetragen haben. Es ist ja nicht nur die Verfassungsfeindlichkeit, sondern es muss ja nachgewiesen werden, dass diese Organisation tatsächlich auch aggressiv die demokratische Ordnung bekämpft – also noch ein Stück mehr, als dass man nur nicht auf dem Boden der Verfassung steht. Zudem sind die Leute dann immer noch da und man hat auch nicht die Köpfe verändert. Da müssen auch Initiativen, Bildung und Aufklärung im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der Ideologie weitergehen. Stichwort Bildung und Aufklärung: Inwieweit kann man hier präventiv tätig werden? Untersuchungen zeigen, dass Kriminalität eigentlich in den ersten Le-
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bensjahren anfängt und viel mit dem Umfeld zu tun hat, in dem Kinder aufwachsen. Das bedeutet nicht, dass Armut automatisch kriminell macht. Aber es gibt entsprechende Belege, dass fehlende Bildung tatsächlich die Chance erhöht, später mit der Justiz in Konflikt zu kommen. So haben etwa 80 Prozent der Insassen der Jugendanstalt in Raßnitz keinen Schulabschluss. Hier muss man ansetzen und frühzeitig Angebote machen. Wir sind da auf einem guten Weg. Der Ganztagsanspruch auf einen KiTa-Platz für alle ist da auch ein Stück weit Prävention, weil wir da die Möglichkeit haben, den Kindern, die in den Familien nicht so viel Anregung bekommen, tatsächlich über Bildung viel mit auf den Weg zu geben. Das lebt aber natürlich davon, dass die Eltern das auch in Anspruch nehmen – nicht etwa wie gerade im Bereich des Bildungspakets. Hast Du die Hoffnung, dass sich damit auch politischer Extremismus eindämmen lässt? Es könnte dazu beitragen. Wir haben im Rahmen von verschiedenen Projekten festgestellt, dass es bestimmte Risikofaktoren gibt. Da spielen Bildung und mangelndes Selbstbewusstsein eine ganz große Rolle. Und es spielt eben auch eine Rolle, inwieweit Kinder in ihrer Kindheit selbst Gewalt erfahren. Wenn man diese drei Faktoren ausschließt oder minimiert, dann hat man natürlich auch weniger Risikofaktoren, gerade auch für Gewaltkriminalität.
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Liebe Angela, herzlichen Dank für das Gespräch.
Justizministerin Angela Kolb zusammen mit Sozialminister Norbert Bischoff, Kultusminister Stefan Dorgerloh, Gesine Schwan, Johannes Krause und Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados bei der Abschlusskundgebung der Anti-Nazi-Demo am 1. Mai 2011 in Halle.
Gedenken: 22. Juli in Norwegen Am 22. Juli wurden mindestens 76 Menschen in Norwegen durch den Attentäter Anders Behring Breivik, der gegen „Kulturmarxismus und Islamismus“ vorgehen wollte, ermordet. Auf der Insel Utoya trafen Zorn und Willkür dieses einen Menschen direkt auf junge Menschen, die politisch für eine freie, offene und gerechte Welt standen und dort gemeinsam mit anderen Freude und Spaß erleben wollten. Am 29. Juli, eine Woche nach dem Attentat, gaben Halles SozialdemokratInnen in einer Gedenkveranstaltung vor dem Lutherdenkmal der Marktkirche ihrer Trauer Ausdruck. Wir gedachten allen Opfern des Anschlages in Oslo und den Opfern des Attentats auf Utoya mit einer Gedenkminute, einer Kranzniederlegung sowie dem Anzünden von Kerzen. In tiefer Betroffenheit, aber auch Solidarität, stehen wir den Angehörigen der Opfer und den GenossInnen der norwegischen AUF, welche das Jugendsommerlager auf Utoya ausrichtete, bei. Unter Mitwirkung der halleschen SPD, Jusos und Falken gedachten in Stille und Aufrichtigkeit rund 50 Menschen diesem schrecklichen Ereignis. Es wurde ebenfalls von jedem eine Kondolenzkarte unterschrieben, die wir zu den GenosssInnen nach Norwegen schicken. Denn wir möchten, dass sie auch daraus Kraft schöpfen.
Foto: SPD box
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Im Blick.punkt
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„Extremismus“
Sprachregelungen einer Koalition – Ein Plädoyer gegen konservative Weltsichten LSA. Als eine der Folgen aus dem Abschneiden bei der Landtagswahl hatte die SPD Sachsen-Anhalt den Wechsel des Innenministeriums in die Hände der CDU zu verdauen. Der folgende Artikel will prüfen, welche Folgen damit jenseits des bloßen Personaltausches im Ministerbüro verbunden sind. >> von Andrej Stephan, blick.punkt Trotz alledem dürfen wir uns durch solch feige Anschläge nicht zum Schweigen bringen lassen. Die Opfer der Tragödie ehren wir am ehesten durch eine Gesellschaft, die weit vom Weltbild des Täters entfernt ist. Wir können die Vergangenheit nicht vergessen machen, aber die Zukunft gehört uns. Deshalb gibt es für uns keine würdigere und sinnvollere Reaktion, als weiterhin politisch aktiv zu sein und für das einzustehen, woran wir glauben. In diesem Sinne: In Gedenken an die Opfer des 22. Juli in Norwegen. In Solidarität verbunden – Jusos und SPD Halle! von Christian Annecke
Foto: Jusos Halle
Man kann Holger Hövelmann einiges vorwerfen: In seine Amtszeit als Innenminister (2006-2011) fielen etliche Affären im Ministerium und den nachgeordneten Behörden, die zudem noch von den internen Querelen der SPD flankiert wurden. Und dennoch ist Holger als Minister stets unmissverständlich gegen Rechtsextremismus in Sachen-Anhalt eingetreten, in Wort und Tat, als Minister und Parteipolitiker. Es steht zu befürchten, dass sein Amtsnachfolger, Holger Stahlknecht, vieles anders angehen wird. Nach der Aushandlung des Koalitionsvertrages rühmte sich die SPD, einen „roten Käfer mit schwarzen Punkten“ erreicht und den „großen“ Partner fast überall von den eigenen Positionen überzeugt zu haben. Werfen wir einen Blick in die Koalitionsvereinbarung, hält diese Behauptung jedoch nicht lange stand. Dort nämlich taucht das Wort „Rechtsextremismus“ überhaupt nicht auf, sondern es ist vielmehr vom Bekenntnis zur „zur entschiedenen Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“ die Rede. Der Verfassungsschutzbericht zeigt, dass SachsenAnhalt bei rechtsextremen Gewalttaten bundesweit Platz eins einnimmt.
Extremistische Gewalt in LSA
Eine solche Sprachregelung hatte die SPD eigentlich verhindern wollen, als sie sich im Wahlprogramm explizit gegen das Vorhaben der Bundesregierung wandte, Bundesprogrammen Mittel zu kürzen „oder ihnen durch eine inhaltliche Umsteuerung zur allgemeinen „Extremismusbekämpfung“ die Stoßrichtung gegen Rechtsextremismus und gegen Rassismus zu nehmen“. Das ist die Sozialdemokratie sich auch schuldig – etwa vor dem Hintergrund, dass der Wernigeröder Stadtrat und Juso-Pressesprecher Kevin Müller Anfang 2010 von rechten Schlägern verprügelt wurde oder dass sich der hallesche Stadtrat Karamba Diaby nach einem Interview mit der rechten Postille „Junge Freiheit“ sogar mit Morddrohungen konfrontiert sah. Gewalttaten übersieht übrigens auch die CDU nicht. Eine „Arbeits-
gruppe Extremismus“, welcher der ehemalige Landesverwaltungsamtschef, Thomas Leimbach, vorsteht, lancierte im Mai 2010 und im Februar 2011 je eine Handreichung zum Umgang mit Rechts- und LinksextremistInnen. Minutiös werden dort Personenpotential und Gewalttaten beider „Lager“ vermerkt, eine Gleichförmigkeit und sozusagen gleichartige „Gefährlichkeit“ suggeriert, die es nicht gibt (auf eine/n „Linke/n“ kommen immer noch 2,6 Rechtsextreme, die Gewalttaten stehen im Verhältnis von drei zu zwei). Skandalöser Weise wird dabei aber unterschlagen, das Verhältnis der insgesamt begangenen Straftaten ins Feld zu führen, um die Chimäre von der vergleichbaren Gefährlichkeit aufrecht zu erhalten. Dann nämlich wird ersichtlich, dass 2009 und 2010 zusammen 2760 Straftaten durch Angehörige des rechtsextremen Spektrums verübt wurden, denen 598 durch LinksextremistInnen gegenüber stehen. Der Verfassungsschutzbericht des Bundes zeigt denn auch, dass Sachsen-Anhalt bei rechtsextremen Gewalttaten bundesweit den unrühmlichen Platz eins einnimmt und im linksextremen Feld auf Platz fünf rangiert (was schlimm genug ist).
Ein Gleichnis, das keines sein darf
Jenseits solcher Beobachtungen ist es interessant zu sehen, dass sich die – in jeder Hinsicht übrigens völlig unzulänglichen, aber scheinbar akademisch daherkommenden (die häufigste Fußnote ist ein solitäres „a.a.O.“; wo soll denn der „andere Ort“ konkret sein?) – Papiere der CDU-Arbeitsgruppe ganz besonders der Auseinandersetzung mit den Parteien NPD und DIE LINKE widmen. Und hier lauern ungeheure Fallstricke: Während den meisten Empfehlungen zum Umgang mit der NPD insbesondere in der Kommunalpolitik noch zugestimmt werden kann, erschreckt der Versuch, DIE LINKE in die extremistische Ecke zu drücken. Anlass dafür gibt den CDU-Ideologen etwa die mit einem Beschluss der Jungen Union (!) „belegte“ Behauptung, die PDS-Nachfolgepartei bestehe fast durchweg aus ehemaligen „Sympathisanten“ der RAF (West) oder aus Stasi- bzw. SED-VeteranInnen. Gefährlich wird diese Art schlichten Denkens dann, wenn im
CDU-Wahlprogramm Rechtsextremismus nur im Nebensatz auftaucht, aber (mit bundesweiten Zahlen) vor 6.600 „gewaltbereiten Aktivisten“ gewarnt und auf um 50 Prozent gestiegene „Gewalttaten von links“ verwiesen wird. Dass in diesem Ansinnen dumpfer Antikommunismus in Summe DIE LINKE in einen Topf mit Nazischlägern wirft, ist ein Skandal.
„Extremismus der Mitte“
In dieser Gleichsetzung von Extremismus und Radikalismus ist der eigentliche Kern der CDU-Botschaft zu sehen: Es soll auch in Sachsen-Anhalt der Versuch unternommen werden, über Ausgrenzungsstrategien einen Konsens der (demokratischen) „Mitte“ gegen ihre (undemokratischen) Ränder, „den Extremismus“, zu schmieden. Dass in diesem Ansinnen dumpfer Antikommunismus in Summe DIE LINKE in einen Topf mit Nazischlägern wirft, ist ein Skandal und reiht sich in die durchsichtigen Manöver zu „Demokratieerklärungen“ etc. Damit Missverständnissen vorgebeugt wird: In Sachsen-Anhalt gibt es zweifellos Kräfte des linksextremen Spektrums. Ein großes Problem für Polizei und Verfassungsschutz stellen sie freilich nicht dar. Zudem kann großen Teilen der in der Partei DIE LINKE Organisierten zwar fehlender Realismus unterstellt werden, ganz bestimmt aber keine antidemokratische Überzeugung. Es ist daher durchsichtig, was die CDU mit ihrer Pseudokampagne erreichen will – eine öffentliche Delegitimation selbst radikalen Denkens, indem sie sich selbst als Hüterin der Errungenschaften der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ und als Bewahrerin der Mitte zu stilisieren wünscht. An den Problemen, die Sachsen-Anhalt in einigen Teilen mit dem Rechtsextremismus in den Köpfen und leider auch in einigen Parlamenten hat, geht diese Sicht freilich meilenweit vorbei. Die SPD wird in der Koalition gefordert sein, immer wieder den Finger in diese Wunde der CDU-Ideologen zu legen. Die Opposition wird es mit Sicherheit tun.
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Im Blick.punkt
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Gemeinsam gegen Rechts?
Zur Möglichkeit eines neuerlichen NPD-Verbotsverfahrens Bund. Immer wieder hat die sogenannte Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ihre verfassungswidrigen Inhalte öffentlich zur Schau gestellt. Für gestandene Demokraten ist ihr fortwährender Bestand als verfassungskonforme Partei ein dauerhafter Affront. Gleichwohl ist im Falle eines neuerlichen Antrags zum Verbot der Partei mit keinem schnellen Erfolg zu rechnen. >> von Marcel Thau, blick.punkt Erfreulicherweise sind im Koalitionsvertrag der sachsen-anhaltischen Regierungsparteien dennoch folgende Zeilen verabredet worden: „Die Koalitionspartner befürworten einen aussichtsreichen Antrag nach Art. 21 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und unterstützen die Stellung eines entsprechenden Verbotsantrages durch den Bundesrat.“ Ein erneutes Scheitern vor dem Verfassungsgericht hätte zur Folge, dass sich die NPD mit ihrer „demokratischen Qualität“ schmücken könnte.
Zum Wert der Koalitionsaussage
Es war bei Weitem nicht selbstverständlich, dass sich die Landesregierung an einem neuerlichen Versuch, die NPD zu verbieten, beteiligt. Schließlich sind die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteiverbot außerordentlich hoch. Parteien sind neben den Verfassungsorganen die einzigen Institutionen konstitutionellen Ranges. Ein Verbot muss daher wohl begründet sein. Deshalb sind verfassungsfeindliche Äußerungen der Mitglieder der Partei allein nicht ausreichend für ein Verbot. Erst konkrete Aktivitäten, die darauf abzielen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) zu stören oder zu beseitigen und die der betroffenen Partei eindeutig zuordenbar sind, führen zu einem rechtskräftigen Verbot durch das Bundesverfassungsgericht. Erst bei zwei Parteien sah das Gericht diesen Tatbestand in der bundesrepublikanischen Geschichte gegeben (1952: SRP; 1956: KPD). So ist es nicht verwunderlich, dass die Krux der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarung im Detail liegt. Die Rede ist hier lediglich von einem „aussichtreichen“ Antrag. Diese Wortwahl bietet Raum für Interpretationen und somit die Chance, einen Verbotsantrag aufgrund seiner vermeintlichen Aussichtslosigkeit nicht zu unterstützen. Die vorsichtige Formulierung kann aber auch als Angst vor einem erneuten Scheitern – nach der Niederlage aus
dem Jahr 2003 – gedeutet werden.
Scheitern des letzten Antrags
Als die Bundesregierung gemeinsam mit Bundestag und Bundesrat 2001 ein Verbotsverfahren beantragte, stand die verfassungsfeindliche Gesinnung der NPD außer Frage. Es scheiterte an Fehlern des Verfassungsschutzes. Maßgeblich war seiner Zeit der Einsatz sogenannter V-Männer. Dabei handelt es sich um verdeckte Ermittler, die der Verfassungsschutz aus den Reihen der Partei akquirierte. Durch die Vernetzung in die Reihen der Organisation hinein, gelangt der Staatsapparat an unerlässliche Insiderinformationen. Im Fall der NPD war die Unterwanderung anscheinend zu erfolgreich. Während des Verfahrens kam der Verdacht auf, dass der NPD-Landesverband in NRW durch V-Männer geleitet würde. Das Gericht war somit nicht mehr in der Lage vermeintlich „echte“ Parteiaktivitäten von Straftaten zu trennen, die möglicherweise durch V-Männer initiiert worden waren. Nach dem Skandal wurden die inhaltliche Prüfung im Jahr 2003 abgebrochen und die Klage fallen gelassen. Dies lehrt uns, dass der Einsatz von V-Männern, der ohnehin in einer rechtlichen Grauzone stattfindet, im Falle eines Verbotsantrages ambivalent zu betrachten ist. Solange eine Partei nicht verboten ist, bietet der Verbotsantrag die einzige Möglichkeit der Länder, die NPD aus der Insiderperspektive zu überwachen. Bei einem Verfahren ist diese Strategie gleichwohl hinderlich, wenn dadurch Tatbestände nicht mehr zuordenbar sind. Nach der Niederlage von 2003 ist die Vorsicht, wie bereits zu Beginn angesprochen, stark angewachsen. Ein erneutes Scheitern vor dem Verfassungsgericht hätte zur Folge, dass sich die NPD mit ihrer „demokratischen Qualität“ schmücken könnte. Das wäre Wasser auf die Mühlen der Anhänger ihrer menschenverachtenden Ideologie und Spott für all jene, die mehrmals im Jahr im Rahmen friedlicher Protestmärsche für unsere Demokratie auf die Straße gehen. Die Formel des Koalitionsvertrages ist deshalb begründbar, wenngleich
sie offenkundig ein taktisches Mittel der CDU darstellt, ein von der SPD angeführtes Verfahren nicht zu unterstützen. Wie also macht man ein Verfahren aussichtsreich? Keine Toleranz gegenüber rechter Gewalt! Diese Formel muss sich die Landesregierung zum Auftrag machen.
Fazit
Davon ausgehend, dass V-Männer weiterhin im Einsatz bleiben müssen, ist nur eine effektivere Ermittlung – bei der Verfassungsfeind und Informant von Beginn an klar abtrennbar sind – erfolgversprechend. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan, bedeutet die Enttarnung der VMänner für diese doch eine Gefahr für Leib und Leben. Das NPD-Verbot bleibt also eine schwere Aufgabe mit Tücken und Hindernissen. Bis zu seinem Erfolg ist Überwachung jedenfalls allemal besser als Untätigkeit. Trotz allem aufgezeigtem Pessimismus setzt die Wiederaufnahme des Themas in das Regierungsprogramm allein schon Prämissen, die für unser Land wichtig sind: Keine Toleranz gegenüber rechter Gewalt! Diese Formel muss sich die Landesregierung zum Auftrag machen. Insofern ist es bedauernswert, dass der oben zitierte Absatz der einzige zum Thema „Kampf gegen Rechts“ im Koalitionswerk ist. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Landesregierung das Thema in den nächsten fünf Jahren trotzdem mit dem nötigen Ernst verfolgt. Wie der NaziAufmarsch zum 1. Mai dieses Jahres in Halle gezeigt hat, sind die Feinde unseres Rechtsstaates immer noch aktiv.
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Hinweis
Liebe Leserin, lieber Leser. Sprache verändert sich unaufhörlich. Eine der größten Veränderungen, welche die deutsche Sprache derzeit durchläuft, ist wohl jene der geschlechtergerechten Formulierung. Dazu kursieren verschiedene Formen, die alle irgendwie und irgendwo – in der Regel abhängig vom jeweiligen Autor bzw. der jeweiligen Autorin – unterschiedlich Anwendung finden. Dabei gilt: Nicht der Duden entwickelt die Sprache, sondern unsere Gesellschaft entwickelt unsere Sprache. Der Duden reagiert nur auf Veränderungen und erkennt sie schließlich als „regulär“ an. So lange dies noch nicht geschehen ist, wird es auch weiterhin die unterschiedlichsten Formen des „Gendering“ im Sprachgebrauch geben. Die Redaktion erkennt den Wunsch nach geschlechtergerechter Sprache an und lässt deswegen Abweichungen vom regelkonformen Sprachgebrauch zu. Dabei haben wir uns bislang dazu entschieden, das Gendering den einzelnen Autorinnen und Autoren zu überlassen, und achten lediglich auf einen einheitlichen Gebrauch innerhalb der Beiträge.
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Ein Plädoyer für Europa
Peer Steinbrück zu Gast beim „Politischen Anstoß“ der Jusos in Halle (Saale)
Foto: A. Lehmann
Jusos. Dass es gelingt, für eine politische Diskussionsrunde eine bemerkenswerte Zahl an Zuhörinnen und Zuhörern zu gewinnen, ist heutzutage in aller Regel die Ausnahme. Treffen jedoch eine spannendes Thema, eine bewährte Veranstaltungsform und herausragende Diskutanten aufeinander, ist das Interesse der Bürgerinnen und Bürgern jeden Alters fast schon garantiert – so bewiesen durch den „Politischen Anstoß“ am 16. September. >> von Marcel Thau, Lukas Balser & Felix Peter, Jusos Halle
Gut sortiert: Steinbrücks Notizzettel.
Foto: F. Peter
Engagierte Diskussion
Nicht alle Zuschauer fanden einen Sitzplatz im zentralen Hörsaalgebäude der MLU (Bild unten), so viele wollten sich die mit Spannung erwartete Debatte nicht entgehen lassen. Schnell entwickelte sich ein kontroverses, aber jederzeit fair geführtes „Florettfechten“ (O-Ton Steinbrück) über die Gründe und Lösungsmöglichkeiten für die anhaltenden Krisen im europäischen Raum. Während Pohl vor allem auf die Problematik der hohen Staatsverschuldung einging und aus seiner Hoffnung auf ein Scheitern der Rettung Griechenlands im Deutschen Bundestag keinen Hehl machte, nutzte Steinbrück den im Rahmen der SPD-Zukunftswerkstatt ausgezeichneten „Politischen Anstoß“ für ein leidenschaftliches Plädoyer für den Zusammenhalt Europas. Das von der ebenso engagierten wie kompetenten Debatte sichtlich begeisterte Publikum nutzte dabei die Möglichkeiten, sich in die von Christian Weinert (Bilder oben) moderierte Diskussion einzubringen – ein Grundprinzip der Veranstaltungsreihe. Interessiert waren die Zuhörer vor allem an möglichen Auswegen aus der Krise, die laut Steinbrück keine Euro-Krise – „Was gibt es denn am Euro auszusetzen?“ – sondern eine Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltskrise sei. Pohl und Steinbrück waren
sich dabei einig, dass man nicht nur klare Regeln für die Eurozone brauche, sondern dass diese Regeln vor allem endlich einmal befolgt werden müssten. Steinbrück schlug in diesem Zusammenhang vor, statt finanzieller Vertragsstrafen für die Verletzung von Euro-Kriterien über den Entzug von Mitgliedsrechten nachzudenken. Der Rausschmiss von Staaten aus der Eurozone sei allerdings keine Lösung. Den Ball aus dem Publikum, wonach die Politik Europa, seine Probleme und mögliche Auswege in den letzten Monaten nicht ausreichend erklärt habe, gab Steinbrück postwendend zurück: „Es gibt nicht nur eine Bringschuld der Politik. Die Bürgerinnen und Bürger haben auch eine Holschuld!“
Foto: A. Lehmann
Foto: A. Lehmann
Foto: A. Lehmann
Foto: A. Lehmann
Die Sozialdemokraten in Halle haben es nicht immer leicht, große zu Säle zu füllen. Deshalb war die Frage nach einem geeigneten Ort für den am 16. September durchgeführten „Politischen Anstoß“, eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Jusos Halle und des Juso-Landesarbeitskreises Gleichstellung und Zukunft, eine der drängendsten. Beim Thema war die Sicherheit hingegen größer, fiel die Wahl doch auf einen Diskussionsgegenstand, der seit 2008 die westliche Welt beherrscht: Unter dem Titel „Finanzkrise, Schuldenkrise, Eurokrise – Unser politisches System im 21. Jahrhundert“ diskutierten schließlich der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (Bild oben) und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rüdiger Pohl (Bild rechts) vor über 300 Bürgerinnen und Bürgern im prall gefüllten Audimax in Halle (Saale). Peer Steinbrück machte sich während der Finanzkrise, die seit 2008 die Zahlungsfähigkeit ganzer Staaten bedroht, einen Namen als Krisenmanager. Seit der Bundestagswahl 2009 ist er, trotz zahlreicher Angebote aus der freien Wirtschaft, „einfacher“ Abgeordneter und gilt heute als einer der kompetentesten Kritiker der schwarz-gelben Bundesregierung in Sachen EU-Politik, insbesondere Finanzpolitik. Die Medien nennen ihn sogar als möglichen Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl 2013. Doch auch sein Diskussionspartner war
kein Unbekannter: Prof. Dr. Rüdiger Pohl, bis 2010 Inhaber des volkswirtschaftlichen Lehrstuhls für Geld und Währung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), war bis 2003 Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und von 1986 bis 1994 als Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einer der deutschen „Wirtschaftsweisen“.
Buchvorstellung im Anschluss
Im Anschluss an die an vielen Stellen mit Applaus goutierte Diskussion gab es dann noch die Möglichkeit, im halleschen „Volkspark“, einem Traditionshaus der deutschen Sozialdemokratie, der Vorstellung des Bestsellers „Unterm Strich“ zu lauschen. In feinster rhetorischer Manier analysierte der Autor Peer Steinbrück den Zustand ganzer Volkswirtschaften, referierte aber auch über deutsche und europäische Schulden, soziale Fliehkräfte und die zweifelhafte Zukunft der transatlantischen Vorherrschaft. Abschließend ging er kritisch mit der hiesigen Parteienlandschaft ins Gericht. Die Parteien liefen durch ihre Rituale und Entscheidungsmodi Gefahr, zu „selbstreferentiellen Systemen“, zu verkümmern und hätten deshalb dringenden Reformbedarf. Zumindest in der SPD ist dieser Wunsch nach Reformen angekommen. Über die aktuell vorgeschlagenen Maßnahmen wird dabei noch zu diskutieren sein. Andere sind mittlerweile gut etabliert – dazu zählt spätestens seit dem 16. September 2011 auch der „Politische Anstoß“ der Jusos in Halle (Saale).
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Ohne Sinn und Verstand
Über die Sinnhaftigkeit einer Umweltzone - eine Behördenposse Fraktion. Andernorts schon seit geraumer Zeit – in Halle gibt es sie seit September: Die Umweltzone – Kontrovers diskutiert und hinsichtlich ihres Nutzens zweifelhaft. >> von Johannes Krause, Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion Der Europäische Rat hat 2008 mit der Luftqualitätsrichtlinie eine Vorschrift geschaffen, die sich einem ernsten Problem widmet: der steigenden Belastung der Luft durch Schadstoffe und Feinstaub besonders in den Großstädten. Die Richtlinie geht davon aus, dass die Menschen Anspruch auf saubere Luft an ihrem Wohnort haben. Anders als die klassische Emissionsschutzgesetzgebung fragt sie nicht danach, wie viel Luftschadstoffe ein bestimmter Emittent ausstößt, sondern wie viel bei den Menschen ankommt. Es liegt auf der Hand, dass der auf den Betroffenen bezogene Ansatz sinnvoll ist. Luftreinhalteplanung, die nur den Emittenten sieht, kann nicht zwischen stark und geringer belasteten Räumen innerhalb eines Gebietes unterscheiden. Menschen sind den Belastungen aber nicht abstrakt, sondern an ihren Wohn- und Arbeitsorten ausgesetzt. Die EU-Richtlinie zielt auf einen Schutz der Betroffenen direkt ab und sieht vor, dass dort, wo die Belastung mit Luftschadstoffen und Feinstaub festgelegte Grenzwerte überschreitet, Maßnahmen zur Luftreinhaltung zu ergreifen sind. In Halle wurden 2010 und 2011 die Werte für Feinstaub und Stickstoffoxide an einer der fünf Messstationen überschritten. Das Land ist daher in der Pflicht, einen Luftreinhalteplan für die Stadt zu erstellen. Die EURichtlinie schreibt dabei keineswegs vor, welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind. Der motorisierte Individualverkehr ist nicht der einzige, aber der einzig beeinflussbare Verursacher von Feinstaubemissionen und der wesentliche Verursacher von Stickoxidausstoß. Luftreinhaltepläne setzen deshalb in der Regel beim motorisierten Individualverkehr an. In Halle sind die GrenzwertÜberschreitungen an der Merseburger Straße und der Paracelsusstraße
gemessen worden. Grenzwertüberschreitungen liegen sicherlich auch an der Volkmannstraße, der Hochstraße und dem Georg-SchumannPlatz vor. In den Wohngebieten der nördlichen und südlichen Innenstadt dürfte die Belastung erheblich geringer sein. Wie hoch sie genau ist, kann das für die Messungen verantwortliche Landesumweltamt nicht sagen, denn dort wird nicht gemessen. Die Behörde misst nach der Regel: „Wenn da, wo die Belastung am höchsten erwartet werden kann, die Grenzwerte an mehr als 35 Tagen überschritten werden, indiziert das eine Tendenz zur Grenzwertüberschreitung auch in den weniger belasteten Gebieten.“ Das Vorgehen ist methodisch zweifelhaft, denn aus der Luftschadstoffbelastung an verkehrsreichen Hauptstraßen kann nicht auf ganze Stadtviertel geschlossen werden. Anstatt nun Maßnahmen anzuordnen, die zu weniger Schadstoffemissionen in dem von der GrenzwertÜberschreitung betroffenen Gebiet an der Paracelsusstraße führen können, hat das Land einen Teil des Stadtgebiets – nicht aber die Paracelsusstraße – zur Umweltzone erklärt. Die Hochstraße wurde ebenfalls von vornherein aus der Umweltzone ausgenommen. Anders wäre der Verkehr durch Halle auch wohl kaum mehr abzuwickeln. Der gesamte Süden von Halle – also auch die Merseburger Straße – ist nicht Teil der Umweltzone. Praktisch wirkt sich die Umweltzone nur auf den Schwerlastverkehr aus, der Halle durchfährt. Der PKW-Verkehr ist kaum betroffen, weil nur 2 % der PKW die Richtwerte nicht erfüllen und die ortsansässigen Betriebe, Händler und Spediteure in der Regel Ausnahmegenehmigungen erhalten werden. Der gesunde Menschenverstand hätte nahelegt, den durchge-
henden Schwerlastverkehr durch die Paracelsusstraße, auf der Hochstraße und durch die Merseburger Straße zu unterbinden. Das lehnte der Minister als rechtlich nicht möglich ab. Ob es rechtlich möglich ist, den Anspruch der Bewohner der Paracelsusstraße auf saubere Luft anders zu behandeln, als den gleichen Anspruch der Menschen, die in Brunos Warte leben, hat er nicht beantwortet. Vor allem in der Paracelsusstraße ist in Zukunft eher mit mehr Verkehr zu rechnen als bisher. Das gilt auch für das Gebiet um die Freiimfelder Straße. Im Ergebnis der Umweltzone wird die Belastung in der Altstadt kaum sinken. Dort wo sie hoch ist, wird sie steigen und mindestens ein bisher geringer betroffenes Stadtgebiet wird höher belastet werden. Dagmar Szabados hat frühzeitig vor dem wirkungslosen, aber bürokratisch aufwendigen Unsinn gewarnt, der nun verordnet worden ist. Die Stadt hat dem Land bereits 2010 Vorschläge für einen wirklichen Luftreinhalteplan unterbreitet. Sie wurden samt und sonders abgelehnt. Mit einer Umweltzone erfüllt das Land pro forma die Pflicht, etwas zu unternehmen. Aber wenn in Magdeburg behauptet wird, die Umweltzone werde die Luftqualität verbessern, geschieht das wider besseres Wissen. Dass vielerorts in Deutschland ähnlich verfahren wird, ist keine Entschuldigung. Der Europäische Rat ist sicher davon ausgegangen, dass seine Richtlinie vor Ort mit Sinn und Verstand vollzogen und nicht durch nutzlose Symbolpolitik entwertet wird. In Halle führt die Umweltzone für hunderte Menschen zu einer Verschlechterung der Luftqualität in ihrer Straße. Die Umweltzone ist hier nicht nur nutzlos. Sie ist schädlich. Das Land Sachsen-Anhalt sollte sich diese Erkenntnis lieber früher als später zu Eigen machen.
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Die Hochstraße wurde aus der Umweltzone ausgenommen - obwohl hier ein Großteil des Durchgangsverkehr das Innenstadtgebiet kreuzt.
Auf TAKT Andreas Tilgner Der Weg vieler junger Menschen führt immer noch von Ost nach West. Dass dies auch anders geht, zeigt Neumitglied Andreas Tilgner (Jahrgang 1987; OV Halle-Süd). Von Beruf Anlagenmechaniker für Sanitär, Heizung, Klima führte ihn sein Lebensweg zunächst in die Region Frankfurt am Main. 2011 kehrte er nach Sachsen-Anhalt zurück. Die Frage nach dem Warum ist schnell beantwortet: „Vor allem wegen der Familie und den Freunden und weil der Osten eben doch besser ist.“ Bereits in seiner Zeit in Frankfurt informierte er sich über die Positionen aller Parteien. Nach beruflichem Ankommen und Familiengründung erfolgte der Beitritt in die SPD dann mit der Rückkehr nach Halle. Interesse hat er vor allem an Finanz- und Familienpolitik sowie am sozialen Bereich. Kritik übt er vor allem an zum Teil langen Wartezeiten für einen KiTa-Platz, dem sich zunehmend verschlechternden Straßen- und Verkehrszustand sowie dem immer weiter voranschreitenden Verfall des Viertels in der Nähe der Endhaltestelle Südstadt. „Die SPD ist doch am besten“ sagt Andreas Tilgner – auch wenn dieser Eindruck nicht ungetrübt besteht. So fühlt er sich in seiner Rolle als Arbeitnehmer bisweilen kaum von der SPD vertreten. „Sehr wichtig“ erscheint ihm daher auch, dass gerade junge Arbeitnehmer oder Auszubildende ebenfalls eine Stimme in der SPD haben sollten. Wichtig für die Zukunft sei vor allem, dass man wieder mehr von seinem Geld habe, die Gesellschaft nicht in zwei Klassen geteilt werde und weniger Geld ins Ausland fließe. von Oliver Hartung
Foto: F. Peter
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Als Juso im Landtag Patrick Wanzek Bild: SPD-lsa.de
>> geboren 1983 in Halle (Saale) >> wohnt seit 1996 in Ermlitz >> seit 2004 Vorsitzender des >> SPD-OV Schkopau >> seit 2008 Ortsbürgermeister >> in Ermlitz (Schkopau) >> MdL seit 2011
LTF. Wie mir meine Arbeit als Landtagsabgeordneter gefalle und ob ich mich gut eingelebt habe – das fragen mich viele, mit denen ich in letzter Zeit ins Gespräch komme. Darauf möchte ich in diesem Beitrag antworten: Über die ersten Eindrücke in Magdeburg, in der Fraktion und im Wahlkreis. >> von Patrick Wanzek, MdL In den Arbeitsrhythmus der Fraktion habe ich mich schnell hineingefunden. Jeder Dienstag ist den Arbeitskreisen gewidmet. Dies betrifft bei mir den AK Arbeit und Soziales und den AK Kultus. Somit kann ich genau in den Politikfeldern tätig sein, die ich mir gewünscht habe und in denen ich schon auf kommunaler Ebene und bei den Jusos tätig war. In den Arbeitskreisen wurden auch die Sprecherfunktionen verteilt. Ich bin nun der Sprecher für Berufs- und Erwachsenenbildung und Sprecher für Integration. Nach den AK-Sitzungen folgt um 15 Uhr die Fraktionssitzung, in der von der Kabinettssitzung und den anderen Arbeitskreisen berichtet wird. Man diskutiert über Anträge für die nächste Landtagssitzung und das weitere Vorgehen. Natürlich sind die Landtagssitzungen der monatliche Höhepunkt für die Arbeit eines Landtagsabgeordneten. Hier wird über Gesetzesentwürfe, Anträge etc. diskutiert. Zwar habe ich den Plenarsaal in Presseberichten und auch auf Bildern schon gesehen, aber es war doch ein besonderes Gefühl, als ich ihn zur konstituierenden Sitzung das erste Mal betrat. Als Neuling im Landtag bin ich zugleich als
Schriftführer bestimmt worden. Aus diesem Grund sitze ich regelmäßig im Präsidium. Von dieser Perspektive aus in den Plenarsaal zu schauen, ist noch einmal etwas Besonderes. Nach langen Überlegungen habe ich mich entschlossen, mein Wahlkreisbüro in Bad Dürrenberg, der größten Stadt meines Wahlkreises und bisher „schwarzer“ Fleck auf der politischen Landkarte im Saalekreis, zu eröffnen. Mich bestärken die vielen positiven Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger in Bad Dürrenberg, die richtige Entscheidung getroffen zu haben! Wir haben einige nette Besonderheiten im Büro vorgesehen und hoffen auf die rege Nutzung durch die Bürger. Gäste aus Halle sind im schönen Bad Dürrenberg herzlich willkommen!
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Foto: patrick-wanzek.de
Am 20. März, kurz nach 23 Uhr, war klar: Ich werde überraschend für den Wahlkreis 35 in den Landtag einziehen. Listenplatz 26, für den die Jusos mich auf dem Landesparteitag vorschlugen, hatte noch als letzter Platz „gezogen“. Es hat bestimmt eine Woche gedauert, bis ich das wirklich begriffen hatte. Die ersten Termine hatten etwas Unwirkliches und die Anrede als Landtagsabgeordneter ist bis heute noch ungewöhnlich für mich. Die ersten öffentlichen Auftritte als MdL waren noch ungewohnt, aber meine Erfahrungen als Ortsbürgermeister haben mir hier sehr geholfen. Nun sitzt man oft in den ersten Reihen, ist Ansprechpartner für die verschiedensten Probleme und Themen. Schon am Dienstag nach der Wahl fand die erste Fraktionssitzung statt. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie aufgeregt ich war! Allerdings wurde ich von allen Kollegen und Mitarbeitern so freundlich aufgenommen, dass die Nervosität schnell verflog. Und dann ging es los: Welche Politikfelder möchte ich abdecken, wo soll das Wahlkreisbüro eröffnet werden, wen stelle ich als Mitarbeiter ein, welches Formular benötige ich für welchen Vorgang?
Eine Tradition wird fortgesetzt
AG 60plus. Seit mehreren Jahren lädt die AG 60plus zu kulturell-politischen Busfahrten ein. Auch in diesem Jahr war die AG 60plus wieder im Rahmen einer Frühlingsfahrt unterwegs. >> von Norwin Dorn, Landesvorsitzender der AG 60plus Fotos: B. Scheidat
tinnen und -kandidaten von CDU und DIE LINKE waren anwesend. Mit der hier erfolgten Werbung für unsere traditionelle Busfahrt, dieses Mal im Juni, erhielten wir großen Zuspruch von Mitgliedern der AWO, AG 60plus und Volkssolidarität. In den Jahren zuvor besuchten wir Eisenach/Gotha und die Gedenkstätten zur SPD-Geschichte einschließlich Wartburg, Bad Blankenburg in Thüringen mit Fröbel – dem Gründer der Kindergärten in Deutschland –, sowie Schwarzburg, der Ort in welchem Friedrich Ebert 1919 die „Weimarer Verfassung“, unterschrieb oder das Grenzmuseum Marienborn. In diesem Jahr wählten wir als Ziel Berlin mit dem ehemaligen Preußischen Landtag (dem heutigen Abgeordnetenhaus zu Geschichte und Architektur des Hauses), der Landesvertretung Sachsen-Anhalt, der ehemaligen „Möwe“ sowie dem Nikolai-Viertel.
Sicher sind Infostände, Flyer-Aktionen und Plakate beliebte Mittel der Werbung. Dieser Tradition will unsere AG 60plus ganz bewusst mit alternativen Formen der Öffentlichkeitsarbeit, wie eben hier dargestellt, begegnen. Ein anderes Beispiel hierfür war auch unsere Aktion „Gesundheit im Alter“ mit Besuchen im AWO Gesundheitszentrum Magdeburg und einer Ausbildungsstätte für Gesundheitshelfer/ innen bzw. Altenpflegerinnen im Mai dieses Jahres aus Anlass des „Tages der Älteren“, der in jedem Jahr bundesweit begangen wird.
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Foto: B. Scheidat
Neben der Berücksichtigung kultureller Ziele und politischer Aspekte sollen diese Fahrten gleichzeitig eine anregende Form der Öffentlichkeitsarbeit für Sympathisanten und Nichtmitglieder der SPD sein. Daher unterbreitet der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft 60plus die Angebote auch den Mitgliedern der Arbeiterwohlfahrt. In diesem Jahr war für eine Wahlveranstaltung unserer Arbeitsgemeinschaft gemeinsam mit dem AWO Ortsverein Halle-West eine Begegnungsstätte der Volkssolidarität in Halle-Neustadt gewählt worden, um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Als traditioneller „Neujahrsempfang“ des AWO Ortsvereins eingeladen, konnten weit mehr als 100 Besucher und Besucherinnen begrüßt werden; auch alle SPD-Landtagskandidaten Halles und des Saalekreises sowie die Wahlkreiskandida-
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Juso-konferenz in Arendsee
Jusos. In Arendsee, im höchsten Norden unseres Bundeslandes, hielten die Jusos Sachsen-Anhalt vom 18. bis 19. Juni ihre alljährliche Landesdelegiertenkonferenz ab. >> von Marcel Thau, Jusos Halle Programm. Nach dem Rücktritt von Annika Seidel wurde Tina Rosner mit einem guten Ergebnis zu ihrer Nachfolgerin gekürt. Tina wird die Arbeitsschwerpunkte von Annika weiterverfolgen, versprach aber auch eigene Akzente setzen zu wollen. Außerdem stand die Wahl des/der Vertreters/in im Bundesausschuss an. Wiebke Neumann wurde dabei mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt. Als Stellvertreter wird ihr zukünftig Marcel Thau zur Seite stehen. Abschließend galt es, unsere Delegierten für den Bundeskongress – der im September in Lübeck stattfinden wird – zu benennen. Aus Halle wurden Anika Knüppel, Tina Fuhrmann und Marcel Thau gewählt. Am Sonn-
tag verließen wir die Altmark mit einem ordentlichen Beschlussbuch und guten Erinnerungen an den geselligen Teil des Abends. Zu guter Letzt sei ein kurzer „Nachruf“ gestattet: Zum letzten Mal leitete Marcus Turré als Sitzungspräsident eine Juso-LDK. Er hat kürzlich die sogenannte „Bioklippe“ überschritten. Als Landesausschuss- und Kreisvorsitzender im Saalekreis wird er noch eine Weile die politische Arbeit der Jusos begleiten. Im August dankten wir Marcus für seine geleistete Arbeit mit der Verleihung der Juso-Ehrenmitgliedschaft. Wir wünschen ihm für die Zukunft sowohl politisch, als auch privat alles Gute!
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Foto: SPD-Sachsen-Anhalt.de
Bei der diesjährigen Juso-Landesdelegiertenkonferenz standen nicht weniger als 78 Anträge auf dem Programm, was dazu führte, dass die Delegierten bis spät in den Samstagabend tagten. Wie immer deckten die Sachanträge ein breites Spektrum ab. Engagiert stritten wir über bildungs-, wirtschafts- und sozialpolitische Fragen, aber auch über organisatorische Reformen, unter anderem ob zukünftig alle SPD-Mitglieder Rederecht auf Landesparteitagen erhalten sollen. Wir sehen uns als Teil der Partei und nicht als losgelöste Arbeitsgemeinschaft. Deshalb waren die Anträge realitätsnah und sachorientiert. Neben den Antragsberatungen standen aber auch Wahlen auf dem
Neuwahlen im Ortsverein Halle-Nordost
Nordost. Am 7. September wählte der Ortsverein Halle Nord-Ost einen neuen Vorsitzenden. In die Fußstapfen von Marian Kirchner tritt nun Dr. Detlef Wend. >> von Franca Meye, stellv. Ortsvereinsvorsitzende Erst im letzten Jahr wurde der komplette Vorstand des Ortsvereins Halle-Nordost turnusmäßig neu gewählt, doch durch die berufliche Neuentwicklung des ehemaligen Vorsitzenden Marian Kirchner und sein damit verbundenes Verlassen Halles, mussten Neuwahlen im Ortsverein stattfinden. Um die Kontinuität im Vorstand zu wahren und auf Grund dessen engagierten Arbeit schlug Mario Kremling den bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Detlef Wend (Kinderarzt) als neuen Vorsitzenden vor. Sein bisheriges Wirken will Detlef nun als Vorsitzender weiterführen und darüber hinaus den Ortsverein Nordost stärker in den Vordergrund bringen. Bereits im ersten Wahlgang wurde er mit 20 JaStimmen und zwei Enthaltungen von insgesamt 23 gültigen Stimmen, als neuer Vorsitzender gewählt. Mit der Wahl eines Mannes wurde auch der Belehrung des Sitzungsleiters Lukas
Balser (Schatzmeister des Ortsvereins) Rechnung getragen, in der er auf das mögliche Ungleichgewicht bei der Geschlechterverteilung des Vorstandes hinwies. Um die durch die Wahl Detlefs vakant gewordene Position des Stellvertreters wiederzubesetzen, schlug Prof. Dr. Sibylle Reinhardt die bisherige Beisitzerin Franca Meye (21, Jurastudentin) vor: „Franca ist eine junge, engagierte Frau, der die Arbeit im Vorstand viel Spaß macht.“ Bei der Wahl wurden 23 gültige und eine ungültige Stimme abgegeben. Mit 20 Ja-Stimmen und einer Enthaltung wurde Franca als neue Stellvertreterin gewählt. Da dadurch ein Beisitzerposten frei wurde, schlug Andrej Stephan (Historiker) Marcel Muschter (29, Jurastudent) vor. Marcel ist stellvertretender Vorsitzender der Jusos Halle und engagiert sich seit langem aktiv im Ortsverein. Mit 24 Ja-Stimmen von 26 gültigen Stim-
men und keiner Enthaltung wurde Marcel zum neuen Beisitzer gewählt. Der neue Vorstand setzt sich nun wie folgt zusammen: >> Vorsitzender: Dr. Detlef Wend >> Stellvertreter: Alexander von >> Moltke und Franca Meye >> Beisitzer: Sibylle Reinhardt, >> Julia Hartwig, Birgit Meininger >> und Marcel Muschter Neben den Vorstandswahlen fand auch die Wahl der Delegierten zum Stadtparteitag statt. Der Ortsverein Halle Nordost kann als größter Ortsverein des Stadtverbands Halle 21 Delegierte zum Stadtparteitag am 8. Oktober schicken. Da die Wahl von 21 Delegierten den zeitlichen Rahmen des Abends überschritten hätte, kam es sehr gelegen, dass sich genau 21 Freiwillige fanden. Die Kandidaten wurden einstimmig vom Ortsverein bestätigt.
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Neuer Vorsitzender des Landesparteirates Gut zwanzig Jahre lagen die Geschicke des Landesparteirats treu in ihren Händen: Nun hat Dagmar Szabados, unsere Oberbürgermeisterin, den Staffelstab weitergereicht und ist nicht mehr für den Vorsitz im höchsten Parteigremium zwischen den Parteitagen angetreten. Auch mit der Neuwahl bleibt der Vorsitz in hallescher Hand. Andreas Schmidt erhielt mit 21 von 21 abgegebenen Stimmen einen außerordentlichen Vertrauensvorschuss und wurde von den Mitgliedern einstimmig gewählt. Die langjährige kontinuierliche Arbeit von Dagmar Szabados möchte Andreas Schmidt fortsetzen, betonte er in seiner Bewerbungsrede. Als Stellvertreter wurden Detlef Schrickel vom Kreisverband Anhalt-Bitterfeld bestätigt sowie Christa Grimme vom Kreisverband Harz gewählt, die erstmals angetreten ist. Aus hallescher Sicht sind wir Dagmar Szabados für ihr jahrelanges Engagement dankbar. Ihre konsequente und doch behutsame Leitung des Landesparteirats hat sehr viel zur ruhigen und doch konstruktiven Arbeitsweise des Gremiums beigetragen. Der Landesparteirat ist zwischen den Parteitagen formal das höchste beschlussfassende Gremium und überwacht die Arbeit des Landesvorstands. Jeder Kreisverband entsendet zwei bis drei Mitglieder, die von den Gliederungen auf Kreisebene gewählt werden. Den Stadtverband Halle (Saale) vertreten Dagmar Szabados, Andreas Schmidt und Christian Weinert. Der Landesparteirat tagt meist viermal jährlich. von Christian Weinert
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Aufs „Altenteil“ verabschiedet
Jusos. Außenstehende hätten zunächst vermuten können, es sei „nur“ eine Geburtstagsparty, die an einem wunderbaren 20. August in der Alchimistenfallen zu Merseburg stieg. Doch für den formalen Jubilar Marcus Turré (Martin Trisch – Eigendiagnose: alles gut, da das Alter immer noch unter dem BMI liegt) gab es „nur“ Geschenke, während der eigentlich zu Ehrende mit Glückwünschen und Grußbotschaften aus dem ganzen Bundesland den schweren Schritt über die „Bioklippe“ versüßt bekommen sollte. >> von Andrej Stephan, Juso-Landesvorsitzender
Neuer Vorstand
von Norwin Dorn
Schröder – ohne Marcus kaum denkbar, erfuhren wir. Die harte Quote der Bundesjusos – eigentlich grundgesetzwidrig, wie Marcus einstmals auf einem BuKo plastisch (nämlich mit dem Grundgesetz in der Hand) vor Augen geführt hat. Etliche weitere Episoden, die unter anderem auch einen skandalösen Alkoholmissbrauch in den Führungsgremien der Jusos Sachsen-Anhalt suggerieren konnten, erheiterten die Gäste, riefen jedoch zugleich ins Gedächtnis, was dem Landesverband nach der „Verrentung“ von Marcus in Zukunft fehlen wird. Für seine Verdienste wurde Marcus anschließend mit der Ehrenmitgliedschaft im Juso-Landesverband ausgezeichnet, bevor der Abend bei Gegrilltem und Salaten, guten Gesprächen und reichlich Kaltgetränken einen mithin turbulenten Verlauf nahm – eingedenk des von Andreas formulierten Mottos, dass der Sprung über die Bioklippe wegen des anschließenden großartigen Fluges jedes Wagnis wert wäre.
Marcus wird dem Juso-Landesverband vorläufig erhalten bleiben. Nachdem der Juso-Landesausschuss auf seiner nächsten Sitzung seine Stellvertretung nachwählt, wird Marcus den Rest seiner Amtszeit als Vorsitzender des Gremiums nutzen, um die Nachfolgerin oder den Nachfolger in die Geschäfte einzuführen. Das dürfte seine Verdienste um den JusoLandesverband endgültig abrunden. Danke für das Geleistete, Marcus!
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Foto: Jusoslsa.de
Die Arbeitsgemeinschaft „60plus“ der Seniorinnen und Senioren im SPD-Landesverband SachsenAnhalt gab sich auf ihrer turnusmäßigen Landesdelegiertenkonferenz am 24. Mai dieses Jahres einen neuen Vorstand. Mit großer Mehrheit wurde der bisherige Landesvorsitzende, Norwin Dorn aus Halle, in seiner Funktion bestätigt. Stellvertreter wurden Gudrun Biener aus Dessau und Eckehart Beichler aus dem Bördekreis. Die breite Verankerung im Landesverband wird durch die Wahl von zwölf Beisitzern ergänzt. Die Delegierten befassten sich in intensiven Diskussionen nicht nur mit altersrelevanten Themen wie der ärztlichen Versorgung, der Kritik an einer Zwei-KlassenBehandlung der Patienten oder der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung von Seniorenvertretungen, sondern forderten auch den Abzug deutscher Soldaten aus Auslandseinsätzen und behandelten das große Thema der sozialen Gerechtigkeit sowie der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Gerade diese Themen müssen wieder unsere Kernthemen werden. Aber auch die Problematik Kernenergie war Thema. Wenn ein Prozent der älteren, aber 18 Prozent der jüngeren Wähler ihre Stimme bei Wahlen der NPD geben, so ist dies ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig das vielseitige aktive gesellschaftliche Engagement der AG 60plus für die Politik unserer Partei ist. Dies wurde in der Diskussion mehrfach betont. So erbrachte auch die diesjährige Konferenz erneut den Beweis, dass die rund 85 Prozent der Mitglieder im Alter von über 60 Jahren zu einem Bestandteil der politischen Arbeit unserer Partei gehören.
Marcus Turré, der Kreisvorsitzende der Jusos Saalekreis und Chef des Juso- Landesausschusses, hatte bereits im Februar das 35. Lebensjahr vollendet und steuert nun konsequent auf Meriten bei der AG 60plus zu. Im Rahmen einer kleinen Feierstunde nahmen Teile der Kreisund Landesjusos, Freundinnen und Freunde sowie Weggefährten „Abschied“ vom Juso-Urgestein. In einer fulminanten Rede samt Schnelldurchlauf durch fast zwei Jahrzehnte Kommunal-, Landesund Bundespolitik würdigte der Zeremonienmeister Dr. Andreas Schmidt die Verdienste von Marcus für den Juso-Landesverband und die Kreisjusos, seit deren Gründung 1994 Marcus ununterbrochen Kreisvorsitzender ist. Delegierter auf 18 Juso-Landesdelegiertenkonferenzen, Stammgast im Präsidium, ständiger Mahner zur korrekten Handhabung der Geschäftsordnung auf Landesparteitagen, Unruheherd bei JusoBundeskongressen – das ist Marcus gewesen. Ein Bundeskanzler Gerhard
Zehnter Todestag von Stefan Heym (1913-2001)
Noch am Vorabend der konstituierenden Sitzung des 13. Deutschen Bundestages im Jahre 1994 war Zeit nicht klar, wer selbigen eröffnen würde. Ältestes Mitglied im neu gewählten Hohen Hause war der PUNKT Schriftsteller Stefan Heym. >> von Marcus Schlegelmilch, blick.punkt
Stefan Heym hatte zuvor überraschend das Direktmandat in BerlinMitte als Kandidat einer offenen Liste der PDS gewinnen können. Und genau das schien das Problem zu sein: Errang nicht hier der bedeutendste Schriftsteller der DDR, der zwar seit den 1970er Jahren immer offener in Konflikt mit dem SED-Staat geriet und der sich doch immer uneingeschränkt zu dem anderen – weil sozialistischen – deutschen Staat bekannte (auch als die Wiedervereinigung schon politisch-erdachte Realität geworden war), ein Amt im wiedervereinigten Deutschland, dass ihm – dem bekennenden Sozialisten – gar nicht „zustand“, zumal mit Unterstützung der vormaligen SED? So oder so ähnlich sahen es zahlreiche Parlamentarier: Unter ihnen wohl die gesamte Kanzler-Fraktion der CDU/CSU, die dem parteilosen Heym nach seiner Rede als Alterspräsident den Applaus verwehrte – mit Ausnahme der kurz darauf zur Bundestagspräsidentin ge-
wählten Rita Süssmuth. Aber auch bei den anderen Fraktionen hielt sich die Zustimmung während und nach der Rede in Grenzen. Bis zuletzt versuchten einflussreiche Abgeordneten der christlich-liberalen Koalition Heyms Auftritt zu verhindern. Innenminister Kanther lieferte noch am Vorabend der ersten Sitzung des Bundestages Dokumente, die Stasi-Verstrickungen Heyms belegen sollten. Eine Amtshandlung des Ministers, die ihm später zu Recht eine Anzeige von Heym einbringen sollte. Stefan Heym, der nie SED-Mitglied war, hatte nichts zu befürchten. Ganz im Gegenteil: Heym wurde jahrelang ausgespäht. Seine Haushälterin, „IM Frieda“, tat im „O(perativen) V(organg) Diversant“ ihren Dienst. Heym verarbeitete die Observation im Buch „Der Winter unseres Mißvergnügens“ (1996) in bemerkenswerter Form. Allen Intrigen und Krisensitzungen in Bonn zum Trotz: Den Herren Kohl und Kanther blieb nichts Anderes üb-
rig, als – wie es der Kanzler süffisant umschrieb – die Rede „mit Würde zu ertragen“. Eine Rede, die bei genauerer Betrachtung, für die damalige Zeit Bedeutendes thematisierte und – wie der ARD-Kommentator bemerkte, als wolle er den „ewigen Kanzler“ beschwichtigen – weit weniger ideologisch aufgeladen war, als es sich die „Kalten Krieger“ im Bundestag in ihren düstersten Visionen ausmalten. Heyms Dasein als Abgeordneter war nur von kurzer Dauer. Nicht einmal ein Jahr nach seiner Wahl trat er im Herbst 1995 zurück – infolge einer von der Mehrheit im Bundestag beschlossenen Diätenerhöhung. Heym nannte das, in Anbetracht der damaligen Situation, einen „parlamentarischen Beutezug“. Nun war Heym „nur“ noch Schriftsteller. Vor zehn Jahren, am 16. Dezember 2001, verstarb Stefan Heym, der sich mit seinem jüdischen Glauben auch als Autor auseinandersetzte, mit 88 Jahren im israelischen En Bokek.
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Gebietsreform im Norden
Fünf von sechs Landkreisen in Mecklenburg-Vorpommern sind größer als das Saarland Kommentar. Aus 18 mach acht: Mit der Umsetzung der Kreisgebietsreform hat Mecklenburg-Vorpommern einen gewichtigen Teil der umfassenden Verwaltungsreform abgeschlossen. Mit den neuen Großkreisen wird Neuland betreten. Die durch Gerichtsbeschluss gestärkte Verwaltungsmodernisierung könnte auch auf Flächenländer wie Sachsen-Anhalt ausstrahlen. >> von Christian Weinert, blick.punkt Im zweiten Anlauf hat es doch geklappt. Nachdem der erste Versuch einer Verwaltungsmodernisierung durch den Richterspruch ein jähes Ende fand, führt Mecklenburg-Vorpommern nun die Hitlisten der deutschen Landkreise an. Die einst zwölf Landkreise und sechs kreisfreien Städte wurden auf sechs Großkreise und die beiden kreisfreien Städte Rostock und Schwerin zusammen geschmolzen. Auf der bundesweiten Liste der nach Fläche größten Landkreise belegt das Küstenland nun mit seinen sechs Landkreisen die ersten fünf Plätze. Mit 5.500 km² nimmt der neue Landkreis Mecklenburgische Seenplatte (Kreissitz Neubrandenburg) den Spitzenplatz ein, lediglich der „kleinste“ Kreis, Nordwestmecklenburg (Kreissitz Wismar), liegt mit 2.100 km² auf Platz 21. Zur Orientierung: lediglich Nordwestmecklenburg ist damit kleiner als das Saarland. Sachsen-Anhalts größter Flächenkreis Stendal ist nur halb so groß wie der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Dass der Beschluss zur Kreisgebietsreform vor dem Landesverfassungsgericht in Greifswald landete, ist daher keine Überraschung. Die Landkreise Ludwigslust, Müritz, Ostvorpommern, Rügen und Uecker-Randow sowie die kreisfreien Städte Greifswald und Wismar zogen vor Gericht – und verloren. Im Abwägungsprozess zwischen einer leistungsfähigen und modernen Verwaltung, die zugleich dem Allgemeinwohl förderlich ist, kommunale Selbstverwaltung bewahrt und eine bürgernahe und das politische Ehrenamt betonende Teilhabe ermöglicht, hat der Gesetzgeber alle „prozeduralen und materiellen Anforderungen eingehalten“, so das Gericht. Leitbild und Leitlinien der Landesregierung seien ebenso wenig zu beanstanden wie der Anhörungsprozess. Bis zu 100 Millionen Euro will das Land jährlich durch die Reform einsparen. Neben dem finanziellen Aspekt spielte auch die demographische Entwicklung eine wesentliche Rolle. Und die kannte in den letzten Jahren nur eine Richtung: Vollgas bergab. Seit 1990 hat das Land 250.000 Einwohner verloren und gehört mit aktuell 1,6 Millionen Menschen eher zu den kleinen Flächenländern.
Wer im Sommer an den weißen, aber überfüllten Stränden ungläubig die Menschenansammlungen an der Ostseeküste bewundert, sollte dem Land im Winter einen Besuch abstatten. Wie wenig durchschnittlich 71 Menschen pro km² sein können, wird dann deutlich. Trotz der Größe der Kreise avanciert keiner der Kreise zu den bevölkerungsreichsten Gliederungen der Bundesrepublik. Selbstredend werden grundlegende Reformen, zumal im kommunalen Bereich, nur selten für nie versiegen wollende Freude sorgen. Mit der Kreisgebietsreform betritt das Land somit Neuland – und wird dabei vom Landesverfassungsgericht gestützt. Dort setzte sich letztlich die „Unschuldsvermutung“ durch. Da ein Vergleichsmaßstab fehlt, kann die Verletzung der kommunalen Selbstverwaltung vorerst nicht bewiesen werden, „da es im Bundesgebiet empirische Erfahrungen mit Flächenausdehnungen von deutlich über 3.000 km² nicht gibt“. Insofern ist der vierte Leitsatz im Urteilsspruch nur folgerichtig. Die Landesregierung habe sorgsam die Auswirkungen der Neuregelungen, insbesondere bei der Ausübung des politischen Ehrenamts zu beobachten und gegebenenfalls nachzubessern. Und hieran wird die Funktionalität der neuen Kreise zu messen sein. Wer zum Bürgeramt oder zur Fraktionssitzung fahren möchte, kann locker die Entfernung zwischen Halle und Dessau-Roßlau zurücklegen. Nicht vergessen werden darf die Vielschichtigkeit der Verwaltungsmodernisierung. Neben der Kreisgebietsreform sollen weitere Elemente entscheidend dieses Ziel vorantreiben. Mit der Reform des kommunalen Finanzausgleichs, einer Funktionalreform und einer Stärkung der Zentren kennt dieser landesweite Modernisierungsprozess weitere Neuordnungen, die wohl einige Befürworter – vor allem jedoch ambitionierte Widersacher – finden dürfte. Hier wird auch sichtbar, welchen Spiegel uns das Land an der Ostseeküste vorhält. In Sachsen-Anhalt wurde im Jahr 2007 eine Kreisgebietsreform
umgesetzt, die vielen Akteuren Kompromisse abverlangt hat – und letztlich doch nicht der große Wurf war. Kein Landkreis in Sachsen-Anhalt erreicht annähernd die Durchschnittsgröße der Landkreise im hohen Norden. Die liegen an der Küste oberhalb der 3.000 km² und 200.00 Einwohner. Nun mögen diese Zahlen unterschiedlich gewichtet und betrachtet werden und damit nur bedingte Aussagekraft haben. Unbeschadet der Kreisgrößen schreitet Mecklenburg-Vorpommern aber in anderen zentralen Bereichen voran. Die Reform des Finanzausgleichs sowie die Stärkung der Zentren sind zentrale Elemente der Verwaltungsmodernisierung und Zeugnis für die Ausrichtung der Landesregierung. Mit einer Stärkung der Zentren soll das Land zukunftsfähig aufgestellt werden, ein aufgabenbezogener Finanzausgleich für mehr Gerechtigkeit sorgen und mithilfe der Funktionalreform mehr Aufgaben auf leistungsfähige Kreise verteilt werden. Über Größe lässt sich ja bekanntlich streiten, über die Zukunfts- und Leistungsfähigkeit eines Landes nicht. Gut möglich, dass das Land der endlosen Strände zu einem Vorreiter wird, dem wir irgendwann nur neidvoll nachschauen. Selbstredend werden grundlegende Reformen, zumal im kommunalen Bereich, nur selten für nie versiegen wollende Freude sorgen. Wer langfristig für das Allgemeinwohl einstehen möchte, darf sich davon aber nicht verschrecken lassen. Manchmal lassen sich Bürger auch mitnehmen. Zeitgleich mit der Landtagswahl durften die Bürgerinnen und Bürger über die Kreisnamen entscheiden. Am Stettiner Haff entschieden sich die Wähler gegen den Zungenbrecher „OstseeHaffkreis Vorpommern“ und votierten für „Vorpommern Greifswald“. Etwas patriotischer gaben sich die Einwohner der Altkreise Ludwigslust und Parchim. Bei der Auswahl „Parchim-Ludwigslust“ oder „Ludwigslust-Parchim“ erwiesen sich die Menschen im Altkreis Ludwigslust wohl doch als beherzter und sorgten dafür, dass sich letztere Version durchsetzte. In Parchim nahm man das sportlich, schließlich sitzt nun dort die Verwaltung. Und irgendwie sind somit alle ein bisschen Sieger.
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Straßen SCHILD Heinrich-Pera-Straße Mit einem Festakt zur Umbenennung der Taubenstraße in Heinrich-Pera-Straße wurde im Frühjahr dieses Jahres einer der Väter der Hospizbewegung in Deutschland am zentralen Ort seines Wirkens gewürdigt und geehrt. Aus persönlicher Betroffenheit durch die Begegnung mit Sterbenden erkannte der 2004 verstorbene Theologe, Seelsorger und Krankenpfleger die Notwendigkeit der intensiven Sorge um todkranke Menschen bereits zu einem Zeitpunkt, als Staat, Ärzte und manche Kirchenleitung noch argwöhnisch vor den Gefahren so genannter „Sterbehäuser“ warnten. So erwuchs 1978 im Schutz des Sankt-Elisabeth-Krankenhauses zunächst die Idee einer Krisenberatungsstelle, in der bis 1989 fast 6.000 Menschen Beratung und Begleitung fanden. Inspiriert von Hospitationen in englischen Hospizen forcierte der katholische Pfarrer gegen alle Widerstände den Gedanken einer ganzheitlichen Begleitung Schwerkranker und deren Angehöriger 1985 mit dem Aufbau eines ambulanten Teams zur Hospizhausbetreuung – dem ersten DDR-Hospizdienst. Nach dem Umbruch wurde daraus der Hospiz-Hausbetreuung e. V., 1993 nahmen das Tageshospiz und 1996 das stationäre Hospiz in der ehemaligen Taubenstraße ihre Arbeit auf. Als Mitbegründer und Vorsitzender prägte Heinrich Pera zudem die 1992 in Halle gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz maßgeblich mit, die 1997 die Übernahme anfallender Kosten durch die Sozialversicherungsträger erreichte. Als Begeisterer, Motivator und Spendensammler der oft ehrenamtlich geleisteten Hospizarbeit hat sich Heinrich Pera stets für eine Enttabuisierung des Sterbens engagiert. Um auch künftige Generationen an seine Verdienste zu erinnern, erfolgte nun die öffentliche Würdigung. von Katrin Parthier, Dipl.-Soz.
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Rote Rosen aus Schwerin Berlin hat gewählt… & Inhalte überwunden Der Berliner Wahlabend brachte wenige Überraschungen. Das einzig wirklich Neue war die Piratenpartei. Man darf gespannt sein, wie sich die junge Fraktion im Parlament geben wird und was von den innovativen Ideen am Ende übrig bleibt. Die SPD ist auf jeden Fall gut beraten, die Piraten und ihre Wähler ernst zu nehmen. „Wer Wowereit will, muss SPD wählen“, damit ist der Berliner Wahlkampf zu den Abgeordnetenhauswahlen 2011 eigentlich ausreichend beschrieben. Und das schien auch die Wahlkampfstrategie der Berliner SPD zu sein. Natürlich gab es Inhalte – irgendwie. Aber man musste sie auf den Plakaten lange suchen und das Berlin-Spezifische leider auch oft hineininterpretieren. Hatte „Die Partei“ etwa Recht und das Motto in diesem Wahlkampf lautete: „Inhalte überwinden!“? Apropos „Die Partei“: Dank Martin Sonneborn machte der Berliner Wahlkampf doch noch Spaß! Mit ihrem Wahlprogramm provozierten die Satiriker nicht nur, sondern führten den Politikbetrieb gekonnt vor, manchmal auch am Rande des guten Geschmacks wie mit dem Plakat „Wowereit ausstopfen! Künast frisieren! Knut wiederbeleben!“. Auf jeden Fall versteht Klaus Wowereit Berlin immer noch am besten. Das wurde dann der Einfachheit halber auch gleich der Wahlkampfslogan: „Berlin verstehen“. Was bleibt von diesem Wahlkampf 2011 in Berlin: viele unbeantwortete Fragen zu Berliner Themen und kaum Überraschungen. Berlin hat gewählt und Inhalte überwunden.
Zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Bericht. Knapp 2.850 Mitglieder hat die SPD in Mecklenburg-Vorpommern. Die statistische Chance, dass man auf einem Quadratkilometer des Landes irgendwo einen Genossen findet, liegt bei 12 Prozent. Und trotzdem ist die SPD nun bei der vierten Landtagswahl in Folge stärkste Kraft, hat mit 35,7 Prozent CDU und DIE LINKE mit weitem Abstand hinter sich gelassen. >> von Martin Zenker, SPD-Regionalgeschäftsführer Westmecklenburg Bis auf drei Wahlkreise liegt die SPD landesweit bei den Zweitstimmen vorn, selbst in Vorpommern, das bisher eher als Diaspora der deutschen Sozialdemokratie belächelt wurde. Nebenbei wurde bei den Kreistagswahlen die absolute Hoheit der CDU gebrochen, stellt die SPD in drei der sechs neuen Großkreise die Landräte. Zwei Stichwahlen stehen noch aus. Mit 75,3 Prozent bereits sicher im Amt bestätigt: Birgit Hesse, neben Manuela Schwesig eine der Zukunftshoffnungen aus dem hohen Norden und nebenbei Deutschlands jüngste (und sicher auch schönste) Landrätin. „Gut, wie das Land“ – mit diesem Slogan sind die Sozialdemokraten 2011 in den Landtagswahlkampf gezogen. Und gut wie der Spitzenkandidat, könnte man hinzufügen. Erwin Sellering kann im Land auf Beliebtheitswerte schauen, wie man sie sonst eher dem Papst oder Popstars zuschreiben würde. 39 Prozent des SPD-Wahlergebnisses, so die Demoskopen, gehen auf den Spitzenkandidaten zurück. Großveranstaltungen – im SPDWahlkampf 2011 suchte man diese vergeblich. Statt viel Geld und Arbeit in Kundgebungen mit begrenzter Reichweite und begrenztem Erfolg zu investieren, wurde direkt auf den Bürgerkontakt gesetzt. Den gesamten August über tourte Erwin Sellering über die Wochenmärkte des Landes, besuchte Firmen, grillte mit Ehrenamtlern oder fuhr auch mal im Boot über den See. Ein Wahlkampf, der einfach zu ihm passt:
authentisch, ehrlich, offen. Kleine Veranstaltungen mit manchmal 30, manchmal 150 Gästen – Politik und Politiker zum Anfassen. Bei den Bürgerinnen und Bürgern kam das sehr gut an, denn so konnten sie sich ein eigenes Bild von den Kandidaten machen. Und dieses Bild soll nicht einfach nur durch Medien vermittelt sein; das wollen sie sich bitte selbst machen. Während die Bundeskanzlerin auf den CDU-Großveranstaltungen mehr Gegendemonstranten als Sympathisanten vorfand, schlug der SPD auf den Wochenmärkten eine Welle der Euphorie entgegen. Weit über 10.000 Rosen wurden in einem Monat vom Ministerpräsidenten persönlich verteilt. Weit über 10.000 direkte Bürgerkontakte, die sich in den Wahlergebnissen zwischen Zarrentin und Torgelow ablesen lassen. Darüber hinaus außergewöhnlicher Wahlkampf? Nein. Nur klare Materialien. Keine Themenplakate – die drei Schwerpunktthemen waren auf den verlängerten Kandidatenplakaten mit aufgedruckt. Drei mal in jedem Haushalt mit Kandidatenflyer, Kurzwahlprogramm in Postkartenform und einem Wahlaufruf. Dazu ein Wahlwerbespot, der die Leistung der Menschen im Land in den Mittelpunkt stellte und nicht die Partei. Und natürlich: engagierte Kandidatinnen und Kandidaten sowie fleißige Mitglieder, ohne die kein Wahlkampf zu gewinnen ist. Mecklenburg-Vorpommern zeigt auch, dass sich langfristiger Kandidatenaufbau auszahlt. Im Wahl-
kreis Demmin II, der bisher für die CDU gepachtet war, errang Landesgeschäftsführer Thomas Krüger das Direktmandat. Drei Jahre lang hatte er seinen Wahlkreis beackert, personalisierte Materialien wie einen Müllkalender oder Luftbildaufnahmen verteilt. Anfangs wurde er für seine Aktivitäten belächelt. Seit dem Wahltag sind diese Zweifler verstummt. Dabei hatte er die heiße Wahlkampfphase nicht im Wahlkreis, sondern in der Geschäftsstelle in Schwerin verbracht. Ärgerlich bleibt, dass die NPD den erneuten Einzug in den Landtag geschafft hat. Trotz ihrer Materialschlacht an den Laternenmasten verlor sie aber 19.000 Wähler. Und man hängte nicht nur sich fleißig auf, sondern auch die Konkurrenz fleißig ab. Von zehn erwischten Sachbeschädigern an SPD-Plakaten in der Region Westmecklenburg gehörten alle der NPD bzw. deren Umfeld an, bspw. ein ehemaliger HDJ-Funktionär. Die Gegenaktion der Jusos gegen Rechts war vielleicht der erfolgreichste Teil des Wahlkampfes. Storch Heinar hat es inzwischen in alle Teile des Erdballs geschafft. Sein Konterfei bot den Nazi-Plakaten Paroli. Bandcontest, Storchkraft-CD, TShirts und jede Menge Infomaterial machten Heinar zum Selbstläufer: Es kommt wohl selten vor, dass Bürger bei der SPD Plakate abholen, um diese in ihrem Dorf aufzuhängen. Oder dass der Hotel- und Gaststättenverband eine ganze Plakatserie finanziert.
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Erwin Sellering und Deutschlands immer noch jüngste Landrätin Birgit Hesse beim Wahlkampfendspurt am 3. September in Wismar.
von Wiebke Neumann
Foto: M. Zenker
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Lobbyismus: Pest oder Cola?
Ist Lobbyismus tatsächlich so verwerflich, wie in der Öffentlichkeit oft dargestellt?
Kommentar. Viele schimpfen gerne viel über „den“ Lobbyismus, der unsere Republik offensichtlich fest im Griff zu haben scheint: Unternehmen schreiben munter an Gesetzen mit, die sie selbst betreffen, Bundestagsabgeordnete erhalten regelmäßig Einladungen zum Austern-Büfett und unter der Hand wechselt das ein oder andere Scheinchen mal schnell den Besitzer. Ist Lobbyismus eine „Pest“, die es zu bekämpfen gilt, oder bringt er – im Gegenteil – das nötige „Koffein“ mit, um unsere Demokratie am Laufen zu halten? >> von Felix Peter, blick.punkt wobei es wünschenswert wäre, wenn Deutschland endlich als einer der letzten Staaten weltweit die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) ratifizieren würde. Forderungen nach einer Lobbyismus-Regulierung sehen die Schaffung eines gesetzlich verpflichtenden Lobbyisten-Registers mit einheitlichem Geltungsbereich für solche Lobbyismus-Tätigkeiten vor, die „gegen Entgelt erbracht oder auf Basis einer dafür bereitstehenden Finanzierung vorgenommen werden und nicht nur gelegentlicher Natur sind“, so ein Eckpunktepapier der de’ge’pol aus dem Jahre 2009. Mit dieser Registrierung müsste eine Unterwerfung unter einen verbindlichen Verhaltenskodex verbunden sein, der sinn- und maßvolle Transparenzregeln enthält. Derzeit gibt es in Deutschland nur ein freiwilliges Register des Deutschen Bundestages, auch wenn es immer wieder Unternehmungen gibt, diesen Zustand zu ändern. Doch nicht nur Lobbyisten sollten sich einem Verhaltenskodex unterwerfen, sondern auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Über die Befolgung der selbst aufzuerlegenden Regeln könnte dann das Bundestagspräsidium wachen und Verstöße beispielsweise mit einem Ordnungsgeld belegen. Über die Befolgung des Verhaltenskodex auf Seiten der Interessenvertreter könnte hingegen ein eigens dafür zu gründender Dachverband der im Lobbyisten-Register aufgeführten Organisationen Aufsicht führen. In diesem Zusammenhang sollten die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Verstöße gegen den Verhaltenskodex auf Basis eines Ordnungswidrigkeitstatbestandes mit Bußgeldern, auch dies ist eine Forderung der de’ge’pol, zu ahnden. Nun besteht bei jeder Regulierung immer die Gefahr, dass durch die Existenz der Regeln das zu Regelnde die Flucht aus dem Hell- oder Grau- in den Dunkelbereich antritt und sich so den Regeln zu entziehen versucht. Eine Überregulierung ist deshalb unbedingt zu vermeiden. Allzu viele Regeln sollten auch gar nicht notwendig sein, wenn gleichzeitig diejenigen gestärkt würden, die dem Lobbyismus tagtäglich widerstehen müssen. So könnten beispielsweise die Wissen-
schaftlichen Dienste des Bundestages ausgebaut werden, wie es Marco Bülow beispielsweise fordert. Darüber hinaus sollte eine Ausweitung der zweckgebundenen finanziellen Zuwendungen für die Abgeordneten zur Beschäftigung eigener wissenschaftlicher Mitarbeiter überlegt werden – vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden Sachverhalte im politischen Alltag sollte hierbei mit dem Verständnis der Bevölkerung gerechnet werden können. Mit einem ausgewogenen und nicht übereifrig installierten Bündel von Maßnahmen ließen sich die Probleme, die der derzeit weitgehend unregulierte professionelle Lobbyismusbetrieb in Deutschland noch mit sich bringt, sicherlich mehr und mehr in den Griff bekommen – Koffein für unsere Demokratie in verträglichen, ja stimulierenden (Cola-)Dosen. Von einer seuchenartigen Ausprägung sind wir noch weit entfernt, auch wenn man erste Symptome, wie die Wechsel exponierter Politiker in die Wirtschaft und von Wirtschaftslobbyisten in die Politik und Verwaltungen, nicht zuletzt auch die durchsichtigen Kampagnen der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, nicht verharmlosen sollte.
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Blick in die SPD-Parteizentrale in Berlin. Wer möchte bezweifeln, dass die SPD selbst ein großer Lobbyverband ist?
Ortsvereine Halle-Mitte
Andreas Schmidt (Vors.) schmidt_and@web.de
Halle-Neustadt
Klaus-Dieter Weißenborn (Vors.) kdweihs@freenet.de
Halle-Nordost
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Halle-Nordwest
Thomas Wünsch (Vors.)
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Halle-Süd
Burkhard Feißel (Vors.) burkhardfeissel@aol.com
Stadtverband Stadtvorstand (bis 10/11)
Katja Pähle (Vors.) Steven Leonhardt (Stellv.) Thomas Wünsch (Stellv.) Wolf-Michael Groß (Finanzer) Constanze Umlauft Alexander von Moltke Claudia-Annett Preuß Marcus Schlegelmilch Lukas Balser
Geschäftsstelle
Stefan Will (RGF) Adrienne Heide (Mitarb.)
Kontakt
Adolf-Reichwein-Haus Große Märkerstraße 6 06108 Halle (Saale) www.spd-halle.net rg.sued@spd.de
Stadtratsfraktion Vorstand
Johannes Krause (Vors.) Gertrud Ewert (Stellv.) Gottfried Koehn (Stellv.)
Geschäftsstelle
Burkhard Feißel Andreas Schmidt Technisches Rathaus 1.Etage, Zimmer 101-103
Kontakt Foto: F. Peter
Am Anfang einer Diskussion über Lobbyismus steht die Frage nach dessen Definition. Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (de’ge’pol) bezeichnet jeden Versuch als Lobbyismus, „auf Entscheidungen der Fraktionen, des Plenums und der Ausschüsse des Deutschen Bundestages einschließlich der Rechtsetzung und ihrer Vorbereitung sowie auf alle Entscheidungen der Bundesbehörden mit rechtlich erheblicher Außenwirkung direkt Einfluss“ zu nehmen, das heißt durch „schriftliche, mündliche oder fernmündliche“ Kontaktierung dieser Institutionen. Wenn man nun bedenkt, dass unter diese Definition so ziemlich jeder fällt, der mit Abgeordneten Kontakt aufnimmt – jeder ist sein eigener Lobbyist –, dann wird bereits deutlich, dass man Lobbyismus, also Interessenvertretung, nicht pauschal verteufeln kann und darf. Im Gegenteil: Lobbyismus ist ein wesentlicher Baustein der Mitbestimmung und Meinungsbildung in demokratischen Gesellschaften. Er unterstützt politische Entscheidungsprozesse durch externe Expertise und gibt allen gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit, Entscheidungsprozesse mitzugestalten. So viel zum „Koffein“. Natürlich hat Lobbyismus auch seine Grauzonen und Schattenseiten, darauf weisen Initiativen wie der Verein „LobbyControl – Initiative für Transparenz und Demokratie“ regelmäßig hin. Auf der Internetseite lobbypedia.de werden beispielsweise zahlreiche Bauchschmerzen verursachende Fälle aufgeführt, wie jener der lange Zeit als Kritikerin von Pharmaunternehmen geltenden ehemaligen nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD), die im Mai 2011 die Hauptgeschäftsführung im Verband Forschender Arzneimittelhersteller übernahm. Diese und ähnliche Fälle gilt es, in den Griff zu bekommen. Verschiedene Bundestagsabgeordnete wie Marco Bülow (SPD), Initiativen wie LobbyControl und Verbände wie die de’ge’pol fordern denn auch, der legitimen und legalen Interessenvertretung ein strengeres Regelwerk an die Seite zu stellen – für illegale Einflussnahme, also Korruption – gibt es bereits entsprechende Gesetze,
SPD AKTIV
Technisches Rathaus Hansering 15 06108 Halle (Saale)
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Inhaltliche Arbeit AG Bildung (AfB)
Katharina Brederlow (Vors.) Hans-Joachim Hein (Stellv.) Felix Peter (Stellv.)
katharina.brederlow@t-online.de www.spd-halle.net
AG Juristen (AsJ)
Thomas Wünsch (Sprecher) Oliver Hartung (Stellv.)
thomas.wuensch@googlemail.com www.spd-halle.net
AG Jusos
Felix Peter (Vors.) Marcel Muschter (Stellv.) Eric Eigendorf (Stellv.)
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AG 60plus
Norwin Dorn (Vors.)
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AK Kultur
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AK Schwusos
Marcel Dörrer (Vorstand) Christian Weinert (Vorstand) Jens Abendroth (Vorstand)
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AK Stadtentwicklung
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Juso-Hochschulgruppe
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Kommunen machen Schule!
SPD AKTIV
Über.Blick
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Jusos. Seit den Veröffentlichungen von Studien im Bildungsbereich (PISA, TIMSS, IGLU) steht das Thema Bildung an der Spitze der politischen Agenda. Auf der Suche nach Lösungen und der Entwicklung von Maßnahmen und Konzepten zur Verbesserung der Bildungschancen und des Bildungserfolgs von Schülerinnen und Schülern beteiligen sich zunehmend auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Ein Plädoyer für die Stärkung der Verantwortung von Kommunen im Bereich der Schulen. >> von Thomas Stimpel, Jusos Halle Was Kommunalpolitikerinnen und -politiker derzeit fordern, ist nicht nur aktueller denn je, sondern auch brisant: Sie plädieren für mehr Verantwortung der Kommunen für die qualitative Weiterentwicklung der Schulen in ihren Landkreisen, Städten und Gemeinden. Sie sehen nicht zuletzt deshalb erhöhten Handlungsbedarf, da die Kommunen auch den Großteil der Kosten gescheiterter Bildungs- und infolge dessen: Erwerbsarbeitsbiografien, tragen müssen, denn Bildung – ein zentrales Moment für ein selbstbestimmtes und eigenverantwortlich geführtes Leben – steht in direktem Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung. Da die Ausgestaltung von Bildungsprozessen (in Kitas, Schulen, Horten, in der Jugendarbeit, Volkshochschulen, Familienbildung usw.) eng mit Stadtentwicklungsprozessen verwoben ist, reklamieren Kommunen zuneh-
men mehr Mitspracherechte in der Bildungspolitik – und damit in ihrer eigenen Angelegenheit! Ein erfolgreiches Handeln im Kontext des veränderten Selbstverständnisses und Aufgabenspektrums der Kommunen in der Bildungspolitik setzt aber voraus, dass – unter strikter Wahrung des Konnexitätsprinzips – die traditionelle Trennung von inneren Schulangelegenheiten (Staat) und äußeren Schulangelegenheiten (Kommune) überwunden wird. Im Rahmen einer „neuen Verantwortungsgemeinschaft für Bildung“ – bestehend aus Staat, Kommune, Bürgerschaft und Einzelschule – gilt es, ein kommunales bildungspolitisches Gesamtkonzept zu erarbeiten, dass über die Schulentwicklungsplanung und damit über die Berechnung von Raumkapazitäten und Schulgebäuden hinausgeht. Die Überwindung dieser Trennung ist notwendig, da nur die Kom-
munen in qualitativer Hinsicht die Kompetenzen dazu besitzen, die administrative Ebene (Institutionen wie Schule, Kitas etc.) mit der zivilgesellschaftlichen Ebene (Unterstützungssysteme wie die Jugendhilfe, bürgerschaftliches Engagement etc.) vor Ort bedarfsgerecht zu verknüpfen und zu organisieren. Der kommunalen Ebene kommt die zentrale Steuerungsfunktion zu, das bisher statische in ein aushandelndes und kooperierendes Vorgehen im Bildungsbereich umzuändern. Die hierfür notwendige Vernetzung kann nur die Kommune, als neutrale Instanz, leisten. Nur auf der kommunalen Ebene kann die bedarfsgerechte Nutzung zivilgesellschaftlicher Potenziale für (schulische) Bildungsprozesse und die Weiterentwicklung ortsbezogener Ansätze schulischen Lernens in Kooperation mit außerschulischen Lernorten gewährleistet werden.
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Von der Grund- in die Sekundarstufe
AfB. Das deutsche Schulsystem gibt es nicht. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die 16 unterschiedlichen Systeme anschaut, auf deren Basis Kinder in Deutschland von der Grund- auf eine weiterführende Schule wechseln. >> von Felix Peter, stellvetretender Vorsitzender der AG Bildung Halle Der Übergang von der Grund- in eine der weiterführenden Schulformen gilt als eine der wichtigsten Weichenstellungen in der Bildungskarriere von Kindern, die in Deutschland aufwachsen, und erfolgt – außer in Berlin und Brandenburg (hier geht die Grundschule bis zur 6. Klasse, man kann aber auch vorher wechseln) – nach der vierten Klasse. Grund für die frühe Selektion ist der Anspruch, die Kinder frühzeitig möglichst gut fördern zu können. „Homogene Lerngruppen“ ist das Zauberwort. Dass dies tatsächlich zum gewünschten Erfolg führt, ist wissenschaftlich höchst umstritten. Deshalb wäre es gut, wenn die Schulübergangsempfehlung mit deutschlandweit klaren und auf gesicherten Erkenntnissen beruhenden Kriterien verbunden wäre. Füssel und Kollegen haben 2010 im Zusammenhang mit der Übergangsstudie TIMSS eine Klassifikation der Übergangsregelungen in den Ländern vorgelegt (Stand 2007). Das Ergebnis ist eindeutig: Jedes Land beschreitet einen eigenen Weg. Löblich ist, dass bis auf Schleswig-Holstein jedes Land
eine Beratungspflicht der Grundschulen vorsieht, allerdings gibt es nur in Nordrhein-Westfalen und SachsenAnhalt eine Teilnahmepflicht der Eltern an der Beratung. Dass eine gute Beratung aber der Kern jeder Übergangsentscheidung ist, zeigen Studien deutlich. Als Hauptkriterien für die Übergangsempfehlung haben fünf Länder das Erreichen eines bestimmten Notendurchschnitts festgelegt, 13 Länder verlangen (unabhängig davon) ein pädagogisches Gutachten. Falls der Elternwille der Empfehlung entgegensteht, sehen vier Länder ein verbindliches Beratungsgespräch vor, sieben eine zusätzliche Eignungsprüfung. Kropf und Kollegen haben 2010, ebenfalls im Zusammenhang mit der TIMSS-Studie, die Pfade der Übergangsentscheidung bildlich dargestellt. Relativ einfach strukturiert sind Systeme, in denen die Eltern das letzte Wort haben. So erfolgt in Hamburg nach der Übergangsempfehlung mit optionalem Beratungsgespräch die Anmeldung an der von den Eltern gewünschten Schulform. Das Gegen-
teil demonstriert NRW: Hier gibt es ein optionales Beratungsgespräch bei einem zu einer höheren Schulform als empfohlen abweichendem Elternwunsch – kombiniert mit einem verpflichtenden Prognoseunterricht, der zu einer Eignungsentscheidung führt. Geschuldet ist diese Komplexität dem Wunsch nach Konsens zwischen Eltern und Schule, auch das ist löblich und an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Insgesamt gibt es somit zahlreiche Kombinationen von Entscheidungswegen, die mehr oder weniger sinnvoll bzw. wissenschaftlich untermauert sind. Wünschenswert wäre, wenn sich die Kultusministerkonferenz in der nächsten Zeit auf mehr Übersichtlichkeit einigen würde. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland sollten die gleichen – guten (!) – Chancen für die Sekundarstufe haben. Insbesondere gilt es dabei zu berücksichtigen, dass weder das Schul- noch das Elternurteil soziale Selektivität begünstigen. Eine bloße Eltern- oder Schulentscheidung ist deshalb abzulehnen.
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Ein unnötiger Balanceakt
TIEFPUNKT. Dass für die SPD angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und der Wahlklatsche von 2009 ein „Weiter so!“ (oder gar: ein „Basta“) keine Option sein kann und organisationspolitisch einiges im Argen liegt, bezweifelt niemand. Aber eine echte Parteireform darf eben nicht nur aus lauter vage gehaltenen Einzelreförmchen bestehen. >> von Andrej Stephan, blick.punkt „Putsch von oben“, titelte der stets gut informierte Spiegel Ende Mai, als Sigmar Gabriel und Andrea Nahles die Eckpunkte ihrer Parteireformgedanken kommuniziert hatten – über die Medien. Viele der „durchgestochenen“ Punkte waren wenigstens diskutabel, für andere Probleme sieht zumindest der Autor alternative Lösungsmöglichkeiten, manche der Vorschläge waren schlichtweg Schrott – etwa die Abschaffung des Parteirates und sein Ersatz durch einen nur aus Spitzengenoss_innen bestehenden Länderrat. Kritik, auch schrille, war da durchaus zu erwarten – aber dass sie am Ende die Für-Stimmen (etwa von Karl Lauterbach) überwiegen würde, kam überraschend. Dumm nur für die „Parteispitze“: Sigmar Gabriel hatte sein politisches Schicksal öffentlich durchaus unmissverständlich an den Erfolg „seiner“ Reform geknüpft und damit sozusagen innerparteilich die Vertrauensfrage gestellt. Er und Andrea Nahles hätten es
dabei viel einfacher haben können: Jener vierseitige Fragebogen des OV Halle-Mitte, der im ersten Schritt die Stimmung an der Basis zum „Reformbedarf“ erhebt, ist nicht nur ein kluges methodisches Instrument, welches das angekündigte Mehr an Beteiligung vorwegnimmt und sich eben nicht als nebulöse Ortsvereinsbefragung tarnt, sondern ein echter Lackmustest. Es wäre besser gewesen, die Vorschläge bis zum Ende einer bundesweit anzustellenden Erhebung in der Schublade zu behalten, um dann mit „basistauglichen“ Vorschlägen hervorzutreten. Einen kompletten Durchfall, wie er für die öffentliche Aufstellung von Kandidierenden für öffentliche Ämter abzusehen ist, hätte sich unser Spitzenduo damit wohl ersparen können. Zudem findet gegenwärtig nur eine nachgelagerte Debatte statt, bei der Themensetzung so gut wie unmöglich ist, weil die seit Monaten durch unsere Reihen geisternde Powerpoint-Präsentation vieles abdeckt
und trotz aller Mängel Instruktives vorhält. Ungleich wichtiger aber wäre das Signal gewesen: Mitglieder in den Ortsvereinen, die Themen setzt ihr! Richtig ist nämlich auch, dass es in der SPD eine Art Wohlstandsbauch von Hinterbänkler_innen und Funktionär_innen (AG-Chefs, Landesvorstandsmitglieder) gibt, denen nicht jeder Impuls von der „Basis“, also aus der eigenen Mitgliedschaft, wirklich behagt. Der Verfasser dieser Zeilen gehört zu ihnen. Oft kommt es vor, dass man sich selbst beim innerlichen Abschalten ertappt, wenn neue (oder erneut auf Tapet gebrachte alte) Ideen die routinierte Arbeit zu durchbrechen suchen. Diese und ähnliche Automatismen hätte eine Parteireform nach dem Bottom-up-Prinzip aufs Korn nehmen können – stattdessen befinden wir uns nun einmal mehr in öffentlichen Scharmützeln, bei denen vor allen Dingen möglicher Schaden für unser Spitzenpersonal öffentliches Interesse weckt.
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Gedenken an Franz Peters - Bitte um Spenden
Halle. Am 11. August 2008 versammelten sich Dutzende Genossinnen und Genossen zu einer Kranzniederlegung auf dem halleschen Südfriedhof – sie gedachten seinerzeit dem sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Franz Peters (1888-1933) an dessen 75. Todestag. Das Gedenken bedarf dringend der Auffrischung und Verstetigung durch unseren Stadtverband. >> von Andrej Stephan, blick.punkt der SPD. Der Rest der „Opposition“ konnte nicht anwesend sein: KPDAbgeordnete saßen zum Teil schon im KZ, in „Schutzhaft“; einige waren bereits ermordet worden. Unter den 94, die nicht wollten, dass die Reichsregierung unter Adolf Hitler ohne Zustimmung des Parlaments verfassungsändernde Gesetze sollte beschließen können, war der Hallenser Franz Peters, der seit 1924 dem Reichstag angehörte und SPDBezirksvorsitzender war. Das Gesetz wurde nicht nur zum Grab der Demokratie, sondern schon im Juli 1933 zum Verhängnis für die SPD – für zwölf furchtbare und dunkle Jahre. Franz Peters sollte seinen Widerstand sogar mit dem Leben bezahlen: Seit Mai 1933 in Untersuchungshaft, starb er am 11. August des Jahres im Alter von 44 Jahren an einer Herzkrankheit. Es ist nur konsequent, dass sich die hallesche SPD die kontinuierliche Pflege seines Andenkens zu einem ihrer wichtigsten Anliegen gemacht
hat. Dazu gehört auch die Pflege des Grabes von Franz Peters auf dem halleschen Südfriedhof. Tragt euren Teil dazu bei, liebe Genossinnen und Genossen!
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Die Grabstätte von Franz Peters auf dem Südfriedhof bedarf dringend einer pflegerischen Frischekur. Der Ortsverein Halle-Mitte hat dazu eine Spendenaktion gestartet. Er würde sich freuen, wenn er aus der Mitgliedschaft finanzielle Unterstützung erhält (auch kleine Beträge sind willkommen). Für Überweisungen steht das Konto des Ortsvereins (Kto.-Nr. 389040515, BLZ 80053762, Saalesparkasse) zur Verfügung (eine Spendenquittung kann aus rechtlichen Gründen nicht ausgestellt werden).
„Was ist so schwer daran, ein EMail erst an die Mitglieder und danach an die Presse zu versenden?“ Mangelnde bzw. fehlgeleitete Kommunikation war einer der Hauptkritikpunkte, denen sich die Bundesgeschäftsführerin der SPD am 28. September 2011 im Spiegelsaal des Volksparks stellen musste. Auf Einladung der südlichen Stadt- und Kreisverbände war Astrid Klug nach Halle gekommen, um den, leider nicht sehr zahlreich anwesenden Genossinnen und Genossen, die Ergebnisse der Parteireform zu erläutern. Die Erkenntnisse, die im sogenannten organisationspolitischen Grundsatzprogramm niedergeschrieben wurden und die auf dem Bundesparteitag im Dezember in Berlin beschlossen werden sollen, haben einen langen Entwicklungsprozess durchlaufen – vom Dresdner Parteitag über die erste umfassende Ortsvereinsbefragung, der Einsetzung eines wissenschaftlichen Beirates bis hin zu den heftig diskutierten ersten Vorschlägen der organisationspolitischen Kommission. Astrid Klug stand Rede und Antwort zu Fragen der Aufbzw. Abwertung von Arbeitsgemeinschaften, der breiteren thematischen Aufstellung durch Einführung von Themenforen, Rechte und Pflichten von Mitgliedern und Sympathisanten, mehr Beteiligung der Mitglieder bei Sach- und Personalfragen und der Strukturreform innerhalb der SPD Gremien. Wichtigste und für viele Anwesende beruhigende Erkenntnis des Abends: Bei dem zu beschließenden Leitantrag wird es sich um ein Ermöglichungsstatut handeln. Es eröffnet Chancen, die man nutzen kann – oder eben auch nicht. von Alexander Lehmann
Foto: W.-M. Groß
Ein parlamentarischer Vielredner ist Peters nicht gewesen: In neun Jahren, in denen er dem Parlament der Weimarer Republik angehörte, brachte er es auf eine einzige Rede (1925, zur Salzsteuer) – aber er war Zeuge und Teilnehmender an der größten parlamentarischen Sternstunde in der Existenz der SPD: der Nichtzustimmung ihrer Reichstagfraktion zum „Ermächtigungsgesetz“ am 23. März 1933. Wir alle können uns die Atmosphäre, in welcher der Reichstag in der Kroll-Oper mit Zwei-Drittel-Mehrheit (die nur durch die bürgerlichen Parteien zustande kam) dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ zustimmte, Parlamentspräsident Hermann Göring parteiisch in die Debatten eingriff, an den Wänden überdimensionierte Hakenkreuze prangten und in allen Ecken grimmige, gewaltbereite SA-Schergen standen, kaum vorstellen. 94 tapfere Männer und Frauen stimmten gegen das Gesetz – die Rumpffraktion
Diskussion zur SPD-Parteireform