Die Zukunft ist erneuerbar! Online-Zeitung der Allianz « Nein zu neuen AKW» Ausgabe 03/2011
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Energie aktuell
20’000 Menschen setzen ein starkes Zeichen gegen Atomenergie Atomgegner aus dem In- und benachbarten Ausland, haben beim MenschenStrom gegen Atom in Kleindöttingen friedlich für eine Schweiz ohne Atomkraftwerke demonstriert. An der grössten Anti-AKW-Kundgebung seit 25 Jahren forderten rund 20’000 Menschen eine Wende in der Schweizer Energiepolitik. Mit zahlreichen Transparenten verlangten 20’000 AKW-GegnerInnen den Ausstieg aus der Atomenergie. Von den Veranstaltern wurde an der Kundgebung auch ein Brief an den Bundesrat verlesen, der mit aller Eindringlichkeit eine zukunftsgerichtete Energiepolitik ohne Atomkraft und die Förderung erneuerbarer Energien fordert. Dessen Inhalt wurde mit viel Applaus von den Anwesenden befürwortet. Die Politik müsse «in den nächsten Wochen konkrete Schritte für den schnellen Ausstieg aus der Nuklearenergie vollziehen», erklärt Michaela Lötscher vom Organisationskomitee. Man werde deshalb die ausserordentliche Session aufmerksam verfolgen und nicht nachgeben, bis das letzte AKW in der Schweiz abgeschaltet wird. © Menschenstrom gegen Atom/Anita Huber
Zum MenschenStrom gegen Atom
Deutsche Atomkraftwerke sind unsicher Die Atomkraftwerke in Deutschland sind gegen zahlreiche Risiken nicht gewappnet. Das zeigen die Resultate der Stresstests, die nach der Katastrophe in Japan von der Reaktorsicherheitskommission (RSK) angeordnet worden sind. Erhebliche Schwachstellen haben die Atommeiler vor allem bei einem möglichen Absturz eines grossen Flugzeuges. Kein einziges deutsches Atomkraftwerk © iStockphoto.com/Christian Rummel ist gegen einen Absturz, wie zum Beispiel bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA, ausreichend geschützt. Die sieben ältesten deutschen AKWs würden nicht einmal den Absturz einer kleineren Maschine sicher überstehen. Die sofortige und endgültige Stilllegung dieser sieben Alt-Reaktoren wird damit immer wahrscheinlicher. Scheinbar nicht so in der Schweiz. Hier kommt die Atomaufsicht ENSI zu einem ganz anderen Schluss: Selbst die ältesten AKWs, wie Mühleberg und Beznau, seien hier vor Flugzeugabstürzen sicher. Zum Artikel
Fukushima: vier Reaktoren weiterhin nicht unter Kontrolle
Energiewende: Nun ist auch das Parlament gefordert
Zweieinhalb Monate nach dem Erdbeben hat die Berichterstattung über die Lage beim havarierten AKW Fukushima-Daiichi nachgelassen. Dort hat sich die Situation aber kaum verbessert.
Der Bundesrat hat die Weichen in der Energiepolitik neu gestellt: Das Atomzeitalter soll ein Ende finden. Nun ist das Parlament angehalten den Ausstiegsentscheid des Bundesrates mit einer klaren Mehrheit zu bestätigen.
Seit Mitte März 2011 steht die Anlage in Fukushima still. Der Betreiber TEPCO versucht mit allen Mitteln, eine dauerhafte Kühlung der beschädigten Reaktoren sicherzustellen – bisher erfolglos. Weil weiterhin Radio© Greenpeace aktivität austritt, kann über das genaue Ausmass des Unfalls nur spekuliert werden. «Es steht aber fest, dass die Katastrophe Japan noch Jahrzehnte beschäftigen wird», so Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace Schweiz. «In gewissen Gebieten ist der Boden so stark kontaminiert, dass eine Rückkehr in den nächsten Jahren undenkbar ist.» Radioaktive Elemente sind auch in Nahrungsmitteln wie Fisch und Gemüse gelangt. Weitere Folgen sind nicht aus zu schliessen: Selbst TEPCO rechnet mittlerweile damit, dass frühestens Ende Jahr die Reaktoren vollständig unter Kontrolle sein werden.
Die Schweiz erfüllt alle Voraussetzungen für eine nachhaltige Energieversorgung. Der Entscheid des Bundesrates vom 25. Mai, setzt das richtige Signal in © iStockphoto.com/Simon Zenger Richtung Stromeffizienz und erneuerbare Energien. Beide verfügen über genügend Potenzial, um den endgültigen Ausstieg der Schweiz aus der Atomenergie zu ermöglichen. Das Parlament ist nun gefordert, an seiner ausserordentlichen Session vom 8. Juni den Atomausstieg voran zu treiben. Für den Ausstieg zentral sind die Einführung einer Lenkungsabgabe, die der unnötigen Verschwendung von Strom entgegenhält, und die Stärkung der kostendeckenden Einspeisevergütung. Der Bundesrat strebt den Atomausstieg bis ca. 2034 an. Um die Sicherheit der Bevölkerung und der Umwelt zu garantieren, muss der Ausstieg früher geschehen.
Greenpeace Schweiz verfolgt die Ereignisse in Japan weiter
Zur Medienmitteilung der Allianz
Entscheidungen für die Umwelt
Zwei Mal zehn Schritte zum Ausstieg aus der Atomenergie
Im Kanton Bern wurde am 15. Mai 2011 das abgeschwächte Energiegesetz mit 79 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Gleichzeitig lehnten die Stimmberechtigten in Waadt die Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager mit 65 Pozent Nein-Stimmen ab. Mit der Annahme des Volksvorschlags erfährt das kantonale Energiegesetz (KEnG) von 1981 wichtige © iStockphoto.com/Alija Änderungen zur Senkung des Energieverbrauchs. Die Förderabgaben für die energetischen Sanierungen von privaten Liegenschaften sind jedoch abgelehnt worden. Die Gegner der Abgabe im Grossen Rat sollen nun zeigen, wie sie die versprochenen Finanzen für die Umsetzung des Gesetzes bereitstellen. Die Waadtländer Stimmbevölkerung hat die ersten Schritte zur Suche nach einem atomaren Endlager verworfen. Das Nein zum «Sachplan geologische Tiefenlager» zeigt, «dass die WaadtländerInnen sich von den als ‹Lösungen› präsentierten Plänen nicht täuschen lassen und denjenigen, die den Bau neuer Kernkraftwerke anstreben, keine Carte blanche erteilen wollen», heisst es in der Mitteilung von «Avenir sans Nucléaire». Medienmitteilung von WWF, Pro Natura, Greenpeace und SSES zum Abstimmungsergebnis vom 15. Mai 2011 Zu den Abstimmungsergebnissen vom 15. Mai 2011 Die Zukunft ist erneuerbar! Online-Zeitung der Allianz «Nein zu neuen AKW» Ausgabe 03/2011
Der Ausstieg aus der Atomenergie ist innert zwei Jahrzehnten technisch und finanziell machbar, das zeigt die Agentur für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (A EE) im 10-Punkte-Programm der Wirtschaft. Auf zehn Bausteine setzen auch die Umweltverbände Greenpeace, Pro Natura, SES, VCS und WWF. Der vorgezogene Ausstieg aus der Atomenergie kostet laut den Umweltverbänden gerade mal 0,1 Rappen pro Kilowattstunde und kann innert 15 bis 25 Jahren erfolgen. Zehn Bausteine, unterteilt in Systemwechsel, Effizienz und Erneuerbare, bilden die Grundlage und haben mit der Lenkungsabgabe und der kostendeckenden Einspeisevergütung zwei Schwerpunkte. Ein optimiertes Zusammenspiel von Produktion, Verbrauch und Infrastrukturen fordert die A EE in ihrem 10-Punkte-Programm der Wirtschaft. Zentral sind dabei der politische Richtungsentscheid, förderliche Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz und die Erneuerung und der Ausbau der Netzinfrastruktur. © istockphoto.com/Grafissimo
Medienmitteilung und Bausteine der Umweltverbände 10-Punkte-Programm der Wirtschaft für eine erneuerbare und effiziente Stromversorgung
Im Fokus
Eine Fabrik braucht Strom – aber keine AKWs Der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie ist innert 20 Jahren technisch und finanziell machbar, wenn Regierung wie auch Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen. Die staatliche Förderung von erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz in Unternehmen sind dabei Voraussetzungen. Der Beitrag seitens der Unternehmen ist möglich, denn wirtschaftliches Wachstum ist nicht zwingend an einen erhöhten Energieverbrauch gekoppelt. Dies zeigt das Beispiel des Metallbauunternehmens Ernst Schweizer AG. Zur Konkretisierung der Energiezukunft hat die schweizerische Agentur für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz A EE, ein 10-Punkte-Programm ausgearbeitet. Basis des Vorschlages bildet ein politischer Grundsatzentscheid: Nur wenn Parlament und Bundesrat die Bedeutung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz für die Energieversorgung der Schweiz erkennen, ist mit einer erfolgreichen Umsetzung zu rechnen. Die aktuelle Stop-and-go-Politik ist dabei für die Wirtschaft denkbar ungünstig. Unternehmen, aber auch Kantone und Gemeinden sind wegen der hohen Investitionen in die gewerbliche, industrielle und öffentliche Infrastruktur auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Den von AKW-Betreibern reklamierten sogenannten Ausstiegskosten steht ein erheblicher volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüber. Denn die Gewinnung von erneuerbaren Energien und die Ausschöpfung von Effizienzpotenzialen sind Beiträge zur Schweizer Wirtschaft und zu unserer Energieversorgungssicherheit. Für Wirtschaftsunternehmen bedeutet das AEE-Programm keine Einschränkung. Dies gilt nicht nur für die 8’000 Unternehmen, die über ihre Branchenverbände Teil der AEE sind. Es gilt auch für all jene Betriebe, die über Jahre hinweg ihre Material- und Energieeffizienz gesteigert haben. Das schlägt sich in der Statistik nieder: Seit
1980 gehen Wirtschaftswachstum und Stromverbrauch nicht mehr unmittelbar Hand in Hand. Dieser Effekt geht nur zu einem kleinen Teil auf die Verlagerung von industriellen Arbeitsplätzen ins Ausland zurück. Die Firma Ernst Schweizer AG ist dafür ein illustratives Beispiel. Die Metallbaufirma mit 586 Mitarbeitenden hat ihren Umsatz von 1978 bis 2010 um 181 Prozent gesteigert, von 57 Mio. auf 160 Mio. Franken (teuerungsbereinigte Zahlen). Im gleichen Zeitraum stieg der Energieverbrauch lediglich um 20 Prozent. Dazu passen die Zahlen aus dem Jahre 2010: Die Firma brauchte 1,75 Prozent mehr Energie als im Vorjahr bei einem Umsatzplus von 15 Prozent! Auf Vollzeitstellen umgerechnet, arbeiten heute fast doppelt so viele Personen bei Schweizer als im Jahre
1978. Wer in Anbetracht dieser Zahlen für industrielle Produktionsbetriebe zwingend eine zum Umsatz proportionale Entwicklung des Energiebedarfes unterstellt, verkennt die Realität. Die guten Resultate waren trotz der immensen technologischen Entwicklung möglich. Denn auch bei Schweizer sind in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsplätze weitgehend mechanisiert und viele Verfahren automatisiert worden. Drei industrielle Standorte Tätig ist die Ernst Schweizer AG an drei Standorten: im aargauischen Möhlin, in Affoltern am Albis und an ihrem Hauptsitz in Hedingen. Das 90-jährige Unternehmen produziert Fassaden, Fenstersysteme in Holz/Metall,
© Ernst Schweizer AG
Energieoptimierte Produktionsstrassen in einem der ersten Minergie-Produktionsgebäuden der Schweiz: Höchste Energieeffizienz bei der Fertigung von Holz/Metall-Systemen bei der Ernst Schweizer AG in Möhlin
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Im Fokus
Kolumne
Verglasungen für Terrassen, Balkone und Loggias, Sonnenenergie-Systeme sowie Briefkästen. Rund 60 Prozent des Umsatzes macht Schweizer mit Produkten, die zur Energiebedarfsminderung oder zur Gewinnung erneuerbarer Energien beitragen. Einerseits sind dies verlustmindernde Bauteile für Gebäudehüllen, andererseits Gewinnsysteme wie thermische und stromerzeugende Solaranlagen. Im Gebäudestand liegt ein enormes Energieeinsparpotenzial: über 40 Prozent des Energieverbrauches und der CO2Emissionen in der Schweiz fallen im Gebäudebereich an. Mit intelligenten Gebäudehüllen kann der CO2-Ausstoss bis zur Hälfte reduziert werden. Der schonende Umgang mit Energie und anderen Ressourcen ist bei Schweizer auch betrieblich verankert. Geschäftsleitung wie Mitarbeitende berücksichtigen soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte bei allen Entscheidungsprozessen gleichermassen.
Ein historischer Entscheid ist nicht genug
Verbesserte Umwelteffizienz Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die betriebliche Umwelteffizienz bei Schweizer um 3,5 Prozent erhöht. Dieser Kennwert quantifiziert den Umsatz je 1000 Umweltbelastungspunkte (UBP), 2010 waren es 27.60 Franken je 1000 UBP. Die gute Umwelteffizienz basiert nicht ausschliesslich, aber zu einem erheblichen Anteil auf den sinkenden Treibhausgas-Emissionen für Strom und Wärme. 2010 emittierte der Betrieb weniger als einen Drittel an Treibhausgasen als 1978 (541 statt 1927 Tonnen CO2-Äquivalente). Parallel zu dieser Emissionsminderung stieg der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Stromund Wärmeverbrauch von 6 auf 70 Prozent. Die Wirtschaftlichkeit der Unternehmung ist durch die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in keiner Weise beeinträchtigt, wie ein Blick in die Buchhaltung belegt: 8 Mio. Franken beträgt das Betriebsergebnis 2010, also der Gewinn vor Zinsen und Steuern. Diese Zahlen machen deutlich, dass sich eine ökologische Betriebsführung mit wirtschaftlichem Erfolg kombinieren lässt. Und sie zeigen ebenso deutlich, dass eine Fabrik zwar Strom braucht, aber keine Atomkraftwerke.
Hans Grunder, Nationalrat und Parteipräsident der BDP
In der ausserordentlichen Debatte vom 8. Juni wird der Nationalrat über 100 Vorstösse zu Atomenergie und alternativen Energien und Energieeffizienz behandeln, darunter insbesondere auch die Ausstiegsmotion der BDP. Er wird dabei energiepolitische Weichen stellen. © Hans Grunder
Ich erwarte, dass eine Mehrheit sich klar zu einem historischen Grundsatzentscheid bekennt: In der Schweiz sollen keine neuen AKW mehr gebaut werden. Ich begrüsse diese Entwicklung, denn Fukushima hat gezeigt, dass der Ausstieg aus der Kernkraft rascher an die Hand genommen werden muss, als es die BDP vor den tragischen Ereignissen in Japan für nötig hielt. In meinen Augen ist es nun aber ausnehmend wichtig, dass dies nicht überstürzt, auf Kosten der Umwelt und unserer Versorgungssicherheit geschieht. Ein sofortiger Ausstieg kommt für mich nicht in Frage: Er muss mittelfristig sein und von einer Energiestrategie begleitet werden, die mit Nachdruck auf erneuerbare Energien setzt – und eine ökologische Steuerreform ins Auge fasst, welche dabei hilft, die Abkehr von der Kernkraft wirtschaftlich verträglich zu gestalten. So historisch der zu erwartende Entscheid für einen Ausstieg also auch sein mag, genau so bedeutend
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wird es nun sein, wie er umgesetzt wird. Von der kommenden Session erhoffe ich mir zuallererst, dass sie zu einer Versachlichung der Debatte beiträgt – was bei der Vielzahl der von allen Parteien eingereichten Vorstösse nicht unbedingt erwartet werden darf. Es sind viele Schnellschüsse darunter, die hauptsächlich darauf zielen, sich in der Energiedebatte wirksam zu positionieren. Doch die Frage nach der Gestaltung der zukünftigen Energieversorgung der Schweiz ist zu wichtig, um sie aus reinem Wahlkalkül anzugehen. Sie braucht nachhaltigere Lösungsansätze. Ich plädiere deshalb für den Mut zur Besonnenheit. Die Politik muss ihre Verantwortung wahrnehmen, sie muss das Gespräch mit Fachleuten aus Forschung, Natur- und Umweltschutz, Bundesverwaltung, Energieerzeuger und Wirtschaft suchen und auf der Grundlage dieser Empfehlungen die Entscheide für eine nachhaltige Energiepolitik fällen.
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