Die Zukunft ist erneuerbar! Online-Zeitung der Allianz Atomausstieg Ausgabe 04/2014
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Energie aktuell
Energiewende wird vom Volk getragen 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer wollen mehr staatliche Förderung für erneuerbare Energien. Die Schweiz hat sich auf den Weg zur Energiewende gemacht. Damit fossile und nukleare Energie durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz abgelöst werden können, braucht es aber in einem föderalistischen und direktdemokratischen Land den Rückhalt in der Bevölkerung. Wie es darum steht, hat der Lehrstuhl für Management Erneuerbarer Energien der Universität @Sortons du nucleaire St. Gallen mit seinem repräsentativen «4. Kundenbarometer Erneuerbare Energien» in Kooperation mit Raiffeisen erhoben. Professor Rolf Wüstenhagen fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen: «Eine deutliche Mehrheit würde über die Parteigrenzen hinweg für den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2034 stimmen, 80 % wünschen mehr staatliche Förderung für erneuerbare Energien und 46 % der befragten Hauseigentümer nutzen Solarthermie, Photovoltaik, Holzpellets oder Wärmepumpen im eigenen Haus – 5 % mehr als 2012.» Æ Die repräsentative Befragung der Universität St. Gallen
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Atomstrom verliert an Bedeutung Der World Nuclear Industry Status Report 2014 zeigt erfreuliche Trends und traurige Rekorde. Der Anteil der Atomkraft an der kommerziellen Energieproduktion beträgt gemäss Bericht weltweit noch 4,4 % – so wenig wie zuletzt 1984. Und in erneuerbare Energien werde mehr investiert als in Atomkraft. Der Bericht verzeichnet aber auch einen traurigen Rekord für die Schweiz: Beznau I ist mit 45 Jahren das älteste AKW der Welt. «Neue AKW bauen eigentlich nur noch stark staatsgesteuerte Länder wie China und Russland», sagt @ fotolia Sabine von Stockar von der Schweizerischen EnergieStiftung SES. Das hat auch wirtschaftliche Gründe: Die Kosten für Atomstrom steigen. «In der Schweiz ist bezüglich Atomausstieg noch nichts konkret entschieden», sagt Sabine von Stockar. «Immerhin erhebt die revidierte Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung ab 2015 einen Sicherheitszuschlag von 30 % auf die berechneten Stilllegungs- und Entsorgungskosten und macht damit einen fälligen Schritt in Richtung Kostenwahrheit.» Æ World Nuclear Industry Status Report 2014
Erneuerbare Wärme hat und braucht die Schweiz Nur wenn wir erneuerbare Wärme konsequent nutzen und fördern, können wir die Ziele der Energiestrategie erreichen. In der Diskussion um erneuerbare Energien wird meist vom Strom gesprochen und schnell vergessen, dass 39 % des Schweizer Energiebedarfs fürs Heizen und die Warmwasseraufbereitung in Gebäuden verwendet wird; weitere 12 % dienen der Erzeugung von Prozesswärme. Der Bundesrat will gemäss der Energiestrategie 2050 den durchschnittlichen Energieverbrauch pro Person und Jahr gegenüber @ fotolia dem Referenzjahr 2000 bis 2020 um 16 % und bis 2035 um 43 % senken. «Das erreichen wir nur, wenn wir die Energieeffizienz von Gebäuden durch Dämmung von Dach, Fassade und Fenstern sowie Wärmespeicher verbessern, mehr erneuerbare Wärme aus Sonnenenergie und Holz gewinnen und vorhandene Energie aus Luft, Wasser und Boden durch Wärmepumpen oder mit Wärme-Kraft-Koppelung effizienter nutzen», sagt Eric Nussbaumer, Präsident der AEE SUISSE. Erneuerbare Energien decken heute immerhin 16,8 % des Wärmebedarfs – fast doppelt soviel wie 1999 – doch das Potenzial ist noch gross. Æ Broschüre erneuerbare Wärme
Sicherheitsmängel im AKW Leibstadt Das jüngste Beispiel zeigt: Kontrollen decken nicht alle Sicherheitsmängel in Schweizer AKW auf. Eher zufällig entdeckte ein Mitarbeiter kürzlich, dass die stählerne Sicherheitshülle des AKW Leibstadt durchbohrt wurde, um Feuerlöscher zu montieren. Dieser Sicherheitsmangel wurde während sechs Jahren auch vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) nicht entdeckt. «Der Mangel konnte behoben werden», sagt Stefan Füglister, Atomexperte und Sachverständiger im Auftrag von Greenpeace, «doch dahin© Greenpeace / Jacob Marcus Balzani Lööv ter verbirgt sich ein grosses Problem: die mangelhafte Schulung und Organisation im Bereich Sicherheit.» Darauf sei schon oft hingewiesen worden, auch vom ENSI. Aber auch dieses müsse sich Kritik gefallen lassen. Beim aktuellen Fall in Leibstadt, aber ebenso in Mühleberg war das ENSI nicht wachsam genug. Dort habe die internationale Atomenergie-Organisation IAEA gravierende Mängel festgestellt, die das ENSI längst hätte bemerken müssen, sagt Stefan Füglister. «Das ENSI muss auf Herz und Nieren prüfen und nicht nur oberflächlich, wie das offenbar geschieht. Und das Kontrollregime muss verschärft werden – vor allem mit zunehmendem Alter der AKW und damit wachsendem Sicherheitsrisiko.» Æ Löchrige Sicherheitshülle in Leibstadt
Rekord bei KEV zu verzeichnen Im Juni 2014 registrierte die nationale Netzgesellschaft Swissgrid rund 1200 neue Photovoltaik-Projekte für die kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) – so viele wie noch nie. Der Rekord habe einerseits damit zu tun, dass Photovoltaik-Anlagen heute so günstig seien, meint David Stickelberger, Geschäftsleiter von Swissolar. Der andere Grund ist die Einmalvergütung, die seit April 2014 existiert und rund 30 % der Investitionskosten beträgt. «Viele haben sich auf der KEV-Warteliste eingetragen, © OptimaSolar Genossenschaft um von den Einmalvergütungen zu profitieren.» Gemäss Wirtschaftlichkeitsrechnungen sei die Kombination von Einmalvergütung und neu zugelassenem Eigenverbrauch besonders vorteilhaft, sagt David Stickelberger: «Heute kann man den Eigenverbrauch mit einer Wärmepumpe, Timern für Haushaltgeräte oder einem Elektromobil immer besser erhöhen.» Der Rekord zeigt: Anlagenbetreiber lassen sich trotz der Unsicherheiten, die das neue System vorerst noch birgt, nicht abschrecken. Æ Swissgrid verzeichnet Rekord bei KEV
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Greenpeace Energy Academy
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mit Rudolf Rechsteiner Das zweitätige Intensivseminar «Energy Academy» macht Sie mit den grundlegenden Optionen für die Energiezukunft vertraut und zeigt Zusammenhänge und Lösungen für die schweizerische Energiepolitik auf. Das Modul wird von Dr. Rudolf Rechsteiner, alt Nationalrat, Publizist und Dozent an der ETH, Uni Basel und Bern, geleitet. Neben der Einführung in die Energiepolitik entwerfen wir in kleinen Gruppen die besten Szenarien für die Zukunft, üben in einer moderierten «Arena» Argumente und werfen den Blick über die Schweizer Grenzen.
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Im Fokus
«Ein Langzeitbetriebskonzept genügt nicht» Kein Atomkraftwerk der Welt ist so lange in Betrieb wie das AKW Beznau – nämlich seit 45 Jahren. Durch den Alterungsprozess entstehen grosse Sicherheitsmängel, die mit Nachrüstungen nicht zu beheben sind. Jetzt diskutiert Bundesbern über ein Langzeitbetriebskonzept und lässt dabei einmal mehr konkrete Abschaltdaten vermissen. Dem AKW Beznau wird eine zweifelhafte Ehre zuteil: Seit 1. September ist es 45 Jahre am Netz und damit das älteste Atomkraftwerk der Welt. Fachleute sind besorgt. Für sie ist klar: Mit zunehmendem Alter steigt das Sicherheitsrisiko des Altreaktors massiv. Dieter Majer, ehemaliger Leiter der Abteilung «Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen» des deutschen Bundesumweltministeriums, kommt in einer Studie von Greenpeace Schweiz und der Schweizerischen Energie-Stiftung zum Schluss, dass die Anlage weit entfernt ist vom heutigen international geforderten Stand von Wissenschaft und Technik. Hitze, Druck und radioaktive Strahlung belasten die Bauteile. Weil die Alterungsprozesse meist nicht sichtbar sind, werden Schäden oft zufällig entdeckt. Unter anderem wurden bereits eine mangelhafte Notstromversorgung und ungenügender Schutz gegen den Absturz moderner Zivilflugzeuge festgestellt. Nachrüstungen seien nur Stückwerk, sagt Majer. Die Anlage ist für die Sechzigerjahre konzipiert worden und kann das Niveau moderner Atomtechnologie schon aufgrund des Designs nicht mehr erreichen. Viele Komponenten sind nicht ersetzbar – so auch der Reaktordruckbehälter, das Herz der Anlage. Nicht alle Stellen im AKW sind für Messungen zugänglich, Extremsituationen können nicht getestet und zusätzliche Systeme nicht räumlich getrennt eingebaut werden. Kommt hinzu, dass sich neue digitale Technologie nicht problemlos mit alter, analoger Technik verträgt.
Florian Kasser, Atomexperte von Greenpeace Schweiz, zieht ein ernüchterndes Fazit: «Das AKW Beznau ist komplett überholt und stellt eine grosse Gefahr für die Bevölkerung dar.» Besonders kritisch bewertet Kasser die Rolle der Politik. «Sie schützt in erster Linie die Interessen des Betreibers. Wirtschaftliche Interessen werden klar über die Sicherheit der Bevölkerung gestellt. Dieses Vorgehen ist fahrlässig.» Zwar hat der Bundesrat nach dem Reaktorunglück in Fukushima den Bau neuer Atomkraftwerke im Rahmen der Energiestrategie 2050 verboten, aber konkrete Laufzeitbeschränkungen für die bestehende Anlagen fehlen. «Was die Sicherheit betrifft, ist nach Fuhushima nicht viel passiert», moniert Kasser. Nun hat die Energiekommission des Nationalrats eine Art Ausstiegs-Fahrplan beschlossen, der im Kernenergiegesetz verankert werden soll. Demnach können die AKW grundsätzlich 40 Jahre betrieben werden. Sollen sie länger laufen, müssen die Betreiber ein Langzeitbetriebskonzept für jeweils zehn weitere Jahre vorlegen. Heisst konkret: Für die AKW Beznau und Mühleberg ist das Konzept ab dem Alter von 50 Jahren erforderlich, für die jüngeren Meiler ab 40 Jahren. Ein fixes Abschaltdatum ist nach wie vor nicht vorhanden. Der Kompromissvorschlag soll «steigende Sicherheit gewährleisten», sagt Initiant und CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt. Heute dürfen Schweizer Atomkraftwerke am Netz bleiben, solange sie die Aufsichtsbehörde ENSI als sicher einstuft. «Im Umkehrschluss heisst das: Wir stellen die AKW erst ab, wenn sie unsicher sind. Das kann niemand wollen», so Müller-Altermatt. «Bei der neuen Lösung soll ein AKW mit steigendem Alter immer höhere Sicherheitsauflagen erfüllen, die einen Endlosbetrieb verunmöglichen würden.»
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Das begrüsst auch GLP-Nationalrat Martin Bäumle. «Mit dem Langzeitbetriebskonzept wird es für die Betreiber technisch und wirtschaftlich immer schwieriger bis unmöglich, alte AKW ewig am Netz zu halten», sagt er. Dennoch ist Bäumle mit der Kompromisslösung nicht restlos zufrieden. «Es ist uns nicht gelungen, konkrete Abschaltzeiträume zu definieren», räumt er ein. «Denn auch mit schärferen Sicherheitsauflagen und modernster Nachrüsttechnik wird ein altes AKW nie den Standard einer neuen Anlage erreichen.» In einem Minderheitsantrag verlangt Bäumle ein letztes Langzeitbetriebskonzept nach 50 Jahren, so dass die Betriebsdauer maximal 60 Jahre beträgt.
© Greenpeace / Ex-Press / David Adair
Im Fokus
Kolumne
Das Langzeitbetriebskonzept geht der Allianz Atomausstieg deutlich zu wenig weit. «Einen Freipass für die ältesten AKW bis 50 Jahre und Endlosschleifen für die jüngeren Meiler können wir nicht akzeptieren. Das hat nichts mit einem Atomausstieg zu tun», sagt Präsident Jürg Buri. «Ein Langzeitkonzept genügt nicht. Auch mit dem besten Konzept wird ein altes AKW jeden Tag gefährlicher. Wesentliche Sicherheitselemente sind weder sanier- noch kontrollierbar.» Die von der Kommission versprochene «zunehmende Sicherheit» für alternde AKW sei ein leeres Versprechen, so Buri. «Das Gegenteil ist der Fall.» Die Allianz Atomausstieg fordert deshalb den Nationalrat auf, den Kommissionsentscheid in der Wintersession zu korrigieren. Neben dem Neubauverbot von Kernkraftwerken der Schweiz verlangt sie für die bestehenden AKW in eine Laufzeitbeschränkung auf 40 Jahre. Damit müssten die AKW Beznau und Mühleberg sofort abgeschaltet werden. Die Allianz fordert klare Kriterien für Sicherheitsanforderungen und eine verbindliche Investitionsplanung für Sicherheit bis zum Betriebsende sowie eine starke, unabhängige und kritische Kommission für nukleare Sicherheit, welche der Aufsichtsbehörde ENSI auf die Finger schaut.
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Natalie Brügger, Umweltwissenschaftlerin und angehende Primarlehrperson Während sich die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer im August über den schlechten Sommer beschwerte, steckte ich mitten in den letzten Vorbereitungen für das Energiewendefestival, das vom 4. bis 17. September 2014 in Rubigen bei Bern stattfindet. Selbstverständlich realisiere ich das Festival nicht allei© zvg ne, sondern bin Teil eines grossartigen motivierten und extrem engagierten Teams. Wir sind ein Zusammenschluss von Menschen, die mit der jetzigen Schweizer Energiepolitik nicht zufrieden sind und ein Zeichen setzen wollen. Unsere Botschaft ist so positiv wie einfach: Die Zukunft ist 100PRO erneuerbar! Doch dazu muss die Schweiz endlich politische Massnahmen ergreifen, die den Weg für eine nachhaltige Energieversorgung ebnen – für eine Energieversorgung, die das Klima, die Natur und letztendlich uns Menschen schont. Aber was heisst das genau? Nicht-erneuerbaren Energiequellen wie Gas, Kohle und Atom soll der Rücken gekehrt und erneuerbare wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse sollen gefördert werden. Der Atomausstieg soll schnell erfolgen – 30 oder gar 40 Jahre Laufzeit sind definitiv genug! Doch das alleine reicht nicht. Wir müssen einen effizienten und, um einen Rebound-Effekt zu vermeiden, suffizienten Umgang mit Energie lernen. Wie das alles gehen soll, möchten wir an unserem Festival mittels Workshops, Diskussionen und Exkur-
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sionen mit den Besuchenden aufzeigen. Wir möchten für knapp dreizehn Tage die Menschen an einem Ort zusammenbringen und vernetzen, damit wir gemeinsam über die Zukunft der Energie- und Klimapolitik der Schweiz diskutieren können. Es geht darum, die Möglichkeit zu bieten, selber aktiv zu werden. Als Höhepunkt versammeln sich am Samstag, 13. September, Hunderte von Teilnehmenden zum Menschenbild und bringen so ihre Forderung nach einer raschen Energiewende zum Ausdruck. Auch wenn es sich bei unserem Anliegen um eine ernste Sache handelt, soll der Spass auf keinen Fall zu kurz kommen – wir wollen deshalb die Energiewende am zweiten Wochenende vom 12. bis 14. September mit Musik und anderen künstlerischen Beiträgen feiern. Ich wünsche mir, dass wir möglichst vielen Menschen die Notwendigkeit der Energiewende darlegen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen können. Sie sollen das Festival voller Energie und Motivation verlassen können. Ich freue mich auf einen vielfältigen Austausch, aber auch auf ein nettes Beisammensein und die hervorragende vegane Küche! Vielleicht schaffen wir es ja, dass für Herr und Frau Schweizer der wettertechnisch unbeliebte Sommer endlich nicht mehr Gesprächsthema Nummer eins ist. 4.–17. September 2014, Rubigen bei Bern
Energiewendefestival – von Menschenstrom und Klimacamp www.energiewendefestival.ch Am Wochenende vom 12.–14. September 2014: spannende Referate und tolle Konzerte!