Serielle Kunst und Medien Are thirty better than one? Von Warhol 체ber Benjamin zur Frankfurter Schule
Masterarbeit Hochschule Mainz Stand: 24.03.2016
Inhaltsverzeichnis
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Dennis Richter Fachbereich Gestaltung Betreuer Theorie: Betreuer Praxisarbeit:
Matrikel 901991 Zeitbasierte Medien Dr. Tilman Baumg채rtel Igor Posavec
1. Einleitung
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2. Über serielle Kunst
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1. Definition serieller Kunst
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2. Geschichte serieller Kunst
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1. Claude Monet
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2. Andy Warhol
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1. Campbell's Soup Cans
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2. Death and Disaster Series
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3. Mao
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4. Thirty are better than one
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3. Sol LeWitt
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4. Peter Roehr
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5. Bernd und Hilla Becher
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3. Serialität in den Medien 1. Eadweard Muybridge
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2. Nam June Paik
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4. Serielle Kunst und Grenzbereiche in der Gegenwart
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1. Peter Dreher
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2. Damien Hirst
Seite 27
3. Andreas Gursky
Seite 28
4. Hong Hao
Seite 29
5. Chris Jordan
Seite 30
6. Ottmar Hörl
Seite 31
7. Boris Petrovsky
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3. Methodische Annäherung
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1. Identische Wiederholung
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2. Variation einer Eigenschaft
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3. Variation mehrerer Eigenschaften
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4. Typologie
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5. Dreidimensionalität
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6. Chaos
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7. Mosaik
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4. Philosophische und wissenschaftliche Betrachtungen 1. Original, Kopie und Aura 2
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Seite 40 Seite 40
1. Walter Benjamin – Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
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technischen Reproduzierbarkeit 2. Boris Groys – Die Topologie der Aura
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3. Klonen in Wissenschaft und Film
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4. Instancing am Computer
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5. Eigene Auffassung
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2. Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug 1. Eigene Auffassung 5. Weg zu einer zeitbasierten, seriellen Medienkunst (Praxisteil)
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1. Warhols kritisches Potential
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2. Potentiale der neuen Medien
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3. Einzelne Arbeiten
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1. Jesus
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2. Hellfire
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3. Radioactive
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4. Merkel-Raute
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5. Pills
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6. Christmas Balls
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7. Bananas
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6. Fazit und Ausblick
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7. Danksagung
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8. Bibliographie
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9. Eidesstattliche Erklärung
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1 Einleitung Diese Masterarbeit widmet sich dem Feld der seriellen Kunst und erforscht Bezüge zu den zeitbasierten Medien. Ziel des Praxisteils ist es, eine zeitgemäße serielle Medienkunst zu erschaffen. Die Gliederung erfolgt in folgende Hauptteile: Im ersten wird die Geschichte serieller Kunst bis in die Gegenwart betrachtet und zeitgenössische Künstler vorgestellt, die sich aktuell mit serieller Kunst beschäftigen. Es folgt eine methodische Annäherung, um die verschiedenen Spielarten des Seriellen zu erforschen. Danach werden philosophische und wissenschaftliche Fragen verfolgt, die mir im Zusammenhang mit diesem Thema als relevant erscheinen. Abschließend wird der Verlauf der Praxisarbeit ausführlich dokumentiert und ein Fazit für die Arbeit gezogen. Die Initialzündung, mich mit dieser Thematik intensiv auseinanderzusetzen, gaben mir die inspirierenden seriellen Werke von Andy Warhol. Insbesondere seine Arbeiten zu Massenproduktion und Massenmedien legten mir den Blick auf komplexe gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge frei. Im Bezug auf die zeitbasierten Medien ergeben sich hier interessante technische und philosophische Fragestellungen besonders aus Sicht unseres post-modernen Zeitalters. Seit den frühen 1960er Jahren, in denen Warhol serielle Werke wie Campbell's Soup Cans oder Thirty Are Better Than One schuf, erleben wir in der westlichen Welt den Wandel von der späten Phase des Wirtschaftswunders zur postmodernen Überflussgesellschaft. Letztere wendet sich durch den freien Meinungsaustausch im Internet zunehmend von der Wertevermittlung der meinungsbildenden MainstreamMassenmedien ab. Die Richtigkeit von Nachrichtenmeldungen wird stets in Frage gestellt und deren Realität aus alternativen Quellen recherchiert. Die sich fortwährend häufenden Wirtschaftskrisen der westlichen Welt scheinen diese Entwicklung offensichtlich weiter zu verstärken. Aus dieser Sicht heraus erscheinen mir die Thesen von Theodor W. Adorno und der Frankfurter Schule relevant für diese Arbeit. Adorno führt den Begriff der „Kulturindustrie“1 ein und meint damit alles, was wir unter Kultur verstehen, allerdings 1 HORKHEIMER, MAX / ADORNO, THEODOR W. (1944): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1988)
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in einer abgeflachten Form. Ähnlich wie bei der Abgrenzung von bildender zu rein angewandter Kunst dient Kulturindustrie einem ganz bestimmten Zweck. Kultur unter rein unternehmerischen Gesichtspunkten kann sich nicht mehr frei entfalten, sondern ist von vornherein an die Zielsetzungen der Industrie gekoppelt. Die breite Masse der westlichen Bevölkerung wird hierbei mit den lockenden Elementen von kulturellen Ereignissen in erster Linie zu Konsum verführt. Die aufklärerische, bildende Wirkung von Kultur und Kunst kann sich so nicht mehr entfalten, da bei der Kulturindustrie rein ökonomische Interessen verfolgt werden, die keine kritische Bemerkung zulassen. Medien und Werbung gehören kategorisch ebenfalls zur Kulturindustrie und hier werden hiermit offensichtlich scheinende Lügen und Halbwahrheiten in den Köpfen der Konsumenten als Wahrheiten zu etablieren. Neben dem gesellschaftlichen Wandel fand auch ein maßgeblicher technischer Wandel statt, in dem die Massenproduktion von einer einstigen Besonderheit zu einer Selbstverständlichkeit mit hohen Produktionsstandards wurde. Wenn wir uns der Frage „Are thirty better than one?“ von diesem Standpunkt aus nähern, stellt sich die Frage der Reproduzierbarkeit heute neu. So muss meiner Ansicht nach das Standardwerk Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit2 aus der Perspektive des Digitalzeitalters neu überdacht werden. Insbesondere im Bereich des digitalen Publishings stellt sich die Frage von Original und Kopie grundlegend neu. Auch die Möglichkeit des sogenannten „Instancings“ in Computerprogrammen stellt dabei eine Quelle für erkenntnisreiche Diskurse dar. Über ein Jahrhundert haben die Menschen dafür gekämpft, dass Maschinen unsere Arbeit erledigen. Dies sollte eine große Erleichterung für uns bedeuten, da menschliche Arbeitskraft in den meisten Industrien in vergangenem Umfang mehr benötigt werden. Doch diese einstige Utopie scheint sich in der Realität als akute Bedrohung zu entpuppen. Wir vergaßen die nun durch den Fortschritt arbeitslos gewordenen Menschen an den durch Rationalisierung ständig maximierten Unternehmensgewinnen zu beteiligen. Alles scheint heute privatisiert – und somit erscheint die Gesellschaft als solche zersplittert. Der Einzelne fühlt sich für seine eigenen Brüder und Schwestern oftmals schlichtweg nicht mehr sozial verantwortlich. Vor allem Massenmedien und 2 BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (In: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936)
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Massenfertigung tragen zu dieser Entwicklung bei, da soziale und umweltschutztechnische Aspekte einer unreguliert neoliberalen Haltung diametral entgegenzustehen scheinen. Wir können eine zunehmende Abwendung einer wachsenden Bevölkerungsgruppe von den gängigen Massenmedien beobachten. Im Nachtprogramm von Sendern wie ZDF und Arte finden wir zahlreiche kritische Dokumentationen, Talkshows und Polit-Satire, die uns Missstände in Politik und Gesellschaft deutlich vor Augen führen, so wie es einst der Narr dem König gegenüber tat. Dies stellt nur den Gipfel des Eisberges dessen dar, was im Internet heute offen und kontrovers diskutiert wird. Diese Thesis richtet die zentrale Fragestellung an technische, wissenschaftliche, philosophische und gesellschaftliche Aspekte. Sie will in Zeiten ausufernder Profitmaximierung Medienschaffende dazu motivieren, eine Medienethik zu entwickeln, die in der Lage ist, gegenwärtige Bedingungen mitzugestalten.
2 Über serielle Kunst 2.1 Definition serieller Kunst Serielle Kunst bezeichnet eine „zeitgenössische Kunstgattung, die mit Reihungen, Variationen, Verdoppelungen, Wiederholungen eine ästhetische Wirkung erzielt; wurde besonders von neokonstruktivistischen Künstlern hervorgebracht und bildet ein häufiges Prinzip im Bereich der Minimal-Art, der Op-Art, der kinetischen Kunst und ist auch ein Element der Videokunst.“3 „Serialität als methodisches Verfahren spielt (...) für die Kunst der Moderne und insbesondere der Postmoderne eine bedeutende Rolle.“ Sie ist „nicht erst mit oder durch die moderne industrielle Fertigungstechnik entstanden und sind nicht allein Phänomen des 19. und 20. Jahrhundert."4 3 http://www.wissen-digital.de/Serielle_Kunst 4 http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/exp/archiv/zwischenraeume7.html
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Von Claude Monet über Andy Warhol und Sol LeWitt, der per Massenfertigung hergestellte dreidimensionale Objekte im Raum anordnete, bis hin zu heutigen Medienund Internetkünstlern können wir die serielle Kunst in all ihren Spielarten betrachten. Besonders intensiv befassten sich Künstler wie der Maler und Objektkünstler Peter Roehr und der Maler und Grafiker Peter Dreher mit serieller Kunst. Im Bereich Film und Fotografie erscheinen Eadweard Muybridge und Nam June Paik als besonders relevant. Das Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher wurde für ihre typologisch (Begriff im Zusammenhang mit serieller Kunst) angelegten Fotoserien von Industrieanlagen im Bereich der seriellen Kunst bekannt. Auch in der Architektur und Architekturfotografie spielt das Thema Serialität eine große Rolle. Weiterhin finden sich Gedichte, Planskizzen/Konstruktionszeichnungen und musikalische Kompositionen, die zur Gattung der seriellen Kunst gezählt werden können. Hier wird der enge Bezug zur mathematischen Welt deutlich. Serielle Kunst ist prinzipiell an den konzeptionellen Gedanken der Serialität gebunden und nicht etwa an bestimmte Medien oder Fachgebiete. Die Definition fällt in einigen Fällen schwer, da die Grenze zum Bereich der Typologie (Zusammenhang: serielle Kunst; Erläuterung: 3.4) und zur einfachen Videomontage fließend verlaufen kann.
2.2 Geschichte serieller Kunst 2.2.1 Claude Monet Monet gilt als als Wegbereiter des Impressionismus, der sich in der Malerei im Besonderen der Darstellung von Licht und Atmosphäre widmete. Daher verdeutlichen vor allem seine Serienfertigungen die Flüchtigkeit eines Motivs. Die Variation der Lichtstimmung und Reflexionen verweist den Betrachter darauf, dass es sich bei einem Gemälde stets nur um eine Momentaufnahme handeln kann. Im Kontext von Massenfertigung und Medien stellt Monet eine eher untergeordnete Rolle dar und sei hier im Wesentlichen aufgrund seiner Pionierarbeit erwähnt. 7
Als frĂźheste Werke serieller Kunst gelten die Serien Getreideschober, (1890-91) Pappeln (1891-92) und Kathedrale von Rouen (1892-93) des franzĂśsischen Malers Claude Monet.
Claude Monet: Getreideschober, 1890-91
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Claude Monet: Kathedrale von Rouen, 1892-93
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2.2.2 Andy Warhol Andy Warhols serielle Werke bildeten den Ausgangspunkt dieser Arbeit und deshalb möchte ich sein Denken und Schaffen intensiver untersuchen. Hierzu bieten sich meiner Ansicht nach seine seriellen Werke Campbell Soup Cans, Car Crash Series, Electric Chairs und Thirty Are Better Than One besonders an. Sie warfen damals Fragen im Bereich der Massenmedien und Massenproduktion auf, die im digitalen Zeitalter erneut gestellt werden und unter den derzeitigen Bedingungen ganz neue Gesichtspunkte hervorbringen können. Warhol gilt als Mitbegründer und gleichzeitig bedeutendster Vertreter der Pop-Art und viele seiner Werke weisen seriellen Charakter auf. Wie jedoch bereits am Beispiel von Claude Monet zu erkennen ist, sollte die Kunstrichtung des Pop-Art in keinster Weise mit dem Begriff der seriellen Kunst gleichgesetzt werden. Mit dem Satz „Serial order is a method, not a style.“ des US-amerikanischen, Konzeptkünstlers, Zeichners, Malers und Kunsttheoretikers Mel Bochner aus seinem Artikel The Serial Attitude5 lässt sich diese Abgrenzung weiter fundieren. Es erweist sich als schwierig, Warhol als Künstlerpersönlichkeit einzuschätzen, da er durch viele Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet ist. Auf der einen Seite wendete er sich – vielleicht aus Frust und Überdruss – von seiner Vergangenheit als Werbegrafiker ab, um Künstler zu werden. Auf der anderen Seite zeigt er sich bei Anfragen von Auftragsarbeiten großer kommerzieller Unternehmen nicht abgeneigt. Aus einigen Zitaten lässt sich auch eine gewisse Begeisterung für die Möglichkeiten der Massenproduktion herauslesen. Trotz seiner ausgeprägten Schüchternheit scheint sein Streben nach Ruhm und Zugehörigkeit zu Celebreties kaum zu stillen. Trotz Warhols Selbstdarstellung als zutiefst oberflächliche Person, die seiner Kunst oftmals keine tiefere Bedeutung zuzuschreiben versucht, lassen sich einige Aussagen zu Massenproduktion und Massenmedien ableiten, die sich für diese Thesis als erkenntnisreich erweisen . Warhol hat also nie direkte, gesellschaftskritische Kommentare zu seinen Werken abgegeben und gab keine politischen Statements von 5 BOCHNER, MEL: The Serial Attitude (Veröffentlicht in: Artforum Magazine, 6:4 – Dezember 1967, Seite 28)
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sich, und doch sehen viele Kunstkritiker kritisches Potential in Warhols Arbeiten. Demnach können seine Zitate auch als ironisch und sarkastisch betrachtet werden. Diese Potentiale sollen innerhalb dieser Thesis weiter herausgearbeitet werden.
2.2.2.1 Campbell's Soup Cans Bei Warhols Werk der Suppendosen handelt es sich um verschiedene Ölgemälde, die entweder einzeln oder in Gruppen angeordnet sind. Wenn wir von „dem“ Campbell's Soup Cans Ausstellungsstück reden, meinen wir das serielle Gemälde 32 Campbell's Soup Cans, (1962) das aus zweiunddreißig einzelnen Ölgemälden besteht, die in rasterförmig an der Wand angeordnet sind. Perspektive und Schattierung wirken streng und flach und bilden so die Stilistik. Die Herstellungstechnik verbindet Ölmalerei mit Stempeltechniken wodurch die Bilder von Weitem identisch erscheinen – bei näherem Hinsehen lassen sich jedoch produktionstechnisch bedingte Abweichungen feststellen. Es handelt sich dabei nicht um eine einzige Geschmacksrichtung, sondern um jeweils verschiedene (Tomato Soup, Chicken Noodle Soup, Vegetable Soup). Das Gemälde 100 Cans (1962) zeigt dagegen nur eine einzige Sorte: Beef Noodle Soup. Zwei Bemerkungen Warhols sind im Zusammenhang mit der Massenproduktion interessant. Auf die Frage, warum er diese Suppendosen als Motiv wählte, gab er als Grund an: "Because I used to drink it. I used to have the same lunch every day, for 20 years, I guess, the same thing over and over again. Someone said my life has dominated me; I liked that idea."6 Dem Mythos zufolge aß Warhol also 20 Jahre lang eine Campbell Soup pro Tag. „The reason I’m painting this way is that I want to be a machine, and I feel that whatever I do and do machine-like is what I want to do.“7 Warhol will selbst zu einer Maschine werden. Jedoch bleiben Warhols Zitate auch hier frei von einer subjektiven Bewertung. 6 https://www.moma.org/learn/moma_learning/andy-warhol-campbells-soup-cans-1962 7 ANDY WARHOL - Interview with Gene Swenson, Art News (1963)
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Die Campbell Suppendose wird auch heute noch in dem damaligen Design aus den 1960er Jahren angeboten (in den Sorten Chicken Noodle Soup, Cream of Mushroom Soup), während die anderen Sorten in modernerem Design ausgeliefert werden (Stand: 05.05.2015). Eine schier endlose Palette an Sorten findet sich auf der Website von Campbell – bei meiner Recherche zählte ich knapp 300 Sorten - aufgeteilt in Kategorien wie „Chunky“, „Microwavable Soups“ und „Slow Kettle Style Soups“. Auf die heutige Zeit übertragen könnte dieses Werk innerhalb dieser Thesis als Synonym für das Phänomen der Marktübersättigung und Überproduktion stehen, der wir heute gegenüberstehen.
Andy Warhol: 32 Campbell's Soup Cans, 1962
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2.2.2.2 Death and Disaster Series (Car Crashes, Electric Chair) Dieser Werkkomplex entstand 1962-1964. Die jeweiligen Motive umfassen unter Anderem Abdrucke von Stars, die in dieser Zeit verstorben sind oder sich das Leben nahmen. Dabei handelt es sich um Pressefotos aus deren Glanzzeiten, wie beispielsweise bei Marilyn Diptych (1962) und Eight Elvises (1963). Daneben sind Werke enthalten, zu deren Ablichtungszeitpunkt Augenzeugen aufgenommen wurden, wie bei 16 Jackies (1964) oder Arbeiten, bei denen das verursachende Element des Todes abgebildet wird. Beispiele hierzu sind Orange Disaster/ Electric Chair (1963), Red Atom Bomb (1965), oder Tunafish Disaster (1963). Die Arbeiten über Autounfälle und Selbstmorde bilden hingegen in den meisten Fällen die Subjekte zum Zeitpunkt des jeweiligen Geschehnisses in ungeschönter dokumentarischer Art und Weise ab – wie es in einigen amerikanischen Zeitungen in den 60er Jahren üblich war – wie beispielsweise bei Green Disaster Ten Times (1963) oder A Woman’s Suicide (1962). Interessante Aspekte lassen sich bei vielen dieser Arbeiten in Bezug auf das Thema Massenmedien ableiten. Die schamlose Befriedigung von Schaulust durch die Presse und die Sensationsgier der Konsumenten durch die Presse oder auch der schleichende Gewöhnungseffekt – gewissermaßen eine Form der Abstumpfung – der sich bei den Betrachtern durch die zahlreiche Wiederholung einstellt. Auch der Bemerkung Warhols zu seinen Arbeiten im Zusammenhang mit dem elektrischen Stuhl lässt sich gesellschaftskritisches Potential abgewinnen.: „You'd be surprised how many people want to hang an electric chair on their living-room wall. Specially if the background color matches the drapes.“8
8 http://quotes.yourdictionary.com/author/andy-warhol/117045
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Andy Warhol: Orange Disaster/ Electric Chair, 1963
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2.2.2.3 Mao Mit Mao Zedong wählte Warhol 1972 eine politische Figur, dessen Porträt er als Vorlage für über 2000 seiner Variationen nutzte. Trotz des hohen politischen Symbolwertes bezieht der Künstler keine Position zu dem damaligen kommunistischen Führer Chinas. Das Motiv entwickelt allenfalls „entpolitisierende“ Wirkung, in dem die dargestellte Person mit dekorativ anmutenden Stilmitteln aus dem eigentlichen ideologischen Kontext herausgerissen wird. Ähnlich ging Warhol mit Marilyn Monroe in seiner Arbeit Marilyn Diptych (1962) um. Durch die massenhafte, stilisierte Darstellung scheint die Schauspielerin ihre Merkmale als Ikone zunehmend zu verlieren. Beinahe vergleichbar mit dem rein funktional anmutenden Verpackungsdruck von Kellog's, den Warhol mit seiner Arbeit Kellogg’s Corn Flakes Cereal (1978) abbildet. Die Käuferschaft seiner Siebdrucke steht deutlich in ideologischem Gegensatz zu den kommunistischen Philosophien Mao Zedongs. Warhol scheint dieses Spiel mit der Polarisation zu gefallen, wie seine bereits oben zitierte Äußerung im Zusammenhang zu Orange Disaster/ Electric Chair (1963) beweist.
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Andy Warhol: Mao Full Suite, 1972
2.2.2.4 Thirty are better than one Die Abdrucke der Mona Lisa Thirty are better than one (1963) erfahren für diese Thesis eine besondere Bedeutung, da sie einige Kernfragen rund um das Thema Original und Kopie eines Werkes aufwirft. Leonardo da Vincis Gemälde wurde hierbei beinahe in Originalgröße mit Siebdruckblechen monochrom abgedruckt und bilden das Gesamtmaß von 319,4 cm x 208,6 cm³³. Warhol setzt sich hierbei mit dem Gemälde auseinander, das als das berühmteste der Welt angesehen wird. Das Motiv wurde so oft auf Postkarten, T-Shirts, Kaffeetassen und
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anderen Bildträgern publiziert wie kein anderes. Die Frage der Bedeutung nach Original und Kopie und der vieldiskutierten Aura, die das Original-Kunstwerk umgibt, scheint besonders in der heutigen Zeit der digitalen 1:1 Kopie beachtenswert. Den Begriff der Aura führte Walter Benjamin mit seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit9 ein, auf das in einem späteren Kapitel hier noch detaillierter eingegangen werden soll. Besonders interessant erscheint in diesem Kontext, dass bis heute nicht belegt werden konnte, wer die Frau eigentlich ist, die mit diesem Bild zur Ikone wurde. Zahlreiche Mythen umgeben die Entstehung des Gemäldes. Auch der Raub und die Angriffe mit Säure und Steinwurf schienen den Ruhm dieses Werkes nur zu vergrößern. Es sollen vermutlich zwei von Leonardo Da Vinci angefertigten Gemälde existieren. Eine verbreitete Theorie besagt, dass Da Vinci eine Frau namens Lisa del Giocondo – dritte Gemahlin eines reichen florentiner Händlers – malte, jedoch das Gemälde unvollendet einbehielt und nie an ihn aushändigte. Erst Jahre später hätte er der Theorie zufolge das endgültige Bildnis – vermutlich als Neuanfertigung des Mona Lisa Gemäldes – an Giuliano II. de´ Medici vollendet. Sein Auftrag lautete, ein tröstliches Sinnbild einer Mutter für dessen Sohn Ippolito de´ Medici anzufertigen, der als unehelicher Sohn ohne seine Mutter aufwuchs. Diese Vermutung entfacht die Diskussion über Original und Kopie einmal mehr, und Warhol treibt diese Fragestellung durch seine groben, monochromen Siebdrucke gewissermaßen auf die Spitze.
9 BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (In: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936)
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Andy Warhol: Thirty are better than one, 1963
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2.2.3 Sol LeWitt Die seriellen Werke des amerikanischen Künstlers Sol LeWitt verfolgen starr mathematische und logische Gesetze, wie sie aus der Mechanik eines Computeralgorithmus stammen könnten. Auch die Herstellungstechnik seiner Arbeiten lehnt sich an Methoden der Automatisierung und Massenfertigung an. Daher erinnern seine Werke an den Konstruktivismus des Bauhauses und an die De Stijl Bewegung. Als einer der radikalsten Vertreter des Minimalismus offenbart er in dreidimensionalen, skulpturalen Arbeiten wie Serial Project, I (ABCD) (1966), und Five Cubes on TwentyFive Squares (1978) seine streng systematische Vorgehensweise. Architektur und Massenfertigung sind für LeWitt zentrale Schlüsselthemen. Sogar insoweit, dass er das Thema Massenfertigung selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Wie sich das Empfinden von Ästhetik über die Jahre verschieben kann, wird am Beispiel der Bauhausarchitektur deutlich, die heute von einer großen Masse an Bürgern eher abgelehnt wird. Monoton bis trist empfundene Ästhetik, wie man sie in der industriellen Fertigung findet, faszinierten LeWitt und bieten in der Kunst stets gesellschaftskritisches Potential.
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Sol LeWitt: Serial Project, I (ABCD), 1966
2.2.4 Peter Roehr Obschon im Alter von 23 Jahren verstorben, hinterlässt uns der deutsche Maler und Objektkünstler Peter Roehr ein umfangreiches Gesamtwerk von über 600 Einzelwerken. Sein Hang zum Seriellen ähnelt dem der Minimalisten. Strenge Strukturen und zumeist die identische Abbildung im stets gleichen Bildausschnitt aneinandergereiht. Anhand der Reflexionen lassen sich auch Verläufe innerhalb der Jahre ablesen an der Anordnung der Gegenstände in seinem Atelierraum oder Feinheiten der Wetterstimmung zum jeweiligen Zeitpunkt der Anfertigung der Malerei.
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Peter Roehr: Untitled (Fo-16), 1964
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2.2.5 Bernd und Hilla Becher Das durch seine schwarz-weiß Fotografien bekannt gewordene Künstlerpaar siedelt sich im Bereich der seriell angelegten Typologien (Begriffzusammenhang: serielle Kunst) an. Aufnahmen von Industrieanlagen verdeutlichen deren Selbstähnlichkeit und gleichzeitig ihre Vielfalt in der Varianz. Innerhalb der seriellen Kunst nehmen diese eine Sonderstellung ein und erinnern an katalogisierende Werke, wie wir sie etwa aus der Biologie her kennen.
Bernd und Hilla Becher: Gas Tanks/Gasbehälter, 1963-1983
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2.3 Serialität in den Medien Wie bereits bei einigen hier vorgestellten Künstlern zu erkennen war, lässt sich die serielle Kunst mit allen modernen Medien aufgreifen. Von den in festen Zeitintervallen aufgenommenen Fotos Eadweard Muybridges bis hin zu Videomontagen moderner Kinofilme erstreckt sich das Spektrum der Serialität. Ob nun zu Forschungszwecken oder narrativen Zwecken – die Technik lässt eine große Bandbreite an Anwendungsmöglichkeiten für Medienschaffende offen und ist gewiss noch nicht voll ausgeschöpft.
2.3.1 Eadweard Muybridge Der Pionier des Bewegtbildes experimentiert bereits seit den 1870er Jahren mit Filmstreifen, die den nachfolgenden Generationen als Bewegungsstudien für biologische oder technische Zwecke bis in unsere Tage dienen. Viele heutige 3D-Artists greifen fortwährend auf die Aufnahmen von Menschen und Tieren zu, um anatomisch korrekte Bewegungsabläufe zu imitieren. Da diese Bewegungsstudien sich als nebeneinander montierte Einzelaufnahmen präsentieren, wird ein serieller Kunstcharakter erreicht – der Künstler selbst bezeichnet sie als serielle Fotografien. Die Modifikation der jeweiligen Bilder erfolgt über den Zeitfaktor, und somit betrachten wir Variationen des selben Motives in zeitlich regelmäßig fortschreitender Abfolge. Auch wenn Muybridge in den Standardwerken zu serieller Kunst zumeist nicht erwähnt wird, steht seine Nähe zur seriellen Kunst außer Frage.
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Eadweard Muybridge: Man And Horse Jumping A Fence, 1887
2.3.2 Nam June Paik Der südkoreanische Künstler leistete im Bereich der Videokunst Pionierarbeit und setzte sich – unter anderem seriell – mit dem Medium Fernsehen auseinander. Nach seinem Studium westlicher Ästhetik wechselt er 1956 nach München. In den 1960er Jahren begann er damit, das Potential des Fernsehers als künstlerisches Medium zu entdecken. TV-Clock (1963/1989) ist eine seiner minimalistischsten seriellen Arbeiten. 24 Monitore – auf Podesten präsentiert – werden durch sequentiell gedrehte weiße Linien in zwei Hälften geteilt und repräsentieren so jeweils eine Stunde des Tages. Mit Video Flag Z (1986) zeigt Paik auf 84 Fernsehbildschirmen sich ständig verändernde Bilder aus Hollywoodfilmen, die sich aus der Ferne zum Gesamtbild der amerikanischen Flagge zusammenfügen. 24
Die Arbeit Internet Dream (1994) wurde ursprünglich von RTL Television Köln bei Nam June Paik in Auftrag gegeben. Auf 52 Monitoren werden im wechselndem Rhythmus modifizierte Bilder aus drei Videoquellen gezeigt. Mit diesem Werk sprach er sein Interesse für das Medium Internet aus, das er bereits seit 1974, während der Vorläufer des weltweiten Netzes, bekundete.
Nam June Paik: Video Flag Z, 1986
2.4 Serielle Kunst und Grenzbereiche in der Gegenwart In diesem Kapitel geht es mir darum, einen Überblick darüber zu geben, in welchen Bereichen serielle Kunst in der heutigen, postmodernen Zeit noch vorkommt. Natürlich kann die Auswahl dabei nur nach subjektivem Empfinden erfolgen und ich war dabei bemüht, ein möglichst breites Spektrum verschiedenster Umsetzungstechniken und Intensionen abzubilden.
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2.4.1 Peter Dreher Peter Dreher ist nicht nur ein Meister der Wiederholung, sondern auch der Selbstdisziplin: Er malt etwa jede Woche ein Glas – und das seit 1974. Der deutsche Maler und Grafiker schafft so ein besonderes Langzeitprojekt. Visuell zunächst monoton anmutend, entdeckt der Betrachter bei näherem Hinsehen viele zusätzliche Details. Denn in den subtilen Reflexionen und Lichtstimmungen wird uns – wie schon bei Claude Monet – vor Augen geführt, dass Gemälde stets nur eine Momentaufnahme sein können. Dreher ist vom Kerngedanken des Impressionismus inspiriert. Die Umgebungsdetails verraten uns viel über die Jahreszeit und in den Reflexionen können wir Details der Zimmerordnung erkennen, die sich über die Jahre natürlich verändert haben. Die einzelnen Malereien werden stets in serieller Anordnung nebeneinander ausgestellt. Sie vereinen so ästhetisches und konzeptionelles Potential der seriellen Kunst.
Peter Dreher: Tag um Tag guter Tag, 1974-2007
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2.4.2 Damien Hirst Weltbekannt wurde der britische Bildhauer, Maler und Konzeptk체nstler durch seine Arbeit For the Love of God (2007): Ein l체ckenlos mit Diamanten besetzter Totensch채del. Der Preis, den dieses Werk erzielte, stellt einen Rekord von 50 Millionen Pfund dar. Viele seiner Arbeiten weisen seriellen Charakter auf, wie beispielsweise seine Arbeiten Lullaby, the Seasons (2002), I Am Become Death, Shatterer of Worlds (2006) und Flumequine (2007).
Damien Hirst: L-Lyxose, 2009
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Damien Hirst: Jacob’s Ladder, 2008
2.4.3 Andreas Gursky Als deutscher Vertreter der Fotografie schafft Andreas Gursky durch seine zumeist streng geometrischen Großformate Aufnahmen, die seriellen Charakter aufweisen. Hochhausfronten, Innenaufnahmen des Stateville Gefängnisses in Illinois können als Typologien () angesehen werden, wenn man sie in seine Einzelbestandteile aufgliedert. Durch diese Fotografien wird deutlich, wo serielle Strukturen uns in unserem Alltag umgeben.
Andreas Gursky: Paris, Montparnasse, 1993
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2.4.4 Hong Hao Der chinesische Fotograf Hong Hao schafft in seinen Werken Strukturen, die Proportionen zwischen Objekten offenbaren, indem er Gegenstände nebeneinander reiht, die er während 12 Jahren konsumiert hat. Gerne lässt sich der Künstler mit ähnlichen Perücken wie der Andy Warhols ablichten und lässt so seine Begeisterung für den Pop-Art Künstler offensichtlich werden.
Hong Hao: My Things- Book Keeping of 06 B, 2007
Hong Hao: My Things- Book Keeping of 07 B, 2008
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2.4.5 Chris Jordan Der amerikanische KĂźnstler fotografiert Massen von Objekten, die als Zeichen der Wegwerfgesellschaft gesehen werden kĂśnnen. Im Gegensatz zu den anderen seriellen KĂźnstlern ergibt sich die Anordnung zumeist eher durch Zufall und wirkt daher lange nicht so stringent wie die Arbeiten von Warhol. Dennoch werden seine Arbeiten aus meiner Sicht dem Gedanken serieller Kunst gerecht.
Chris Jordan: Cell Phones, 2007
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2.4.6 Ottmar Hörl Im Bereich Skulptur bewegt sich der deutsche Künstler Ottmar Hörl. Seine Figuren stellt er gleich tausendfach her und platziert sie zum Teil auf öffentlichen Plätzen und hat sich damit weltweit einen Namen geschaffen. Unter seinen zahlreichen Werken finden sich unter anderem Hitlergruß-Gartenzwerge, die für Furore sorgten, Karl Marx, Martin Luther, bayerische Löwen und Hasen frei nach Albrecht Dürer. Die Plastiken werden danach einzeln verkauft.
Ottmar Hörl: Poisoned, 2008
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2.4.7 Boris Petrovsky Der konstanzer Künstler stellt 520 handelsübliche Winkekatzen aus einem Asia-Shop aus und bildet hiermit seine Army of Luck, 2012. Eine Armee des Glücks - aber eben doch eine Armee. Somit wirkt sie glückversprechend, zugleich allerdings auch bedrohlich. Die roberterhafte Uniformität scheint gut zu den kommunistischen Prinzipien der asiatischen Gesellschaften zu passen. Petrovsky arbeitet mit industriell hergestellten Produkten und regt die Betrachter an, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
Boris Petrovsky: Army of Luck, 2012
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3 Methodische Annäherung Aufgrund der unterschiedlichen Komplexität serieller Arbeiten möchte ich den Versuch einer methodischen Annäherung unternehmen. Von einer strikt identischen Wiederholung eines zweidimensionalen Motivs bis hin zu Grenzbereichen chaotischer Anordnungen im dreidimensionalen Raum eröffnet sich das komplette Spektrum serieller Kunst. Auch musikalische und literarische Wege wurden bestritten, um dieses Feld künstlerisch zu erforschen. In diesem Kapitel sollen durch schrittweise Komplexitätssteigerung einige Kategorien angelegt werden, um Werke entsprechend einordnen zu können.
3.1 Identische Wiederholung Als simpelste Methode einzuordnen ist die einfache sequentielle Wiederholung eines Motivs im zweidimensionalen Raum ohne jegliche Variation. Angrenzend an Muster und Tapete lassen sich monotone und starre, aber auch beruhigende Wirkungen wie beispielsweise aus der Meditation bekannter Mantras erzielen. Besonders Maschinen und Roboter streben diese immer wieder möglichst identischen Abläufe an.
Peter Roehr: Ohne Titel (123 - 6 - 65) , 1944-1968 (Bildausschnitt)
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3.2 Variation einer Eigenschaft Als Steigerung zur strikten Wiederholung eines Motivs lässt sich eine Eigenschaft des Motives über die Wiederholung hinweg schrittweise ändern. In Frage kommen beispielsweise eine schrittweise Änderung der:
–
Transformation wie beispielsweise Drehung, Skalierung, Neigung oder farblicher Abweichung
–
Abnahme der Transparenz (Vergleich: Warhol Elvis)
–
Zeit der Momentaufnahme (Vergleich: Filmrolle / Eadweard Muybridge)
Eadweard Muybridge: Cat trotting, changing to a gallop , 1887
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3.3 Variation mehrerer Eigenschaften Mehr Komplexität lässt sich durch die schrittweise Änderung mehrerer Eigenschaften des Motives hervorrufen. Dies erfordert vom Betrachter in den meisten Fällen eine längere und intensivere Betrachtung und Auseinandersetzung mit den sich abwandelnden Motiven. Ähnlich eines Bilderrätsels oder einer mathematischen Reihung lässt sich der entsprechend zugrundeliegende „Code“ oder die „Matrix“ nach einer Weile entziffern und erzeugt Glücksgefühle in uns, wenn uns dies letztendlich gelingt.
Josef Albers: Homage to the Square , ab 1950
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3.4 Typologien Eine Sonderstellung in der seriellen Kunst nehmen Typologien ein, die nur vereinzelt in dieser Gattung anzutreffen sind. Motive, die nur noch Ähnlichkeiten aufweisen, aber sich in einer Vielzahl von Merkmalen unterscheiden. Auch innerhalb der objektorientierten Programmierung finden wir Vererbungen, die aus einer spezifischen Art hervorgehen. Die „Kinder“ solcher Objekte gehören weiterhin zur Gleichen Gattung, weisen jedoch spezifische Merkmale auf, die sie von ihren „Eltern“ unterscheiden. Auch die Abbildungen, die Darwin für seine Evolutionstheorie verwendete, fallen in den Bereich der Typologie.
Bernd und Hilla Becher: Framework Houses, 1959–73
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3.5 Dreidimensionalität Prinzipiell handelt es sich hier zwar nicht um eine eigene Methode im Sinne der vorhergehenden, jedoch ergibt sich aufgrund des jeweiligen perspektivischen Standpunkts des Betrachters eine weitere Ebene, durch die die Komplexität des Werkes gesteigert werden kann. Es kann sich um dreidimensionale Objekte im zweidimensionalen Raum handeln– beispielsweise an Museumswänden und -böden, oder um die Anordnung dreidimensionaler Objekte im dreidimensionalen Raum.
Ottmar Hörl: Martin Luther: Hier stehe ich, 2010
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3.6 Chaos Ob sich mit chaotischen und zufälligen Anordnungen serieller Kunstcharakter aufrechterhalten lässt, darüber ließe sich sicherlich streiten. Oftmals befindet man sich hier schnell in einem Grenzbereich. Eine Überprüfung, ob solche Arbeiten von Künstler im Gedanken serieller Kunst entstanden sind, ist meist schon ein eindeutiger Hinweis dafür, dass sich diese dieser zuordnen lassen.
Chris Jordan: Handguns, 2007
Chris Jordan: Handguns, 2007 (Bildausschnitt)
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3.7 Mosaik Aus der Variation der jeweiligen Einzelelemente eines seriellen Kunstwerkes lässt sich analog zu einem mehr oder weniger grob aufgelÜsten Pixelbild ein Mosaik erstellen, das je nach jeweiliger Feingliederung erst mit einigem Abstand des Betrachters zum Gesamtmotiv sichtbar wird. Auf diese Art und Weise lässt sich ein konzeptueller Zusammenhang zwischen den Fragmenten und dem Gesamtbild herstellen.
Chris Jordan: Cans Seurat, 2007 (Bildausschnitt)
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4 Philosophische und wissenschaftliche Betrachtungen 4.1 Original, Kopie und Aura Serielle Kunst, die oftmals identische oder leicht abgewandelte Abbilder als Einzelelemente verwendet, im Besonderen das Werk Thirty are better than one (1963) von Andy Warhol, spielt mit der Frage nach Substanz und Identität von Original und Kopie. Besonders Leonardo da Vincis Mona Lisa wird eine das Original-Gemälde umgebende, einzigartige „Aura“ nachgesagt, von dessen Existenz Theoretiker wie Walter Benjamin überzeugt waren. Ferner behauptet er in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit10 dass diese Aura bei einer Werkkopie nicht vorhanden sein kann und somit in Zeiten technischer Reproduzierbarkeit mehr und mehr erlischt. Der Begriff Aura wird heute vor allem im Bereich der Esoterik verwendet und beschreibt eine einem jede Objekt und Lebewesen ausgehende, energetische Ausstrahlung – der Strahlkraft eines leuchtenden Körpers ähnlich. Ursprünglich stammt das Wort aus dem Griechischen und kann mit den Begriffen Luft oder Hauch übersetzt werden. Bei der Übersetzung ins Lateinische finden wir bereits die zusätzliche Assoziation des Lichtglanzes. Doch diese These wurde durch nachfolgende Theoretiker angefechtet. Boris Groys behauptet 2003 beispielsweise, dass jede Kopie eines Kunstwerkes re-originalisiert und somit re-auratisiert werden kann. Entscheidend ist für ihn, ob die Kopie in einem musealen Kontext präsentiert wird und ob der Betrachter zum Objekt hingeht anstatt es zu sich zu holen. Wir leben in einem Zeitalter, in der auch Museen damit beginnen, dreidimensionale Duplikate von Skulpturen und archäologischen Funden auszustellen, die selbst für Fachpublikum ohne Überprüfung im Labor nicht zu unterscheiden sind. 2007 werden die Tonkrieger aus der Terrakotta-Armee in Hamburg ausgestellt – und entpuppen sich 10 BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (In: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936)
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im Nachhinein als Fälschung. Hätten die Besucher Benjamins ausbleibende „auratische“ Wirkung des Originals nicht bemerken müssen? Oder zumindest das entsprechende Fachpublikum? Derartige und weitere Fragen werden ausführlich im folgenden Kapitel behandelt.
4.1.1 Walter Benjamin – Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit Walter Benjamin gilt als deutscher Pionier in der Medienforschung, auch wenn er nicht explizit als Medienwissenschaftler gesehen werden kann. Seine Thesen zu Kunst und Fotografie gelten jedoch trotzdem als Standardwerke auf diesem Fachgebiet. Durch seine Freundschaft zu Theodor W. Adorno steht er auch innerhalb des Wirkungskreises der Frankfurter Schule. Als Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Literaturkritiker, Übersetzer, freier Schriftsteller und Publizist beschäftigte sich Benjamin eindringlich mit den Werken von Kant, Hegel und der Literatur der deutschen Romantik. Als einer der ersten stellt er grundlegende philosophische Frage zu in seiner Zeit aufkommenden Medien und versucht die sich hiermit verändernde Rolle des originalen Kunstwerkes zu finden. Besonders der Fotografie schenkt er hierbei Aufmerksamkeit, da sie scheinbar gerne als eigene Kunstform gesehen werden möchte, gleichzeitig aber auch eine der wichtigsten reproduzierenden Medien ist. „Hatte man vordem vielen vergeblichen Scharfsinn an die Entscheidung der Frage gewandt, ob Photographie eine Kunst sei - ohne die Vorfrage sich gestellt zu haben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe...“11
11 BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (In: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936)
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Dieses Zitat aus seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit bringt diesen Wirkungszusammenhang auf den Punkt. Wie definiert Benjamin also das einmalige, auratische Kunstwerk, das für ihn durch keine Kopie ersetzbar ist? Für den Theoretiker hängt dies vom einmaligen Standort des Kunstwerks und des geschichtlichen Zusammenhangs ab. Ebenfalls zeichnen Unnahbarkeit, Echtheit und Einmaligkeit das auratische Original. Eine Kopie ist demnach „ortlos“ und hat im Gegensatz zum Original keine eigene Geschichte. Diese Geschichte beginnt mit Ereignissen, die ihm während seiner Erstellung widerfahren sind und setzt sich auch danach weiter fort. Das Gemälde der Mona Lisa soll ursprünglich bereits einmal als Auftragsarbeit erstellt, jedoch niemals ausgeliefert worden sein. Später dann sollte es Theorien zufolge als Vorlage für den Auftrag von Giuliano di Lorenzo de´ Medici gedient haben. Das Bild dieser imaginären Mutter sollte dem unehelichen Sohn als tröstender Ersatz für die verstorbene, echte Mutter dienen. Alterungs- und Gebrauchsspuren, die das originale Gemälde mit der Zeit erlitten hat, gehören ebenfalls zu seiner Geschichte. Zum Beispiel solche, die während des Diebstahls der Mona Lisa am 21. August 1911 aus dem Louvre in Paris entstanden sind. Benjamin sieht das Kunstwerk demnach als ein Lebewesen mit einer eigenen Geschichte, welche eine Kopie so nicht aufweisen kann. Im folgenden Zitat versucht Benjamin noch einmal seine Definition der Aura zu illustrieren: „Es empfiehlt sich, den oben für geschichtliche Gegenstände vorgeschlagenen Begriff der Aura an dem Begriff einer Aura von natürlichen Gegenständen zu illustrieren. Diese letztere definieren wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen.“12 12 BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (In: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936)
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In seinen Erfahrungsprotokollen zum Haschischgebrauch, 1930 findet sich eine weitere Beschreibung des von ihm verwendeten Aurabegriffs: „Erstens erscheint die echte Aura an allen Dingen. Nicht nur an bestimmten, wie die Leute sich einbilden. Zweitens ändert sich die Aura durchaus und von Grund auf mit jeder Bewegung, die das Ding macht, dessen Aura sie ist. Drittens kann die echte Aura auf keine Weise als der geleckte spiritualistische Strahlenzauber gedacht werden, als den die vulgären mytischen Bücher sie abbilden und beschreiben. Vielmehr ist das Auszeichnende der echten Aura: das Ornament, eine ornamentale Umzirkung, in der das Ding oder Wesen fest wie in einem Futeral eingesenkt liegt. Nichts gibt vielleicht von der echten Aura einen so richtigen Begriff wie die späten Bilder van Goghs, wo an allen Dingen - so könnte man diese Bilder beschreiben - die Aura mitgemalt ist.“13 Aus dieser Beschreibung heraus erscheint ersichtlich, dass eine in Öl nachgemalte Kopie des Gemäldes diese auratische Ausstrahlung nicht zu fassen vermag, da der Pinselstrich so hoch individuell und auf meisterlicher Erfahrung und Talent fußen. Eine Fotografie ist nicht imstande, das Material und Relief des Gemäldes zu kopieren. Was jedoch, wenn wir eines Tages tatsächlich in der Lage wären, die Mona Lisa in allen Details kopieren zu können? Die Kopie hätte weiterhin nicht die Geschichte des Originals, da diese einmalig ist und auch weiter fortgeschrieben wird. Das Original besitzt demnach eine eigene geschichtliche Zeugenschaft.
4.1.2 Boris Groys – Die Topologie der Aura Mit den Theorien von Walter Benjamin befasste sich intensiv der deutsche Medientheoretiker, Philosoph und Kunstkritiker Boris Groys. Er bezieht fast 70 Jahre nach Benjamin neue Positionen zu seinen Schriften und stellt neue Thesen zum Thema Aura auf. Er bricht die Beschreibungen Benjamins systematisch herunter und unterzieht diese einer erneuten Prüfung.
13 BENJAMIN, WALTER: Fragmente gemischten Inhalts. Autobiographische Schriften (1930); in: derselbe: Gesammelte Schriften Band VI, Frankfurt am Main 1985, S. 588
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Das Kapitel aus seinem Buch Topologie der Kunst14 bezieht sich explizit auf die Thesen Walter Benjamins zum Begriff der Aura des Originals und hinterfragt diese aus einer modernen Sicht, in der der technische Wandel weiter vollzogen ist, als noch zu Zeiten von Benjamin. Zunächst einmal stellt er im Gegensatz zu Benjamin die Kopie in das Zentrum des Interesses. Er stellt fest, dass Benjamin von einer perfekten, im Labor nicht mehr zu unterscheidenden Kopie ausgeht, die weder zu seinen Lebzeiten, noch zu unseren heutigen möglich erscheint. Gehen wir von diesem einwandfreien „Klon“ aus, würde nur das ursprüngliche Originalwerk auratisch sein, die Kopie jedoch nicht – sie bleibt nur eine physische Hülle, ist aber von Anfang an ohne Besitz einer Seele. Am Beispiel von Marcel Duchamps Ready-Mades demonstriert Groys, wie von vornherein als Kopien angefertigte, serielle Massenprodukte trotzdem den Einzug ins Museum schafften. Hier zeigt sich der Zwiespalt besonders und demnach finden wir hier Beispiele einer Benjamins zufolge auralosen Kunst. Laut Benjamin dient vor allem die Verortung des Kunstwerkes innerhalb eines geschichtlichen Gesamtzusammenhangs zur Feststellung eines auratischen Werkes. Demnach sollte sich die Aura durch ein von Anfang an als Kopie ausgestelltes ReadyMade durch die Reterritorialisierung des Kunstwerkes wiederherstellen lassen. Denn eine weitere Definition Benjamins besagt , dass sich der Betrachter für ein Originalwerk zu einem Museum oder einer Ausgrabungsstätte hinbewegen muss und das Kennzeichen einer Kopie darin besteht, dass die Kopie ihm in Form von Fotografien oder Nachbildungen nach Hause geliefert wird und dies einer Zertrümmerung der Aura des Originales zur Folge hat. Groys führt Beispiele für Künstler wie Warhol und Duchamp auf, um zu demonstrieren, dass künstlerisch mit dem Thema Original und Kopie bewusst gespielt wird und wir trotzdem Werke erhalten, die im Museum ausgestellt werden und eine eigene Geschichte besitzen. Besonders Internetkünstler werfen die Frage nach Original und Kopie für Groys auf. Er sieht eine Internetadresse als Ort des Werkes an und somit würde der Betrachter sich zu diesem Ort bewegen – ganz ähnlich eines 14 GROYS, BORIS: Topologie der Kunst (Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München 2003)
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Museumsbesuches, und demnach wäre ein Hauptkriterium für ein auratisches Original laut Benjamin gegeben.
by Michael Pederson
4.1.3 Klonen in Wissenschaft und Film Während uns das labortechnisch exakte Kopieren eines Gemäldes, einer Skulptur oder eines archäologischen Fundes bis heute noch nicht gelungen ist, können wir inzwischen jedoch die DNA-genaue Kopie eines Lebewesens im Labor vornehmen. Da sich in diesem Feld die Thesen Benjamins und Groys heranziehen lassen, möchte ich mich diesem wissenschaftlichen Feld etwas näher widmen. Bis heute wurden bereits eine Vielzahl von Säugetieren erfolgreich geklont und werden für wissenschaftliche Tests, Tierversuche eingesetzt. Die Gene von besonders talentierten Rennpferden und Spürhunden sind ebenfalls gefragt. Das Klonen eines Menschen erscheint technisch möglich, wurde bis heute jedoch aufgrund der Gesetzeslage noch nicht durchgeführt. 45
Im Film wird das Thema des Klonens immer wieder gerne thematisiert und denkt gesellschaftliche Entwicklungen durch den möglichen technischen Fortschritt entsprechend konsequent weiter. Tief unter der Erde werden beim Film Die Insel (2005) Menschen als Ersatzteillager für entsprechend wohlhabende geklont, herangezüchtet und bereitgestellt. Da es sich um vollwertige, reflexionsfähige Menschen handelt, werden diese im Glauben gehalten, eines Tages zu einem anderen Ort gelangen zu können. Dies stellt sich jedoch als ihr Sterben zur Ausschlachtung für ihren entsprechenden Klonwirt heraus. Klone aufgrund ihrer besonders herausgearbeiteten Wesensmerkmale wie beschleunigtes Lernen oder Gehorsam und Wachstum sind beim Film Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger (2002) zu sehen. Eine berühmte Pianistin wird im Film Blueprint (2003) geklont, als sie über ihre unheilbare Krankheit erfährt. Sie möchte ihr Talent in ihrem Klon weiterleben lassen. Als ihr Klon, der gleichzeitig ihre Tochter ist, über diese Geschichte erfährt, wendet er sich gegen die Pläne der „Mutter“. Innerhalb einer Gruppe von sechs identisch aussehenden Männern stellt sich beim Film Die Stadt der verlorenen Kinder (1996) einer als Original heraus. Nach der Unterrichtung des Erschaffers des Experimentes erlebt das „Original“ einen emotionalen Ausbruch und auch die Klone reagieren mit entsprechenden Gefühlsausbrüchen bei dem Gedanken an das „Besondere“ des Originals.
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4.1.4 Instancing am Computer Bei moderner 3D-Software lässt sich eine Geometrie innerhalb einer Szenerie beinahe beliebig oft instanzieren, ohne dass die Berechnungszeit des finalen Renderings extrem ansteigen würde. Die instanzierten Objekte werden als Platzhalter innerhalb der Szene angelegt und werden mit dem identischen Basemesh des „Mutterobjektes“ oder „Klonwirtes“ an anderen Koordinaten beim finalen Renderingprozess ersetzt. Interessant daran ist, dass die 3D-Oberflächenshader und -texturen vom Originalobjekt abweichen können und verschiedene nicht-destruktive Modifier enthalten. Somit erhält man durchaus verschieden anmutende 3D-Objekte, die sich innerhalb einer 3D-Szene verteilen lassen. Überzeugende Naturszenen in 3D erfordern eine enorm hohe Objektdichte mit sehr hoch aufgelösten 3D-Geometrien. Ohne Instancing würde der zur Verfügung stehende RAM- oder GPU-Speicher sehr schnell voll laufen. 3D-Software wie VUE Infinite werden für Spielfilme eingesetzt und nutzten ein effizientes Instancing-System hierfür, in der komplexe Landschaftsszenen mit vielen Bäumen, Büschen, Steinen und Gras enthalten sind.
Vue Infinite Gallery Picture (http://www.e-onsoftware.com)
Auch große Menschengruppen – genannt Crowds – lassen sich mit Instancing realisieren, da entsprechende Posen und Animationen ähnlich den 3D-Modifiern angewendet sein können und trotzdem die gleiche zugrundeliegende Basisgeometrie hierfür genutzt werden kann. 47
by Dave Fothergill
In der Praxis wird man eine kleine Auswahl von etwa einem Dutzend verschiedener Geometrien verwenden, die dann beispielsweise zufallsgesteuert über die 3D-Szenerie verstreut werden und in verschiedener Skalierung, Rotation und mit leicht abweichenden Shadern und Texturen versehen werden. Das zugrundeliegende Basemesh kann gegebenenfalls in einer seperaten Datei gespeichert werden. Änderungen an dieser Datei hat dann entsprechende Auswirkungen in allen 3D-Szenen, in denen dieses Objekt eingesetzt und instanziert wurde.Dies bietet unter anderem die Möglichkeit, einen einfachen, niedrig aufgelösten Stellvertreter (Dummy) zu verwenden und ihn nachher mit dem finalen, hoch aufgelösten 3D-Objekt zu ersetzen. So kann bei komplexen Projekten die Arbeit zwischen verschiedenen 3DArtists effizient aufgeteilt werden. Instancing ist vom einfachen Kopieren und Einfügen technisch grundlegend zu unterscheiden. Bei einem Copy & Paste Befehl wird die Geometrie im Speicher ein zweites Mal angelegt. Dies wird eventuell nötig, wenn sich die Veränderung der 3DBasisgeometrie mit 3D-Modifiern nicht mehr realisieren lässt.
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Blender 3D Software Screenshot
Innerhalb der objektorientierten Programmierung lässt sich das Instancing genauer betrachten. Technisch gesehen ist jedes Objekt, das im Computer erstellt wird, eine Instanz. Es wird jeweils von der „Blaupause“ oder der „Mutter“ aus durch den entsprechenden Funktionsaufruf erstellt. Die Instanz verfügt über bestimmte Eigenschaften, die als Variablen innerhalb der Objektinstanz abgelegt sind. Im Duden finden wir für den Begriff Instanz folgende Beschreibungen:
•
für einen Fall, eine Entscheidung zuständige Stelle (besonders eine Behörde)
•
Rechtssprache: im Hinblick auf die Reihenfolge der zur Entscheidung einer Rechtssache zuständigen Instanzen bestimmte Stufe eines gerichtlichen Verfahrens
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•
EDV: einzelne Ausprägung, Exemplar aus einer Klasse von Objekten
•
Unterinstanz: Instanz unter einer höheren Instanz
4.1.5 Eigene Auffassung Die Suche nach dem originalen Kunstwerk, das eine eigene Aura besitzen soll, erscheint innerhalb unseres Digitalzeitalters als eine besondere Herausforderung. Digital-Artists erstellen ihre Kunstwerke zum Großteil am Computer und laden ihre Ergebnisse oftmals in sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Instagram hoch, um sie einem breiterem Publikum zugänglich zu machen. Laut Walter Benjamin wäre dieser Prozess maximal expositorisch, jedoch nur minimal auratisch. Boris Groys würde den „Besuch“ der Website vielleicht noch einem Museumsbesuch versuchen gleichzusetzen, um Eigenschaften eines OriginalKunstwerkes laut Benjamin zu verteidigen. Zweifellos haben sich die Produktions- und Präsentationsprozesse seit der Zeit von Walter Benjamin grundlegend verändert. Im Bereich der Skulpturen und Gemälde sind wir nach wie vor noch nicht bei einer selbst im Labor nicht mehr zu unterscheidenden Kopiermöglichkeit angelangt. Beim digitalen Publishing über das Internet ist diese absolut identische Kopie theoretisch möglich, allerdings wird im Netz in den meisten Fällen eine Komprimierung der Filme und Bilder nach wie vor vorgenommen. Gibt es bei digital arbeitenden Gestaltern also noch ein Original-Kunstwerk? Wenn wir an Skulpturen und Gemälde denken, bleibt uns zumindest noch eine haptische Komponente, die bei den meisten Digital-Artists wegfällt. Wo können wir das „Original“ bei einer solchen Erstellung eines digitalen Kunstwerkes also noch suchen? Ist die unkomprimierte Bild- oder Videodatei als Original zu sehen, bevor es komprimiert in die Galerien im Internet wandert? Oder ist es die Source-Datei wie beispielsweise des Photoshop- oder 3D-Dokumentes, von der aus die finalen Daten generiert werden? Da in den meisten Fällen Pixeldaten und somit Kopien erstellt werden, wird die Aura eines möglichen Originals laut Benjamin ohnehin zertrümmert. Eine Verortung wäre beispielsweise mit der Speicherung auf einer heimischen Festplatte theoretisch noch gegeben, falls keine weiteren Backups der Sourcedatei vorgenommen wurden. In diesem Fall wäre diese Sourcedatei auch einmalig.
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Einer Datei, von der niemals Abbilder erzeugt wurden und stets unter Verschluß gehalten wurde, würde nach Benjamin eventuell noch eine Aura zugesprochen werden. Er hält besonders Skulpturen, die in rituellem, religiösem Kontext gebaut wurden und nie einer Öffentlichkeit präsentiert wurden und in für die Öffentlichkeit unzugänglichen Räumen lagern für besonders auratisch. Ich persönlich sehe Parallelen zu der Ausstrahlung, die wir bei als besonders charismatischen Menschen zu spüren scheinen. „To impress you must express“ äußert die trotz unterdurchschnittlicher Körpergröße und Aussehen beeindruckende Modedesignerin Edna Mode in dem Film Die Unglaublichen (2004). Allerdings muss auch diese ausstrahlende Aura beim entsprechenden Rezipienten auf fruchtbaren Boden fallen. Ein charismatischer Unternehmensgründer kann seine ausstrahlende und überzeugende Wirkung nach einem Greenwashing-Vorfall bei Umweltschützern niemals entfalten. Die entsprechende Meinungsbildung und der Wissensstand des Gegenübers sind also erhebliche Einflussfaktoren. Ebenso verhält es sich für mich bei Kunstwerken. Walter Benjamin führt Gemälde des späten Van Gogh als Beispiel für Originale mit einer besonderen Aura. Der Künstler wurde allerdings bekanntermaßen zu seinen Lebzeiten für sein Werk nicht übermäßig gewürdigt. Wurde die Aura, die seinen Gemälden innewohnt also demnach erst nach seinem Tod gesehen? Hat die Veröffentlichung in zahlreichen Kunstbüchern und die Tatsache, dass sich viele Bewunderer Van Goghs die Kunstdrucke an die Wand hängen die Aura des Originals zertrümmert? Der Kunstfälscher Wolfgang Beltrachhi geht nach wie vor durch die Medien und es ist bis heute unbekannt, wie viele seiner gefälschten Gemälde in Galerien und Museen ausgestellt sind. Beltrachhi behauptet, er habe einige Gemälde – wie etwa von Max Ernst – noch verbessert. Ohne Frage können diese Fälschungen nicht die gleiche Geschichte aufweisen, wie die entsprechenden Originale, entwickeln jedoch ihre eigene. Die Inszenierung spielt ohne Frage eine tragende Rolle bei der Präsentation von auratischen Originalen. Der Glaube des Publikums allein ist imstande, entsprechende 51
emotionale Reaktionen auszulösen, wenn es der festen Meinung ist, vor einer originalen Mona Lisa zu stehen. Eine herbe Enttäuschung wäre nur zu erwarten, wenn der Betrug sich im Nachhinein tatsächlich herausstellen ließe. Insofern verhält es sich mit der Verortung einer Aura im Kunstgegenstand selbst meines Erachtens als schwierig. Sie entsteht vermutlich eher im Betrachter selbst und bleibt auch dort weiter bestehen, wenn sie in seinem Gedächtnis dem Kunstwerk zugeordnet ist. Boris Groys weist darauf hin, wie im Post-modernen Zeitalter Kunst ganz bewusst mit Re-territorialisierungen und somit Re-auratisierungen von Werken gespielt wird. MP3Files werden von Musiklabels manchmal künstlich limitiert, um ihren Wert zu steigern. Websites verschwinden aus dem Netz und dort ausgestellte Artworks verschwinden zum Teil unwiederbringlich für immer. Eine Dokumentation mit dem Titel Unser digitales Gedächtnis – Die Speichermedien der Zukunft, 2014 demonstriert uns, auf welch dünnem Eis unsere Daten gelagert werden und momentan quasi von Haus aus mit einem engen Mindesthaltbarkeitsdatum versehen sind. Zweifellos möchte der Kunstsammler nach wie vor etwas „Echtes“, Haptisches und Einzigartiges erhalten, wenn er viel Geld für ein Kunstwerk ausgibt. Und natürlich möchte er auch nicht eines Tages die schlechte Nachricht erhalten, nur eine „billige“ Fälschung erstanden zu haben. Rein digital erstellte und veröffentlichte Internetkunst scheint nach Benjamin vom möglichen Besitz einer eigenen Aura ausgeschlossen zu sein. Der expositorische Wert ist im Gegensatz dazu allerdings maximal ausgereizt. Theoretiker unserer Zeit sehen gerade erst in der massenhaften Reproduktion den Beweis der Existenz einer Aura des entsprechenden Originals und nicht dessen Zertrümmerung (falls man bei digital erstellten Werken überhaupt noch von einem Original zu sprechen kann). Möchte man den Thesen Walter Benjamins Glauben schenken, so wäre nun also die Aura beinahe sämtlicher Kunstwerke unwiederbringlich zerstört und wir sind damit beschäftigt, Ersatzauren für zeitgenössische Kunstwerke aufzubauen. Beispielweise im Film, in dem laut Benjamin die Ausstrahlung einer realen Person schon durch die Auswahl des Mediums nicht wiedergegeben werden kann. Daher wird es notwendig, einen Starkult aufzubauen, der zumindest versuchen kann, eine Art von Aura zu 52
imitieren. Dieses Vorgehen ist bereits perfektioniert und kann in der Marketingwelt an konkreten Imagewerten gemessen werden. Der Auraverlust war also gewissermaßen der Preis für massenhafte Verbreitung und der Zugänglichkeit von Kunst für die Massen. Zertrümmerung der Aura klingt zunächst einmal nach einem sehr negativ belegten Begriff, einige Theoretiker vermuten allerdings, dass Benjamin diesen Effekt keineswegs ausschließlich negativ bewertet. Mittels des Projektes Unseen Art (www.unseenart.org), das derzeit in CrowdfundingNetzwerken angekündigt wird, werden berühmte Gemälde wie das der Mona Lisa als dreidimensionale Reliefs angefertigt. Blinde Menschen werden somit befähigt, sich durch Ertasten eine wesentlich konkretere Vorstellung von berühmten Gemälden zu machen. Diesen Menschen mag vielleicht die Aura des Originals verborgen bleiben, allerdings bietet sich Ihnen somit erstmals die Chance, Kunstwerke haptisch zu erleben.
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Quelle: www.unseenart.org
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Das Verschwinden der Aura im Sinne Benjamins stellte sich nicht als Verschwinden der Magie und Faszination der Kunst an sich heraus. Besonders ausdrucksstarke Kunst findet im Rahmen des entsprechenden Zeitgeistes nach wie vor ihren Ausdruck. Durch die massenhafte Ausbreitung über sämtliche mediale Kanäle sogar in verstärkter Form. Zeitgenössische Kunst existiert heute parallel zu historischer Kunst. Ebenso gibt es MP3-Dateien genauso wie Vinylplatten. In diesem Bereich mag vielen Sammlern die Wärme alter Vinyl-Scheiben einfach zu sehr fehlen – und diesen Menschen besteht in vielen Fällen auch weiterhin die Möglichkeit, ihre Musik auf Schallplatten zu erwerben. Das Anhören des „Originales“ wäre durch einen Konzertbesuch möglich - vorausgesetzt der Künstler lebt noch. Und bei einem Konzert werden vermutlich die charismatischen, auratischen Wellen und Schwingungen des Musikers tatsächlich besser herübergebracht. Eine Coverband ist wohl nur im Stande einen Bruchteil dieses Charismas zu übermitteln – jedoch sind wir uns beim Besuch eines Cover-Konzertes dessen bereits im Vorfeld bewusst, da uns in den meisten aller Fälle nicht eine Coverband als die entsprechend gecoverte Originalband verkauft wird. Wir passen unsere Erwartungshaltung an die entsprechende Ausgangssituation an. Und falls wir tatsächlich einmal betrogen worden sind, bleibt zu hoffen, dass wir ohne diese Kenntnis verweilen können. Sodass uns das damalige Erleben dieses für uns persönlich sehr auratischen Momentes erhalten bleiben kann. Am Beispiel der Fotografie Rue Mazarine, 1902 möchte uns der Künstler Eugène Atget demonstrieren, wie man ein Objekt von seiner Aura im Sinne Benjamins befreit. Die Aufnahme zeigt das sonst vor Leben strotzende Paris komplett menschenleer. Alles Lebendige scheint von seiner Umgebung entfernt – es bleiben nur die beinahe spurlosen Straßen und Gebäudefronten übrig, was uns angesichts der sonnigen Stimmung irriteren mag. Über diese erste vielleicht traurige Tatsache hinweggekommen, legt sich uns der Blick auf die Architektur allerdings frei – die Konzentration auf die Formen und Strukturen erscheint ebenfalls imstande, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und so fristet diese Fotografie – die ja schon aufgrund ihres medialen Wesens ohne Aura geboren wurde - aus damaliger Sicht ihr doppelt auraloses Dasein.
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Eugène Atget: Rue Quincampoix, 1900
Benjamin wirkt in seinen Ansichten radikal. Die Mona Lisa verliert in dem Moment, in dem sie in fotografierter Form die Lehrbücher erreicht, ihre Unschuld – ihre Jungfräulichkeit. Aber wenn man schon radikal sein will: Wurde der „Körper“ des Gemäldes nicht bereits schon vorher benutzt, verkauft und von Massen stundenlang 56
angestarrt? Zum Schutze der Aura hätte das Werk für immer unter Verschluss gehalten werden müssen und bestenfalls von einer Elite ausgewählter Kunstkenner in gedämpftem Licht behutsam mit den Augen abgetastet werden. Vermutlich wurde die Fotografie tatsächlich zu einer Kunstform, ohne jemals die grundsätzlichen Fragen Benjamins zu beantworten, die er zu seiner Zeit stellte. Doch haben sich Wege und Möglichkeiten gefunden, trotz beliebiger Replikationsmöglichkeit einen Kunstwert für ein Originalfoto zu notieren. Der Internetkünstler Rafael Rozendaal wurde aufgrund der beliebigen Kopierbarkeit seiner digitalen Kunst erfinderisch. Durch die Bindung an eine einzige Website-Domain schafft er einen Ort für jeweils eines seiner Werke und schafft für Kunstsammler so einen Anreiz und - wenn man so will – eine künstliche Aura. Denn nur jeweils ein Sammler kann sich die entsprechende Internetadresse kaufen und wird somit gewissermaßen offizieller Besitzer des jeweiligen „Originals“. Im Titel der Seite wird er dann auch als solcher genannt.
Rafaël Rozendaal: trying trying .com
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Wir können im postmodernen Digitalzeitalter die konkreten Definitionen der Aura laut Benjamin nutzen, um mit Authentizität zu spielen und ihre jeweilige Wirkung auf das Publikum zu überprüfen. Die Aura des Originals ist in der Postmoderne aus meiner Sicht nicht mehr notwendig, da ein zeitgenössischer Künstler kaum noch auf den Erfolg einzelner Werke aufbauen kann. Vielmehr muss er sich ständig neu erfinden und bevor er kopiert wird bereits längst fortgeschritten sein. Für mich stellt sich vor allem die Frage der Ersetzbarkeit. Herausragende Künstlerpersönlichkeiten sind nicht zu ersetzen und schwer zu kopieren. Auch Maschinen werden hier in absehbarer Zeit einen herausragenden kreativen Geist nicht ablösen können, da echte Kreativität nicht in Formeln oder Algorithmen errechnet werden kann. Diese sind schon von Natur her rational und mechanisch und bilden somit den Gegenpol zu emotionaler Sensibilität. Eine besondere auratische Ausstrahlung muss, meiner Meinung nach, heute in der Künstlerseele selbst gesucht werden. Die massenhafte Abbildung und Kopie ist nicht in der Lage, diese Ausstrahlung zu zertrümmern, da sie nach meiner Auffassung im Künstler selbst liegt und die Werke nur ein Kanal sind, um seine Aura auszustrahlen. Um auf fruchtbaren Boden zu fallen, muss allerdings bei den Rezipienten die Fähigkeit vorhanden sein, den „Glanz“ der künstlerischen Kreativität wahrzunehmen. Walter Benjamin führt Van Gogh als Beispiel auf, der erst nach seinem Tod zu Berühmtheit gelang. Auch der Zeitgeist spielt entsprechend bei der Wahrnehmung eine große Rolle und viele Künstler bleiben ihrer Zeit voraus. Ein künstlerischer Erfolg ist also demnach auratische Ausstrahlung mit entsprechender Resonanzfähigkeit des Publikums.
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4.2 Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug Das Kapitel aus der Essay-Sammlung Dialektik der Aufklärung15 von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno demonstriert, wie sich authentische Kultur und Wirtschaft von ihrer ursprünglichen Natur gegenüberzustehen scheinen. Der Begriff Kulturindustrie ist hierbei eine Wortschöpfung der Autoren und steht der authentischen Kultur gegenüber. Die Wirtschaft eignet sich durch ihre Herrschaftsstellung die Kultur mehr und mehr an, imitiert sie und versucht sie sich einzuverleiben. Doch anstatt des ursprünglichen Zweckes der Sinnstiftung und kritischen Hinterfragung der Kunst und Kultur treten die ökonomischen Interessen an erste Stelle und die Kultur wird bei voranschreitender Industrialisierung mehr und mehr zu einem „Lob des stählernen Rhythmus“16 der Produktionshallen und einer Zelebration der Standardisierung und Serienproduktion. Kultur wird also nicht nur von ihrem sinnstiftenden Zweck entfremdet und bleibt mit bestenfalls oberflächlichem Unterhaltungswert zurück, sondern bekommt wenn man so möchte gar zynischen Charakter. In vorangegangenen Generationen war zumindest das Moment der Wahrheit über das Unrecht der Machtverteilung im innersten der Kultur verborgen und somit auch der tröstende Effekt des Sich-Verstanden-Fühlens im Leid der arbeitenden Masse. In der Kulturindustrie wird diese Wirkung umgekehrt und bekommt hiermit gar sadistische Tendenzen. Das Leid der arbeitenden Massen, der Verlust des Sozialen und die Vernichtung der Umwelt werden durch das Lob der Profitmaximierung überspielt – ja gar zu einem wünschenswerten Zustand hochstilisiert und verherrlicht. Die Autoren versuchen das Ausbleiben dessen, wofür Kultur ursprünglich gedacht war in der Kulturindustrie wie folgt zu beschreiben: „Der Begierde, die all die glanzvollen Namen und Bilder reizen, wird zuletzt bloß die Anpreisung des grauen Alltags serviert, dem sie entrinnen wollte.“17 „(...) Kulturindustrie ist pornographisch und prüde.“18 15 HORKHEIMER, MAX / ADORNO, THEODOR W. (1944): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1988) 16 HORKHEIMER, MAX / ADORNO, THEODOR W. (1944): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1988 – Seite 128-176) 17 ebd. 18 ebd.
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„Das leistet die erotische Betriebsamkeit. Gerade weil er nie passieren darf, dreht sich alles um den Koitus.“19 Die Rechtfertigung dieser Verflachung „authentischer“ Kultur kann nur durch rein rational gesteuertes Unternehmens- und Konsumdenken begründet werden. Das folgende Zitat bezieht sich auf Kino und Radio, kann aber auch auf andere Industrien übertragen werden: „An seiner Verdeckung sind die Lenker gar nicht mehr so interessiert, seine Gewalt verstärkt sich, je brutaler sie sich einbekennt. (…) Die Wahrheit, daß sie nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen. Sie nennen sich selbst Industrien, und die publizierten Einkommensziffern ihrer Generaldirektoren schlagen den Zweifel an der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Fertigprodukte nieder.“20 Die Herstellung von Serien- und Massenprodukten geht einher mit dem Verlust der Individualität. Wirkliche Individualität von Menschen ist von der Marktwirtschaft nicht gewollt. Diese möchte Menschen in Zielgruppen und Marktsegmente einteilen können und wer dort nicht reinpasst, wird zum gesellschaftlichen Außenseiter erklärt und entsprechend ausgegrenzt.
4.2.1 Eigene Einschätzung Viele serielle Kunstwerke lassen sich im Lichte von Horkheimer und Adorno aus einer äußerst gesellschaftskritischen Perspektive betrachten. Während Andy Warhol sich nie politisch zu seinen Werken äußerte, zeigte er sich doch als Bewunderer von Joseph Beuys, der seinen gesellschaftspolitischen Standpunkt unmissverständlich kundtat. Die Ansichten der Frankfurter Schule, der Horkheimer und Adorno angehörten, erscheinen radikal und dystopisch, jedoch zweifelsfrei von großem Wert und Relevanz 19 ebd. 20 HORKHEIMER, MAX / ADORNO, THEODOR W. (1944): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1988 – Seite 129)
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für darauffolgende Theoretiker. Da viele serielle Werke wie zum Beispiel von Andy Warhol und Sol LeWitt den Fließbändern industrieller Produktionshallen entsprungen zu sein scheinen. Das Spiel mit dieser Imagination lassen Arbeiten wie beispielsweise Orange Disaster oder Electric Chair (1963) von Warhol in einem neuen Kontext erscheinen. Die scharfe gesellschaftlich Kritik ist die Stärke der Frankfurter Schule. Diese Denkweise ist in anderen Ländern entweder oft nicht vorhanden oder nicht für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich. Daher halte ich die Gedanken von Horkheimer und Adorno innerhalb dieser Masterarbeit in Theorie und Praxis für relevant. Der Vertreter der deutschen Industrie Peter J. Esser, bringt das fortgeschrittene Unternehmerdenken bei den Gesprächen zum Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) im Interview mit dem SWR auf den Punkt:
Peter J. Esser:
„Manche Sachen sind wahrscheinlich besser hinter geschlossenen Türen getan, äh wenn…“
Reporter:
„Das ist nicht demokratisch.“
Peter J. Esser:
„Äh ja, demokratisch ist es nicht, aber was ist schon in diesem Leben demokratisch?“ *lacht mit breitem Grinsen*
Quelle: „Im Grünen“ vom 26. November 2013 im SWR Solche Zustände scheinen nur noch mit dem entsprechenden Zynismus ertragbar zu sein und ewiges Wirtschaftswachstum rechtfertigt alle Mittel und hat sich der Ethik längst entledigt. Firmen wie adidas haben sich Kreative aus Kunst, Musik und Streetart einverleibt und sie für ihre Zwecke zu Dienern der Kulturindustrie gemacht. Ihre Kunstwerke stehen nun unter der Fahne der Profitmaximierung. Sicherlich – die Verlockung ist groß, geht jedoch laut Theodor W. Adorno stets mit der Verflachung der Kunst einher. Die freie Interpretation und bildender Auftrag geht ebenfalls unwiederbringlich verloren. 61
Der Versuch der Unternehmen, sich durch Komplizierung von Technik und Prozessen dem Konsumenten gegenüber gewissermaßen als heilig und unantastbar zu machen wird durch Insider, Hacker und Nerds zunehmend gebrochen. Wie bei dem botswanischen Film Die Götter müssen verrückt sein (1980) kann etwas an sich Einfaches wie eine Colaflasche nur als mystisch und magisch angesehen werden, wenn man die Herstellungsprozesse geistig nicht einmal ansatzweise durchdringen kann. Hierbei kann nur Aufklärung helfen, um Distanzen zu überwinden und somit Unternehmen von ihrem hohen Podest auf Augenhöhe zu holen. Wie dies gelingen kann zeigt der Toywar der international zusammengesetzten Künstlergruppe „etoy“ mit Sitz in der Schweiz. Durch die Macht des Wissens gelangen die Künstler als Individuen in eine Verhandlungsposition mit einem international agierenden Großunternehmen und können sich sogar gegen dieses durchsetzen. Solche Beispiele sollten Unternehmen vor ihrer oft überheblichen Arroganz warnen. Die Netzkunst- und Aktivistengruppe „The Yes Man“ demonstriert, wie man das Medium Fernsehen dazu nutzen kann, Firmen an ihre vielfach ausbleibende Ethik zu erinnern. Zum zwanzigsten Jahrestag der Katastrophe von Bhopal, bei der mehr als 3000 Menschen ums Leben kamen und 120.000 verletzt wurden, gibt sich ein Künstler der Gruppe (Andy Bichlbaum) als Sprecher der verantwortlichen Firma Dow Chemicals aus und spricht als ihr Vertreter in einem Live-Interview auf BBC World. Resultat der kritischen Ansprache ist ein Börsenverlust der Firma um circa 2 Milliarden Dollar. Als abschließendes Beispiel möchte ich die Künstlerin Christin Lahr aufführen, die jeden Tag einen Cent an das Bundesfinanzministerium per Onlinebanking überweist und im Verwendungszweck jeweils aufeinanderfolgend 108 Zeichen aus dem ersten Band von Karl Marxs Das Kapital übermittelt. Da jede unaufgeforderte Überweisung manuell rückgängig gemacht werden muss, lässt sich so Sand in das Getriebe des Ministeriums streuen, ohne zu Methoden wie etwa derer der RAF greifen zu müssen, deren Effizienz neben der ausbleibenden Ethik angezweifelt werden darf. Die fortschreitende Privatisierung stellt zweifellos ein Hindernis für die Entwicklung einer freien Kulturlandschaft dar und unabhängige Künstler sollten davor geschützt werden, da finanzielle Abhängigkeiten die Kunstlandschaft verzerren und Kunstwerke 62
ihrer authentischen Aura, sowie ihres bildenden Aspekts, berauben. Die Werbung übertritt ebenfalls die Grenzen zur freien Kunst, indem sie Mittel der bildenden Künste aufgreift. Jedoch übernimmt sie diese in erster Linie als Effekthascherei. Grafikdesigner möchten oft als bildende Künstler gesehen werden, bleiben jedoch in den Grenzen der angewandten Kunst stecken. Immer wenn ein kommerzieller Kunde als Auftraggeber involviert ist, geht es – ob direkt oder indirekt – um rein marktwirtschaftliche Absichten. Diese schließen einen aufklärerischen Aspekt aus und ihr Echo wird stets als Loblied der Ökonomie nachklingen. Versuche der Selbstverwirklichung der Designer und Konzepter als Konzepter werden stets vom Kunden beschnitten und verzerrt werden.
5 Weg zu einer zeitbasierten, seriellen Medienkunst (Praxisteil) 5.1 Warhols kritisches Potential Während Warhol zwar die Werbewelt verlässt, um freier Künstler zu werden, erstellt er seine Kunst hin und wieder einmal als Auftragsarbeiten für beispielsweise Mercedes, Coca Cola und BMW. Zu möglichen Interpretationen seiner Kunst verhält er sich zumeist sehr schweigsam – es lässt sich eine gewisse Faszination für Massenproduktion, wie den Campbell Suppen, interpretieren: “I used to drink it. I used to have the same lunch every day, for 20 years, I guess, the same thing over and over again.”21 Er präsentiert uns mit seiner Arbeit Campbell's Soup Cans 32 verschiedene Geschmacksrichtungen der industriell hergestellten Fertigsuppe. Mag diese Auswahlmöglichkeit noch faszinierenden Charakter entwickeln können, hat sich die Auswahl auf der Campbell-Website inzwischen verzehnfacht. Über 300 Sorten 21 ANDY WARHOL - Interview with Gene Swenson, Art News (1963)
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präsentiert die Firma in ihrem Produktportfolio. Und hier kippt aus meiner Sicht gesellschaftstechnisch etwas in unserer Zeit. Wo Menschen noch mit vier Fernsehprogrammen aufgewachsen sind, können wir heute zwischen über 100 auswählen. Im Supermarktregal erschweren uns unzählige Joghurtsorten alleine in der Geschmacksrichtung Erdbeere in einer ohnehin schon sehr beschleunigten Zeit eine Entscheidung. Die westliche Welt lebt in einem immer erdrückender werdenden Überfluss. Die Preiskämpfe fordern immer größere Opfer und die Euphorie nach dem Wirtschaftswunder ist erkaltet. Die freie Meinungsäußerung in den neuen Medien ermöglicht auch einer breiteren Massen den Zugang zu gesellschaftskritischen Themen wie zum Beispiel der Tatsache, dass der westliche Wohlstand auf der Ausbeutung strukturschwacher Länder basiert. Obwohl sich Warhol selbst als unpolitisch und unkritisch bezeichnet, entdeckte vor allem Europa in Warhols Arbeiten großes gesellschaftskritisches Potential. Sogar bezeichnet er sich selbst als höchst oberflächliche Person: “I am a deeply superficial person”22 Dies ließe sich auch als Teil seiner Selbstinszenierung deuten, Warhol würde dies demnach ganz bewusst tun, um quasi selbst zum Kunstwerk zu werden. Obwohl er häufig Motive mit hohem Symbolgehalt und politischer Bedeutung verwendet, nimmt er zu diesen niemals persönlich Stellung und somit lässt sich keine persönliche politische Haltung ablesen. In diesem Zitat lässt sich zumindest für mich persönlich eine Spur Zynismus herauslesen: "You'd be surprised how many people want to hang an electric chair on their livingroom wall. Specially if the background colour matches the drapes."23 Das gesellschaftskritische Potential Warhols möchte ich für meine eigene Praxisarbeit weiter herausarbeiten und versuchen zu verstärken. 22 ANDY WARHOL - Interview with Gene Swenson, Art News (1963) 23 ANDY WARHOL - Pop Art: A Colourful History (Viking Verlag, New York 1963)
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5.2 Potentiale der neuen Medien Während Warhol zumeist mit Siebdrucktechniken arbeitet, setzt er seine Motive gerne in den Anschnitt, um ihre potentiell unendliche Wiederholung zu betonen. Dieser Schritt lässt sich bei Video- und GIF-Loops in die Tat umsetzten, da diese für eine endlose Wiederholung ausgelegt sind. Stockvideo-Footage aus den Produktionshallen von Massenprodukten, wie man ihn beispielsweise bei www.shutterstock.com finden kann, inspirierten mich. Während Warhols Werke oft Produkte aus der Massenfertigung abbilden, wollte ich in meinen Arbeiten auf die Fließbänder der Industriegelände zurück gehen, wo diese Objekte im Endeffekt herkommen. Denn dies ist der Ort, an dem Tag und Nacht unsere Produkte, Waffen und auch Schlacht-Tiere bearbeitet werden. Der Ort, an dem immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt wird – zunehmend nur noch in der Endkontrolle.
Quelle: www.austinbroady.co.uk
Als Ausstellungsort wähle ich das Internet, an dem die animierten GIFs „verortet“ werden. Die Verbreitung der GIF-Loops findet zum Teil über soziale Kanäle wie Facebook, Twitter, Flickr, Behance, tumblr, Pinterest und Giphy statt. Meine Recherche in den bekanntesten Börsen hat ergeben, dass GIF-Loops zumeist aus einer Faszination für technische Machbarkeit hervorgehen und nur selten konzeptionelle 65
Ansätze verfolgen. Trotz einer großen Masse an Material blieben mir persönlich nur sehr wenige Animationen in Erinnerung. Die meisten Arbeiten können kurzfristig durch technische Finessen stimulieren, verschwinden allerdings schnell wieder aus dem Gedächtnis. Obwohl das animierte GIF bereits 1987 entwickelt wurde, scheint dieses sich erst langsam in der neuen Medienkunst zu etablieren und wird mehr und mehr von etablierten Künstlern als Medium entdeckt. Besonders mathematisch-illustrative Arbeiten und optische Illusionen scheinen sich offensichtlich in diesem Medium anzubieten. Einzelne herausragende konzeptionelle Arbeiten zeigen das Potential animierter GIF-Loops. Mein Ansatz möchte die Grenzen des Mediums ausloten und erhöht die ansonsten eher niedrige Bildauflösung auf ein HD-ready-Format von 1280x720 Pixeln, das innerhalb einer Website auf die jeweilige Bildschirmauflösung des Betrachters interpoliert wird. Auf diese Art und Weise gelingt es, sehr detailreiche Animationen darzustellen , um die oftmals hypnotisch anmutende Wirkung der Loops noch weiter zu intensivieren.
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5.3 Einzelne Arbeiten
5.3.1 Jesus Diese Arbeit ist von Andy Warhols Druck Crosses, 1981 inspiriert. Da ich auf eine bayrische Schule gegangen bin, fielen mir die Unmengen an Kruzifixen auf, die im Gebäude aufgehängt waren. Bei der Master-Recherche stellte ich mir ein Fließband vor, auf dem Jesus-Skulpturen in Masse von einem Industrieroboter auf das Kreuz genagelt werden. Die Aufschriften auf letzterem verraten, dass es sich zudem um eine fernöstliche Produktion handeln muss.
Abbildung zu 5.3.1 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/jesus)
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5.3.2 Hellfire Bei näherem Hinschauen lassen sich Bomben vom Typ Hellfire erkennen, die von amerikanischen Drohnen beispielsweise in Pakistan breitflächig eingesetzt werden. Amerika plant, die sogenannte Terrorbekämpfung enorm auszubauen und den Abwurf von Bomben auf potentielle Terroristen stark auszuweiten, die in der Regel rein auf Metadaten von ausgewerteten Handykommunikationen basieren und ohne richterlichen Beschluss erfolgen. Andere Länder fühlen sich unter Druck gesetzt, beim Wettrüsten mit dabei sein zu müssen und verfolgen diesen Trend ebenfalls mehr und mehr.
Abbildung zu 5.3.2 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/hellfire)
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5.3.3 Radioactive Beispiele, wie die Endlagerung im Salzbergwerk Gorleben, zeigen, auf welch dünnem Eis wir uns mit der Thematik radioaktiver Energiegewinnung bewegen. Die Abrüstung atomarer Energiegewinnung hat zwar in einigen Ländern bereits begonnen, doch ist die Frage der Entsorgung nach wie vor nicht geklärt. Bergwerke stürzen ein und Fässer beginnen zu rosten. Dieses Thema wird noch über viele Generationen hinweg hochbrisant bleiben, da die gefährliche Strahlung über eine Million Jahre hinweg bestehen bleibt. Das Unglück von Tschernobyl (1982) beschäftigt uns bis heute intensivst. Der sogenannte Sarkophag über der Unglücksstelle muss ständig erneuert werden und die Kosten sind schwindelerregend hoch, so dass zahlreiche Länder sich beteiligen müssen. Auch das neueste Projekt ist nur eine Lösung für die nächsten 100 Jahre.
Abbildung zu 5.3.3 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/radioactive)
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5.3.4 Merkel-Raute Als eine Politik der Unentschlossenheit und des taktischen Abwartens erscheint den Kritikern die politische Gesamtstrategie von Angela Merkel. Die sogenannte „MerkelRaute“ bezeichnet die Geste, mit der sie gerne in der Öffentlichkeit posiert – sie bietet viel Raum für Interpretation. Sie selbst hat sich dazu nur sehr zurückhaltend geäußert. Demnach befindet die Kanzlerin, dass sie eine gewisse Geometrie in sich birgt und ihr dabei helfe, ihren Rücken gerade zu halten.
Abbildung zu 5.3.4 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/merkel)
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5.3.5 Pills Die Herstellung von Medikamenten der Pharmaindustrie ist ohne Zweifel ein Wachstumsmarkt. Wie Dönerbuden und Bäckereien schießen sie an jeder bereits rundum versorgt erscheinenden Ecke aus dem Boden. Breitflächige Anwendung von Antidepressiva, Ritalin und Schmerzmitteln scheinen sich zur Normalität im Alltag entwickelt zu haben. Auch nicht verschreibungspflichtige, stark coffeinhaltige Tabletten können als flächendeckend etabliert betrachtet werden.
Abbildung zu 5.3.5 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/pills)
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5.3.6 Christmas Balls Mehrfach wurden Skandale bekannt, bei denen die Arbeiter jahrelang chemischen Substanzen ohne entsprechende Schutzkleidung ausgesetzt waren. In Sabbhar nahe Dhaka in Bangladesch, Südasien stürzte im April 2013 ein Fabrikationsgebäude ein – es kamen 1127 Menschen ums Leben und 2438 wurden verletzt. Der Trend hin zu BilligstProdukten heizt diese Entwicklung weiter an. Die Unternehmen, die Ihre Waren unter solchen Bedingungen herstellen lassen, weisen ihre Verantwortung zurück oder schieben diese auf den Endkunden, der solche Produkte nachfragt.
Abbildung zu 5.3.6 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/christmas)
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5.3.7 Banana Die Animation der Bananen-Fabrikation stellt eine Hommage an Warhol dar. Aufgrund der zahlreichen Meldungen über Genmanipulationen im Nahrungsmittelbereich entschied ich mich, eine komplett gerade Banane über die Fließbänder zu schicken. Normen sorgen immer wieder für Skandale: Ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Kartoffelernte wurde in der Vergangenheit vernichtet, weil Kartoffeln zu klein, groß oder unförmig waren. Laut der Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken der Europäischen Gemeinschaft darf eine Gurke der Handelsklasse „Extra“ maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen. Wir finden heute beinahe perfekt gerade Gurken in den Supermarktregalen, denn so lassen sie sich besser verpacken und im genormten Frachtraum geht es manchmal um wenige Zentimeter, die sich in der gesamten Ladung allerdings entsprechend potenzieren.
Abbildung zu 5.3.7 (Dennis Richter: www.serial-loops.de/banana)
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6 Fazit und Ausblick Internetportale wie giphy.com zeigen uns, dass ein Großteil der Ideen für zeitbasierte Loops bereits umgesetzt worden zu sein scheint. Überwiegend scheinen die Macher technische Aspekte und Effekte zu interessieren. In Facebook wird das Medium Mitte 2015 eingeführt und wie zu erwarten, finden sich zunächst verdichtete Momente von Tiervideos, Pleiten, Pech und Pannen. Jedoch auch Designer und Künstler haben das Format wiederentdeckt und versuchen die Grenzen der Endlosschleifen weiter auszuloten. Ausschnitte aus TV-Serien werden als emotionale Kommentar-Reaktion auf Facebook-Posts verwendet. Minimalistisch anmutende mathematisch-grafische Zusammenhänge scheinen die Betrachter zu faszinieren und werden mehr und mehr als Kunstform betrachtet. Einige etablierte Künstler arbeiten nun ebenfalls mit dem Medium, um ihre bestehenden Illustrationen, Fotografieren, Videos, Artworks und 3D-Animationen in Loop-Form zu präsentieren. Im post-modernen Zeitalter, in der Stile aller Epochen parallel auf der Bühne der Medien zu sehen sind, lohnt sich ein eingängiges Studium der Wurzeln der jeweiligen Kunstform, da das schwarze Loch der Beliebigkeit einen allzu schnell zu verschlingen vermag. Die Zeit des Masterstudiums ermöglichte mir die konzentrierte, forschende Arbeit an Theorie- und Praxisanteil des Themas der seriellen Kunst und den Wirkungspotentialen dieser Kunstgattung innerhalb der neuen Medien. Da kein Kunde als Auftraggeber vorhanden war, sondern alles innerhalb der staatlichen Institution der Hochschule entstand, konnte sich die Arbeit somit außerhalb der „Kulturindustrie“ ausgestalten und auf diesem Weg seine kritischen Möglichkeiten entfalten. Ich stellte einen Zusammenhang von Theodor W. Adorno und Walter Benjamin zu serieller Kunst her, nachdem ich letztere methodisch analysierte. Je nach Konfiguration lassen sich meditative bis irritierende Effekte innerhalb dieser Kunstgattung erzielen. Die besondere Herausforderung in der Praxisarbeit bestand vor allem darin, nahtlose Loops mit möglichst wenigen Einzelbildern umzusetzen, die in sich trotzdem dynamisch und variationsreich anmuten und innerhalb des Mediums Internet in einer 74
hohen Qualität funktionieren. 3D-Renderings haben sich als Technik zur Erreichung dieser Zielsetzung angeboten und aufgrund ihrer extremen Kontrollierbarkeit bei fotorealistischen Ergebnissen bewährt. Zu einem audiovisuellen Erlebnis wird die Präsentation auf der Website www.serialloops.de durch die MP3-Audioloops, die parallel zu den Videoloops laufen, jedoch ihr eigenes Timing besitzen. Hiermit verwende ich eine weitere Technik, um die extrem kurze Abfolge der Einzelbilder zu verschleiern. Besonders aufgrund der Tatsache, dass animated GIFs keine Möglichkeit besitzen, eigenes Audio einzubetten, gebe ich ihnen dies auf diese Art und Weise gewissermaßen zurück und erhalte somit nahtlose Loops, deren Darstellung von HTML5 Videos nicht durch alle Internet- und Mobilebrowser hinweg gewährleistet werden könnten. Die Inspiration aus seriellen Werken wie der von Andy Warhol und weiterer Künstler brachte mich zum Entschluss, auf das Produktionsband der Massenfertigung zurückzukehren und diese als Kunstform zu betrachten. Im Kontext zu den von mir abgebildeten Objekten sehe ich politischen Handlungsbedarf. Die Dialektik der Aufklärung hilft durch seine schonungslose Kritik dabei, die undurchdringlich erscheinende Komplexität der Industrialisierung zu durchdringen und hiermit zu „entzaubern“. Die Fokussierung auf die wesentlichen Aspekte kann Künstler auf Augenhöhe mit mächtig erscheinenden Unternehmen bringen und ihre Kreativität so kanalisieren, um einer Entdemokratisierung entgegenzuwirken. Ich demonstrierte dies an Künstlern und Hackern, die dies bereits erfolgreich praktiziert haben. Ich verlasse die Hochschule mit ausgebautem, interdisziplinären theoretischen Wissen und weiterer, konzeptioneller Praxiserfahrung im Gebiet der zeitbasierten Medien.
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7 Danksagung Ich danke meinen betreuenden Lehrkräften – zunächst Dozent Igor Posavec, der mit seinem sehr breiten, fachübergreifenden Wissen sehr interessanten künstlerischen und philosophischen Input innerhalb und außerhalb der Kurse lieferte. Weiterhin gilt mein Dank Professor Dr. Tilman Baumgärtel, der mit seinem breiten Angebot an Theoriekursen an der Hochschule einen maßgeblichen Einfluss auf meine Thesis nahm. Ich fand es immer wieder erstaunlich, dass wir an ähnlichen Themen interessiert waren – so schrieb er während der Entstehung meiner Masterarbeit ein Buch über das Thema Loops und stellte eine große Bereicherung für meine Arbeit dar. Professor Orthwein möchte ich meinen Dank für die ersten Semester des Masterstudiums aussprechen, in denen er mich bei der Orientierung unterstützte. Dem gesamten Hochschulteam und dem Studierendenwerk möchte ich für die Möglichkeit danken, mein Studium nun mit dem Mastertitel beenden zu können. Rita Oberbeck gilt mein Dank für Rechtschreibkorrektur und die große Offenheit für kreative Inspirationen aus allen kulturellen Bereichen. Abschließend möchte ich meinen Freunden und Bekannten für die entgegengebrachte Geduld während der Masterarbeit danken.
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8 Bibliographie BÜCHER ALBERRO, ALEXANDER u. STIMSON, BLAKE (Hrsg.): Conceptual Art: A Critical Anthology (MIT Press, Cambridge 1999) BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (In: Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936) BIPPUS, ELKE: Serielle Verfahren – Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism (Reimer-Mann-Verlag, Berlin 2003) DAUR, UTA: Authentizität und Wiederholung - Künstlerische und kulturelle Manifestationen eines Paradoxe (transcript Verlag, Bielefeld 2013) FEHRMANN, GISELA / LINZ, ERIKA / SCHUMACHER, ECKHARD / WEINGART, BRIGITTE: Originalkopie - Praktiken des Sekundären (DuMont Verlag, Köln 2004) GROYS, BORIS: Topologie der Kunst (Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München 2003) HORKHEIMER, MAX / ADORNO, THEODOR W. (1944): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1988) KALU, JOY KRISTIN: Ästhetik der Wiederholung – Die US-amerikanische NeoAvantgarde und ihre Performance (Transcript Verlag, Bielefeld 2013) LÜTHY, MICHAEL: Andy Warhol. Thirty Are Better Than One (Insel Verlag, Frankfurt / Leipzig 1995)
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ORLAMÜNDER, CORA: Du bist, was du isst. Wissen wir noch, wer wir sind? Lebensmittelskandale in der modernen Nahrungskultur (Diplomica Verlag GmbH, Hamburg 2008) SYKORA, KATHARINA: Das Phänomen des Seriellen in der Kunst: Aspekte einer künstlerischen Methode von Monet bis zur amerikanischen Pop Art (Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 1983)
ARTIKEL UND AUFSÄTZE BEIL, BENJAMIN / ENGELL, LORENZ / SCHRÖTER, JENS / SCHWAAB, HERBERT/ WENTZ, DANIELA: Die Serie – Einleitung in den Schwerpunkt (ZfM – Zeitschrift für Medienwissenschaft – Ausgabe 7, 2/2012, Seite 10-16) BAHLMANN, KATHARINA: Das künstlerische Experiment zwischen Fortschritt und Wiederholung (Vortrag im Rahmen der Tagung "Experimentelle Ästhetik" – Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik, Düsseldorf, 04.10.-07.10.2011) BOCHNER, MEL: The Serial Attitude (Veröffentlicht in: Artforum Magazine, 6:4 – Dezember 1967, Seiten 28–33) BURMEISTER, STEFAN: Der schöne Schein - Aura und Autehntizität im Museum (In: Martin Fitzenreiter (Hsg.): Authentizität - Artefakt und Versprechen in der Archäologie. Beiträge zu einem Workshop im Ägyptischen Museum der Universität Bonn vom 10.13. Mai 2013) MAYER, RUTH: Die Logik der Serie - Fu Manchu, Fantômas und die serielle Produktion ideologischen Wissens (POP. Kultur und Kritik – Heft 1 – Herbst 2012 – S. 136-154) MOEWES, GÜNTHER: Maschinenarbeit statt Menschenarbeit - ein Jahrtausendtraum. (In: Zeitschrift für Sozialökonomie 154./ Sept. 2007, Lütjenburg, S. 7-16)
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ZUSCHLAG, CHRISTOPH: „Die Kopie ist das Original“ - Über Appropriation Art. (In: Dejá-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube, Ausstellungskatalog Karlsruhe, Bielefeld 2012, S. 126-135) ZYBOK, OLIVER: Serialität und ästhetisches Echo (Erschienen in: Oliver Zybok (Hg.): Sven Drühl – Artistic Research. Kerber Verlag. Bielefeld 2006)
ABSCHLUSSARBEITEN FISCHER, EVA: Audio-visuelle Tendenzen. Entwicklungen in der Visualisierung elektronischer Musik und in der Clubkultur (Diplomarbeit, Universität Wien – Studiengang Kunstgeschichte 2009) http://othes.univie.ac.at/4744/1/2009-04-16_0113008.pdf HAMPP, JULIA CONSTANZE: Die „Aura“ des Originals – Wahrheit oder Mythos? (Doktorarbeit, Technische Universität München, 2014) https://mediatum.ub.tum.de/doc/1220352/1220352.pdf
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FILME Blueprint - Deutschland, 2003. Regie: Rolf Schübel Die Insel (Originaltitel: The Island) – USA, 2005. Regie: Michael Bay Die Götter müssen verrückt sein – Botswana, 1980. Regie: Jaymie Uys Die Stadt der verlorenen Kinder (Originaltitel: La Cité des enfant perdus) – Frankreich, 1995. Regie: Jeam-Pierre Jeunet, Marc Caro Die Unglaublichen (Originaltitel: The Incredibles) – USA, 2004. Pixar Animation Studios, Regie: Brad Bird Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger – USA, 2002. Regie: George Lucas Unser digitales Gedächtnis – Die Speichermedien der Zukunft – Frankreich, 2014. Regie: Vincent Amouroux
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9 Eidesstattliche Erklärung Hiermit erkläre ich, dass ich diese Thesis selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit habe ich bisher keinem anderen Prüfungsamt in gleicher oder vergleichbarer Form vorgelegt. Sie wurde bisher auch nicht veröffentlicht. Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die Arbeit mit Hilfe eines Plagiatserkennungsdienstes auf enthaltene Plagiate überprüft wird.
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Ort, Datum
Unterschrift
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