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von Mario Passini

Pandemie als Risikobeschleuniger

Der neue World Risk Report 2021 steht ganz im Zeichen der COVID-19Pandemie. Die Krise hat viele latente Risiken an die Oberfläche gespült und sie noch dazu verstärkt, wie der Bericht zeigt. Die Ergebnisse des Reports und die neue Risikolandschaft nahm das World Economic Forum zum Anlass, um einige hochrangige Manager zu einer Diskussion zu laden.

von Mag. Christian Sec

„Die Pandemie hat die Veränderungen beschleunigt, die schon für lange Zeit im Verborgenen gewachsen sind“, erklärt Saadia Zahidi, Managing Director des World Economic Forums. Die Gräben in der Gesellschaft wurden durch die Pandemie tiefer und die Welt läuft Gefahr, dass die Anstrengungen gegen Armutsbekämpfung und Ungleichheit um Jahre zurückgeworfen werden, wie der World Economic Report zeigt.

Im zweiten Quartal 2020 lag der Arbeitsstundenverlust pandemiebedingt bei einem Äquivalent von 495 Millionen Jobs – 14 Prozent der globalen Arbeitskräfte. Die Automatisierung und Digitalisierung haben sich pandemiebedingt weiter beschleunigt und verstärken die Ungleichheit in der Gesellschaft. Menschen unterscheiden sich immer mehr durch ihre digitale Autonomie und ihren Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt durch die digitalen Märkte von Morgen zu verdienen. „Digitale Analphabeten werden aus dem Arbeitsprozess aussortiert“, so Peter Giger, Chef-Risk-Officer der Zurich Insurance Group und Panelmitglied beim World Risk Report. Es wird dabei eine digitale Unterschicht entstehen. Arbeitskräfte, ohne Zugang zu digitalen Ressourcen, werden Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten verpassen. Die Umformung der Arbeitswelt durch Automation wird in den nächsten fünf Jahren 85 Millionen Arbeitsplätze kosten. Auf der anderen Seite werden dadurch 100 Millionen neue Jobs entstehen. Diese Ungleichheit müsste der Staat durch Bildungsmaßnahmen und Zugang zur Digitalisierung ausgleichen, jedoch sind die Mittel zur Bekämpfung aufgrund der staatlichen Interventionen gegen die Pandemie knapp geworden, so Giger.

Fake News bedroht Demokratien

Eine andere Seite der gesellschaftlichen Gefahr, betrifft die Ausbreitung von Fake-News. „Die Fehlinformationen gefährden zunehmend die liberalen Demokratien“, so Giger. Gesellschaften driften

auseinander und polarisieren aufgrund dessen zunehmend.

Das Misstrauen zwischen Bürgern und politischen Eliten wächst und führt auch zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen Volk und Politik. Hinzu kommt, dass die Pandemie zu einer Infodemie führt, mit unmittelbarer Gefährdung für Mensch und Leben, wie der World Risk Report zeigt. Zum Beispiel führten Falschinformationen rund um COVID-19, die besagten, dass hohe Konzentration von Alkohol die SARS-Viren zu über 700 Tote und fast 6.000 Hospitalisierungen im Iran. Falschinformationen können auch den Wiederaufschwung der globalen Wirtschaft gefährden, die nun vor allem von der Impfung abhängt, erklären die Experten des World Economic Forums.

Im Gegensatz zu der Fragmentierung der Bevölkerung hat jedoch die Pandemie auch Lösungen gezeigt, die uns bei größeren Schocks vor Verwerfungen in der Zukunft schützen. „In Zukunft brauchen wir Kooperationen, wie uns die Krise gezeigt hat, erklärt Carolina Klint, Riskmanager von Marsh. Die schnelle Entwicklung von Impfstoffen haben gezeigt, wie durch Kooperationen von Privat und Staat resiliente Gesellschaften geschaffen werden können, so Klint.

Staatsschulden steigen gefährlich

Die ökonomischen Auswirkungen der Krise könnten langfristig zu einer neuen Staatsschuldenkrise führen, erklärt dazu Guillaume Barthe Dejean, Director von SK-Holdings. „Die Staatsschuldenquote steigt nun weltweit durchschnittlich von 60 auf 70 Prozent. Das könnte eine Gefahr darstellen, wenn weiterhin die Nachfrage nicht wie erwartet anspringt, die Steuereinnahmen ausbleiben, der Dollar abwertet oder ein Nachfrageschock in China entsteht“, so Dejean. „Wir sollten nicht vergessen, dass bereits sechs Staaten 2020 in die Insolvenz geschlittert sind“. Es zeigte sich im letzWorld Risk Report 2021

Platz Top Risiken Auswirkungen Top Risiken Wahrscheinlichkeit 1. Infektionskrankheiten Extreme Wetterereignisse 2. Klimaschutzversagen Klimaschutzversagen 3. Massenvernichtungswaffen menschlich verursachte Umweltschäden 4. Verlust von biologischer Vielfalt Infektionskrankheiten 5. Knappheit von natürlichen Ressourcen Verlust von Biodiversität 6. menschlich verursachte Umweltschäden Digitale Machtkonzentration 7. Lebensunterhaltskrisen Digitale Ungleichheit 8. Extreme Wetterereignisse Zwischenstaatlicher Beziehungsbruch 9. Schuldenkrise Cybersecurity-Fehler 10. IT-Infrastrukturzusammenbruch Lebensunterhaltskrise

ten Jahr, dass Länder mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft bzw. einer positiven Handelsbilanz, wie China oder Japan die Krise besser bewältigt haben als Länder mit einem starken Handelsdefizit, wie z. B. Indonesien oder die Philippinen, so Dejean. Länder mit einem Handelsdefizit waren in ihren fiskalen Möglichkeiten viel stärker eingeschränkt. Eine weitere Gefahr betrifft die Entwicklungen von Preisblasen, so Dejean. „Wenn die Zentralbanken weiterhin in großen Umfang Anleihen kaufen, könnte dies zu Preisblasen in vielen Assetklassen führen“.

Das Platzen könnte zu einer Finanzkrise mit Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben. Auch technologische Gefahren treten durch die Pandemie mit beschleunigter Wirkung in die Ökosysteme von Unternehmen ein. Mit der hohen Geschwindigkeit der Digitalisierung und des dezentralen Arbeitens ist man diesen Gefahren noch stärker ausgesetzt. „Unternehmen sollten sich jetzt Zeit nehmen, und die Veränderungen, die in der Hitze der Pandemie gemacht wurden, prüfen und kontrollieren ob die Investments, die gemacht wurden, wirklich richtig waren“, rät Kling.

Klimagefahr im Hintergrund

Während viele Risiken durch die Pandemie verstärkt zum Vorschein und im kollektiven Bewusstsein gelandet sind,

Bedeutung der Farben Soziale Risken Umwelt Ökonomie Technologisch Geopolitisch

hat die Pandemie fast auf hinterhältige Art und Weise das dringendste Problem der heutigen Zeit ein wenig in den Hintergrund rücken lassen. Genauso wie die Pandemie ist auch die Klimafrage ein globales Risiko, welches keine Grenzen kennt. Das Versagen der Politik und der Verantwortungsträger im Bereich der Klimafrage ist, der Bewertung des Reports zu Folge gemeinsam mit der Gefahr von Infektionskrankheiten das größte globale Risiko.

Die Neubewertung und das Sichtbarwerden der sozioökonomischen Risiken könnte zu einer Verdrängung dringend notwendiger Klimainitiativen mit sich bringen, betont der Bericht. Und somit trägt die Pandemie auch indirekt zu einer Erhöhung der Gefahr bei, dass es zu einem fatalen Fehlverhalten der Politik im Bereich der Klimafragen kommen könnte. So ist das Fehlverhalten in der Klimapolitik, sowie der Verlust von Biodiversität und natürlichen Ressourcen in mittelfristiger Sicht (5 bis 10 Jahre) gemeinsam mit Massenvernichtungswaffen, der Gefahr des Staatskollaps sowie den nachteiligen Auswirkungen der digitalen Technologien, das dominante Risiko weltweit.

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