FRACHTSCHIFFREISE
Hamburg > Göteborg > Malmö > Kopenhagen > Hamburg
Ein Reisebericht von Christian Röthlisberger © 2006 by roetext | www.roetext.ch
Die Kalina Die Kalina ist ein sogenanntes Feederschiff. Die grossen Pötte bringen die Fracht aus Übersee nach Hamburg und die Feederschiffe machen die Feinverteilung in der Region. Die Kalina fährt jede Woche einmal rund um Dänemark und legt dabei an verschiedenen Häfen an, um Fracht zu bringen oder zu holen. Sie ist also ein kleiner Containerfrachter. Die grossen Überseefrachter sind über 300 m lang und transportieren gegen 6’000 Container, die Kalina ist nur 120 m lang und fasst nur 700 Container. Aber immerhin, für ein Landei wie mich ist sie ein ziemlich grosses Gerät. Die Aufbauten haben die Grundfläche eines stattlichen Einfamilienhauses und sind ca. 30 m hoch. Zuoberst ist die Brücke, wo das Schiff gesteuert wird, zuunterst der Maschinenraum, dazwischen leben die 12 Besatzungsmitglieder. Der Kapitän, die beiden Offiziere (Steuermann/ Navigator) und der Chief (der Chef-Maschinist) haben eine Einzelkabine, der Rest der Mannschaft wohnt in Zweierkabinen. Es gibt eine kleine Offiziersmesse und eine Mannschaftsmesse. Alles ist eng wie in einem Wohnwagen. Bei voller Fahrt vibriert der ganze Aufbau, das Brummen der Hauptmaschine ist ständig zu hören. Im Hafen läuft permanent der Hilfsdiesel, der die Elektrizität herstellt und das zähflüssige Schweröl aufheizt. Bei voller Fahrt erreicht die Kalina eine Geschwindigkeit von 16 Knoten (1 kn = 1.825 km/h), also 29.2 km/h.
Wann es denn losginge, fragte ich. “Morgen so um Mitternacht werden wir ablegen,” sagte er und dann verdrückte er sich mit seiner Crew an Land. Das fand ich nicht so lustig, da ich eigentlich lieber sofort losgefahren wäre. Also schaute ich mir zuerst in Ruhe meine Kabine an und setzte mich dann mit iPod und Fernglas auf die Brücke, die sich in gut 30 m Höhe befand und einen guten Rundumblick über den Hamburger Hafen bot.
Der Hafen: Ein Sightseeing-Knüller Das Treiben im Hafen entpuppte sih als Sightseeing-Knüller. Hafenanlagen soweit das Auge reicht. Riesige Kräne in Aktion, gigantische Frachtschiffe lagen in der Nachmittagssonne, tausende von Containern, aufgestapelt in verschiedenen Höhen, angeordnet in einer undurchsichtigen Ordnung, ein Gewusel von Lastwagen und Containertraktoren – kurz und gut, es gab genug zu gucken bis abends um 6, als mich der Cook zum Essen rief. Am andern Tag verholte die Kalina noch zwei mal und kurz nach Mitternacht ging die Reise los. Zuerst die Elbe hoch bis zur Nordsee, das dauerte bis zum Morgengrauen. Dann der dänischen Küste entlang, rund um die Nordspitze Dänemarks. Als erster Hafen unserer Reise legten wir in Göteborg an. Dort lagen wir ein paar Stunden. Dann ging es weiter nach Süden, nach Malmö. Dort lagen wir knappe 24 Stunden, was mir einen kurzen Landgang erlaubte. Diesen nutzte ich, um mal wieder gut zu essen, was in einem Steakhouse auch einigermassen gelang. Ausser der berühmten Savoy-Bar kriegte ich von Malmö nur soviel mit, dass es ein etwas verschlafenes Städtchen ist und ausser im Freien überall Rauchverbot herrscht, was mich gar nicht amüsierte. Aber die Savoy-Bar ist ein Bijou.
Aussen rum billiger Die Route Meine Frachtschiffreise begann in Hamburg. Der erste Offizier rief mich am Morgen im Hotel an und teilte mir mit, wo ich mich einzufinden hätte: Am Containerterminal “Toller Ort”, um spätestens 14:00 Uhr soll ich da sein, um 15:00 Uhr würden sie verholen. Verholen? Er meinte, dass das Schiff dann an einen anderen Ort im Hafen gebracht würde. Ich kam pünktlich an, wurde von einem freundlichen Philippino in Empfang genommen und in meine Kabine geführt. Dort liess ich mein Gepäck erstmal liegen und begab mich zur Brücke, wo der Kapitän und seine zwei Offiziere schon das Verholen des Schiffs vorbereiteten. So kam ich schon mal in den Genuss einer ersten kleinen Fahrt von 10 Minuten – von einem Kai zum anderen. Die Kalina wurde an einem “Parkplatz” manövriert und musste 8 Stunden warten, um am nächsten Terminal Fracht aufzunehmen. Nachdem das Schiff festgemacht war, stellte sich der Kapitän bei mir vor und sagte, sie würden jetzt alle in die Stadt auf einen kurzen Landurlaub gehen und abends um 8 wieder da sein, ich könne mich in der Zwischenzeit frei auf dem Schiff bewegen.
Von Malmö ging es am anderen Morgen weiter nach Kopenhagen, etwas mehr als 10 Seemeilen (1 Seemeile = 1.825 km). Und von dort zurück nach Hamburg – durch den Kielkanal. Als ich mir die Route ein erstes mal vom 2. Offizier auf einer Karte zeigen liess, wunderte ich mich, dass wir nicht schon bei der Hinreise nach Göteborg durch den Kielkanal gekommen waren. Der Kapitän klärte mich auf: Der Kielkanal ist nur langsam befahrbar, die Schleusen kosten Zeit und die Durchfahrt kostet eine Stange Geld – also ist aussen rum billiger und fast gleich schnell. Aha. Zudem fährt ein Frachtschiff nicht zwingend immer volle Kraft voraus. Wenn am Ankunftsort der Containerterminal erst später als die schnellstmögliche Ankunftszeit frei wird , dann wird auf Economyspeed runtergefahren und gemächlich dem Ziel entgegengetuckert. So kann die Mannschaft Arbeiten an Bord ausführen oder ausruhen. Auch auf hoher See ist “just in time” angesagt.
Die Containerterminals sind riesig, sie dehnen sich kilometerweit aus. Die unzähligen Kräne sind 80 m hohe Ungetüme, die 7/24 in Betrieb sind.
Ein Wort zu den Grössenverhältnissen: Die vier Frachtschiffe rechts im Vordergrund sind rund 250 m lang (ausser das zweite von links, das ist ein 150m-Feeder), sie belegen einen Kai von ca. 1.5 km Länge.Jedes der drei grossen Schiffe fasst um die 4’000 Container und bleibt kaum mehr als 24 Stunden im Hafen. Bei unserer nächtlichen Fahrt elbeaufwärts kreuzten wir rund fünf dieser Pötte, die in Richtung Hamburg unterwegs waren.
2004 wurden weltweit 370 Mio. Container umgeschlagen. In Hamburg allein waren es 2005 über 8 Mio., 15% mehr als im Vorjahr. Die Globalisierung wird hier plötzlich sicht- und spürbar.
Abenddämmerung in der Nordsee, ca. 10 Seemeilen vor der dänischen Küste: Im Westen geht die Sonne unter, im Osten hängt der Mond über dem Horizont. Boah... der Hammer.
Schaut und schaut und... Uns Landratten aus den Bergen fasziniert die Unendlichkeit dieses Horizonts ganz besonders. Keine Berge, keine Hügel, nichts steht im Weg rum, man hat freie Sicht bis sich der Blick verliert in der Weite. Ab und zu in der Ferne ein Schiff, aber sonst ein unendlicher Blick in die See und in den Himmel. Sitzt man hinten auf dem Schiff, zieht sich die Wasserspur diesem Horizont entgegen, löst sich irgendwann auf, verliert sich in der Unendlichkeit, wird von der See verschluckt, endet im Nichts. Sitzt man da zwei oder drei Stunden, so ist das die beruhigendste Beruhigung. Das Auge hat was zu sehen, die Sinne entspannen sich, die Gedanken schweben. Die Einfachheit dieses Bildes ist gewaltig und genügt sich selbst vollends. Es ist ein spektakuläres Bild, aber ganz ohne Hektik. Es ist ein sich dauernd veränderndes Bild, aber die Veränderung passiert mit einer angenehmen Unaufgeregtheit, die alle paar Minuten für eine neue Entdeckung gut ist – eine neue Wolke am Himmel, eine leichte Biegung der Wasserspur, ein paar Möwen im Vorbeiflug, ein Schiff als kleiner Punkt weit weg, die sinkende Sonne, die sich plötzlich im Wasser spiegelt. So sitzt man da und lässt das Buch Buch sein, schaut und schaut und schaut und schaut ...
Göteborg: Hier legen nur wenige Frachter mittlerer Grösse (ca. 2-3’000 Container) an. Hier wirken sie noch grösser, gewaltiger, majestätischer.
Die Hafeneinfahrt von Gรถteborg. Ein atemberaubender Sonnenuntergang, grosse Pรถtte gleiten wie in Zeitlupe in den Hafen hinein oder stechen in See.
Einfahrt in Malmö: Von sehr weit her sieht man dieses markante Gebäude, den “turning torso”. Architektur: Santiago Calatravas (Spanien). Höhe: 190 m. Eine superbe Landmark.
Der “turning torso” ist Schwedens höchstes Gebäude – man kann das Hochhaus auch von Kopenhagen aus sehen,aus einer Distanz von gut 15 km.
Sogenannte RoRo-Frachter: Roll on, roll of. Beladen mit Lastwagen und Autos, die das Schiff 端ber eine Heckklappe erreichen.
Oben: Riesige Windkraftanlagen vor der Küste Kopenhagens, dahinter die Oeresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden. Sie ist 15 km lang und damit eines der grössten Bauwerke Europas. Eine Überfahrt mit dem PKW kostet 31 Euro. Unten: Lotsenstation vor der Hafeneinfahrt von Göteborg.
Viel Verkehr in der Nordsee. Abst채nde zwischen den Schiffen von einem Kilometer sind schon fast Stausituationen und nur mit Radar zu bew채ltigen.
Traumberuf Kapitän Der Kapitän (mit Fernglas) und sein “Second” während der Einfahrt in die Schleuse zum Kielkanal. Der Kapitän stammt aus Norddeutschland und hat logischerweise die beste Position an Bord. Er arbeitet zwei Monate und hat dann zwei Monate frei und arbeitet dann wieder zwei Monate usw. Kein anderer Arbeitgeber könne ihm das bieten, kein anderer Vater habe so viel Zeit für seine Kinder, sagt er. Zudem verdient er sehr gut. Nicht zuletzt auch dadurch, dass er ein sog. Freifahrer ist. Er darf die Elbe ohne Lotsen befahren und kassiert deren Gage zusätzlich zu seinem Gehalt. Sein Second (links), der zweite Offizier, stammt aus der Ukraine. Er arbeitet vier Monate und hat dann 6 Wochen frei. Er verdient rund 3’000 US$. Dafür arbeitet er zwei 6-Stundenschichten täglich, meistens 7 Tage die Woche. Die Phillipinos, die auf fast allen Frachtschiffen als Matrosen und Köche anzutreffen sind, arbeiten 11 Monate, gehen dann einen Monat auf Urlaub und heuern wenn möglich gleich wieder an. Sie verdienen gegen 2’000 US$ und verlassen das Schiff nur selten.
Der Kielkanal Der Nordostseekanal, im Volksmund Kielkanal genannt, wurde nach 7-jähriger Bauzeit 1895 fertigestellt. Er ist knapp 100 km lang und hat in seiner ursprünglichen Form eine Fahrrinne von 22 m Breite. Nach zweimaligem Ausbau 1914 und 1966 verfügt er heute über eine Fahrrinne von 90 m und 11 m Tiefe. Die Schleusen in Brunsbüttel (Nordsee) und KielHoltenau (Ostsee) haben eine Länge von 310 Metern und eine Breite von 42 Metern. Das Durchschleusen der Schiffe dauert im Durchschnitt etwa 45 Minuten. Schiffe bis zu einer Länge von 56 m dürfen den Kanal ohne Lotsen befahren. Bis 82 m ist ein Lotse obligatorisch und alle grösseren Schiffe brauchen sowohl einen Lotsen wie auch speziell ausgebildete Steuerleute. Für ein grosses Schiff bedeutet die Fahrrinne von 90 Metern nicht nur bei starken Winden und dichtem Nebel eine grosse navigatorische Herausforderung. An gewissen Stellen ist die Fahrrinne so eng, dass sie nicht im Gegenverkehr befahren werden kann. Die Schiffe müssen dann an sog. Weichen warten (es gibt 12 davon), bis die entgegenkommenden Pötte vorbei sind. Die Passage des Kielkanals kostet für die grössten Schiffe rund 15’000 Euro. Da der Kielkanal als künstliche Wasserstrasse ganze Landschaften und Dörfer durchschnitten hat, sind neben den 10 gigantischen Hochbrücken sowie einem Tunnel auch noch 14 Fähren im Einsatz, die Menschen und Fahrzeuge kostenlos zum jeweils anderen Ufer bringen – rund um die Uhr. Der Kielkanal wird pro jahr von 40’000 Schiffen befahren, das macht pro Tag ca. 110 Passagen.