city - das magazin für urbane gestaltung

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2012März magazin-city.at

Fußgängerzonen

Wohnzimmer und Konfliktzonen der Stadt

Istanbul

Stadt der tausend Gesichter

Corporate Architecture

Bauen als Verführung Neugestaltung des Neuen Markts

Istanbul, Stadt der 1000 Gesichter iStockphoto

Bank Austria Campus

Visualisierung: Atelier Podrecca, Wien

Bänke und andere Stadtmöbel

Loco von All+, Design: Ivan Palmini.

Parcs Toguna von Bene.

Bene

beyer.co.at


Editorial

liebe leserinnen und leser!

Aus dem Inhalt talk Schwedenplatz erwacht Das Wohnzimmer der Stadt Flaneure im Gold-U

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planning Auto unten – Grün oben

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architecture Corporate Architecture 7 Stadtmöblierung 8 international IstanPool – die Stadt der 1000 Gesichter Clemens Holzmeister und die österreichischen Emigranten in Istanbul Ausverkauf in Venedig

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design Wenn Design türkisch spricht Gespür für Holz und Design, eine Vorschau auf Mailand

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ußgängerzonen werden oft als Wohnzimmer der Stadt bezeichnet – zum Flanieren und zum Sehen und Gesehenwerden. Fußgängerzonen entwickeln aber darüber hinaus eine enorme Wirtschaftskraft. Nicht umsonst zieht das „Goldene U“ – Kärntnerstraße-Graben-Kohlmarkt – immer mehr internationale Ketten an. Diese autofreie Zone in Wiens City ist bei den Konzernen so beliebt, dass sie in einigen Jahren um die Zone Albertinaplatz-Neuer Markt auf der einen und um BognergasseTuchlauben-Seitzergasse auf der anderen Seite erweitert wird. Irene Mayer-Kilani hat eine Stadtpsychologin gefragt, welche Bedeutung Fußgängerzonen für das Wesen einer Stadt haben, Iris Meder erlaubt sich die Frage, ob das Prinzip der Wiederbelebung der Stadtzentren trotz Booms vielleicht doch in der Krise ist. Und Ilse Huber hat sich angesehen, wie man mittels oben begrünter Garagen die Parkplatzmisere der Städte lösen und mehr Freiräume für deren

events 17. April Aus der Vortragsreihe „Junge Architektur 2012“ winkler+ruck architekten Bene Wien, Neutorgasse 4-8, 1010 Wien www.architektur-inprogress.at Bis 22.4.2012

Ausstellung Erschaute Bauten. Architektur im Spiegel zeitgenössischer Kunstfotografie MAK-Ausstellungshalle, Stubenring 5, 1010 Wien www.mak.at

Bis 29.04.2012

Ausstellung Hubert Gessner. Architekt der Arbeiterbewegung Waschsalon Karl Marx Hof Halteraugasse 7, 1190 Wien dasrotewien-waschsalon.at

Bis 04.05.2012

Ausstellung Space House Friedrich Kieslers Werk Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung Mariahilfer Straße 1B/1, 1060 Wien www.kiesler.org

Bis 25.6.2012

Ausstellung Hands on Urbanism 18502012. Vom Recht auf Grün Austellung im Architekturzentrum Wien, Museumsquartier. www.azw.at

Last, but not least zeigt unsere Design- (und Architektur)-expertin Barbara Jahn, wie schön Stadtmöblierung sein könnte. Außerdem hat sie sich in der österreichischen und der türkischen Designszene umgesehen und die erstaunliche Feststellung gemacht, dass türkische Salzstreuer und Stehlampen nicht zwingend wie Minarette aussehen müssen.

Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Roland Kanfer

zwischenraum für durchreisende

Ausgabe 2/2012 erscheint am 24.6.2012

Schwerpunkte Stadtentwicklung: Wie neue Stadtteile entstehen Hamburg die Hafencity an Alster und Elbe

Bewohner schaffen könnte – das Ja der Anrainer rund um den Neuen Markt inklusive. Waren Sie schon in Istanbul? Falls nicht: city – das magazin für urbane gestaltung war für Sie dort und hat sich die Stadt der tausend Gesichter am Schnittpunkt zwischen Europa und Asien genauer angesehen. Wie mondän, mannigfaltig und vielleicht auch modrig die Stadt am Bosporus ist und was es mit der informellen Stadt und den Gecekondus – über Nacht errichtete Häuser – auf sich hat, darüber berichtet Ilse Huber ausführlich. Andere waren auch schon in Istanbul: Der österreichische Architekt Clemens Holzmeister und mit ihm viele seiner Kollegen, die in der Nazizeit Österreich aus rassischen oder politischen Gründen verlassen mussten, bauten dort an der neuen Türkei mit. Der österreichische Fotograf Othmar Pferschy dokumentierte diesen Aufbau. Iris Meder zeichnet anhand dieser Fotos die Emigrantenszene Istanbuls und den von Holzmeister ins Land gebrachten Architekturstil nach.

Schwedenplatz: Nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf erwachen die Prozesse zur Verbesserung des vermeintlichen Platzes zwischen Schweden- und Salztorbrücke. Bis Ende des Jahres soll es einen Gestaltungswettbewerb geben.

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en wirklichen Platz findet man nur als Adresse im Stadtplan vor: In der Realität bietet sich ein Bild, das von den wenigsten Wienerinnen und Wienern als „Ort des Verweilens“ wahrgenommen wird, sondern als Areal, das man so schnell wie möglich zu queren versucht, wie Vizebürgermeisterin und Planungsstadträtin Maria Vassilakou Ende letzten Jahres meinte. Gegenwärtig stellt der prominente Stadtabschnitt SchwedenplatzMorzinplatz maximal für Durchreisende eine Annehmlichkeit dar: Kaum etwas hält einen auf. Das ist natürlich überzogen formuliert, denn das Denkmal für die Opfer des Faschismus hat eine historisch mahnende Strahlkraft. Hier befand sich das GestapoHauptquartier. Diese dunkle Periode ist nur ein Zeitabschnitt in der langjährigen Geschichte des Ortes. Hier überlagern sich unterschiedliche stadtprägende Gestaltungen. So spricht man hier gern auch vom ‚Tor zur Stadt’, von der ‚Feierzone für Gäste des Bermudadreiecks’ und von der ‚Schiffsanlegestelle’ – aber letztlich bleibt der Ort als Zwischenraum in Erinnerung.

Institutionen wie der Wirtschaftskammer, den Wiener Linien, Wien Tourismus und der Kunst im Öffentlichen Raum statt. Damit sollen von Anbeginn an alle ins Planungsboot geholt werden. Darüber hinaus legen die Stadtverantwortlichen auch auf Bürgerbeteilung Wert. Das betrifft dann nicht nur die Gestaltungsinhalte, sondern auch die Ausdehnung des Projektgebietes selbst: „Wohl befindet sich das Planungsareal auf öffentlichem Grund des ersten Bezirks, kommen aber An-

I ilse huber

regungen, die auch den Übergang zum zweiten Bezirk thematisieren, sind wir in dieser Phase dafür noch sehr offen“, meint man im Büro Vassilakou. Das Ziel für den Ort ist klar: Steigerung der Aufenthaltsqualität. Ob da tatsächlich eine Freiraumgestaltung oder eine Verbauung als Ergebnis herauskommt, ist offen. „Hauptsache der Raum ist für die Öffentlichkeit zugänglich.“ Es sei durchaus möglich, ein Museum zu errichten. Diskussionen um den Umzug des Wien-Muse-

ums stehen nach wie vor im Raum, doch sind da bis dato noch keine Entscheidungen gefallen. Wie auch immer die Vorschläge zur Umgestaltung des Gebietes Schwedenplatz-Morzinplatz ausfallen werden, am Ende des Jahres werden die „Bürger und Experten Grundlagen dafür geliefert haben, um einen Wettbewerb ausschreiben zu können“, zeigt man sich im Büro von Planungsstadträtin Vassilakou überzeugt.

Ideenwettbewerb mit ­offenem Ausgang Das soll sich jetzt ändern. Die Stadt möchte die Neugestaltung dieser Eingangstore angehen, um dem Gebiet einen einladenden Charakter zu verleihen, kündigte Vassilakou an. Mitte März fand dazu ein Start-Up Treffen mit Vertretern der Stadt und betroffener Kein Platz zum Verweilen: Der Schwedenplatz ist ein Areal, das man so schnell wie möglich zu queren versucht. WIKIMEDIA

Archiv

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talk das wohnzimmer der stadt FuSSgängerzonen in zentralen Lagen sind das Aushängeschild der Stadt. Gestaltung und Design, aber auch das wirtschaftliche Potenzial ­spielen ­dabei eine große Rolle.

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inkaufsbummel ohne Autolärm, gemütliches Flanieren, Pause in einem der Cafés - all dies macht das Flair autofreier Straßen mitten in der Stadt aus. Neben renommierten Traditionsgeschäften und prachtvollen historischen Gebäuden prägen mit den H&Ms, Zaras und Benettons dieser Welt immer mehr Ketten das Stadtbild. Kritische Stimmen warnen indes davor, dass auch die Wiener Innenstadt bald aussehen könnte wie jede andere europäische Metropole.

Mehr Kreativität gefragt Besonders in Zeiten knapper werdender Budgets seien aber mehr Kreativität und Witz gefragt, um die Nutzung des öffentlichen Raums zu variieren, meint die Wiener Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer. Als positives Beispiel führt sie den Times Square in New York an, der vor drei Jahren zur Fußgängerzone umgestaltet wurde. Zwischen der 42. und der 47. Straße ist die Haupt-Touristenattraktion der Millionenstadt seither für den Durchgangsverkehr gesperrt. Außer Fußgänger sind nur noch Skater und Radler auf dem berühmtesten Abschnitt des Broadways zugelassen. Beispiel Kärntner Straße: Diese Fußgängerzone feiert heuer ihr 38-jähriges Bestehen. Die neu gestaltete Fußgängerzone in der Kärntnerstraße bezeichnet die Stadtpsychologin als „erfolgreiches Konzept“. Auch wenn sie die Sitzmöglichkeiten als nicht gelungen empfindet. „Das Design und die Anordnung der Bänke wirken nicht sehr einladend. Besonders für ältere Menschen sind die Sitze mit den niedrigen Rückenlehnen sehr unbequem“, kritisiert Ehmayer. „Sie können Bänke so aufstellen, dass man leicht ins Gespräch kommt, aber auch so, dass man Interaktionen verhindert“, erläutert die Stadtpsychologin.

I irene mayer-kilani

Raum für Neues Das Konzept von Architekt Clemens Kirsch, der den 2007 von der Stadt Wien ausgelobten Wettbewerb zur Neugestaltung der Fußgängerzone Wien City gewonnen hatte, ging auf. Durch die Konzentration der Schanigärten auf jeweils einer Straßenseite sei ein einheitliches Bild entstanden. Die Architekten wollten bewusst eine „Verhüttelung“ mit zu vielen Schanigärten und Gastronomie verhindern. „Ich finde es gut, manche Dinge offen zu halten, um Raum und Platz für Neues zu lassen“, sagt Kirsch. Ehmayer bestätigt, dass gerade Freiräume eine zentrale Funktion von Fußgängerzonen seien – das habe auch positive „gesundheitliche Effekte für die Menschen.“

In der Weihnachtszeit besonders beliebt: Die neu gestaltete Fußgängerzone und Einkaufsmeile Kärntnerstraße. Kronsteiner/PID

Flaniermeilen mit Nobelboutiquen

Neues Konzept Shared Space

Bis Ende 2013 soll die Fußgängerzone der Innenstadt auf die Bognergasse und die Seitzergasse ausgedehnt werden. Nach jahrelangen Streitereien um die Neugestaltung fiel zu Jahresbeginn der Startschuss für die Bauarbeiten. Es soll eine Flaniermeile mit Nobelboutiquen von Prada, Moet Hennessy, Louis Vuitton bis Armani entstehen. Diese Erweiterung der Fußgängerzone sei ein wichtiger wirtschaftlicher Impuls für die Innenstadt, betont die Bezirksvorsteherin. Für Fußgänger soll es ausreichend Sitzmöglichkeiten geben. Die Kosten für Neugestaltung in der Höhe von 1,5 Millionen Euro wird die Immobiliengruppe Signa Holding von Rene Benko übernehmen. Die Luxushotelkette Park Hyatt zieht in die ehemalige Länderbank-Zentrale am Wiener Hof ein. Investor Benko hatte das Gebäude bereits 2008 erworben, und im ver­ gangenen Sommer den Vertrag mit Park Hyatt in Zürich unterzeichnet.

Die Trends in der Stadtplanung gehen mittlerweile weg von reinen Fußgängerzonen. „Stadt fair teilen“ lautet das Motto, mit dem

Einladender, heller Charme für die Meidlinger Hauptstraße.

Felix Holzapfel-Herziger für WES & Partner

Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer „derschmidt“

> Innenstädte stehen symbolisch für das ­Wesen der Stadt. < sich die Stadt Wien um Qualität und Erhöhung der Chancengleichheit im öffentlichen Raum, der für alle Menschen offen stehen soll, bemüht. Ausreichend breite und barrierefreie Gehwege, sichere Querungen, Bänke fürs Rasten und Verweilen – all dies sind nur einige Maßnahmen für ein besseres Wohlgefühl. Eine Vorreiterrolle bei dem Shared Space genannten Planungkonzept spielen Städte und Gemeinden in Belgien, Dänemark, Deutschland, England und den Niederlanden, die dieses Konzept realisiert haben. In der aktuellen Wiener Diskussion zur Neugestaltung der Mariahilferstraße, die keine klassische

Fußgängerzone wird, wurde auch über das Shared Space - Konzept nachgedacht. Davon hält die Wiener Planungs- und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou allerdings nichts. Denn der Durchzugsverkehr soll weitgehend verbannt werden. Eine von der Stadt in Auftrag gegebene Passanten-Umfrage unterstützt die Pläne: Die Mehrheit der Befragten beklagte vor allem an stark frequentierten Tagen – den Platzmangel für Fußgänger. Unklar sei auch, wie sich eine Gesamtsperre auf die angrenzenden Bezirke auswirken würde. Wobei Sperre relativ ist: Querverkehr, Öffis und Radler könnten auf der Einkaufsmeile weiterhin erlaubt bleiben. Vassilakou wünscht sich auf alle Fälle eine fahrradfreundliche Straße. Die Detailplanung für die Beruhigung der größten Einkaufsstraße Österreichs ist inzwischen angelaufen. Der Zeitpunkt für die Umgestaltung der Straße ist jedoch noch offen. Noch 2012 soll die Neugestaltung der Fußgängerzone Meidling in Angriff genommen werden. Die Kosten dafür betragen rund 20 Millionen Euro. Das Hamburger Architekturbüro WES International plant einen „Teppich“ aus grau-ockerfarbenen Granitplatten, behutsame Möblierung und Einrichtungen, Trinkbrunnen, „Wasserspiele“ unter dem PlatanenHain, sowie einen unterschiedlich nutzbaren „Laufsteg“. Versprochen werden Plätze und Orte mit einem „einladenden, hellen Charme“. Immobilienmakler werben schon vorab mit der höheren Lebensqualität in der Fußgängerzone, was sich bereits in den Mietpreisen niederschlägt.

Zahlen I Daten I Fakten Bereits in den 1960er-Jahren wurden verschiedene Planungen für Fußgängerzonen in der Inneren Stadt diskutiert. Vor allem bei den Geschäftsleuten, die das Ausbleiben ihrer motorisierten Kunden befürchteten, war die Idee von Fußgängerzonen sehr umstritten. Mit dem U-Bahn-Bau 1971 wurde die Kärntner Straße provisorisch zum „Weihnachtskorso“. 1974 wurde die Kärntner Straße zwischen Oper und Stephansplatz durch die Architekten Wilhelm Holzbauer und Wolfgang Windbrechtinger zu einer Fußgängerzone umgestaltet (Eröffnung: 6. August 1974). Die Ausgestaltung des Grabens zur Fußgängerzone erfolgte ebenfalls im Zuge des U-Bahn-Baues. Ursprünglich wurde auch der Graben von Autos befahren. (Quelle: Stadt Wien MA 28).


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talk Fußgängerzonen

flaneure im gold-u Fussgängerzonen Empörung über unausgegorene Pläne, geänderte Verkehrsführungen und autofreie Zonen. Ist das Prinzip Fußgängerzone, Mittel zur Wiederbelebung von dem Autoverkehr überantworteten Stadtzentren, in der Krise? I iris meder

> Hauptstädte neigen dazu, vor der Einführung verkehrsfreier Straßen Versuche in der Provinz abzuwarten <

Investor René Benko will das Goldene U um Bognergasse-Seitzergasse-Tuchlauben erweitern und zahlt die Fußgängerzonen-Verlängerung gleich selbst. SIGNA

N

ach Wien kamen Fußgängerzonen erstaunlich spät. Hatte man noch in den 1930er Jahren ernst gemeinte Pläne für einen Zentralbahnhof am Stephansplatz gemacht, wurde die Wiener Innenstadt seit den 1960er Jahren durch den kontinuierlich zunehmenden Individualverkehr immer unattraktiver und galt als potenziell „sterbender Bezirk“. Die Chance zur Realisie-

rung eines lange geplanten Fußgängerbereichs brachte erst der ­U-Bahn-Bau mit den innerstädtischen Baustellen Oper und Stephansplatz, die ohnehin eine Sperrung für den Autoverkehr nötig machten. Der 1971 auf der Kärntnerstraße provisorisch eingeführte autofreie „Weihnachtskorso“ ging wegen enormen Erfolges in die dauerhafte Verlängerung, 1974 folgte der Graben. Nach einem geladenen Wettbewerb von fünf Architektenteams gestalteten Wilhelm Holzbauer sowie Wolfgang und Traude Windbrechtinger die Fußgängerzone City Wien. Später wurden weitere Fußgängerzonen wie Favoritenstraße, Meidlinger Hauptstraße und Brunnengasse ausgewiesen.

Neukonzeption der ­Verkehrsführung

Kassel: Deutschlands erste Fußgängerzone (1953), die Treppenstraße.

Deutsches Bundesarchiv, Gathmann, Jens

Die erste Fußgängerzone Österreichs war die schon ab 1961 autofreie Klagenfurter Kramergasse. Sogar die DDR war mit der KarlMarx-Straße in Magdeburg zehn Jahre früher dran als Wien. Überhaupt scheinen die Hauptstädte vor der Einführung verkehrsfreier Straßen Versuche in der Provinz abgewartet zu haben: Die erste eigentliche Fußgängerzone Europas wurde 1953 die Lijnbaan in Rotterdam. Vor allem in (West-)

Deutschland ging es dann Schlag auf Schlag, wobei man den Nachkriegs-Wiederaufbau für eine dem modernistischen Prinzip der Funktionentrennung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Verkehr verpflichtete Neukonzeption der Verkehrsführung nutzte: Die erste echte Fußgängerzone Deutschlands wurde die im November 1953 eingeweihte Treppenstraße im kriegszerstörten Kassel. Noch im selben Jahr folgten die Holstenstraße in Kiel und die wie die heute denkmalgeschützte Treppenstraße komplett neu bebaute Schulstraße in Stuttgart, die eine konzeptionell progressive, städtebaulich reizvolle, letztlich aber für die oberen Geschäftslokale nicht befriedigende Anlage mit einer Emporenebene auf beiden Straßenseiten kennzeichnet.

Streets for People Letztlich ging es um die Wiedereroberung der Straße für eine flanierende, konsumwillige und kaufkräftige Klientel, der Stadtmöblierungen, Brunnen und Pflanzinseln den angenehmen Rahmen ihres Stadtbummels bieten sollten. Die Vorgeschichte ist in den glasüberdachten Passagen des 18. Jahrhunderts, vor allem aber auch in den städtebaulichen Forschungen des Wiener Architekten Camillo

Sitte auf Gassen und Marktplätzen italienischer und deutscher Städte zu sehen. Ihre Fortsetzung fanden sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Büchern wie „Streets for People“ (deutsche Ausgabe: „Straßen für Menschen“) des emigrierten Wiener Architekten Bernard Rudofsky. Auch die Grundidee des Shopping Centers, das ein weiterer aus Wien vertriebener Architekt, Victor Gruen, in den 1950er Jahren in Kalifornien entwickelte, war es, gesichtslosen Schlafstädten fußläufige Zentren nach dem Vorbild jener europäischen historischen Stadtzentren zu geben, die zur selben Zeit durch Fußgängerzonen ihre Identität und Aufenthaltsqualität zurückerhalten sollten. Dabei sah man auch unterirdische Einkaufspassagen wie die 1955 eröffnete Wiener Opernpassage, die Fußgänger zugunsten eines schnelleren oberirdischen Verkehrsflusses „unter die Erde“ brachte, als attraktive Shoppingzonen. Die Opernpassage wurde ihrerseits Vorbild für Platzanlagen wie den Ende der 1950er Jahre angelegten Sergels torg in Stockholm, der, von manchen geliebt und von vielen gehasst, Fußgängern eine größzügige versenkte Ebene mit Zugang zu Geschäften und U-Bahn zwischen den rundum laufenden Auto-Fahrbahnen bietet.


talk Fußgängerzonen  | 05

Entdecke die Stadt.

Die Lijnbaan in Rotterdam wurde 1953 erste die eigentliche Fußgängerzone Europas. Wikimedia

Waren es auch in der Frühzeit der Fußgängerzonen in erster Linie Geschäftsbesitzer, die sich um ihre Umsätze sorgten, so setzen sich heute, da autofreie Top-Lagen wie das Wiener „Goldene U“ von Kärntnerstraße, Graben und Kohlmarkt Mietpreise in Stephansdomhöhe generieren, auch Anwohner gegen weitere Fußgängerzonen zur Wehr, aber auch Stadtbenutzer, die ökologisch korrekt autofrei unterwegs sind, im Stadtzentrum aber auch manchmal in einen der Busse steigen wollen, die man in der Wiener City, so vermuten einige, wohl mittelfristig am liebsten aufgelassen hätte. Anlass dieser Befürchtungen sind 200 m neu geplante Fußgängerzone in den Bereichen Bognergasse und Seitzergasse, die den 2009 nach einem Konzept des Architekten Clemens Kirsch umgestalteten bisherigen Fußgängerbereich bis zum Platz Am Hof verlängern sollen. Dafür, so die Wiener Linien, müssen aus Sicherheitsgründen die Innenstadtbusse 1A, 2A und 3A auf andere, dann kürzer geführte Strecken ausweichen. Unangenehmer Beigeschmack der Sache: Die Fußgängerzonen-Erweiterung ist ein Danaergeschenk des Immobilienmagnaten René Benko, der sich in den letzten Jahren erfolgreich bemüht hat, das Grätzel an der Bognergasse aufzukaufen und zu Luxusimmobilien umzubauen. So eröffnet demnächst in der an sein Unternehmen veräußerten denkmalgeschützten ehemaligen Länderbank-Zentrale, die 1995-97 vom Architekten Hermann Czech adaptiert wurde und nun von Generalpaner Heinz Neumann umgebaut wird, ein Fünfsternhotel, dessen Gäste dann gleich im ebenfalls Benkos Signa Holding gehörenden Luxusquartier in der früheren Bawag-Zentrale nebenan shoppen gehen können – unter

anderem in einem der weltgrößten LouisVuitton-Flagshipstores, der auf drei Etagen neben Miu Miu- (ebenfalls drei Etagen), Prada- (Flagship Store mit 1.500 m²) und Armani-Boutiquen auf insgesamt 11.000 m² einziehen soll: jene immergleichen Prestigemarken, die sich in allen Metropolen der Welt finden und deren kommende Präsenz Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel schon jetzt enthusiasmiert: „Ein weltstädtisches Flair Wiens kommt allen zugute“, wie sie meint, und dass sich Wien im internationalen Städtetourismus-Wettbewerb neben Prag, Budapest, Bratislava (!), Rom und Paris behaupten müsse – hier könne quasi eine Wiener Place Vendôme entstehen.

Luis, 23 Radfahrer

Mehr Geschäftsstraßen Die ist nun zwar nicht autofrei, aber Wien ist eben doch nicht ganz Paris. Mit dem Nebeneffekt, damit die (d. h. ihre) umliegenden Immobilien aufzuwerten, hat Benkos Signa Holding den Vorschlag einer Fußgängerzonen-Verlängerung gleich mit der Übernahme der Kosten in der Höhe von 1,5 Millionen Euro verbunden. Schließlich kann angeblich in Toplagen wie dem Kohlmarkt die Nachfrage nach Verkaufsflächen nicht mehr gestillt werden, internationale Labels stünden Schlange, weswegen einfach mehr im Luxus-Mietbereich angesiedelte Geschäftsstraßen geschaffen werden müssten. Was bedeutet: Wenn die neuen Luxus-Shops eröffnen, müssen Seitzergasse und Bognergasse Fußgängerzone sein. Ganz widerspruchslos wollte man das in Wien aber nicht schlucken: Nach massiven Protesten gegen die Beschneidung der innerstädtischen Busverbindungen wurden die geplanten Änderungen in den Linienführungen weitgehend zurückgenommen.

www.masdesign.at

Ein zweites Goldenes U

Radfahren in Wien liegt voll im Trend. Ob in die Arbeit, ins Wirtshaus, ins Kino oder zum Einkaufen: Mehr als 1.200 km gekennzeichnete Radwege warten auf Dich. Radfahren ist schnell, individuell und macht einfach Spaß. Darum: „Fahr Rad in Wien“. Das macht Wien zur Stadt fürs Leben. Die 1955 eröffnete Wiener Opernpassage wird zurzeit komplett saniert. Fertigstellung 2013.

Arge Kulturpassage Karlsplatz/Kommerz

Infos zum Radfahren in Wien: www.radfahren.wien.at www.radparade.at

© Radagentur Wien


planning Parkhäuser mit aufgesetzten Gärten? Eine Seltenheit. Solche urbanen und öffentlich zugänglichen Dachgärten könnten schon bald mehr nachgefragt werden. I ilse huber

A

auto unten – grün oben

n welchen Funktionen orientiert sich eine Stadt? Wohnen, Arbeiten, Lernen und Ausspannen. Dazwischen liegen mitunter etliche Wegkilometer, die entweder zu Fuß, per Rad, in Öffis oder durch den sogenannten motorisierten Individualverkehr (MIV) zurückgelegt werden müssen. Sobald das Motorrad, das Auto oder der Transporter abgestellt wird, mutiert der Fließverkehr zum Stehverkehr. Mit den parkenden Karossen haben die Städte so ihre liebe Not. Denn wohin man sie auch verbannt, konkurrenzieren sie anderen Nutzungen. Das fängt beim Parkplatz an, der in aktionistischen Stunden mittels Rollrasenbahnen tatsächlich zum ParkAreal umfunktioniert wird: New York hat dazu den Parking-Day ausgerufen. Der urbane Konkurrenzkampf setzt sich fort beim Parkhaus und mündet schließlich in der Tiefgarage. Sind Autoabstellplätze rar, können sie eben nur eine gewisse Zeit gebucht werden und das gegen Entgelt.

72 Hektar für das Auto In Wien wurden 1974 erstmals die gebührenpflichtigen Kurzparkzonen eingeführt, 1990 folgte in mittlerweile 10 Bezirken die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung besser bekannt als Parkpickerlzone. Für insgesamt 120.000 Straßenabstellplätze muss dort bezahlt werden. Die Einnahmen werden zwar zweckgebunden verwendet, der Platz als solcher ist jedoch weg. Hochgerechnet 72 Hektar wertvolles öffentliches Gut sind dadurch fast ausschließlich für den MIV reserviert. Umso mehr versucht man andere Arten der Mobilität zu fördern. Mit 29 Prozent lag der motorisierte Individualverkehr in Wien 2011 deutlich unter jenem des Öffentlichen Verkehrs (s. Tabelle). Für die Erleichterung des Umsteigens vom Privatwagen auf die U-Bahn entstanden an den Einfahrtsachsen Park & Ride Garagen.

Ausweg Volksgaragen?

Zahlen I Daten I Fakten Modal Split der Stadt Wien 2010: • Motorisierter Individualverkehrsanteil
(als MitfahrerIn und FahrerIn): 31% • Öffentlicher Verkehranteil: 36% • Radverkehrsanteil: 5% FußgängerInnenanteil: 28%

Doch auch im dicht bebauten Gebiet entstehen immer mehr Garagen. Seit 2007 unterstützt die Stadt den Bau von Volksgaragen, die inzwischen Wohnsammelgaragen heißen. Im letzten Jahr sind drei derartige Einrichtungen außerhalb der Parkpickerlzone geschaffen worden. Bewohner des 11., 14. und 19. Bezirks können um 79 Euro pro Monat einen Garagenplatz mieten. Weitere 16 Standorte sind angedacht, wobei laut Koordinator Thomas Keller „die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Förderkriterien noch

Auch so können Flächen oberhalb von Garagen genutzt werden ZinCo

eingehender geprüft werden müssen“. Denn die durchwegs als Tiefgaragen konzipierten Projekte werden vom Garagenbetreiber lediglich auf 20 Jahre ermäßigt angeboten.

Ästhetik und Wirklichkeit Das klassische Parkhaus fungiert als ausschließlicher Aufbewahrungsort für Automobile. Rund um die Uhr. Und was dort abgestellt werden will, muss erst einmal auch hingebracht werden. Das heißt der Zubringerverkehr ist nicht zu unterschätzen. Garagen sind immer monofunktional. Doch auch sie besitzen ein Dach. Logisch. Weniger logisch ist, dass man darauf eine öffentlich zugängliche Grünanlage pflanzen kann. Im Schweizer Businesspark „Richtistrasse“, Wallisellen entstanden auf zweimal 850m2 Fläche intensive Parklandschaften auf Parkgaragen. Der luftige Freiraum steht den Menschen zu Verfügung, er bietet nicht nur Aufenthaltsmöglichkeiten, sondern auch Beschattung durch Kleinbäume, die genügend Substrat zur Verfügung haben. Die intensive Begrünung lässt auch auf der Parkgarage des Bischofssitzes Lugano in der südlichen Schweiz keinen Unterschied zum gewachsenen Boden erkennen. Auf einer Fläche von knapp 1000 m2 wachsen auf einer halben Meter dicken Substratschicht kleinere Bäume. Solche Beispiele untermauern die technischen Möglichkeiten, Gärten in die Höhe zu transferieren. Das kann erdverbundenen Parks zwar prinzipiell nicht das Wasser reichen, wenn aber die grünen Erholungsräume auch oben anzutreffen sein sollen, dann zeugen diese Beispiele, dass Parks auf Parkhäu-

sern zumindest einen Ausgleich dafür bringen, was unter ihnen verloren gegangen ist.

Verlustkompensation Lilli Licka ist Professorin für Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie kritisiert die monofunktionale Nutzung von Parkhäusern, hält aber zugute, dass Parks auf Garagen zumindest „eine Kompensierung des Verlust an Erholungsräumen auf gewachsenem Boden darstellen.“ Diese hinauf gewanderten Grünräume müssen eindeutig erkennbar und

gut erreichbar sein. Außerdem brauchen sie eine einladende und barrierefreie Zugänglichkeit. Parks auf Parkgaragen sind eine seltene Kombination. Gerade in der verdichteten Stadt, wo Luftgüte, Klimaschutz und Erholungswert eines Raumes wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität von Jung und Alt besitzen, werden öffentlich erreichbare, klug durchdachte und gut gestaltete Räume in zweiter, dritter oder vierter Ebene Auskunft darüber geben, wie viel sie den jeweiligen Gruppen wert sind.

+ + city TALK + + + city TALK + + + city TALK + + + city TALK + + + city TALK + Wutprojekt Tiefgarage Im ersten Bezirk tut sich einiges. Der Neue Markt rund um den Donnerbrunnen soll neu gestaltet und autofrei gemacht werden. Mitte März stimmten 77,3 Prozent der betroffenen Anrainer dafür, den Neuen Markt autofrei zumachen - inklusive Tiefgarage. Dieses Garagenprojekt war Grund der aufwallenden Gemütswogen. Schon im Vorfeld der Bürgerbefragung stritten sich Befürworter und Gegner über die Art der Fragestellung, die nur eine entweder oder Lösung angeboten hatte. Autofreiheit ging hier nur im Multipack eines Tiefgaragenbaues. Im Vorjahr hatte allerdings hatte allerdings der Architekt Paul Katzberger zwei Pläne zur Oberflächengestaltung ausgearbeitet, eine

Variante mit und eine ohne Tiefgarage. Diese hätten als Grundlage zur Befragung dienen sollen. Doch nun lautete die Frage auf dem amtlichen Stimmzettel „Sind Sie für das geplante Projekt ‚Neugestaltung Albertinaplatz & Neuer Markt‘?“ Die Garage wurde nicht erwähnt, obwohl es vor sechs Jahren genau dazu eine deutliche Ablehnung unter den Befragten gegeben hatte. SP-Verkehrssprecher und Gemeinderat Karlheinz Hora hielt in einer Aussendung Anfang März fest: „ Es sei wichtig den öffentlichen Raum aufzuteilen, eine Möglichkeit dafür sind Wohnsammelgaragen.“ Nach der Zustimmung der Befragten muss das Garagenprojekt umgesetzt werden.

Drei Viertel der Anrainer des Neuen Markts stimmten der Neugestaltung samt Tiefgarage zu. beyer.co.at


architecture bauen als verführung corporate architecture In Vorstandsetagen nimmt baukulturelles Bewusstsein zu. Die Bildung von Markenidentität mit Hilfe der Architektur kann aber auch ihre zweifelhaften Seiten haben. I iris meder

Abo-f City 2012-03 26.03.12 11:23 Seite 1

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Bank Austria Campus: Podreccas aufgebrochene Blockrandbebauung kann den zweiten Bezirk städtebaulich bereichern

s scheint sich ja einiges zu tun in hiesigen Unternehmen – nicht von Korruptionsskandalen ist hier ausnahmsweise die Rede, sondern von Architektur, und zwar von guter. Mit korrekt durchgeführten Wettbewerben, mit Ergebnissen, die Hoffnung machen. Auf ordentlich gelöste städtebauliche Situationen, auf Bauten, deren Sprache Passanten nicht Arroganz und Selbstherrlichkeit vermittelt, sondern baukulturelles Bewusstsein und ein Bekenntnis zu architektonischer Qualität. Anlass für diese Überlegungen sind die beiden jüngst entschiedenen Wettbewerbe zu den neuen Wiener Unternehmenszentralen der Wien Energie und der Bank Austria. Mit Holzbauer und Partner für den „Smart Campus“ der Wien Energie Stromnetz, zwischen den Gasometern und diversen Bahnlinien auf der Simmeringer Haide gelegen, und Boris Podrecca für den

Bank Austria Campus, am Nordbahnhof und damit ebenfalls an Bahngleisen, haben nun nicht gerade zwei Newcomer das Rennen gemacht. Die beiden Großprojekte sind aber erfreulich frisch und unroutiniert in ihrem Ansatz, und gerade Podreccas aufgebrochene Blockrandbebauung mit Büros im Kopfbaukörper am

Visualisierung: Atelier Podrecca, Wien

­raterstern, einer öffentlichen P Terrassenlandschaft, begrünten Hofbereichen und Fußwegeverbindungen, die neben den Büroräumlichkeiten der Banker auch ein Hotel, ein Ärztezentrum und einen Kindergarten umfasst, kann städtebaulich für den zweiten Bezirk durchaus eine Bereicherung werden.

„Smart Campus“ der Wien Energie: erfreulich frischer und unroutinierter Ansatz

Visualisierung: Holzbauer & Partner

Identitätsschärfung durch Architektur Dass Architektur als Trägerin und Lenkerin von Firmenimages fungiert, ist nicht neu. Waren es in der Frühzeit der Industrialisierung vor allem rauchende Schlote auf Briefköpfen und Etiketten, so wurde zunehmend auch über die Architektur selbst die Wahrnehmung von Unternehmen gesteuert. Hier drängt sich ein Exkurs in die Geschichte der Corporate Architecture auf: Wem wäre die Fagus-Schuhleistenfabrik im niedersächsischen Nest Alfeld an der Leine ein Begriff, hätte ihr Chef Carl Benscheidt nicht vor gut hundert Jahren den jungen Architekten Walter Gropius beauftragt, sein Firmengebäude zu entwerfen? Letztes Jahr bekam das Fagus-Werk zu seinem 100. Geburtstag den UNESCO-Weltkulturerbe-Status geschenkt. Der Firma hat das architektonische

wettbewerbe A R C H I T E K T U R J O U R N A L

In seiner aktuellen Ausgabe berichtet auch das Architekturjournal wettbewerbe über Corporate Architecture. Wettbewerbe sind eine Herausforderung zu außergewöhnlichen Leistungen. Seit 1977 dokumentiert das Architekturjournal wettbewerbe den Beitrag der österreichischen Architekten zur Baukultur und zur Qualität, die den Wettbewerb zur Grundlage hat.

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Wer würde die Fagus-Schuhleistenfabrik kennen, hätte sie nicht Walter Gropius entworfen? Fagus-GreCon

Das erste Corporate-Design-Konzept: P. Behrens´ AEG Turbinenhalle 1907.

Doris Antony, © Wikimedia Commons

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Der Sonderpreis gilt für 3 Ausgaben. Danach verlängert sich das Abonnement automatisch (bis auf Widerruf) um ein weiteres Jahr zum jeweils gültigen Jahres-Abonnementpreis. Eine Kündigung des Abonnements ist jeweils bis 30 Tage vor Bezugsjahresende schriftlich (per Post, Fax oder eMail) möglich. 1)Für die ersten 10 Besteller


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planning

fikkonzept mit Logo, auch elektrische Wasserkessel, Wanduhren und Ventilatoren. Behrens‘ Konzept, das, ähnlich wie später die Bat‘a-Schuhfabriken im mährischen Zlín, Erich Mendelsohns Schocken-Kaufhäuser oder das Corporate Design von Olivetti, schnörkellose, zuverlässige Modernität vermittelte, bewährte sich hervorragend. In den dreißiger Jahren baute Behrens, der unterdessen an der Wiener Kunstakademie lehrte, die Tabakfabrik in Linz. Niedrigenergie-Büro- und Werkstättenkomplex des Naturschwimmteich-Bauers Biotop. Architekt: Georg W. Reinberg

Wagnis übrigens nicht geschadet: Sie erzeugt im Gropius-Bau wie eh und je Schuhleisten. Benscheidt war nicht der erste, der auf Imagebildung durch Architektur setzte. Das erste komplette Corporate-Design-Konzept im modernen Sinne gab sich im Jahr 1907 die Berliner AEG. Sie verpflichtete den Maler, Designer und Architekten Peter Behrens als Chefgestalter, der nicht nur die zur Architekturikone gewordene Turbinenhalle auf dem Werksgelände in Moabit entwarf, sondern, neben einem umfassenden Gra-

Gute Chancen für ­qualitätvolle Architektur Jenseits des Atlantiks ging es derweil bei der Parade glitzernder Firmenzentralen vor allem um virile Machtdemonstration in Form von Stockwerken – vom New Yorker Hochhaus der Nähmaschinenfirma Singer, das zur Zeit seiner Errichtung 1908 das höchste Gebäude der Welt war (und seit 1968 posthum den Weltrekord des höchsten jemals aus freien Stücken abgerissenen Baus hält), über Woolworth und Chrysler zu Lever, Seagram und Pan Am Building, die Architekturinteressierten heute oft präsenter sind als die

Unternehmen, die hinter ihnen stehen. Sind neben einer Imageaufwertung auch gute Arbeitsbedingungen, ökologische Effizienz, Nachhaltigkeit und positive Auswirkungen auf Infrastruktur und städtebauliche Zusammenhänge im Sinne des Unternehmens, dann hat qualitätvolle Architektur gute Chancen. Auch in Österreich: Immerhin wird hier alle sechs Jahre der Staatspreis Architektur in der Kategorie Industrie und Gewerbe vergeben. Zu Recht ausgezeichnet wurden zum Beispiel die Lustenauer Zentrale der Firma S.I.E von marte.marte Architekten und Georg W. Reinbergs Niedrigenergie-Büro- und Werkstättenkomplex des Naturschwimmteich-Bauers Biotop in Weidling bei Wien.

Architektur generiert Image - auch zweifelhafte Imagekorrekturen Letzlich ist und bleibt die Schaffung beziehungsweise Stärkung eines positiven Markenimages das Ziel jeder absichtsvollen Corporate Architecture. So lebt zum Beispiel gerade die Automobilindustrie fast nur vom Image mittels

spektakulärer Architektur. Wegen ihrer enormen Bedeutung für die Wahrnehmung von Marken wird Architektur daher oft auf die Erstellung von markanten Bauten internationaler „Stararchitekten“ verkürzt – und im schlimmsten Fall für zweifelhafte Imagekorrekturen missbraucht. Umstritten sind daher etwa Bauten in politisch repressiven Staaten wie Rem Koolhaas‘ Gebäude für das Chinesische Staatsfernsehen. Auch der Schweizer Chemiekonzern Novartis steht aufgrund seiner Preispolitik, seinem Bestreben, die Herstellung von Generika in Indien zu untersagen und dem Verkauf von patentiertem Saatgut an Kleinbauern in Entwicklungsländern seit Jahren massiv in der Kritik von Politik und NGOs. Daher versucht der Konzern mit dem von erstrangigen internationalen Architekten wie Sanaa, Roger Diener, Frank O. Gehry, Tadao Ando und Adolf Krischanitz unter besten Bedingungen realisierten „Campus des Wissens“ in Basel gegenzusteuern. Baukulturelle Verantwortung lässt sich jedoch, will sie glaubwürdig sein, letzten Endes nicht von ethischen Grundsätzen trennen.

mistkübel mit aschenbecher Stadtmöbel Einfach, einer formalen Harmonie folgend, unaufwändig instand zu halten, selbsterklärend und so bequem, dass der Benutzer nicht augenblicklich seine Körperposition wechseln muss, sollen sie sein. Klingt simpel, aber gibt es eine komplexere Aufgabe?

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G

anz im Ernst: Die Stadtväter haben es nicht leicht, jeden zu befriedigen. Schon gar nicht, wenn es um Geschmacksfragen geht, wie etwa bei der Möblierung einer Metropole. Eine Gratwanderung also – von der Entwicklung bis zur Realisierung. Waren lange Zeit Laternen und Parkbänke Modell „Schönbrunn“ oder die an Verkehrsschildern montierten Hängecontainer in der Signalfarbe der MA 48 eine klare Angelegenheit, so ist man in den Zehner-Jahren des 21. Jahrhunderts schon viele Schritte weiter. Der Zug der Zeit macht sich bemerkbar, sei es dass die nun durchgehend silbrigen Mistkübel mit einem Aschenbecher ausge-

Leaning Molds von Maruja Fuentes.

stattet sind oder als Mülltrennobjekte auftreten, sei es dass Telefonzellen und Wartehäuschen sich in Multimediastationen verwandeln oder die Mega-Lightboards vervielfältigen, die das anstrengende Abscheren und Bekleistern von Riesenflächen obsolet machen.

Das Wertschätzen eines Materials und seine Schönheit. „Man kann Produkte am besten schützen, indem man möglichst robuste Materialien verwendet. Was aber noch fast wichtiger ist: Das Design muss gefällig sein, weil ein Produkt, das gefällt, vermittelt das Gefühl von Respekt, der dem Möbel vielleicht Schutz vor Vandalenakten bietet“, so Palmini. Wenn es nach dem norwegischen Designertrio Norway Says geht, so kann man auch mit gefälliger Ästhetik sehr viel erreichen: Schön und stark müssen sie sein, die Stadtmöbel, dann ergibt sich offensichtlich eine natürliche Hemmschwelle. In Hinblick auf Materialien wollen sie sich aber

Nichts für Zartbesaitete

Serie UP von Ewo, Design: Norway says

Jemand, der sich sehr viel mit Stadtmöblierung auseinandersetzt, ist der italienische Designer Ivan Palmini. Er ist einer, der gerade Aluminium sehr schätzt, weil es resistent, leicht und ökologisch ist. Seine Arbeiten sind eine ausgewogene Mischung aus Knowhow, Forschungsarbeit und zeitgenössischer Kreativität, mit der er den Zeitgeist treffen will:

Loco von All+, Design: Ivan Palmini.

Key von Santa & Cole.

dennoch nicht festlegen: „Wir haben keine Präferenzen, wenn es darum geht, ein Material auszuwählen. Das Material muss fit sein für den Zweck, die richtige Lebensdauer haben und ein einfaches und sauberes Ausscheiden aus dem Kreislauf.“


international

Biotop 63x385_Layout 1 25.03.12 18:20 Seite 1

NATÜRLICH wie ein BERGSEE und cool wie ein Pool

„Best New Product at the Chelsea Flower Show 2011“ Financial Times, 21.5.2011

Istanbul: Zwischen den Gegensätzen von Alt und Neu drängt sich der Verkehr iStockphoto

IstanPool – die Stadt der 1000 Gesichter

Ausgezeichnet mit „Energy Globe Award 2011“

Sammelbecken Die euroasiatische Metropole Istanbul müsste eigentlich Istanpool heißen: das Sammelbecken von Menschen, Wassern und Kulturen beeinflusst nicht zum ersten Mal die Welt. Schon als Byzanz, Konstantinopel oder Stambul machte die Stadt am Bosporus auf sich aufmerksam. Das ist auch heute noch so: In der Veränderung steckt die Kontinuität. I ilse huber

K

nappe zweieinhalb Stunden dauert der Flug von Wien nach Istanbul. Das ist nicht nur kürzer als nach Mallorca oder London, sondern vor allem auch kurzweiliger. Denn im Landeanflug schaukeln die Containerschiffe wie Legoschiffchen auf dem bewegten Wasser des Marmarameeres. Der Topkapipalast auf der Landzunge südlich des Goldenen Horns gleißt im Sonnenschein und man meint die roten Dächer der ausufernden Stadt

Süßes Handwerk: Lutscherherstellung

Ilse Huber

Nostalgisch durch die Nacht iStockphoto

Modern: Einsteigen nur mit Automat

zu streifen. Doch es dauert noch eine ganze Weile bis der asiatische Flughafen Sabiha Gökçen erreicht ist. Zeit genug sich von oben die räumliche Ausdehnung dieser Stadt bewusst zu machen. Ist man erst am Boden, erweist sich die urbane Grenzenlosigkeit noch vollkommener. 45 Kilometer östlich des ewigen und interkontinentalen Handelszentrums Istanbul steht auf 50 Hektar Fläche eine der größten Einkaufswelten überhaupt -mitten in der grünen Wiese, dafür gut erreichbar. Mit Auto. Mit dem man zwar nicht schnell vorwärts kommt, weil 200.000 andere Lenker auch noch die Autobahn benützen wollen,

dafür flitzen einem an dichter Zahl die hochmodernen Schnellbusse vorbei. Hermetisch abgezäunt vom übrigen Verkehr besitzen diese rollenden Buswaggons eigene Fahrspuren, auf denen sie wirklich rasen können. Bis zum neuralgischen Punkt: der FatihSultan-Mehmet-Brücke. Die Hängebrücke ist die jüngere der beiden Bosporusquerungen und verbindet Asien mit Europa. 220.000 Fahrzeuge bewegen sich täglich über sie und trotz der 21 Durchfahrtstellen geht zu gewissen Tageszeiten Nichts mehr. Obwohl vor vier Jahren das Grazer Unternehmen Efkon den Zuschlag bekommen hat, seine Mik-

Ilse Huber

rowellen Technologie zur berührungslosen Mautabbuchung zu installieren, welche ein zügigeres Durchfahren ermöglicht, steigt das Verkehrsaufkommen derartig an, dass auch die ausgereifteste Technik den Stau nicht verhindern kann. Allerdings wirft die Überfahrt ordentlich Mautgebühren ab: Im Jahr 2010 waren es 109 Millionen US Dollar. Das Geld, das bisher in die Staatskassen floss, soll aber in Zukunft in Privathände gelangen. Start für erste Privatisierungsangebote der

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international Istanbul

Auf der Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke steht meistens der Verkehr. iStockphotos

Fatih Sultan Mehmet Brücke ist April 2012. Wohl wollte die „staatliche Privatisierungsbehörde“ bereits im Jänner Angebote haben, doch hat sich der Zeitplan nach hinten verschoben. Nicht nur die Infrastruktur ist im Umbruch, auch das äußere Erscheinungsbild Istanbuls. Der ungeheuren Stadtzuwanderung wird aller Orten Tribut gezollt (s. Kasten unten). Kein Hügel, der durch nicht durch ähnliche mehrgeschoßige Wohntürme getoppt wird. Satellitenhaft ragen sie aus ihrer Umgebung, von öffentlicher (Verkehrs)Anbindung ist im Hinterland nichts zu sehen. Das Auto ist nicht nur Transportmittel, sondern auch Geschäft: Im abendlichen Autobahnstau drängen sich unzählige Kleinverkäufer zwischen den Fahrbahnen und nützen das motorisierte Kundenpotenzial zum wirtschaftlichen Überlebenskampf.

Fragt man jemanden nach seinen Eindrücken von Istanbul, bekommt man Antworten, die unterschiedlicher nicht sein können. Genauso assoziativ wächst die Stadt. 1924 zählte Istanbul 881.000 Einwohner, die als bunt gemischt und international beschrieben werden. Nachdem 1896 auch der Kopfbahnhof des Orient Express fertiggestellt wurde, erlebte das damalige Konstantinopel einen wahren Boom von Besuchern. Die Ankommenden stiegen aus dem Zug aus, überquerten die Galata-Brücke, um im Grand Hotel de Londres oder im Pera Palas Hotel abzusteigen. Im Galata Viertel entstanden mondäne Hotels, die auch noch heute selbstbewusst die Stadt überragen. Die Jahrhundertwende findet im multiepochalen Istanbul genauso ihren Niederschlag wie die Holzvillen entlang des Bosporusufers. Auf engem Raum wechseln die Kulturen und ihre stilistische Ausdrucksformen einander ab. Unter den Kuppeln der Hagia Sophia versammelten sich bis 1932 Moslems genauso wie vor ihnen die Christen bis 1453. Das ehedem größte Bauwerk der Welt ist heute ein Museum oder vielmehr Zeuge jener Vielschichtigkeit, die sich nicht in ein Schema pressen lässt. An dieser urbanen Mannigfaltigkeit wirken heute 12 bis 15 Millionen Einwohner mit. Eine präzise Zahl kennt man nicht, weil immer mehr Menschen in die Stadt strömen. Allein in den letzten zwanzig Jahren hat sich die Einwohnerzahl vervierfacht. „Istanbul ist vielerorts ungeplant gewachsen und tut es noch. Schätzungsweise 80 Prozent der

+ + city PEOPLE + + + city PEOPLE + + + city PEOPLE + + + city PEOPLE + + + Arkan Zeytinoglu: Aufgewachsen bin ich in Klagenfurt. Istanbul kenne ich über Familienbesuche und Urlaube in meiner Kindheit. Doktrin wurde die türkische Kultur in meiner Familie aber nie – wir blieben Besucher; und ein wenig aus einer anderen Welt. Eine gewisse Affinität ist bei mir dennoch in dieser Zeit entstanden – besonders die Landschaft von Hochanatolien, wo mein Vater herkommt, hat es mir von Beginn an angetan. Und als ich vor ein paar Jahren wieder nach Istanbul gereist bin, hat mich die Stadt in ihrer ganzen Faszination gepackt. Die Geschichte, die Lage an der Grenze zu Asien – und andersrum an der Grenze zu Europa – ist ein gelebtes Spannungsfeld. Praktisch zwischen zwei Kontinenten gelegen, ist Istanbul die erste und letzte europäische Stadt; zumindest für mich. Das spürt man überall in den Straßen.

Gebäude der Stadt sind ohne Baugenehmigung entstanden und von schlechter Qualität“, schreibt die deutsche Landschaftsarchitektin Susanne Prehl in der Zeitschrift Garten und Landschaft. Dabei spricht sie ein Problem an, das der Metropole noch zum Verhängnis werden könnte. Im Zuge der unkontrollierten Stadtausdeh-

Bospurus-Fähre

Seit kurzem habe ich eine Wohnung am Bosporus. Istanbul blüht seit Jahren richtig auf. Ist aus einem Moloch zu neuem Glanz gekommen. Das haben natürlich auch längst die Europäer bemerkt und so entsteht immer mehr Vielfalt – und wird zur Kultur. Wien ist das Gegenmodell. Wien versteckt Kultur unter einer wunderbaren Oberfläche. Istanbul hat keine Oberfläche – alles liegt vor einem. Das Gute und das Schlechte – eine Stadt eben. ARKAN ZEYTINOGLU (*1968) ist Designer und Leiter des Büros Zeytinoglu architects. Bekannt wurde vor allem seine Gestaltung des Do&Co in der Albertina oder dem Glacis Beisl im Museumsquartier.

Foto: Foto Wilke

Mondän, modrig, ­mannigfaltig

nung gehen wichtige Freiräume verloren. Freiräume, die im mitteleuropäischen Sinn weniger etwas mit Erholung zu tun haben als vielmehr mit Sicherheit. Denn Istanbuls Erde bebt. Das letzte Mal 1999, 17.000 Menschen starben damals. Obwohl es Risikountersuchungen gibt, wie Menschen sich im Falle des Falles in Sicher-

Ilse Huber

Die informelle Siedlung

Villa am Bosporus

Ilse Huber

gecekondu. Was von Stadtforschen euphemistisch informelle Stadt genannt wird, ist in Wirklichkeit ein Elendsviertel in Istanbul. Tauchen Investoren auf, müssen die aus Gewohnheitsrecht dort Lebenden das Feld räumen. Der österreichische Architekt Stephan Schwarz und seine französische Kollegin Ingrid Sabatier schreiben in ihrem Blog (http:// isssresearch.com/impressum/ rien/) von der „Anziehungskraft der informellen Stadt“. Die vulgäre Übersetzung von informell bedeutet Elendsviertel. Das ist kein alter, heruntergekommenener Stadtteil, sondern es handelt sich um ein völlig neues, ungeplantes Stadtquartier. Die beiden Stadtforscher dokumentieren ihre Eindrücke, ohne dass sie „Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit erheben“, vielmehr geht es um persönlich-sub-

jektive Impressionen. Die Eindrücke lesen sich wie ein Tagebuch, das von den Launen der Protagonisten abhängt, jedoch produzieren sie ein Bild, das die Atmosphäre widerspiegelt. Den Geist, den man einst rief, kriegt man nicht mehr los. Haben sich die Neubürger niedergelassen, droht ihnen früher oder später die Wegweisung, sobald sich ein potenter Developer anmeldet. Zwar sollen bezahlte Stromrechnungen oder Grundbuchseintragungen vor einem Hinauswurf schützen, doch sobald der Druck der Interessenten größer wird, gelten diese Doku-

mente nicht mehr. So geschah es auch in Sulukule, wo einst ein Haus stand, wie der gleichnamige Filmtitel von Astrid Heubrandtner verrät, und nun der Boden für andere bereit gemacht wurde. (s. Seite 11) Ein Gecekondu – übersetzt „nachts hingestellt“ (türk. gece: Nacht) – ist ein Haus, das „über Nacht“ auf öffentlichem türkischen Grund und Boden errichtet worden ist und dem Gewohnheitsrecht entsprechend nicht mehr abgerissen werden darf. 1966 wurde das Gecekondu-Gesetz beschlossen, das diese Siedlungen legalisierte. Die Regierung will seit einigen Jahren aus den ehemaligen Besetzern Eigentümer machen und erteilt dort lebenden Familien den Eintrag ins Grundbuch.

I mp re s s u m : Herausgeber Bohmann Druck und Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, KR Dr. Rudolf Bohmann Geschäftsführung Drin. Gabriele Ambros, Gerhard Milletich Verleger Bohmann Druck und Verlag, GesmbH & Co. KG, A-1110 Wien, Leberstraße 122 Verlagsleitung Mag. Patrick ­Lenhart Chefredaktion Roland Kanfer Autorinnen ­DI Ilse Huber, DI Barbara Jahn-Rösel, Mag. Irene Mayer-Kilani, Dr. Iris Meder, ­Lektorat: Roland Kanfer Mediaberatung: AAC– Austria Advertising Consult Redaktionsassis­tenz Michaela Kern (city@bohmann.at; Tel. 740 95-556) Vertriebsleitung Angelika Stola (a.stola@bohmann.at; Tel. 740 95-462) Aboverwaltung abo@bohmann.at; Tel. 740 95-466 Layout & Produktion Thomas Weber Hersteller Druckerei Berger, Wienerstraße 80, A-3580 Horn. Die Zeitschrift City ist ein unabhängiges Medium für ­Architektur, Stadtentwicklung, Design und Urbanität. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Off e n l e g u n g g e m ä ß § 2 5 Med i en geset z: Medieninhaber: Bohmann Druck und Verlag Gesellschaft m.b.H. & Co. KG. Sitz: 1110 Wien, Leberstraße 122. Unternehmensgegenstand: Die Herstellung, der Verlag und Vertrieb von Druckschriften aller Art, insbesondere Fachzeitschriften. Buch-, Zeitschriften-, Kunst- und Musikalienhandel. Handel mit Waren aller Art. Organisation von Veranstaltungen. Geschäftsführer: Dr. Gabriele Ambros, Gerhard Milletich Beteiligungsverhältnisse: Dietrich Medien Holding Gesellschaft m.b.H. 90,91 %, Bohmann Druck und Verlag Gesellschaft m.b.H. 9,09 %. Geschäftsführender Gesellschafter: Bohmann Druck und Verlag Gesellschaft m.b.H. Die Bohmann Druck und Verlag Gesellschaft m.b.H. & Co. KG. ist im Sinne des § 25 Mediengesetz beteiligt an: D & R Verlagsgesellschaft m.b.H. Nfg. KG mit dem Sitz in Wien. Unternehmensgegenstand: Herstellung, Verlag und Vertrieb von Druckschriften aller Art, insbesondere Fach- und Servicezeitschriften / Verlag Holzhausen GmbH mit Sitz in Wien. Unternehmensgegenstand: S­ achbuchund Fachbuchverlag in den Bereichen: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheit sowie Kunst, Architektur und Kultur / Norbert Jakob Schmid Verlagsgesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in Wien. Unternehmensgegenstand: Buch- und Zeitschriftenverlag / V & R Verlagsgesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in Wien. Unternehmensgegenstand: Redaktion / Repro-Media Druckgesellschaft m.b.H. Nfg.KG mit dem Sitz in Wien. Unternehmensgegenstand: Atelier für Werbegrafik, Erzeugung und der Handel mit Vorstufenprodukten. Grundlegende Richtung der Zeitschrift City: Fachberichterstattung zu Architektur, Stadtentwicklung, Design und Urbanität


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Die Adern der Stadt Mit der zunehmenden Wachstumsgeschwindigkeit müssen auch die Transportmittel mithalten können. Gestylte Niederflurstraßenbahnen verkehren regelmäßig und zuverlässig, zwei Standseilbahnen (Tünel und Füniküler) befördern die Fahrgäste hochmodern durch zwei verschiedene Tunnel. Die Siemens AG stattet die Metrolinie1 zwischen Taksim Platz und 4. Levent mit ihrer Technik aus. Die Öffis fallen im Stadtbild positiv auf und werden zahlreich genutzt. Das zeigt sich auch oder erst recht im Fährverkehr, der das Rückgrat zu den umliegenden euroasiatischen Stadtteilen darstellt. Das „intermodale“ Umsteigen fällt leicht

und spielt sich in kurzen Intervallen ab. So unorganisiert sich die Stadt von zentraler Seite zeigt, Stichwort Planungshoheit, um so eigeninitiativer sind die Menschen selbst. Weil man sich eben nicht auf hierarchisch strukturierte Kompetenzen ausreden kann, haben vor allem spontane Handelsideen Platz. Frisch gepresste Granatapfelsäfte findet man an jeder Ecke. Schart sich plötzlich eine Menschengruppe um jemanden herum, wird aus Plastiksäcken Sportkleidung verkauft und wem unachtsamerweise der Mobiltelefonakku leer wird, kann sich sein Gerät schnell bei einer mobilen Ladestation anstecken. Für die Jahrtausende alte Handelsdrehscheibe ist eben nichts unmöglich. Das Pool von Stambul zieht Menschen unterschiedlichster (kultureller) Hintergründe an und diese Mischung von Mentalitäten, Perspektiven und geopolitischer Raumlagen ist eines der Überlebensprinzipien einer Stadt, die mit wechselnden Bedingungen umzugehen weiß.

Die dunkle Seite des Goldenen Horns Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Denn die Strahlkraft einer Metropole erreicht nicht alle in gleichem Maße. Das kann eine Zeitlang durchaus vorteilhaft sein, sobald aber Gegeninteressen den Raum streitig machen, geht es immer zulasten der Schwächeren. So auch in Istanbul. Sulukule

liegt direkt innerhalb der Theodosianischen Landmauer aus dem byzantinischen Zeitalter auf der Halbinsel südlich des Goldenen Horns, dessen östliches Ende der Topkapi Palast abschließt. Bis vor vier Jahren galt das Gebiet als die älteste Romasiedlung der Welt. Doch dann wurde zu räumen begonnen, das Areal für kaufkräftigeres Klientel hergerichtet und die Bewohner verdrängt. Gentrifizierung nennen das die Stadtsoziologen und meinen damit die Immobilienaufwertung durch Austausch der Bevölkerungsschichten. Gerade in boomenden Städten, deren Räume solche „Bauland-Reserven“ aufweisen, stehen radikale Absiedlungen an der Tagesordnung. Derweil werden derartige Landnahmen in Istanbul sogar toleriert. Mangels kontrollierter Stadtentwicklung konnten sich Siedlungen etablieren, von denen eigentlich niemand so richtig wusste, dass sie wirklich existieren. Jeder Zuzügling konnte sich mit Hilfe anderer „über Nacht“ eine Hütte auf öffentlichem Grund bauen, um bleiben zu dürfen. Diese sogenannten Gecekondus (türk. Gece: Nacht) waren Ausdruck einer Politik, von der Urbanist Orhan Esen bei einem Interview mit der deutschen taz sagt: „Gecekondus waren immer illegal, aber legitim. Die Gecekondu-Leute besetzten schlicht staatliches Land, was in den meisten Fällen toleriert wurde. Die Politik hat damals in-

+ + city PEOPLE + + + city PEOPLE + + + city PEOPLE + + + city PEOPLE + + + Astrid Heubrandtner, „Filmemacherin“: Aufmerksam auf Sulukule wurde sie durch einen Zeitungsartikel. Zu Silvester 2007 fuhr die heute 44-jährige Astrid Heubrandtner nach Istanbul, wo sie sich nach dem Stadtteil erkundigte und aufs Erste auf taube Ohren stieß: „Sulukule? Kennen wir nicht!“ Doch dann fügte sich eins ins andere. Sie forschte Europas älteste Romasiedlung aus, lernte die richtigen Menschen kennen und drehte schließlich den Film: „Mein Haus stand in Sulukule“. Darin dokumentiert sie den radikalen Roma-Absiedlungsprozess in einem hoch begehrten Innenstadtviertel. „Zwischen 2007 und 2010 war ich insgesamt zehn Mal dort. Wenn sich die Lage

dramatisch veränderte, saßen wir schon im Flieger“, erzählt die gebürtige Steirerin. Die Filmemacherin arbeitete als Fotografin in Paris, danach machte sie ein Doppelstudium an der Filmakademie über Kamera und Produktion. Seit Oktober 2011 ist sie dort Gastprofessorin, zuständig für Bildtechnik und Kamera. Vor drei Jahren wurde sie auch Vorsitzende der Austrian Association of Cinematographers (aac). Und nach Istanbul hat sie immer noch Verbindung.

Foto: bettina frenzel

heit bringen könnten und speziell den Freiräumen als Fluchtort und temporärer Siedlungsraum eine immense Wichtigkeit zukäme, passiert das Gegenteil. Es wird gebaut und verdichtet und Grünraum vernichtet. Wenn es einmal doch Platz vorhanden ist, dann ist das eine glückliche Fügung. Denn von konsequenter Planung kann keine Rede sein. Zwar gibt es laut Susanne Prehl sehr wohl eine planliche Auseinandersetzung, jedoch „widersprechen die entstehenden Planwerke einander oder klären Zuständigkeiten nur unzureichend.“ Hinzu kommt, dass die Realität schneller zuschlägt als diverse Unterlagen verarbeiten können.

tuitiv erkannt: Eigentum ist das beste Mittel gegen Kommunismus.“ Mit dieser Haltung hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die nun andere Kräften aktiviert: die der Investoren.

Sulukule: Gecekondus müssen neuen investoren Platz machen Bertramz/Wikimedia

Die Gemäldegalerie am Schillerplatz Die Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste gilt als Geheimtipp in der Wiener Museumslandschaft. Verborgen hinter der Fassade der Kunstuniversität stellt sie - als eine der drei international bedeutenden Sammlungen alter Meister in Wien - heute eines der wenigen noch sichtbaren Relikte der großen Vergangenheit der Wiener Akademie dar, mit der die Sammlung auch noch organisatorisch verbunden ist. Die Akademie hat in ihrer langen Geschichte von sich aus nie Gemälde gesammelt. Der zentrale Bestand der Sammlung geht auf die Stiftung des Grafen Lamberg-Sprinzenstein zurück, der 1822 seine rund 800 Gemälde an die Aka-

demie übergab und damit das erste institutionelle Kunstmuseum in Wien schuf. Seit Herbst 2010 sind die Schätze der Sammlung nach langer Schließzeit wieder in prachtvollem neuem Rahmen zu bewundern: allen voran das Jüngste Gericht von Hieronymus Bosch. Das dreiteilige Altarwerk zeigt eine bunte, rätselhafte Phantasiewelt voller bizarrer Kriegsszenen und Grausamkeiten. Hervorzuheben sind auch die Meisterwerke von Cranach d. Ä., Tizian und Rubens, von Rembrandt und seinen Zeitgenossen des Goldenen Zeitalters der holländischen Malerei bis hin zu Luca Giordano, Tiepolo, Guardi und den Malern des Wiener Klassizismus um 1800.

Aktuell präsentiert die Gemäldegalerie bis 20. Mai 2012 die kleine, feine Ausstellung „Das Kind im Bild (1770-1850)“. Am Beispiel einiger ab 1770 entstandener Kinderporträts aus eigenem Bestand, lässt sich J.J. Rousseaus „Erfindung der Kindheit“ in vielen Aspekten verdeutlichen.

Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien Wien I., Schillerplatz 3, Di-So, Feiertag 10.00 – 18.00 www.akademiegalerie.at


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international Istanbul

Diese phantastisch schöne Stadt österreichische Emigranten in Istanbul Architekt Clemens Holzmeister sammelte während der Nazi-Zeit zahlreiche emigrierte Kollegen nach Istanbul, wo er an Ankara, der neuen Hauptstadt der Türkei, mitbaute. Der Grazer Fotograf Othmar Pferschy ­dokumentierte den Aufbau. I iris meder

Clemens Holzmeister

imagno Austrian Archives

Galata Brücke / Galata Köprüsü, Istanbul, 1936

I

m Norden von Istanbul liegt Therapia, das Villenviertel der Reichen. Wir fuhren zum ehemaligen SummerPalace-Hotel, wo jetzt in großer Einfachheit der Architekt Holzmeister wohnt, der für Kemal Pascha Ankara gebaut hat. Im ersten Stock befanden sich die Arbeitsund Wohnzimmer unseres Gastgebers und seines Stabes (österreichische und tschechische Flüchtlinge). Alles strömte eine so angenehme Atmosphäre aus, das Bemühen um ausgewogene Proportionen und Einzelheiten, die Sauberkeit, die acht bis zehn Zimmer mit Schreib- und Zeichentischen, die zweckmäßig aufeinander abgestimmt waren. […] Mein gutaussehender, athletischer Tischnachbar sang uns zu Ehren zur Gitarre einige Schweizer Lie-

Othmar Pferschy © Istanbul Museum of Modern Art

der. Dann fielen die anderen im Chor ein, und all diese Lieder riefen die Erinnerung an die fernen Alpen in uns wach. Das letzte Lied, das schönste, endete ergreifend: O Land Tirol – Mein einzig Glück – Dir sei geweiht – Mein letzter Blick! Diese schweren Worte voll ruhiger Entschlossenheit wirkten herzbeklemmend, da sie aus der Kehle dieser Verbannten kamen.“ Die Erinnerungen der Schweizer Reiseschriftstellerin und Fotografin Ella Maillart werfen ein Schlaglicht auf die österreichische Emigrantenszene von Istanbul, deren Zentrum der aus Tirol stammende Architekt Clemens Holzmeister war. Dabei war Holzmeisters Aufenthalt in der Türkei durch den „Anschluss“ Österreichs 1938 unversehens von einem freiwilligen zu einem erzwungenen politischen Exil geworden, als der im Ständestaat politisch stark exponierte Architekt nicht mehr in die „Ostmark“ zurückkehren konnte.

Holzmeisterismus in Istanbul

Ausstellungpalast, Ankara, 1936.

Othmar Pferschy © Istanbul Museum of Modern Art

Das Land Atatürks war für Österreicher als Migrationsland durchaus reizvoll. Nicht wenige beteiligten sich am Aufbau von Kultur und Infrastruktur der neuen Türkei, die die Einführung des gregorianischen Kalenders und der lateinischen Schrift, die Trennung von Staat und Kirche, Gleichstellung der Frau und die im Fez-Verbot symbolisierte Forcierung

westlicher Standards überhaupt prägten. Mit der Anlage der neuen Hauptstadt Ankara entstand ein enormer Bedarf an Bauplanungen. Spezialisten wurden vor allem aus Deutschland, Österreich und der Schweiz geholt. Schon 1926 lud man Holzmeister als Schulbau-Architekten ein. Er empfahl stattdessen seinen Schweizer Assistenten Ernst Egli, der 1927 nach Ankara zog. Schließlich nahm Holzmeister den Auftrag zum Bau des Verteidigungsministeriums an und startete damit eine lange Folge von Bauaufträgen bis hin zu Atatürks Sommerpalast und dem Parlamentsgebäude. Bald nahmen auch türkische Architekten einen „Holzmeisterismus“ mit kubischen Baumassen und Erkern an.

kationen wie der 1934-38 vom Innenministerium auf deutsch, französisch und englisch herausgegebenen Zeitschrift „La Turquie Kémaliste“ sogar auf Banknoten gedruckt wurden. Pferschys Fotos zeigen kurzhaarige Gymnasiastinnen, Leichtathletinnen in Miniröcken, zukunftsfrohe Bauingenieure und Absolventinnen von Fliegerschulen, die man sich ebensogut in Paris oder Mailand vorstellen könnte.

Die neue Türkei Neben Holzmeister war in der Türkei auch der Grazer Fotograf Othmar Pferschy äußerst erfolgreich. Der gut mit Ernst Egli befreundete Pferschy lebte seit 1926 in Istanbul wo er ein Fotostudio im Stadtteil Beyoglu betrieb. Obwohl nur türkische Fotografen im Land arbeiten durften, wurde er 1935 vom staatlichen Pressebüro mit der Dokumentation des Aufbaus der Türkei beauftragt. Von der enormen Wertschätzung des Fotografen, dem die türkische Staatsbürgerschaft immer verwehrt blieb, zeugt die Tatsache, dass seine Fotos neben zahllosen Ansichtskarten, Kalendern, Bildbänden und Reportagen in Publi-

Othmar Pferschy © Istanbul Museum of Modern Art

Treffpunkt emigrierter ­Architekten Unterdessen involvierte man deutschsprachige Architekten auch in die Hochschullehre. Mit nur 22 Jahren wurde Philipp Ginther vom Wiener Büro Josef Franks zum Aufbau der Abteilung für Innenarchitektur an die Istanbuler Akademie der schönen Künste berufen, wo einige Jahre lang auch der Wiener Architekt Robert Oerley lehrte. Ernst Egli,


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Leiter der Architekturabteilung der Akademie, unterrichtete schon bald auf Türkisch. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland brachte zahlreiche politisch oder „rassisch“ Verfolgte in die Türkei, so aus Berlin Verkehrsstadtrat Ernst Reuter und Stadtbaurat Martin Wagner, der in Istanbul wirkte, bis er 1938 nach Harvard berufen wurde. Eine Mitarbeiterin Wagners war Leman Tomsu, die erste Architektin der Türkei. Wagners Nachfolger an der Istanbuler Technischen Universität wurde,

ten, so gut es ging. „Für die in Österreich verbliebenen Freunde bildete der ‚Summer-Palace‘ nicht nur ein attraktives Urlaubsziel, sondern auch eine praktikable Relaisstation für postalische Kontakte mit den in aller Welt verstreuten Wiener Flüchtlingen“, erinnert sich der Wiener Journalist Milan Dubrovic.

„Leben vorläufig in Istanbul“ Das von Ella Maillart beschriebene Haus wurde zu einer „Insel des Friedens“. Die von Holzmeis-

Insel des Friedens hatte sich ausgedünnt

dass er es für seine Pflicht halte, bald nach Wien zurück zu kehren. Er wollte sich als Freiwilliger melden und in der Deutschen Wehrmacht für seine Partei wirken.“ Eichholzer, ein Grazer Mitarbeiter Holzmeisters, tat sich mit Margarete Schütte-Lihotzky zusammen, die 1938 gemeinsam mit ihrem Mann Wilhelm Schütte von Eglis Nachfolger, dem Berliner Architekten Bruno Taut, für den Bau von Dorfschulen an die Istanbuler Akademie geholt worden war. „Leben vorläufig in Istanbul, die-

Holzmeister unterrichtete in den 1940er Jahren gemeinsam mit Paul Bonatz, dem Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs, an der Istanbuler Technischen Hochschule. Die „Insel des Friedens“ hatte sich ausgedünnt – Simony war nach Wien zurückgekehrt, Reichl in die USA gezogen, Eichholzer tot. 1947 übersiedelte Holzmeister nach Ankara und pendelte nach Wien, wo er wieder an der Akademie lehrte und wohin er 1954 zurückzog. Noch Othmar Pferschy

WienMuseum

Literatur

Galata Brücke in der Nacht,Istanbul, 1950

Bazar, Istanbul, 1955

auf Vermittlung des nach seiner Diskreditierung als „Kulturbolschewist“ emigrierten Münchner Architekten Robert Vorhoelzer, der zwangspensionierte Hamburger Bausenator Gustav Oelsner, der als Begründer der StädtebauLehre in der Türkei wie Reuter bis heute hoch verehrt wird. Holzmeister, der sich nach dem „Anschluss“ auf einen längeren Aufenthalt in Istanbul einrichten musste, bezog gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Stephan Simony und Fritz Reichl und deren Familien 1938 das ehemalige Hotel „Summer Palace“ am Bosporus. Der an der Wiener Akademie zwangspensionierte Holzmeister, der dem jüdischen Reichl und dem mit einer Jüdin verheirateten Simony durch die Anstellung in seinem Büro wohl ihre Existenz rettete, setzte für sich selbst alles daran, bei den deutschen Behörden nicht als Emigrant zu gelten – wodurch er auch seinen Pensionsanspruch verloren hätte. Mit seiner Frau Judith unterstützte er dennoch die Emigran-

Othmar Pferschy © Istanbul Museum of Modern Art

ter beschworene „Ruhe und fast klösterliche Abgeschiedenheit“ in dem „Summer Palace“ genannten Domizil, das schnell zum Treffpunkt für Emigranten und Besucher aller Art wurde, wurde indes, über den deutschen Botschafter immer gut mit Dürnsteiner Weinen versorgt, durchaus auch von Speis, Trank, Musik und Gesang erhellt: „Die üppige Wiedersehensfeier währte die ganze Nacht hindurch bis in den frühen Morgen, als sich die Sonne aus den Fluten des Bosporus erhob“, erinnert sich Dubrovic an eine Istanbul-Reise, und weiter: „Die erregenden Stunden dieser allzu kurzen Nacht waren ein gehetztes Durcheinander aus Wiedersehensfreude und überraschenden Widersprüchen. Es ergaben sich veränderte Denkweisen aus den konträren Standpunkten des ‚Draußen‘- und des ‚DrinnenSeins‘. [Herbert] Eichholzer war der Einzige, der unseren Darlegungen mit Verständnis gefolgt war. Er bekannte sich offen zum Kommunismus und deutete an,

ser phantastisch schönen Stadt am Meere, allein darauf freut man sich schon unbeschreiblich“, schrieb Schütte-Lihotzky, als ihre Übersiedlung in die Türkei beschlossen war. Nur wenig später gründete sie mit Eichholzer eine österreichische Widerstandsgruppe. Beide reisten nach Wien aus, um im Untergrund zu arbeiten. Eichholzer wurde verhaftet und hingerichtet, Schütte-Lihotzky entging einem Todesurteil nur durch den Mut ihres Mannes, der ein Schreiben des türkischen Innenministeriums fälschte und zum Berliner Volksgerichtshof schickte.

Othmar Pferschy © Istanbul Museum of Modern Art

fast ein Vierteljahrhundert später war seine Entscheidungsgewalt in der Türkei so groß, dass er, damals 92 Jahre alt, persönlich seinen ehemaligen Studenten ­ Behruz Çinici für den Erweiterungsbau des Parlaments in Ankara bestimmte. Othmar Pferschy wurde 1940 zur Wehrmacht eingezogen; ab 1947 lebte er wieder in der Türkei. Dort wurde das Klima nach Atatürks Tod für Ausländer immer ungünstiger. Das Land erwiderte Pferschys Liebe nicht mehr. Nach Verleumdungskampagnen türkischer Kollegen kehrte er 1969 resigniert nach Österreich zurück.

Margarete Schütte-Lihotzky, Erinnerungen aus dem Widerstand. Wien 1994 Bernd Nicolai, Moderne und Exil. Deutschsprachige Architekten in der Türkei 1925-1955. Berlin 1998 Antje Senarclens de Grancy/ Heimo Halbrainer, Totes Leben gibt es nicht. Herbert Eichholzer 1903-1943. Wien 2004 Othmar Pferschy –‑ Türkei Modern. Graz 2008 Burcu Dogramaci, Kulturtransfer und nationale Identität. Deutschsprachige Architekten, ­Stadtplaner und Bildhauer in der Türkei nach 1927. Berlin 2008 Wilfried Posch, Clemens Holzmeister. Architekt zwischen Kunst und Politik. Salzburg 2010 Horst Hambrusch (Hg.), Clemens Holzmeister – Ankara. Eine Hauptstadt für die neue Türkei. ­Innsbruck University Press 2011

Holzmeister und der Schillerplatz Der am 27. März 1886 in Fulpmes, Tirol geborene Clemens Holzmeister war zeit seines Lebens der Akademie der bildenden Künste in Wien verbunden. Das erste Mal leitete er die Meisterschule für Architektur an der Akademie von 1924-1938. Im Jahr 1927 wurde er von der neuen türkischen Regierung nach Ankara geholt. Dort plante er unter anderem das türkische Verteidigungsministerium, die Militärakademie, das Innenministerium und das Parlamentsgebäude ebenso wie den Obersten Gerichtshof, das Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium und die Österreichische Gesandtschaft. Im Jahre 1938 wurde Clemens Holzmeister aus politischen Gründen von der Akademie am Schillerplatz entlassen und blieb in Istanbul. Hier lehrte er von

1940 bis 1949 an der Technischen Hochschule. 1947 übersiedelte Clemens Holzmeister nach Ankara und pendelte zwischen Wien und Ankara, bis er 1954 endgültig nach Wien zurück-

Die Akademie der Bildenden Künste Wien.

kehrte. Ab dem Jahr 1949 bis 1961 leitete er wieder die Meisterklasse für Architektur. Von 1955 bis 1957 war er außerdem Rektor der Akademie am Schillerplatz.

Lisa Rastl


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international Revitalisierungen

ausverkauf von kulturgütern

Kreuzfahrtschiffes mitten im Herzen von Venedig. Die Unesco hatte bisher vergeblich an die Stadtverwaltung appelliert, den Zugang zur Lagune für die jährlich 300 Kreuzfahrtschiffe zu begrenzen. Der Verkehr führt unter anderem zu Schäden an den Gebäudefundamenten. Die Denkmalschutzvereinigung „Italia Nostra“ reichte bei der Staatsanwaltschaft von Venedig eine Klage gegen die Pläne Benettons ein. Das Projekt schade der historischen Identität und gefährde die Stabilität des Gebäudes.

Leerstand schlimmer als Neunutzung

Fondaco dei Tedeschi: Wo schon vor Jahrhunderten mit Seide gehandelt wurde, zieht die Modekette Benetton ein.

Venedig Die Schuldenkrise zwingt Italien zum Ausverkauf von Kulturgütern. Einer der repräsentativsten Prachtbauten ­Venedigs soll in eine ­Shopping-Mall umgebaut werden. I irene mayer-kilani

Rem Koolhaas, Planer des Fondaco-Umbaus. D.Gigler

D

enkmalschützer und Schuldennot beschleunigt Bürgerbewegungen in Genehmigung Italien schlagen ange„Kaufhäuser reflektieren das ursichts der Veräußebane Leben“, sagt Koolhaas, der rung wertvollen kulturellen Erbes sich gegen Vorwürfe wehrt, die Alarm. Der Fokus liegt dabei auf modernen Rolltreppen würden Venedig. Dort wurde der „Fondie Bausubstanz angreifen. „Diedaco dei Tedeschi“, die frühere ses Gebäude wurde schon unter Niederlassung deutscher Händler, der Zeit des Faschismus in den an den Modekonzern Benetton 1930er Jahren komplett umgeverkauft. Der Prachtbau direkt an baut. Deshalb ist es ziemlich der Rialto Brücke, eines der größschwierig zu unterscheiden, was ten Gebäude in der Serenissima, historische Substanz ist und was wechselte für 53 nicht.“ Für den Millionen Euro Architekten >> Venedig veräußert den Besitzer. Mit selbst, der als ­öffentliche Rechte an den Einnahmen Spezialist für ­Privatinvestoren. Wir soll die marode sensible Lösun­Bürger müssen uns rein gen zwischen Haushaltskasse der Stadt VeneTradition und wirtschaftlichen dig saniert wer­Interessen beugen. << Moderne gilt, sei den. die Erhaltung Wo früher mit kostbaren Edelsteider Historie bei diesem Projekt nen, feiner Seide und exotischen zentral. Positiv auf die Planung Gewürzen gehandelt wurde und wirkt sich laut Architekt aus, dass bis letztes Jahr das venezianische der Palazzo immer ein HandelsgeHauptpostamt untergebracht war, bäude und kein Wohngebäude soll auf über 10.000 Quadratmegewesen sei. ter ein neues Einkaufszentrum Die Bürgerbewegung „40xVeneder Kette Rinascente entstehen. zia“ steigt gegen das geplante EinDer Plan wurde von der Stadt bekaufszentrum auf die Barrikaden. reits genehmigt. Für den Umbau Öffentlicher Raum sei weit wichist Architekt Rem Koolhaas vertiger als ein Fashionkette, sagt antwortlich. Die kühnen UmbauVincenzo Casali, Sprecher der vepläne des Niederländers – es soll nezianischen Bürgerinitiative: die weltweit erste bewegliche „Die Stadt Venedig veräußert wieRolltreppe eingebaut werden der einmal öffentliche Rechte an sorgen für Aufregung. Der „FonPrivatinvestoren. Die Bürger Vedaco dei Tedeschi“ bekommt ein nedigs haben keine Mitsprache weiteres Stockwerk samt mound müssen sich rein wirtschaftlidernster Dachterrasse, von der chen Interessen beugen.“ Die Laman einen Traumblick auf die Lagunenstadt sitzt trotz des jährligunenstadt werfen kann. Der chen Ansturms von 20 Millionen Umbau des Traditionsgebäudes Touristen auf einem Schuldenberg dürfte bereits 2013 starten. in der Höhe von 400 Millionen

Andreas Praefcke/Wikimedia

Euro. Um bürokratische Hürden abzukürzen, versprach Benetton der Stadt Venedig weitere sechs Millionen Euro zu zahlen, wenn binnen zwölf Monaten alle Genehmigungen für den Umbau erteilt werden.

Klage gegen Pläne Benettons Das geplante Einkaufszentrum sei inmitten der Fülle an SouvenirShops auch für Venezianer interessant, zudem würden 500 neue Arbeitsplätze geschaffen, verteidigt Koolhaas in einem Interview mit 3sat die Pläne. Antworten zum aktuellen Stand des venezianischen Projekts und zu den Vorwürfen bekam city von Seiten des Büros OMA – das Koolhaas´sche Office for Metropolitan Architecture in Rotterdam - leider keine. Die Tageszeitung „La Repubblica“ sieht in der visionären Panoramaterrasse das Äquivalent eines

Es sei nicht das erste Mal, erzählt Casali, dass man öffentlichen Raum wegnimmt. Zum stolzen Preis von 40 Millionen Euro erwarb das Mailänder Modehaus Prada mit der Ca’ Corner della Regina einen weiteren Prachtbau am Canale Grande. Dabei würden viel dringender Sport- und Spielplätze sowie Versammlungsräume benötigt, als ein neuer Konsumtempel, so Casali. Auch in Österreich versteht sich das Bundesdenkmalamt (BDA) als „Anwalt der Bausubstanz“. Dabei beschäftigt vor allem die Frage, wie der Bau denkmalgerecht genutzt werden kann – das Schlimmste für jedes Denkmal wäre ein Leerstand. „Man muss aber auch sagen, dass für viele historische Gebäude die ursprüngliche Funktion heutzutage nicht mehr gegeben ist“, räumt Claudia Volgger vom BDA gegenüber city ein. Dort seien behutsame Umwidmungen durchaus im Interesse des Denkmalschutzes. Zwar bereitet dem Denkmalamt das von Adolf Loos entworfene Geschäftslokal auf der Mariahilfer Straße, in dem derzeit ein Ein-Euro-Shop untergebracht ist, Bauchweh. Aber das BDA kann nur einschreiten, wenn Gefahr für die Bausubstanz besteht dass das Erscheinungsbild die „bedeutende Arbeit von Loos“ (Friedrich Achleitner, Österreichischer Architekturführer) in einen billigen Ramschladen verwandelt, lässt das österreichische Denkmalschutzgesetz zu.

Ca’ Corner della Regina: Auch Prada zieht an den Canale Grande. Forrestn/Wikimedia


design wenn design türkisch spricht Türken sind zweifelsohne Patrioten. Deshalb müssen Salzstreuer und Stehleuchten von türkischen Designern nicht zwingend wie Minarette geformt sein. Dass sie ganz anders kann, beweist die junge Designerszene in I­stanbul.

Sledge von Autoban für De La Espada.

autor I barbara jahn fotos I h ersteller kölnmesse

Frauen-Power 4U von Ece Selamoglu Yalim & Oguz Yalim für Nurus.

schen Orient und Okzident. Menschlichkeit darf aber auch hier niemals fehlen – so hat Gaye ihre Company auch nach ihrem Hund Gino benannt. Gaia & Gino wurde vom Time Magazine zum „Best of 2005 und 2008“ gekürt. Zum Schluss geben wir das Wort nochmals an Defne: „Wir n vo om müssen revolutionär d ee Fr sein, indem wir völlig neue Dinge entwickeln, und wir müssen die traditionellen Ansätze im Design evolutionär weiterentwickeln.“ Ein Satz, mit dem sie höchstwahrscheinlich allen Designern mit Wurzeln in der Türkei aus der Seele spricht. ef ür Vitr a Bad .

Bemerkenswert ist auch die starke Präsenz von Frauen, die sich der guten Gestaltung verschrieben haben. Eine der schillerndsten Figuren mit Büros in Istanbul, Mailand und Chicago ist Defne Koz. Sie hat sich keiner speziellen Designdisziplin verschrieben – ihre Produktpalette reicht von Schmuck über Möbel bis hin zu Fliesen und Accessoires. Wie geht sie um mit der Forderung, Altes zu bewahren? „Dafür gilt dasselbe wie für die DesigntBlock Vase von Harry Allen für radition. Design Gaia & Gino. kann durchaus kulturelle Identität bewahren, ohne sich zu wiederholen. Viele Kulturen von der türkischen über die mexikanische oder die afrikanische Kultur sind unglaublich reich, und doch werden manche verschwinden, wenn wir immer nur vorwärts gehen, ohne zurück zu blicken. Wenn wir es nicht gründlich erforschen und unter Berücksichtigung der heutigen Technologien, Materialien und Bedürfnisse ins Heute übertragen, wird viel von unserem kulturellen Erbe verschwinden.“

ve gr ov

Zugegeben: Türken hängen sehr an ihren Traditionen, die sie niemals ablegen oder abstreiten würden. Dennoch wird bei den jungen türkischen Designern Überliefertes und Erlebtes nur ganz subtil in den Entwürfen verarbeitet und steht nicht im plakativen Vordergrund. Gerade an einem Ort wie Istanbul, Schnittstelle zwischen Osten und Westen, macht sich eine lebendige Design-Szene breit. Die einstigen Newcomer sind heute weltweit angesehene Entwerfer und öffnen den Nachrückenden Tür

Seyhan Özdemir, ein Architekt, und Sefer Caglar, Interior Designerin, trafen einander an der Fine Arts Faculty of Mimar Sinan University, wo beide 1998 ihren Abschluss machten. 2003 gründeten sie Autoban, ein heute international gefragtes Designbüro. Acht Jahre später können sie erfolgreiche Bilanz ziehen: Heute beschäftigen sie 35 Mitarbeiter und haben 15 Designpreise gewonnen. 2004 wurden sie von Wallpaper zu den „Best Young Designers“ und 2005 vom Blueprint Magazine zu den „Best Newcomers“ gekürt. Viel früher schon, nämlich 1927, legte Nurettin Kunurkaya mit einer Werkstatt für Wohnmöbel den Grundstein für die 1980 gegründete Büromöbelproduktion Nurus. Das Unternehmen ist heute als Aussteller auf wichtigen Leitmessen wie der Orgatec nicht mehr wegzudenken und beteiligte sich 2007 auch als Sponsor und Koordinator an der Ausstellung „Ilk in Milano“, wo die Türkische Design Industrie erstmals auf internationale Ebene gebracht wurde. Güran Gökyay, Mit-Inhaber von

Eine Kämpferin, die es auch auf das internationale Parkett geschafft hat, ist Gaye Cevikel, die ihr Unternehmen, das sich auf gehobene Tischkultur und Accessoires konzentriert, 2004 ebenfalls in Istanbul gründete. Schon von Beginn an arbeitete sie mit großen Namen der westlichen Designhemisphäre an einer gestalterischen Fusion zwi-

Lo

Tradition mit Zukunft

Die Durchstarter

Nurus, distanziert sich von einem Klischee: „Wir wollen nicht als ethnische Gruppe dastehen und auch nicht als designende Türken. Unser Land ist kosmopolitisch.“ Derin DesignGründer Aziz Sariyer, dessen Unternehmen seit 2000 von Istanbul aus zeitgenössisches Möbeldesign auf den internationalen Markt bringt, verwehrt sich ebenfalls strikt gegen den Begriff „Türkisches Design“: „Wenn ich eine Zahnbürste entwerfe, warum muss die dann türkisch sein?“ Eines muss er aber doch einräumen: Die emotionale Herangehensweise prägt die Formen schon – westlich hin, türkisch her.

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Full Two von Derin Sariyer für Derin Design.

und Tor, mit dem Ergebnis, dass sich internationale Labels um die ehemaligen „Designexoten“ heute reißen. Ein wichtiger Beitrag dazu ist die Istanbul Design Week, die Esra Ekmekci und Arhan Kayer von der Dream Design Factory gründeten mit dem Ziel, die Kontinente auch auf Designebene miteinander zu vereinen. Das jährliche hochkarätig besuchte, erfolgreiche Meet and Greet hat sich zur angesehenen Austauschund Kontakt-Plattform zwischen westlichen und türkischen Designern entwickelt.

Designerin Defne Koz.

M

an muss richtig aufpassen, dass man Äpfel nicht mit Birnen mischt, wenn der Begriff „Türkisches Design“ fällt. Allerlei festgefahrene Gedankenbilder tauchen auf, und am Ende sieht man vielleicht orientalische Ornamente und alles andere, was man beim letzten Türkei-Urlaub auf dem Bazar so peripher aufgesaugt hat, vor dem geistigen Auge. Weit gefehlt: Seit einigen Jahren geben die türkischen Designer Vollgas, besuchen die internationalen Möbelmessen und stellen auch dort aus – mit großem Erfolg. Und soviel sei verraten: Nichts von den Produkten verrät, dass sie aus einer türkischen Kreativfeder stammen.

Dondola von Defne Koz für Megaron.

Zahlen I Daten I Fakten Weiterführende Links: http://autoban212.com www.defnekoz.com www.derindesign.com www.gaiagino.com www.istanbuldesignweek.com www.nurus.com http://de.vitra.com.tr


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design Salone Internazionale del Mobile

Gespür für Holz und Design

Austrian Design: Österreich wird auch 2012 ein Special Guest in Mailand sein. Mit dabei sind alle, die in der österreichischen, aber auch ­internationalen Designszene einen guten Namen haben – und das sind schon ganz schön viele. I eine vorschau von ­barbara jahn

Zahlen I Daten I Fakten AUSTRIAN DESIGN – RAW AND DELICATE 17. bis 22. April 2012 La Pelota Via Palermo 10 (Zona Brera) 20121 Milano

W

enn Mailand im April 2012 wieder zum globalen Design-Halali bläst, darf eine schon nicht mehr fehlen: die österreichische Möbelindustrie. Bereits zum dritten Mal wird im italienischen Gestaltungsmekka österreichischen Designern und Produzenten eine Sonderausstellung gewidmet, die den Titel „Austrian Design – Raw and Delicate“ tragen wird. Organisiert wird die Leistungsschau von gointernational, einer Initiative von Wirtschaftskammer und Wirtschaftsministerium, sowie von Wien Products und der Österreichischen Möbelindustrie, deren Vorsitzender, Team 7-Chef Georg Emprechtinger, auf die hohe Qualität der heimischen Kreativität sowie auf das erstklassige Standing hinweist: „International ha-

Und beide Landesnachbarn halten ihre Traditionen hoch. So gibt es da wie dort viele mittelständische Betriebe, die meist inhabergeführt sind – ein entscheidender Faktor, der sich in diesen Zeiten der Oberflächlichkeiten immer mehr bezahlt macht. „Es kommt uns Österreichern dabei zugute, dass wir ein – vielleicht angeborenes Gespür für Holz haben. Im Umgang mit Holz macht uns jedenfalls keiner etwas vor“, betont Emprechtinger. „Ein weiterer unschätzbarer Vorteil ist unsere Handwerkstradition. Ob Tischler oder Polsterer, oft ‚vererben‘ Eltern ihr Können und ihren Erfahrungsschatz an ihre Kinder, immer sind Handwerker bestens ausgebildet und mit Engagement bei der Sache. Diese Kombination, dazu die durchwegs gute Ausstattung mit modernsten Maschinen macht intelligente Funktionalität und zukunftsweisendes Design manchmal überhaupt erst möglich.“ Auch die „Su Misura“-Philosophie - also kundengerecht,

www.bmwfj.gv.at www.cosmit.it www.go-international.at www.moebel.at portal.wko.at www.wienproducts.at

Neubau Chair von Kohlmaier.

len, dass sie den Mut haben über den Tellerrand zu schauen und, anstatt mit Traditionen zu brechen, diese in einen modernen Kontext transferieren. Auch die Designer leisten dazu ihren Beitrag, in dem sie sich – manchmal ernsthaft, manchmal ironisch – mit der Designgeschichte der Unternehmen auseinander setzen und auf ihre Art und Weise zu neuen Gedankenspielereien fin Erlkönig von breadedEscalope.

splineTEXtable von superTEX. Flaxx Chair von Intier Automotive Eybl.

Aye von Team 7.

maßgeschneidert und auftragsbezogen – ist in beiden Ländern ein großes Thema. Die Frage, warum sich Österreich also gerade in Mailand so offensiv präsentieren will, stellt sich gar nicht erst. Mailand ist für eine Woche der Nabel der Welt der internationalen Designszene, und hier – und nirgendwo anders – ist der richtige Platz dafür. Lautet doch das Motto dieses Salones „In Mailand – wo sonst?“. „Früh haben namhafte österreichische Möbelproduzenten verstanden, dass Design der Schlüssel zum Erfolg ist, besonders im Export. Sie arbeiten mit international renommierten Designern zusammen und haben ihre Kreativteams konsequent aufgebaut. Diese Kraft ist hier in Mailand spürbar“, sagt Emprechtinger.

den, die sich schließlich in ernst zu nehmenden und international anerkannten Produkten niederschlagen. Mit dabei sind Bene, Team 7, Eternit, Hussl, Perludi, Viteo und Wiesner Hager, Querdenker beispielsweise wie Thomas Feichtner, Dejana Kabiljo oder die PPAG architects, die mit ihren prototypischen Arbeiten das Genre ein wenig auf mischen, während sich etwa Martin Mostböck, das Label Nofrontiere oder das erst 2011 gegründete SpinOff-Unternehmen der Universität Innsbruck superTEX composites GmbH mit Nachhaltigkeit und technischem Fortschritt auseinander setzen. Mit an Bord sind auch die Duos mischer’traxler, Polka und Walking-Chair, sowie viele andere. Eine bunte, erfrischende Mischung also von 51 Repräsentanten bei der 51. Ausgabe des Salone Internazionale del Mobile. Der gemeinsame Auftritt wird auch beim dritten Mal für jede Menge Gesprächsstoff sorgen, denn Tradition und Moderne, zwei Begriffe, die österreichische Designgeschichte immer schon mitbegleitet haben, sind eben eine gute Mischung.

Parcs Toguna von Bene.

fotos I hersteller martin mostböck design Development, breadedescalope

ben Möbel ‚Made in Austria‘ ein gutes Image. Handwerkliche Qualität und zeitgemäßes Design zeichnen sie aus und ihre Hersteller punkten zudem mit Flexibilität, Zuverlässigkeit, Servicebereitschaft und Liefertreue.“

Seelenverwandtschaften Nicht nur, dass Italien und Österreich grundsätzlich gute Handelsbeziehungen pflegen, so ist ihnen auch eine gewisse Feinfühligkeit und Geradlinigkeit gemeinsam. Foto: occhio

Joy of light Der deutsche Designleuchtenhersteller Occhio hat die neue io 3d Leuchtenfamilie auf den Markt gebracht. Sie besticht mit einer Fülle individueller StyleOptionen und bietet mit ihrer faszinierenden dreidimensionalen Beweglichkeit, neuester LED-Technologie und einzigartigen Detaillösungen ein nie dagewesenes Erlebnis im Umgang mit Licht. Der markante Kopf geht mit dem flachen, angewinkelten Arm eine unsichtbare Verbindung ein und schafft damit die Grundlage für die Beweglichkeit der io 3d. Die charakteristischen

Grip-Pads sind zugleich Funktions- und Gestaltungselement: Als wärmeentkoppelte Grifffläche erlauben sie das Bewegen des Kopfes, durch ihre Wechselbarkeit lässt sich der Auftritt der Leuchte jederzeit verändern. Geschaltet und gedimmt wird das Licht mit der Hand – berührungslos und intuitiv. Infos: occhio.de

Querdenken erlaubt Konzipiert wurde die Ausstellung, die in der 1947 errichteten ehemaligen Sporthalle La Pelota nicht weniger als 1.000 Quadratmeter in Anspruch nehmen wird, von der Tiroler Designerformation Pudelskern, die ganz bewusst österreichische Landschaft und Kultur mit heimischem Design gegen-

FIT Lounge Chair von Kobleder.

überstellt. „Die Alltagstauglichkeit traditioneller Lebensformen, die rauen und beeindruckenden Landschaften, die hochkulturellen Glanzpunkte in unseren urbanen Zentren, die jungen und zielstrebigen Nachwuchstalente, unsere international anerkannten Größen des österreichischen Designs und Österreichs innovative Möbel- und Produkttrends gepaart mit der Könnerschaft des traditionellen Handwerks, das mehrere Generationen zurückreicht, waren für uns die Vorbilder beim Entwickeln des diesjährigen Österreich-Auftritts.“ Zu den Protagonisten gehören unter anderem Neue Wiener Werkstätte, Lobmeyr, Backhausen oder Augarten, die schon länger immer wieder unter Beweis stel-


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