Rundbrief 1-1999

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ISSN 0940-8665 35. Jahrg./ Juni 99, DM 7,50

Nachbarschaftsheime, Bürgerzentren, Soziale Arbeit, Gemeinwesenarbeit

Rundbrief 199 • Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT e.V.


Rundbrief 1/99

35. Jahrgang ________ Juni 1999

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT von Eva Becker______________________________________________ S. 1 AUS DEN EINRICHTUNGEN Der Nachbarschaftsverein Kotti e.V., Berlin __________________ S. 3 Frei-Zeit Haus e.V.,Weißensee_______________________________ S. 4 Nachbarschaftsheim Bockenheim e.V., Frankfurt _____________ S. 6 Kommunaler Ortsverein “Treptow ‘90” e.V., Berlin ___________ S. 7 GEBURTSTAGE/JAHRESTAGE/JUBILÄEN 50 Jahre Nachbarschaftsheim Wuppertal __________________ S. 10 50 Jahre Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.: Einladung zum Internationalen Bildungsseminar “Participation - Inside and Outside” im Rahmen des Treffens der IFS-Europa-Gruppe ____________ S. 13 20 Jahre ufa-fabrik und 12 Jahre NUSZ, Berlin _____________ S. 14 MAGAZIN _______________________________________________ S. 15 Bürgergesellschaft und Sozialstaat von Herbert Scherer

Het Bun Dai Bun von Birgit Weber

Handbuch für sozial-kulturelle Arbeit von Gudrun Israel

“Wovon reden wir eigentlich?” Die Dimensionen des bürgerschaftlichen Engagements von Reinhard Liebig _________________________________________ S. 20 Bürgerschaftliches Engagement als Jobkiller? von Anselm Meyer-Antz ______________________________________ S. 30 “Family life” in Bihor-Oradea, Rumänien von Renate Wilkening________________________________________ S. 33 Quartiersmanagement Gedanken zu einem neuen Wort von Miriam Ehbets ___________________________________________ S. 34 REZENSIONEN __________________________________________ S. 37

Der RUNDBRIEF wird herausgegeben vom VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT E.V. Slabystr. 11, 50735 Köln Tel 0221 / 760 69 59 Fax 0221 / 760 79 05 E-mail: VskaKoeln@T-Online.de Kontaktbüro Berlin: Tucholsky Strasse 11 Tel 030 / 280 96 107 Fax 030 / 280 96 108 Redaktion: Eva Becker Gestaltung: Both Grafik Der RUNDBRIEF erscheint zweimal jährlich Einzelheft: DM 9,50 incl. Versandkosten ISSN 0940-8665


Titelfoto: Hans Georg Berger CURRICULUM VITAE geboren am 26.10.1951 in Trier, Studium Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Religionsphilosophie in München und Vermont/USA (State University). Von 1972 bis 1976 Autor, Schauspieler und Regisseur bei der Theatergruppe “Rote Rübe” in München. 1976 Preis des Kuratoriums Junger Deutscher Film für das Drehbuch “Menschenjäger”. Mitbegründer des Münchner Theaterfestivals 1977; Leiter des Theaterfestivals von 1981 bis 1983. Für die Landeshauptstadt München Konzept für das Festival zeitgenössischer Musik “Münchener Biennale”, gemeinsam mit Hans Werner Henze (1985). Mit Ariane Mnouchkine und Patrice Chércau Begründer der Künstlerorganisation AIDA. 1987 Publikation “Der Prozeß Wei Jing Jen” (Rowohlt). Seit 1977 kontinuierlicher Wiederaufbau einer franziskanischen Einsiedelei auf der Insel Elba, die zu einem Ort künstlerischen Schaffens und wissenschaftlicher Studien geworden ist. Herausgeber (seit 1989) des Jahreshefts “Quaderni di S.Caterina”. Seit 1989 regelmäßige und ausgedehnte Aufenthalte in Südostasien; Sprachstudium Thai und Studium des Buddhismus; Fotoarbeit zur Semiotik der Mudras in den Darstellungen des Buddhismus. Seit 1985 enge schriftstellerische und fotografische Zusammenarbeit mit Hervé Guibert und Bernard Faucon. 1990 Aufnahme in die Pariser Fotografenagentur “Vu”. Im Juli 1992 Einzelausstellung bei den Rencontres Internationales de la Photographie “Les Européennes” in Arles; Ankauf der Ausstellung “Dialogue d’ Images” durch die Association Francaise d’ Action Artistique des französischen Außenministeriums. 1993 Einzelausstellung im Penrose Institute for Contemporary Arts in Tokyo. 1994 1996 Projekt “Het Bun Dai Bun” über traditionelle Pagodenfeste und das klösterliche Leben in Luang Prabang (Laos) in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und der laotischen Regierung. 1997 Gründung eines Botanischen Gartens zur Erforschung und Bewahrung der Biodiversität der Flora der Insel Elba, in Zusammenarbeit mit der Universität Pisa.

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser, in der Rubrik ‘Aus den Einrichtungen’ erfahren Sie dieses Mal Wissenswertes von verschiedenen Nachbarschaftshäusern, ihrer alltäglichen Arbeit, aber auch von neuen, interessanten Projekten etc. Herzliche Glückwünsche schicken wir all jenen Einrichtungen, die in 1999 einen runden Geburtstag feier(te)n und natürlich auch an all die nicht-runden Geburtstagskinder bzw. -häuser. Im Magazin, unserer schon lange bestehenden Rubrik, möchte ich besonders auf die sozialpolitische Tagung des Verbandes in Zusammenarbeit

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mit der Paritätischen Akademie in Berlin hinweisen, die vom 14. - 16. November 1999 in Berlin stattfindet. Ein Projekt in Laos ‘Het Bun Dai Bun - Rituale einer glücklichen Stadt’ -nimmt uns mit in die Ferne und zeigt uns eine fremde Lebensweise, in der wir uns selbst und unsere Sehnsüchte wiedererkennen können. Im Handbuch für sozial-kulturelle Arbeit (das wir Ihnen hier vorstellen), können Sie Interessantes zur sozial-kulturellen Arbeit erfahren. Die abschliessenden Artikel waren dann wieder so individuell, dass wir sie nicht in eine bestimmte Rubrik hineinquetschen wollten. Für die vielen interessanten Artikel wollen wir uns nochmals herzlich bei den AutorInnen bedanken und wünschen uns von Seiten der LeserInnen viel Interesse und Spass beim Lesen. Eva Becker

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Aus den Einrichtungen

ohne g a T n i E ist ein n l e h c ä L Tag. r e n e r o verl Chaplin Charlie

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Aus den Einrichtungen

Nachbarschaftsverein Kotti e. V. Der Kreuzberger Nachbarschaftsverein “Kotti e. V.” will mit einem speziellen Schwangerschaftsprojekt für türkische Frauen Barrieren überwinden und Vertrauen schaffen. Ein Netzwerk soll die medizinische Versorgung gewährleisten. In Berlin bringen bedeutend mehr Migrantinnen tote Kinder zur Welt als deutsche Frauen. Das ist das Ergebnis einer Gesundheitsuntersuchung, die von verschiedenen Bezirken in Auftrag gegeben wurde. Auf einer Pressekonferenz machte der Kreuzberger Nachbarschaftsverein “Kotti e.V.” auf die Probleme von schwangeren Migrantinnen aufmerksam: Während auf 1.000 lebend geborene Kinder 2,9 Totgeburten von deutschen Müttern kommen, liegt die Quote bei Migrantinnen bei 4,2. “Das sind fast doppelt so viele Totgeborene wie von deutschen Eltern”, sagt Monika Wagner vom Kotti e.V. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass 20 bis 30 Prozent Migrantinnen-kinder mit erheblichem Untergewicht zur Welt kommen. Die Ursachen dafür sieht Ingrid Papies-Winkler von der “Plan- und Leitstelle Gesundheit” des Kreuzberger Bezirksamtes in der fehlenden Information bei der medizinischen Versorgung von schwangeren Migrantinnen. “Aufgrund erheblicher Sprachbarrieren fühlen sich ausländische Frauen oft unverstanden, ihre Probleme werden schlichtweg nicht wahrgenommen”, so Papies-Winkler. Dies führe dazu, das Angebote für Schwangerschaftsuntersuchungen nicht angenommen oder Medikamente falsch eingenommen würden. Durch die Arbeit in der Schwerindustrie oder als Reinigungskräfte im

(TAZ vom 3/3/99)

Schichtbetrieb ergeben sich nach Angaben der Gesundheitsamts-Mitarbeiterin häufig Probleme. Der Gang zum Arzt unterbleibe aufgrund des fehlenden Vertrauens. Nun will der Kotti e. V. speziell türkischen Frauen mit einem auf sie zugeschnittenen Programm “Rund um die Schwangerschaft” helfen. Geplant sind zunächst Gruppentreffen. Aber auch Einzelgespräche sollen möglich sein. In Kooperation mit Kreuzberger Kinderärzten, Gynäkologen, Krankenhäusern und sozialen Projekten sollen Vorträge und Kurse zu den Themen Geburt, frühkindliche Entwicklung und Familienplanung angeboten werden. Bei Bedarf soll auch Schwangerschaftsgymnastik möglich sein. Von den jährlich 2.000 Geburten in Kreuzberg sind über die Hälfte Kinder von Migrantinnen, in der Mehrzahl türkische Frauen. “Die Frauen sollen aktiv an der Veranstaltungsplanung der Schwangerschaftsberatung teilnehmen”, erklärte gestern Monika Wagner. Damit dies möglich wird, soll ein Großteil der Beratungen in türkischer Sprache angeboten werden. Auch Väter sind herzlich willkommen. Doch da be-

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fürchtet die Projektleiterin Canije SerifovaWichterich Probleme: ”Viele türkische Väter möchten sich lieber mit Männern über ihre Probleme unterhalten”, sagt sie. Deshalb gebe es die Überlegung, zusätzlich einen männlichen Berater heranzuziehen. Das Projekt wird zunächst für drei Jahre mit Mitteln aus der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin gefördert. Projektleiterin Canije Serifova-Wichterich möchte “eine Brücke schlagen zwischen Ärzten, Hebammen und Krankenhäusern”. Alle Informationen sollen aus einer Hand stammen. Mini Ayaz ist eine der Frauen, an die sich das Angebot richtet. In wenigen Monaten wird die 29jährige ihr drittes Kind zur Welt bringen. Die Türkin, die nur wenig Deutsch spricht, begründet ihr Interesse an dem Projekt so: “Ich möchte vor allem Erziehungsfragen diskutieren und mich mit anderen Frauen austauschen.” Die Gruppe trifft sich jeden Dienstag von 10 Uhr bis 12 Uhr im Familiengarten des Kotti e. V. in der Oranienstraße 34. Weitere Informationen: Kotti e.V., Tel.: 030 - 6157991


Aus den Einrichtungen von Kirsten Dietrich

Frei-Zeit Haus e.V., Weißensee Ein Familienbereich entsteht Willst Du ein Schiff bauen, rufe nicht die Menschen zusammen, um Pläne zu machen, die Arbeit zu verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, endlosen Meer! Antoine de St. Exupéry

Ich erinnere mich noch gut an ein Treffen der Familien-AG des Verbands für sozialkulturelle Arbeit bei uns im Frei-Zeit-Haus Weißensee, bei dem es um das Thema „Elternaktivierung“ ging. Die Mitarbeiterin eines Nachbarschaftshauses aus dem Westen von Berlin vertrat vehement die Ansicht, daß die Eltern in ihrem Bezirk nicht das Bedürfnis haben, sich ehrenamtlich zu engagieren. Sie müsse das so hinnehmen. Schließlich könne sie die Eltern nicht zu etwas zwingen, was sie nicht wollen. Diese Kollegin hat offensichtlich resigniert. Aber trotz aller Schwierigkeiten ist und bleibt die Hauptaufgabe von Nachbarschaftszentren die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und Selbsthilfe! Anstatt aufzugeben und zu resignieren müssen wir Mitarbeiter der Nachbarschaftshäuser uns dieser Aufgabe stellen und ständig nach neuen Wegen suchen, Engagement und Eigeninitiative der Bürger zu fördern. Den Raum für Engagement eröffnen - das Haus öffnen Als wir mit der Familienarbeit im FreiZeit-Haus begannen, boten wir den Famili-

en von Anfang an die Möglichkeit, mitzumachen, ihre Ideen und Vorstellungen miteinzubringen und an der Entstehung des Familienbereichs mitzuarbeiten. Nach dem Prinzip „Wir bieten den Raum für die Verwirklichung Eurer Ideen“ hängten wir überall im Bezirk Plakate mit folgendem Text auf: „Wir suchen Menschen mit Ideen und Tatkraft, die Interesse haben, im Nachbarschaftshaus einen Familienbereich mitaufzubauen“. Um allerdings die Entstehungsgeschichte des Familienbereichs des Frei-Zeit-Hauses vollständig zu schreiben, muß ich noch einige Zeit vor dem Beginn der Familienarbeit anfangen. Eines Tages kam eine Mutter mit ihrer zweijährigen Tochter zu uns ins Haus mit der Anfrage, ob es möglich wäre, mit einer Gruppe von Müttern abends in der Werkstatt zu töpfern. Diese Mutter, Jana Rieger, traf mit ihrer harmlosen Frage mitten ins Schwarze der aktuellen Problematik des Frei-Zeit-Hauses: Es ging um die Veränderung von einem Seniorentreffpunkt ausschließlich für Vereinsmitglieder und „Gäste“ hin zu einem Nachbarschaftshaus, offen für alle Bürger des Stadtteils. Daß die Fördergelder des Senats für letzteres fließen, muß an dieser Stelle nicht erklärt werden. Jana und die anderen Mütter brachten mit ihrem Anliegen einen Stein ins Rollen: Da kamen doch tatsächlich plötzlich Bürger ins Haus, die selbst etwas aufbauen wollten, die jenseits von jeglichem pädagogischem An-dieHand-Nehmen selbstverantwortlich ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen wollten. Diese Eigeninitiative brach die alten hierarchischen Strukturen auf und stellte sie grundsätzlich in Frage. Heute wird die

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Keramikwerkstatt von den dort arbeitenden acht Gruppen selbstverwaltet. Die Mitarbeiter sind nur noch dazu da, die Aktivitäten der Keramikgruppen organisatorisch zu unterstützen und an regelmäßig stattfindenden „Werkstatttreffen“ teilzunehmen, bei denen die Gruppen alle notwendigen Absprachen unter sich und mit dem Haus treffen. Das war die Vorgeschichte. Die Mütter dieser ersten selbstorganisierten Keramikgruppe äußerten das Bedürfnis, sich auch tagsüber im Haus betätigen zu wollen. Sie bestätigten mir, daß es in Weißensee kaum Möglichkeiten gäbe, sich mit anderen Eltern mit kleinen Kindern zu treffen. Auch gäbe es keinen Ort, wo sich Mütter kreativ betätigen und ihr Kind einfach mitbringen könnten. Der Bedarf von Seiten der Mütter sei also da. Ich meinerseits startete eine Analyse in bezug auf Familienangebote im Bezirk und befragte alle in Frage kommenden Einrichtungen. Es stellte sich auch auf diesem Wege heraus, daß das Angebot gering, der Bedarf aber groß ist. Daraufhin erarbeitete ich zusammen mit Jana Rieger ein Konzept für einen Familienbereich im Frei-Zeit-Haus und wir verfaßten das eingangs erwähnte Plakat. Dieser Prozeß brachte schwerwiegende strukturelle Veränderungen mit sich: • Innerhalb meiner Stelle als pädagogische Mitarbeiterin verschoben sich meine Aufgaben von recht schwammigen, wie „jüngere Menschen fürs Haus interessieren“, Nachbarschaftsarbeit, Betreuung Ehrenamtlicher, Mitorganisation von Festen etc. auf den einen klaren Aufgabenbereich „Familienarbeit“, nebst weiterhin bestehender Aufgaben wie z.B. der Basisberatung.

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• Es mußte ein Raum des Frei-Zeit-Hauses auf die Familienarbeit festgelegt werden, d.h. ausgestattet werden mit Teppich, Spielzeug, Kinderbüchern etc. • Wir beschlossen, für diesen neuen Bereich ein eigenes Programm herauszugeben, da unsere Vorstellungen von Gestaltung und Inhalt nicht mit denen des regulären Programms zusammenpaßten, und wir mit einem eigenen Programm gezielter werben konnten. • Die Feste des gesamten Hauses mußten ab sofort als Feste für alle Altersgruppen (für die ganze Familie) konzipiert und realisiert werden • Dieser Prozeß, getragen von den Mitarbeitern, den Müttern und nur einigen wenigen aktiven Vereinsmitgliedern, führte zu aufreibenden Konflikten mit dem größten Teil der Vereinsmitglieder und dem Vorstand. Die Senioren, die bislang die Geschicke des Hauses und des Vereins bestimmt haben, fühlten sich verdrängt, übergangen und in ihren Besitzansprüchen angegriffen. Trotz allem führten wir die Arbeit fort. Mit der Hilfe von einigen Müttern entwickelten wir unser erstes Familien-Programm für die Monate März/April ‘98. Wir verfolgten (und verfolgen) dabei den Ansatz, mehrere Arten von Gruppen, Kursen und Veranstaltungen anzubieten, die den Nutzern unterschiedliche Zugänge zum Haus ermöglichen. Nach dem Prinzip der „Zürcher Treppe“ kann man an den Aktivitäten des Hauses teilnehmen, man kann mithelfen oder auch eigenverantwortlich aktiv werden. Die Gruppen und Kurse teilen sich auf in: • angeleitete Kurse über einen festgelegten Zeitraum • wöchentliche angeleitete offene Gruppen • selbstorganisierte Gruppen. Ein weiteres Grundprinzip unserer Arbeit besteht darin, Menschen zu motivieren eigene Fähigkeiten und Kenntnisse an andere weiterzugeben und voneinander zu lernen. Die meisten Gruppen werden von Müttern geleitet, die bei uns eine Chance bekommen, eigene Kenntnisse weiterzuvermitteln. Soweit sinnvoll und möglich, werden die Gruppen mit Kinderbetreuung angeboten. So haben die teilnehmenden Mütter Gelegenheit, etwas Neues zu lernen und sich kreativ zu betätigen, und sie können ihre Kinder einfach mitbringen. Beispielhaft hierfür sind zwei wöchentlich vormittags stattfindende Gruppen: Zum einen die offene Werkstatt montags, in der die Mütter

verschiedene handwerkliche Fertigkeiten kennenlernen können, z.B. Puppen selber nähen, Filzen, Kinderbekleidung nähen, Spinnen. Zum anderen die Keramikwerkstatt, die donnerstags stattfindet. Engagement möglich machen Alle zwei Monate veranstalten wir ein Familienforum: Ein Treffen, wo Ideen vorgebracht und besprochen werden können, wo manchmal überhaupt erst Ideen entstehen, wo engagierte Mütter und andere sich über ihre Aktivitäten im Haus austauschen und nach Unterstützern suchen können, wo Vorschläge, Wünsche und Anregungen zur weiteren inhaltlichen Gestaltung des Familienbereichs besprochen werden. Nahmen am ersten Treffen nur drei Mütter teil, so kamen zum zweiten Treffen bereits 16 Mütter. Aus diesem Forum sind dann eine Reihe von neuen Initiativen hervorgegangen, die z.Z. umgesetzt werden: • eine Elternbibliothek • ein Mutter-Kind-Frühstück, das alle zwei Wochen stattfindet und sich bereits größter Beliebtheit erfreut • eine Kinderbekleidungs-Börse, fast schon ein kleiner Laden, wo Eltern jeden Mittwoch Kinderbekleidung und -spielzeug abgeben und andere Dinge mitnehmen können • eine Eltern-Kind-Gruppe für 1- bis 2jährige • eine Eltern-Kind-Gruppe für 3- bis 4jährige • ein Wunschoma-Dienst Nach diesem zweiten Forum fühlte ich mich nochmals in meiner Ansicht bestätigt,

daß Mütter tatsächlich bereit sind, sich für sich und andere zu engagieren. Ja, es besteht sogar ein dringender Bedarf an Räumen für Mütter, in denen sie sich treffen und austauschen und aktiv werden können. Denn was liegt näher, wenn man einen Haufen Kinderkleidung zu Hause im Schrank hat und kein Second-Hand-Landen daran interessiert ist, als selbst eine SecondHand-Börse aufzubauen? Was liegt näher, wenn man gerne mit anderen Müttern klönt

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und frühstückt und nicht isoliert alleine zu Hause mit seinem Kind sein will, als ein Mutter-Kind-Frühstück zu organisieren? Damit die Mütter (und meistens sind es Mütter) aktiv werden können, brauchen sie allerdings nicht nur den Raum und damit die Möglichkeit, sich zu engagieren, sondern sie müssen sich in diesem Raum auch wohlfühlen. Um das zu gewährleisten, müssen einige Bedingungen erfüllt werden: • Die Verantwortung, die die Mütter übernehmen, darf sie nicht überfordern. • Sie müssen von den Mitarbeitern des Nachbarschaftshauses organisatorisch unterstützt werden. • Sie müssen emotional unterstützt werden, z.B. aufgemuntert werden, sollte mal an einem Tag niemand zu ihrer Gruppe, ihrem Mutter-Kind-Frühstück oder ihrer Veranstaltung kommen. • Sie müssen zu der verantwortlichen Mitarbeiterin eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut haben. • Sie brauchen die Sicherheit, daß sie mit ihrem Projekt nicht alleingelassen werden. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß man Mut braucht, um etwas eigenes auf die Beine zu stellen. • Die größte Bestätigung ist nicht das Lob der Mitarbeiter oder des Vorstands, sondern wenn ihr Projekt von anderen angenommen wird. Die Bürger des Stadtteils zu Engagement zu motivieren, ist also möglich. Vielleicht sollten in anderen Nachbarschaftseinrichtungen die Strategien zur Förderung von Engagement überprüft werden. Vielleicht sollten sich die Mitarbeiter ehrlich fragen: Will ich wirklich, daß sich Menschen engagieren? Denn es kann sein, daß das was die Menschen an Ideen und Eigeninitiative mitbringen meinen Vorstellungen widerspricht, und das bringt Unruhe und Veränderung mit sich. Doch ein Nachbarschaftshaus muß flexibel auf die sich ändernden Bedürfnisse der Menschen im Bezirk eingehen. Und nicht nur das Haus, sondern auch die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter müssen offen sein für neue Menschen und für das, was diese Menschen mitbringen


Aus den Einrichtungen

Nachbarschaftsheim Bockenhein e.V. Mädchenhomepage Ein Innovationsprojekt des Mädchenbüros des Nachbarschaftsheims Bockenheim e.V. Die Idee zu einer Mädchenhomepage entstand im Mädchenbüro des Nachbarschaftsheims Bockenheim e.V., das seit 1997 mädchenspezifische Kurs- und Gruppenangebote anbietet. Die ersten kreativen Versuche mit dem Computer weckten den Wunsch, sich mit dem neuen Kommunikationsmedium intensiver zu befassen. Chancen und Möglichkeiten, das Internet für die Mädchenarbeit einzusetzen wurden formuliert. Die Idee entstand, eine virtuelle Mädchenzeitung zu gestalten, das Mädchen die Möglichkeiten eröffnet, ihre Lebenswelt aus ihrer Sicht darzustellen. Warum Mädchenhomepage? Mädchen und junge Frauen werden im Zeitalter von Multimedia mit dem Vorurteil konfrontiert, daß sie technikdistanziert seien und sich nur zaghaft mit den neuen Technologien auseinandersetzten. Das stimmt so nicht! Mädchen und junge Frauen haben aufgrund ihrer sozialisationsbedingten Kompetenzen eigene Denk- und Handlungsstile entwickelt. Mädchen zeigen ein großes Interesse und Neugier an der Technik. Sie benötigen jedoch einen Raum, in dem weibliche Technikkompetenz und Technikauseinandersetzung wachsen kann: eine Mädchenhomepage, von Mädchen für Mädchen!

Wunsch und Wirklichkeit Während der Wunsch immer mehr an Form und Gestalt zunahm, wuchs das Fragezeichen der Umsetzung. Wichtige Ent-

scheidungen mußten getroffen werden, die den Wunschgedanken immer mehr in das Licht der Realität rückten. Woher sollte man das Geld für eine Computeranlage beschaffen? Welche technische Ausstattung benötigt das Projekt? In welchen Räumen soll der Computerraum angesiedelt werden, ohne daß er ungebetene Gäste zum Eintreten auffordert? Ein glücklicher Zufall bescherte dem Verein die Möglichkeit, sich an der Ausschreibung der Stadt Frankfurt a.M. “Förderung von innovativen Projekten” zu beteiligen. Somit waren die Geldnöte teilweise behoben und die Phase der technischen Auseinandersetzung begann. “Provider, User, Surfer, Netzwerkumgebung, serieller Zugang, etc.”, dies waren Begriffe, die das Projekt in den nächsten Monaten bestimmen sollten. Mit Hilfe von kompetenten und engagierten Frauen, die Spaß und Kreativität besitzen, sich in das neue Medium hineinzugeben, wurde die technische Umsetzungsphase zu einer intensiven Kommunikationphase, woraus mittlerweile einige Arbeitsgruppen entstanden sind. Teilnehmerinnen für das Projekt wurden schnell gefunden. Das Interesse war größer als erwartet. Somit formierte sich eine Gruppe von Mädchen im Alter von 12-14 Jahren, die mit viel Spaß, Kreativität und technischer Ausdauer ihre virtuelle Mädchenzeitung gestalten. Die Geburt des Projekts konnte nur mit Hilfe von vielen engagierten Personen zustande kommen. Vor allem durch die rege Unterstützung des Vereinsvorstandes und des Geschäftsführers, die das Risiko eingegangen sind, das Projekt zu realisieren.

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Die Struktur Die Struktur der Mädchenhomepage gliedert sich in zwei Bereiche: • Informationsbörse • Hintergrundinformation Der Bereich der Informationsbörse gliedert sich in unterschiedliche Rubriken, wie z.B. Veranstaltungskalender, Musik, etc. Sie werden von den Teilnehmerinnen ausgesucht. Der Bereich der Hintergrundinformation bietet den Teilnehmerinnen die Chance, sich zu Themen, wie z.B. Politik, Stellung zu beziehen. Sie haben jedoch auch hier die Möglichkeit, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu berichten, wie z.B. Klassenfahrten, Schüleraustausch etc. Wie geht es weiter? Alle Teilnehmerinnen haben den Wunsch formuliert, die Teilergebnisse ihres Projektes der Öffentlichkeit vorzustellen. Dies wird wohl im September geschehen. Die weitere Frage, die sich für das Projekt im Laufe der Umsetzungsphase gestellt hat, ist: Wie lassen sich die laufenden Kosten des Internetprojekts finanzieren? Hierzu sind wir auf private Sponsoren angewiesen, damit das Projekt und alle weiteren Ideen auf festen Füßen stehen können. Weitere Informationen zur Mädchenhomepage erhält man beim: Nachbarschaftsheim Bockenheim e.V. Mädchenbüro Rohmerplatz 15 60486 Frankfurt a.M Tel.: 069 - 77 40 40 Fax. 069 – 70 52 62 Email: mb.bockenheim@gmx.de

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Aus den Einrichtungen

“Ich bin das Nachbarschaftsheim “Paul Robeson” , unter alten Hasen auch “Robeson-Club” genannt, und aus dem ehemaligen Wohngebietsklub und Vereinsheim hervorgegangen. Ich stehe im Stadtteil AltTreptow - unmittelbar an den ehemaligen Grenzen und heutigen Brücken zu den Nachbarbezirken Neukölln und Kreuzberg. Ich bin ein gartenhausähnlicher Flachbau inmitten eines in den letzten 30 Jahren langsam gewachsenes Wohngebietes mit einer überwiegenden Altersstruktur der über 55jährigen. Ich bestehe aus drei Räumen: Einem Veranstaltungsraum mit kleiner Bühne, einem Lesecafe mit integrierter Küche und einem Büro-und Beratungsraum. Seit 1993 werde ich über die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales gefördert. Mein Träger ist der Kommunale Ortsverein “Treptow’90” e.V. Er wurde im Juni 1990 aus einer Bürgerinitiative des Treptower Runden Tisches gegründet, um für die demokratischen Rechte und sozialen Interessen der BürgerInnen einzutreten. Der Kommunale Ortsverein “Treptow’90” e.V. ist Mitglied im Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. Zu mir kommen Leute, die aktiv sein wollen. Deswegen verstehe ich mich auch als eine Stätte der Begegnung, Kommunikation und Eigeninitiative. Und das geht am Montagmorgen schon so richtig los bei mir. Da werden die Tische zur Seite gerückt, die Stühle in Reihen aufgestellt und um 10.30 Uhr treffen sich ca. 15 SeniorInnen zwischen 60 und 90 Jahren zur Stuhlgymnastik. Mit viel Spaß und guter Laune wird nun eine Stunde der Körper durchtrainiert. Danach haben alle den richtigen Appetit, um am Mittagstisch teilzunehmen. Den gibt es nämlich bei mir immer von Montag bis Freitag zwischen 12.00 und 13.30 Uhr. Am Nachmittag kommt dann die 2. Gruppe der SeniorInnen zur Stuhlgymnastik. Die sind auch topfit und haben viel Spaß an der sportlichen Betätigung. Der Montagabend wird von verschiedenen Gruppen in eigener Verantwortung gestaltet. Da trifft sich zum Beispiel die Hausgemeinschaft für Informationen in Vorbereitung von Sanierungsarbeiten oder ein benachbarter Verein zur Durchführung seiner Versammlung.

Kommunaler Ortsverein „Treptow ‘90“ “Guten Tag ! Sie gestatten, daß ich mich vorstelle ?”

Am Dienstagvormittag steht meine Tür offen für die kleinen Besucher. Sie sind zwischen 2 und 6 Jahre alt und kommen zu mir um zu basteln. Dieses Angebot richtet sich an die vielen Kitas in Treptow, Neukölln und Kreuzberg aber auch an die Muttis mit Kindern in der Nachbarschaft. Dabei habe ich mich mit dem Verein Schutzhülle e.V. im Atelier kunterbunD zusammengeschlossen. In meinem Umfeld ist

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der Bedarf der Kitas zum Basteln da und der Verein Schutzhülle sichert die fachliche Anleitung der Bastelstunde ab. Das klappt prima ! Am Nachmittag können dann die Großen bei mir basteln. Das ist was für kreative Leute, die Spaß am Entdecken alter oder neuer Handarbeitstechniken haben. Nebenbei kann man sich unterhalten und


Vereinaktivitäten am Nachmittag

so manches persönliche Problem bereden.. Der Dienstagabend wird 1x im Monat von der Arbeitsgruppe Kiezentwicklung gestaltet. Sie beschäftigen sich mit Bürgeranliegen, wie Mietengestaltung und Wohnprobleme, Sicherheit auf den Strassen (Schulwegsicherung für Kinder) und mit der Entwicklung des Baugeschehens im Stadtteil. Hier können und sollen interessierte Anwohner mitarbeiten und ihre Probleme, Forderungen und Rechte durchsetzen, mit Verantwortungsträgern ins Gespräch kommen und sich somit aktiv an den Entwicklungsprozessen im Stadtteil beteiligen. 2 x im Jahr organisiert diese Arbeitsgruppe große öffentliche Veranstaltungen für die Stadtteilbewohner wo kompetente Informationsträger eingeladen werden, die den Bürgern Rede und Antwort stehen. Leider passen bei mir nicht so viele Leute rein und deswegen kooperieren wir immer mit den größeren Einrichtungen im Stadtteil und dann klappt das. Am Mittwoch stehen meine Türen insbesondere für Rat-und Hilfesuchende offen. Aber auch wer bei mir nur so verweilen möchte, ist herzlich willkommen und `ne Tasse Kaffee gibt es noch dazu. Ich habe auch eine kleine Bibliothek in der man schmökern oder sich auch ein Buch ausleihen kann. Am Nachmittag kann man sich bei mir 1 x im Monat zu allen Fragen über die Rente beraten lassen. Der Mittwochabend wird regelmäßig durch die Arbeitsgruppe Fitness gestaltet. Ab 17.00 Uhr treffen sich 2 Gruppen mit je ca. 8 Teilnehmern, zumeist Frauen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren, die die Stühle und Tische wegräumen und dann

nach flotter Musik ihren Körper in Schwung bringen. Danach bleiben aber alle noch zusammen für anregende Gespräche aber auch für Kummer und Sorgen. Am Donnerstag findet immer ein buntes Nachmittagsprogramm bei mir statt. Diese Programme richten sich nach den Wünschen und Bedürfnissen der Besucher. Da gibt es Tanznachmittage, Buchvorlesungen, Gesundheitsvorträge, Kabarettprogramme, gemeinsames Singen, Gesellschaftsspielenachmittage, Lichtbildervorträge u.v.m. Da kommen so ca. 20-25 Besucher, zumeist Alleinstehende und Rentner, die bei Kaffee und Kuchen auch selbst für viel Unterhaltung sorgen. Am Abend treffen sich Jugendliche bei mir. Dafür ist die Arbeitsgruppe Kieztreff verantwortlich. Das ist ein offener Gesellschaftsspiele-und Gesprächskreis. Da heißt es dann oft: “Mensch ärgere dich nicht !” oder “Das Nilperd in der Achterbahn”! Der Freitag wird abwechselnd von Schülern und Junggebliebenen genutzt. Da wird bei heißer Discomusik oder bei SuperOldie-Musik das Tanzbein geschwungen. Am Wochenende werde ich zum einen zur eigenverantwortlichen Nutzung an Familien, Vereine oder Interessengruppen übergeben oder mein Träger veranstaltet Tage der offenen Tür, Hoffeste oder andere Vereinsaktivitäten. In den letzten 6 Jahren bin ich so zu einer begehrten Adresse in Treptow geworden und habe meinen festen Platz im Kiezgeschehen. Wenn Sie, lieber Leser oder liebe Leserin, jetzt neugierig auf mich geworden sind, dann sollten Sie ruhig mal einen Besuch bei mir einplanen. Ich freue mich auf Sie.”

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Geburtstage Jubiläen Jahrestage

e Meni d n e t Ach t, h selbs c i s n e sch en sie so acht h lich auc n h ö w ge de die frem hkeit. c i l n ö s r Pe VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

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l Smiles Samue


Geburtstage / Jubiläen / Jahrestage

Nachbarschaftsheim Wuppertal Festaktes 50 Jahre Nachbarschaftsheim Wuppertal e. V. am 22. April 1999 Rede der Vereinsvorsitzenden Frau Christina Rogusch

Frau Christina Rogusch, Vereinsvorsitzende, bei ihrer hier abgedruckten Rede anlässlich des 50jährigen Bestehens des Nachbarschaftsheims Wuppertal e.V.

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

seien Sie herzlich wilkommen an diesem 50. Geburtstag des Nachbarschaftsheimes in Wuppertal. Ich freue mich, daß Sie heute so zahlreich gekommen sind, um mit uns diesen Tag gemeinsam zu feiern. Besonders begrüße ich Frau Bürgermeisterin Wohlert in unseren Reihen. Ich freue mich um so mehr, daß Sie alle hier sind, weil es einen solchen Tag wie heute - zumindest gemäß einem alten Lehrsatz der Sozialarbeit - eigentlich gar nicht geben dürfte. Dieser Lehrsatz, der schon viele in der Sozialarbeit tätige Menschen belastet hat lautet: “Sozialarbeit ist dann gelungen, wenn

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sie am Ende selber überflüssig geworden ist.” So oder ähnlich wurde und wird diese Maxime in Theorie und Praxis immer wieder verkündet. So oder ähnlich hat er noch nie funktioniert. Der Satz kann auch nicht wahr werden, weil er zutiefst falsch ist. Dies gilt zumindes dann, wenn es sich um eine gemeinwesenorientierte Arbeit handelt, wie das beim Nachbarschaftsheim seit nunmehr 50 Jahren der Fall ist. Bevor ich darauf näher eingehe, erlauben Sie mir einige einleitende Worte. Ich werde in meiner kleinen Rede auf Schilderungen aus der Vergangenheit verzichten. Dafür sind andere Menschen hier - die auch noch zu Wort kommen - viel besser geeignet als ich. Zu diesem Zweck haben wir außerdem für Sie ein historisches Leporello mit alten und neueren Fotos zusammengestellt. Ein Foto sagt bekanntlich ja oft mehr als hundert Worte. Dankbar empfinde ich, daß ich heute, wenn ich hier als Vorsitzende des Nachbar

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“Die Nachhilfestunde” zeigte, dass im Nachbarschaftsheim selbst nach 50 Jahren noch jede Menge Schwung steckt.

Gewalt. Die in Ostersbaum und der Nordstadt lebenden Menschen entwickeln neue Ziele, neue Menschen kommen hinzu, bisher wesentliche Entscheidungsträger versterben oder ziehen weg. Mit Hilfe der Gemeinwesenarbeit werden die unterschiedlichen Interessen offengelegt und verhandelt. Mal gibt es gemeinsame Ergebnisse und Ziele, mal ist das beste was zu erreichen ist, ein zähneknirschendes Nebeneinander. Wechseln dann Personen oder Ziele, beginnt der Kampf von vorn. Dies ist auch der wesentliche Grund, warum eine gemeinwesenorientierte Arbeit nie aufhören kann. Deshalb ändern sich auch von Zeit zu Zeit die jeweiligen Ziele und Aufgabenfelder des Nachbarschaftsheimes - zumindest solange, wie es noch lebendig ist und den Finger am Puls des Stadtteiles hat. Deshalb werden immer wieder Aufgaben abgegeben und neue kommen hinzu, je nach Bedarf der Menschen im Stadtteil. schaftsheimes zu Ihnen spreche, Menschen aus 50 Jahren ehrenamtlicher und hauptberuflicher Arbeit hinter mir weiß. Viele von Ihnen sind heute hier, viele kennen wir nicht mehr, einige sind verstorben. Ihnen allen aber danke ich für Ihren Mut, Ihren Einsatz, Ihre Ideen und Ihren Weitblick. Ohne Sie wären wir heute nicht hier. In den kommenden Minuten möchte ich mich ein wenig mit dem eben zitierten Klassiker der Sozialarbeit und der Zukunft des Nachbarschaftsheimes beschäftigen “Sozialarbeit ist also dann gelungen, wenn sie am Ende selber überflüssig geworden ist.” Warum halte ich den Satz für falsch? Sicher, ich will nicht bestreiten, daß er für gewisse Kriseninterventionen oder Einzelfallarbeit (wozu auch eine ganze Familie zählen kann) durchaus zutrifft. Auch plädiere ich nicht für einen statischen Zustand, nach dem Motto, so oder das haben wir schon immer gemacht, das soll auch so bleiben. Falsch ist der Satz jedoch in der Gemeinwesenarbeit. Die Arbeit in und für ein Gemeinwesen, in diesem Falle Ostersbaum und Nordstadt, endet nie - es sei denn, das Gemeinwesen würde sich auflösen. Niemand käme auf die Idee, der Sinn eines Gemeinwesens bestände darin, sich selber überflüssig zu machen

Gute Gemeinwesenarbeit mißt sich daran, daß sie zum Wohle der Bewohner und Bewohnerinnen eines Stadtteiles, einer Stadt beiträgt, ihnen dabei hilft, Konflikte selber zu regeln und mit ihren Potentialen zu arbeiten. Dabei verzichten die GemeinwesenarbeiterInnen darauf, für die Menschen zu definieren, was denn ein “gutes” oder ein “besseres” Leben sei. Das machen die Menschen selbst in einem mühsamen Aushandlungsprozeß untereinander. Nun dürfen wir uns das nicht so vorstellen, daß sich diese Menschen treffen und miteinander diskutieren - auch wenn das natürlich schon mal vorkommt. Nein, dieser Einigungsprozeß findet in vielen Fomen statt. Einzelgespräche, Bürgerversammlungen, Demonstrationen, Besetzung einzelner Platzteile duch Präsenz, Grafitti an den Wänden, Polizeieinsätze, Abwesenheit, Verweigerung und stiller Rückzug. Duch alle diese Mittel definieren die BürgerInnen in einem Stadtteil, wie sie leben wollen, was sie noch tolerieren und was nicht. Es handelt sich dabei immer um Verteilungskämpfe von Menschen, Institutionen, Nationalitäten, Altersgruppen und Geschlechtern untereinander. Gute Gemeinwesenarbeit bietet eine Plattform für die zivile Austragung dieser Kämpfe und verhindert dadurch

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Diesem Prinzip der Gemeinwesenarbeit ist die Arbeit des Nachbarschaftsheimes seit nunmehr fünfzig Jahren verbunden - mal mehr und mal weniger. Derzeit erleben wir wieder eine Hinwendung zum Mehr.

Wo liegen nun die wesentlichen Zukunftsaufgaben für das Nachbarschaftheim, was soll und was müssen wir ändern, abgeben und neu entwickeln. Ich will hier fünf Felder benennen. 1.Die Erwerbslosigkeit Das drängende Problem in Ostersbaum und der Nordtstadt ist die Erwerbslosigkeit und seine Folgen. Hier muß es uns gelingen, nicht nur daran mitzuwirken neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch den Kontakt zu den Jugendlichen und Erwachsenen nicht zu verlieren, die dauerhaft erwerbslos sind und bleiben werden. Wir sollten nicht an der Illusion hängen, Vollbeschäftigung würde in Deutschland in den nächsten 20 Jahren wieder Realität. Wir müssen dazu beitragen, Erwerbslosigkeit den Makel des persönlichen Versagens zu nehmen, Schwarzarbeit zu enttabuisieren und sinnvolle Arten des Lebensvollzuges zu entwickeln. Hierzu sind neben allen Mitglie-


dern auch alle Abteilungen des Nachbarschaftsheimes aufgerufen, insbesondere sicher die Offene Tür und das Stadtteilbüro. 2.Der erweiterte Zeitrahmen der sozialen Arbeit Der Lebensrhythmus und das Lebensumfeld der Menschen in der Bundesrepublik haben sich wesentlich verändert und werden das auch weiterhin tun. Dadurch kann aber auch der Zeitrahmen der sozialen Arbeit nicht einfach gleich bleiben. Schon bald wird es so sein, daß wir unsere Angebote, Räumlichkeiten und Personal zu völlig neuen Zeiten und in neuen Formen anbieten werden. Ich meine es stände uns gut an, an sechs Tagen der Woche von 7.00 bis 23.00 Uhr offen zu sein, wozu auf jeden Fall das ganze Wochenende gehört. Wie wir das erreichen können, ohne uns zu verausgaben, wird sicher viel unkonventionelles Nachdenken und neue Wege erfordern. 3.Veränderung der Kinder- u. Jugendarbeit einschl. der Erziehungsberatung Besonders drastisch ändert sich die Kinder- und Jugendarbeit. Die Offene-Tür-Arbeit wird zukünftig in noch größerem Maße eine Mischung von Jugendsozialarbeit, Freizeit, Erwerbsberatung und Erziehungsberatung sein. Das Nachbarschaftheim hat ja bereits einige Schritte in diese Richtung getan. Der Jugendberufscoach, er am Billardtisch agiert, die Kinderkantine und die Hausaufgabenbetreuung, die ja in Wirklichkeit eine ganzheitliche psycho-soziale Betreuung ist, zielen in die von mir skizzierte Richtung. Diese Ansätze gilt es auszubauen und um Formen der aufsuchenden Arbeit zu ergänzen. Vor allem die Erziehungsberatung, die im wesentlichen noch durch eine KommStruktur geprägt ist, wird sich sehr wandeln. Viel stärker als bisher wird sie in Schulen, in der Offenen-Tür, im Kindergarten und draußen auf dem Platz handeln. Zur Verwirklichung dieser flexiblen Formen der Kinder- und Jugendarbeit wird es noch vieler Verhandlungen mit den staatlichen Finanziers der Einrichtungen bedürfen 4.Auflösung des Ressort-Denkensund Handelns Eine der Zukunftsfragen der sozialen Arbeit in einer Stadt sind die Schnelligkeit, die Streitkultur und die Öffnung der personellen Strukturen seiner Träger und Einrichtungen. Viele Entscheidungsprozesse und Umsetzungen von Entscheidungen dauern angesichts des schnellen gesellschaftlichen Wandelns einfach zu lange und sind oft zu

sehr an Besitzstandswahrung oder Erweiterung des Einflußbereiches der einzelnen Verbände, Einrichtungen oder Stadtteile orientiert. Um das zu ändern, bedarf es in dieser Stadt einer anderen Form der Streitkultur. Die öffentliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Träger sozialer Arbeit muß selbtsverständlich werden. Es darf uns nicht egal sein, wie die einzelnen Einrichtungen und Träger ihre Arbeit machen und nach außen wirken. Mit Streitkultur meine ich keine kleinlichen Auseinandersetzungen, sondern den engagierten und lebendigen Streit um politische und soziale Belange unserer KundInnen und der Gesamtstadt. Das bedeutet nicht den Wegfall von Strukturen und Hauptaufgaben der Träger und Einrichtungen, sondern nur, daß unser gemeinsames Handeln mehr durch die ganzheitliche Sicht der KundInnen und des Stadtteiles geprägt wird, als durch die jeweilige Einrichtung in der wir gerade arbei-

stattung der Räume und Arbeitsplätze ein erhebliches Stück vorangekommen sind. Gute Gemeinwesenarbeit braucht öffentliche Räumlichkeiten an und in denen sich die Menschen treffen können. Diese müssen so beschaffen sein, daß sie heutigen Anforderungen wie veränderten Gesellungsformen, ästhetischen Kriterien, pädagogischen und technischen Notwendigkeiten genügen Sie müssen angenehm aussehen, reichlich und funktionel ausgestattet sein. Der Ort sollte schon alleine durch seine Ausstrahlung und vielfältigen Angebote so attraktiv sein, daß er keine Stigmatisierung erhält, “da gehen nur die Armen hin”. Um das Zie der umfassenden Erneuerung zu erreichen, wird es in naher Zukunft noch einiger Anstrengungen bedürfen und ich freue mich sehr, daß wir hierbei Politik und Verwaltung der Stadt Wuppertal auf unserer Seite wissen. Nun, alle benannten Themen sind nichts wirklich Neues in dieser Welt. Sie waren immer wieder mal Bestandteil der Arbeit des Nachbarschaftsheimes, verschwanden Die Vereinsvorsitzende Frau Christina Rogusch bedankt sich bei Prof. Daniel Fallon (University of Maryland, USA) für sein lebendiges Sittengemälde der 50er Jahre, in denen er beim Nachbarschaftsheim arbeitete, mit einem Schlüsselbund aus dieser Zeit.

ten. Denn der Sinn öffentlicher Zuschüsse für Träger sozialer Arbeit liegt nicht in der Erhaltung von Arbeitsplätzen, sondern in dem Bemühen soziale Gerechtigkeit, Freude und Selbstverantwortung der Menschen in dieser Stadt zu fördern. 5.Räumliche und sachliche Erneuerung des Nachbarschaftheimes 50 Jahre nach der Gründung sind die Räumlichkeiten des Nachbarschaftsheimes sanierungs- und ausbaubedürftig und bieten nicht mehr den Standard, der aus pädagogischen, technischen und ästhetischen Gründen heute notwendig ist. Daran ändert im Grundsatz auch nicht, daß wir bei der Aus-

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dann, als das Gemeinwesen keinen Bedarf mehr dafür hatte und kommen jetzt in veränderter Form wieder. Irgendwann in ferne Zukunft werden Teile wieder verschwinden und ich wünsche dem Nachbarschaftsheim auch dann wieder die Kraft loszulassen und Dinge aufzugeben. Ich bin allerdings überzeugt, daß das Nachbarschaftheim diesen Wandel aus Tra dition auch in Zukunft schaffen wird und da mit zum Wohle der Menschen in Ostersbaum und der Nordstadt arbeiten kann. Ich hoffe sehr, daß wir dazu auch weiterhin au Ihrer aller Unterstützung und Anerkennung bauen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Fotos: Kerstin Falbe, Wuppertal)

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Geburtstage / Jubiläen / Jahrestage

Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. Einladung zum Internationalen Bildungsseminar „Participation Inside and Outside“ im Rahmen des Treffens der IFS-Europa-Gruppe vom 10. bis 14. November 1999 in Berlin Anläßlich des 50. Jahrestages seiner Gründung ist das Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. gemeinsam mit dem Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V., Gastgeber des Treffens der Europa-Gruppe der Internationalen Föderation der sozial-kulturellen Nachbarschaftszentren (International Federation of Settlements and Neighbourhood Centres IFS). In diesem Rahmen findet das internationale Bildungsseminar zum Thema „Participation - Inside and Outside“ statt, zu dem 70 bis 80 TeilnehmerInnen aus 12 osteuropäischen, 10 westeuropäischen Ländern, aus den USA und Kanada erwartet werden. Das Seminar richtet sich an verantwortliche PraktikerInnen und AktivistInnen aus IFSMitgliedsorganisationen und -einrichtungen sowie von Organisationen, die mit IFS zusammenarbeiten bzw. in NGOs arbeiten und die Entwicklung demokratischer Organisationen unterstützen. Es wird den TeilnehmerInnen Gelegenheit bieten, alle Fragen zu diskutieren, die mit der demokratischen Partizipation „Inside“ der Nachbarschaftseinrichtungen und mit ihrer Rolle „Outside“, mit der Demokratieentwicklung in der sie umgebenden Gesellschaft zusammenhängen. Hauptthemen der „Inside“-Participation sind: • Wie beeinflussen unsere Prinzipien Partizipation und Empowerment unsere Arbeitsstrukturen?

• Wieviel Leitung ist notwendig? • Wie muß der demokratische Entscheidungsprozeß verlaufen? • Wie ist das Verhältnis zwischen den verschiedenen Leitungsebenen? • Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen dem Vorstand und den Mitgliedern? • Wie müssen Information und Kommunikation funktionieren? • Wie erfolgt die demokratische Beteiligung an der Arbeit? • Wie können eine schöpferische Arbeitsatmosphäre und Zusammenarbeit erreicht werden?

nah erfahren - die Veränderungen Berlins erleben, z.B. rund um das Brandenburger Tor, den Potsdamer Platz und die Oranienburger Straße, in deren Nähe sich das IFS-Europa-Büro befindet - Besuche von Nachbarschaftseinrichtungen in Ost- und Westberlin - Erfahrungsaustausch mit Gemeinwesen- und NachbarschaftsarbeiterInnen aus Deutschland und anderen Ländern - Teilnahme am Empfang zum 50. Jahrestag des Nachbarschaftsheims Schöneberg - Ausflug zum Schloss Sanssouci in Potsdam.

Hauptthemen der „Outside“-Participation sind: - Organisation einer Vielfalt von Diensten, praktischen Antworten auf unmittelbare lokale Bedürfnisse und eines breiten Zugangs zu Bildung und Kultur • bürgerschaftliches Engagement auf gesellschaftlicher und politischer Ebene • Bürgerinitiativen und Einmischungsstrategien (community organizing) • Empowerment-Konzepte • Gemeinwesenorganisationen und Nachbarschaftszentren als ‘Schulen der Demokratie’

Als TeilnehmerIn haben Sie die Möglichkeit, von Montag, den 8. November, bis Montag, den 15. November 1999, das Sonderangebot des Hotels Albatros zu nutzen (sieben Übernachtungen zum Preis von sechs/Einzelzimmer 75 DM, 90 DM oder 130 DM, Doppelzimmer -Preis für 2 Personen- 98 DM oder 150 DM, incl. Frühstück).

Die Teilnahme an diesem Seminar können Sie auch mit der Nutzung folgender Möglichkeiten in Berlin verbinden: - 10. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November - Zusammenwachsen von Ost und West haut-

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Nähere Informationen und Anmeldung (auch für das Hotel Albatros): IFS-Europa-Büro Max Wegricht Tucholskystr. 11 10117 Berlin Tel. 030/280 961 07 Fax. 030/280 961 08 e-mail: max@sozkult.de


Geburtstage / Jubiläen / Jahrestage

ufafabrik – NUSZ, Berlin Frauen in deutsch-afrikanischen Beziehungen: Tanzen

Eine OASE in der Großstadt feiert Geburtstag 20 Jahre ufafabrik Berlin Sambaband TerraBrasilis der ufafabrik treten in ganz Europa, 1998 sogar in Japan auf. Umfangreiche ökologische Projekte, von der Dachbegrünung bis zur Solaranlage, wurden verwirklicht und in der Praxis erprobt.

In diesem Jahr feiert die ufafabrik ihren zwanzigsten Geburtstag und die kleine Schwester - das Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum NUSZ - wird 12 Jahre alt. Die ufafabrik, ein umfassendes Arbeits-, Kultur- und Lebensprojekt besteht seit 1979 auf einem 18.000m2 großen, idyllisch gelegenen Gelände im Süden Berlins. Die Wurzeln der ufafabrik und des NUSZ gehen bis ins Jahr 1976 zurück. Ein Handwerkskollektiv gründete gemeinsam mit Freunden den Verein “Fabrik für Kultur, Sport und Handwerk”. 1979 besetzten sie das vom Verfall bedrohte Gelände der ehemaligen ufa-Film Kopierwerke, um es friedlich instandzusetzen und inbetriebzunehmen. Heute ist die ufafabrik als internationales Kulturzentrum weit über die Stadtund Landesgrenzen hinaus bekannt. Zahlreiche interessante Kulturangebote zum Zuschauen und Hinhören, ganzjährig präsentiert auf zwei Bühnen und einer Open-airSommerbühne, ziehen die BesucherInnen magisch an. Das Café Olé lädt ein zum Entspannen und Verweilen, der Naturkostladen und die Biobäckerei halten ökologisch wertvolle Lebensmittel, frischgebackenes Brot und Gebäck bereit. VarietékünstlerInnen und ArtistInnen des ufa Circus’, der Kindercircusschule und die

Bauernhofclub gemeinsam viel Wissenwertes über Tier, Natur und Mensch. Für Alt und Jung stehen gleichermaßen die Sport-, Gesundheits-, Tanz- und Musikgruppen offen. Während der Netda@s Europe 99 konnten sich Kinder und Erwachsene in einer spannenden und lehrreichen Veranstaltung den Zugang zur Technologie des Internets erschließen. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Förderung und Unterstützung von Familien - naheliegenderweisesind doch die Kommunemitglieder der ufafabrik selbst eine Großfamilie, das jüngste Familienmitglied ist 2 Jahre, das älteste 94 Jahre alt. Wichtiger Bestandteil des NUSZ ist das Familiennetzwerk.

Das Nachbarschaftsund Selbsthilfezentrum NUSZ ist der Teil der ufafabrik, der Raum bietet für aktives Miteinander, für kulturelle, gesundheitliche und soziale Eigenbetätigung und aktive Freizeitgestaltung für Menschen aller Altersgruppen und Nationalitäten. Das NUSZ organisiert gemeinsam mit den Menschen des Stadtteils soziale Dienste und Und zum guten Schluß weitere bietet die Möglichkeit der Unterstützung für Informationen: BürgerInnen, die sich aktiv in die kommunaufafabrik und NUSZ Tel 755030 len Angelegenheiten einmischen wollen. Die Fax 75503125 Initiierung und Unterstützung von NachbarInternet: www.ufafabrik.de/NUSZ schafts- und Selbsthilfe ist ein wichtiger Bewww.ufafabrik.de standteil unseres Aufgabenspektrums. Berae-mail:NUSZ@sozkult.de, tung und konkrete Hilfen sowie verschiedene family@sozkult.de soziale Dienste stehen den BürgerInnen fast rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche zur Verfügung. Das NUSZ ist zur beliebten Anlaufstelle und Begegnungsstätte für die Menschen des Stadtteils und anderer Bezirke Berlins geworden. Eine Attraktion, nicht nur für Kinder, ist der pädagogisch betreute Kinderbauernhof mit Ponys, Kaninchen, Hühnern und Gänsen, Frettchen und Schweinen. SeniorenInnen und Kinder erfahren im ”Erstes Beschnuppern”: SeniorInnen besuchen den Kinderbauernhof, der mitten in der Großstadt liegt. Manche bleiben als freiwillige MitarbeiterInnen bei der Betreuung von Kind und Tier

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Sozialpolitische Tagung Bürgergesellschaft und Sozialstaat – Die Zivilgesellschaft gestalten –

Welche sozialpolitischen Orientierungen bestimmen das Denken und Handeln der neuen Bundesregierung? Welche Veränderungen wollten die Bundesbürger, als sie im Herbst 1998 neue Mehrheiten ins Parlament wählten? Wollten sie (nur) den Sozialabbau stoppen oder sehnten sie sich im Anschluß an eine Phase zunehmender Deregulierung wieder nach einem eher lenkenden und behütenden Sozialstaat? Welche Vision von Demokratie und Zivilgesellschaft haben unsere Politiker? Wieviel Beteiligung der Bürger an ihren eigenen Angelegenheiten wird gefordert, gewünscht, gefürchtet, behindert, verhindert?

Sozialpolitische Tagung des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit in Zusammenarbeit mit der Paritätischen Akademie in Berlin.

Stellen sich diese Fragen in Ost und West vielleicht ganz unterschiedlich? Wie ist das Verhältnis von „Vertrauen in die eigene Kraft“ und Erwartung an staatliches Handeln aufgrund der unterschiedlichen sozialen und politischen Erfahrungen in den alten und in den neuen Bundesländern? Was spricht für, was gegen unterschiedliche sozialpolitische Orientierungen in Ost und West?

gen der Praktiker werden in den Zusammenhang der aktuellen sozialpolitischen Debatte gestellt und dadurch neu beleuchtet. Wir bieten Möglichkeiten zum Dialog mit Wissenschaft und Politik, in der Hoffnung, daß beide Seiten, Praktiker wie Theoretiker davon profitieren.

MAGAZIN

Im November 1995 haben wir auf dem Kongress „Zentrale Verwaltung oder bürgernahe Gestaltung“ dafür plädiert, die Verantwortung für das soziale und kulturelle Zusammenleben im Gemeinwesen in die Wohngebiete zu geben und dort durch „dezentrale Konzentration“ die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Trägerstrukturen für soziale und kulturelle Angebote entstehen, die einerseits stabil und verläßlich sind und andererseits den Menschen ein hohes Maß an Mitwirkung und Verantwortungsübernahme im unmittelbaren eigenen Lebensumfeld ermöglichen. Wurden die damals entwickelten Gedanken umgesetzt bzw. sind sie noch zeitgemäß? Ist es noch immer notwendig (und vielleicht sogar wünschenswert!), daß sich die Bürger selbst in die Gestaltung des Sozialen einmischen? Oder sollten sie nicht besser alles unterlassen, was der Staat als Argument zum Rückzug aus seinen Verpflichtungen verwenden könnte?

MAG AZIN

M

vom 14. bis 16. November 1999 in Berlin

Und wie spiegeln sich all diese Fragen in den Orientierungen, Konzeptionen sowie in der praktischen Arbeit von Nachbarschaftsheimen, sozio-kulturellen Zentren, Stadtteilläden, Bürgerhäusern und Gemeinwesenprojekten?

Wie unterstützen sie die Bürger dabei, sich in das soziale und gesellschaftliche Leben einzubringen? Wieviel Mitwirkung ist in den Zentren selber möglich? Wie verändern soziale Dienste ihren Charakter, wenn die ‘Kunden’ die Chance haben, sich einzumischen? Wieviel und welche Art von Professionalität brauchen wir, um die sozialpolitische Landschaft unserer Städte zivilgesellschaftlich umzugestalten? Sind die neuentwickelten Konzepte von ‘Quartiers- und Stadtteilmanagment’ förderlich oder kontraproduktiv, was das Wecken von Bürgerengagement angeht? Die Tagung wird ein Forum sein, auf dem diese Fragen unter Beteiligung vonhauptberuflichen und freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sozial-kultureller Einrichtungen, ehrenamtlichen Vorständen sowie Zuständigen aus Verwaltung und Politik diskutiert werden können. Die Erfahrun-

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Bürgergesellschaft und Sozialstaat -Die Zivilgesellschaft gestalten-

Termin: Sonntag, 14, Montag, 15, und Dienstag 16. November 1999 Tagungsort: Werkstatt der Kulturen in Berlin,Wissmannstraße 31-33 Tagungsbüro und nähere Informationen: Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. Tucholskystr. 11 10117 Berlin Tel.:030/ 280 96 103


Ausstellungsprojekt

M Ein Projekt mit Photographien von Hans Georg Berger Eine Initiative des Bundesverbands für sozial-kulturelle Arbeit e.V. in Verbindung mit der Volkssolidarität

sowie Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Völkerkunde Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde, Köln

Sie kennen den Bundesverband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. als einen Verband, der auf vielfältigste Art und Weise versucht, die Arbeit seiner Mitgliedsorganisationen sowohl zu unterstützen, als auch die Bedeutung sozial-kultureller Arbeit in der Öffentlichkeit in immer neuer Weise darzustellen und zu thematisieren.

In einer Zeit der Globalisierung, bei gleichzeitigem Werte- und Arbeitsverlust in den Regionen, ist sozial-kulturelle Arbeit ein überlebensnotwendiger Ansatz, um die Lebenslage der Menschen in den lokalen Regionen zu stabilisieren und zu verbessern. Sozial-kulturelle Arbeit hilft den Menschen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und in größeren Zusammenhängen zu denken und zu handeln.

rsagen h a W Vom wohl s h c i s t läss elt, W r e d n leben i cht vom aber ni sagen. t i e h r h Wa berg Lichten

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Doch was ist das eigentlich genau, was Menschen aktiv sein läßt? Was hält oder führt sie zusammen? Was könnte ein Gegengewicht zum Gefühl der Verlorenheit in globalisierten Zeiten sein? Wie erkennen wir ein solches Mittel? Haben andere ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie gehen sie damit um? Was können wir von ihnen lernen?

Ein Blick von außen soll für Fragen des inneren Selbstverständnisses fruchtbar gemacht werden, neue Motivation schaffen für eine Arbeit, an deren gesellschaftliche Notwendigkeit wir glauben:

HET BUN DAI BUN

Luang Prabang, Laos, 1994 - 1997 Rituale einer glücklichen Stadt Photographien von Hans Georg Berger

MAGAZIN

HET BUN DAI BUN Rituale einer glücklichen Stadt

Mit diesem Ausstellungsprojekt geht der Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. ein bundesweiter Dach- und Fachverband für Bürgerhäuser, Nachbarschaftsheime, Gemeinwesenprojekte und sozial-kulturelle Zentren - einen neuen Weg. Dieser eher philosophische Weg führt zu den gleichen Fragen: Was können wir gemeinsam tun, in Offenheit und Sensibilität, mit sozialer und pädagogischer Phantasie, zur Entwicklung einer liebens- und lebenswerten Gesellschaft, in der sich Individualität und Gemeinsinn ergänzen und nicht ausschließen? Welche Rituale und welche Feste stärken den Einzelnen in einer Welt, die durch Globalisierung, technischen Fortschritt, virtuelle Welten und unendliche Informationsflüsse dominiert scheint? Wo findet der Mensch in regionalen Bezügen die Sicherheiten, die es ihm ermöglichen, in der großen Welt zu handeln?

“Het Bun Dai Bun” bedeutet: Ein Fest bereiten, ein Fest zum Geschenk erhalten. Das in Laos oft gebrauchte Sprichwort verbindet die Freude am Erfinden und Gestalten von Feiern und Ritualen mit der Möglichkeit, in religiös-buddhistischem Sinn “Verdienst zu erwerben”.

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M MA GAZ IN

Es gibt in jeder Gesellschaft eine grundlegende, verborgene Ebene der Kultur, die stark strukturiert ist - einen Satz unausgesprochener Regeln des Verhaltens und Denkens, der alle unsere Tätigkeiten steuert. Diese verborgene kulturelle Grammatik definiert die Weise, in der Menschen die Welt sehen. Die meisten Menschen sind sich dieser Tatsache überhaupt nicht oder nur am Rande bewußt. Feste und Rituale sind Zeichen einer solchen versteckten, grundlegenden Ebene der Kultur.

MA GA ZIN

Die Arbeit von Hans Georg Berger über Laos - ein Beispiel Der deutsche Photograph und Schriftsteller hat von 1994 bis 1997 im Rahmen eines deutsch-laotischen Projekts, getragen vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerium für Infor-

mation und Kultur der Volksrepublik Laos, die Pagodenfeste, die Volksbräuche, Zeremonien und Kulthandlungen der laotischen Stadt Luang Prabang dokumentiert. Aus einer umfangreichen Arbeit (über 8000 Einzelphotographien) soll eine Auswahl für eine Ausstellung im Rahmen unseres Projekts getroffen werden. Diese Auswahl wird in enger Zusammenarbeit mit zwei der bedeutendsten europäischen Museen für Völkerkunde erfolgen. Die Arbeit ist überraschend und einzigartig: nach langer Isolation, nach Krieg, Bürgerkrieg, Revolution, hat sich das südostasiatische Land erst vor kurzem für westliche Besucher geöffnet. Berger war der erste westliche Künstler, der mit Genehmigung der laotischen Regierung in Luang Prabang arbeiten konnte. Er hat gemeinsam mit den Bewohnern der Stadt und den Mönchen der Theravada-Klöster diese Dokumentation erarbeitet.

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Diese Arbeit aus einem fernen Land hat uns, den Verband für sozial-kulturelle Arbeit, inspiriert, die Frage nach unseren Ritualen, Kulthandlungen und Bräuchen zu stellen, die die verborgene Ebene unserer Kultur widerspiegeln. Am Ausgang des 20. Jahrhunderts schauen wir hin und erkennen uns als einzigartige Individuen. Wir sind dies aber nur, solange wir - unauflöslich eingebunden in der Welt - handelnd uns entwickeln. Unsere Sinne müssen dafür wach bleiben, und wir selbst müssen uns handlungsfähig machen, damit wir erhalten, was wir sind: Einzigartig in einer vielgestaltigen Einheit.

Warum stellt der Bundesverband für sozial-kulturelle Arbeit gerade jetzt die Frage nach seiner Identität? Grundsätzlich wird die Frage nach der eigenen Identität immer dann gestellt, wenn entweder die Grundpfeiler der eigenen “Werte Welt” in Frage gestellt werden (innere Umbrüche), oder wenn die Umwelt sich ungewohnt und ungewollt verändert (äußere Umbrüche). Ein zusätzlicher Anlaß besteht dann, wenn die Umwelt die Existenz der eigenen “Werte Welt” hinterfragt oder gar in Frage stellt (Umbrüche in der Verbindung von Innen und Außen). Sozial-kulturelle Arbeit ist als Spiegel der gesellschaftlichen Umbrüche in fast allen privaten und öffentlichen Bereichen auch nicht von den Krisen und Unsicherheiten ausgeschlossen. Damit stellen sich für den Verband und die Einrichtungen sich ergänzende Aufgaben: Die Aufgabe des Verbandes ist es ein Ort für die gemeinsame Debatte und Entwicklung der sozial-kulturellen Arbeit zu sein. Ein Ort für die Einrichtungen, an dem sie an ihre Grundsätze erinnert werden, um


HET BUNDAI BUN

Wir stellen diese Fragen auch exemplarisch für andere Verbände und Einrichtungen in unserer Gesellschaft, deren Aufgabe es ist, am Aufbau und Erhalt einer lebenswerten glücklichen Stadt mitzuwirken: Welche Angebote, welche Ansprache und welche Rahmenbedingungen kann und muß sozial-kulturelle Arbeit bieten, um erfolgreich zu sein? Welche Rolle kann und muß ein Zusammenschluß wie der Verband für sozial-kulturelle Arbeit übernehmen, um die Einrichtungen spürbar zu unterstützen? Welche Vereinbarungen und Verpflichtungen müssen mit den finanziellen und ideellen Förderern der Arbeit getroffen werden? Wie sehen tragfähige Vereinbarungen aller Betroffenen aus? Besonders in einer sich schnell wandelnden Zeit, ist die Frage zu stellen, wie sozialkulturelle Arbeit den Bedürfnissen nach Si-

M cherheit, nach Geborgenheit, nach Zugehörigkeit, nach Einzigartigkeit gerecht werden kann.

Dabei scheint es wichtig, sowohl den Blick nach vorne zu richten, als auch zurückzu-blicken auf den Ausgangspunkt. Das Festhalten an Traditionen ohne am längst Vergangenen festzuhalten, hilft bei der Neuorientierung.

Das Projekt “Het Bun Dai Bun Rituale einer glücklichen Stadt” nimmt uns mit in die Fremdheit und zeigt uns die fremde Lebensweise, in der

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MAGAZIN

von deren Basis aus neue soziale Phantasien, neue Wege - auch ungewöhnliche - zu finden, wo der einzelne Mensch und das “Wie” menschlicher Begegnung in den Vordergrund rücken. In diesem Sinne liegt die Aufgabe des Verbandes darin, sowohl Hüter von Tradition zu sein, als auch die Basis für neue Entwicklungen innerhalb und außerhalb der sozial-kulturellen Arbeit zu bieten. Die Einrichtungen stehen vor der Frage, inwieweit die Grundlagen, Werte und Normen der sozial-kulturellen Grundsätze noch handlungsweisend für die Arbeit in den Einrichtungen sind. Ob sich die MitarbeiterInnen an die Grundsätze gebunden fühlen und gegebenenfalls wie sie auf diese verpflichtet werden können. Den BürgerInnen müssen ihre Möglichkeiten in sozial-kulturellen Einrichtungen neu vermittelt werden. Die Philosophie der Einrichtungen und die daraus resultierenden Haltungen, Handlungen und Strukturen sollen in allen Bereichen erfahrbar sein. Für die Förderern sozial-kultureller Arbeit - staatliche Institutionen oder Privater - müssen die Zusammenhänge der derzeitigen Umbrüche und der Nutzen sozial-kultureller Arbeit gerade jetzt nachvollziehbar sein.

wir jedoch bei genauem Betrachten, uns und unsere Sehnsüchte zu erkennen.

Die nordlaotische Stadt Luang Prabang ist ein einzigartiger Ort. Die ehemalige Hauptstadt des laotischen Königreiches, auf die später auch die Franzosen als Kolonialmacht Einfluß nahmen, geriet nach der Revolution des Pathet Lao, am Ende des Vietnamkrieges, in eine von ihrer geographischen Lage geförderte Isolation. Ganz Laos hat für lange Zeit an der rasanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung seiner größeren Nachbarn kaum Anteil gehabt. Gleichzeitig sorgten stabilere politische Verhältnisse als in Burma und Kambodscha für Ruhe im Inneren. Insbesondere in der alten Stadt Luang Prabang konnten die religiösen und parareligiösen Gebräuche und Feste als selbstverständlicher Teil des städtischen Lebens erhalten bleiben.

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M MA GAZ IN

Luang Prabang bewahrt ein sozial-kulturelles Erbe, das an anderen Orten durch Krieg und Bürgerkrieg, durch staatlichen Terror, durch wirtschaftliche Entwicklung und den damit einhergehenden Verlust an Identität verschüttet wurde. Dabei sind die Ausdrucksformen eigenwillig und eigenständig; die Umgangsformen sanft und leise. Irdische und nicht-irdische Gestaltungen haben nebeneinander Platz und ihre im Zeremoniell sorgsam definierten Rollen.

Die Ausstellung, die aus Fotos (schwarzweiß Silberdrucke), einer Tondokumentationen und wissenschaftlichen Begleittexten besteht, zeigt den Reichtum, der in seinem Bestand bedroht ist. Neue Straßentrassen und ein Flugplatz haben die geographische Isolation der Stadt bereits aufgehoben. Das Fernsehen und ein zu erwartender Zustrom von Touristen werden schnell Einfluß auf das Leben in Luang Prabang gewinnen.

MA GA ZIN

Um so wertvoller ist diese Dokumentation des Photographen Hans Georg Berger gerade in der Umbruchzeit, nicht nur für Laos selbst, sondern auch für uns, weil sie in eindrucksvoller Weise zeigt, wie Rituale, Feste und Bräuche bestimmend sind für die Weltsicht des Menschen, der nur über sein Eingebundensein in die Gesellschaft einzigartig sein kann in einer vielgestalteten Einheit. Wir haben gemeinsam mit den Staatlichen Museen zu Berlin/ Preußischer Kulturbesitz ein Konzept erarbeitet, das neben der Ausstellung der Photographien aus Luang Prabang eine Serie von Gesprächsforen, Führungen und Vorträgen für den kommenden Herbst in Berlin geplant. Die Ausstellung wird im Dahlemer Völkerkunde Museum stattfinden und ist Teil der Asien-Pazifik-Wochen des Senats von Berlin. Sie wird zur “Langen Nacht der Museen” am 28. August 1999 eröffnet und wird bis Ende November zu sehen sein. Nach Berlin geht die Ausstellung weiter nach Köln, London und Paris. Aus Wunsch der laotischen Regierung wird in Teil der Ausstellung im Pavillion von Laos auf der Expo 2000 in Hannover gezeigt werden.

Neu beim Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.: Das Handbuch für sozialkulturelle Arbeit Gudrun Israel

Es richtet sich in erster Linie an hauptund ehrenamtliche Mitarbeiterinnen von sozial-kulturellen Projekten in den neuen Bundesländern, an Menschen, die sich für sozial-kulturelle Arbeit interessieren, sich in diesem Rahmen engagieren oder vielleicht selbst eine Einrichtung aufbauen möchten.

Hintergrund für die Erarbeitung dieses Handbuches sind die Erfahrungen, die unser Verband seit 1992 in der Beratungs- und Unterstützungsarbeit mit sozial-kulturellen Einrichtungen in den neuen Bundesländern und speziell 1997/98 im Projekt „Prozeßorientierte Projektberatung und -begleitung“ von fünf ausgewählten Häusern (je eins in jedem der neuen Länder) gesammelt hat. Wir haben besonders die Fragen, Probleme, Aspekte und Ansätze sozial-kultureller Arbeit aufgegriffen, die in diesem Rahmen eine Rolle gespielt haben, am häufigsten angesprochen und diskutiert wurden. .

Für weiter Informationen und Terminen zu den einzelnen Veranstaltungen erhalten Sie in unsrer Geschäftsstelle in Köln. Tel.: 0221/ 760 69 59 oder e-mail: Vskakoeln@t-Online.de

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Wir wollen dieses Handbuch nicht als Lehrbuch verstanden wissen. Es enthält keine Rezepte oder Checklisten. Es soll vielmehr Anregungen zum Nachdenken geben und den Spaß am kreativen Umgang mit dem Ansatz sozial-kultureller Arbeit wecken, der viele, manchmal auch ungeahnte, Möglichkeiten bietet, selbst etwas zu gestalten und andere zum Gestalten zu animieren. Das Handbuch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es ist auch als Diskussionsgrundlage gedacht. Deshalb sind wir an Rückmeldungen, Anregungen oder Hinweisen Ihrerseits sehr interessiert. Viel Spaß beim Lesen und Diskutieren

unser h c i l r h Wa ähret Leben w arum d z r u k nur e sst sein e m h c r du uf das Bahn a ste. Fröhlich es

Euripid


»WOVON REDEN WIR EIGENTLICH?« von Reinhard Liebig

DIE DIMENSIONEN DES BÜRGERSCHAFTLICHEN ENGAGEMENTS (leicht überarbeitete Fassung des Vortrages am 16. März 1999 in Bonn

ProBE, das “Projekt zur Unterstützung und Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements” (unterstützt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. hat einen erfolgreichen Start hinter sich. Dazu gehörte ein Workshop am 15.-16. März 1999 in Bonn, bei dem interessierte Einrichtungen zusammenkamen, um die Grundidee des Projektes gemeinsam zu beraten und in die Thematik einzusteigen. Neben prakti-

schen Fragen zum Anliegen und der Durchführung des Projektes gab es Zeit und Inputs zur gemeinsamen inhaltlichen Diskussion über das Thema “bürgerschaftliches Engagement”. Dabei wurde deutlich, wie wichtig und auch wie hilfreich es ist, als Einrichtung bürgerschaftliches Engagement zu diskutieren und zu definieren, um die aktuelle Debatte positiv nutzen zu können. Dabei geht es nicht nur um Begriffe oder sozialpolitische Zusammenhänge, sondern es geht darum, eigene Handlungsgrundlagen für die Einrichtungen zu sichern oder zu schaffen.

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Angesichts der Vielfalt von Begriffen und Interpretationen, die zur Zeit in der Debatte wie auch in der Praxis benutzt werden, stellte der Vortrag von Reinhard Liebig von der Universität Dortmund eine hilfreiche Orientierung dar und gab Anlaß zu einer lebendigen Diskussion. Wir dokumentieren im folgenden den Vortrag in einer vom Autor leicht überarbeiteten Fassung.

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In dem Faltblatt zum Workshop ist mein Beitrag mit einer Frage überschrieben: »Wovon reden wir eigentlich?« Genau genommen bin ich nicht in der Lage, auf diese Eingangsfrage zu antworten, denn ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wovon Sie eigentlich reden. Mein Beitrag muß sich darauf beschränken, Ihnen meine Sicht der Dinge mitzuteilen und das unübersichtliche Feld der Begrifflichkeiten, Diskurse und Programme zu sortieren und in ein möglichst anschauliches Bild zu bringen, das Sie als Steinbruch für weitere Überlegungen nutzen können. Beabsichtigt ist also – gemäss dem Untertitel in der Programmankündigung und den Wünschen der Einladenden – dass in meinen Ausführungen die Dimensionen und die Entwicklungsgeschichte des bürgerschaftlichen Engagements angesprochen werden. Auf diese Weise wird – so hoffe ich – in einigen Aspekten offenkundig, was sich hinter diesem schillernden Begriff verbirgt und welches Fundament er für weitere Projektschritte in sozial-kulturellen Einrichtungen anzubieten hat. Diese Absicht hat sich zu der folgenden Gliederung weiterentwickelt: Ich werde also, bevor ich im zweiten Teil einzelne Dimensionen des bürgerschaftlichen Engagements behandele, in einem ersten Teil auf einige Aspekte der Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements eingehen. Im letzten Teil belasse ich es bewußt bei einigen wenigen Anregungen, da ich vermute, daß die Fragen nach den Folgerungen Thema Ihrer weiteren Überlegungen sein wird.

Teil A: Rahmenbedingungen des freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagements Wer heute über das unentgoltene, freiwillig erbrachte Engagement von BürgerInnen redet, ist gezwungen, sich aus der Fülle von konkurrierenden Begrifflichkeiten das passende Etikett auszusuchen. Neben dem in Ihrer Projektinitiative verwendeten Terminus des »bürgerschaftlichen Engagements« bestimmen weitere – wie Freiwilligenarbeit, Ehrenamt, Bürgerarbeit oder Selbsthilfe – die derzeitige öffentliche Diskussion. Dabei wird deutlich, daß die unterschiedlich verwendeten Termini aus der Sicht ihrer Protagonisten nicht nur dazu dienen, sich abzugrenzen, politisch zu positionieren oder in einen sinnstiftenden historischen Kontext einzuordnen, sondern sie werden auch dazu benutzt, die eigene Rolle bei der Zu-

weisung von Ressourcen zu stärken. Die Verteilung nicht unbegrenzt vorhandener Mittel wird auch über Begriffe gesteuert. Darüber hinaus kann jedes Bemühen, einen neuartigen Begriff mit neuen Konnotationen in die Diskurse einzuführen, auch als Vorstoß verstanden werden, ein positives Echo bei potentiell Engagierten hervorzurufen. Vor diesem Hintergrund verbinden sich mit jedem der verwendeten und konkurrierenden Vokabeln, die das freiwillige und nicht entgoltene Engagement von Menschen mit gemeinwohlorientierter Zielrichtung zu erfassen beanspruchen, vor allem zwei Funktionen: Einerseits dienen sie der Standortbestimmung und geben Aufschluß über implizierte Weltbilder und andererseits besitzen sie Appellcharakter in Hinblick auf politische und gesellschaftliche Akteure. Mit Ihrer Festlegung auf den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements haben Sie sich also nicht nur auf eine bestimmte Vokabel festgelegt, sondern sind auch in bestimmte Handlungszusammenhänge mit spezifischen Implikationen und Anschlußfähigkeiten eingetaucht. Insofern ist die von Ihnen beabsichtigte Selbstvergewisserung und Selbstbespiegelung unter der Fragestellung »wovon reden wir eigentlich?« sinnvoll und notwendig. Da ich auf die mitschwingenden Bedeutungen, die historischen und gesellschaftstheoretischen Bezüge der Rede vom bürgerschaftlichen Engagement erst an späterer Stelle zu sprechen kommen werde, gebrauche ich vorerst hauptsächlich den Ausdruck »freiwilliges gemeinwohlorientiertes Engagement« als Oberbegriff für alle eben aufgezählten Termini und als Etikett zur Beschreibung der dadurch eingefangenen Phänomene. Kennzeichnend für sämtliche freiwilligen gemeinnützigen Tätigkeiten ist, »daß sie weder aufgrund einer wie auch immer begründeten Pflicht zur Hilfeleistung noch zum Zwecke der Erzielung eines Erwerbseinkommens, sondern ausschließlich als freiwilliger Beitrag mittelbar oder unmittelbar betroffener Bürger zum Wohl bestimmter Gruppen bzw. zum Gemeinwohl erbracht werden.«1 Ich werde allerdings die Verwirrung aufgrund der begrifflichen Vielfalt nicht auflösen können, sondern auch mit mehreren Ausdrücken arbeiten – dort wo es zutreffender erscheint, von Ehrenamt oder etwa von unentgoltener Arbeit zu reden, werde ich auch diese Begriffe benutzten. In der bundesrepublikanischen sozialpolitischen Diskussion wurde der Staat jahr-

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zehntelang als der zentrale Akteur bezüglich der gesellschaftlichen Wohlfahrt angesehen. In der Folge wurden durch staatliche Mittel, d.h. durch die Zuteilung von Rechtsansprüchen und Geldeinkommen sowie durch die Bereitstellung bzw. finanzielle Absicherung von professionellen Dienstleistungen die Rahmenbedingungen geschaffen, die heute die Säulen des Systems der sozialen Sicherung ausmachen. In Zeiten der Gestaltung des Wohlfahrtsstaates mit ausreichenden finanziellen Ressourcen erfolgte eine Ausdehnung sowohl des öffentlichen als auch des öffentlich finanzierten privatgemeinnützigen Sektors. Die Prozesse der Verberuflichung bzw. Professionalisierung sozialer Hilfeleistungen und die Expansion und Ausdifferenzierung des Systems der sozialen Hilfe standen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die in diesem Sektor anzutreffenden unentgeltlich erbrachten Arbeitsleistungen fanden wenig öffentliches Interesse, die unentgoltene Arbeit sozial engagierter Menschen wurde als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.2 Dies hat sich mittlerweile grundlegend verändert. Seit ein paar Jahren beteiligen sich staatliche Agenturen, Parteien, Kirchen, Verbände und sonstige gesellschaftliche Akteure an einem Diskurs, der um das lange Zeit vernachlässigte freiwillige gemeinwohlorientierte Engagement kreist. Es hat sich nämlich abgezeichnet, daß weder der Staat noch die privaten Haushalte und verwandtschaftlichen Netzwerke in der Lage sind, die sich gewandelten sozialen Risiken und Bedarfslagen in adäquater Weise abzusichern. Die Analyse der modernisierten Gesellschaft, die u.a. durch demographische Verschiebungen oder Veränderungen der Lebensweisen charakterisiert werden kann, macht strukturelle Problemlagen deutlich, zu deren Lösung das Engagement der BürgerInnen beizutragen hat. Die sozialpolitische Reformdebatte wird dementsprechend durch die Suche nach Möglichkeiten und Wegen bestimmt, die bislang nicht ausgeschöpften gesellschaftlichen Ressourcen zu nutzen, die neben dem Staat bzw. den staatsnahen Institutionen und familialer Eigenhilfe einen Beitrag zu einem gesamtgesellschaftlich befriedigenden Ausgleichssystem leisten können. Diese Potentiale sind schwer zu quantifizieren. Häufig werden die Daten zitiert, die sich aus Untersuchungen der »Speyerer Werteforschung« ergeben. Auf der Basis dieser empirischen Erhebungen ergibt sich


das folgende Bild (vgl. Abb. 1: Das Engagement und die Engagementbereitschaft der deutschen Bevölkerung (nach dem Wertesurvey 1997):

Abb. 1: Das Engagement und die Engagementbereitschaft der deutschen Bevölkerung (nach dem Wertesurvey 1997)

willigen, unentgeltlichen Dienstleistung hat sich somit die Aufmerksamkeit verschoben – weg von den Hilfebedürftigen und deren Bedarf, hin zu den hilfeanbietenden Produzenten der Leistung sowie zu den Institutionen und Akteuren, die das unentgoltene Engagement als spezifische Form einer Dienstleistung organisieren und nutzen. Überspitzt ausgedrückt: Im Gleichschritt mit der Kritik

sind sicherlich in der Lage, die von mir in eher abstrakter Form genannten Wandlungsprozesse mit ihrer konkreten Arbeitssituation zu vergleichen und entweder verstärkende Beispiele oder einschränkende Phänomene zu finden. Der Strukturwandel betrifft vor allem • das Verhältnis der sich unentgeltlich engagierenden Menschen zum berufli chen Personal; • die Motivationslagen, die Bedürfnisse und die Einstellungen der sich engagierenden Bürger; • das Passungsverhältnis des Engagements und der Organisationen; • die Rolle des Staates im System der Engagementförderung.

Quelle: Klages 1999; eigene Darstellung © Liebig 1999

Auf diese Weise wird seit einigen Jahren die Fahndung nach sowie die Unterstützung von zusätzlichen und innovativen Arrangements des Bedarfsausgleichs forciert. Vor diesem Hintergrund erlangen in der sozialpolitischen Debatte die freiwillig und unentgeltlich ausgeführten Tätigkeiten, die etwas zum Gemeinwohl beitragen, eine neue Wichtigkeit und eine bislang unbekannte Wertigkeit. Es ist eine Verschiebung des öffentlichen Interesses und des vorherrschenden Blickwinkels zu beobachten: Die entscheidende, handlungsmotivierende Antwort für die Forschung, die Politik oder andere Akteurskollektive wird mittlerweile weniger in dem Anschluß an die Fragen gesucht, wer welche Hilfe durch Formen der Solidarität nötig hat, oder: welche Bedarfslagen sinnvollerweise mit den Mitteln des freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagements befriedigt werden können. Statt dessen wird verstärkt unter der Frage diskutiert, was zu tun sei, um das Engagement der Menschen zu stärken bzw. zu fördern. Mit Blick auf den eigentlichen Akt der frei-

an wohlfahrtsstaatlichen Systemen und der sie fundierenden Logik verändert sich vor allem die politische Zielrichtung: Weniger die Not und die Bedürftigkeit sind der Ausgangspunkt und die Legitimationsgrundlage für politisches bzw. verbandliches Handeln, sondern die Strukturdefizite im System der Engagementweckung bzw. -förderung.3 Es geht somit vor allem um die weiter zu operationalisierende Frage, unter welchen Bedingungen sich individuelle Möglichkeiten in gesellschaftlich mobilisierte Ressourcen verwandeln lassen. Die Initiative »PROBE« liegt also gewissermaßen voll im Trend. Das verstärkte Interesse am freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagement und die sich daran anschließende Rede von den Strukturdefiziten im System der Engagementweckung korrespondieren mit der vielzitierten Entdeckung, daß sich die Rahmenbedingungen für ein Engagement verändert haben. Mit der Leitformel vom »Strukturwandel des Ehrenamts« werden allgemeine Veränderungsprozesse auf den Begriff gebracht. Auf die wichtigsten diagnostizierten Entwicklungen werde ich in den folgenden Ausführungen in kurzer Form eingehen. Sie

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(1) Im System der Sozialen Arbeit hat das sogenannte Ehrenamt seine monopolartige Stellung, seine historische Exklusivität für bestimmte Hilfe- bzw. Problembearbeitungsformen schon lange verloren. Unentgeltlich ausgeführte und beruflich gestaltete Soziale Arbeit sind heute gemeinsame Bestandteile eines zweigeteilten Versorgungsangebots an sozialen Hilfen und Diensten. Die »Ehrenamtlichen« sind in fast allen Betätigungsfeldern von qualifiziertem und entgoltenem Personal umgeben. Demzufolge wird das Ehrenamt nicht mehr in der Relation zu den primären Versorgungsnetzen gesehen, sondern es definiert sich in Abgrenzung, als Gegenentwurf zu professionell geleisteten Dienstleistungen.4 Damit werden die ehrenamtlich erbrachten Leistun gen vermehrt mit denen der Professionellen verglichen und die in dieser besonderen Struktur schlummernden Problemlagen vereinzelt zum Ausbrechen gebracht. Ehrenamtliche Vereinsvorstände werden vielerorts als schlechte bzw. dysfunktionale Führungsgremien angesehen5 und in der Folge evtl. die Satzungen modifiziert oder sogar die Organisationsform des Vereins aufgegeben. Im Zuge der breit angelegten Diskussion über die Verbesserung und Sicherung von Qualitätsstandards sowie der Auseinandersetzung mit den immer detaillierter und schärfer formulierten Qualitätsanforderungen der öffentlichen Kostenträger ist ehrenamtliche Arbeit vielleicht grundsätzlich in Frage gestellt. Am Beispiel der beiden größ ten Wohlfahrtsverbände läßt sich eine Kon-

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sequenz dieser Entwicklungen anschaulich beschreiben: Sowohl in den Reihen des Deutschen Caritasverbandes (DCV) als auch unter dem Dach des Diakonischen Werkes (DW) wird der Wert der freiwillig gemeinnützig engagierten Menschen betont, wird das »Ehrenamt« als Wesensmerkmal des eigenen Tuns permanent hochgehalten. Nach den Selbstangaben des Verbände arbeiten beim DCV ca. eine halbe Mio. Menschen und beim DW ca. 350.000 Menschen ehrenamtlich. Dies entspricht – bezogen auf die absolute Anzahl – etwa einem Verhältnis von 1:1 zum Komplex der Hauptamtlichen. Ein Vergleich des ehrenamtlich erbrachten Arbeitsvolumens mit dem des beruflich arbeitenden Personals ergibt allerdings eine ernüchternde Relation von etwa 1:13. Mit anderen Worten, der Anteil der von Ehrenamtlichen erbrachten Arbeit in den beiden konfessionellen Verbänden beträgt etwa (nur) zwischen 6,5 bis 8 Prozent. (2) In einer modernisierten Gesellschaft haben sich die Lebenslagen und die sozialen Bedingungen des individuellen Alltags verändert. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich wenn neben vielen anderen Entwicklungen, auch von einem Wandel mehrerer zentraler Aspekte des freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagements ausgegangen wird. An die Stelle eines idealtypischen alten »Ehrenamts« tritt ein neuer Idealtyp, mit gewandelten Motiven, Erwartungen und Werten. Seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre6 werden Anzeichen und Kriterien für dieses neuartige »Ehrenamt« behauptet, aufgezeigt, systematisiert und theoretisch verarbeitet. Demnach setzt sich der neue Typ u.a. aufgrund folgender Kriterien vom »alten oder traditionellen Ehrenamt« ab.7 • Das entscheidende handlungsmotivierende Merkmal des »neuen Ehrenamts« besteht in der Norm der Reziprozität von Geben und Nehmen und nicht mehr in der des selbstlosen Handelns. • »Ehrenamtlich« arbeitende Personen sind nicht mehr völlig »unbezahlt« zu gewinnen bzw. zu motivieren. »Ehrenamtliche« Arbeit überlagert sich in vielen Bereichen immer stärker mit Honorartätigkeit, Billiglohnarbeit und Ersatz-Erwerbsarbeit. • Die Qualifikationsansprüche an »ehrenamtliche« Arbeit haben sich – implizit oder explizit – graduell erhöht. Es besteht ein Trend zu latenter Fachlichkeit bzw. zu »Semi-Professionalität«.

• Die Anzahl der Typen »ehrenamtlich« Arbeitender hat sich ausgeweitet, so daß von einer Pluralisierung und Ausdifferenzierung des Ehrenamts gesprochen werden kann. • »Ehrenamtlichkeit« ist zu einem Medium für Prozesse der Identitätssuche und Selbstfindung geworden. Selbstentfaltungswerte gewinnen zunehmend zugunsten von Pflicht- und Akzeptanzwerten an Bedeutung. • Das zentrale Moment der Aktivierung des »neuen Ehrenamts« ist weniger die Sozialisation in einem bestimmten Milieu, das spezifische Deutungsmuster und Normen nahelegt, sondern eher so etwas wie eine biographische Passung. Das heißt, nur wenn in einer spezifischen Lebensphase Motiv, Anlaß und Gelegenheit zusammenpassen, dann kommt ein ehrenamtliches Engagement zustande.8 • Es findet eine Verlagerung des »ehrenamtlichen« Engagements statt, d.h. neue Engagementfelder (z.B. Ökologie) und neue Organisationsformen (z.B. selbstorganisierte Initiativen) gewinnen zu Lasten der alten Felder und Organisationsformen an Attraktivität. • Die durch »ehrenamtliche« Arbeit eingegangenen verpflichtenden Arrangements verlieren an Attraktivität, d.h. die »Ehrenamtlichen« nehmen für sich die Option in Anspruch, sich (jederzeit) wieder zurückziehen zu können. (3) Wir leben in einer Organisationsgesellschaft; die Organisationen sind zentrale Gestaltungsmittel moderner Gesellschaften, sie sind gewissermaßen auch der Verwirklichungsraum für das unentgeltlich erbrachte Engagement außerhalb der Netzwerke im sozialen Nahraum. Wenn sich nun – wie gerade beschrieben – die individuelle Seite des freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagements verändert hat und immer noch verändert, dann liegt die Schlußfolgerung nahe, daß sich auf der institutionellen Seite ebenfalls Veränderungen vollziehen. Diese Entwicklungen sind einerseits in einer Mikroperspektive nachzuvollziehen, die einen Verband oder eine Einrichtung fokussiert, sie können aber auch – repräsentativer – in einer Makroperspektive deutlich werden, die etwa den sogenannten »Dritten Sektor« als Beobachtungsgegenstand aufnimmt. Eine Analyse dieses Sektors zwischen Staat und Markt ergibt, daß scheinbar die traditionellen Organisationen, innerhalb derer freiwilliges Engagement hauptsächlich als traditionelles »Ehrenamt« in Erscheinung tritt, zunehmend weni-

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ger in der Lage sind, den veränderten Bedürfnissen und Werten von Menschen zu entsprechen, die sich in nicht-traditioneller Weise gemeinwohlorientiert engagieren wollen. In diesem uneinheitlichen gesellschaftlichen Sektor sind Verlagerungstendenzen zu beobachten, die Gewinner- und Verliererorganisationen, attraktive und unattraktive Organisationsformen entstehen lassen. Vor allem der Wertewandel der Bevölkerung9 und die sich daraus entwickelnden neuartigen Lebensstile und individuellen Zeitbudgets werden als Motor gesehen, daß es auf der einen Seite für bestimmte Mitgliederverbände, wie Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, zunehmend schwieriger wird, Mitglieder und »ehrenamtlich« arbeitende MitarbeiterInnen zu gewinnen, während auf der anderen Seite weitere Mitgliederverbände, Initiativen und Bewegungen, wie Selbsthilfegruppen, Sportvereine oder Chöre, steigende Mitgliederzahlen aufweisen können. Auffällig ist, daß diejenigen Organisationen an Attraktivität verlieren, die sich durch eine direkte oder indirekte hohe politische Relevanz auszeichnen und stark in korporatistischen Arrangements auf der Makro-Ebene eingebunden sind, während gleichzeitig insgesamt der Organisationsgrad der Bevölkerung kontinuierlich steigt. »Die Gewinner dieses Trends sind zum einen ‘unpolitische’ Organisationen des Freizeitbereichs, wie ganz prononciert die Sport-, aber auch die Gesangvereine und Chöre, sowie zum anderen Gruppen und Initiativen, die in einem sehr direkten und basisorientierten Sinn der Organisation von Betroffeneninteressen dienen, wie insbesondere Selbsthilfegruppen, aber auch andere Initiativen im Sozialbereich, wie etwa Elterngruppen oder Nachbarschaftsvereinigungen.«10 Diese Befunde belegen, daß Mitgliederorganisationen mit Blick auf ihre durch Ehrenamtliche getragene Seite keineswegs »für tot« erklärt werden können, sondern – aus der Gesamtschau der Dritten Sektor-Perspektive betrachtet – eine Verlagerung des Engagements auf den Freizeit-, Erholungs- und Vergnügungsbereich stattfindet. (4) Das freiwillige gemeinnützige Engagement ist etwas Besonderes und wird deshalb auch als solches in der öffentlichen Diskussion behandelt. Aus diesem Engagement ziehen sowohl die einzelnen Menschen als Adressaten und Akteure des Engagements als auch das Gemeinwesen als


Ganzes einen Gewinn. Unter Kostengesichtspunkten schneidet es im Vergleich zu alternativen – beruflich ausgeführten – Hilfeformen prinzipiell günstiger ab, der Staat bzw. die parastaatlichen Sicherungssysteme sparen monetäre Ressourcen. Eine Fülle von gemeinnützigen Organisationen halten ihren politischen und finanziellen Status u.a. auch durch die Tatsache aufrecht, daß sie als Vermittlungsagenturen für ehrenamtliche Arbeit oder bürgerschaftliches Engagement in der Öffentlichkeit auftreten können (Stichwort: Subsidiaritätsprinzip). Freiwillig gemeinnützige Arbeit kann qualitativ anders mit menschlichen Problemen umgehen und zudem noch als Eigenleistung der Vereine und Verbände gegenüber den öffentlichen Kostenträgern ausgewiesen werden. Und die Engagierten selbst profitieren von ihrem Tun, indem sie immaterielle Formen der Rückerstattung erhalten, etwa Anerkennung innerhalb der Vereine, Dank der Adressaten, bestimmte Vergünstigungen oder Foren der Selbsterprobung und Selbstbestätigung. Hinzu kommt, daß dieses Engagement sozusagen als Paradebeispiel für den »sozialen Kitt« unseres Gemeinwesen dafür steht, daß die Ressource der gelebten Solidarität unserer Gesellschaft nach wie vor vorhanden ist. Infolgedessen liegt als Botschaft und Deutung nahe: Eine Gesellschaft, in der Menschen sich unentgeltlich für das Gemeinwohl einsetzen, kann nicht so individualisiert, kann nicht so ökonomisiert, kann nicht so von Egoismen durchsetzt sein, wie es mancherorts mit drohendem Unterton behauptet wird. Vergleichende Studien zum »ehrenamtlichen« Engagement im internationalen Maßstab11 sowie differenziertere Vergleiche mit einzelnen Ländern12 münden für die deutsche Seite zumeist in politische Forderungen. Dies ist u.a. auch die Ursache dafür, daß sich insgesamt eine zunehmende Einmischung der staatlichen Instanzen in den Bereich des freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagements beobachten läßt. Mittlerweile existiert eine Fülle von Programmen, Initiativen und Vorhaben, die staatlich finanziert werden. Vor allem die Engagementförderung von älteren Menschen scheinen die staatlichen Agenturen als ihre Aufgabe entdeckt zu haben. Dafür lassen sich etliche Beispiele anführen: Die »Aktion 55 – Sachsen braucht Sie« des Freistaates Sachsen, das Programm »55 Aufwärts« des Landes Brandenburg, das Modellprogramm »Seniorenbüro« des Bundes oder auch das Programm »Seniorengenossenschaften« des Landes Baden-Würt-

temberg. Aber auch die Initiative zur Schaffung einer nationalen Freiwilligenagentur bzw. die Etablierung der Stiftung »Bürger für Bürger« kann hier bestätigend angeführt werden. Der Staat etabliert sich damit gewissermaßen als ein Spitzenverband des bürgerschaftlichen Engagements.13

Teil B: Dimensionen des bürgerschaftlichen Engagements Die Rede vom »bürgerschaftlichen Engagement« ist heute aus dem breit angelegten Diskurs etwa zwischen den Eckpunkten »Ehrenamt«, »gesellschaftliche Teilhabe«, »Umbau des Sozialstaats« und »Selbstsorge« nicht mehr wegzudenken. Dieser Begriff kann als eine Klammer für eine Fülle von Konzepten und Strategien angesehen werden, die in dem angesprochenen Diskurs zwar keine einheitliche Position, aber eine doch deutlich von anderen unterscheidbare Haltung vertreten und spezifische Handlungsoptionen favorisieren. Das bürgerschaftliche Engagement knüpft an eine bestimmte Tradition an, d.h. es sind etliche Aspekte zu benennen, die gewissermaßen aus der Geschichte »mitschwingen«. Wichtig sind dabei zwei sich wechselseitig voraussetzende Stränge: Einerseits ist die Entwicklung nachzuzeichnen, die mit dem »Bürgerkonzept« verbunden ist und andererseits die Frage zu klären, welches Verständnis mit dem Begriff des Ehrenamts verbunden war. Die Bezeichnung einer Person als Bürger diente ursprünglich, d.h. bereits im Mittelalter, ausschließlich dazu, bestimmte Merkmale der Herkunft näher zu bestimmen. Das Wort Bürger leitete sich vom Wortstamm »Burg« ab, welches anfänglich auch »Stadt« bedeuten konnte, und verwies nur darauf, daß eine bezeichnete Person Bewohner einer Stadt war. In städtischen Strukturen hatte sich eine grundsätzlich andere Bevölkerungsstruktur, Produktionsweise und Machtverteilung als in ihrem Umland etabliert. Im Hochmittelalter entstand der neue Typ einer Bürgergemeinde als Genossenschaftsverband freier Männer, der kraft eigenen, vom Stadtherrn gewährten oder ihm abgerungenen oder erkauften Rechts sich Schritt für Schritt aus der adligen Grundherrnschaft zu lösen begann.14 Mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen entwickelten sich verschiedene Kriterien, die die Bürger in Differenz zum Adel und zur ländlichen, bäuerlichen Bevölkerung als bestimmte, privilegierte gesellschaftliche Groß-

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gruppe charakterisierten. Diese Formation bildete sich zunächst weniger über Reichtum und Berufszugehörigkeit als vielmehr über die zuerkannte Rechtsstellung bestimmter Städtebewohner. Ausgeschlossen von dem sich herausbildenden Bürgerrecht, das von Stadt zu Stadt verschieden sein konnte, »blieben etwa Tagelöhner, Gesinde, Gesellen, Fremde und unfreie Hörige adliger Her ren, grundsätzlich die mit eigenen Privilegien ausgestattete Geistlichkeit und seit dem Spätmittelalter generell auch die Juden.«15 Dieses eingeschränkte und ausschließende Verständnis dessen, wer als Bürger zu verstehen ist und dementsprechend in den Genuß von Bürgerrechten kommen konnte, zog sich durch die Jahrhunderte hindurch. 16 Immer waren es Kriterien des Geschlechts, der Religionszugehörigkeit, des Besitztums oder des Berufs, die definierten, wer als Bürger zu bezeichnen war – der Bürgerstatus deutete auf eine exklusive Rolle Der Begriff »Ehrenamt« formte sich mit Bezug auf die sozialen Verhältnisse und Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts17 auf eine bürgerliche Form ehrenamtlicher Arbeit18. Zu dieser Zeit hatte das Ehrenamt einerseits den Status eines »öffentlich-rechtlichen Amtes«, andererseits stellte das Ehrenamt ein Gegengewicht gegen den zentralistischen Obrigkeitsstaat dar.19 Die beschränkte Selbstverwaltung der preußischen Städte, die als eine relevante Rahmenbedin gung für das damalige Ehrenamt anzusehen ist, läßt sich als unumgängliche politische Reaktion auf gesellschaftliche und ökonomische Umwälzungen im benachbarten Ausland beschreiben. Mit diesen reformerischen Maßnahmen war u.a. das Ziel verbunden, eine politische Erziehung bestimmter Bürgerkreise zu erreichen, durch die sich ein Näherrücken dieser Bürger an den Staat ergeben sollte.20 Mit anderen Worten: Ziel des Angebots, die lokalen Angelegenheiten durch die Bürger selbst regeln zu lassen, war die Integration des aufstrebenden Bürgertums in den noch nach absolutistischen Prinzipien regierenden Staat. Diese Verbindung von individuellen und staatlichen Interessen läßt sich auch im Bereich der Sozialen Arbeit beispielhaft darstellen. Dort wird das »Ehrenamt« bzw. das bürgerschaftliche Engagement vor allem mit der Armenfürsorge und dem sogenannten »Elberfelder System« in Verbindung gebracht. Die fortschreitende Industrialisierung, Phasen schlechter Konjunktur und das

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Wachsen der Städte brachte es mit sich, daß einerseits die bürokratische Regelung des Armenwesens an strukturelle Grenzen stieß und andererseits sich soziale Unruhen entwickelten. »Um diesen Schwierigkeiten begegnen zu können, entwickelte die Stadt Elberfeld im Jahr 1853 ein neues System der offenen Armenpflege, das die Fürsorge rationalisierte und verbilligte. Die Persönlichkeit und die Verhältnisse des Hilfsbedürftigen wurden geprüft, um die Hilfe auf der persönlichen Grundlage von Mensch zu Mensch wirksamer zu gestalten.«21 Es entstand – parallel zu dem vorhandenen, zumeist von Diakonen wahrgenommenen kirchlichen »Amt« – das öffentlich organisierte soziale Ehrenamt mit dem sogenannten »Elberfelder Armenpflegesystem«.22 Diese besondere Form der öffentlichen Armenfürsorge entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur dominierenden Organisationsgestalt.23 Nach diesem Modell wurde das Stadtgebiet in Quartiere unterteilt, zu denen eine bestimmte Anzahl von Armenfürsorgern bestellt wurden. Deren entscheidende Qualifikation bestand darin, daß sie als Bürger und Nachbar lokale Vertrautheit und Präsenz aufwiesen.24 Aufgrund des systematischen Einsatzes ehrenamtlicher Armenpfleger, die möglichst nicht mehr als vier arme Familien oder Einzelpersonen zu betreuen hatten, sollte einerseits eine am Einzelfall orientierte Hilfe und anderseits eine sparsame Verwendung der Finanzmittel gewährleistet werden.25 Die Ehrenamtlichen konnten aufgrund der preußischen Städteordnungen zu diesen öffentlichen Zwangsämtern verpflichtet werden, was allerdings in vielen Fällen gar nicht notwendig war, da den Armenbehörden eine große Anzahl Freiwilliger zur Verfügung standen. Erst um die Jahrhundertwende wurden andere, professionalisierte Formen der Armenfürsorge immer attraktiver.26 Zusammenfassend läßt sich sagen: Auf der Grundlage eines exklusiven Bürgerbegriffs entwickelte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein mehr oder weniger freiwilliges, ein mehr oder weniger gemeinwohlorientiertes Engagement, das sich in der Übernahme eines politischen Ehrenamts äußerte. Diese Anfänge des bürgerschaftlichen Engagements bedeuteten, daß Männer des aufstrebenden Bürgertums sich innerhalb verliehener Ämter an symbolischen Formen der Partizipation an staatlicher Macht beteiligen konnten. Neben diesem demokratischen Element des

Ehrenamts, neben diesem Medium der Bürgeridentifikation mit dem Staat, war Ehrenamt auch mit einem bestimmten Status verbunden. Der Begriff Ehrenamt verweist auf ein ganz bestimmtes Verständnis der Rolle des Ehrenamtlichen als eines Beamten. Für die Ausübung seiner unentgoltenen Tätigkeit war der Amtsinhaber mit der Amtsehre des Staatsbeamten ausgestattet. »Er hatte ein Anrecht auf jene Anerkennung und Achtung, welche die Staatsbürger der Staatsgewalt schuldeten.«27 In dieser Tradition liegen die Tätigkeiten, die heute noch in den Amtsbezeichnungen »Schöffe«, »Laienrichter«, »Vormund« bzw. im Sinne der neuen gesetzlichen Grundlage »ehrenamtlicher Betreuer« gebräuchlich sind. Das »Ehrenamt« bzw. das bürgerschaftliche Engagement kann als Ausdruck einer besonderen Mischung mehrerer allgemeiner Entwicklungsrichtungen verstanden werden. In ihm spiegelte sich einerseits das Phänomen der gesellschaftlichen Ungleichheit und andererseits der Prozeß der Durchsetzung von universellen Freiheits- und Beteiligungsrechten im Zusammenhang eines spezifisch deutschen Staatsverständnisses. Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts traten neben das politische das richterliche Ehrenamt (der Schiedsmänner, Geschworenen, Laienrichter), das ständisch-wirtschaftliche Ehrenamt (in Handelskammern, Innungen, Ärzte- und Anwaltskammern) und das städtisch initiierte soziale Ehrenamt (in der Armenfürsorge) hinzu und es erfolgte eine verstärkte ehrenamtliche Tätigkeit von Frauen. Wenn heute vom bürgerschaftlichen Engagement gesprochen wird, sind viele der Bedeutungen, die in der Geschichte des Bürgerkonzepts und des Ehrenamts ihren Platz hatten, nicht mehr präsent. Dennoch scheint der Begriff mit Bedacht gewählt. Es geht auch heute u.a. um die Verhältnisbestimmung des Einzelnen zum Gemeinwesen – und die erfährt bei der Rede vom bürgerschaftlichen Engagement eine besondere Ausprägung. Dies werde ich in den folgenden Ausführungen näher behandeln. Unter Berücksichtigung dessen, was in Deutschland zur Zeit über das Thema publiziert wird, scheint der deutsche Diskurs stark von denen geprägt zu sein, die in irgendeiner Form in die vielgestaltigen Akti-

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vitäten zum bürgerschaftlichen Engagement involviert sind, die wesentlich vom Land Baden-Württemberg vorangetrieben werden. Daher möchte auch ich mich auf der Basis dessen bewegen, was dort zum bürgerschaftlichen Engagement geschrieben und praktisch umgesetzt wird. Dabei scheint dieser Begriff generell seinen Ankerpunkt weniger in dem lebensweltlichen Alltag der Bürger selbst als vielmehr in dem öffentlichen Raum der Programme, Strategien und Parolen zu haben. So schreibt etwa Wendt: »Bürgerschaftliches Engagement treibt zunächst nicht die Bürger in ihrem Lebensfeld um, sondern beschäftigt Institutionen, Gremien, Politiker und Publizisten.«28 Für eine Analyse der Dimensionen des bürgerschaftlichen Engagements steht natürlich die Definition der Begrifflichkeit am Anfang (vgl. Abb. 2: Definitionen »bürgerschaftlichen Engagements«). Die exemplarisch aufgeführten Zitate stellen keine Definitionen in einem strengen Sinne dar, sondern müssen eher als Versuche gewertet werden, nachvollziehbar zu erklären, wann und unter welchen Bedingungen der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements eingesetzt werden kann. Dabei wird einerseits auf eher objektive Gegebenheiten und andererseits auf subjektive, vor allem motivationale Aspekte rekurriert.

Definitionen »bürgerschaftlichen Engagements« Definitionen – Schlagwörter »Bürgerschaftliches Engagement bezeichnet eine eigene Form freiwilligen Engagements. Bürgerschaftliches Engagement meint: ‘Ich engagiere mich als Bürger.’ Der konkrete Platz hierfür ist die lokale Gemeinschaft, sei es ein Stadtteil oder eine Gemeinde. Bürgerschaftlich Engagierte wollen an den Angelegenheiten und der Vielfalt des Lebensverlaufs im Gemeinwesen in kooperativer Weise partizipieren. Sie machen sich die Förderung des Gemeinwohls zur Aufgabe und übernehmen hierfür Verantwortung, Bürgerschaftlich Engagierte interpretieren ihr Leben als Bürger auch als Chance und Aufgabe für das Gemeinwesen.« Brosch (1995, S. 73). ■ lokale Gemeinschaft ■ Partizipation ■ Chance und Aufgabe


»Bürgerschaftliches Engagement ist ... ein konstitutives Prinzip der Bürgergesellschaft, vielleicht ihr wichtigstes. Seine Handlungsfelder, Handlungsziele und -notwendigkeiten werden ... nicht verordnet (vom Staat, von den Parteien usw.), sondern vereinbart, zwischen den Bürgern selbst, zwischen staatlichen Institutionen und Bürgern, zwischen Kommunalverwaltungen und Bürgern usw.... Bürgerschaftliches Engagement ist hinsichtlich seiner jeweiligen Beweggründe und Motivlagen offen. Es schließt altruistische und pflichtethische Motive nicht notwendigerweise aus (monopolisiert sie aber andererseits auch nicht), läßt aber auch jeweils andere – möglicherweise wechselnde – Motivlagen durchaus zu (z.B. Eigeninteresse, Selbstbezug Erlebnisorientierung, Spaß usw.), fordert sie gar heraus.« Ueltzhöffer/Ascheberg (1996, S. 21 f.). ■ Bürgergesellschaft ■ Vereinbarungen ■ unterschiedliche Motivlagen

»Bürgerschaftliches Engagement ist Ausdruck gelebten Eigeninteresses, das – zusammen mit anderen – allen gemeinsam zugute kommt. Es greift in vielen Bereichen seiner Erscheinungsform ehrenamtliches, freiwilliges, selbsthelfendes und mitverwaltendes Handeln auf, das auf vorhandene Not und auf absehbaren sozialen Bedarf reagiert. Es zielt aber darüber hinaus unter bürgerschaftlichen Gesichtspunkten vorrangig auf die Verbesserung der Lebensqualität aller, die Verbesserung des Miteinanders und der Möglichkeit, alle daran Beteiligten als gleichberechtigte mitgestaltende Bürgerinnen und Bürger zu erfahren.« Hummel (1998, S. 23). ■ Ausdruck des Eigeninteresses ■ Verbesserung der Lebensqualität ■ Mitgestaltung

© Liebig 1999

Die begriffliche Klärung des bürgerschaftlichen Engagements scheint sowohl auf einen Gegenbegriff zur Abgrenzung als auch auf einen Bezugsbegriff als Fundament verzichten zu können. Über alle Definitionen hinweg erscheint bürgerschaftli-

ches Engagement als eine (terminologische) Kategorie, als eine übergeordnete Klammer, die eine Begriffsdifferenzierung nur im Innenverhältnis kennt. Mit anderen Worten und etwas zugespitzt formuliert: Bürgerschaftliches Engagement ist mit Blick auf die Begriffsvielfalt des Diskurses alternativ- und damit konkurrenzlos. Die Voraussetzungen für sein Zustandekommen besitzen kaum ausschließenden Charakter – fast alle möglichen Formen des Engagements sind unter dem Etikett »bürgerschaftliches Engagement« subsumierbar. Dementsprechend ist – gemäß der Definitionen – das motivationale Fundament, das zum bürgerschaftlichen Engagement führt, äußert breit.29 Alle denkbaren Beweggründe und möglichen Motive für ein Engagement können die Grundlage darstellen – die einzige Bedingung ist, daß die Förderung des Gemeinwohls als ein Effekt festgestellt werden kann. Auch die Art und Weise, die eine Förderung des Gemeinwohls hervorbringt, ist für die definitorische Annäherung eher uninteressant. Den Kern des praktischen bürgerschaftlichen Handelns liefert die Selbstbeschreibung als Bürger. In der Folge sollen Vereinbarungen mit unterschiedlichen sozialen Akteuren entstehen, die vor allem partizipatorischen Normen entsprechen und eine gleichberechtigte Mitgestaltung aller Beteiligten ermöglichen. Das bürgerschaftliche Engagement entwickelt sich – aus der Sicht eines Gemeinwesens – nicht wie von selbst, sondern es bedarf einer entsprechenden Infrastruktur. Neben der Aufgabe für die Organisationen, sich den motivationalen Veränderungen auf der individuellen Seite anzupassen, bedeutet dies, daß ebenso ein Interpretationsrahmen notwendig wird, der ein passendes analytisch-zeitdiagnostisches Konzept anbieten kann. Einen solchen Interpretationsrahmen, eine solche Plausibilitätsstruktur bildet der sogenannte »Kommunitarismus«.30 Aus der entgegengesetzten Richtung blickend – also von kummunitaristischen Konzepten ausgehend – erscheint das bürgerschaftliche Engagement als der Schlüssel, der den eher normativ-abstrakten Vorstellungen die gesellschaftliche Praxis erschließt. Das bürgerschaftliche Engagement und kommunitaristische Standpunkte passen zusammen und scheinen sich gegenseitig ein Fundament liefern zu können. Der schillernde Begriff »Kommunitarismus« wird nicht einheitlich benutzt, sein Ge-

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brauch wird von Mißverständnissen begleitet und er findet Interesse in unterschiedlichen politischen Lagern, da u.a. gemeinsam geteilte negativ bewertete gesellschaftliche Zustände bzw. Entwicklungen diagnostiziert werden. Das Gemeinsame dieser facettenreichen »Denkströmung« ist u.a. darin zu sehen, daß durch den Bezug auf den Be griff der Gemeinschaft negativ bewertete gesellschaftliche Zustände bzw. Entwicklungen der Gegenwart diagnostiziert werden. Unter Rückgriff auf die »rettende Hermeneutik der Gemeinschaftsidee«31 wird beabsichtigt, ein Bewußtsein und eine Handlungsplattform auf der Basis der eigenen Tradition zu entwickeln, in der gemeinschaftliche Wertbindungen ihre Bedeutung (zurück)erhalten. Der Ausdruck »Kommunitarismus« wurde deshalb gewählt, weil der Begriff der Gemeinschaft bzw. der community als Etikett eines Gegenentwurfs brauchbar erscheint. Er wendet sich gegen das Bild einer Gesellschaft, die auf isolierte, mit einander konkurrierende Individuen basiert.32 In den Vereinigten Staaten hat sich – wesentlich beeinflußt von Amitai Etzioni – eine kommunitaristische Bewegung gebildet33, die mittlerweile auch in der Bundesrepublik Deutschland angekommen ist. Ausgangspunkt und Verbindungsstück kommunitaristischer Programme ist eine bestimmte Diagnose der modernisierten Gesellschaft. Mit einem Bezug auf die Diskussion zum Wertewandel oder einer einseitigen Rezeption der »Individualisierungsthese« geraten Gefährdungen ins Zentrum der Wahrnehmung und der Diskussionen. Festzustehen scheint, daß in großen Teilen der Bevölkerung »der egozentrische, die Bürgerpflichten und das Gemeinwohl ignorierende Sozialstaatsbürger ... zur gesellschaftlichen Normalfigur geworden«34 ist. Diese Vorstellung bekommt ihr Fundament durch meh oder weniger gesicherte Erfahrungstatbestände und wird mittlerweile unter mehreren Etiketten öffentlich diskutiert. Mit Schlagworten wie »Politikverdrossenheit«, »Erosion des Gemeinsinns« oder »Rückzug ins Private« werden diese Prozesse bzw. Zustände benannt. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, daß eine Abnahme des öffentlichen Engagements der Bürger, ein Rückzug aus der Rolle des verantwortungsvollen Bürgers beschrieben bzw. beklagt wird. Von diesen Prozessen sind allerdings nicht nur die absoluten Quoten des freiwilligen gemeinwohlorientierten Engage ments betroffen, sondern auch fundamentale demokratische und moralische Werte.35

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Diese Sorge um die soziale Dimension der Gesellschaft mündet in der Einsicht, daß genau diese soziale Dimension der Stärkung bedarf. Das schwindende Engagement der Bürger für das Gemeinwohl außerhalb der privaten Sphäre und jenseits entgoltener Arbeitsbeziehungen und die Einsicht, daß gerade diese Kompetenz für Demokratie, Freiheit und die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung notwendig ist, provozieren neue Konzepte zur Stärkung desselben. Diese Konzepte rechnen mit einem Typ des Bürgers, dessen Handeln nicht vorherrschend am individuellen Nutzenkalkül orientiert ist, sondern am »Bürger- und Gemeinsinn«. So kann der Kommunitarismus auch als ein »Ruf nach Sozialkitt« verstanden werden, der eine Reaktion auf Mobilität, Entwurzelung und Zerrüttung von Traditionen und Sitte darstellt und dazu dienen soll, errungene gesellschaftliche Tugenden und Institutionen zu erhalten.36 Es geht um eine Revitalisierung des Gemeinschaftsdenkens. Da weder dem demokratischen Staat noch dem herrschenden Wirtschaftssystem die Funktion zufallen kann, geistige Orientierung und zivile Tugenden wie Solidarität, Vertrauen oder Toleranz zu liefern, besteht deren Aufgabe allein darin, den Möglichkeitsrahmen für andere erfolgreiche und darum notwendige Institutionen zu schaffen. Aus diesem Grund spielen bei den Kommunitariern gerade die Institutionen des Dritten Sektors eine herausragende Stellung. Auch Familie und Schule besitzen zur Entwicklung von Bürgersinn eine besondere Funktion, sie haben eine zentrale Position im zivilen Beziehungsgeflecht aus Bürgerengagement, Nachbarschaften, Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen, Vereinen, Parteien und Verbänden inne. Etzioni – dessen Vorstellungen hier beispielhaft kurz dargestellt werden – will den Kommunitarismus am besten als zweite Umweltbewegung verstanden wissen. Während bislang – bei der ersten Bewegung – der Schutz der Umwelt im Vordergrund der Bemühungen stand, »ist das Hauptanliegen der Kommunitarier das Wesen der Gesellschaft, die moralischen, sozialen und politischen Fundamente der Gesellschaft.«37 Dabei geht es weniger um die Erhaltung des bestehenden Status Quo als vielmehr um die Verwirklichung von Vorstellungen, die einem neuen Sozialethos entspringen. Von besonderem Interesse ist dabei das angestrebte Gleichgewicht zwischen Freiheit und sozialer Ordnung, also

zwischen Rechten und Pflichten des Gemeinwesens sowie derjenigen Personen und Gemeinschaften, die zu diesem Gemeinwesen gehören. Gemäß den Vorstellungen, die der katholischen Soziallehre sowie dem Subsidiaritätsprinzip entstammen und die die Gesellschaft nach einem hierarchischen Muster zwischen Individuum und Gesellschaft aufteilen, wird eine neuartige Aufgabenverteilung zwischen dem Sozialstaat, den Gemeinschaften, den Familien und den Individuen angestrebt. Etzioni schreibt: »Diese Erwägungen führen zu dem Vorschlag, daß ein starker, aber reduzierter Kern des Sozialstaates erhalten bleiben sollte, während andere Aufgaben den Individuen, Familien und Gemeinschaften übertragen werden sollten. Der beste Weg zum Schutz und Erhalt des Sozialstaates besteht darin, ihn nicht länger durch die Schaffung immer neuer Leistungen und immer neuer Forderungen zu überlasten.«38 Es geht – auch wenn andere Vokabeln benutzt werden – um den Abbau des Sozialstaates, und zwar in den Bereichen, in denen Leistungen durch positive, lohnende und moralische Anreize von nicht-staatlichen Institutionen bzw. von Individuen übernommen werden können.39 Das derzeitige Universum von Rechten der gesellschaftlichen Akteure gegenüber dem Staat transformiert zum Teil zu Pflichten, die die jeweils umfassenderen gesellschaftlichen Gebilde bzw. der Staat einfordern können. Eine gewünschte Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf dem Fundament kommunitaristischer Konzepte scheint sich auf den ersten Blick folgerichtig aus der Analyse des allgemeinen Diskurses zum freiwilligen gemeinwohlorientierten Engagement herauszuschälen. Vor dem Hintergrund der in Teil A beschriebenen Entwicklungsprozesse unter der Überschrift »Strukturwandel des Ehrenamts« bietet sich ein alle Facetten und alle Motivationen einschließende Praxis und eine Rückbesinnung auf Werte der Verantwortung und des Gemeinsinns an. Dennoch, auf den zweiten Blick, ist diese Argumentation doch nicht so ganz folgerichtig: Unter Berücksichtigung der kommunitaristischen Problemanalyse, in der auch Individualisierungsprozesse eine zentrale Rolle spielen, bleibt weitgehend unklar, wie die alten Werte wiederbelebt werden sollen. Wenn – wie gefordert – der Staat sich zurückzieht und das gesellschaftliche Potential in die Pflicht genommen wird, dann

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könnte dies bedeuten, daß entweder die Freiwilligkeit des Engagements verlorengeht, oder die Grundlagen der bedrohten Werte weiter geschwächt werden. Mit anderen Worten: Eine Politik, die sich u.a. auch auf Bürgerpflichten bezieht und die Eigenverantwortung betont, könnte genau das der Zerstörung preis geben, was auf der programmatischen Ebene als erhaltenswert eingestuft wird. Die aktuelle politische Diskussion macht am Beispiel der Familie deutlich, daß der Staat als Korrektiv kapitalistischer Bedingungen unbedingt notwendig bleibt. Eine Realisierung individueller Verantwortung untergräbt unter Umständen die ökonomischen Voraussetzungen eines bürgerschaftlichen Engagements und die Fundamente aktuell herrschender entgoltener, beruflicher Solidarität. Auch eine Gesellschaft, die sich ein System verberuflichter personenbezogener Dienstleistungen leistet, kann – genau deshalb – eine soziale Gesellschaft sein. Es kann vor dem Hintergrund des geschilderten »Strukturwandels des Ehrenamts« weniger um eine Revitalisierung des Gemeinschaftsdenkens gehen, sondern es sind modernisierte Formen der Solidarität zu kreieren.

Teil C: Folgerungen für die Programmentwicklung zu »PROBE« In meinem letzten Teil möchte ich keine weiteren, neuen Sachverhalte ansprechen, sondern nur kommende Diskussionsrunden anregen. Zu diesem Zweck werde ich mit drei Gedanken enden, die sich auf das Vorgetragene beziehen und Fragen zu Weiterarbeit beinhalten. (1) Für den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements existiert – wie auch zu allen anderen konkurrierenden Ausdrücken – keine allgemein anerkannte Definition, die Sie einfach übernehmen könnten. Die drei aufgeführten Definitionsbeispiele sind ja nur ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Universum von Vorschlägen, die sich z.T. ergänzen, z.T. widersprechen, aber immer andere Akzente betonen. Sie werden nicht umhinkommen, für sich zu klären, was bürgerschaftliches Engagement bedeuten soll und welche Dimension und Bedeutungen für Sie die wichtigsten sind. Auf der Grundlage eigener Forschungsarbeit40 haben wir am Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der Frühen Kindheit (ISEP) für


den Begriff des »Ehrenamts« die Dimensionen, die bei der Definition eine Rolle spielen, in Form von 10 verschiedenen Spektren zu einem Schaubild zusammengefaßt. Vielleicht ist diese analytische Zugangsweise in der Lage, Ihnen bei der eigenen Begriffsbildung zu helfen. Es muß entschieden werden, auf welchem Punkt der jeweiligen Achse die eigenen Vorstellungen anzusiedeln sind (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Die Dimensionen des »Ehrenamts«

Aufgrund dessen stellt sich die Frage, welche politischen Standpunkte die eigene Arbeit mit bürgerschaftlich engagierten Personen flankieren sollten. • Die Perspektive, die die bürgerschaftlich engagierten Personen ins Blickfeld rückt und dort vor allem nach gewissen individuellen Dispositionen fragt. Daraus ergibt sich die Frage: Welche Typen von Engagierten mit welchen Motiven, Bedürfnissen und Werten sollen eigentlich angesprochen werden? • Die Perspektive, die die Organisationen als Verwirklichungsraum des »Engage-

chen politisch umstrittenen Reformvorhaben zu finden, die den Horizont der eigenen Einrichtung bzw. des eigenen Verbandes verlassen – etwa zur Zukunft des Sozialstaa tes, zu Ökonomisierungs- und Deregulierungsprozessen in der Sozialen Arbeit, zur Privatisierung sozialer Risiken oder auch zu denkbaren Substitutionsprozessen durch bürgerschaftlich arbeitendes, billiges Personal auf einer Metaebene, die gesamtgesellschaftliche Entwicklungen fokussiert.

Literatur / Fußnoten

© ISEP 1998

(2) Meine Ausführungen zum Strukturwandel des »Ehrenamts« sollten deutlich machen, in welcher Richtung die gesellschaftliche Modernisierung bzw. gesellschaftliche Wandlungsprozesse die Voraussetzungen für das freiwillige gemeinwohlorientierte Engagement verändern. Auch wenn die skizzierten Phänomene vielfach als wenig empirisch abgesichert zu gelten haben und sich in konkreten Bedingungen gewiß Ausnahmen und widersprechende Befunde aufzeigen lassen, als Fundament programmatischer Strategiebildung besitzen sie ihren Wert. Die Frage, welches Arrangement hergestellt werden muß, damit eine Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in sozial-kulturellen Einrichtungen gelingt, beinhaltet mindestens drei Perspektiven: • Die Perspektive, die die staatlichen Agenturen als Akteure betrachtet, die vor allem die rechtlichen und finanziellen Säulen im Kontext des Engagements prägen.

ments« sieht, welcher sowohl Barrieren als auch Ermöglichungen bezüglich bestimmter individueller Motivationslagen und Einstellungen bereithält. Folgerichtig stellt sich die Frage: Welches organisatorische Setting können bzw. wollen sozial-kulturelle Einrichtungen bereitstellen und welche Formen des Engagements lassen sie zu oder werden verhindert? (3) Die knappen Ausführungen zum »Bürgerkonzept« und zur Entstehungsgeschichte des Ehrenamts sowie der kurze Aufriß dessen, was sich als ideologisches Fundament des bürgerschaftlichen Engagements unter dem Etikett »Kommunitarismus« anbietet, ist sicherlich nicht nur interessant zu wissen. Diese Gedanken verstehe ich auch als Hinweis darauf, daß eine programmatische Verständigung zu der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in sozial-kulturellen Einrichtungen einer Diskussion bedarf, in der deutlich wird, in welchem normativ-ideologischen Fahrwasser man sich mit dem eigenen Praxis-Programm befindet. Dabei sind auch Positionen zu etli-

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1 Olk (1990, S. 246). 2 Vgl. u.a. Olk (1990, S. 244 f.). 3 Auch hier hat sich – zeitversetzt zu den wirtschaftspolitischen Diskursen – ein Wechsel vollzogen, von eher nachfrageorientierten zu eher angebotsorientierten Perspektiven. 4 Vgl. Rauschenbach (1991, S. 6 ff.). 5 Vgl. u.a. Merchel (1992). 6 Vgl. u.a. Rauschenbach/Müller/Otto (1988). 7 Vgl. u.a. Brandenburg (1995); Heinze (1998); Krüger (1993); Olk (1989); Rauschenbach (1991). 8 Vgl. u.a. Olk/Jakob (1991). 9 Vgl. u.a. Gensicke (1998); Klages (1997); Winkel (1996). 10 Priller/Zimmer (1997, S. 14). 11 Vgl. u.a. Gaskin/Smith/Paulwitz (1996). 12 Vgl. u.a. Dechamps (1989); Olk (1991); Paulwitz (1988). 13 Vgl. Blandow (1998, S. 116). 14 Vgl. Döhn (1986, S. 49). »Die Schwurgemeinschaft der Bürger (coniuratio civium) ist als horizontale Vergesellschaftung der Idee nach grundlegend unterschieden von den vertikalen Vergesellschaftungen der feudalen Welt (Herr und Mann); in der historischen Realität freilich sind die Grenzen oft fließend: Wenngleich sich das Bürgertum gegen das Vorrecht des Bodens wandte, akzeptierte es dieses doch insofern, als die Bürgerqualität in der Regel am Besitz von Grund und Haus hing. Nur wer immobilen Besitz hatte und nicht heimlich mitsamt eines (Geld-)Vermögens verschwinden konnte, war vollberechtigtes Mitglied der Bürgerschaft, nur er beispielsweise konnte für jemanden bürgen« (Münkler 1993, S. 63). 15 Döhn (1986, S. 49). 16 So zählte etwa die Stadt Berlin noch im Jahr 1847 403.000 Einwohner, von den nur 22.000 das Bürgerrecht besaßen. Vgl. Bissing (1968, S. 19). 17 Der Begriff »Ehrenamt« findet sich in der schriftlichen Form zum ersten Mal in einem Gesetz der Landesgemeindeordnung für Westfalen von 1856 und charakterisiert das Amt des Gemeindvorstehers, der auf sechs Jahre von der Gemeindeversammlung gewählt wurde und seinen Dienst unentgeltlich – nur gegen eine Dienstkostenentschädigung – zu verrichten hatte. Vgl. Winkler (1988, S. 38). 18 Vgl. u.a. Pankoke (1988); Rauschenbach (1991b); Sachße (1995); Sachße/Tennstedt (1988). 19 Vgl. Olk (1987, S. 85). 20 So formulierte Frhr. vom Stein seine Zielsetzung, er wollte den »Kräften der Nation eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige geben, sie vom

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sinnlichen Genuß und von den Hirngespinsten der Metaphysik oder von der Verfolgung blos eigennütziger Zwecke abzulenken« (Stein zit. nach Bissing 1968, S. 18). 21 Bissing (1968, S. 24). 22 Der Wahlspruch, das Motto dieses Systems lautete nicht – wie heute allzu oft zu hören – »Hilfe zur Selbsthilfe«, sondern hieß: »Hilfe von Mensch zu Mensch«. Neben dieser spezifischen Konstruktion der Verbindung von kommunaler Selbstverwaltung und ehrenamtlichem Engagement sieht Pankoke noch zwei weitere besonders »geschichtswirksame Organisationsmodelle des bürgerlichen Altruismus«: Erstens den »Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen« (1845), der als eine Verbindung von vereinsmäßig organisierter Hilfsbereitschaft und ordnungspolitischen Interessen an der Befriedung sozialer Gegensätze beteiligt ist, und zweitens das sich in bürgerlichem wie kirchlichem Rahmen entwickelnde Selbstverständnis einer »sozialen Mütterlichkeit«, das sich zunächst ehrenamtlich, später aber auch als Berufsperspektive äußert. Vgl. Pankoke (1988, S. 219 f.). 23 Vgl. Reulecke (1985, S. 65 f.). 24 Vgl. Sachße (1988). 25 Vgl. u.a. Olk (1996, S. 150). 26 Heute haben sich in vielerlei Hinsicht die mit dem Ausdruck »Ehrenamt« verknüpften Bedeutungen im Vergleich zu den Anfängen der Begriffsgeschichte auf den Kopf gestellt. So wird heute fast durchgängig die Dimension der Freiwilligkeit als ein konstitutiver Aspekt des »Ehrenamts« herausgestellt. 27 Bauer (1998, S. 3). 28 Wendt (1998, S. 227). 29 Aus diesem Grund wird das bürgerschafliche Engagement oftmals als moderne Antwort auf die Pluralisierung der tatsächlich vorhandenen Motivkonstellationen und die Pluralisierung der Lebenslagen gesehen, die ganz unterschiedliche Ausgangslagen und Fundamente für ein Engagement bedingen. 30 Die Konturen dieser Strömung sind nicht einheitlich und eindeutig zu bestimmen, es kann aber dennoch von einen »leicht ausgefransten« Rahmen ausgegangen werden, der sich von anderen Interpretationsmöglichkeiten in zentralen Punkten unterscheiden läßt. 31 Vgl. Honneth (1994, S. 20). 32 Vgl. Dingeldey (1997, S. 179). 33 Nach Brumlik hat sich der Kommunitarismus im letzten Jahrzehnt in den USA als philosophische Gegenbewegung zur politischen Theorie des linken Liberalismus, etwa von John Rawls und Ronald Dworkin, sowie als Protestprogramm gegen eine deregulierende, monetaristische Politik entwickelt. Der Kommunitarismus beerbt mit dieser Zielrichtung einerseits Elemente der plebiszitären Demokratie und andererseits sozialdemokratische Prinzipien und besitzt als Ausgangspunkt den in der amerikanischen politischen Lebenswelt hochgeschätzten Begriff der »community«. Vgl. Brumlik (1995, S. 35). In Deutschland besitzt der Begiff »Gemeinschaft« dagegen immer auch den Beigeschmack eines reaktionären Gegenentwurfs zur urbanen, industrialisierten Gesellschaft und deutet auf die bedeutungsprägende Verwendung des Terminus »Volksgemeinschaft« vor 1945. Vgl. Piper (1996, S. 18). Was in der us-amerikanischen Debatte als »community« bezeichnet wird, kommt Habermas’ Begriff der »Lebenswelt« und der damit verbundenen »Abwehr von Rationalisierung, Bürokratisierung und Monetarisierung sozialer Bezüge ziemlich nahe« (Reese-Schäfer 1994, S. 162). Vgl. auch Steinfath (1994, S. 86). 34 Hepp (1996, S. 7). 35 »Eine Gesellschaft, die sich konsequent auf atomisierte, voneinander isolierte und ihrem Eigeninteresse folgende Individuen stützen will, untergräbt dadurch ihre eigenen Grundlagen« (Resse-Schäfer 1994, S. 7). 36 Vgl. Güntner (1994). 37 Etzioni (1997, S. 25). 38 Etzioni (1997, S. 26). 39 Inwieweit diese neue Aufgabenverteilung bei ihrer Umsetzung auf dem Spektrum zwischen der Schaffung von Anreizstrukturen und dem Rückgriff auf (staatliche) Zwangsmittel zur einen oder zur anderen Seite ausschlagen darf, wird von Etzioni nicht thematisiert. Deutlich wird allerdings von Pflichten geredet, die die gesellschaftlichen, d.h. nicht-staatlichen Institutionen und Personen, auferlegt bekommen. 40 Vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach (1998).


BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT ALS JOBKILLER ?

von Anselm Meyer-Antz, Forschungsinstitut für Sozialpolitik der Uni zu Köln

Einführung Das Ehrenamt1 ist “in” - vor allem bei PolitikerInnen, die mit einem wachsenden Druck leben, die Ausgabenseite ihrer Haushalte zu kürzen und Gestaltungsspielräume zurück zu gewinnen. Die Wertschöpfung aus ehrenamtlicher Arbeit soll 130 Milliarden DM betragen2 und sie läßt sich nach Annahmen noch ausweiten. Diese Ausweitung soll eine Entlastung der öffentlichen Haushalte zur Folge haben. Freie Träger der Wohlfahrtspflege bieten in vielen Fällen bestimmte Leistungen billiger an, als dies der Staat könnte. Dies scheint nicht nur daran zu liegen, daß diese Träger gleiche Ergebnisse mit niedrigerem Aufwand - also wirtschaftlicher zur Verfügung stellten. Sie können auf ein Potential von ihnen emotional, wertrational oder habituell verbundenen ehrenamtlichen Mitarbeitern zurückgreifen, welches dem Staat nicht zur Verfügung steht. Aber läßt sich dieses Potential weiter aktivieren, die Menge der ehrenamtlich erwirtschafteten Wertschöpfung also weiter ausweiten ? Und wenn dies gelingt, wird es tatsächlich zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte, also zu einer Substitution von professioneller Erwerbsarbeit durch

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ehrenamtliche Tätigkeiten kommen ? Zur Beantwortung dieser Fragen werden deshalb in diesem Beitrag die möglichen ökonomischen Effekte eines vermehrten Einsatzes in verschiedenen Konstellationen dar gestellt. Diese Überlegungen basieren auf teilweise empirisch überprüften sachlogischen Analysen und formellen Modellierungen. Abschließend werden einige kritische Überlegungen zur Annahme eines wachsen den Potentials von Ehrenamtlichen aufgrund eines enger werdenden Arbeitsmarktes vorgelegt. Diese kritischen Überlegungen basieren auf Trendextrapolierungen aus relevanten Zeitreihen.

Verhältnis von unbezahlter Arbeit und Erwerbsarbeit Das Grundmodell einer Ausweitung ehrenamtlicher Tätigkeit, mit dem mancher Entscheidungsträger liebäugelt und vor dem manchem professionellen Dienstleister aus dem Bereich der sozialkulturellen Arbeit graut, sieht wie folgt aus. Die Stelle einer Krankenhaussozialarbeiterin oder eines Gesamtschulsozialpädagogen wird nach dem Ausscheiden der StelleninhaberIn nicht wieder besetzt. Im Kranken-

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haus wird die außermedizinische Beratungsleistung in Zukunft von einem freiwilligen Besuchsdienst übernommen. Die Sozialpädagogik in der Gesamtschule wird durch einen etwa von IBM gesponsorten PC-Pool mit didaktischen Programmen und PC-Spielen ersetzt, über den eine SchülerInnen-Mutter die Aufsicht führt. Eine solche Beziehung zwischen ehrenamtlicher und professioneller oder Erwerbsarbeit haben Gretschmann und Schulz-Nieswandt3 als substitutive Beziehung bezeichnet. Als wirklich substitutiv dürfen jedoch nur die ehrenamtlichen Tätigkeiten gelten, die in der gleichen Zeit den gleichen Nutzen stiften, den professionelle Arbeit zur Folge hat.

eines alten Patienten mindert. Diese Beziehung wird komplementär, wenn der Besuchsdienst die Ausführungen der Sozialarbeiterin verständlich macht, wenn also ohne die Erläuterung des ehrenamtlichen Besuchsdienstes der alte und einsame Patient nicht den vollen Nutzen der professionellen Dienstleistung gehabt hätte.

Dazu müßte der freiwillige Krankenhausbesuchsdienst in gleicher Weise wie der professionelle Soziale Dienst etwa die Leistungen im Anschluß an eine stationäre Schlaganfallbehandlung erbringen: Vom Krankenhaus müßte zur Rehabilitierungsmaßnahme übergeleitet werden, die betroffene PatientIn müßte entsprechend ihrer Aufnahmefähigkeit über ihre Chancen und Rechte informiert werden. Auf der Grundlage von Kenntnis und Erfahrung müßte geprüft werden, ob an die REHAMaßnahme ein Wohnen in der alten Wohnung mit Essen auf Rädern oder aber der Eintritt in ein Pflegeheim folgt. Entspricht der freiwillige Dienst in dieser Hinsicht nicht dem professionellen Dienst, so kommt es zu Wohlfahrtsverlusten. Der individuelle Nutzen der PatientIn kann z.B. dadurch gemindert werden, daß ihre persönliche Motivation und ihre Selbstkenntnis bei gutmütiger freiwilliger Betreuung nicht in dem Ausmaß berücksichtigt werden, wie dies bei in Beratung geschulter professioneller Hilfe der Fall ist. Wenn großflächig professionelle Arbeit durch ehrenamtliche Arbeit ersetzt wird, die nicht nutzenidentisch ist, verringert sich die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft.

Korrektiv wirkt der freiwillige Besuchsdienst, wenn er die Sozialarbeiterin nach seinem Kontakt mit dem Patienten anspricht und sie darauf hinweist, daß der Patient nach dem Besuch verwirrter war als zuvor, für eine erfolgreiche professionelle Betreuung also in Zukunft etwas mehr Zeit zur Verfügung stehen sollte.

Gretschmann und Schulz-Nieswandt haben jedoch herausgearbeitet, daß die substitutive Beziehung zwischen professioneller und ehrenamtlicher Arbeit eher die Ausnahme denn die Regel ist. Eine additive Beziehung läßt sich dann erkennen, wenn auf den Besuch der Krankenhaussozialarbeiterin der Besuch eines ehrenamtlichen Besuchsdienstes folgt, der gleichermaßen die Einsamkeit

Kumulativ ist eine freiwillige Leistung, die die Nachfrage nach der professionellen Leistung erhöht. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der freiwillige Besuchsdienst die erneute Bitte um einen Termin bei der Sozialarbeiterin zur Folge hat, weil z.B. zusätzliche Fragen bei der PatientIn aufgetaucht sind.

Die empirischen Untersuchungen aus den achtziger Jahren führten nicht zu einer Bestätigung von vorwiegend substitutiven Beziehungen.4 Selbsthilfegruppen provozieren eine erhöhte Nachfrage nach medizinischen Dienstleistungen und solchen der Sozialen Arbeit. Als erstes Zwischenergebnis läßt sich deshalb festhalten: Ehrenamtliche Arbeit ersetzt professionelle Arbeit mit und ohne Nutzeneinbußen eher nicht. Ehrenamtliche Arbeit und Bürgerschaftliches Engagement können sogar zu einer Verstärkung der Nachfrage nach professionellen Leistungen führen und dies ist auch beobachtet worden.

Arbeitslosigkeit und demographisches Potential für bürgerschaftliches Engagement Häufig wird die Diskussion um eine stärkere Bedeutung des Ehrenamtes auch von der zunehmenden Zahl derjenigen teilweise durchaus qualifizierten Menschen bestimmt, die ihre Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt nicht loswerden können. So gehen auch Wissenschaftler davon aus, daß ehrenamtliche Tätigkeiten im sogenannten Dritten Sektor der Nonprofit-

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Organisationen zwischen Markt und Staat dazu geeignet sind, die Frustrationen der Massenarbeitslosigkeit zu kompensieren und hierbei zusätzliche Wohlfahrt zu erzeugen.5 Massenarbeitslosigkeit wird in diesem Zusammenhang als dauerhaftes Problem angesehen, dessen Ausmaß aufgrund der Produktivitätszuwächse der zweiten industriellen Revolution noch zunehmen werde. Ob dies nun wirklich so ist, kann weder im Rahmen dieses kleinen Beitrags in befriedigendem Umfang noch mit sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Methoden abschließend geklärt werden. Eine Tatsache wird jedoch allzu häufig übersehen. Das Potential an jungen oder mittelalten, gesunden und qualifizierten Arbeitslosen ist begrenzt und wird in Westdeutschland in der Zukunft abnehmen.6 Die Zahl der Erwerbspersonen geht seit etwa 1992 kontinuierlich zurück, während die Zahl der zusätzlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Trend jährlich um etwa 145000 zunimmt.7 Das Problem liegt - bei isolierter Betrachtung der statistischen Daten - nicht darin, daß der westdeutschen Gesellschaft die Erwerbsarbeit ausginge, es könnte eher darin liegen, daß Politik und Wirtschaft bei der Aufgabe der Gestaltung des gesellschaftlichen Humankapitalproduktionsprozesses versagen und die Arbeitslosigkeit deshalb hoch bleibt, weil nicht zur rechten Zeit die angemessenen Qualifikationen zur Verfügung stehen. Wird etwa der junge gesunde und in einem Handwerksberuf ausgebildete freiwillige Feuerwehrmann zum Vertreter eines wachsenden Ehrenamtlichenpotentials gemacht, so ist die Vorstellung zumindest bedenklich, wenn nicht gar falsch: Es stehen insgesamt immer weniger junge Menschen für die Ausbildung in den Handwerksberufen zur Verfügung. Sie werden in der Zukunft bei gleichbleibender Nachfrage vermutlich mehr arbeiten müssen, so daß ihre Bereitschaft nicht nur wegen eines Rückganges der Gesamtheit sondern auch einer höheren Erwerbsbeanspruchung abnehmen wird. Dieses Beispiel läßt sich auf eine Reihe von anderen Ehrenamtstypen übertragen. Eine weitere Verunsicherung bei den abhängig Beschäftigten durch eine größere Flexibilisierung bestimmter vertraglicher Teile des Arbeitsverhältnisses mit dem Ergebnis einer stärkeren Konkurrenz der abhängig Be-


schäftigten untereinander könnte einen weiteren Rückgang der Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement zur Folge haben. Als Ergebnis der Betrachtungen zum Bevölkerungspotential läßt sich festhalten, daß im Bereich der ökonomisch aktiven Bevölkerung kein wachsendes Potential für ehrenamtliche Tätigkeit zu erkennen ist.

Ergebnis: Bürgerschaftliches Engagement ist kein Jobkiller sondern knapper werdende Ressource Aus den beiden Ergebnissen des Beitrags folgt eine andere Sichtweise für die Beteiligung von Ehrenamtlichen, als sie eingangs skizziert worden ist. Die professionellen Träger der Sozialen Arbeit sollten keine prinzipielle Verdrängung durch Ehrenamtliche befürchten. Soweit sie allerdings bei den freien Trägern der Wohlfahrtspflege tätig sind, müssen sie sich auf eine zunehmende Konkurrenz um bestimmte Teile der Ressource Ehrenamt einstellen. Wenn sie ihren Kostenvorteil aus dem Einsatz Ehrenamtlicher nicht bewahren, verlieren sie ihren Vorsprung vor dem Staat und müßten u.U. sogar mit einer Reintegration der ihnen übertragenen Aufgaben in die staatlichen Bürokratien rechnen. Den Politikern verbleibt der Hinweis, daß sie ihre Haushaltsouveränität nur sehr begrenzt durch einen vermehrten Einsatz ehrenamtlicher Tätigkeiten zurückgewinnen können. Erstens führt ehrenamtliche Tätigkeit in vielen Fällen zu einer Ausweitung der Nachfrage nach professioneller Tätigkeit und zweitens geht das Potential in demographischer Hinsicht zurück.

1 Die Begriffe Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement werden synonym gebraucht. 2 vgl.: Wettach, Silke: Ungnädiger Zugriff - Die Politik setzt auf das unentgeltliche Ehrenamt - und behindert es, wo immer sie kann. In: Wirtschaftswoche, Heft 52 1997 vom 18.12. 1997, S. 65 - 68. 3 Vgl. Gretschmann, Klaus; Schulz, Frank: Ende des Wirtschaftens oder Wirtschaften ohne Ende? Mikroökonomische Bedingungen und makroökonomische Wirkungen der Selbsthilfeökonomie. In: Teichert, Volker (Hrsg.): Alternativen zur Erwerbsarbeit? : Entwicklungstendenzen informeller und alternativer Ökonomie. Opladen 1988 S. 81 - 96 hier: S. 84 f. 4 Vgl. ebda. S. 92. 5 Vgl. Kirsch, Guy: Das Ehrenamt - Lösung oder Notlösung. In: Witt. Dieter; Blümle, Ernst-Bernd; Schauer, Reinbert; Anheier, Helmut K. (Hrsg.): Ehrenamt in Nonprofit-Organisationen - Eine Dokumentation. Wiesbaden 1999, S. 15 - 26, hier S. 23. 6 Einschlägige statistische Daten finden sich etwa bei Institut der deutschen Wirtschaft: Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland 1998. Köln, Tab. 9 und bei Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Statistisches Taschenbuch ’97 Arbeits- und Sozialstatistik. Bonn 1997. Tabellen 2.3 und 2.6A. 7 Es handelt sich bei der Trendextrapolation um eigene Berechnungen auf der Grundlage der in den angegebenen Quellen vorgefundenen Daten. Die Trendextrapolation ist nach der Methode der kleinsten Quadrate vorgenommen. Anders sieht die Situation in Ostdeutschland aus, wo es auch ohne die Berücksichtigung der enormen Arbeitsplatzverluste direkt nach der Wende seit 1992 jährlich zu Arbeitsplatzverlusten in Höhe von ca. 75000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen kommt.

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Bericht über das Seminar

„FAMILY LIFE“ von Renate Wilkening

vom 1. bis 4. Oktober 1998 in Bihor-Oradea in Rumänien 70 Teilnehmerinnen aus 6 europäischen Länder besuchten das vom Büro der ifs euro group und der women organization BihorOradea organisierte Seminar „family life“. Im Mittelpunkt stand dabei zum einen die Lebenssituation von Familien in Rumänien und den anderen Teilnehmerstaaten. Darüber hinaus wurde die Fragestellung erörtert, welchen Beitrag Non government organisations (NGOs) zur Verbesserung der Lage von Familien leisten können. Eröffnet wurde die Veranstaltung von der Präsidentin der WOMEN ORGANIZATION BIHOR ORADEA, Miorita Sateanu: Sie erläuterte Ziele und Aktivitäten ihrer Organisation: -ensuring social assistence of poor and low income families or families with several children, to promote full participation of women in public life, education, training an training designed to entrance women access to jobs. Social assistence project: neighbours helping neighbours (to ensure social assistance of thc elderly) childrens day care (helping mothers who attend courses) setting up a „community center for women and young people.” Die anwesenden örtlichen Kommunalpolitiker ( Lucian Silaghi, perfect of Bihor County, Mihai Sturza st. Mayor of City Hall Oradea and Mihai Bar, president Council of Bihor County) erklärten ihre Bereitschaft mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, um die drängenden Probleme von Familien in der Region in Angriff nehmen zu können Vertreterinnen der NGO waren Roxana Albu, president confederation national women organisations romania, Alexandra Stancu, sociation of feminist women, Maria Tepele, principal nurse school carol Davila

Sowohl die KommunalpolitikerInnen als auch die Vertreterinnen der NGO sahen als Hauptprobleme des Landes • extrem hohe Arbeitslosigkeit • ungeheure Armut und aus den beiden ersten Faktoren resultierend: • die große Zahl der Strassenkinder, die aus zerstörten Familien kommen, und die versuchen ihr Überleben mit Betteln, Diebstahl und Prostituion zu sichern, • die hohe Anzahl der “teenage mothers”: schon l2- und 13-jährige Mädchen prostituieren sich, werden schwanger und verlassen nach der Geburt ohne ihre Babys das Krankenhaus. Dadurch entsteht ein weiteres großes Problem : • „die vergessenen Kinder“ in den Krankenhäusern und Heimen. Das sind die Kinder, die nach der Geburt zurückgelassen werden oder die Kinder, die krank von den Eitern eingeliefert werden und nach ihrer Gesundung nicht mehr abgeholt werden. • SozialarbeiterInnen in den Kliniken versuchen Adoptiveltern zu finden. Es gibt auch genügend Adoptionswillige. Allerdings können Kinder ohne Einwilligung der leiblichen Eltern nicht zur Adoption freigegeben werden. Es ist fast aussichtslos, die leiblichen Eltern zu finden. Als Ursachen für das Phänomen der zerstörten Familien werden noch immer die Nachwirkungen des Ceaucescu Regimes genannt: das rigoros durchgesetzte Abtreibungsverbot und der Zwang für Familien, möglichst viele Kinder zu bekommen, ohne sie ernähren zu können, die extrem hohe Arbeitslosigkeit in den meisten Regionen des Landes und die Armut, die ein in westeuropäischen Ländern unbekanntes Ausmaß erreicht hat. Es gibt weder genügend Wohnraum noch ausreichend Nahrungsmittel.

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Im Anschluss an das Plenum des Seminars arbeiteten drei workshops an folgenden Themen: • The role of NGOs and other actors in civil society in elaborating and inplameting plans for protecting the family • Strategies for strengthening the role of NGOs and other actors in civil society in elaborating inplamenting programmes for seniors social assistance • Ways and means strengthening the institutional capacity for advancement of women and their role in education and protection of children. In allen workshops waren Mitglieder von NGOs, Vertreterinnen der örtlichen Regierung und nicht organisierte Teilnehmerinnen. Ergebnisse der Workshops: Es gibt bereits aktiv arbeitende Projekte von NGOs, die z.B. Jugendprogramme für die streetkids entwickelt haben. Als Rolle der NGOs wurde definiert: Projekte zu unterstützen und selbst zu initiieren, die in der Jugend-, Familien- und Altenarbeit aktiv sind. Einfluss zu nehmen auf die örtliche Sozialpolitik, und damit einen Beitrag zu leisten zur Entwicklung der sozialen Infrastruktur in den armen Regionen. Nötig ist eine Vernetzung der NGOs landesweit , um mehr Einfluss auf Politik und Regierung nehmen zu können. Zur Zeit arbeiten NGOs vereinzelt, sie kennen sich nur teilweise. Hier wäre es sinnvoll, Austausch und gegenseitige Information zu ermöglichen. Auf die Frage an die “nicht offiziellen” Teilnehmerinnen, was sie als grösstes Problem ihres Landes ansehen war die Antwort: Die totale Hoffnungslosigkeit der Menschen. Hier liegt meines Erachtens eine Aufgabe für NGOs: Gemeinsam mit den Menschen der Region Aktivitäten zu entwicklen zur Verbesserung der Lebenssituation.


QUARTIERSMANAGEMENT GEDANKEN ZU EINEM NEUEN WORT von Miriam Ehbets

Ein „multilinguales“ Modewort erobert den deutschen Sprachgebrauch: Quartiersmanagement. Was verbirgt sich dahinter? Um das herauszufinden, möchte ich die Bedeutung des Wortes erst einmal anhand des Wörterbuches versuchen zu definieren (1.) und dann mit dem derzeit gängigen, offiziellpolitischen Gebrauch vergleichen (2.). Diesen Definitionsversuchen sollen einzelne Gedanken folgen: zum aktuellen Thema Quartiersmanagement (QM) und zur alltäglichen Gemeinwesenarbeit (3.). Abschließend sollen ein paar Gedanken zu einem lokalen Beispiel von City-Management miteinfließen (4.). Der nun folgende Text, eine eher lose Gedankensammlung, ist ein Nebenprodukt der Gespräche und Diskussionen während der einwöchigen Zukunftswerkstatt im Rabenhaus.

1. Quartier kann eine Unterkunft sein, eine Wohnung, ein Stadtviertel oder Truppen-unterkunft. Das Wort hat seinen Ursprung im Französischen quartier für „Wohnviertel“ und noch weiter zurückgreifend im Lateinischen quattuor „Vier“ und quartarius das „Viertel“. Management stammt aus dem Englischen und heißt „Leitung“. Das Verb manage meint „verwalten, bewirtschaften, leiten“. „Etwas managen“ läßt das Wörterbuch wissen, bedeutet „etwas handhaben, etwas geschickt bewerkstelligen, jemand oder etwas fördern, in den Vordergrund bzw. in die Öffentlichkeit bringen, etwas geschäftlich betreuen“. Wenn denn also ein Quartier gemanagt wird, dann wird eine Wohnung, eine Unterkunft oder ein Stadtviertel verwaltet und / oder bewirtschaftet.

2. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie unter ihrem derzeitigen Leiter, Senator Peter Strieder, hatte ein Gutachten zur „Sozialorientierten Stadtentwicklung“ bei der TU Berlin unter Herrn Prof. Häußermann in Auftrag gegeben. Am 14.Juli 1998 wurde diese

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Studie vor einem Fachpublikum im Deutschen Architektur-zentrum vorgestellt. Den Abgeordnetenfraktionen, den Bezirksbürgermeistern und den Baustadträten der Bezirke lagen die Ergebnisse dieser Studie, sowie die angedachten politischen Konsequenzen bis dahin nicht vor. Die Entstehung dieser wissenschaftlichen Studie und ihre Präsentation in der Öffentlichkeit sind symptomatisch. Die Aufgabenstellung des Gutachtens sollte sein: a) festzustellen, ob Tendenzen einer sozialen Exklusion auch in Berlin zu beobachten sind; b) die Gebiete zu identifizieren, in denen ein besonderer Handlungsbedarf besteht; c) Empfehlungen für eine stadtpolitische Intervention zu geben; d) einen Vorschlag für ein MonitoringSy stem zu machen, mit dem im Sinne ei nes Frühwarnsystems die sozialräumlichen Veränderungen der Stadt laufend beobachtet werden können. Die Ergebnisse der Studie bestehen, verkürzt zusammengefaßt, in folgenden Punkten:

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A) Die Häufigkeit von Umzügen innerhalb der Stadt hat sich seit der Vereinigung deutlich erhöht. B) Die Umzugsbewegung wirkt deutlich sozial selektiv; wobei als Hauptumzugsmotiv der überhöhte Ausländeranteil in vielen Quartieren angegeben wird. C) In keinem der Bezirke im WeListteil der Stadt hat sich durch die Umzüge und Investitionen seit der Vereinigung das soziale Profil verändert. Die bestehenden Tendenzen deuten darauf-hin, daß die angelegten Sozialprofile sich noch stärker (im positiven wie im negativen Sinne) ausprägen werden. Zu den angeratenen komplexen Strategien zählt die „ökonomische Quartiersentwicklung“, damit ist eine gebietsadäquate Beschäftigungspolitik gemeint, und als ein zentrales Ziel wird die Bewohnerbeteiligung als „Empowerment’ benannt, worunter die Ausstattung mit Entscheidungs-kompetenz und die eigenständige Entwicklung von Zukunftsstrategien für das eigene Quartier zu verstehen ist. Als ein Element der empfohlenen Handlungsstrategien wurde in Konsequenz des Gutachtens in diesem Jahr in den als ProblemQuartieren ausgewiesenen Wohngebieten die Stelle eines Quartiersmanagers ausgeschrieben.

3. Wie alle menschlichen Kulturleistungen ist auch die Sprache ein Spiegel der Gesellschaft. Unter Semantik versteht man die den Wörtern eingeschriebenen Bedeutungsgehalte. Wie die Gesell-schaft im Ganzen, so unterliegt auch die Semantik dem historischen Wandel. Der Charakter der gesellschaftlichen Strukturen und der intellektuelle Zeitgeist finden ihren Ausdruck in einer jeweils aktuellen Semantik. Betrachten wir nun das Wort QUARTIERSMANAGEMENT: Im Gegensatz zu vielen anderen modernen zusammengesetzten Wörtern verschleiert der Begriff hier nicht seinen weitergefaßten Sinn oder wahren Gehalt, sondern die einzelnen Wörter umreißen mit ihrem jeweiligen Inhalt ganz deutlich die Intention des zugrundeliegenden Zeitgeistes. Der Begriff „ist ehrlich„. Denn sinngemäß werden hier „Quartiere geschäftlich betreut“. Die ihn nutzende Politik arbeitet dagegen mit „potemkinschen WortDörfern„. Der Titel der HäußermannStudie lautet „Sozialorientierte Stadtentwicklung“. Die damit vor-

gegebene inhaltliche Orientierung und Erwartungshaltung wird durch die politische Konsequenz von QMStellenausschreibungen nicht recht gedeckt, denn es geht hier wohl eher um die Quartiere als profitträchtige Immobilien und nicht etwa um die Bewohner von Stadtviertein als sozial-politisch gleichberechtigte Partner. Wenn, wie weiterhin in der Studie empfohlen, die politischen Führungskräfte, die kommunale Verwaltung und die Privatwirtschaft bevorzugt an einen Tisch gebracht werden sollen, um Lösungsstrategien für „Quartiere mit besonderem Entwicklungsbedarf’ umzusetzen... dann ist wohl die Frage nach den zu berücksichtigenden Hauptinteressen berechtigt. Für wessen Ordnung und Sicherheit soll da hauptsächlich gesorgt werden? Es scheint, als ob hier die besserverdienenden Arbeitnehmer und die Unternehmer bevorzugt würden. Unter einer sozialorientierten Stadtentwicklung stelle ich mir etwas anderes vor, nämlich eine zukunfts und selbsthilfe-orientierte Gemeinwesenarbeit. Auch hier gibt das Wort zu verstehen, wessen Geistes Kind es ist. Bei einem Gemeinwesen handelt es sich um eine Gemeinschaft von Menschen. Beim Quartier handelt es sich um das Stadtviertel als Bausubstanz. Es scheint mir, daß mit der Idee vom QM das Fahrrad neu erfunden wird und ihm zur besseren politischen „Vermarktung“ nun ein neuer Name gegeben wird. Da wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie eine teure Studie in Auftrag gegeben, wo man doch auch die mit diesem Problem befaßten Institutionen und Einrichtungen hätte befragen können zu aktuellen Bestands und Bedarfsanalysen. Statt einer weiteren Situationsanalyse in Form einer teuren Studie auf Steuerzahlerkosten hätte man die bewährte bereits bestehende Gemeinwesenarbeit unterstützen sollen. Denn einerseits werden besonders auch im sozialen Bereich notwendige Stellen eingespart und Mittel gestrichen. Auf der anderen Seite werden dann extrem gutdotierte Managerstellen geschaffen. Durch das QM sollen bzw. werden zeitlich begrenzte Strukturen geschaffen. Bei einer vorläufig auf 3 Jahre begrenzten Projektdauer ist eine tiefgreifende Aufarbeitung der komplexen Problemhintergründe jedoch schwer denkbar. Die Idee vom QM suggeriert die Möglichkeit von relativ schnellen Lösungen bereits seit langem bekannter Problembereiche. Bei dem vom Senat initiierten und prote-

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gierten QM handelt es sich m.E. um sozialpolitisch aufgesetzte „Kopfgeburten“ und nicht um eine basisdemokratisch gewachsene Konzeption. Eine Breitenwirksamkeit und Akzeptanz unter den Quartierbewohnern wird somit schwer entstehen bzw., zu vermitteln sein. Die Erwartungen an die Erfolge des QM werden zu hoch angesetzt. Enttäuschungen sind vorprogrammiert. „EntTäuschungen“ wären jedoch nur produktiv, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man sich eben nicht der Illusion, einer kompakten schnellen, und somit billigeren Problemlösung hingäbe. Sozialstrukturen innerhalb des allgemeinen historischen Wandels sozial verträglich zu gestalten bzw. zu erhalten, ist jedoch ein langanhaltendes, daher mühseliges und keineswegs billiges Geschäft. Gemeinwesenarbeit ist und bleibt eine SisyphusArbeit und gehört nicht zu dem Stoff aus dem die karrierefördernden HeldenEpen sind. (Hier sei auf unseren Erfahrungsaustausch mit den Ehrenamtlichen aus dem Groninger Korreveij-Viertel verwiesen.) Eigenverantwortliches Handeln muß gelernt werden. Dies ist eine der Prämissen von selbsthilfeorientierter Gemeinwesenarbeit. Im Bezirk, wie in der ganzen Stadt gilt es, Urbanität weitsichtig zu planen und in kontinuierlicher Kooperation aller Betroffenen zu erhalten. Die Direktive für die gegenwärtige, wie für die zukünftige Gemeinwesenarbeit lautet: kontinuierliche Arbeit ist die beste „Vorbeugung“ Vorbeugen ist besser als Krisenmanagement. Nicht erst handeln, wenn es zu spät ist. Nein, im Gegenteil, man muß vorbeugend und kontinuierlich mit Kindern, Jugendlichen, mit den Kiezbewohnern zusammenarbeiten damit sie gar nicht erst zu „Problembürgern„, die Gebiete nicht zu „Problemquartieren„ werden. Welche Kriterien machen ein Wohngebiet zu einem Problemquartier, welches dann mittels speziellem Management wieder hergestellt werden muß? Und welcher Zustand ist nach der Wiederherstellung denn überhaupt gewünscht? Ist es nicht denkbar, daß die Wünsche und Bedürfnisse der administrativen Institutionen nicht mit denen der Bewohner eines Kiezes übereinstimmen? Was heißt Urbanität für einen Städteplaner und was versteht ein Politiker darunter? Welche Interessen verbindet ein Geschäftsmann mit einem „funktionierenden Quartier„ und welche urbanen Lebensqualitäten


wünscht sich der Kiezbewohner? Die Ergebnisse der HäußermannStudie sind abhängig von den durch die Projektleiter ausgewählten Ausgangsparametern. Von einer soziologischen und städteplanerischen Studie kann man erwarten, daß zur Umschreibung des Untersuchungsgegenstandes diesen ausreichend definierende Parameter festgelegt werden. Bei der HäußermannStudie liegt m.E. jedoch eine selektive Auswahl von Umschreibungs-Parametern vor. Sind die Prämissen einer Beweisführung jedoch nicht vollständig, wird das Ergebnis verfälscht. Die Abwanderung von Familien in das Umland und die „Verelendung“ bzw. „Verwahr-losung“ von Wohnquartieren ist z.B. eben nicht nur zum größten Teil von dem in ihm lebenden Ausländeranteil abhängig. Die allgemeinen arbeitsmarktpolitischen und damit zusammenhängenden sozialpolitischen Verhältnisse in den als problematisch benannten Gebieten werden zwar eingangs benannt, aber späterhin in der Auswertung dann geradezu sträflich vernachlässigt.

Die vorhandene Bausubstanz, die gewachsenerl alten Baustrukturen eingebettet in eine wald und Wässerreiche Umgebung, das wäre ein Pfund gewesen, mit dem man hätte wuchern können. Diese einmalige Chance ist bereits vertan. Es hätte visionärer Konzepte bedurft (welche übrigens schon vor 10 Jahren von Köpenicker Künstlern entwickelt und anscheinend vergessen worden sind) und den Mut, momentan unpopulär erscheinende Entscheidungen durchzusetzen. Es nutzt wenig, einen CityManager einzusetzen, wenn kein inhaltlich fundiertes Konzept vorliegt. Und dieses Konzept sollte unter Mitwirkung aller Beteiligten bzw Betroffenen erarbeitet werden. Generell sollte man bei komplexen Lösungsversuchen in Problemquartieren nicht die Bewohner als Problemfälle betrachten und behandeln, sondern als gleichberechtigte Handlungspartner. Wenn bei derzeitigen städteplanerischen Projekten Betroffene „miteinbezogen“ werden, handelt es sich nur zu oft um eine nachträgliche Rechtfertigung zu bereits vorliegenden ausgefeilten Handlungsstrategien.

4. Ein lokales Beispiel Die für die Bürger sichtbaren Leistungen der ersten Köpenicker City-Managerin (1996/97) bestand in der Organisation und Durchführung des 1.Köpenicker MaiSalons. Mit künstle-rischen Aktionen und Environments sollte auf den Leerstand an Gewerberäumen aufmerksam gemacht werden und somit potentielle Nutzer geworben werden. Es handelte sich um eine von „oben aufgesetzte“ Konzeption. Bemerkbar wurde dies auch in der Auswahl der beteiligten Künstler nur zu einem geringen Anteil wurden Köpenicker Künstler zu dieser kozertierten Aktion geladen. Weiterhin wurde nicht genügend bzw. nicht in der passsenden Form mit dem bereits bestehenden Zusammenschluß von Gewerbetreibenden auf der Altstadtinsel (Gewerbestammtisch ) kooperiert. Man ist in der Versuchung, zu sagen natürlich konnte der Leerstand von Gewerberäumen nicht gemindert werden. Wie sollte denn auch eine einzelne Aktion eine über Jahre gewachsene Problemsituation auflösen? Zu den komplex gelagerten Ursachen der aktuellen AltstadtSituation zählt eine kurzsichtige Finanzpolitik und Stadtplanung. Es scheint einem, als wenn ein Großteil der nur denkbaren städteplanerischen Fehler im Altstadtbereich Köpenicks begangen wurden.

Und so schauen wir als NachbarschaftshausmitarbeiterInnen voller Interesse und Neugier in die Zukunft — hat doch Anfang Mai 1999 ein neuer City-Manager seine Arbeit aufgenommen. Für dreißig Monate ist diese anspruchsvolle Stelle durch das Bezirksamt und den Senat finanziert; unterstellt ist sie direkt der IG Altstadt. In dieser Interessengemeinschaft haben sich 200 Einzelhändler der Köpenicker Innenstadt zusammengefunden. Wünschenswert wäre eine Situationsund Bedarfsanalyse sowie Problemlösungsvorschläge, welche nicht nur den Bedürfnissen der Einzelhändler und Politiker gerecht werden, sondern auch die Bewohner des Köpenicker Innenstadtbereichs miteinbeziehen. Die neue Bundesregierung mit Herrn Schröder unterstützt im sozialpolitischen Bereich das“holländische Modell“. In der bundesweiten, wie in der Kommunalpolitik sollte man sich dabei auf die Arbeit und die Erfahrungen der bereits tätigen Vereine, Verbände und Institutionen stützen und Kooperationsmodelle erarbeiten, ehe man völlig neue Institutionen und Strukturen initiiert.

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Rezensionen

Peter Thiesen

Kartonwelten, Kuhkunst und Klangtunnel. Kreative Spiele für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Papier und Pappe, Kamera und Kassettenrekorder: Daraus muss man doch was machen! Hier sind 170 Spielvorschläge für ungewöhnliche Spiele mit Kindern und Erwachsenen. Spiele, die die Fantasie anregen und den Erfahrungshorizont erweitern. Beltz Verlag. Weinheim und Basel. 1999

FALZ e.V. (Hg)

Arbeitslosengruppen in Deutschland Adressenverzeichnis und Ergebnisse einer Umfrage Das neue bundesweite Verzeichnis von Arbeitsloseninitiativen liegt vor. Es wurde wieder vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ e.V.) zusammengestellt und ist als Band 20 in der Reihe Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativean der Stiftung MITARBEIT erschienen. Das neue Verzeichnis enthält nach Postleitzahlen sortiert ca. 795 Anschriften von Arbeitslosengruppen, -initiativen und -zusammenschlüssen sowie ihren Kontaktstellen und eine Zusammenfassung der Ergebnisse von zwei Umfragen zur Entwicklung von Arbeitslosengruppen in Deutschland, die vom FALZ sowie vom Projektteam “Arbeitsloseninitaitiven in den neuen Bundesländern” (ALIN) durchgeführt wurden. Verlag Stiftung MITARBEIT, Bonn 1998, 8DM zuzüglich Porto; Tel. 0228 - 60424-0

W. Kaschuba, R. Lindner, P. Niedermüller (Hg)

Wer in den Osten geht, geht in ein anderes Land Die Settlementbewegung in Berlin zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik Im Oktober 1911 zieht ein Pfarrer mit seiner Familie und einer kleinen Gruppe von Studenten in den Berliner Osten, um im “dunkelsten Berlin” ein “Lager” aufzuschlagen. Diese Gruppe bildet den Kern des Settlements, einer “Niederlassung Gebildeter inmitten der armen arbeitenden Bevölkerung”. Damit wird ein sozialpolitisches Modell aus dem Viktorianischen England auf das Wilhelminische Deutschland übertragen. Die selbstgestellten Aufgaben der Settlement-Bewegung bestanden darin, die Verhältnisse der armen und arbeitenden Klassen zu studieren, soziale Hilfedienste zu leisten und vor allem durch Teilnahme am Leben der Armen die Klassengegensätze zu überbrücken. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Darstellung der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost, dem einzigen Settlement in Deutschland. Es wird ein faszinierendes, bislang wenig bekanntes Kapitel der Kulturgeschichte Berlins aufgeschlagen. Die LeserInnen gewinnen einen sinnlichen Eindruck von der räumlichen und gedanklichen Trennung der sozialen Klassen und ihnen wird ein plastisches Bild von den sozialen und politischen Verhältnissen in Berlin des ausgehenden Wilhelminischen Reiches und der frühen Weimarer Republik vermittelt. Um die Besonderheit dieses Kulturkontaktes zwischen “Hoch” und “Ungebildeten” zu verstehen, wird ein Vergleich zwischen äußerer (oder: Heiden-) und innerer Mission im 19. Jahrhundert angestellt, und es werden zwei der frühesten und berühmtesten Settlements, Toynbee Hall in London und Hull House in Chicago, vorgestellt. Akademie-Verlag, zeithorizonte. Studien zu Theorie und Perspektiven der Europäischen Ethnologie. Schriften des Instituts für Europäischse Ethnologie der Humboldt-Universiät zu Berlin.

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Der RUNDBRIEF erscheint mit finanzieller Unterstützung der „Glücksspirale”


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