Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte

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MUSEUM FÃœR RUSSLANDDEUTSCHE KULTURGESCHICHTE

AUSGEPACKT GESCHICHTE UND GEGENWART DER DEUTSCHEN AUS RUSSLAND


Grußwort der Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB zum Wirken des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold

Prof. Monika Grütters MdB Staatsministerin für Kultur und Medien

„Geschichte kann Heimat sein“, hat Richard von Weizsäcker einmal gesagt - und es scheint, als seien diese Worte zugleich Antrieb und Credo des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold: Die in Deutschland einmalige Institution wirkt seit zwanzig Jahren als engagierter Bewahrer und Repräsentant der vielfältigen russlanddeutschen Kultur und Geschichte. Von russlanddeutschen Aussiedlern gegründet, hat sich das Museum von der Keimzelle seiner Sammlung zu einer professionell arbeitenden Einrichtung entwickelt, die in einer informativen Dauerausstellung und mit spannenden Projekten eine facettenreiche Geschichte von Auswanderung, von Flucht und Vertreibung, von Migration und Integration der Russlanddeutschen vermittelt. Die Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln, war und ist bis heute ein außerordentlich wichtiges Anliegen der Bundesregierung. In der im Jahr 2016 weiterentwickelten Konzeption der Kulturförderung des Bundes nach § 96 Bundesvertriebenengesetz wird den Deutschen aus Russland eine herausgehobene Rolle als Partner und Zielgruppe zuteil.

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Text: Julia Debelts, Dr. Katharina Neufeld, Heinrich Wiens, MDiv (äqiv.) MA, Kornelius Ens, MA MA Gestaltung: Christine Koop, Wuppertal; Käty Dück, Detmold Fotos: Fotostudio Thiessen, Anne-Sophie Unrau, Christof Rieken (S. 3) © Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte, Detmold, 2017


Es freut mich daher, dass die fünfjährige Projektförderung des Bundes dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte die Chance bietet, seine Sammlungstätigkeit ebenso wie die pädagogische Arbeit zu optimieren, seine Beziehungen in die Herkunftsregionen zu vertiefen und sich wissenschaftlich weiter zu vernetzen. Die im Herbst 2017 anstehende Einrichtung des Kulturreferates für die deutschen Spätaussiedler aus Russland wird dem Museum zudem ermöglichen, sich verstärkt der kulturellen Breitenarbeit zu widmen. Für die Zukunft wünsche ich Herrn Kornelius Ens und seinem Team viel Erfolg - und dem Museum zahlreiche interessierte Besucherinnen und Besucher, die mehr über Geschichte, Kultur und Heimat der Deutschen aus Russland erfahren wollen.

Prof. Monika Grütters MdB Staatsministerin für Kultur und Medien

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Völker entsaget dem Hass Versöhnt euch, dienet dem Frieden Baut Brücken zueinander! Friedland-Gedächtnisstätte


HERZLICH WILLKOMMEN Über 250 Jahre Geschichte sind das, worauf die russlanddeutsche Community zurückblicken kann. Und sie bietet als Teil deutscher Geschichte eine Menge Raum für spannende Einblicke und interessante Erzählungen. Eine faszinierende Geschichte voller Hoffnungen und Träume. Diese vorzustellen und eine Auseinandersetzung zu ermöglichen ist unser Auftrag. Unser Haus ist das erste und einzige Museum in Deutschland, das sich dauerhaft mit der Geschichte und Kultur der 2,4 Mio. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Russlanddeutschen befasst.

Kornelius Ens, MA MA Museumsdirektor

Es ist unser Wunsch, einen Beitrag für ein offenes, vielfältiges und friedliches Miteinander innerhalb unserer Gesellschaft zu leisten. Im Eingangsportal unseres Museums wird Ihnen daher der Leitspruch der Friedland-Gedächtnisstätte ins Auge fallen: „Völker entsaget dem Hass. Versöhnt euch, dienet dem Frieden. Baut Brücken zueinander.“ Wir möchten diesen Grundgedanken zu unserem Leitprinzip machen. Forschend, darstellend, bildend, wollen wir zusammenführen und verbinden. So trägt das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte aktiv zur Völkerverständigung in Deutschland und darüber hinaus bei. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Kornelius Ens Museumsdirektor

2. Hälfte des 12. Jh.

4 Ein kleiner Einblick in die mehr als 250-jährige Geschichte der Deutschen aus Russland ...

Petershof mit St. Peter Kirche und Hansekontor in Nowgorod


r Anlehin so enge m u se u M lches August m Namen Dass ein so ule mit de ch S ] einer e in [… e r nung an egbereite W n e d , e umfasFranck on durch Herrmann ti ra g te In ftlichen gsschichgesellscha Bevölkerun lle a r fü ung sonderer sende Bild , ist ein be n n ka n e m innbild n neh seum ein S ten, Hürde dieses Mu e g ö s […], M te is ll. e a Glücksf it des G e h n e ff O lerante der rusfür eine to l der Weite h fü e G s a geistig uasi d möge es q großzügige e in e in ft a dsch . sischen Lan sformieren Sphäre tran lle e intellektu Lippischen s or a. D. de orn, Direkt iner Springh Ra r. D . of Pr old eums Detm Landesmus

- wir ngt alles an Im Museum fä oher w d, sin wer wir sollten wissen, gen or m ir w d wie wir kommen un nn ka nn da st ollen. Er gerne leben w as W n. de er w staltet die Zukunft ge : ist ht ac sm au utsche uns Russlandde Das ät und Glaube. Heimat, Identit nd ge ra or rv he m ganz wird im Museu g un ch rs Fo e was di gezeigt. Auch hr se m eu us M ir am angeht, sind w . en ob gut aufgeh

Die Museumsarb eit verläuft äuße rst lobenswert. Nur mit viel Professio nalität, Feingefühl fü r Didaktik und ei nem hohen Maß an Eigeninitiative ko nnte ein solches Juwe l in der Museu mslandschaft Deut schlands gescha ffen werden. Hartmut Koschyk MdB, Beauftragte r der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Mir hat besonders gefallen, dass wir im Museum sehen können, dass es gar nicht „die Russlanddeutschen“ gibt, sondern eine große n Vielfalt, die sich über einen langen historische hat. ickelt entw Zeitraum , Kinder, Christina Kampmann, Ministerin für Familie Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW

Ich freue mich, dass das Museu m auch ein Zeuge des Glauben s ist. Leider ist es kaum möglich, das wertvollste Gut des Glaub en s - die Liebe und die Barm herzigkeit von gl äu bigen Menschen - in eine m Museum au sz us te llen. Umso größer ist unse re heutige Ve rantwortung vo Gott, dieses sic r htbar aufrecht zu erhalten. Ja

slanddeutscher MdB, erster rus Heinrich Zertik Bundestag en ch uts De im Abgeordneter

kob Neufeld, Pa stor der Evange Detmold-Heid lischen Freikirch enoldendorf e

1570er

1576

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Gründung einer deutschen Vorstadt in Moskau

Erste lutherische St. Michael Kirche wird in Moskau gebaut


EIN AUSWANDERERMUSEUM DER BESONDEREN ART Seit dem 18. Jahrhundert haben Millionen Menschen die deutschsprachigen Länder verlassen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben und freie Religionsausübung verließen sie ihre Heimat. Ein Teil dieser Auswanderer ging nach Russland. Gut 250 Jahre ist es her, als Katharina die Große Handwerker, Bauern und andere Berufsgruppen aus den deutschen Fürstentümern aufforderte, nach Russland zu kommen und dort ihre vielfältigen Kenntnisse gewinnbringend einzusetzen. In mehreren Auswanderungswellen folgten Schwaben, Hessen, Baden-Württemberger, Schleswiger, Mecklenburger, Sachsen und viele andere diesem Aufruf. Sie gründeten deutschsprachige Kolonien, in denen sie einerseits versuchten ihre Kultur zu bewahren und andererseits mit ihren neuen Nachbarn einvernehmlich auszukommen.

a)

b) a) Junge Besucher am multimedialen Kartentisch b) Magazin des Museums

1672

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Bedingt durch die politischen Ereignisse auf dem europäischen Kontinent begann in den folgenden Jahrhunderten eine wechsel- und leidvolle Zeit für die Auswanderer und ihre Nachkommen. Viele verloren ihre Heimat. Erst mit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges gab es für rund 2,4 Millionen deutschstämmige Personen auch die Möglichkeit, wieder nach Deutschland zurückzukehren: Sie sind heute die „Russlanddeutschen“. Im Museum wird an ihrem Beispiel gezeigt, wie kulturelle und nationale Identität sich zugleich wandelt und bewahrt wird.

16. April 1702

1724

1727 Die erste deutsche Zeitung

Erstes Berufungsmanifest für ausländische

erscheint

Fachkräfte von Peter I.

Akademie der Wissenschaft wird Erste Theateraufführung in Moskau

in Petersburg gegründet - bis

unter der Leitung des lutherischen

1799 waren von 111 Mitgliedern

Pastors Johann Gottfried Gregorii

63 deutscher Abstammung


DAS ZIEL DES MUSEUMS: BAUT BRÜCKEN ZUEINANDER Den besonderen Weg der Russlanddeutschen Ausdruck zu verleihen und ihre Kultur und Geschichte auszustellen, ist das Ziel des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte. Durch die Dauerausstellung, regelmäßige Sonderausstellungen und mit einem umfangreichen Kulturprogramm wird dieses Anliegen umgesetzt. So wird ein Teil der deutschen Geschichte aufgearbeitet und dargestellt, der in dieser Form bisher nicht in bundesdeutschen Museen berücksichtigt wird. Gleichzeitig hat das Museum eine große gesellschaftliche Alltagsaktualität. Die Russlanddeutschen sind bisher weitgehend geschichtslos: sowohl in Deutschland, als auch in Russland ist dieser besondere Teil der europäischen Geschichte allgemein unbekannt geblieben. Das Museum will dazu beitragen, über ein Geschichtsbewusstsein die Reflexion des eigenen Bildes von sich in der Gesellschaft zu ermöglichen. Daraus ergibt sich auch das Leitmotiv des Museums: „Völker entsaget dem Hass – Versöhnt euch, dienet dem Frieden – Baut Brücken zueinander!“

a)

b) a) Russlanddeutscher Kulturpreis 2014 des Landes BadenWürttemberg für außerordentliches Engagement in Bezug auf Verbreitung und Förderung von russlanddeutscher Kultur und Geschichte b) Besondere Anerkennung des Museums durch den kirgisischen Botschafter bei der Ausstellungseröffnung „Deutsche in der Geschichte Kirgistans“

22. Juli 1763

1764 - 1773

1789

1800

7

1802 - 1806

Einladungsmanifest der Zarin Katharina II. Beginn der Massenein-

Am Dnjepr entstehen

wanderung deutscher und anderer

die ersten Kolonien der

Ausländer

Mennoniten Gnadenprivileg Paul I. für die Mennoniten Erste russische WeltumAn der Wolga werden 104 deut-

seglung durch Adam

sche Kolonien gegründet

Johann von Krusenstern


DIE MUSEUMSPÄDAGOGIK: AUSSTELLUNG+

a)

b)

Unser Museum legt besonderen Wert auf Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Museen ermöglichen die lebendige Auseinandersetzung mit historischen Dokumenten und Exponaten. Bildnerisches Gestalten oder mediales Experimentieren als handlungsorientierte Methoden sollen Neugierde wecken. Eigenständige Informationsrecherchen erschließen neue Erkenntnisse. Das breite inhaltliche Spektrum der Museumsausstellung bietet fächerübergreifende Anknüpfungsmöglichkeiten in allen Jahrgangsstufen. Ergebnisse aus der museumspädagogischen Arbeit können direkt in der Ausstellung präsentiert werden. Der Lernort Museum bietet spannende Möglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung, zu der nicht nur thematische Führungen, sondern auch mehrtägige Projektarbeit, Begegnung mit Zeitzeugen, Filmvorführungen, Tagungen und Workshops gehören.

c) a) Öffentliche Führung im Museum b), c) Selbstentdeckendes und angeleitetes Lernen

1804 - 1824

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Das Museum beteiligt sich am Projekt KulturScouts OWL und ist Mitglied bei „Bildungspartner NRW Schule und Museum“. So erweitert es das Kultur-Netzwerk für Schülerinnen und Schüler um einen wichtigen migrationsgeschichtlichen Schwerpunkt.

1817 - 1818

1822

1833

Die erste weiterführende Bildungseinrichtung in der Ukraine wird gegründet

Württemberger, Pfälzer, Badener

Heinrich von Lenz erfindet die

und Elsässer siedeln sich am

Einwanderung von Württemberger Separa-

Schwarzen Meer an

tisten in den Transkaukasus

sogenannte `Lenzsche Regel´


Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte richtet sich an Personengruppen mit und ohne Migrationserfahrungen. So wird das Museum zum interkulturellen Begegnungs- und Lernort, der am Beispiel der Geschichte der Russlanddeutschen in vielfältiger Weise grundlegende Inhalte über die Migration und Integration vermittelt, zum Nachdenken anregt und Diskussion ermöglicht. Dabei sind uns der Dialog zwischen den Besuchern und den Ausstellungsobjekten des Museums genauso wichtig, wie das gegenseitige Begegnen und Verstehen der unterschiedlichen Gruppen. a)

Zum Besucherangebot gehören auch ein Veranstaltungsprogramm sowie regelmäßige Sonderausstellungen. Innerhalb des Ausstellungsbereiches ist außerdem Platz für junge Künstler vorgesehen. Hier können sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Studierende ihre Arbeiten aus Kunst und Design präsentieren. Darüber hinaus gehört zum Museum auch eine umfangreiche Fachbibliothek und ein Archiv. Die Bibliothek umfasst bereits jetzt eine Sammlung mit etwa 11.000 Buchtitel (unter anderem Autobiografien, Biografien und Familienbücher) und 900 Zeitschriften, welche die Kultur und die Geschichte der Deutschen aus Russland betreffen.

1839

1839 - 1883

Sternwarte Pulkowo von Friedrich Georg Struve gegründet

c)

b) a) Schülerinnen und Schüler erarbeiten Stop-Motion Filme für den Geschichtsunterricht b) Die Bibliothek mit kleinem Lesesaal c) Integration von Medien in der Ausstellung

Juni 1841

9

1844

Jakob Becker gründet seine

Dr. Friedrich J. Haass er-

gleichnamige berühmte Klavier-

öffnet ein Krankenhaus

fabrik in St. Petersburg

für sozial Benachteiligte in Moskau

Bau der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau durch Architekt Konstantin Thon


DER WEG DES MUSEUMS: KOOPERATION Das Museum wurde 1996 von einer Gruppe russlanddeutscher Aussiedler in Detmold gegründet. Was als kleine Sammlung begann, hat sich zu einer professionell ausgerichteten Einrichtung entwickelt, die sich an die internationalen Statuten des ICOM (International Council of Museums) hält. Das Museum arbeitet eng mit internationalen Wissenschaftlern, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Migrationsvereinen zusammen und greift in Projekten, Tagungen und Kulturveranstaltungen aktuelle Fragen zu Migration und Integration, Flucht und Vertreibung auf. Bereits 1997 erhielt es dafür durch das Bundesministerium des Innern die Bronzeplakette für die vorbildliche Integration von Aussiedlern.

a)

Die Träger und Unterstützer des Museums, insbesondere die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, der Christliche Schulförderverein Lippe, sowie viele engagierte Freunde und Förderer haben sich zum Ziel gesetzt, das Museum weiter auszubauen. Dabei geht es sowohl um die Aufarbeitung der Geschichte als auch um den Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und der Wissenschaft. b) a) Bronzeplakette für vorbildliche Integration an das Museum, 1997 b) Theaterstück anlässlich des 250. Jahrestages der Einladung Katharinas der Großen in Kooperation mit dem August-Hermann-Francke-Gymnasium Detmold

1850

10

1854

1867

Gründung der Gießerei in Südruss-

Ferdinand Theodor Einem gründet

land von Peter Lepp

seine Schokoladenkonditorei

1871

„Einem“ (jetzt „Krasnyj Oktjabr“) in Moskau Aufhebung der staatlichen Gründung der Pflugfabrik von Johann Höhn in Odessa

Sonderverwaltung der Kolonisten


Hier finden Sie eine Auswahl unserer Kooperationspartner, Unterstützer und befreundeter Institutionen.

1874

Einführung der allgemeinen

1882 - 1914

1915

ab 27. Februar 1917

Gründung zahlreicher Tochtersiedlungen

Kongresse der Russ-

in Turkmenistan, Kasachstan, Sibirien und

landdeutschen in Moskau,

im Südural

Saratow, Warenburg/Wolga, Slawgorod/Sibirien und

Wehrpflicht für Deutsche in

Odessa

Russland - erste Auswanderungswelle nach Übersee

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„Liquidationsgesetze“ – davon sind vor allem Baltendeutsche und Wolhynier betroffen


EIN AUSSTELLUNGSRUNDGANG ERDGESCHOSS I: AUSWANDERN Die Ausstellung des Museums umfasst rund 500 qm. Das Erdgeschoss zeigt die Geschichte der Russlanddeutschen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Untergeschoss thematisiert die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis heute. a)

b) a) Darstellung der Zielgebiete in Russland b) Die Bibel als kontinuirlicher Begleiter der Auswanderer c) Eine Truhe als Reisekoffer der 1850er Jahre

25. Oktober 1917

12

Im 18. Jahrhundert wanderten aus den deutschen Fürstentümern und Königreichen massenhaft Menschen nach Russland aus. Auswanderungsgründe waren Landmangel, Missernten und hohe Abgabenlasten, sowie Verfolgung von religiösen und politischen Minderheiten. Die Auswanderer versammelten sich an Treffpunkten wie Ulm oder Büdingen. Von dort aus reisten sie zu Fuß oder mit Fuhrwerken an die Ostsee oder der Donau entlang nach Russland. Warum nach Russland? Die russischen Zaren, allen voran Katharina II., hatten Ausländer dazu eingeladen, sich in Russland anzusiedeln. Sie versprachen den Einwan-

19. Oktober 1918

1919

1921

Plünderungen, Brandstiftungen, Raub,

„Oktoberrevolution“, Macht-

Verwüstungen, Vergewaltigungen und

ergreifung der Bolschewiki

Morde durch die Machno-Banden unter den Schwarzmeerdeutschen Der Rat der Volkskommissare genehmigt per Dekret die

Auf Revolution

Errichtung der Gebietsauto-

und Bürgerkrieg folgt

nomie (Arbeitskommune) der

in Russland eine große

Wolgadeutschen

Hungersnot


derern kostenloses Land, zehn Jahre Steuerfreiheit, Freistellung vom Wehrdienst und Religionsfreiheit. Dafür sollten die neuen Siedler die teilweise unkultivierten Landschaften Russlands erschließen und so die Grenzen des erweiterten Russischen Reiches sichern.

ERDGESCHOSS II: ANSIEDELN Die deutschen Auswanderer ließen sich überwiegend in unbesiedelten und unerschlossenen Steppen nieder. Von 1764 bis 1890 legten sie im Russischen Reich zehn deutsche Siedlungen an, in denen je etwa 320.000 deutsche Neusiedler aufgenommen wurden. Diese neuen Orte gehörten offiziell zu den großen russischen Verwaltungsbezirken Saratow, Samara, Sankt Petersburg, Jekaterinoslaw, Cherson/Odessa, Wolhynien und Kaukasus. Die Siedler durften sich überwiegend selbst verwalten. Sie bauten Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Fabriken und konnten sich innerhalb kurzer Zeit sozial etablieren. Allmählich entwickelte sich so eine Kultur mit eigenen kulturellen Einrichtungen, die Verbindungen sowohl zu russischen Institutionen als auch zu den jeweiligen deutschen Herkunftsgebieten pflegten.

1923

20. Februar 1924

a)

b) a) Modelle von Hauseinrichtungen Russlanddeutscher im 20. Jahrhundert b) Russlanddeutsche prägen auch das Musikleben in der neuen Heimat

1926

1928

13

1929

Gründung der Allrussischen Mennonitischen Landwirtschafts-

Laut Volkszählung leben in

gesellschaft (aufgelöst 1928)

der Sowjetunion 1.238.549

Beginn der Zwangskollek-

Deutsche

tivierung der selbststän-

Aufwertung des autonomen Gebiets zur Autonomen Sozialis-

digen Bauernwirtschaften

5.671 Deutsche reisen aus

tischen Sowjetrepublik der Wol-

Protest gegen Enteig-

gadeutschen mit Pokrowsk, dem

nungen und religiöse

späteren Engels, als Hauptstadt

Verfolgungen ins Ausland aus


UNTERGESCHOSS I: VERFOLGT WERDEN Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 änderte sich die Lage der Deutschen in Russland schlagartig. Während des Krieges wuchsen die Zweifel der russischen Regierung und Armeeführung an der Loyalität der deutschen Siedler. Die Deutschen galten nun als ‚innerer Feind‘. Selbstverwaltung und deutsche Betriebe wurden aufgelöst, deutsche Sprache wurde an den Schulen und in der Presse verboten, Deutsche wurden zwangsweise umgesiedelt. Mit der Oktoberrevolution 1917 und der späteren Gründung der Sowjetunion verschlechterte sich die Situation für die russische Bevölkerung - und damit auch für die Russlanddeutschen - weiter. Ursachen dafür waren Plünderungen, Enteignungen und schließlich der radikale Umbau des Staates. Die deutsche Minderheit durfte sich nur noch regional eng begrenzt weiterentwickeln. Das stalinistische Regime hat das Leben vieler Millionen Menschen, in besonderer Weise der deutschstämmigen, verletzt, indem es sie zu vielen Jahren Haft in Arbeits- und Straflagern verurteilte, sie deportierte und sie somit ihrer Freiheit beraubte.

a)

b)

a) Darstellung der Repressalien in der Sowjetunion unter Stalin b) Sowjetische Propaganda: „Religion ist Gift Rettet die Kinder“

1933 - 1934

14

1937 - 1938

1939

28. August 1941

1942 Aufgrund geheimer Beschlüsse des

Mindestens 100.000 Russlanddeutsche verhungern als Folge der stalinistischen „Umge-

Die Volkszählung registrierte

Staatlichen Verteidigungskomitees vom

in der UdSSR 1.427.232 Deut-

10. Januar, 14. Februar und 7. Oktober

sche (0,8 %)

wurden ca. 350.000 Russlanddeutsche zur Zwangsarbeit verpflichtet

staltung der Landwirtschaft“

Der „Große Terror“ kostete

Verabschiedung des Erlasses zur Deportation

etwa 55.000 Deutschen aus

der Deutschen aus den Wolgaregionen nach

Russland das Leben

Kasachstan und Sibirien


UNTERGESCHOSS II: ZURÜCKKEHREN Nach Stalins Tod 1953 brachte die sogenannte „Tauwetter-Periode“ schrittweise Lockerungen für viele Menschen, darunter auch für die Russlanddeutschen. Die strenge Sonderverwaltung wurde aufgehoben, die freie Berufs- und Studienwahl allerdings nur teilweise ermöglicht. Die Wohnsituation verbesserte sich allmählich, Religionsgemeinschaften konnten - unter strenger staatlicher Aufsicht - ihren Glauben entfalten, und nationale Minderheiten durften wieder unter bestimmten Voraussetzungen in der Muttersprache unterrichten und kommunizieren. Deutsche Theatergruppen und Chöre wurden gegründet, deutschsprachige Zeitungen herausgegeben. Ab den 1970er Jahren wurde in begrenztem Umfang die Ausreise nach Deutschland ermöglicht.

a)

b)

Mit der Perestroika und Glasnost und der Auflösung der Sowjetunion erreichte die Auswanderungswelle nach Deutschland ihren Höhepunkt. Bis heute sind insgesamt etwa 2,4 Millionen Russlanddeutsche in die Bundesrepublik zurückgekehrt.

c) a), b) und c) Der Ausstellungsbereich ‚Integration‘ zeigt das Leben der Russlanddeutschen in Deutschland

1943 - 1944

1945

26. November 1948

13. Dezember 1955

29. August 1964

15

1965

Strafen für die Sondersiedler werden verschärft, indem sie „auf ewig“ in

Dekret über Teilrehabilitierung

Verbannungsorten festgesetzt Etwa 340.000 Deutsche werden beim Rückzug der Wehrmacht in den Warthegau angesiedelt und erhalten die deutsche Staatsbürgerschaft

der Russlanddeutschen

werden Einrichtung von Sonderkommandanturen

Die AutonomiebeweErlass über die Befreiung von

gung der Deutschen

der Kommandanturaufsicht

beginnt


KULTURREFERAT Das an das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte angegliederte Kulturreferat widmet sich der Vermittlung vielfältiger Aspekte der Kultur und Geschichte Deutscher aus Russland. Die Arbeit erfolgt auf der Grundlage des § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Das Kulturprogramm bietet unter anderem Lesungen, Filmvorführungen, Vorträge, Konzerte und andere Veranstaltungen an. b)

a)

Gemeinsamen mit unseren Kooperationspartnern aus Bildung, Kultur und Kirche führen wir Tagungen, sowie Kultur- und Bildungsreisen durch, die eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen des Museums zum Ziel haben. Alle Termine erfahren Sie unter www.russlanddeutsche. de.

SONDERAUSSTELLUNGEN c) a), b) Sonderausstellung „Deportation in der russlanddeutschen Literatur“ c) Ausstellungseröffnung in den Museumsräumen

1971 - 1982

16

Wir zeigen regelmäßig wechselnde Sonderausstellungen. In den Ausstellungen werden aktuelle und historisch relevante Aspekte der russlanddeutschen Kultur, hauptsächlich zu den Schwerpunkten Migration, Diktaturerfahrungen und Identität behandelt. Dazu arbeiten wir mit unterschiedlichen Museen und wissenschaftlichen Institutionen zusammen.

26. Dezember 1980

1. Januar 1987

1994

In Kasachstan wird ein deutschsprachiges

Die Zahl der Aussiedler aus den

Theater gegründet

Staaten der ehemaligen SowjetuniNach Inkrafttreten des neuen so-

Über 70.000 Russlanddeutsche profitieren von der Ost-West-Entspannung. Sie dürfen nach Deutschland ausreisen

wjetischen Gesetzes über Aus- und Einreise steigen die Aussiedlerzahlen und erreichen in den folgenden Jahren imense Ausmaße

on erreicht mit 213.214 Menschen seinen Höhepunkt


FÜHRUNGEN UND AUDIOGUIDE Öffentliche Führungen bieten wir einmal monatlich jeweils an einem Sonntag an. Die Führung dauert etwa 60 Minuten und ist dialogisch gestaltet. Sie kann ohne Voranmeldung wahrgenommen werden und ist im Eintrittspreis enthalten. Die Termine der öffentlichen Führungen werden unter www.russlanddeutsche.de veröffentlicht. Darüber hinaus können Führungen für Gruppen ab 8 Personen gebucht werden. Diese dauern etwa 90 Minuten und können auch besondere Wünsche der Gruppen berücksichtigen. Wir bieten die Führungen in den Sprachen Deutsch, Russisch und Englisch an.

a)

b)

Das Museum kann auch individuell mit einem Audioguide erkundet werden. Wir bieten den Besuchern zu den wichtigsten Stationen eine Hörführung in den Sprachen Deutsch, Englisch und Russisch an. Die Nutzung der Audioguides ist im Eintrittspreis enthalten.

CATERING Das Museum hat kein eigenes Café. Für Gruppen bieten wir aber gerne über unseren Cateringpartner Kaffee und Kuchen oder ein Menü aus der russlanddeutschen Küche an (z. B. Plov oder Bortsch).

seit 1990

1919 - 1999

c) a), b), c) Gruppenbesuche im Museum

1950 - 2010

17

Otto Hertel, Mitglied der Autonomiebewegung 1964 und seit 1978 in Deutschland, initiiert 1985 den ChristMit Unterstützung der Bundesregierung werden jedes Jahr internationale wissenschaftliche Konferenzen zum Thema „Russlanddeutsche Geschichte und Kultur“ organisiert

lichen Schulverein Lippe und 1996 das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold

Insgesamt reisen etwa 2,4 Millionen Russlanddeutsche nach Deutschland ein


WER WIR SIND MUSEUMSLEITUNG - Kornelius Ens, MA MA VERWALTUNG UND BETRIEB - Olga Albrecht SAMMLUNG, BIBLIOTHEK UND ARCHIV - Nico Wiethof, MA KULTURREFERAT - Edwin Warkentin, MA MUSEUMSPÄDAGOGIK UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Heinrich Wiens, MDiv (äqiv.) MA VORSTAND Witalis Hagelgans, Peter Dück, Eduard Thun, Andreas Gossen, Wilhelm Friesen, Eduard Wölk, Eugen Reimer, Vorsitzender des Fachbeirates (Prof. Dr. Dittmar Dahlmann), Vertreter der Museumsleitung (Kornelius Ens), Vertreter/in der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien

Tagung des Fachbeirats

2013

18

WISSENSCHAFTLICHER FACHBEIRAT Prof. em. Dr. Dittmar Dahlmann (Direktor des Instituts für Geschichtswissenschaft und osteuropäische Geschichte, Universität Bonn), Jun. Prof. Dr. Jannis Panagiotidis (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Universität Osnabrück), Prof. Dr. Jan Carstensen (Direktor des LWL-Freilichtmuseums Detmold), Julia Debelts (Geschäftsführerin der Agentur für Museumsberatung und Ausstellungsgestaltung Szenario), Dr. Hermann Niebuhr (Leiter der Abteilung OWL des Landesarchivs Detmold a. D.), PD Dr. Hans-Christian Petersen (Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), Oldenburg)

2014

ab 2016

Russlanddeutscher Kulturpreis des

Das Museum erhält Fördermittel

Landes Baden-Württemberg geht an

von der Bundesbeauftragten für

das Museum für russlanddeutsche

Kultur und Medien

250-jähriges Jubiläum russlanddeutscher Geschichte wird bundesweit gefeiert

Kulturgeschichte


EIN MUSEUM BRAUCHT FREUNDE! Als Museum ist es unser Wunsch, einen Beitrag für ein offenes, vielfältiges und friedliches Miteinander innerhalb unserer Gesellschaft zu leisten. Unser Haus ist durch die freundliche Unterstützung einer privaten Initiative in den vergangenen Jahren zu einem modernen Museum umgestaltet worden. Seit 2016 wird es von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert. Für viele Bereiche unserer Arbeit bleiben wir jedoch weiterhin auf Förderer angewiesen: Besonders für den Erhalt und die Restaurierung unserer historischen Bestände in Archiv und Bibliothek, aber auch für unsere kulturelle Kinder- und Jugendarbeit benötigen wir Ihre Unterstützung. Helfen Sie uns, wertvolles Kulturerbe für die Nachwelt zu bewahren und die Geschichte der Russlanddeutschen angemessen zu präsentieren! Es gibt viele Wege uns zu unterstützen: Erweitern Sie unser Museum mit Schenkungen und Leihgaben, engagieren Sie sich als Übersetzer von Dokumenten oder als Zeitzeuge bei schulischen Veranstaltungen oder unterstützen Sie uns finanziell. Ihr Engagement kann auf Wunsch öffentlichkeitswirksam präsentiert oder vertraulich behandelt werden.

„Wird es klappen?“, Jakob Wedel, 1974

Wir als Museum freuen uns, mit Ihnen in Kontakt treten zu dürfen!

BANKVERBINDUNG Verein für russlanddeutsche Kultur und Volkskunde e. V. Sparkasse Paderborn-Detmold IBAN: DE42 4765 0130 0046 1330 70, BIC: WELADE3LXXX

19 ÖFFNUNGSZEITEN Di. - Fr. 14.00 bis 17.00 Uhr Sa. 11.00 bis 17.00 Uhr So. 15.00 bis 18.00 Uhr (einmal monatlich) Für Lerngruppen auch nach individueller Absprache

PREISE MUSEUM FÜR RUSSLANDDEUTSCHE 4,00 Euro Erwachsene KULTURGESCHICHTE 3,00 Euro Gruppen p. P. (ab 10 P.) 2,00 Euro Ermäßigt/Kind Georgstraße 24 10,00 Euro Familie 32756 Detmold 20,00 Euro Führung +49 5231 921690 kostenlos MuseumsCard museum@russlanddeutsche.de www.russlanddeutsche.de


Mit freundlicher UnterstĂźtzung:


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