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Gesichtsverlust

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F)leckereien

F)leckereien

18 »Okay, ich arbeite daran.«

ER Ich schaue mir auf dem Computer alte Fotos von uns an, spasseshalber, optische Reisen, die mir guttun. Ich staune, wie jung ich vor zehn Jahren noch ausgesehen habe. Aber nicht nur ich, auch Schreiber. Das Leben hinterlässt seine Spuren. Ich stelle mir vor, wie ich in zehn Jahren Fotos von heute ansehe und womöglich wieder dasselbe denke …

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Ich muss sehr versunken gewesen sein, merke erst jetzt, dass Schreiber hinzugekommen ist. Doch sie blickt nicht auf den Bildschirm, sondern mir ins Gesicht. Sie sagt: »Warum machst du so einen verkniffenen Mund?« »Bitte?« »So schmallippig irgendwie, verbissen. Diesen Mund machst du häufig, wenn du dich vergisst.«

Hoppla. Ich lockere ganz schnell meine Gesichtsmuskulatur. Schreiber nickt und sagt: »Schon besser.« Dann fügt sie an: »Und wenn ich mal seltsam gucke, sag’ es mir bitte sofort. Ich will nicht, dass wir unser Gesicht verlieren. Und schon gar nicht will ich grimmig aussehen. Abgemacht?«

Als wir am Abend mit Ida in der Küche sitzen und diese uns von der Schule erzählt, fragt Ida plötzlich: »Mama? Alles in Ordnung?«

Schreiber ganz erstaunt: »Ja, klar, ich höre dir zu, warum?«

Ida: »Weil du so grimmig schaust.«

SIE Ich bin ertappt. Warum blicke ich verdriesslich, wenn ich entspannt bin? Ich sollte doch zufrieden gucken, wenn es mir gut geht. »Danke, Ida, für deine Beobachtung. Jetzt muss ich mehr an meiner Mimik arbeiten«, sage ich und lächle: »Habe da noch Tipps auf Lager aus der Schauspielschule damals in New York.« Schneider und Ida sollten jetzt fragen, welche das wären. Tun sie aber nicht. Egal, ich verrate sie ihnen dennoch: »Einer geht so: Lache, auch wenn dir nicht danach ist. Das Gefühl folgt deinem Gesichtsausdruck.«

Ich mache es vor. Schneider: »Sieht voll künstlich aus. Wie geliftet.« – »Okay, ich arbeite daran«, sage ich, grinse mit äusserstem Einsatz und siehe da, wir brüllen los. Alle drei. Köstlich!

Später, beim Zähneputzen im Bad, zeige ich Ida eine andere Übung: »Grosses Gesicht, kleines Gesicht.« Ich reisse die Augen auf, den Mund, alles wird RIESENGROSS. Dann wechsle ich zur Minischnute, kneife die Augen zusammen und zerknautsche mein Gesicht so klitzeklein wie eine Rosine. Fühlt sich herrlich an. Ida beobachtet mich im Spiegel, schüttelt den Kopf und verlässt das Bad: »Echt, Mama, das ist zu viel.«

Sie hat tatsächlich recht, ich sehe komplett doof aus. Aber immerhin nicht grimmig.

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