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Eingespannt

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Unbunt

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12 »War ein schöner Tag.«

SIE Vielleicht merkt man erst beim Insbettgehen, dass die Zeit nicht schläft. Ich blicke auf mein Nachtkästchen, es quillt über. Je älter ich werde, umso mehr Material benötige ich für meinen Schlaf.

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Ich gönne mir mein übliches Prozedere: Füsse eincremen, Salzwassernasenspray in Griffweite, Oropax bereitlegen und neuerdings auch noch etwas, das ich wirklich lieber nicht gewollt hätte: eine Zahnspange.

Durchsichtig, zum Glück.

Ich habe nachts einfach zu viel Biss. Und damit meine Zähne nicht von mir selbst wegrationalisiert werden, schone ich sie mit dieser Spange. War die Idee meines Zahnarztes. Eine Investition. Durchsichtige Hightech-Teile, die ich über mein Gebiss klicke. Unsicht-, aber spürbar. Ich lisple und denke an Martina Hingis, die mit Gebissdrähten Grand Slams gewann. Schneider habe ich davon erzählt, aber es hat ihn nicht sonderlich interessiert. Nun liegen wir im Bett und lesen, bevor der Tag gute Nacht sagt.

Da beugt sich Schneider zu mir herüber, raunt: »Schlaf gut, Liebste, war ein schöner Tag«, und will mich küssen. Was grundsätzlich schön ist, bloss grad suboptimal. Denn mit der Spange kann ich weder reden noch Tennis spielen und schon gar nicht küssen.

ER Während ich, um ins Bett zu gehen, einfach unter die Decke krieche, ist das gleiche Unterfangen bei Schreiber viel interessanter. Ich tue jeweils so, als würde ich nichts davon mitbekommen, denn ich habe mich daran gewöhnt, dass sie statt Seidenwäsche Wollsocken montiert, statt selig seufzend zu mir herüberzuschauen, geräuschvoll Salzwasser in der Nase hochzieht oder auf dem Rücken liegend die Beine an die Decke streckt und ihre Waden dick eincremt.

Diese Prozedur entwickelte Schreiber im Lauf der Jahre – und nun scheint etwas Neues dazuzukommen. Etwas, das irritiert: ein Klicken. So, als würde man einen Plastikdeckel auf eine Dose pressen. Ich gucke diskret hinüber. Sie presst die Lippen aufeinander. »Alles gut?«, frage ich.

Sie nickt.

Ich klappe mein Buch zu, das zufälligerweise den Titel Kuss trägt, ein Roman, bei dem es um Liebe geht und Küsse, die man verschenken möchte. Das wäre auch jetzt der Plan: ein Gutenachtkuss auf ihre Lippen kurz vorm Lichterlöschen. Da fällt es mir ein! Sie trägt neu eine Nachtspange. »Zeig mal«, sage ich. Sie grinst, ich sehe Plastik, spitze die Lippen, sie dreht den Kopf, ich küsse ihre Wange und beisse auf die Zähne. Gemeinsam zu altern, heisst wohl, wie Geschwister zu werden.

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