Einheitskasse Dossier deutsch

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Zwangseinheit oder Wahlfreiheit?

Abstimmungsdossier

Einheitskasse


Zwangseinheit oder Wahlfreiheit?

Abstimmungsdossier Einheitskasse

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Sackgasse Einheitskasse: Mehr Kosten und Probleme, Brennpunkt 2/2012 Wunschkatalog Einheitskasse, infosantesuisse 3/2012 «Macht heute ein Versicherer einen schlechten Job, wird er abgestraft», infosantésuisse 3/2012 Einheitskasse: viel Wunschdenken, infosantesuisse 3/2012 Einheitskasse würde 100 000 Arbeitsplätze vernichten, infosantésuisse 2/2013 Einheitskasse beruht auf Fehldiagnose, Brennpunkt 1/2011 Déjà lu 1: Verwaltungsausgaben sinken, Brennpunkt 1/2011 Déjà lu 2: Parlament gegen Einheitskasse, Brennpunkt 1/2011 Alles steigt, ausser den Verwaltungskosten, infosantésuisse 5/2012 Die Mär von den hohen Verwaltungskosten, infosantésuisse 6/2011 Mehr Wettbewerb tut Not, weniger Vertragszwang auch, infosantésuisse 5/2011 «Die Einheitskasse wäre ein Schritt in die falsche Richtung», infosantésuisse 5/2011 Die Einheitskassen-Initiative ist der falsche Weg, Brennpunkt 4/2010 Der falsche Weg: Einheitsbrei Einheitskasse, Brennpunkt 4/2010 Parlament gegen kantonale Einheitskassen, Brennpunkt 4/2010 Kantonale Einheitskassen würden Milliarden kosten, Brennpunkt 2/2011 Systemwechsel zur Einheitskasse ist «überflüssig», Brennpunkt 2/2011 Pläne zum Gegenvorschlag sind unnötig und kontraproduktiv, Brennpunkt 1/2013 Sackgasse Einheitskasse, infosantésuisse 3/2013 Karikatur Wie die Einheitskasse rationiert, um Kostenschub zu verhindern, infosantésuisse 3/2013


Brennpunkt Gesundheitspolitik

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Sackgasse Einheitskasse: Mehr Kosten und Probleme Urs Pfenninger Leiter PolitikBrändli und Kommunikation Christoffel santésuisse Präsident santésuisse

Zum dritten Mal innert 10 Jahren startet die Linke den Versuch, mit einer Verstaatlichung der Krankenkassen die Wahlfreiheit der Versicherten einzuschränken. Eine Einheitskasse bringt unkalkulierbare Risiken für die zukünftige Kostenentwicklung. Mit der Vermischung von Verantwortlichkeiten zwischen Leistungszahlern und -erbringern verstösst die Einheitskasse gegen grundlegende Prinzipien: weil Leistungserbringer im Führungsgremium der Einheitskasse sitzen, von der sie bezahlt werden, wird dies unweigerlich zu einer Kostenexplosion führen. Gegenüber dem heutigen System, bei welchem die Krankenkassen sich als Vertreter der Versicherten für günstige Tarife einsetzen, ist die Einheitskasse eine gefährliche Fehlkonstruktion.

INHALT Editorial Einheitsbrei Einheitskasse

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santésuisse setzt sich für Grundversorger ein

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Prämienkorrektur: Kein rückwirkendes «Rumdoktern»

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In Kürze

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Die Initiative «für eine öffentliche Gesundheitskasse» gaukelt eine einfache Lösung für die Schweizer Gesundheitspolitik vor. In Wahrheit führt die Fehlkonstruktion Einheitskasse direkt in die Sackgasse: Mehrkosten, Bevormundung der Versicherten durch den Verlust der Wahlfreiheit und die Vermischung der Verantwortlichkeiten wären die Folgen. santésuisse lehnt dieses unkalkulierbare Risiko für alle Versicherten und Steuerzahler unisono ab. Heute können alle Versicherten ihren Grundversicherer frei wählen. Jeder einzelne der über 60 Krankenversicherer behauptet sich nur dann erfolgreich im Markt, wenn er seine Leistungen effizient und in hoher Qualität erbringt. Die Versicherer bezahlen mit rund 95 Rappen jedes Prämienfrankens medizinische Behandlungen. Die verbleibenden 5 Rappen werden für Verwaltungskosten verwendet: Von einer durchschnittlichen Prämie von 3000 Franken jährlich werden lediglich 150 Franken für die Verwaltung benötigt. Damit werden u.a. über 80 Millionen Spital- und Arztrechnungen administriert, die Löhne der Angestellten, Informatikkosten, Abschreibungen, Mutationen bei Kassenwechseln sowie das Marketing (inklusive Makler) bezahlt. Ausserdem sparen die Versicherer mit ihren Rechnungskontrollen ihren Kunden jährlich über eine Milliarde Franken an Prämiengeldern. Einheitskasse heisst höhere Prämien

Unter einer Einheitskasse wird die Festlegung von Einheitsprämien pro Kanton zu höheren Prämien führen. Eine Einheitskasse hat auch keinen Anreiz zu tiefen Verwaltungskosten, weil sie keinem Wettbewerb ausgesetzt ist. Ein Wechsel zu ei-

nem günstigeren Versicherer ist nicht mehr möglich. Eine Einheitskasse ändert an der Prämienentwicklung nichts: Unabhängig von der Versicherungsform werden Gesundheitskosten weiter um mehrere hundert Millionen Franken jährlich steigen. Weil die Menschen länger leben, weil die Ansprüche steigen und weil der medizinische Fortschritt nicht gratis zu haben ist. Um das Versprechen der Initianten für günstigere Prämien einzulösen, wäre die Einheitskasse gezwungen, Leistungen zu streichen oder zu rationieren. Einheitskasse heisst weniger Qualität

Die Verstaatlichung der Krankenversicherung ist der erste Schritt zur Verstaatlichung der Medizin. Staatsmedizin, so zeigen Beispiele aus den Nachbarländern, vermindert die Qualität und gefährdet den direkten Zugang der Bevölkerung zu medizinischen Leistungen. Die Initiative setzt am falschen Ort an, indem sie sich auf die 5% Verwaltungskosten konzentriert, statt auf die immer teurer werdenden 95% Gesundheitskosten. Damit löst sie keines der Probleme unseres Gesundheitswesens. Deswegen lehnt santésuisse die Ende Mai eingereichte Volksinitiative für eine «öffentliche Gesundheitskasse» ab. (GPA)

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Wunschkatalog Einheitskasse 5 Fragen 5 Antworten

Im vergangenen Mai hat der Trägerverein für eine öffentliche Krankenkasse sein Volksbegehren zur Schaffung einer Einheitskasse eingereicht. Glaubt man den Initianten, wird damit ein Heilmittel für fast alle wichtigen Probleme im Gesundheitswesen geschaffen. Insbesondere sollen die Kosten treibenden Anreize korrigiert, die angeblich hohen Verwaltungskosten stark reduziert und die Qualität der Versorgung verbessert werden. Als Beispiel dient den Initianten die Suva. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Argumente aber als reiner Wunschkatalog.

Das Ziel kann mit einer weiteren Verfeinerung des Risikoausgleichs, die auch santésuisse unterstützt, rascher und besser erreicht werden. Hinzu kommt, dass mit dem Wechsel zur Einheitskasse ein jahrelanger Aufschub wichtiger Reformen im Gesundheitswesen verbunden wäre. Denn die schwierige Umstellung würde Verwaltung, Politik und Versicherungsbranche während Jahren voll in Anspruch nehmen. Nach der Einführung der Einheitskasse wäre deshalb eher ein verstärkter Kosten- und Prämienanstieg zu erwarten.

Bekommt man mit einer Einheitskasse den Kosten- und Prämienanstieg besser in den Griff als im heutigen System?

Die Kostenkontrolle bildet heute ein wichtiges Sparinstrument. Die Krankenversicherer haben es seit Einführung des KVG laufend verbessert. Das ist nicht zuletzt auf den Wettbewerbsdruck zurückzuführen. Heute sparen die Krankenversicherer dank der Rechnungskontrolle rund eine Milliarde Franken jährlich zugunsten der Prämienzahler. Es würde Jahre dauern, bis die neue Einheitskasse eine effiziente Kostenkontrolle aufgebaut hätte. Auf einem anderen Blatt steht, ob diese ohne Wettbewerbsdruck gleich effizient wäre. Zudem ist eine Vernachlässigung der Kostenkontrollen während der jahrelangen schwierigen Umstellungsphase zu erwarten.

Wie die Statistik der obligatorischen Krankenversicherung des Bundesamts für Gesundheit zeigt, werden in der obligatorischen Krankenversicherung knapp 95 Prozent der Prämiengelder für Leistungen ausgegeben und nur 5,4 Prozent (BAG-Zahlen 2011) für die Verwaltung. Bei der Suva sind es 8,2 Prozent.1 Mit durchschnittlich 3,5 Prozent pro versicherte Person und pro Jahr sind zudem die Leistungskosten in den letzten zehn Jahren deutlich stärker als die Verwaltungsausgaben gestiegen. Damit ist auch klar, dass in der Krankenversicherung in erster Linie im Leistungsbereich gespart werden muss, will man die Prämien in den Griff bekommen. Mit der Einführung einer Einheitskasse wären wir aber diesem Ziel noch keinen Schritt näher. Die Befürworter der Einheitskasse erwarten jedoch, dass im neuen System die chronisch kranken Menschen besser betreut und versorgt werden könnten. Unbestritten ist, dass hier ein Sparpotenzial besteht. Deshalb müssen die speziellen Betreuungsprogramme, die einige Versicherer schon heute für chronisch Kranke anbieten, weiter entwickelt und ausgebaut werden. Eine Einheitskasse ist dazu jedoch nicht nötig.

Könnte eine Einheitskasse die Kostenkontrolle verbessern?

Hat eine Einheitskasse am Markt nicht eine stärkere Position als getrennt verhandelnde Versicherer? Kann sie nicht mehr Druck auf die Preise der Hilfsmittel und der Medikamente ausüben?

Was nützt einer Krankenversicherung eine starke Verhandlungsposition am Markt, wenn die Leistungserbringer, mit denen verhandelt wird, in den leitenden Gremien eben dieser Versicherung sitzen? So sieht es nämlich die Initiative für eine öffentliche Krankenkasse vor. Günstigere Tarife als heute sind so nicht zu erwarten, sondern im Gegenteil eher vorschnelle Kompromisse auf Kosten der Versicherten. Dass eine Monopolkasse höhere Tarife aushandelt, beweist die Suva. Das Interesse an har-

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ten Verhandlungen ist für einen Monopolisten ohnehin weniger gross als für Konkurrenten im Wettbewerb. Auf die Preise der Medikamente und Hilfsmittel haben heute die Krankenversicherer keinen direkten Einfluss, weil Gesetz und Verordnung dies so vorsehen. Daran ändert auch eine Einheitskasse nichts. Doch tragen die Krankenversicherer im heutigen System durch Auslandpreisvergleiche dazu bei, dass sich die Schweizer-Preise nicht unkontrolliert entwickeln. Wenn Kosten für Werbung und Kassenwechsel wegfallen, wie das bei einer Einheitskasse der Fall wäre, lassen sich da nicht massiv Verwaltungskosten sparen?

Werbekosten gehören zum System des Wettbewerbs, weil die Akteure auf sich und ihre Leistungen aufmerksam machen wollen und müssen. Dem steht der grosse Vorteil gegenüber, dass die Versicherten ihren Versicherer frei wählen können und die Versicherer gute Leistungen erbringen müssen, wollen sie im Markt bleiben. In der Bevölkerung werden aber die Verwaltungskosten der Krankenversicherer weit überschätzt. Dazu tragen auch die Befürworter der Einheitskasse bei, die von Ineffizienz und Geldverschwendung für gigantische Werbekampagnen sprechen. Zusammen mit den Ausgaben für Kassenwechsel würden die Krankenversicherer jährlich bis zu einer halbe Milliarde Franken dafür aufwenden, behaupten sie. Die Realität sieht anders aus: Von den gesamten Ausgaben der obligatorischen Krankenversicherung von knapp 25 Milliarden Franken werden nur rund 1,25 Milliarden oder 5,4 Prozent für Verwaltungskosten ausgegeben. (Die Suva erreicht diesen tiefen Wert bei weitem nicht.) Und von diesen 5,4 Prozent entfallen weniger als zehn Prozent auf Kassenwechsel und Werbung. Das heisst, dass ein Wegfall der Werbekosten sich bei den Prämien kaum bemerkbar machen würde. Zudem reduziert die weitere Verfeinerung des Risikoausgleichs unter den Krankenversicherern die Zahl der Kassen-

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5 Fragen 5 Antworten

wechsel und die damit verbundenen Kosten stark. Auf der anderen Seite würden die Auflösung der bisherigen Krankenversicherungen und ihre Zusammenführung in einer Einheitskasse hohe Umstellungskosten mit sich bringen, abgesehen von den jahrelangen Rechtstreitigkeiten, die mit der Vermögensübertragung (Enteignung) verbunden wären. Statt mit tieferen Verwaltungskosten ist somit – vor allem in den ersten Jahren nach der Einführung des neuen Systems – mit höheren zu rechnen. Die Suva mache es vor, sagen die Initianten der Einheitskasse. Sie arbeite kundengerecht und effizient, setze erfolgreich auf Prävention und habe in den letzten Jahren wiederholt ihre Prämien gesenkt. Warum nicht eine einzige öffentliche Krankenkasse nach dem Vorbild der Suva?

Aufgaben und Tätigkeiten der Suva lassen sich mit jenen einer Krankenversi-

cherung nicht vergleichen. Zum einen versichert die Suva nur die erwerbstätige Bevölkerung bestimmter Branchen, zum anderen betragen die Heilungskosten nur rund einen Viertel der Gesamtkosten. Mehr ins Gewicht fallen Renten und Taggelder. Schliesslich hat die Suva mit dem Naturalleistungsprinzip ein Lenkungsinstrument, das der Gesetzgeber den Krankenversicherern nicht zugesteht. Naturalleistungsprinzip meint: Der Versicherer stellt dem Patienten eine Behandlung zur Verfügung und kommt nicht einfach für die Kosten auf, die eingereicht werden. Konkret: Freie Arztwahl existiert bei der Suva nicht. Das erlaubt dem Versicherer unter anderem, den Umfang der Leistungen mitzubestimmen. Dieses Prinzip gilt bei der Unfallversicherung. Dass die Suva in den letzten Jahren wiederholt ihre Prämien senken konnte, ist vor allem auf die sinkenden Ausgaben bei den Invalidenrenten zurückzuführen. Bei den Heilungskosten ver-

zeichnete auch sie einen Kostenanstieg. Wenn dieser Anstieg in der Krankenversicherung höher ist, hat das mit Faktoren zu tun, von denen die Suva nicht oder nur am Rand betroffen ist. Zu nennen sind hier vor allem die Kostenverlagerungen von der öffentlichen Hand auf die Versicherer wegen der unterschiedlichen Finanzierung des ambulanten und des stationären Spitalsektors, und neue teurere Medikamente. Die Suva hat selber erlebt, dass mit der Führung einer Krankenversicherung ganz andere Anforderungen und Probleme verbunden sind als mit der Führung einer Unfallversicherung. Sie kündigte nämlich in den Neunzigerjahren werbewirksam das Projekt einer neuen Krankenversicherung an, liess es aber noch im Entwicklungsstadium kleinlaut wieder fallen. Begründet wurde dies mit der fehlenden Möglichkeit der Krankenversicherung, die Patienten durch den gesamten Behandlungs- und Rehabilitationsprozess zu steuern. Das Modell der öffentlichen Einheitskasse sieht eine solche Steuerung aber nicht vor. Auch eine spätere Einführung ist nicht zu erwarten. Denn das liesse die Vertretung der Leistungserbringer im Leitungsgremium der Einheitskasse gar nicht zu. Walter Frei

Rechnet man noch «die als Prävention getarnten Werbekosten hinzu», wie es ein Blogger jüngst empfahl, ergibt sich ein Anteil von über 13 Prozent.

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Was wäre, wenn…? «Pech gehabt!» feixt die Staatskasse, während dem Versicherten der Schrecken ins Gesicht geschrieben steht.

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Der Wettbewerb fördert das Vertrauen in die soziale Krankenversicherung

«Macht heute ein Versicherer einen schlechten Job, wird er abgestraft» Alle paar Jahre wieder ein Vorstoss für eine Einheitskrankenkasse. Die Inhalte mögen sich ändern, das Grundproblem bleibt: Die Einheitskasse wäre ein gewaltiger Rückschritt in der Gesundheitspolitik. Das sagt Interviewgast Willy Oggier. Gilt Ihr Urteil «Scheinlösung» auch für eine Einheitskasse mit kantonalen Prämien und ohne einkommensabhängige Finanzierung?

Ja, und in gewissen Punkten sogar noch verstärkt. Denn mit kantonalen Einheitskassen steigt auch die Gefahr weiterer Rollenkonflikte bei den Kantonen. Das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen, nämlich eine Entflechtung der verschiedenen kantonalen Rollen. Die Prämien sind in den letzten Jahren weiter stark gestiegen. Ist da die Hoffnung auf eine Kosten dämpfende Einheitskasse nicht berechtigt?

Nein, denn auch eine Einheitskasse hat sich an die Vorgaben des Krankenversicherungsgesetzes zu halten. Eine Einheitskasse hat nicht mehr Kompetenzen, nur weil sie eine Einheitskasse ist.

Würde nicht eine rasche weitere Verfeinerung des Risikoausgleichs viele Probleme entschärfen, welche die Initianten dem heutigen System anlasten?

Eindeutig ja. Ich hoffe daher auch, dass Bundesrat Berset und der Gesamt-Bundesrat hier zügig vorwärts machen. Meines Erachtens reicht die heutige gesetzliche Grundlage aus, um auf dem Verordnungsweg eine weitere Verbesserung in Richtung Morbiditätsorientierung (also der Berücksichtigung des Krankheitszustands der Versicherten) zu realisieren. Die Kosten, die bei einem Übergang zur Einheitskasse entstehen würden, sind bisher kaum ein Thema. Wie hoch schätzen Sie diese?

Beziffern in Franken und Rappen kann ich diese nicht aus dem Stegreif. Wichtiger ist jedoch, dass eine solche Umstellung Jahre dauern wird und wohl auch in lang dauernde Rechtsstreitigkeiten ausarten dürfte. Denn faktisch geht es ja auch um eine Art Enteignung der bisherigen sozialen Krankenversicherer – etwas, das wohl das Vertrauen in die soziale Krankenversicherung ebenfalls kaum fördern dürfte. Dabei wäre dies gerade in diesen unsicheren Zeiten zentral. Interview: walter Frei

Aber würde mit dem Wegfall der vielen Kassenwechsel nicht auch viel Verwaltungsaufwand eingespart? Foto: ZVG

Der Aufwand ist im Verhältnis zu den positiven Wirkungen des Wettbewerbs unter klaren Rahmenbedingungen fast vernachlässigbar und hat zudem im Zeitablauf prozentual an den Gesamtkosten abgenommen. Wo liegt denn der Vorteil konkurrierender Versicherer? Ausser Werbekosten bringe der Wettbewerb nichts, behaupten die Initianten.

Wettbewerb ist keine Ideologie, sondern ein Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen. In der Schweiz gilt beispielsweise Wahlfreiheit als ein hohes Gut, dieses kann nur in einem wettbewerblichen System realisiert werden. Auch Innovationen lassen sich durch wettbewerbliche Instrumente in der Regel besser fördern. Und vor allem fördert Wettbewerb das Vertrauen in die Institution einer sozialen Krankenversicherung. Macht ein Krankenversicherer einen schlechten Job, wird er durch den Wettbewerb entsprechend abgestraft. In einem Einheitskassen-System leidet vor allem die Glaubwürdigkeit des Gesamt-Systems. Geht es denn beim Wettbewerb der Kassen nicht vor allem um die Ab- und Anwerbung gesunder Versicherter?

Das ist in der Tat im Rahmen einer Sozialversicherung ein Problem. Um dies zu bekämpfen, muss man aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und gleich eine Einheitskasse einführen. Dr. Willy Oggier, Gesundheitsökonom, gilt wegen seiner gründlichen Analysen als führender Experte zum Thema Einheitskasse.

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Eine nach wie vor aktuelle Studie zur Einheitskasse

Einheitskasse: viel Wunschdenken Die Einheitskasse löst keine Probleme, weil sie nicht bei den eigentlichen Ursachen der Kostenentwicklung ansetzt. Was der Gesundheitsökonom Willy Oggier vor sechs Jahren in seiner Studie «Scheinlösung Einheitskasse» festgestellt hat, gilt heute nach wie vor.

Die Volksinitiative «für eine öffentliche Krankenkasse» in der Grundversicherung ist vor wenigen Wochen mit rund 115 000 Unterschriften eingereicht worden. Das Anliegen zur Einführung einer Einheitskasse ist jedoch keineswegs neu. Der Gesundheitsökonom Willy Oggier zeigte sich schon in seinem 2006 erschienenen Buch «Scheinlösung Einheitskasse» erstaunt über den geringen zeitlichen Abstand, mit dem diese Forderung immer wieder aufs politische Parkett gebracht wird. Letztmals nahmen Volk und Stände 2007 dazu Stellung. Das Volksbegehren wurde mit 71 Prozent Nein-Stimmen und allen gegen zwei Kantone überraschend deutlich abgelehnt. Die neue Initiative für eine Einheitskasse unterscheidet sich von ihrer Vorgängerin vor allem durch den Verzicht auf Vorschläge zur einkommensabhängigen Finanzierung. Zudem sollen kantonale oder interkantonale Agenturen die Versicherung durchführen und die Prämien festsetzen. Weil das Grundanliegen aber noch immer dasselbe ist, ist auch das Buch von Willy Oggier in weiten Teilen noch immer sehr aktuell. Das trifft insbesondere auf den Vergleich mit anderen europäischen Ländern, die Schilderung der Vorund Nachteile einer Einheitskasse im Generellen und die Auswirkungen auf Versicherte und Patienten zu. Keine Wahlfreiheit mehr

Willy Oggier weist in seiner Studie nach, dass eine Einheitskasse die positiven Elemente des heutigen Systems aufgeben würde, ohne die negativen zu beseitigen. Als positiv empfinden die Versicherten insbesondere die Wahlfreiheiten, was die jüngste Volksabstimmung über Managed Care einmal mehr gezeigt hat. Die Studie listet folgende Vorteile des freien Versicherungswechsels für die Versicherten auf: • Wahl eines Versicherers mit günstigerer Prämie bei gleichem Leistungskatalog • Wechsel des Versicherers bei Unzufriedenheit mit seinem Service • Kündigung des Versicherers bei Verzögern, Erschweren oder gar Verweigern von Leistungen. Verloren gehen würde mit der Einheitskasse auch der Vorteil, Grund- und Zusatzversicherung beim gleichen Versicherer haben zu können, was den Versicherten einigen Mehraufwand erspart. Die Studie zeigt weiter auf, dass Monopole sich oft negativ auf Servicequalität und Produktevielfalt auswirken und die Anreize für innovative und effiziente Lösungen schwinden.

Willy Oggier, Scheinlösung Einheitskasse, NZZ libro – Buchverlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2006, 112 Seiten, ISBN 3-03823-254-8.

Keine Einsparungen

Und wie steht es mit den Vorteilen wie Reduktion von Kosten, Prämien und Verwaltungsaufwand, welche die Einheitskasse nach Meinung ihrer Befürworter bringen soll? Der Verwaltungsaufwand ist mit rund 5,5 Prozent um ein Vielfaches niedriger als von den Versicherten geschätzt und hat, wie die Studie darlegt, gemessen an den Gesamtkosten, seit Einführung des KVG deutlich abgenommen. Weitere wesentliche Einsparungen sind mit einer Einheitskasse oder einer staatlichen Versicherung kaum mehr zu realisieren. Das belegt der Autor auch mit ausländischen Beispielen. Eine allfällige kleine Reduktion würde zudem von den Übergangskosten bei der Einführung der Einheitskasse weit übertroffen. Denn die Zerschlagung der bisherigen eingespielten Strukturen und die Schaffung eines neuen Systems mit allen seinen Risiken würde sich noch jahrelang auswirken. Aus Auslandvergleichen leitet Willy Oggier auch ab, dass eine Einheitskasse kaum positive Wirkungen auf die Kostenentwicklung hat. Er hält es für reines Wunschdenken, im System Einheitskasse die Kosten- und Prämien dank günstigeren Tarifen in den Griff zu bekommen. Er sieht ohnehin in den wachsenden Mengen den grösseren Kostenfaktor als in den steigenden Preisen. Die mangelnde Effizienz unseres Systems könnte nach seiner Meinung viel effektiver durch gezielte Reformen wie Optimierung des Risikoausgleichs, monistische Spitalfinanzierung und Lockerung des Vertragszwangs erreicht werden. Reform statt Scheinlösung

Fazit der Studie: Die Einheitskasse ist kein wirksames Instrument zur Lösung der aktuellen Probleme in Krankenversicherung und Gesundheitspolitik. Sie schwächt vielmehr die Vorteile des heutigen Systems wie Wahlfreiheit und Eigenverantwortung. Der einzig gangbare Weg ist die schrittweise Weiterentwicklung des heutigen Systems. Und wenn ein Anlauf scheitert, gilt es eine neue breiter akzeptierte Lösung zu suchen. Das ist ein mühsamer Prozess, aber allemal besser als die Scheinlösung Einheitskasse. Walter Frei

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Punkt landung

Prof. Dr. Konstantin Beck*

Einheitskasse würde 100 000 Arbeitsplätze vernichten An der SP-Pressekonferenz vom 11. April 2013 zu ihrer Einheitskassen-Studie, ging Anna Sax auf drei zentrale Fragen rund um den Wettbewerb in der Grundversicherung ein: Warum der Wettbewerb nicht funktioniere; ob die Einheitskasse die Prämien zu reduzieren vermöge; und welches die Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsplätze wären. 100 000 Stellen weg wegen Einheitskasse: Kurzfristig rechnet das SP-Papier nicht mit dramatischen Einsparungen. Umso höher sind die erwarteten langfristigen Einsparungen in der Leistungserbringung. Es ist von 10 bis 20 Prozent der Gesundheitskosten die Rede. Weil nun aber gerade das Gesundheitswesen sehr personalintensiv ist, entspricht das einem Stellenabbau, der sich auf 55 000 bis 107 000 Personen summiert. Es mag sein, dass so viel Ineffizienz im Gesundheitssystem der Schweiz steckt. Dass sich aber gerade die SP mit einem solch radikalen Abbau von Beschäftigten in Szene setzen will, mag hingegen erstaunen. Der Abbau von 107 000 Arbeitsplätzen berechnet sich folgendermassen: Im Jahr 2008 waren gemäss BfS 541 824 Personen im Gesundheitswesen beschäftigt, davon 16 806 im Bereich Sozialversicherung. Im letzteren rechnet das SP-Grundlagenpapier mit einem Stellenabbau von rund 2000 Personen. Des Weiteren wird ein Leistungsrückgang nach Einführung der Einheitskasse von 10 bis 20 Prozent erwartet. Da der Gesundheitsbereich überdurchschnittlich personalintensiv ist, kann dies einen ebenso grossen Abbau von Personen in den Gesundheitsberufen zur Folge haben. Von den gut 525 000 Stellen würden also gemäss SP-Grundsatzpapier 10 bis 20 Prozent abgebaut. Dazu kämen die in der Sozialversicherung gestrichenen 2000 Stellen, was einem tota-

len Stellenabbau von 54 500 bis 107 000 Personen entspricht. Wettbewerb und Risikoausgleich? Auch Frau Sax stellt fest, dass der Wettbewerb besser und zielgerichteter funktionieren würde, wenn man den Risikoausgleich verbessert. Eine Forderung, die von zahlreichen Krankenkassen seit 1998 erhoben wird und bereits zu einer ersten Reform im Jahre 2012 geführt hat. Eine Optimierung des Risikoausgleichs stellt einen wesentlich geringeren und kontrollierten Eingriff ins Gesundheitssystem dar als die Abschaffung des Wettbewerbs. Bereits die erste Reform des Risikoausgleichs hat zu einem signifikanten Rückgang der Risikoselektion geführt. Die Schlussfolgerung von Frau Sax, dem Wettbewerb durch die Einführung einer Einheitskasse den Riegel zu schieben, entspricht sicherlich der Ideologie des Auftraggebers, lässt sich aber aus der vorliegenden empirischen Literatur nicht ableiten. Auswirkung auf die Prämie: Natürlich teile auch ich die Einschätzung von Frau Sax, dass es «nicht über Nacht zu einer substanziellen Prämienreduktion» kommen werde. Ohne die Reduktion der Verwaltungskosten von 1,5 Prozent zu bestätigen, erachte auch ich den Effekt als «relativ klein». Ich begrüsse es grundsätzlich, dass die SP ein Grundsatzpapier vorlegt, welches die Argumentation mit unsinnig hohen Verwaltungskosten ad acta legt und die statistischen Tatsachen bestätigt: Die Verwaltungskosten sind an sich schon sehr gering, weil 95 Prozent der Prämiengelder in die Leistungserstattung fliessen. * Der renommierte Gesundheitsökonom Prof. Dr. Konstantin Beck widmet die Punktlandung der SP-Auftragsstudie zur Einheitskasse von Anna Sax «Wettbewerb ist ungeeignet für eine Sozialversicherung». Es handelt sich dabei um eine redigierte und leicht gekürzte Fassung des Beitrags von Prof. Beck im fair care blog.

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Foto: Keystone

Die Einheitskasse würde uns in der Zeit zurückwerfen: Der Zugang zu medizinischer Versorgung würde eingeschränkt, deren Qualität würde sinken. Eine Zeitreise, die niemand will.

E i n h e i t s ka s s e b e r u ht a u f F e h l d i ag n o s e Das Buch von Pierre-Yves Maillard, Soigner l’assurance maladie, ist eine Ansammlung von Diagnose- und Medikationsfehlern. Fakten werden im Dienste einer staatshörigen Ideologie verbogen. Einziges Ziel: die Krankenversicherer für alles Übel verantwortlich zu machen. Sein Zweck: eine staatliche Einheitskasse als Wunderlösung zu präsentieren. Tatsächlich brächte sie neue Schulden, schlechteren Zugang zu medizinischen Leistungen und deren schlechtere Qualität.

Das Buch des Waadtländer Gesundheitsdirektors Pierre-Yves Maillard erweckt den Anschein, sich vom Projekt einer staatlichen Einheitskasse abzuwenden, um eine angeblich gemeinsame Kompromisslösung zu präsentieren. Diese bestünde darin, eine öffentliche kantonale oder nationale Kasse einzurichten, welche die Prämien festsetzen und einkassieren würde. Den heutigen Versicherern verbliebe die Rolle von Schalterbeamten, welche nur noch die Gesundheitsausgaben rückerstatten würden. Wie die Prämien aber genau festgesetzt würden, lässt das Buch offen. Die Ursache liegt anderswo

Die Anhänger einer Einheitskasse gaukeln dem Volk vor, steigende Krankenkassen-Prämien seien die Ursache des Problems, und nicht bloss das Symptom für die steigenden Gesundheitsausgaben. Diese steigen schneller und schneller, und zwar in allen westlichen Gesellschaften. Dieser Anstieg widerspiegelt eine positive Entwicklung – den medizinischen Fortschritt, bessere Behandlungen und eine höhere Lebenserwartung – aber er hat eben auch eine Kehrseite: Der Einzelne und die Gesellschaft zahlen dafür einen höheren Preis. Wie lässt sich diese Kos-

tenspirale stoppen? Eine offensichtliche Lösung ist die integrierte Versorgung. Sogar Pierre-Yves Maillard anerkennt, es sei einer der wenigen Wege, um «die Kosten im Gesundheitswesen langfristig und effizient in den Griff zu bekommen, ohne der Qualität der Versorgung zu schaden». Ist das womöglich der Grund dafür, dass die Anhänger der Einheitskasse, allen voran die SP, alles daran setzen, um die Managed Care-Reform zu torpedieren? Achtung Staat!

Alle staatlichen Systeme haben das gleiche Manko, wie es die Beispiele von Frankreich und Québec zeigen. Erstens haben sie die steigenden Gesundheitsausgaben nicht im Griff, zweitens haben sie sie weniger gut im Griff als wettbewerbliche Systeme. Weil niemand mehr die Verantwortung trägt – der Staat zahlt ja sowieso – und weil es ohne Wettbewerb keinen Druck mehr gibt, die Verwaltungsausgaben gering zu halten. Die Bürokratie greift um sich und die Qualität leidet! Das Schweizer Volk will aber keinen allmächtigen Staat, der an allen Hebeln im Gesundheitssystem sitzt und sowohl Prämien als auch Tarife für die medizinischen Leistungen fest-

Warum eine Einheitskasse schlechte Medizin ist: • Die steigenden Prämien sind nicht Ursache des Problems – Ursache sind die steigenden medizinischen Gesundheitsausgaben • Ein allgegenwärtiger Staat verhindert den Wettbewerb: die Behandlungsqualität würde sinken, der Zugang zu medizinischen Leistungen würde rationiert

setzt. Das Schweizer Volk will Massnahmen, welche die Gesundheitsausgaben senken und ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Staat, Leistungserbringern und Krankenversicherern schaffen – zugunsten kranker und gesunder Versicherten. Es gibt Lösungen

Die integrierte Versorgung, wie sie mit der Managed Care-Vorlage gefördert werden soll, ist eine gangbare Lösung. Laut einer repräsentativen Umfrage von comparis.ch sind 57 Prozent der Versicherten bereit, sich integriert versichern zu lassen, wenn sie dadurch bei Krankenkassenprämien und Selbstbehalt sparen können. Es ist klar, dass dies Ideologen nicht schmecken kann. Aber es sind keine Ideologien, die unser Gesundheitssystem braucht. (FTS)

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in kür ze Déjà lu 1: Verwaltungsausgaben sinken Manchmal muss man eine gute Nachricht mehrfach wiederholen, bis sie endlich gehört wird: Der einzige Ausgabenposten der Grundversicherung, welcher 2009 gesunken und nicht gestiegen ist, sind die Verwaltungsausgaben der Krankenversicherer. Von 2008 auf 2009 sind diese von 5,7 auf 5,2 Prozent der Prämien gefallen. Bemerkenswert: Auch in absoluten Zahlen gingen die Verwaltungsausgaben um 46 Millionen Franken zurück. Die Schätzung für 2010 bzw. die Prognose für 2011 des BAG lassen weiterhin eine stabile Entwicklung in diesem Bereich erwarten. Die Verwaltungsausgaben steigen parallel zur Teuerung um ca. 0,8 Prozent jährlich, die Ausgaben für medizinische Leistungen um rund vier Prozent. Zu den Verwaltungsausgaben gehören unter anderem auch die häufig monierten Maklerprovisionen und das Telefonmarketing. Sie sind aber nur ein Teil der Verwaltungsaufgaben, darunter fallen auch die Aufwendungen für die Rechnungsstellung und -prüfung (welche Jahr für Jahr rund eine Milliarde Franken einsparen hilft), das Personal (inklusive Managerlöhne), die Infrastruktur (die sogenannt «teuren Büropaläste») und das Marketing und die Werbung im Allgemeinen. Da wo der Wettbewerb spielt, hat man die Ausgaben im Griff. Weshalb nicht auch den Wettbewerb über die Qualität bei den medizinischen Leistungen spielen lassen?

Bundesrat beruhigt das Tessin Zwischen dem Tessiner CVP-Mann Meinrado Robbiani und dem Bundesrat entspann sich in den nationalrätlichen Fragestunden ein anschauliches Lehrstück in höherer Versicherungsmechanik: Der Tessiner wollte in einer ersten Frage wissen, weshalb das BAG für 2011 eine Prämienerhöhung von 6,4 Prozent gebilligt hat, obwohl die Gesundheitsausgaben bloss um 3,3 Prozent gestiegen sind? Der Bundesrat beruhigte: Grund dafür seien die Prämienerhöhungen für 2009 und 2010, welche das Ausgabenwachstum bei weitem nicht haben decken können. Für 2011 bedeute dies einen Nachholbedarf für die zu tiefen Prämien der beiden Vorjahre. Robbiani

liess nicht locker und wollte in einer Folgefrage wissen, weshalb denn dann die Reserven von 202 Mio. Franken im Jahr 2006 auf 282 Mio. Franken im Jahr 2009 gestiegen seien? Auch hier beruhigte der Bundesrat den Tessiner: Zwischen 2004 bis 2008 seien die Prämien stärker gestiegen als die Ausgaben, daher konnten die Reserven ansteigen. Aber seit der Einführung des KVG hätten die Tessiner tatsächlich mehr Prämien bezahlt, als Gesundheitsausgaben verursacht, so der Bundesrat. Dieses Reservepolster beträgt – legt man die BAG-Zahlen zugrunde – kaum mehr als eine Monatsprämie pro Versicherten. Der Bundesrat sei daran, eine Lösung für die Reservenproblematik auszuarbeiten.

Déjà lu 2: Parlament gegen Einheitskasse

Déjà lu 3: Bundesrat verteidigt santésuisse-Infooffensive Zum wiederholten Male war die Informationsoffensive von santésuisse Thema einer erzürnten Eingabe der Ratslinken. SP-Ständerat Didier Berberat griff den Krankenkassenverband mit seiner Interpellation frontal an, indem von «provokativen Plakaten», «abschätzigen Slogans», und einer «Propaganda-Aktion» sprach, welche «die freie Wahl der Grundversicherung glorifiziert». Bundesrat Burkhalter stellte sich in seiner Antwort erneut hinter santésuisse und gemahnte den Interpellanten daran, sich nicht auf eine Kampagne einzuschiessen, die bloss «17 Rappen pro Versicherten» gekostet habe: «Man könne sie nun wirklich nicht als unverhältnismässig bezeichnen». Auch santésuisse empfiehlt Ständerat Berberat, sich mit den Inhalten der Kampagne auseinanderzusetzen, welche den Nutzen der sozialen Krankenversicherung aufzeigt, anstatt seine politische Energie in ideologischen Grabenkämpfen zu verschwenden. (GPA)

Die ewige Wiederkehr des immer Gleichen: Die SP-Fraktion ritt im Nationalrat wie schon in der Herbstsession so auch in der Wintersession auf ihrem Steckenpferd herum. Ihre parlamentarische Initiative hatte eine Einheitskasse zum Ziel. Die Sozialdemokraten behaupten, dass der Wettbewerb unter den Krankenversicherern Krankenkassen, alles Abzocker! nicht sinnvoll ist und nichts zur Eindämmung der Kosten beiDennoch... trage. In der Debatte hat SVPGesundheitspolitiker Toni Bortoluzzi diesem falschen Argument heftig widersprochen: «Für die Probleme unseres Gesundheitswesens sind allerdings nicht die Kassen verantwortlich.» Ohne Kassenvielfalt würde der Leistungsdruck völlig aus dem Gesundheitssystem verschwinden. Eine Einheitskasse hätte also eine Kostensteigerung zur Folge. Der Wettbewerb unter den Kassen müsste im Gegenteil weiter gestärkt werden. Die nötigen Schritte dazu sind mit der neuen Spitalfinanzierung und der Managed Care-Vorlage auf den Weg gebracht worden. Die grosse Die Schweizer Krankenversicherer Kammer wollte folgerichtig vom immer-mit-ihnen.ch Einheitsbrei Einheitskasse nicht wissen und verwarf diese Initiative wuchtig mit 104 zu 53 Stimmen.

Wer darf keinen Gewinn machen?

impressum Herausgeber santésuisse – Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Redaktion Gregor Patorski, Maud Hilaire Schenker, Françoise Tschanz, Stefan Kaufmann, Abt. Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 41 54, Fax: 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch, Homepage: www.santesuisse.ch Produktion City-Offset, Solothurnstrasse 84, 2540 Grenchen TITelbild fotolia

8 brennpunkt 1 | 2011


Grafik des Monats

Die Grafik des Monats zeigt, dass die Krankenversicherer zwar zunehmend mehr Versicherte betreuen und Rechnungen kontrollieren, bei den Verwaltungskosten aber auf Talfahrt sind. Aktuell betragen diese 5,4 Prozent. Die Suva, das Vorbild der Staatskassen-Befürworter, bewegt im Vergleich dazu mit 13 Prozent Verwaltungskosten in eisigen Höhen.

Laut Bundesamt für Gesundheit liegen die Verwaltungskosten der Krankenversicherer sogar nur bei 4,8 Prozent.1 Ein anderes Bild ergibt sich bei der monopolistischen Suva: Dort betragen die Verwaltungskosten 8,9 Prozent. Rechnet man die als Prävention getarnten Werbekosten noch mit ein, resultieren stolze 13 Prozent! Während die Verwaltungskosten der Krankenversicherer prozentual sinken, kümmern sich die Versicherer um immer mehr Versicherte (siehe Grafik). Mit der Anzahl der Versicherten steigen auch die zu kontrollierenden Rechnungen und weitere administrative Arbeiten der Krankenversicherer. Konkret: Im Jahr 2003 verarbeiteten und kont-

Alles steigt, ausser den Verwaltungskosten rollierten die Krankenversicherer gut 63 Millionen Rechnungen, acht Jahre später, im Jahr 2011, bereits 102 Millionen. Dank der Rechnungskontrolle sparen die Krankenversicherer zugunsten der Prämienzahler jährlich rund eine Milliarde Franken. Die Suva als Vorzeige-Krankenkasse?

Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen Krankenversicherern und der Suva: Bei der Suva gilt das so genannte Naturalleistungsprinzip, d.h. die Suva bestimmt, organisiert und bezahlt die medizinischen Behandlungen. Bei den Krankenkassen gilt das Kostenrückerstattungsprinzip, d.h. der Patient konsumiert medizinische Leistungen, wo und so viel er will, die Krankenversicherung muss bezahlen. Kritisches zur Suva äussert Patientenschützerin Margrit Kessler. Oft würden sich Patienten beklagen, sagt sie gegenüber «Blick», dass die Suva die Behandlungskosten nach einer gewissen Zeit den Krankenkassen abschieben würden mit dem Argument, die bleibenden Schäden seien dem Alter und der Abnutzung zuzuschreiben. Kein Wunder, könne man so einfach behaupten, der Suva gehe es gut: «Die

TALFAHRT DER VERWALTUNGSKOSTEN 8

QUELLE: BAG

5

weiteren Behandlungskosten müssen andere übernehmen», so Kessler. Ausserdem bemängelt sie, dass es keine Alternative zur Suva gibt. Denn Patienten hätten mit der Suva ab und zu Probleme, aber keine Chance, die Monopolkasse zu wechseln.2 Übrigens startete die Suva einst in den 90er-Jahren einen Versuch als Krankenversicherung (Projekt «Smaragd»), liess aber wieder davon ab. Fazit: Ausser Schulden war nichts gewesen. Weniger als die Suva (inkl. Werbekosten), aber einiges mehr als die Krankenversicherungen gibt auch die Arbeitslosenversicherung für die Verwaltung aus: 9,2 Prozent. Damit befindet sie sich mit der Suva in bester Seilschaft auf den Berg der hohen Verwaltungskosten. Silvia Schütz

Das BAG verwendet für die Berechnung die Bruttoausgaben der Krankenversicherer (also inkl. Franchise und Selbstbehalt). 5,4 Prozent betragen die Verwaltungskosten, wenn im Nenner die Nettokosten stehen (also Bruttokosten minus Franchise und Selbstbehalt). 2 Blick, 4. Okotber 2012, S. 2. 1

ANZAHL VERARBEITETER RECHNUNGEN PRO JAHR

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7,8 7,7

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7,6 7,5

102 MIO.

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4 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 ANZAHL VERSICHERTE IN MIO.

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2011

VERWALTUNGSKOSTEN* IN % DER NETTOPRÄMIEN (OHNE KOSTENBETEILIGUNG)

*VERWALTUNGSKOSTEN: LÖHNE, SOZIALLEISTUNGEN, VERWALTUNGSRÄUMLICHKEITEN, UNTERHALT, REPARATUREN, EDV-KOSTEN, VERSICHERUNGSPRÄMIEN (MOBILIAR, HAFTPFLICHT ETC.), WERBUNG UND ABSCHREIBUNGEN.

22 | Service 5/12

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Grafik des Monats

Die Mär von den hohen Verwaltungskosten Die vermeintlich hohen Verwaltungskosten der Krankenversicherer sorgen immer wieder für schlechte Presse. Sie werden stets überschätzt, im Schnitt auf 30,6 Prozent. In der Realität betragen sie gut fünf Prozent. Die Mär der hohen Verwaltungskosten ist eine «urban legend» (städtische Sage), die durch ein Informationsdefizit der Bevölkerung und durch falsche Angaben in Medienberichten am Leben bleibt.

der Suva- und Unfallversicherten mit 342 Franken pro Jahr, dasjenige der Krankenversicherten indes nur mit 158 Franken. Schlechter schneidet die Suva auch bei der prozentualen Auswertung ab: Die Administrationskosten der Suva stiegen zwischen 1999 und 2009 um 29 Prozent, diejenigen der Krankenversicherer zwischen 1996 und 2010 um 19 Prozent. Das beweist, dass Monopolversicherer bzw. Einheitskassen wie die Suva nicht wirtschaftlicher arbeiten als die Vielfalt der Krankenversicherungen.

Die Bevölkerung hat wenig Wissen über das Gesundheitssystem und noch weniger über die Aufgaben der Krankenversicherer, wie die sondage santé seit Jahren belegt. Das erstaunt nicht, denn die Medien verbreiten falsche Behauptungen, die von politischen Gruppierungen genährt werden. Die Idee dahinter: der Idee der Einheitskasse Auftrieb zu verleihen. Woraus setzten sich denn eigentlich die administrativen Kosten zusammen? Diejenigen Administrativkosten, die durch Prämiengelder finanziert werden, decken den Aufwand für die Tarifverhandlungen mit den Spitälern und Ärzten, für die Rechnungs- und Kostenkontrolle, für Werbung, Sponsoring und für die Ausgaben, die durch den Wechsel der Krankenkasse verursacht werden. Mit gut fünf Prozent der Gesamtausgaben bewegt sich der Anteil dieser Ausgaben auf einem vergleichbar tiefen Niveau. Der Prozentsatz ist im Vergleich mit 1996 sogar gesunken. Damals betrug er gut acht Prozent.

Und wie steht es mit der Einheitskasse?

Im Vergleich mit dem jetzigen System mit mehreren Krankenversicherungen, bringt eine Einheitskasse also keine Einsparung in der Administration. Auch mit einer Einheitskasse werden Tarifverhandlungen und die Rechnungskontrolle weiter bestehen – wenigstens ist das sehr zu hoffen. Allein die Rechnungskontrolle spart Ausgaben in der Höhe von einer Milliarde Franken pro Jahr. Zudem sind die Kassenwechsel bereits in den Administrativkosten enthalten und machen ohnehin nur einen kleinen Teil aus. Im Jahr 2007 haben laut comparis zwei bis drei Prozent die Krankenversicherung gewechselt. Im Jahr 2009 waren es 15 Prozent. Die Administrativkosten sind derweil auf konstantem Niveau geblieben. Zusätzlich stellt die WHO und OECD-Studie vom Oktober 2011 zum Schweizer Gesundheitssystem fest, dass ein Systemwechsel teuer wäre, ohne den Versicherten irgendeinen Vorteil zu bringen.

Die Administrativkosten sind tiefer als bei der Suva

Im Jahr 2009 verschlang die Administration der Unfallversicherer (Suva und Private) 11 Prozent der Gesamtausgaben.1 Die Administrativkosten belasteten 2009 das Portemonnaie

maud hilaire schenker BFS, Taschenstatistik der Kranken- und Unfallversicherung, Ausgabe 2010

1

35%

32%

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Quelle: sondage santé 2011

ENTWICKLUNG DER ADMINISTRATIVKOSTEN UND EINSCHÄTZUNG DURCH DIE BEFRAGTEN

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Der Graben zwischen Mythos und Realität ist gross.

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MITTELWERT

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REALITÄT

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Der WHO und OECD-Bericht 2011 attestiert dem Schweizer Gesundheitssystem gute Qualität und altbekannte Mängel

Mehr Wettbewerb tut Not, weniger Vertragszwang auch Der jüngste Befund der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) überrascht nicht: Das Schweizer Gesundheitswesen sei qualitativ hochstehend, gehöre aber zu den teuersten der Welt. Zudem, so die kürzlich publizierte Analyse1, ist der Wettbewerb stark reguliert und die politische Steuerung zu verzettelt.

Die Lebenserwartung für einen Schweizer Mann ist mit 79,8 Jahren die höchste aller OECD-Länder. Mit 84,6 Jahren belegen die Schweizerinnen hinter den Japanerinnen Rang zwei. Die gesamte Bevölkerung hat Zugang zu Gesundheitsleistungen und praktisch alle fühlen sich gesund (87 Prozent im Jahr 2008). Überraschend ist die gute Beurteilung der Effizienz: die Lebenserwartung in der Schweiz würde bei Effizienzgewinnen nur gering steigen. Und: Mit einem jährlichen Kostenwachstum von zwei Prozent liegt die Schweiz unter dem OECD-Schnitt von 4,1 Prozent. Hoch ist allerdings der Anteil des Betrages, den Schweizerinnen und Schwei-

zer aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen – obwohl ein Drittel Prämienverbilligungen bezieht. Einheitskasse verursacht Kosten

Auf der To-do-Liste für das Schweizer Gesundheitswesen steht «erheblicher Reformbedarf». Zum einen soll der Bund gegenüber den Kantonen eine stärkere Rolle einnehmen, zum anderen sind Massnahmen nötig im Hinblick auf die zunehmend ältere Bevölkerung. Nicht empfohlen wird die Einheitskasse. Die Experten geben zwar keine Wertung ab, denn beide Systeme hätten Vor- und Nachteile. Indes warnt der Bericht vor den Transaktionskosten eines Systemwechsels. Diese fallen umso schwerer ins Gewicht, da eine Einheitskasse laut Bericht nicht mit mehr Effizienz verbunden ist als das jetzige System. Lob erhält der nochmals verfeinerte Risikoausgleich. Vertragszwang ist negativ

Die Schwächen des Systems ortet der Bericht im gelenkten Wettbewerb zwischen den Krankenversicherern. Er verhindert praktisch, dass die Krankenver-

GESUNDHEITSAUSGABEN IN PROZENTEN DES BIP, 2009 % BIP 20,0

sicherer durch die Qualität ihres Leistungsangebots konkurrieren können. Bemängelt wird auch der Vertragszwang mit allen Leistungserbringern.

QUELLE: OECD

18,0 16,0 14,0 12,0 10,0

Zu viele Spitäler

Die Schweiz hat zu viele Spitäler, stellt der Bericht fest. Und das spüren die Prämienzahler: Im Jahr 2009 verursachten die Akutspitäler 35,6 Prozent der im Gesundheitswesen anfallenden Kosten. Nicht nur das Überangebot kostet, sondern auch die falsche Ausrichtung der Spitäler. Abhilfe schaffen sollen die Fallpauschalen, indem sie dazu führen, dass unwirtschaftliche Strukturen bereinigt werden und das Überangebot an Spitälern abgebaut wird. Doch müssten, so der Bericht, Massnahmen ergriffen werden, um falsche Anreize zu verhindern. Es sei zu befürchten, dass die Spitäler ihr Behandlungsangebot massiv ausweiten würden, was die Kosten wieder erhöhen würde. Kritisiert wird ausserdem, dass die Finanzierung der Spitäler über mehrere Träger kompliziert und ineffizient ist. Wünschenswert wäre eine Finanzierung aus einer Hand. Ausserdem müsse die Qualitätsmessung ausgebaut werden, damit Patienten, Versicherer und Politiker aufgrund fundierter Daten wählen können. Anders als bei den Spitälern herrscht hingegen bei Pflegenden und Grundversorgern ein Mangel. Hier sei eine nationale Planung nötig. Grosses Gewicht legt die Analyse auf die Gesundheitsprävention, da habe die Schweiz Nachholbedarf. Koordination von Leistungen

8,0 6,0 4,0 2,0

N

IE D E U F R R L SA A D A N ND EU K E TS RE C IC D HL H Ä N AN EM D KA AR N K SC AD Ö H A ST W ER EI RE Z PO NE BE IC H RT U S LG U EE IEN G L A A G RO S L ( N D SS CH 200 G BR W 8 RI EC IT ED ) A EN H N EN N LA IS I E N LA N D N N (2 D O RW 007 E ) IR GEN LA SP N A D N I IE SL TA N O L IE W N FI EN A N U ST S N L IE N RA LO AN LI W D E A JA N KE PA (20 I N 08 (2 ) 00 TS CH CH 8) EC I LE H IS IEN U RA N EL G A PO RN ES LE TL N A LU K ND XE OR M EA B M UR EX G I TÜ KO RK EI

0,0

In die Gesundheitsversorgung flossen 2009 in der Schweiz 11,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Damit liegt die Schweiz auf Rang sieben. Grund: Da die BIP der EU-Länder stärker schrumpften, stieg dort der Anteil der Gesundheitskosten stärker als in der Schweiz.

Der Bericht fordert eine «effizientere Koordination von Leistungen», auch weil der Anteil der älteren und der chronisch kranken Menschen an der Bevölkerung zunehmen wird. Mit der Annahme der Managed Care-Vorlage hat die Schweizer Politik den richtigen Weg eingeschlagen. silvia schütz

Review of Switzerland’s Health Care System, the OECD and the World Health Organization 2011 (www.oecd.org/health/reviews)

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Drei Fragen an Dr. Willy Oggier, Gesundheitsökonom

«Die Einheitskasse wäre ein Schritt in die falsche Richtung» Foto: ZVG

nes Systems z.B. beim Aufkommen neuer Krankheitsbilder sind wichtige weitere Kriterien. Hier schliessen Staatssysteme, die oft ein knallhartes System von Rationierungen haben, oft schlechter ab. Was könnte die Schweiz aus diesem Vergleich lernen? Welche Ideen könnten übernommen werden?

Dr. Willy Oggier: «Die Gefahr ist gross, dass bei einer Einheitskasse jenen Menschen Leistungen vorenthalten werden, die es besonders nötig haben.»

Für den Gesundheitsökonomen Willy Oggier sind im internationalen Vergleich drei Elemente für ein gutes Gesundheitswesen zentral: Ein besserer Risikoausgleich unter den Versicherern, die Spitalfinanzierung aus einer Hand und mehr Wahlmöglichkeiten durch mehr Vertragsmöglichkeiten. Die zurzeit von diversen politischen Kreisen stark gepushte Einheitskrankenkasse löst hingegen keine Probleme, weil sie dieses Konzept des regulierten Wettbewerbs unterläuft.

Welches ist aus wissenschaftlicher Sicht das beste Gesund­heitssystem in Europa und warum?

Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist diese Frage erst dann eindeutig beantwortbar, wenn die Kriterien für das Prädikat «bestes Gesundheitswesen» definiert sind. Aus reiner Kostenoptik beispielsweise schneiden in der Regel staatliche Systeme besser ab. Doch im Gesundheitswesen kann es nie nur um Kostendämpfung gehen. Bedarfsgerechtigkeit, Zugang zum System für sozial Schwächere, für ältere Menschen und für kostenintensive Patienten oder die Leistungsfähigkeit ei-

International lässt sich eine verstärkte Orientierung am Konzept des regulierten Wettbewerbs feststellen, das mit dem Motto «So viel Staat wie nötig, so viel Wettbewerb wie möglich» umschrieben werden kann. Um diesem Konzept Beachtung zu verschaffen, sind folgende Elemente zentral: Es besteht ein Risikoausgleich unter den Krankenversicherern, welcher den Gesundheitszustand der Versicherten berücksichtigt (also morbiditätsorientiert ist). Damit soll die Kassenseite ein stärkeres Interesse an guten Versorgungskonzepten erhalten als an der Jagd nach guten Risiken. Es besteht zweitens eine monistische Spitalfinanzierung, damit zwischen ambulanten und stationären Bereichen keine Verzerrungen finanzieller Art entstehen und Substitutionspotenziale vermehrt ausgeschöpft werden, weil der eine Finanzierer nicht mehr auf Kosten eines anderen profitiert. Und drittens braucht es mehr Wahlmöglichkeiten durch mehr Vertragsmöglichkeiten, d.h. Versicherte müssen ihre Versicherer wählen und Krankenversicherer und Leistungserbringer müssen neben dem ordentlichen Modell der Krankenversicherung auch andere innovative Vertragsformen anbieten können. Insbesondere für das erste und das dritte Element lassen sich sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden positive Entwicklungen feststellen. Legt man diesen europäischen Vergleich der Systeme zugrunde: Was ist dann von der bei uns in letzter Zeit in gewissen Kreisen verstärkt propagierten «Wunderlösung» Einheitskasse zu halten?

Die Aufzählung der wesentlichen Elemente eines regulierten Wettbewerbs macht deutlich, dass die Einheitskasse einen Schritt in die falsche Richtung darstellt. Denn diese ändert nichts an den falschen vorherrschenden finanziellen Anreizen. Und in einem Monopol haben die Versicherten nicht mehr das Recht, die Kasse zu wechseln, wenn sie nicht mehr zufrieden sind. Dies gilt auch für kranke Menschen. Daher ist die Gefahr gross, dass bei einer Einheitskasse – ähnlich wie bei rein staatlichen Systemen – insbesondere jenen Menschen Leistungen vorenthalten werden, die es besonders nötig haben. Denn sie sind auf Gedeih und Verderb der Einheitskasse ausgeliefert und können sich in der Regel nicht leisten, diese Leistungen auf dem freien Markt privat zu finanzieren. Daher erstaunt es auch nicht, dass Gesundheitsexperten aus politisch linksstehenden Parteien in anderen Staaten sich klar gegen eine Einheitskasse aussprechen. Dazu gehört beispielsweise der deutsche Epidemiologe, Gesundheitsökonom und sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Karl W. Lauterbach. Interview: Gregor Patorski

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Brennpunkt Gesundheitspolitik

4/10

Die Einheitskassen-Initiative ist der falsche Weg Die Einheitskasse führt in die Sackgasse. Sie löst keines der Probleme unseres Gesundheitswesens. Die Höhe der Prämien wird durch die Ausgaben für die medizinischen Leistungen zu Lasten der Grundversicherung bestimmt. Das gilt auch bei einer Einheitskasse.

Claude Ruey Präsident santésuisse

Am 1. Oktober hat die SP mit ihrem Nein mitgeholfen, das Sparpaket für das Gesundheitswesen zu versenken, welches unter anderem ein Makler- und Telefonwerbungsverbot im Bereich der Grundversicherung vorgesehen hatte. Nur wenige Tage später, am 7. Oktober, präsentierten die SP und andere eine EinheitskassenInitiative, welche unter anderem auf ein Makler- und Telefonwerbungsverbot abzielt! Eines muss in aller Deutlichkeit gesagt sein: Das ist keine verantwortungsvolle Politik, das ist Parteikalkül und Wahlkampf auf dem Rücken der Versicherten. Wer zu zielführenden Reformen immer nur Nein sagt und Scheinlösungen wie die Einheitskasse propagiert, handelt widersprüchlich und gegen die Interessen der Versicherten.

Unter dem Titel «für eine öffentliche Gesundheitskasse» hat eine Allianz unter der Führung der SP am 7. Oktober 2010 ihre Initiative für eine planwirtschaftliche Einheitskasse präsentiert. Vollmundig wird hier versprochen, dass mit einer Abschaffung der Krankenversicherer «Prämienschocks der Vergangenheit angehören» würden, weil die Verwaltungsausgaben wegfallen würden. Ein Blick auf die Zahlen des BAG genügt, um zu erkennen, dass das die falsche Medizin ist. Medizinische Leistungen wurden teurer, Kassen billiger

INHALT Editorial Einheitskasse ist der falsche Weg 1 Der falsche Weg: Einheitsbrei Einheitskasse

2

Der richtige Weg: Integrierte Versorgung

3

In Kürze

4

Mit 95 Rappen jedes Prämienfrankens werden medizinische Behandlungen gegen Krankheiten bezahlt. Fünf Rappen brauchen die Krankenversicherer für ihre Serviceleistungen (u.a. Infrastruktur, Personal, Rechnungsstellung, Marketing). Die Ausgaben für die Tätigkeiten der Krankenversicherer sind zwischen 2008 und 2009 um 46 Mio. Franken von 5,7 auf 5,2 Prozent der Prämien gesunken! Das ist der einzige Ausgabenposten der Grundversicherung, welcher sinkt und nicht steigt. Die medizinischen Behandlungen zu Lasten der Grundversicherung hingegen steigen allesamt um insgesamt jährlich über eine Milliarde Franken. Die Initiative setzt am falschen Ort an: Sie konzentriert sich auf die sinkenden fünf Prozent statt auf

die steigenden 95 Prozent. Zudem würde eine Einheitskasse nicht billiger werden (zum Vergleich: der Teilmonopolist Suva hat Verwaltungsausgaben von rund neun Prozent). Drittens würden Schulden angehäuft, wenn die Prämien nicht den Ausgaben entsprechen (siehe Milliardenloch bei der Einheitskasse IV). Kurz: Diese Initiative ist aus diversen Gründen der falsche Weg! Volk will keine Extremlösungen

Das Volk hat Extremlösungen im Gesundheitswesen an der Urne stets abgelehnt, zwei Mal eine Einheitskasse und einmal einen liberalen Gesundheitsverfassungsartikel. Eine Einheitskasse verunmöglicht die Wahlfreiheit der Versicherten. Der freie Kassenwechsel und die Wahl individueller Franchisen sind dem Volk wichtig. Ein Monopolist – wie es die Einheitskasse wäre – muss sich gegen keine Konkurrenz behaupten und hat keinen Anreiz, die Verwaltungsausgaben zu reduzieren. Nur mit dem Wettbewerb zwischen den Kassen und in der Folge auch zwischen den weiteren Akteuren im Gesundheitswesen bleibt dieser Sparanreiz erhalten. Das KVG ist der Mittelweg des regulierten Wettbewerbs und hat mit der neuen Spitalfinanzierung, der neuen Pflegefinanzierung und mit Managed Care Zukunft. Das ist der richtige Weg! (GPA)

13 brennpunkt 4 | 2010


D E R FA L S CH E W E G : EINHEITSBREI EINHEITSK ASSE Die Initiative «für eine öffentliche Gesundheitskasse» verspricht der Bevölkerung das Blaue vom Himmel. In Tat und Wahrheit ist sie ein unverdaulicher Einheitsbrei. Die Folgen einer Einheitskasse wären verheerend: Reformstau, Prämienschub, Rationierung, Qualitätsverlust, Rollenkonflikte, keine Wahlfreiheit, Innovationsblockade. Das kann keinem schmecken.

Mit ihren Alliierten kocht die SP eine alte Suppe auf, die vom Stimmvolk bereits zwei Mal wuchtig verworfen wurde: Anfang Oktober wurde eine Volksinitiative präsentiert, welche die obligatorische Krankenversicherung neu von einer nationalen Einheitskasse durchführen lassen will. Die Einheitskasse setzt am falschen Ort an

Bei der Einführung des KVG 1996 betrugen die Verwaltungsausgaben der Krankenversicherer 133 Franken pro Versicherten. 2009 betragen Sie 147 Franken. Mit einer jährlichen Zunahme von lediglich 0,8 Prozent liegt das knapp unter der Jahresteuerung. Die Ausgabenexplosion findet bei den medizinischen Leistungen statt: Waren es 1996 pro Versicherten noch 1723 Franken, so gingen 2009 schon 3069 Franken an Ärzte, Spitäler, Medikamente usw. Dies entspricht einer jährlichen Zunahme von 4,5 Prozent. Die Initiative setzt beim Ausgabenblock an, der in 13 Jahren um 14 Franken ge-

stiegen ist und verliert den Ausgabenblock, der rund hundert Mal stärker angestiegen ist, nämlich um 1346 Franken pro Versicherten, komplett aus den Augen. Die Einheitskasse verschlechtert die Qualität

Länder, die in Richtung Einheitskasse oder Verstaatlichung der Medizin gingen, haben als Erste den Weg der Rationierung diskutiert und auch beschritten. Unter einer Einheitskasse werden den Versicherten bewusst lebensnotwendige Massnahmen vorenthalten, wie die Beispiele Grossbritannien und Kanada zeigen. Sie ist das falsche Mittel, wenn man, wie die Initianten, «die Qualität der Grundversorgung gegen Leistungsabbau verteidigen» möchte. Wettbewerb unter den Kassen und Wahlfreiheit der Versicherten sind hier das bessere Mittel. Gemäss OECD fühlen sich 87 Prozent der Schweizer Bevölkerung gesund. Im Einheitskassen-Land Frankreich fühlen sich nur 75 Prozent der Leute gesund.

180%

QUELLE: BAG, EIGENE DARSTELLUNG

INDEX

INDEX DER GESUNDHEITSAUSGABEN PRO VERSICHERTEN 1996 – 2009 VON DEN VERSICHERERN BEZAHLTE MEDIZINISCHE (NETTO)-LEISTUNGEN 170%

BRUTTOLEISTUNGEN (INKL. KOSTENBETEILIGUNG) = GESUNDHEITSAUSGABEN VERWALTUNGSKOSTEN & ABSCHREIBUNGEN

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LANDESINDEX DER KONSUMENTENPREISE (TEUERUNG)

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2009

Die Einheitskassen-Initiative setzt am falschen Ort an. Die Verwaltungsausgaben befinden sich im grünen Bereich (sie entsprechen in etwa der Jahresteuerung). Für das wahre Problem – die steigenden Gesundheitsausgaben (rot) – bietet die Einheitskasse keine Lösung.

Das brockt uns die Einheitskasse ein: • Ausgaben- und Prämienschub • Innovations- und Reformstau • Rollenkonflikte • Rationierung und Qualitätsverlust

Auch die Lebenserwartung ist tiefer. Soviel zur Qualität. Die Einheitskasse verursacht höhere Kosten

Würden die Weichen in Richtung Einheitskasse gestellt, blieben innovative Reformen, die am richtigen Ort ansetzen, liegen: Die Gesundheitsausgaben würden weiter ungebremst wachsen. Reformstau und Prämienschub wären die Folgen. Ohne Konkurrenz muss sich die Einheitskasse nicht im Qualitätsund Prämienwettbewerb behaupten. Damit hat sie auch keinen Anreiz, ein ernsthaftes Kostenmanagement zu betreiben oder die Verwaltungsausgaben tief zu halten. Und die Versicherten können dies nicht mehr durch einen Wechsel sanktionieren. Die Einheitskasse führt zu mehr Staat

Im System einer Einheitskasse beaufsichtigt sich der Staat selbst. Dies stellt die Unabhängigkeit der Aufsicht in Frage. Schon heute befinden sich die Kantone in einem ständigen Rollenkonflikt. Sie sind gleichzeitig Planer, Leistungserbringer, Finanzierer und Schiedsrichter im Gesundheitswesen. Bei einer Einheitskasse kämen weitere Rollen dazu, z.B. das Genehmigen von Prämien. Will man hier eine Verbesserung, muss man die Rollen entflechten und nicht weiter verflechten. (GPA)

14 brennpunkt 4 | 2010


IN KÜR ZE Konzept der kantonalen Reserven ist absurd Das Parlament hat eine Genfer Standesinitiative gebilligt, welche verlangt, dass die Reserven der Krankenversicherer separat gebildet werden. Der Bundesrat ging in der Fragestunde näher auf das Thema ein: Das Konzept der kantonalen Reserven ist dem KVG-System vollkommen wesensfremd, weil die Versicherer ihre Zahlungsfähigkeit auf nationaler Ebene sicherstellen müssen. Der Bundesrat ist daher gegen eine Kantonalisierung der Reserven, diese würde insgesamt zu einer starken Prämienerhöhung führen. Die kalkulatorischen Reserven existieren weder im Gesetz noch in der Rechnungslegung der Versicherer. Der Bundesrat will sich der Problematik 2011 auf dem Verordnungsweg mit folgenden drei Massnahmen annehmen: 1. Es sollen ausschliesslich Prämien bewilligt werden, die die Ausgaben decken. 2. Die Reserven sollen für jeden Versicherer einzeln unter Einbezug der Risikostruktur seiner Versicherten berechnet werden. 3. Durch einen Korrekturmechanismus soll die Problematik der Differenzen zwischen Prämien und Ausgaben beseitigt werden. santésuisse geht in der Beurteilung und Analyse der Reservenfrage mit dem Bundesrat einig. Bezüglich des einzuführenden Korrekturmechanismus muss sichergestellt sein, dass er die Risikostruktur berücksichtigt.

«Unheilige Allianz» verhindert Sparpaket Das Sparmassnahmenpaket für das Gesundheitswesen erlitt am letzten Tag der Herbstsession mit 76 zu 97 Stimmen bei 19 Enthaltungen Schiffbruch auf der Zielgeraden. Eine «unheilige Allianz» von SVP, SP und stillschweigender Billigung der Grünen brachte das Paket zu Fall, welches Einsparungen von rund 250 Millionen Franken gebracht hätte. Besonders stossend ist, dass kurz darauf die SP bei der Vorstellung der Einheitskassen-Initiative genau das forderte, was sie zuvor dank ihrem Nein zu Fall gebracht

hatte: Das Verbot von Kundenwerbung durch Telefonmarketing und Maklerprovision! Offensichtlich ist das Nein der SP zu den Ausgaben senkenden Massnahmen nicht sachpolitisch begründet: Es geht den Verhinderern allein darum, den Druck für eine nutzlose Pseudolösung Einheitskasse hoch zu halten. Aus rein parteitaktischen Überlegungen Wahlkampf auf dem Rücken der Versicherten zu betreiben, ist egoistisch und in höchstem Masse verantwortungslos.

Parlament gegen kantonale Einheitskassen

santésuisse-Infooffensive ist keine «Polit-PR» In der Fragestunde der Herbstsession echauffierten sich die Nationalräte JeanFrançois Steiert (SP) und Reto Wehrli (CVP) über die Informationsoffensive von santésuisse. Sie schimpften die Aufklärungskampagne «Polit-PR» und unterstellten ihr Unverhältnismässigkeit und Gesetzeswidrigkeit. Der Bundesrat stellte sich hinter die Kampagne von santésuisse. In seiner Antwort bezifferte er die Ausgaben der Informationsoffensive auf 1,2 Millionen Franken, was umgerechnet 16 Rappen pro Versicherten und Jahr bedeutet. Er erinnerte auch daran, dass die Versicherer gemäss KVG das Recht haben, einen Teil ihrer Verwaltungsausgaben für Werbe- und Informationszwecke auszugeben, solange diese Ausgaben dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen. Im konkreten Fall sind die Ausgaben nicht unverhältnismässig, so der Bundesrat. santésuisse möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die Informationspflicht der Versicherer im Sozialversicherungsgesetz ATSG Art. 27 sogar gesetzlich festgehalten ist. (GPA)

In seiner parlamentarischen Initiative hatte PdA-Nationalrat Josef Zisyadis gefordert, dass die Kantone die Möglichkeit erhalten, kantonale Einheitskassen für die Grundversicherung zu schaffen. In der Diskussion traten die gravierenden Nachteile einer Einheitskasse deutlich zu Tage: Die Forderung nach kantonalen Einheitskassen löst das Ausgabenproblem nicht, weil sie bei Strukturen ansetzt und nicht bei den Ausgaben. Gerade was die Strukturen betrifft, läuft die Initiative den momentanen Bestrebungen entgegen, im Gesundheitswesen Kantonsgrenzen abzubauen. Ein freier ZuKrankenkassen, gang zu Leistungserbringern in der ganzen Schweiz einerseits und kantonale Einheitskassen andererseits würden das heutige System noch komplizierter und intransparenter machen. Der Nationalrat hat daher das einzig Richtige getan und die Initiative wuchtig mit 105 zu 45 Stimmen bei 14 Enthaltungen verworfen. Nicht einmal die SP stellte sich geschlossen hinter die Forderung, die sonst eines ihrer liebsten Projekte ist: Ein bedeutender Teil der Partei konnte sich nicht zu einem Ja durchringen.

kannst vergessen! Dennoch...

Wer kämpft für Ihre freie Wahl?

Die Schweizer Krankenversicherer

immer-mit-ihnen.ch

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15 brennpunkt 4 | 2010


Foto: Keystone/santésuisse

Mit der Einführung von kantonalen Einheitskassen würden Milliarden von Franken sinnlos den Abfluss hinunter gespült. Das erhoffte theoretische Sparpotential hingegen ist mit 144 Millionen Franken bescheiden.

K a n to n a l e E i n h e i t s ka s s e n w ü r d e n M i l l i a r d e n ko s t e n Fehlerhaft, ungenau und unvollständig: Vom behaupteten Sparpotential durch den Systemwechsel zu kantonalen Einheitskassen schmilzt bei genauerer Betrachtung mehr als die Hälfte weg. Es könnten höchstens 144 Mio. Franken eingespart werden. Was die Studie im Auftrag der GDK-Ost komplett unter den Tisch fallen lässt, ist die horrende Summe von mindestens 4,5 Milliarden Franken, die der Systemwechsel kosten würde. Die Studie «Kantonale oder regionale Krankenkassen (KRK)» von Prof. Urs Brügger (ZHAW Winterthur) im Auftrag der GDK-Ost gibt der Verbesserung des heutigen Systems den Vorzug gegenüber einer Umstellung auf kantonale Einheitskassen. Auch mit Einheitskassen werden Gesundheitsausgaben und Prämien steigen. santésuisse teilt diese Einschätzungen. KRK-Studie irrt mehrfach

Auch wenn der Reformbedarf bei den medizinischen Leistungen (Managed Care) bestätigt wird, gilt es auf Irrtümer in der KRK-Studie hinzuweisen: Die Berechnung des Einsparpotentials ist nämlich fehlerhaft, ungenau und unvollständig. Das führt zu einer massiven Überschätzung der möglichen Einsparungen. Laut Studie liessen sich mit KRK 300 Mio. Fr. an Kassenwechselkosten sparen. Diese Zahl ist mit drei Fehlern behaftet: Erstens rechnet sie mit dem falschen Verwaltungsaufwand. Zweitens rechnet sie den neuen Risikoausgleich nicht ein. Drittens unterschlägt sie den Kantonswechsel von Versicherten. Spareffekt schmilzt …

Die Studie beziffert den Verwaltungsaufwand für das Jahr 2009 mit 1475

Mio. Franken bzw. 6,2 % des Gesamtaufwands der Versicherer. Diese Aussage ist falsch. Diese Zahlen beziehen sich auf Grund- und Zusatzversicherung. Der Verwaltungsaufwand in der OKP beträgt aber nur 1061 Mio. Franken bzw. 5,2 % des Prämienvolumens. Nimmt man die korrekte Zahl, so schmilzt das Einsparpotential bereits auf 230 Mio. Franken. Die Studie schränkt das Einsparpotential aufgrund des neuen Risikoausgleichs selber von 1,2 % auf 1 % der Gesamtausgaben der Krankenversicherer ein, ohne das in absolute Zahlen umzurechnen. Holt man dies nach, reduziert sich das Potential auf nur noch 192 Mio. Franken. … auf weniger als die Hälfte

Die Studie nimmt an, dass jährlich 500 000 Kassenwechsel eingespart werden könnten. Dass aber im neuen System durch kantonsübergreifende Umzüge von Versicherten gemäss Bundesamt für Statistik jährlich mit mindestens 125 000 Kassenwechseln zu rechnen ist, unterschlägt sie. Das Einsparpotential verringert sich nochmals um einen Viertel. Von den behaupteten Einsparungen bleibt unterm Strich nicht einmal die Hälfte: Durch KRK lies-

Fehler der KRK-Studie: • Falscher Verwaltungsaufwand verwendet • Effekt des neuen Risikoausgleichs nicht in absoluten Zahlen beziffert • Wohnortswechsel sind auch Kassenwechsel • Milliardenkosten durch den Systemwechsel werden unterschlagen

sen sich maximal 144 Mio. Franken sparen. Der Berg hat eine Maus geboren. Systemwechsel kostet Milliarden

Wie viel kostet eigentlich der ganze Einheits-Spass? Die Studie wagt es nicht, die Kosten des Wechsels vom heutigen Wettbewerbssystem auf eines mit KRK zu schätzen. Würde sie ihren eigenen Massstab (laut Studie betragen die Kosten pro Wechsel 587 Franken) zu Grunde legen, käme sie auf 4,5 Milliarden Franken. Denn der Systemwechsel ist nichts anderes als der erzwungene Kassenwechsel von 7,7 Millionen Versicherten auf einen Schlag. In dieser simplen MinimalSchätzung sind Aufbau einer neuen Infrastruktur für die KRK und die rechtliche Abwicklung einer Enteignung der bisherigen Versicherer noch (GPA) nicht berücksichtigt.

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in kür ze

SVP-Nationalrat Jürg Stahl (ZH) hat während der Frühjahrssession 2011 ein Postulat zur Einheitskassen-Initiative eingereicht, welche am 1. Februar 2011 lanciert wurde. Der Bundesrat wird darin aufgefordert, vor einem allfälligen Abstimmungstermin zu folgenden Fragen Bericht zu erstatten: Hat die Einführung einer öffentlichen Einheitskasse in der Krankenversicherung irgendeinen Einfluss auf die Kosten zu Lasten der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung? Wie hoch schätzt der Bundesrat die Umsetzungskosten für die Einführung einer öffentlichen Einheitskasse in der Krankenversicherung? In seiner Begründung legt der Zürcher Nationalrat Wert darauf, dass eine solche Einheitslasse die Gesundheitskosten begrenzen oder zumindest eindämmen müsse. «Andernfalls ist ein solcher Systemwechsel überflüssig». Anhand der KRK-Studie der GDK-Ost lassen sich die Kosten eines solchen Systemwechsels auf mindestens 4,5 Milliarden Franken hochrechnen (siehe Artikel S. 3). santésuisse teilt die Analyse von Nationalrat Stahl und sieht jetzt schon den Diskussionen im Parlament und der Antwort des Bundesrats mit Spannung entgegen.

bühren für Vermittler und Makler auf 50 Franken und das Verbot von unkontrollierten Maklergeschäften. Drittens Massnahmen zur Qualitätssicherung der zugelassenen Vermittler und Makler. Mit der Vereinbarung sind Einsparungen im Rahmen von bis zu 100 Millionen Franken möglich. Versicherte, welche nach diesem Datum Opfer von unseriösen Maklern werden, erhalten ab dann die Möglichkeit auf der Internetseite von santésuisse Verstösse gegen die Branchenvereinbarung zu melden.

Nationalrat bringt Präventionsgesetz auf den Weg Nach einer kontroversen Debatte hat sich der Nationalrat während seiner Sondersession im April für ein eigenes Präventionsgesetz ausgesprochen. Nicht ein neues Institut, sondern eine Stiftung steht im Zentrum der Vorlage. Die Vorlage wurde mit 97 zu 71 Stimmen angenommen. santésuisse begrüsst diesen Entscheid und erwartet, dass die Gesundheitsförderung auf dieser Gesetzesgrundlage durch klare Ziele, eine koordinierte und messbare Zielerreichung ohne zusätzliche Ressourcen mehr Wirkung erzielen wird.

santésuisse steht zum Obligatorium In der Sondersession versuchte die SVP einmal mehr das Versicherungsobligatorium aufzuheben. Nationalrat Alfred Heer (ZH) begründete seine Motion damit, dass die Bürger heute geschröpft würden und sich nicht wehren könnten. Mit der Aufhebung des Obligatoriums hätte der Bürger die freie Wahl, ob er eine Krankenversicherung will oder nicht. Die Zwangssolidarität im KVG habe massgeblich zur Kostenexplosion beigetragen. Der Bundesrat warnte vor einem Rückfall in altrechtliche Zustände und betonte die Wichtigkeit der Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, Männern und Frauen sowie den Generationen. Mit 101 zu 44 Stimmen entschied sich die grosse Kammer mit grosser Mehrheit für das Obligatorium. santésuisse begrüsst diesen Entscheid und sieht ihn als Bestätigung des regulierten Wettbewerbs mit soliden Leitplanken der sozialen Sicherheit. Es gibt genügend Ansätze und Reformprojekte, das Ausgabenwachstum zu Lasten der Grundversicherung zu bremsen (z. B. durch Managed Care, Stärkung der Eigenverantwortung, Vertragsfreiheit), ohne gleich zu dieser extremen Massnahme zu greifen. Die Krankenversicherer stehen zum Obligatorium. (GPA)

Foto: Keystone

Systemwechsel zur Einheitskasse ist «überflüssig»

Telefonwerbung bereits eingeschränkt Zurzeit ist eine Motion der SP-Fraktion hängig, welche den Krankenversicherern Provisionszahlungen an Makler und Werbeausgaben aus der Grundversicherung verbieten möchte. Dieser Vorstoss ist bereits obsolet geworden. Denn santésuisse hat das Kernanliegen dieser Motion schon in der Ende Januar getroffenen Branchenvereinbarung antizipiert. Ausser dem Nicht-Verbandsmitglied Assura haben alle santésuisse angeschlossenen Krankenversicherer die Branchenvereinbarung unterzeichnet. Diese tritt Anfang Juni 2011 in Kraft und enthält im Wesentlichen drei Punkte: Erstens eine markante Eindämmung von Telefonwerbung und -marketing bzw. das Verbot der Kaltakquisition. Zweitens die Begrenzung der Ge-

Gesundheitspolitiker unter sich: Der Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl, FMH-Vizepräsident Ignazio Cassis (FDP TI) und Bundesrat Didier Burkhalter.

impressum Herausgeber santésuisse – Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Redaktion Gregor Patorski, Maud Hilaire Schenker, Abt. Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 41 54, Fax: 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch, Homepage: www.santesuisse.ch Produktion City-Offset, Solothurnstrasse 84, 2540 Grenchen TITelbild Keystone: Kupferstich aus «Histoire naturelle générale et particulière des mollusques» (1805) von Pierre Denys de Montfort

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Foto: Keystone

Der Gegenvorschlag von Bundesrat Alain Berset zur Einheitskassen-Initiative ist unnötig.

PL Ä N E ZU M GEGEN VOR SCH L AG SI N D U N N ÖT IG U N D KO N T R APRO DUK T I V Die angekündigten Inhalte eines Gegenvorschlags1 des Bundesrates zur Einheitskassen-Initiative stehen im Widerspruch zu den hohen Zielen seiner gesundheitspolitischen Gesamtstrategie «Gesundheit2020»: Die Eigenverantwortung und der regulierte Wettbewerb würden geschwächt und die Krankenkassenprämien ohne Mehrwert verteuert.

Soweit bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe bekannt, beinhaltet ein möglicher Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative ein positives Element, das im Parlament aber bereits bearbeitet wird (Risikoausgleich), hingegen zwei Vorschläge, die dem freiheitlichen Gesundheitssystem der Schweiz irreparablen Schaden und Kostensteigerungen ohne Mehrwert zufügen würden. Mit der Kritik steht santésuisse nicht allein: Ende 2012 wurden im Parlament fünf Motionen mit derselben Stossrichtung eingereicht: Der Bundesrat wird darin aufgefordert, auf einen Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative zu verzichten. «Rückversicherung» ist verkappte Einheitskasse

Die im Gegenvorschlag präsentierte «Rückversicherung» ist in Tat und Wahrheit ein Hochrisikopool, eine Teil-Einheitskasse und kein Mittel

gegen die Risikoselektion. Im Gegenteil: Die Anreize für kostenbewusstes Management und Verhalten im Gesundheitswesen würden ausgehöhlt statt verstärkt. Zudem haben jene Krankenversicherer, die Rückversicherungen für sehr teure Behandlungsfälle benötigen, diese längst abgeschlossen (Art. 12 KVG). Der Vorschlag von Bundesrat Berset, Grund- und Zusatzversicherung strikt zu trennen, beschränkt die Wahlfreiheit und verteuert beide Versicherungsbereiche. Die realen Verhältnisse und Meinungsumfragen zeigen, dass die Versicherten diese «chinesischen Mauern» nicht wollen. Sie würde das System verkomplizieren, die Versicherten ihrer Wahlfreiheit für einen «Service aus einer Hand» berauben und die Prämien beider Bereiche verteuern, weil die Administration doppelt geführt werden müsste. Damit werden Wettbewerb und Wahlfreiheit geschwächt, statt wie vom Bundes-

rat in seiner Gesamtstrategie «Gesundheit2020» postuliert, gefördert. Verbesserungen ohne Gegenvorschlag

Dem verfeinerten Risikoausgleich haben die zuständigen Kommissionen bereits zugestimmt, dafür braucht es keinen Gegenvorschlag. Die weiteren diskutierten Punkte eines Gegenvorschlags würden dem freiheitlichen Gesundheitssystem der Schweiz einen irreparablen Schaden mit unkalkulierbaren Folgen zufügen. santésuisse empfiehlt deshalb, den bereits eingeschlagenen Weg für sinnvolle Verbesserungen weiterzuverfolgen und auf einen unnötigen und kontraproduktiven Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative zu verzichten. (DHB) 1

Bei Redaktionsschluss hat der Bundesrat noch keinen definitiven Entscheid über einen Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative gefällt.

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Ein schädliches Experiment mit ungewissem Ausgang

Service Buchtipp

Sackgasse Einheitskasse

«Sackgasse Einheitskasse», die leicht lesbare Schrift des Gesundheitsökonomen Konstantin Beck, ist für ein breiteres Publikum geschrieben. Mit Beispielen aus der Praxis, Anekdoten und Quervergleichen zeigt das kleine rote Buch auf, warum die Monopolisierung der Krankenversicherung in die Irre führt.

Grund- und Zusatzversicherung bezeichnet Beck als siamesische Zwillinge. Werden sie beim gleichen Versicherer abgeschlossen, so reduziert das den Aufwand für Versicherte und den Versicherer. Die Einheitskasse aber führt zur vollständigen Trennung. Siamesische Zwillinge zu trennen, kann jedoch schwere Folgen haben.

Das Buch vermittelt Einblicke in das Geschehen vor und hinter den Kulissen, die weit über das Thema Einheitskasse hinausgehen. Es ist vor allem eine kurzweilige Auseinandersetzung über die Rolle des Staates und der privaten Akteure und damit die Bedeutung von Wettbewerb und staatlichen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen. Einzelne Passagen des Büchleins sind bewusst zugespitzt, andere gewürzt mit einer Prise Humor. Auch wenn sich die Schrift an das breite Publikum richtet, dürfte seine Lektüre ebenso Fachleuten der Gesundheitspolitik und der Krankenversicherung zur einen oder andern neuen Erkenntnis verhelfen oder zumindest Vergnügen bereiten.

Probleme mit dem Image

Wahlfreiheiten, um die man uns beneidet

Konstantin Beck zeigt einleitend, dass unser Gesundheitswesen im Vergleich mit ausländischen Beispielen gut dasteht und die Krankenversicherer ihre Aufgaben besser wahrnehmen, als ihr Ruf vermuten lässt. Die Kosten sind zwar hoch, aber sie haben sich in den letzten Jahren weniger stark als in den meisten anderen Industrieländern entwickelt. «Immer, wenn ich vom Ausland in die Schweiz zurückkehre, wird mir erneut bewusst, wie viele Probleme wir in unserem Gesundheitswesen nicht haben», schreibt der Autor. Beck hebt vor allem die vielen Wahlmöglichkeiten hervor, von denen Versicherte in andern Ländern nur träumen können, wie die freie Wahl des Arztes und des Versicherers, die Wahl einer höheren Kostenbeteiligung oder die Beschränkung auf eine bestimmte Hausarzt- bzw. HMOGruppenpraxis bei entsprechender Prämienreduktion. Hinzu kommt das Angebot an Zusatzversicherungen.

Der Autor ist sich des schlechten Images der Krankenversicherungsbranche bewusst. Das liege zum einen in der Sache. Denn das Produkt Sicherheit sei wohl sehr nützlich, aber unsichtbar und die Prämien dafür ebenso unbeliebt wie die Steuern. Zum andern trübten Betrugsfälle, die überall, wo Geld im Spiel sei, vorkommen könnten, das Bild. Aber wichtig seien funktionierende Kontrollen und der problemlose Übertritt der Versicherten im Konkursfall in eine andere Kasse. Ein Übertritt, der im heutigen Wettbewerbssystem auch sonst ohne weiteres möglich ist. Beck sieht jedenfalls keinen Grund, wegen einzelner unschöner Vorfälle eine über Generationen gewachsene Branche und damit auch ein recht gut funktionierendes System zu zerschlagen. Für ihn wäre dies ein «Experiment am lebenden Organismus» mit ungewissem Ausgang. Geht es schief, können Nebenwirkungen in Form von Zugangsbeschränkungen, längeren Wartezeiten bei Operationen trotz Schmerzen oder wachsenden Defiziten die Folge sein. Und die heutigen Krankenversicherer würde man trotzdem nicht los. Denn nur sie wissen, wie das Geschäft zu führen ist. Allerdings müssten sie es unter den Regeln eines staatlichen Monopols tun. Das heisst ohne Druck des Wettbewerbs und ohne Angst vor Konkurrenz. Damit wäre auch der Druck weg, guten und raschen Service zu bieten. Wer das Pech hätte, an einen arroganten Beamten zu gelangen, wäre ihm ohne Alternativen ausgeliefert. «Der Kunde war dann mal König», meint Beck lakonisch. Staat oder Wettbewerb?

Dem Staat gesteht Beck durchaus eine wichtige Rolle zu, wenn es da-

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rum geht, im sozialen Krankenversicherungsmarkt Leitplanken zu setzen. Er muss diese Rolle aber mit Augenmass wahrnehmen. Als positives Beispiel nennt der Autor Managed Care, wo das Schweizer Parlament in ein paar wenigen Artikeln das Nötigste geregelt hat. Die Umsetzung überliess es dem Markt, und dieser hat seine Wirkung getan. So entstanden aus anfänglich wenig überzeugenden Modellen in einem ständigen kreativen Anpassungsprozess bedürfnisgerechte, attraktive Angebote, die inzwischen bei weit über der Hälfte der Versicherten Anklang finden. In Deutschland hingegen, wo der Staat die gleiche Materie in unzähligen Paragrafen gründlich regeln wollte und immer wieder Anpassungen vornahm, steckt Managed Care noch heute in den Kinderschuhen. Beck stösst sich aber am Hang des Parlaments, immer mehr Detailfragen regeln zu wollen. Schlimmer sind für ihn jedoch »verbockte» Verordnungen und in der Folge mühsame Auseinandersetzungen mit der Verwaltung. Es fehlt eben vielen Beamten die Kompetenz und Praxiserfahrung, stellt er fest. Und unbedachte Regulierungen von Bundesrat oder Verwaltung haben Kostenfolgen. (Das aktuellste Beispiel ist das geplante neue Aufsichtsgesetz, das die Versicherer laut Experten rund 100 Mio. Franken kosten dürfte. Red.) Die Beispiele im Buch zeigen: Effizienz und Innovation sind heute nicht die Stärke des Staates, und sie wären es auch nicht bei einer staatlichen Einheitskasse. Sinkende Verwaltungskosten

Wie steht es denn heute mit der Effizienz der Krankenversicherer? Sie ist, wie Beck anhand von zwei Beispielen darlegt, kein leeres Versprechen. Es ist der Wettbewerb, der sowohl bei den Verwaltungstätigkeiten wie bei der Kostenkontrolle zu effizientem Verhalten zwingt. So ist der Anteil der Verwaltungskosten an den Gesamtausgaben der Krankenversicherung von 1996 (Einführung des KVG) bis 2010 von 8,2 auf 5,5 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen stiegen die Verwaltungsausgaben pro Jahr nur um gut ein Prozent.

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sprechen schliesslich die Verwaltungskosten, die mehr als doppelt so hoch sind wie bei der Krankenversicherung. Die Behauptung eines AHV-Direktors, das Krankenkassengeschäft mit links und zu wesentlich geringeren Verwaltungskosten abwickeln zu können,­ kontert Beck mit einer amüsanten Anek­dote über den antiquierten Geldversand unserer Altersversicherung. Am meisten Bezüge zur Krankenversicherung würde eigentlich die IV aufweisen. Da hüten sich aber die Befürworter der Einheitskasse, einen Vergleich zu ziehen. Denn mit ihrem stetig wachsenden Defizit von inzwischen 14 Milliarden Franken bildet sie ein abschreckendes Beispiel. Verbessern statt abschaffen

In der Krankenversicherung besteht Verbesserungsbedarf, das weiss auch Konstantin Beck. Er sieht die Lösung aber nicht in der Abschaffung, sondern in der Verbesserung des Wettbewerbs. Dazu müssen die Patienten die Qualität der Ärzte und Spitäler besser vergleichen und die Krankenversicherer mit den Ärzten auf gleicher Augenhöhe verhandeln können, das heisst ohne Fessel des Vertragszwangs. Walter Frei

Die Anzahl der Rechnungsbelege hingegen ist seit 1996 von 27 auf 85 Millionen Franken gestiegen, also um nicht weniger als 215 Prozent. Hinter diesen Zahlen steckt eine grosse innovative Entwicklung. Eine Entwicklung, die auch die Kostenkontrolle effizienter werden liess. Und die Fortschritte wären noch grösser, würden nicht über 40 Prozent der Rechnungssteller noch immer Papierrechnungen verschicken. Suva und AHV als Vorbild?

Viel besser als die Krankenversicherer betreibe die staatliche Monopolanbiete-

rin Suva ihr Geschäft, betonen die Befürworter der Einheitskasse bei jeder Gelegenheit. Becks rotes Büchlein aber kratzt am Image der «wundersam hocheffizienten staatlichen Versicherung». Es zeigt, dass die Unfallzahlen im Freizeitbereich, wo die Suva nicht mit direkten Vorschriften eingreifen kann wie im Arbeitsbereich, frappant steigen. Es vergleicht weiter den Erfolg der Krankenversicherer auf dem freiwilligen Zusatzversicherungsmarkt mit dem minimen Anteil von 2,7 Prozent der Unfälle, die freiwillig bei der Suva versichert sind. Nicht zugunsten der Suva

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Konstantin Beck, Sackgasse Einheitskasse, Orell Füssli, Zürich 2012, 141 Seiten, ISBN 978-3-280-05500-7

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Zeichnung: Marc Roulin

Karikatur des Monats

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