Lese-Dossier Managed Care

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Abstimmungsdossier Managed Care

Abstimmung vom 17. Juni 2012


Managed Care-Referendum vom 17. Juni 2012

Lektüre-Dossier zur Abstimmung

Inhalt

3 Brennpunkt 3/11: Managed Care-Vorlage: Parlament muss mutig entscheiden

4 Brennpunkt 4/10: Der richtige Weg: Managed Care-Reform

5 Brennpunkt Basics 3/10: Integrierte Versorgung – Keine Angst vor Managed Care

7 Brennpunkt 1/12: Managed Care: Überraschendes Referendum

8 Brennpunkt 4/11: SP gefährdet Managed Care-Vorlage

9 infosantésuisse 1/12: 3 Fragen 3 Antworten – Managed Care und Hausärzte

10 infosantésuisse 6/11: 3 Fragen 3 Antworten – Managed Care: Definition und konkrete Beispiele 11 infosantésuisse 4/11: Grünes Licht für Managed Care und Rechnungskontrolle 13 infosantésuisse 2/11: Grafik des Monats – Koordination der Behandlungen: Hier hapert es in der Schweiz 14 infosantésuisse 9-10/10: Themenheft: «Die Zukunft von Managed Care»


B ren nnpunkt Gesundheitspolitik

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Managed Care-Vorlage: Parlament muss mutig entscheiden Die Reform zu Managed Care (MC) befindet sich auf der Zielgeraden und geht voraussichtlich in der Herbstsession in die Einigungskonferenz. santésuisse appelliert an die Politiker aller Couleur eine mutige, vernünftige und ausgewogene Entscheidung im Interesse aller Beteiligten zu treffen. Eine weitere verpasste Chance in der Gesundheitspolitik kann sich die Schweiz nicht leisten.

Claude Ruey, Präsident santésuisse

Unsere Mitbürger wollen die Freiheit haben, eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung zum bestmöglichen Preis wählen zu können. Das ist nur vernünftig. Doch leider sind die kleinen Welten der Politik und des Gesundheitswesens viel zu häufig nicht in der Lage, Vorurteile und Unterstellungen beiseite zu legen und unfähig, protektionistische Reflexe und Eigeninteressen zu überwinden. Das Parlament hat nun die Gelegenheit, die rechtmässigen Forderungen der Schweizer Bevölkerung einzulösen und ein realistisches Projekt der integrierten Versorgung (Managed Care) zu verabschieden. Es muss zeigen, dass es fähig ist, Querelen und Blockaden zu überwinden.

Versicherer und Leistungserbringer werden die integrierte Versorgung auch ohne MC-Vorlage weiter entwickeln. Wer die MC-Vorlage mit Zwängen durchboxen will, leistet mutwillig oder fahrlässig Einheitskassen-Ideen Vorschub: Die Einheitskassen-Studie der GDK-Ost gab dieses Frühjahr der Verbesserung des heutigen Systems des regulierten Wettbewerbs noch den Vorzug gegenüber einer Umstellung auf kantonale Einheitskassen. Schlüssel dazu sei die Förderung von MC und ein verbesserter Risikoausgleich. Mit der aktuellen Vorlage wird genau dies erreicht und eine vernünftige Lösung mit wirksamen Anreizen für alle ist möglich. Anreize statt Zwang

INHALT Editorial Managed Care auf der Zielgeraden 1 Angriff auf die Wirtschaftlichkeitsprüfungen

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sondage santé fühlt Schweizern auf den Puls

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In Kürze

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Alle liefern ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Kompromiss: Die Ärzte mit der Budgetmitverantwortung, die Versicherten mit einem differenzierten Selbstbehalt, die Versicherer mit einem verfeinerten Risikoausgleich und dem Angebotszwang. Aber die Kombination von Angebotszwang für Versicherer und Unabhängigkeitszwang für integrierte Netzwerke (d.h. Versicherer dürfen diese nicht anbieten), wie vom Nationalrat vorgeschlagen, würde ein inakzeptables Un-

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gleichgewicht zwischen Versicherern und Leistungserbringern schaffen. Folge dieser Zwängerei wären Pseudo-Netzwerke, welche den Versicherern ihre Bedingungen diktieren könnten, ohne dass die Versorgungsqualität steigen oder der Kostenanstieg gebremst würde. santésuisse befürwortet daher eindeutig die Variante des Ständerats. Parlament darf Chance nicht verpassen

Ein Scheitern der Vorlage wäre eine verpasste Chance, die integrierte Versorgung – sowohl für Versicherte, Leistungserbringer und Versicherer – durch wirksame Anreize statt durch Verbote zu fördern. Die Versicherer wollen und werden MC im Interesse der Versicherten auch dann gemeinsam mit innovativen Leistungserbringern weiter entwickeln, wenn die Vorlage im Parlament oder bei einem Referendum scheitern sollte. Denn nur durch konstruktive Mitarbeit und konsequenten Einsatz für Behandlungsqualität und -effizienz kann das Ausgabenwachstum und die daraus resultierende steigende Prämienbelastung gebremst werden. Das Parlament kann nun die Weichen richtig (Anreize) oder falsch (Zwang) stellen. (GPA)

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Foto: Keystone

Mit integrierten Ärztenetzen gut versorgt in die Zukunft.

D E R R I CH T I G E W E G : M A N A G E D C A R E - R E F O R M Die in der Wintersession 2010 zur Abstimmung kommende Managed Care-Reform will integrierte Ärztenetze fördern: Mit verfeinertem Risikoausgleich, Budgetmitverantwortung für Ärzte und differenziertem Selbstbehalt für Versicherte. Langfristig werden dadurch Qualität und Transparenz im Schweizer Gesundheitswesen erhöht und der Anstieg der Ausgaben gedämpft.

Seit 20 Jahren ist Managed Care (MC) in der Schweiz eine Erfolgsgeschichte. Heute sind rund 12 Prozent der Versicherten in MC-Modellen im engeren Sinne, d.h. Ärztenetzen versichert. Bundesrat Didier Burkhalter setzt grosse Hoffnungen in die Reform: Bis 2015 sollen 60 Prozent der Bevölkerung integriert versichert sein. Integrierte Versorgung setzt am richtigen Ort an

Das Parlament hat es mit dieser Reform in der Hand, die Weichen im Gesundheitswesen in die richtige Richtung zu stellen und MC-Modellen einen zusätzlichen Schub zu verschaffen. Die Reform setzt nämlich dort an, wo der Schuh drückt: Ein verfeinerter Risikoausgleich – der neben Alter, Geschlecht und Spitalaufenthalt im Vorjahr auch den Gesundheitszustand des Versicherten berücksichtigt – wird die Krankenversicherer dazu bringen, eine konsequente Managed Care-Strategie zu verfolgen, welche auf Qualität und Kosteneffizienz medizinischer Leistungen setzt, anstatt wie bisher die volkswirtschaftlich schädliche «Jagd auf gute Risiken» vorzuziehen.

Integrierte Versorgung verbessert Qualität und Transparenz

In integrierten Ärztenetzen werden durch eine bessere Koordination der Behandlung unnötige oder gar schädliche Mehrfachuntersuchungen und Fehlmedikationen vermieden. Durch Zertifizierungsorganisationen wie die Equam wird die Qualität von MC-Praxen anhand von rund 400 genau definierten Qualitäts-Indikatoren (wie Effektivität der Behandlung, Zugang zur Versorgung, Patientenzufriedenheit) gemessen, sichergestellt und transparent gemacht. Fazit: Die Qualität in MC-Netzen steigt. Integrierte Versorgung dämpft den Ausgabenanstieg

Einsparungen durch integrierte Versorgung geschehen nicht auf dem Buckel der Patienten aufgrund einer geringeren medizinischen Qualität. Es werden nicht Leistungen rationiert, sondern es wird im integrierten Netzwerk rationeller gearbeitet. Durch vorgegebene Prozesse können Patienten schneller auf dem korrekten Behandlungspfad optimal versorgt werden. Gemäss Studien sind so 10 bis 20 Prozent an Einsparungen möglich. Budgetmitverantwortung über ein Globalbudget trägt hier zur Dämpfung des Ausgabenwachstums bei.

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Das bringt Managed Care: ฀ ฀ ฀ ฀ formen dank differenziertem Selbstbehalt für Patienten und verfeinertem Risikoausgleich ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ Transparenz in Ärztenetzen ฀ ฀ ฀ ฀ dank Budgetmitverantwortung für Ärztenetze

Integrierte Versorgung ist ein gemeinsames Projekt

Entscheidend für den Erfolg der integrierten Versorgung ist die Freiwilligkeit. Niemand, weder Patienten, Ärzte noch Kassen, wurden zu MC-Modellen gezwungen. Gemeinsam haben Versicherer und Ärzte, haben die Verbände santésuisse und FMH, im Frühjahr 2010 ihre Vorschläge in den Reformprozess eingebracht. Viele dieser gemeinsamen Positionen sind in die Reform eingeflossen: Die Definition, was als MC-Modell zu gelten hat, der verfeinerte Risikoausgleich, die Wahlfreiheit der Versicherten, die Budgetmitverantwortung in Ärztenetzen und die Förderung von integrierter Versorgung bei den Versicherten durch geeignete Anreize über Prämie, Franchise und Selbstbehalt. (GPA)

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BASICS

Brennpunkt Brenn Bre Bren nnp nn n npu n pu

Integrierte Versorgung

Keine Angst vor Managed Care Integrierte Versorgung in der Schweiz ist seit 20 Jahren eine Erfolgsgeschichte. Dennoch löst die geplante Managed Care-Reform bei vielen Beteiligten Vorbehalte aus. Die Versicherer nehmen diese Ängste ernst, sind aber überzeugt, dass sie unbegründet sind und durch bessere Informationen und Argumente entkräftet werden können. Integrierte Versorgung steht in erster Linie für eine Verbesserung der Qualität. In zweiter Linie versprechen sich die Versicherer eine Dämpfung des Kostenanstiegs.

Seit 20 Jahren ist integrierte Versorgung bzw. Managed Care (MC) in der Schweiz eine Erfolgsgeschichte. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2008 waren laut BAG 30 Prozent der Versicherten in Modellen mit eingeschränkter Arztwahl versichert. Heute sind gut 12 Prozent in MC-Modellen im engeren Sinne, d.h. Ärztenetzen versichert. Durch die vom Nationalrat beschlossene Reform sollen solche Netze, welche häufig auf gemeinsame Initiative von Ärzten und Versicherern entstanden sind, einen zusätzlichen Schub erhalten. Ein entscheidendes Kernelement dieser Erfolgsgeschichte war und ist die Freiwilligkeit. Niemand, weder Patienten, Ärzte noch Krankenkassen, wurde zu solchen MCModellen gezwungen. Es gibt nichts teureres als schlechte Qualität

Der häufigste Vorwurf gegen integrierte Versorgung lautet: Managed Care ist Billigmedizin! Es gilt mit dem Mythos aufzuräumen,

dass bessere Qualität zwangsläufig mehr kostet. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt nichts teureres als schlechte Qualität – man denke nur an schädliche Mehrfachbehandlungen und unnötige Zusatzuntersuchungen. Wer Ma-

naged Care als Billigmedizin bezeichnet, lenkt mit einem billigen Totschlagargument vom wahren Problem ab: In einem System mit begrenzten Ressourcen ist es unethisch, sich so zu verhalten, als wären die Ressourcen unbegrenzt.

Eckpfeiler der Reform Der Ständerat berät das Managed Care-Paket in der kommenden Herbstsession. Die Reform wird voraussichtlich auf 1. Januar 2012 in Kraft treten. Die im Nationalrat verabschiedete Fassung nimmt alle Beteiligten in die Pflicht: • Selbstbehalt für Patienten: Versicherte in integrierten Ärztenetzen profitieren von einem tieferen maximalen Selbstbehalt, indem sie sich verpflichten, immer zuerst einen Arzt aus ihrem Netzwerk aufzusuchen. Dieser koordiniert alle Behandlungsmassnahmen. Versicherte, die sich nicht verpflichten und ihre Arztwahl nicht einschränken wollen, zahlen einen doppelt so hohen Selbstbehalt. • Budgetmitverantwortung für Ärzte: Ärzte in integrierten Netzen tragen eine Budget-MIT-Verantwortung, d.h. schliesst ihr Netzwerk mit einem Defizit ab, tragen sie einen Teil davon mit. Wenn das Netzwerk gut mit seinem Budget haushaltet, sind die Ärzte am Erfolg mitbeteiligt. Diese Pflicht kann also auch eine Chance sein. Darüberhinaus wird die Rolle des Hausarztes als Lenker der Patienten entlang der Behandlungskette aufgewertet und die Qualität steht im Vordergrund. • Angebotspflicht für Versicherer: Auch die Krankenversicherer sind bereit, ihren Teil zum wohlaustarierten Kompromiss beizutragen: Die Pflicht – innert einer dreijährigen Übergangsfrist – eine integrierte Versicherungsform im Angebot zu haben. Ein Erfolgsfaktor von Managed Care darf durch die Reform aber nicht gestrichen werden: Wenn sie schon müssen, sollen die Versicherer weiterhin selber integrierte Versorgung anbieten dürfen.

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Jahr für Jahr führen überflüssige Behandlungen zu Mehrkosten von drei Milliarden Franken (Domenighetti & Pipitone 2002). Ziel muss eine Versorgung sein, die das Optimale für den Patienten herausholt und nicht mehr eine Maximalmedizin, die auch maximal viel kostet: Obwohl die Waadt pro Kopf rund ein Drittel teurer ist als der Kanton St. Gallen, lassen die Behandlungsergebnisse nicht auf eine höhere Qualität schliessen. Mit den heute bekannten Formen der integrierten Versorgung sind gemäss Studien 10 bis 20 Prozent an Einsparungen möglich – notabene ohne Qualitätsverlust. In der integrierten Versorgung bleibt die freie Arztwahl erhalten

Die grösste Angst vieler Menschen ist vermutlich, dass Sie im neuen Modell nicht mehr zu ihrem langjährigen Hausarzt gehen können. Dies gipfelt im zweiten Vorwurf: Managed Care ist das Ende der freien Arztwahl! Dies stimmt so nicht. Wer sich innerhalb eines MCModells versichert, schränkt zwar seine freie Arztwahl ein, kann aber innerhalb des integrierten Versorgungsnetzes seinen Arzt immer

noch wählen. Sollte der Patient mit der Auswahl innerhalb seines Ärztenetzes nicht zufrieden sein, kann er dieses verlassen und ein anderes integriertes Versorgungsnetz wählen – bei derselben oder einer anderen Krankenversicherung. Versicherte werden in Zukunft auch vermehrt bei ihren Hausärzten nachfragen, ob diese einem integrierten Netzwerk angeschlossen sind und somit einen positiven Zug in Richtung solcher Modelle erzeugen. Versicherer und Ärzte haben dann ein gemeinsames Interesse diese Modelle weiter auszubreiten, um den Versicherten attraktive Angebote machen zu können. In der integrierten Versorgung wird rationeller gearbeitet

«Qualität hat ihren Preis», rufen die Skeptiker. Sie behaupten, dass mit der Fokussierung auf wirtschaftliche Interessen durch die Budgetmitverantwortung eine Qualitätseinbusse in der medizinischen Versorgung einhergehe. Der dritte Vorwurf lautet also: Managed Care ist Rationierung! Zugegeben: Kosteneinsparungen sind ein erwünschter Nebeneffekt der integrierten Versor-

gung. Aber diese Einsparungen geschehen nicht auf dem Buckel der Patienten aufgrund einer geringeren medizinischen Qualität. Es werden nicht Leistungen rationiert, sondern es wird im integrierten Netzwerk rationeller gearbeitet. Durch vorgegebene Prozesse und Strukturen können Patienten schneller auf dem korrekten Behandlungspfad optimal versorgt werden. Das Netzwerk vereinbart mit dem Versicherer ein jährliches Globalbudget für alle seine Patienten. So wird es nicht zum befürchteten Behandlungsstopp im Oktober kommen, denn es gibt explizit kein Budget pro Patient. Gleichzeitig kann es sich kein Netzwerk erlauben, qualitativ schlecht zu arbeiten, da sonst sämtliche Patienten zur Konkurrenz abwandern. Durch Zertifizierungsorganisationen wie z.B. die Equam wird die Qualität von MC-Praxen anhand von rund 400 genau definierten Qualitäts-Indikatoren (wie Effektivität der Behandlung, Zugang zur Versorgung, Patientenzufriedenheit) gemessen, sichergestellt und transparent gemacht. Fazit: Die Qualität in MC-Netzen steigt. Nochmals: Von Billigmedizin kann keine Rede sein! (GPA)

FAKT

FIKTION

GEWÄHLTE VERSICHERUNGSMODELLE

«KOMMT FÜR SIE EINE VERSICHERUNG IN EINEM MANAGED CARE-MODELL INFRAGE?»

14% 30,0% 38,7%

10% 58%

0,1% 18% 31,2% ORDENTLICHE JAHRESFRANCHISE

BONUS-VERSICHERUNG

NEIN

IST BEREITS MC-VERSICHERT

WÄHLBARE JAHRESFRANCHISEN

EINGESCHRÄNKTE WAHL (Z.B. HMO)

WEISS NICHT

JA

QUELLE: T11.05, STATISTIK DER OBLIGATORISCHEN KRANKENVERSICHERUNG 2008, BUNDESAMT FÜR GESUNDHEIT (N = 7,7 MIO.)

QUELLE: GFS.BERN, GESUNDHEITSMONITOR 2010 (N=1200)

Managed Care ist vernetzte Qualitätsmedizin und nicht der Verlust der Wahlfreiheit! Der grosse Irrtum: 30 Prozent der Versicherten schränken die freie Arztwahl ein und sind damit sehr zufrieden – aber nur 10 Prozent glauben, ihre Wahlfreiheit bereits eingeschränkt zu haben. Dies weil sie nicht die eingeschränkte Wahlfreiheit, sondern die Qualität und die tieferen Prämien in Erinnerung haben.

IMPRESSUM HERAUSGEBER santésuisse – Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn REDAKTION Abt. Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 42 83, Fax: 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch, Homepage: www.santesuisse.ch PRODUKTION Vögeli AG, Langnau i.E.

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IN KÜR ZE Zuerst den Finger, dann die ganze Hand SP-Nationalrat Max Chopard-Acklin will die soziale Krankenversicherung zerstören, indem er das Solidaritätsprinzip der Kopfprämie abschaffen will. Seine Motion fordert einkommensabhängige Prämien mit einer Obergrenze von 8% des Haushaltseinkommens. Vermutlich nimmt er so den Prämienschub durch die ineffiziente und teurere Einheitskasse vorweg: Heute zahlen Schweizer Haushalte im Schnitt nur 5,3% ihres Bruttoeinkommens für die Grundversicherungs-Prämien (Zahlen BfS HABE 2009). Es liegt die Vermutung nahe, dass die SP in einem ersten Schritt die Einheitskasse einführen will und danach die einkommensabhängigen Prämien. Diese Verknüpfung wurde vom Stimmvolk 2007 in der letzten Einheitskassen-Abstimmung wuchtig mit 71,2% verworfen. Alter Essig in neuen Schläuchen. Chopard-Acklin kritisiert auch die unterschiedliche und komplizierte Handhabe der Prämienverbilligungen für Einkommensschwache. Dass es aber 26 verschiedene Systeme gibt, liegt an den Kantonen. Das unterschlägt der Motionär. Anstatt dort anzusetzen, wo politische Kärrnerarbeit nötig wäre, setzt er dort an, wo es nichts bringt. In der sozialen Krankenversicherung sind aber die steigenden Gesundheitsausgaben das wesentliche Problem. Beide Vorschläge – Einheitskasse und einkommensabhängige Prämien – zielen in die falsche Richtung.

Bund will Finanzströme vereinheitlichen In der Wintersession wurde die Motion von Alt-Ständerat und santésuissePräsident Christoffel Brändli für eine transparente Finanzierung der sozialen Grundversicherung angenommen und überwiesen. In der Diskussion stellte Bundesrat Didier Burkhalter treffend fest, dass bei der Behandlung eines Patienten heute das Tarifsystem im Vordergrund stehe, anstatt der Nutzen des Patienten. Die Einführung der neuen Spitalfinanzierung sei ein erster Schritt, der Zerstückelung des Schwei-

zer Gesundheitssystems entgegenzuwirken. santésuisse befürwortet diese Stossrichtung: Falsche Anreize zwischen ambulantem und stationärem Bereich sollen mittels Einführung eines monistischen Finanzierungssystems beseitigt werden. Es soll prozentual festgelegt werden, wie viel über Prämien und wie viel über Steuern zu finanzieren ist. Entscheidend ist, dass die Versicherer den Anteil der Kantone pauschal (und nicht auf Einzelrechnungsebene) nach schweizweit einheitlichen Prozessen und verbindlichen technischen Standards erhalten. Nur durch eine solche Bündelung der Finanzströme werden die Aufblähung der Bürokratie verhindert, Fehlanreize beseitigt und mehr Transparenz sichergestellt.

Managed Care: Überraschendes Referendum Am 19. Januar 2012 reichte die FMH das Referendum gegen Managed Care ein. Es ist überraschend, dass die FMH für jede der 132 837 Unterschriften vier Franken zahlte. Diese halbe Million wäre besser eingesetzt gewesen, um die qualitativ hochstehende Behandlung der Patienten sicherzustellen. Die Qualität der medizinischen Leistungen ist innerhalb von Managed Care-Netzen nämlich besser nachgewiesen als ausserhalb. Interessant, dass sich vor allem Ärzte für das gekaufte Referendum stark machen, welche integrierte Versorgung nur vom Hörensagen her kennen. Ärzte mit Managed Care-Erfahrung unterstützen hingegen den Gesetzesentwurf. Die SP sollte sich fragen, ob sie sich als Interessenvertreterin der Spezialisten versteht oder der Patienten. santésuisse steht zum vom Parlament ausgehandelten Kompromiss. Die Versicherer werden die integrierte Versorgung in jedem Fall gemeinsam mit innovativen Leistungserbringern weiter entwickeln.

Grundversorgung langfristig sicherstellen In seiner Interpellation «Hausarztmedizin stärken» äussert FDP-Nationalrat Otto Ineichen die Befürchtung (welche auch vom OECD-Bericht über das Schweizer Gesundheitssystem bestätigt wird), dass wir in wenigen Jahren keine Hausärzte mehr haben werden. Folgen wären eine Zweiklassenmedizin und massiv steigende Gesundheitskosten. santésuisse geht mit dem Interpellanten einig, dass Schritte notwendig sind, um die Attraktivität der Grundversorgung zu steigern. Die anvisierte Verbesserung könnte – wie vorgeschlagen – durch Tarifkorrekturen im TARMED zugunsten der Hausärzte erreicht werden. Dabei ist aber zu beachten, dass die TARMED-Revision – wie von Bundesrat Burkhalter gefordert – kostenneutral umgesetzt wird. So könnte den Grundversorgern die heute fehlende Wertschätzung entgegengebracht werden. Kostenneutralität ist hierbei kein Dogma, sondern eine notwendige Realität: Eine Erhöhung der Tarife hätte eine sofortige Erhöhung der Prämien zur Folge. (GPA)

IMPRESSUM HERAUSGEBER santésuisse – Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn REDAKTION Gregor Patorski, Maud Hilaire Schenker, Abt. Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 41 54, Fax: 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch, Homepage: www.santesuisse.ch PRODUKTION City-Offset, Solothurnstrasse 84, 2540 Grenchen TITELBILD Carsten Reisinger, stockphoto-images.com

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IN KÜR ZE SP gefährdet Managed Care-Vorlage In der Herbstsession wurde die Managed Care-Vorlage verabschiedet. Weil sie den Kompromiss nicht mittragen wollen, sammeln derzeit gewisse Ärztegruppen Unterschriften für ein Referendum. Gegen die Interessen der Allgemeinheit will die Ärzteschaft ihre Pfründe sichern und die Vorlage bodigen. santésuisse steht im Gegensatz zur FMH zum ausgehandelten Kompromiss. Die Versicherer halten Wort und werden die integrierte Versorgung gemeinsam mit innovativen Leistungserbringern weiter entwickeln. Der Kompromiss beinhaltet auch einen verbesserten Risikoausgleich. Diesen unbestrittenen Teil der Vorlage will die SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr mittels einer parlamentarischen Initiative «unabhängig vom Resultat eines allfälligen Referendums» umgesetzt sehen. Auch santésuisse unterstützt die Verfeinerung des Risikoausgleichs nach wie vor, empfiehlt aber vorerst abzuwarten: Eine Annahme dieser pa. Iv. vor einem Volksentscheid würde die Chancen der MC-Vorlage deutlich schmälern. In vorauseilendem Gehorsam stellt sich die SP mit diesem durchsichtigen politischen Manöver auf die Seite von gut- und besserverdienenden Ärzten, anstatt die Interessen der Versicherten zu vertreten. Stellt sich die Frage: Weshalb?

Bund beobachtet Branchenvereinbarung Ende Januar haben die Krankenversicherer eine Branchenvereinbarung unterzeichnet, welche die telefonische Kaltakquise in der Grundversicherung verbietet, die Provisionen für Makler auf 50 Fr. begrenzt und die Qualität bei Maklern sichert. Der Bundesrat erwähnte in der Herbstsession in seiner Antwort auf eine Interpellation von SP-Nationalrat JeanFrançois Steiert das Meldeformular für Versicherte, welches santésuisse unter www.santesuisse.ch/de/meldeformular aufgeschaltet hat. Damit können fehlbare Versicherer oder Versicherungsvermittler gemeldet werden. Überdies verfolge das Bundesamt für Gesundheit die Umsetzung der Vereinbarung aufmerksam. Des

Weiteren wies der Bundesrat darauf hin, dass bei Maklern «ohne vertragliche Verbindung […] die Versicherer keine Möglichkeit [hätten], die Tätigkeit dieser Vermittler zu kontrollieren.» Bei der Analyse der bislang rund 50 Verstösse (von insgesamt gut 170 eingetroffenen Meldungen) lässt sich eine Mehrzahl auf ungebundene Makler zurückführen, gegen deren unqualifiziertes Auftreten die Versicherer – wie der Bundesrat feststellte – keine Handhabe haben. Im Gegensatz zu diesem Makler-Wildwuchs liessen sich nur drei Verstösse direkt auf Versicherer zurückführen. santésuisse hat in diesen Einzelfällen das Gespräch mit den Versicherern gesucht und sie an die Vereinbarung erinnert.

Was ist Repräsentativität? CVP-Präsident Christoph Darbellay fordert in seinem Postulat Kriterien für die Repräsentativität bei Tarifverträgen im Gesundheitswesen. Er verteidigt darin die Physiotherapeuten, welche den Tarifvertrag gekündigt haben, greift den neuen Vertrag von tarifsuisse ag mit ASPI als «unbedeutend» an und bezeichnet ihn indirekt als unglaubwürdig und nicht repräsentativ. Die Zahlen von Herrn Darbellay sind falsch: Mittlerweile haben sich weit über 700 Physiotherapeuten dem Vertrag angeschlossen und täglich werden es mehr. Dies entspricht gut 15% aller selbstständigen Physiotherapeuten. Der CVPPräsident sollte das Wort «unbedeutend» daher nicht allzu vorschnell gebrauchen. Die Fakten: In den letzten Jahren stieg die Zahl der Physio-Praxen um 15%. Dieses wachsende Angebot führte zu einer Mengenausweitung und liess das Bruttovolumen der von den Physiotherapeuten zu Lasten der Grundversicherung verrechneten Leistungen von 475 Mio. Fr. im Jahr 2006 auf 551 Mio. Fr. im Jahr 2010 (+16%) steigen. Gäbe man den For-

derungen von physioswiss nach, würde das zu einem zusätzlichen Prämiensprung von 110 Mio. Fr. jährlich führen.

Weshalb auch Kinder Prämien zahlen müssen Die beiden parlamentarischen Initiativen (pa. Iv.) der Nationalrätinnen Ruth Humbel (CVP) und Susanne Leutenegger Oberholzer (SP) fordern die Prämienbefreiung für Kinder. Dies würde zu einer Mehrbelastung von 1,8 Mia. Fr. für alle anderen Versicherten führen, was rund neun Prämienprozenten entspricht. Diese beiden Initiativen senden grundsätzlich ein falsches Signal aus: Etwas was nichts koste, ist nichts wert. Zudem würde eine solche Verteilung mit der Giesskanne auch Reiche entlasten. Die pa. Iv. greifen in die Kompetenz der Kantone ein, die bereits mit den individuellen Prämienverbilligungen v. a. auch Familien mit Kindern entlasten. Aus diesen Gründen lehnt santésuisse beide Initiativen klar ab. Das KVG ist kein Instrument für Familienpolitik. (GPA)

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Managed Care und Hausärzte 3 Fragen 3 Antworten

Was bedeutet Budgetmitverantwortung?

Die Manged Care-Vorlage, die anlässlich der Herbstsession 2011 von den eidgenössischen Räten angenommen wurde, sieht in Artikel 41c Absatz 4 Folgendes vor: «Die in einem integrierten Versorgungsnetz zusammengeschlossenen Leistungserbringer übernehmen im vertraglich vereinbarten Umfang die finanzielle Verantwortung für die medizinische Versorgung der Versicherten (Budgetmitverantwortung).» Budgetmitverantwortung ist eine zwischen den Vertragspartnern von Manged Care-Leistungen ausgehandelte und gemeinsam getragene ökonomische Verantwortung für die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung eines Kollektivs von Managed Care-Versicherten. Vertragspartner sind einerseits Versicherer und andererseits ein Kollektiv von Leistungserbringern. In diesem Vertrag handeln sie namentlich das Budget und die Gewinn-Verlust-Beteiligung aus. Die Verhandlungselemente des Budgets sind der Budgetbetrag, die Budgetberechnungsmethode, Budgetumfang und Budgetaktivität (z.B. virtuelles Budget ohne Geldtransfer oder physisch ausbezahltes Budget). Das Budget für das versicherte Kollektiv muss risikogerecht berechnet werden. Die Risikoindikatoren können vertraglich festgelegt werden gemäss Personendaten (geeignete Morbiditätsindikatoren) und versicherungstechnischen Faktoren (Höhe der Franchise des Versicherten, Einsparziele, Grossrisikoschwellenwerte). Die Gewinn-Verlust-Beteiligung ist das zentrale Element der ökonomischen Mitverantwortung. Der Budgetbetrag und die tatsächlichen Kosten werden verglichen, wodurch ein Gewinn oder ein Verlust sichtbar wird. Der Leistungsvertrag zwischen Versicherer und Ärztenetz bestimmt die Form und das Mass der Beteiligung. Üblich sind eine betragliche Beteiligung als Bonus/Malus oder eine prozentuale Beteiligung. Weitere Sicherungsmassnahmen können vorgesehen werden: Limitationen, Rückstellungen, Rückversicherungen, Grossrisikoabsicherung. Wichtig: Alle ärztlichen Leistungen werden im Rahmen der Einzelleistungsvergütung abgerechnet. Im Rahmen der Budgetmitverantwortung ist das Budget lediglich ein virtuelles Kostenziel. Wird das Kostenziel überoder unterschritten, wird die Differenz – und nur diese – von den beiden Partnern aufgeteilt. Quelle: Schweizer Dachverband der Ärztenetze medswiss.net, BudgetMITverantwortung und KVG-Revision Managed Care/Integrierte Versorgung, Juni 2010.

Ist die Sicherheit der Versorgung im Rahmen der Budgetmitverantwortung gewährleistet?

Es gibt keinen Anlass zur Befürchtung, dass die Budgetmitverantwortung zu einer Unterversorgung führen wird. Ärzte und Versicherer erarbeiten das Budget zusammen und partnerschaftlich. Die Erfahrung jedes einzelnen Arztes fliesst ein. Die bislang gemachten Erfahrungen der bestehenden Netzwerke sind positiv. Versorgungsnetze mit Budgetmitver-

antwortung gibt es schon seit 20 Jahren; gegenwärtig arbeiten 50 Prozent der Schweizer Allgemeinmediziner vernetzt, 80 Prozent davon mit Budgetmitverantwortung – und es gibt keine Anzeichen von Rationierung in diesen Netzen. Ganz im Gegenteil. Die Ärztenetzwerke sehen sich als Qualitätsgaranten: Sie würden nämlich eine bessere Patientenbetreuung sicherstellen, eine optimale Konzertierung der komplexen Fälle ermöglichen und eine Beteiligung an Qualitätskreisen bieten. Die Gesetzesvorlage zur integrierten Versorgung (Managed Care) enthält eine wichtige Verbesserung des Risikoausgleichs – die Berücksichtigung der Morbidität der Versicherten. Kostspielige Krankheiten und namentlich chronische Krankheiten werden Gegenstand eines Ausgleichs bilden, der die «Jagd nach guten Risiken» verschwinden lassen wird. Die chronisch Kranken werden problemlos in die Netzwerke aufgenommen werden können – und sie werden davon am meisten profitieren. Quelle: Dr. Jacques de Haller, FMH-Präsident, in: Schweizerische Ärztezeitung, 2010; 91: 36, S. 1378–1379

Gehören die Ärztelisten und das Hausarztsystem zu Managed Care?

Nein. Managed Care impliziert ein Ärztekollektiv, eine Budgetmitverantwortung und das Abschliessen eines Vertrags zwischen den Versicherern und dem Kollektiv der Leistungserbringer. Das ist bei der Ärzteliste und beim Hausarzt-Modell aber nicht der Fall. Die von den Versicherern zur Verfügung gestellte Ärzteliste und das Hausarztsystem (auch wenn es die Behandlung koordiniert) sind lediglich alternative Versicherungsmodelle, welche die Wahl des Leistungserbringers eingrenzen und damit Anrecht auf Prämienvergünstigungen geben. So sieht die Managed Care-Vorlage Folgendes vor: «Der Bundesrat kann weitere Versicherungsformen zulassen, die nicht als integrierte Versorgung gelten, namentlich solche, bei denen: a. die Versicherten die Möglichkeit erhalten, sich gegen eine Prämienermässigung stärker als nach Artikel 64 an den Kosten zu beteiligen; b. die Höhe der Prämie der Versicherten sich danach richtet, ob sie während einer bestimmten Zeit Leistungen in Anspruch genommen haben oder nicht; c. die Versicherten gegen eine Prämienermässigung ihr Wahlrecht auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt.» Anders gesagt: Diese Versicherungsmodelle (wählbare Franchisen, Hausarzt, Bonussystem usw.) werden mit dem Inkrafttreten der Managed Care-Vorlage bestehen bleiben. MAUD HILAIRE SCHENKER

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Der Begriff Managed Care ist in aller Munde. Was genau ist damit gemeint?

Managed Care will die Behandlungsqualität verbessern und damit gleichzeitig die Kosten für medizinische Leistungen senken. Dies wird erreicht, indem die Koordination unter den Leistungserbringern (etwa Spitäler, Ärzte) optimiert wird und die Patienten bedürfnisgerecht begleitet und beraten werden. Die Betreuung gewinnt so an Effizienz, unnötige und doppelte Behandlungen entfallen. Managed Care deckt eine ganze Palette von Leistungen ab, angefangen bei der Prävention bis hin zu Betreuungsprogrammen für chronisch Kranke (etwa Programme für Diabetiker). Derartige Programme werden bereits von vielen wichtigen Krankenversicherern sowie auch von Leistungserbringern (Ärzte, Spitäler und andere) angeboten. Managed Care umfasst auch alternative, allen zugängliche Versicherungsmodelle, die auf der Netzwerkbildung der behandelnden Ärzte beruhen. Der Begriff Netzwerk bezeichnet die vertraglich geregelte und strukturierte Zusammenarbeit der Leistungserbringer untereinander, etwa Ärzte, Spitäler, Spitex-Organisationen für Hilfe und Pflege zu Hause, medizinischsoziale Einrichtungen und/oder mit der Krankenversicherung. Diese Netzwerke treten in verschiedenen Formen auf: ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ärzte, Therapeuten) arbeiten «unter einem Dach» zusammen (z. B. HMO); ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ Standorten in ihren eigenen Praxen zusammen; ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ meinsame Budgetverantwortung: Die Ärzte tragen die finanzielle Verantwortung, die sich aus der Betreuung ihrer Patienten ergibt, entweder gemeinsam oder jeder für sich. Der Versicherte eines Managed Care-Modells verpflichtet sich, sich im Krankheitsfall stets zuerst an den gleichen Leistungserbringer («Gatekeeper») zu wenden. Bei diesem Ansprechpartner kann es sich um einen Hausarzt, ein Ärztenetz, eine Gruppenpraxis oder um eine Telefonzentrale für medizinische Beratung handeln.1 Meine Familie ist HMO-versichert. Kann ich mit meiner dreijährigen Tochter einen Kinderarzt aufsuchen (in der HMO-Praxis gibt es keinen Kinderarzt)? Und kann meine Frau für ihre Routineuntersuchungen weiterhin zur ihrer Gynäkologin gehen?

Grundsätzlich kann der Versicherte im Rahmen der Grundversicherung unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei wählen (Art. 41 Abs. 1 KVG). Er kann seine Wahl jedoch im Einverständnis mit seinem Ver-

sicherer auf diejenigen Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer aufgrund deren vorteilhafterer Leistungen bestimmt. In diesem Fall übernimmt der Versicherer nur die Kosten für Leistungen, die von denselben erbracht oder verordnet werden (Art. 41 Abs. 4 KVG). Als Gegenleistung kann der Versicherer die Krankenkassenprämien senken (Art. 62 KVG). Dem Versicherten stehen dabei alle obligatorischen Leistungen zu. In einem HMO-Modell konsultiert der Versicherte immer zuerst seinen HMO-Arzt, der für alle medizinischen Behandlungen (ausser bei einem Notfall) sein Ansprechpartner ist. Innerhalb einer HMOPraxis arbeiten mehrere, für verschiedene Fachgebiete qualifizierte Ärzte und Therapeuten. Fehlt der benötigte Spezialist, werden Sie an einen Spezialisten ausserhalb der HMO-Praxis überwiesen. Der Krankenversicherer legt die einzuhaltenden Bedingungen im Versicherungsvertrag frei fest. So kann die Versicherungspolice festhalten, dass Ihre Frau den Gynäkologen und Ihre Tochter den Kinderarzt direkt aufsuchen kann. Das Gleiche gilt auch für den Augenarzt. Andere Verträge hingegen empfehlen, den Weg über die HMO-Praxis zu gehen. Wieder andere verlangen, den Besuch bei einem der drei genannten Spezialisten im Nachhinein zu melden. Wie Sie vorzugehen haben, ist in Ihrer Versicherungspolice beschrieben.2 Kann man diese besonderen Versicherungsformen auch abschliessen, wenn man in einem Mitgliedstaat der europäischen Gemeinschaft wohnhaft ist?

Laut Art. 101a KVV können Versicherte, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, in Island oder in Norwegen ihren Wohnsitz haben, keine besonderen Versicherungsformen in Anspruch nehmen, ganz gleich, ob es sich um Wahlfranchisen, Bonus-Systeme oder die Versicherungsformen mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer handelt. Hingegen können die Versicherer die Versicherungsform mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer denjenigen Personen – einschliesslich Familienangehörigen – anbieten, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, in Island oder in Norwegen wohnhaft sind, aber in der Schweiz arbeiten. Bei der Festlegung der Prämienermässigungen muss der Versicherer dem Umstand Rechnung tragen, dass sich der Versicherte auch in seinem Aufenthaltsland behandeln lassen kann.

1

2

CSS, FaktenBlatt Gesundheitspolitik, Fragen und Antworten zu Managed Care, 2009 www.fam-santi.ch

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Fragen Antworten

Managed Care: Definition und konkrete Beispiele

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Ergebnisse der neunten sondage santé

Grünes Licht für Managed Care und Rechnungskontrolle Eine zunehmende Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer unterstützt einen weiteren Ausbau der Managed Care-Netze. 72 Prozent sind der Auffassung, dass sie die Qualität der medizinischen Betreuung verbessern und die Gesundheitskosten senken. Zu diesen Ergebnissen kam die neunte sondage santé, die im September der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ausserdem wünschen sich 87 Prozent der Versicherten, dass ihre Krankenkasse die Arztrechnungen genau kontrolliert.

68 Prozent der Befragten gaben an, die Arztrechnung genau zu kontrollieren, doch vertrauen 87 Prozent der Befragten die Rechnungskontrolle den Krankenversicherern an. Damit geben sie den Krankenversicherern in einer aktuellen Frage Rückenwind: Denn um Rechnungen kontrollieren zu können, benötigen die Krankenversicherer die dafür relevanten Daten. Diese positive Haltung im Falle der Rechnungskontrolle wird im Allgemeinen bestätigt: Mit 73 Prozent empfinden Schweizerinnen und Schweizer die Krankenkassen als «vertrauenswürdig» oder «eher vertrauenswürdig». Managed Care bringt Qualität und Kostendämpfung

70 Prozent der Befragten sieht in Managed Care eine wichtige Massnahme zur Kostensenkung – das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Der Bekanntheitsgrad dieser Behandlungsmodelle ist auch dieses Jahr gestiegen, nämlich von 65 auf 76 Prozent. Die Beurteilung ist weiterhin grundsätzlich positiv. 77 Prozent sehen den Vorteil von Managed Care darin, dass dem Patienten stets eine medizinische Fachperson zur Verfügung steht. 72 Prozent schätzen die Qualität der Leistungen in Ärztenetzen höher ein. Doch ist für 55 Prozent die freie Arztwahl wichtig, was gegen Managed Care spricht. Sparen ist nötig

Die meisten Befragten sind sich bewusst, dass gespart werden muss: 80 Prozent halten dies für notwendig. Gespart werden soll dort, wo es einen persönlich nicht trifft. Zuerst bei den Medikamen-

ten (87 Prozent), an zweiter Stelle bei den Krankenkassen (71 Prozent). Diese Rangliste der Befragten zeigt, dass das Wissen über das Gesundheitswesen bei der Bevölkerung nach wie vor schlecht ist, denn sie deckt sich nicht mit den realen Kostenverhältnissen. Von den gesamten Gesundheitsausgaben machen die Verwaltungskosten der Krankenkassen gerade mal gut fünf Prozent aus. Trotzdem ortet eine Mehrheit (71 Prozent) bei den Krankenkassen Sparpotenzial, weil sie die Verwaltungskosten mit gut 30 Prozent viel zu hoch einschätzen. Eine vergleichsweise Kostensenkung wurde im Gesundheitswesen in den letzten Jahren aber nur bei den Verwaltungskosten erreicht. Der grösste Kostentreiber im Gesundheitswesen, die Spitäler, folgen als Akteur mit Sparpotenzial erst an sechster Stelle (50 Prozent). Einheitskasse: Schuss vor den Bug

Ein weiteres Ergebnis betrifft die Einheitskasse: Zwar sind 66 Prozent der Befragten heute für oder eher für die Schaffung einer Einheitskasse, doch möchten 61 Prozent, dass eine Reform nur schrittweise erfolgt und keine «grosse Gesundheitsreform» stattfindet. Die Präferenz steigt mit zunehmendem Alter und ist in der Romandie ausgeprägter als in den anderen Landesteilen.

Die repräsentative Untersuchung sondage santé wurde im Juni 2011 zum neunten Mal in Folge durchgeführt. Der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts DemoSCOPE lag eine repräsentative Stichprobe der Schweizer Bevölkerung zugrunde (1219 Personen). Der Fragebogen wurde von santésuisse und dem Soziologen Franz Neff-Pidoux erarbeitet, der auf Fragen des Wissensmanagements spezialisiert ist. Die Messgenauigkeit beträgt ± 2,8%.

Das Ergebnis darf als ernst zu nehmenden Schuss vor den Bug gewertet werden, der die Unzufriedenheit der Bevölkerung ausdrückt. Bereits vor der Abstimmung im Jahr 2007 zeigte sich ein ähnliches Bild: Je weiter weg der Abstimmungstermin, desto grösser die Zustimmung. Sobald die Nachteile der Einheitskasse (u.a. mehr Bürokratie ohne Mehrwert, keine Kostendämpfung wegen fehlendem Wettbewerb, Kosten des Systemwechsels von mindestens fünf Mia. Franken, keine Auswahl der Krankenkasse) bewusst werden, dürfte die Zustimmung sinken. Trotzdem: Das Ergebnis zeigt, dass die anstehenden Reformen vorangetrieben werden müssen.

PERSÖNLICHES KOSTENBEWUSSTSEIN NUN NOCH EINIGE AUSSAGEN ZUM PERSÖNLICHEN KOSTENBEWUSSTSEIN. SAGEN SIE MIR BITTE, WELCHE DER FOLGENDEN AUSSAGEN FÜR SIE ZUTREFFEN UND WELCHE NICHT ZUTREFFEN.

KONTROLLE ARZTRECHNUNG

68%

KONTROLLE DURCH KRANKENKASSE

87%

EMPFEHLUNGEN DER KK BEFOLGEN

50%

KOSTEN SPIELEN KEINE ROLLE

41%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

SONDAGE SANTÉ 2011 (BASIS:1219)

Der Grossteil der Prämienzahler wünscht, dass die Krankenversicherer die Rechnungskontrolle an die Hand nehmen. Um Rechnungen kontrollieren zu können, brauchen letztere die dafür relevanten Daten.

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Prämienerhöhungen sind Problem

Die Prämienerhöhungen beschäftigen die Schweizer jedes Jahr aufs Neue. Als Ursache dafür sehen 32 Prozent die Arztbesuche, 20 Prozent die teuren Medikamente und 13 Prozent machen die Krankenversicherer selbst für die Prämienerhöhungen verantwortlich. Nach wie vor mangelt es der Bevölkerung an Kenntnissen über das Gesundheitswesen, und zwar sowohl, was die Höhe der Verwaltungskosten angeht, als auch in Bezug auf die Ursachen für Kostenanstiege und entsprechende Sparmöglichkeiten. 84 Prozent sind ihrer «Kasse» treu

Wie jedes Jahr galt ein Teil der Fragen dem Image der Krankenversichererbranche. Den Ergebnissen nach zu schliessen, werden die Krankenversicherer tendenziell als modern, glaubwürdig, sympathisch und aufgeschlossen empfunden. Ein Drittel der Bevölkerung nimmt sie als transparent wahr. Dieses eher positive Image wird durch die Tatsache bestätigt, dass 84 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer die Krankenkasse nicht gewechselt haben. Weil sie mit ihr zufrieden sind. Auf ein positives Echo stossen auch die telefonischen Auskunftsdienste, die elektronischen Patientendossiers und die Versicherungskarten. Sie werden von über 70 Prozent der Befragten gutgeheissen.

SPAREN IM GESUNDHEITSWESEN SIE SIND ALSO DER MEINUNG, DASS IM GESUNDHEITSWESEN GESPART WERDEN MUSS. ABER WO SOLLTE MAN ANSETZEN? ICH NENNE IHNEN NUN EINIGE VORSCHLÄGE. SAGEN SIE BITTE JEWEILS, OB SIE DA KEINESFALLS SPAREN WÜRDEN, ODER OB MAN DIE SPARMÖGLICHKEITEN PRÜFEN SOLLTE.

MEDIKAMENTE

87%

KRANKENKASSEN

71%

SPITZENMEDIZIN

65%

ANZAHL APOTHEKEN

56%

ÄRZTLICHE BEHANDLUNGEN

55%

ANZAHL SPITÄLER

50% 10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

SONDAGE SANTÉ 2011 (BASIS:1219)

Von den gesamten Gesundheitsausgaben machen die Verwaltungskosten der Krankenkassen gerade mal gut fünf Prozent aus. Trotzdem ortet eine Mehrheit (71 Prozent) bei den Krankenkassen Sparpotenzial, weil sie die Verwaltungskosten mit gut 30 Prozent viel zu hoch einschätzen.

MANAGED CARE ES GIBT NETZWERKE, IN DENEN ÄRZTE VERSCHIEDENSTER FACHRICHTUNGEN, SPITÄLER UND MEDIZINISCHE FACHPERSONEN ZUSAMMENARBEITEN. EINIGE KRANKENKASSEN HABEN ANGEBOTE IN DER GRUNDVERSICHERUNG, WO MAN IN JEDEM FALL ZUERST EIN SOLCHES NETZWERK AUFSUCHEN MUSS, WENN MAN ERKRANKT. DAFÜR SIND DANN DIE PRÄMIEN

Kopfprämie wackelt

36 Prozent befürworten das heutige System der Kopfprämien gegenüber 25 Prozent, die ein dem Einkommen angepasstes System favorisieren. Allerdings ist bei den Befürwortern der Kopfprämien eine signifikante Abnahme von 12 Prozent festzustellen. Was zahlt die Grundversicherung? Diese Frage beschäftigt die Öffentlichkeit stark. 76 Prozent der Bevölkerung sind für eine Kosten-/Nutzen-Analyse der kostspieligsten medizinischen Leistungen. 88 Prozent wünschen sich eine Übernahme sehr teurer Leistungen durch den Krankenversicherer. SILVIA SCHÜTZ

TIEFER. HABEN SIE DAVON SCHON GELESEN ODER GEHÖRT? WEISS NICHT 1% NOCH NIE GEHÖRT 24% (-10) SCHON GEHÖRT 75% (+11)

SONDAGE SANTÉ 2011 (BASIS: 1219)

Der Bekanntheitsgrad von Managed Care ist auch dieses Jahr stark gestiegen, nämlich um 11 Prozent.

Der gesamte Bericht der sondage santé sowie Referate finden Sie unter www.santesuisse.ch – Presse – Communiqués – 8. September 2011.

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Grafik des Monats

Koordination der Behandlungen: Hier hapert es in der Schweiz noch

Ergebnisse nicht gerade zufriedenstellend

So geben etwa 25 Prozent der Befragten an, dass ihre Hausärztin bzw. ihr Hausarzt durch den Spezialisten nicht über den neuesten Stand von dessen Behandlung informiert worden sei (Grafik 3). Hier figuriert die Schweiz im hinteren Teil der Liste. Nur Neuseeland, Schweden und Norwegen schneiden noch schlechter ab. Etwas besser steht es um die Informationen, die der Spezialist vom Hausarzt erhält. Hier geben 15,1 Prozent der Bevölkerung an, dass der Spezialist nicht durch den Hausarzt informiert werde (Grafik 2). Auch finden 24 Prozent der Bevölkerung (Grafik 1), dass die Behandlungen nur gelegentlich oder selten durch den Hausarzt koordiniert bzw. organisiert würden. Unter Koordination versteht man das Vereinbaren eines Termins beim Spezialisten, den Informationsfluss zwischen dem Hausarzt und anderen behandelnden Ärzten sowie das Sicherstellen, dass der Patient die richtige Behandlung erhalten hat.

Heisst die Lösung Managed Care?

Die Lösung zur Verbesserung dieser Ergebnisse liegt greifbar nah und heisst Managed Care. Das Ziel von Managed Care/Integrierter Versorgung ist es ja gerade, solche Mängel zu beheben und

eine intensivere Betreuung des Patienten in der gesamten Behandlungskette sicherzustellen. Wenn alle Akteure (Patient, Arzt, Pflegepersonal) über die verschiedenen Etappen hinweg gut informiert sind, kommt das im Endeffekt der Behandlungsqualität zugute: Der Patient erhält eine angemessene Behandlung, Doppelspurigkeiten und medizinische Fehler werden verhindert. MAUD HILAIRE SCHENKER

GRAFIK 1: KOORDINATION/ORGANISATION VON BEHANDLUNGEN DURCH ARZT/ÄRZTIN, INTERNATIONALER VERGLEICH QUELLE: OBSAN

100% 80% 60% 40% 20% 0% NZ

GB

US

IMMER/HÄUFIG

AU

CA

CH

DE

NO

FR

NL

SE

MANCHMAL/SELTEN ODER NIE

GRAFIK 2: SPEZIALIST/IN WURDE VON GEWOHNTEM/R ARZT/ÄRZTIN NICHT INFORMIERT, INTERNATIONALER VERGLEICH 100%

QUELLE: OBSAN

Die Fragen decken ein breites Themenspektrum ab. Dieses reicht von der Wahrnehmung des Gesundheitssystems und seiner Leistungen über die Gesundheitsausgaben bis zum selbst bewerteten Gesundheitszustand der befragten Personen. Die Schweiz schneidet im internationalen Vergleich bei allen Themen relativ gut ab. In einem Bereich hapert es allerdings noch: Die Koordination der Behandlungen und der Informationsfluss zwischen (Haus-)Ärzten und Spezialisten sind noch verbesserungswürdig.

In Bezug auf die Koordination und den Informationsfluss liegt die Schweiz im Mittelfeld, während Grossbritannien und Australien obenaus schwingen. Schweden und Neuseeland bilden auch hier die Schlusslichter.

80% 60% 40% 20% 0% FR

AU

NEIN

NL

NO

CA

GB

CH

US

DE

NZ

SE

JA

GRAFIK 3: GEWOHNTE/R ARZT/ÄRZTIN WURDE VON SPEZIALIST/IN NICHT INFORMIERT, INTERNATIONALER VERGLEICH 100%

QUELLE: OBSAN

Das Gesundheitsobservatorium (Obsan) publizierte in einem Bericht die Ergebnisse der Umfrage «International Health Policy Survey» 2010 des Commonwealth Fund, durchgeführt bei der Bevölkerung von 11 Ländern. Die Schweiz nahm 2010 erstmals an dieser Umfrage teil. 1306 Personen ab 18 Jahren, wohnhaft in der Deutschschweiz, in der Romandie und im Tessin, beantworteten am Telefon 25 Fragen.

80% 60% 40% 20% 0% GB NEIN

AU

DE

NL

FR

CA

US

CH

NZ

SE

NO

JA

Der Informationsfluss zwischen Spezialisten und Allgemeinpraktikern ist in allen Ländern noch stark verbesserungsfähig. Die Schweiz befindet sich im europäischen Mittelfeld.

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Die Zukunft von Managed Care

info santĂŠsuisse Das Magazin der Schweizer Krankenversicherer

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Gesundheitsökonom und Krankenversicherungs-Experte Konstantin Beck äussert sich im Interview zu den brennenden Fragen rund um Managed Care (MC): Zukunft, Erfolgsfaktoren, Preis und Qualität.

Wie schätzen Politiker Gegenwart und Zukunft von Managed Care (MC) ein? Wir baten profilierte Meinungsträgerinnen und Meinungsträger um ihre Einschätzung.

Integrierte Versorgung, HMO, Ärztenetze, Managed Care. Alle verstehen etwas anderes darunter. Was Managed Care im weiten Sinn bedeutet und was in der engen Variante (die ins KVG soll), lesen Sie am besten zuerst.

Inhalt Im Fokus

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Konstantin Beck erklärt Managed Care Politik-Umfrage: Gegen MC ist eigentlich niemand, der Teufel liegt im Detail Facts & Figures zu Ärztenetzwerken Vor bald zwanzig Jahre startete im Kanton Genf das Ärztenetzwerk DELTA Scheitert Managed Care am Hausarztmangel oder ist es dessen Lösung? Alle Antworten, die Sie schon immer zu Managed Care geben wollten Integrierte Versorgung am Beispiel des Diabetes mellitus

Gesundheitswesen

22 Die wichtigsten Neuerungen in der Pflegefinanzierung 24 Buch: Sozialversicherungen in der Schweiz 25 Buch: Standardwerk Gesundheitswesen Schweiz 2010 – 2012 Rubriken

18 19 21 26 26 27 28

Grafik des Monats: Managed Care ist eine Erfolgsstory Drei Fragen an den Geschäftsführer der Stiftung Patientensicherheit Bild des Monats Klipp&klar: Neue Verordnungen zu MiGeL und Leistungen im Überblick Aus aller Welt Veranstaltungen Die Branchenlösungen der SASIS AG für die Zukunft

NR. 9–10, NOVEMBER/DEZEMBER 2010. Erscheint zehnmal jährlich ABONNEMENTSPREIS Fr. 69.− pro Jahr, Einzelnummer Fr. 10.− HERAUSGEBER UND ADMINISTRATION santésuisse, Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn VERANTWORTLICHE REDAKTION Silvia Schütz, Abteilung Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 41 53, Fax 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch HERSTELLUNG: Rub Graf-Lehmann, Murtenstrasse 40, 3001 Bern GESTALTUNGSKONZEPT: Pomcany’s LAYOUT: Henriette Lux ANZEIGENVERWALTUNG: Alle Inserate − auch Stelleninserate − sind zu richten an: «infosantésuisse», Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn E-Mail: redaktion@santesuisse.ch ABONNEMENTSVERWALTUNG Tel. 032 625 42 74, Fax 032 625 41 51 Homepage: www.santesuisse.ch Titelbild: Prisma, Schlieren-Zürich ISSN 1660-7228

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Der Teufel steckt im Detail

Bei Redaktionsschluss wurde in Bern noch über Managed Care debattiert. Definitiv entschieden wird wohl im nächsten Frühling oder Sommer. Aktueller könnte das Thema dieses Heftes nicht sein. Umfragen und Zahlen zeigen, dass Ärztenetze mit Budgetmitverantwortung auf dieses Jahr in der Gunst der Versicherten um 57,7 Prozent zugelegt haben! Die Statistiken zeigen auch, dass die Beliebtheit von anderen Ärztenetzwerken seit dem Start vor 20 Jahren zunehmend gestiegen ist. Wie immer auch die laufende Debatte im Detail ausgeht und entschieden wird, Managed Care wird künftig einen hohen Stellenwert haben. Doch ein Ja, auf das die Krankenversicherer stark setzen, wäre ein dringendes und wichtiges Zeichen der Politik, dass Reformen und Verbesserungen des KVG im Sinne der Prämienzahler möglich sind. Grundsätzlich hat man im Parlament auch einen Kompromiss erarbeitet. Der Teufel steckt wie immer im Detail und im politischen Kalkül.

Nikolai Dittli Verwaltungsrat santésuisse

Aus Sicht der Prämienzahler ist die Vorlage dann gut, wenn sie die Rahmenbedingungen für innovative, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Managed Care-Angebote schafft. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn Gestaltungsfreiräume für Leistungserbringer und Krankenversicherer wenigstens hier erhalten blieben. Denn die Prämienzahler üben durch die Wahl des Krankenversicherers (mit dem für sie idealen Angebot) genügend Druck aus, damit kreative Modelle auf den Markt kommen, die den Fokus auf optimale Koordination und Qualität legen. Und es ist den Leistungserbringern und Krankenversicherern zuzutrauen, dass sie aufgrund dieses Drucks durch die Kunden gemeinsam kundenfreundliche Lösungen bereitstellen. Der differenzierte Selbstbehalt von zehn Prozent für Versicherte in MCModellen und 20 Prozent für Versicherte in Standardmodellen ist versicherungstechnisch sinnvoll. Den Entscheid, ob er künftig fünf bzw. 15 Prozent betragen soll, werden die Politiker aufgrund sozialpolitischer Überlegungen fällen müssen, zentral jedoch ist die Differenzierung um zehn Prozentpunkte. Unbedingt gutgeheissen werden muss – und dies befürwortet santésuisse zusammen mit fast allen Partnern im Gesundheitswesen – der verfeinerte Risikoausgleich mit zusätzlichen Morbiditätskriterien. In jedem Fall aber erhoffen wir vom Parlament, dass diese Vorlage nun erfolgreich zum Abschluss gebracht wird. Die Krankenversicherer sind bereit, die Beschlüsse dann tatkräftig umzusetzen. Welche Themen rund um die MC-Diskussion aufleben und mit ihr verknüpft werden, erfahren Sie in diesem Heft. Ich wünsche Ihnen gute Lektüre!

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Im Gespräch mit Konstantin Beck, Leiter des CSS Instituts für empirische Gesundheitsökonomie

«Die Sorge der Politik um die Zusammensetzung des MC-Kollektivs ist übertrieben» Ärztenetzwerke entstanden, als das Katz-und-MausSpiel zwischen Versicherern und Ärzten einer Partnerschaft wich. Unterdessen ist Managed Care (MC) eine Erfolgsstory, deren Zukunft bei Redaktionsschluss im Parlament verhandelt wurde. Gesundheitsökonom und Krankenversicherungs-Experte Konstantin Beck äussert sich im Interview unter anderem zu den Erfolgfaktoren und Zukunft von Managed Care (MC), zu Vor- und Nachteilen verschiedener Angebote, zur oft diskutierten Risikoselektion und zu Preis und Qualität.

1990 war die Schweiz das erste europäische Land, das Ärztenetzwerke in seiner sozialen Krankenversicherung zuliess. Inwiefern war das aus Ihrer Sicht ein Meilenstein?

Die Einführung von Managed Care-Modellen ermöglicht ganz neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Krankenversicherung und Leistungserbringer. Im traditionellen Einzelleistungssystem ist jeder einzelne Leistungserbringer dem ganz grundsätzlichen Verdacht ausgesetzt, er verrechne zu viele Leistungspositionen, um so sein Einkommen aufzubessern. Die Anreize, so zu handeln, sind klar gegeben. Und es gibt auch eine Reihe von Ärzten, die ihre Berufsethik hintenanstellen und das System ausnutzen. Nun weiss der Versicherer aber in der Regel nicht, welches die schwarzen Schafe sind, und somit fallen alle Leistungserbringer – und damit viele zu Unrecht – unter diesen Generalverdacht. Das führt zwangsläufig zu einem Kontrollsystem. Versicherer versuchen mit immer ausgefeilteren Methoden, die Leistungserbringer zu überwachen. Diese fühlen sich schikaniert und greifen ihrerseits zu immer neuen Verfahren, um die Kontrollen der Versicherer ins Leere laufen zu lassen. Ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel. Die Wachstumsraten der Vergangenheit zeigen, dass die Leistungserbringer das Spiel nicht so schlecht beherrschen.

Und Managed Care brachte Katz und Maus zuammen...

Die Ökonomen fragten sich schon vor Jahrzehnten, wie dieser Kreislauf durchbrochen werden könnte. Daraus ist Managed Care entstanden. Im Managed Care-Vertrag ist der Leistungserbringer nicht mehr der Gegner der Kasse, sondern ein wichtiger Partner. Er legt den optimalen Behandlungspfad fest und achtet dabei gleichzeitig auf das ihm zur Verfügung stehende Budget. Die Interessen von Versicherung und Ärzten decken sich hier. Wenn der Arzt einen sehr effizienten Behandlungspfad wählt, kann er sogar noch zusätzlich Gewinn machen, weil er sein Budget unterschreitet. Effizientes Verhalten lohnt sich für Arzt und Versicherer. Und der Patient profitiert von einer optimalen Behandlungsqualität.

«Allerdings ist es für einen Markt paradox, dass für bessere Qualität ein geringerer Preis zu entrichten ist, was von vielen Kunden denn auch nicht verstanden wird.» Welche Angebote sind in der Schweiz entstanden und wie beurteilen Sie diese?

Es gibt im Wesentlichen vier Modelltypen. Erstens das telemedizinische Modell: Hier wendet sich der Versicherte zuerst telefonisch an den Gatekeeper. Der gibt den Zugang zu anderen Leistungserbringern frei. Die Wirkung ist aus zwei Gründen eher eingeschränkt. Der Mediziner im Callcenter sieht den Patienten nicht – kennt ihn in der Regel auch nicht. Das erschwert den Entscheid, ob eine medizinische Behandlung wirklich notwendig ist. Zudem fällt der Mediziner am Telefon nur den Initialentscheid und hat nachher wenig Einfluss auf den Ablauf der Behandlung. Auch wenn die Behandlung sinnvoll ist, kann sie immer zu extensiv erbracht werden. Und die Vorteile?

Konstantin Beck Konstantin Beck ist Leiter des CSS Instituts für empirische Gesundheitsökonomie, verantwortlicher Aktuar der CSS Krankenversicherung AG und Titularprofessor der Universität Zürich. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Studien zu Fragen rund um die Finanzierung und Effizienz von Gesundheitsleistungen veröffentlicht und hat das in der Risikoausgleichsrevision 2012 zur Anwendung kommende Ausgleichsmodell entwickelt und propagiert. Auf Grund seiner Publikationen ist er Berater von Gesundheitspolitikern, Ministerien und Regierungen im In- und Ausland. (www.css-institut.ch) Im März 2011 erscheint im Haupt Verlag sein jüngstes Buch. Beck, Konstantin (Hrsg.): Risiko Krankenversicherung, Haupt Verlag Bern, 450 Seiten.

Ein klarer Vorteil liegt darin: Es vermittelt medizinische Fachkompetenz auch in abgelegene Randregionen und das rund um die Uhr. Und die nötigen Anfangsinvestitionen, um ein solches Modell aufzubauen, sind nicht sehr hoch. Zudem ist der administrative Verkehr Krankenkasse/Gatekeeper übersichtlich. Der zweite Modelltyp sind die Listenmodelle: Hier gibt der Versicherer dem Kunden eine Liste von bewährten Hausärzten vor, die er als Gatekeeper wählen muss. Nur über die aus der Liste gewählte Ärztin bekommt der Kunde Zugang zum Gesundheitswesen. Der Vorteil liegt darin, dass mit den Ärzten auf der Liste keine langwierigen Verhandlungen geführt werden müssen und dass der Versicherer, sofern er die Leistungserbringer wirklich gut einschätzen kann, selber entscheiden kann, wen er auf der Liste aufnimmt und wenn nicht. Der Nach-

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Foto: ZVG

Wie bewerten Sie diese vier Modelle hinsichtlich Qualität und Preis-/Leistung?

Das Preis-/Leistungsverhältnis der verschiedenen Produkte ist sehr aussagekräftig. Listenmodelle und telemedizinische Modelle zeitigen geringere Kostenspareffekte und werden auch mit geringeren Rabatten angeboten. Hohe Rabatte gibt es für die restriktiveren aber auch gleichzeitig wirkungsvollen Modelle. Der Kunde bekommt dadurch ein informatives Preissignal und kann sich entscheiden, wie viel Rabattgewinn er gegen wie viel Einschränkung bei der Arztwahl eintauschen will. Über den Preis wird viel geredet. Vergessen geht dabei der positive Einfluss von HMO-Modellen und Netzwerken auf die Qualität. Konstantin Beck: «Die Wachstumsraten von Modellen mit Budgetverantwortung der Ärzte sind dramatisch hoch.»

teil liegt darin, dass die Ärzte selber keinen Kostenspar-Anreiz haben. Ihnen kann es eigentlich egal sein, ob ihr Zugangsentscheid gerechtfertigt war oder nicht. Gewisse Mediziner gehen sogar soweit, dass sie die Listenmodelle vollständig boykottieren und die Patienten zum Wechsel des Versicherers aufrufen. Listenmodelle gelten eben auch als Pseudomodelle.

Besser, weil auf gegenseitiger freiwilliger Zusammenarbeit basierend, sind die HMO-Modelle: Hier übernimmt die HMOPraxis die Budgetverantwortung für das bei ihr eingeschriebene Kollektiv und hat somit den Anreiz, effizient zu arbeiten. Dieses Modell steht und fällt mit der Art der Budgetverantwortung. Ist diese sehr large formuliert, ist auch die Einsparung bescheiden. Auf der anderen Seite gibt es Modelle, die die Leistungserbringer stark anbinden, indem der Versicherer die HMO-Ärzte direkt anstellt. Auch wenn in diesen Modellen in allen bisher durchgeführten Untersuchungen die stärksten Spareffekte nachgewiesen werden können, besteht hier ein Grössenproblem: In den letzten zehn Jahren ging das Bestreben in die Richtung, den HMOs ein möglichst grosses Kollektiv zuzuweisen, um so das (nicht unerhebliche) Zufallsrisiko1 zu reduzieren. Die Schweiz verfügt jedoch nicht über so grosse Managed Care-Organisationen wie die Vereinigten Staaten mit ihren ungleich grösseren Versichertenzahlen.

Hinsichtlich der Qualität ist der Rabatt ebenfalls aussagekräftig. Qualitätszirkel und damit ein sonst in den Arztpraxen wenig verbreitetes Qualitätsinstrument gibt es nur bei HMO und Netzwerken, also wiederum dort, wo der Rabatt hoch ist. Allerdings ist es für einen Markt paradox, dass für bessere Qualität ein geringerer Preis zu entrichten ist, was von vielen Kunden denn auch nicht verstanden wird. Laut Gesetzesentwurf müssten MC künftig Budgetmitverantwortung tragen. Welche Arten der Budgetmitverantwortung gibt es bei der CSS Gruppe?

Die CSS darf wahrscheinlich für sich in Anspruch nehmen, die Kalkulationen von Managed Care-Budgets am weitesten voran getrieben zu haben. Ganz sicher ist die Schweizer Branche in diesem Punkt ein Vorbild für Deutschland, wo bis heute noch kaum so komplexe und gleichzeitig faire Budgets berechnet werden können. Diese Berechnungen lassen sich ganz einfach zusammen fassen: Es geht darum, die Versicherten eines MC-Modells in verschiedene, möglichst aussagekräftige Risikogruppen zu unterteilen und für diese Gruppen die zu erwartenden Kosten festzulegen. Dazu kommen noch weitere Absicherungen, z.B. eine Rückversicherung für das MC-Modell usw. Um das ganze ein wenig in Zahlen fassen zu können: Als ich 1993 zur Versicherung kam, konnten die angewandten Kalkulationen gerade einmal vier Prozent des Versichertenrisikos erklären. Heute sind die Modelle zehn- bis zwölfmal aussagekräftiger. Vollständige Risikoerklärung gibt es hoffentlich nie, weil ohne Restrisiko auch die Notwendigkeit einer risikotragenden Krankenversicherung wegfällt.

Was kann man dagegen tun?

Mit der Budgetverantwortung beteiligt sich der Arzt am Risiko.

Die Lösung bestand darin, und das wäre das vierte Modelle, bestehende Einzel- oder Gruppenpraxen zu vernetzen. Das erhöht das Einzugsgebiet und minimiert das Risiko des Netzwerks. Allerdings erfordert ein solches Netzwerk wiederum Managementfähigkeiten, müssen doch gewisse Behandlungsstandards verbindlich durchgesetzt werden.

Genau. Unter Budgetverantwortung fallen bei der CSS diejenigen Modelle, in denen die Ärzte einen relevanten Teil des finanziellen Risikos schultern. Neben den fairen und technisch raffinierten Budgetmodellen gibt es auch homöopathischere Ansätze. Bei diesen beteiligt sich der Arzt im Falle der Unterschreitung eines virtuellen Budgets am entstande-

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nen Gewinn. Entsprechende Verlustbeteiligungen sind oft nicht vorgesehen, womit die Steuerungswirkung dieser Verträge stark vermindert wird. Sobald die staatliche Vorschrift der Budgetverantwortung kommt, ist der Weg nicht mehr weit zu zentral und bürokratisch festgelegten Budgetmodellen. Dann wäre ein weiterer, wesentlicher Wettbewerbsparameter auf dem Altar des angeblichen Transparenzgewinnes geopfert worden. Eine durchaus betrübliche Perspektive. Haben die von den Krankenversicherern erfolgreich propagierten so genannten «Soft-Managed Care-Verträge» eine Zukunft? Die Ärzte werden in solchen Modellen nicht mehr vertraglich eingebunden und haben dann auch keine Budgetverantwortung.

Sie würden auch künftig wählbare Modelle bleiben, welche gute Behandlungsqualität und verringerte Prämien bieten.

«Ganz sicher ist die Schweizer Branche in diesem Punkt ein Vorbild für Deutschland, wo bis heute noch kaum so komplexe und gleichzeitig faire Budgets berechnet werden können.» Welche Einsparungen können mit Managed Care erzielt werden?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen in aufwändigen Verfahren die offensichtlichen Kostenvorteile der MCModelle (sie betrugen zwischen 1998 und 2008 im Jahresdurchschnitt zwischen 30 und 60 Prozent) in einen Kosteneinspareffekt und einen (immer vorhandenen) Risikoselektionseffekt aufgeteilt werden. Wenn wir zwei Analysen heraus greifen, so zeigt sich das folgende Bild: Auf Grund der offiziellen Berechnungsmethode des BAG ergeben sich in den Modellen mit Budgetverantwortung (von 2005 bis 2009) Einsparungen von 28 bis 32 Prozent, in den Listenmodellen solche von 18 bis 30 Prozent. Eine sehr viel strengere Methode des CSS Instituts kommt auf eingesparte Leistungen von 18 Prozent (im Jahr 2007). Allerdings leiten sich die 18 Prozent von den bereits sehr niedrigen Kosten innerhalb der MC-Modelle ab. Berechnet man die Einsparung bezogen auf die durchschittlichen OKPKosten aller Versicherter (d.h. inklusive der ordentlich Versicherten), so beträgt die Einsparung noch 9,3 Prozent. Wie auch immer gerechnet wird, für die meisten Modelle können signifikante, über mehrere Jahre hinweg anfallende Einsparungen nachgewiesen werden.2

Wer ist für die Einsparungen in MC-Modellen verantwortlich: Sind es die Ärzte oder die Kunden, die diese Modelle wählen?

Diese wichtige, aber kaum diskutierte Frage haben wir an unserem Institut untersucht. Bisher konnten wir nur nachweisen, dass sich in der HMO vor allem Versicherte sammeln, die grundsätzlich sparsam und zurückhaltend mit der Ressource Gesundheitsleistung umgehen. Dass heisst, die Bevölkerung lässt sich in verschiedene Risikoklassen aufteilen und jede Risikoklasse lässt sich wiederum in Personen mit zurückhaltendem und solche mit extensivem Konsum unterteilen. In den MC-Modellen trifft man nun vorwiegend die erste Gruppe an. Das ist nun nicht Risikoselektion, wie wir sie sonst kennen. Es geht nicht nur darum, dass die Kranken in der ordentlichen Versicherung bleiben und sich die Gesunden im MC-Modell sammeln. Sondern es geht um kranke und gesunde Personen in Managed CareModellen, die sich durch einen zurückhaltenden Konsum auszeichnen. Das heisst, die relativ Gesunden im MC-Modell sind auch noch sparsamer. Diese erste Evidenz ist allerdings noch sehr schwach und das Thema beschäftigt uns zur Zeit noch sehr intensiv. Lässt sich ein Röstigraben in der Beliebtheit von MC feststellen?

Während die Westschweizer als Entschädigung dafür, dass sie auf die freie Arztwahl verzichten, sehr viel Geld fordern, ist den Ostschweizern die freie Arztwahl viel weniger wichtig. Das belegen eine Reihe von Zahlungsbereitschafts-Untersuchungen der Universität Zürich eindrücklich. Welches sind die optimalen Rahmenbedingungen für MC?

Kosten sparen steht immer im Konflikt mit der Risikoselektion. Solange es für den Versicherer attraktiver ist, einen Prämienvorteil durch Risikoselektion zu erlangen, wird er der Kosteneinsparung weniger Gewicht einräumen. Insofern sind die optimalen Rahmenbedingungen dann gegeben, wenn der Risikoausgleich die Selektionsgewinne abschöpft. Dann ist der Versicherer gezwungen, sich durch gute MC-Modelle im Markt vorteilhaft zu positionieren. Wieviel Staat braucht es?

Ganz wichtig – das zeigt die Geschichte der Managed CareBewegung – sind die sehr liberalen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Es war in den letzten 20 Jahren mehrmals nötig – aber eben auch möglich – das MC-Angebot zu optimieren. Ohne die liberale gesetzliche Regelung hätte das Projekt MC schon bald definitiv Schiffbruch erlitten. Ein anschauliches Beispiel für den Effekt der Überregulierung liefern unsere nördlichen Nachbarn, welche noch nach Jahren nicht über das Anfangsstadium hinaus gekommen sind.

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Welches sind die Erfolgsfaktoren von Managed Care bzw. integrierter Versorgung – mit oder ohne Annahme der Teilrevision KVG?

Zur Teilrevision MC ist zu sagen, dass die wichtigen Anreizverzerrungen ausgeklammert werden und dafür dort Anreize verstärkt werden, wo das Wachstum bereits sehr gross ist. Die Politik geht auf Grund stark veralteter Daten davon aus, dass die Nachfrage nach MC-Modellen zu klein sei. Ein Blick in die jüngere Statistik zeigt Folgendes: Gesamtschweizerisch haben 32 Prozent der Versicherten 2010 ein Listenmodell, 5,7 Prozent ein Budgetmodell und 5,9 Prozent ein telemedizinisches Modell gewählt. Dabei weisen die Listenmodelle eine Wachstumsrate von 23 Prozent, die Capitationmodelle, also Modelle mit Budgetverantwortung, eine solche von 57,7 Prozent (!) auf. Vor allem die Wachstumsraten sind dramatisch hoch.3

Wie steht es um das Angebot von Ärzten?

Die Ärzte haben als Folge des Kontrahierungszwanges wenig Anreiz, Budgetverantwortung zu übernehmen. Kommt dazu, dass der Zulassungsstopp den jungen und innovationsfreudigeren Ärzten den Zugang in den Markt verwehrt hat. Insofern haben wir es mit einem Angebotsproblem (auf Ärzteund nicht auf Versichererseite) zu tun. Die Teilrevision, welche hauptsächlich die Nachfrage ködert, würde daher nichts weiter als einen noch grösseren Nachfrageüberhang produzieren. Angesichts der Zurückhaltung der Leistungserbringer (mit Ausnahme natürlich der wichtigen und erfolgreichen Pionierärzte auf dem Gebiet Managed Care, welche bewiesen haben, dass MC ein Erfolgsmodell sein kann), müssen sich die Versicherer überlegen, vermehrt auf eigene Praxen mit lohnabhängigen Ärzten zu setzen. INTERVIEW: SILVIA SCHÜTZ

Und wie beurteilen Sie die Sorge um die Risikoselektion mit HMO-Modellen?

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Zufallsrisiko: Zahlungen für Leistungen sind rein zufällig deutlich höher als die Budgetvorgabe Eine fundierte Zusammenstellung der Analysen wird im März 2011 im Haupt Verlag erscheinen (Beck, Konstantin (Hrsg.): Risiko Krankenversicherung, Bern, 450 Seiten.) Datenpool santésuisse, August 2010 und Grafik infosantésuisse, S. 18.

Foto: Keystone

Die Sorge der Politik um die Zusammensetzung des MC-Kollektivs ist übertrieben. Es stimmt zwar, dass in den jungen HMO vor allem gesunde Versicherte eintreten. Aber das ist ein reines Start-up-Phänomen. Sobald die HMO älter wird, werden es auch ihre Kunden und damit werden diese auch kränker und nähern sich Schritt für Schritt dem Gesundheitszustand der ordentlich Versicherten an. Hier braucht es nichts weiter als ein wenig Geduld.

Als die Katz-undMaus-Spiele zwischen Ärzten und Krankenversicherern aufhörten, begann die Zeit der Ärzte- und Versorgungsnetze.

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Umfrage: infosantésuisse fühlt den politischen Puls zu Managed Care

Die Zukunft von Managed Care aus Sicht der Politik

Toni Bortoluzzi (svp), Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR (SGK-NR)

Jacqueline Fehr (sp), Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR (SGK-NR)

Ignazio Cassis (fdp), Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR (SGK-NR)

Foto: ZVG

Fotos: www.parlament.ch

Entschieden wird vermutlich erst im Frühling, die Managed Care-Vorlage wurde bei Redaktionsschluss immer noch im Parlament beraten. Wir nutzten die Gelegenheit und fragten Politikerinnen und Politiker aus verschiedenen politischen Lagern und aus allen Regionen der Schweiz, wie sie die Zukunft für Managed Care beurteilen. Eines ist klar: Managed Care (MC) ist nicht mehr wegzudenken aus unserem Gesundheitssystem – bei einem Ja oder Nein zur Vorlage.

Jean-François Steiert (sp) ist unter anderem Vizepräsident des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspolitik.

Wie sieht die Zukunft von Managed Care aus, falls die Revision vom Parlament abgelehnt wird? Und falls die Revision mit fünf Prozent Selbstbehalt (maximal 500 Franken Kostenbeteiligung pro Jahr) für MC-Angebote mit Budgetverantwortung und 15 Prozent Selbstbehalt (maximal 1000 Franken pro Jahr) für alle anderen Modelle angenommen wird?

Wenn sich die Vorlage für Managed Care (integrierte Versorgungsnetze) durchsetzt, dürfte es in drei bis fünf Jahren allen Versicherten, unabhängig vom Wohnort, möglich sein, sich in einem Netzwerk behandeln zu lassen. Bei Ablehnung der Vorlage wird es aller Voraussicht nach wesentlich länger dauern. Die Leistungserbringer, die nach wie vor ohne besonderen Druck vom Vertragszwang profitieren, werden kaum bereit sein, ohne Not den freiheitlichen Status aufzugeben. Die Schwäche des bestehenden Systems wird weiterhin augenützt. Ob sich der differenzierte Selbstbehalt auf

Nur eine Managed Care-Reform, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht Sonderinteressen bedient, wird in einer allfälligen Volksabstimmung eine Chance haben. Die Reform darf die Patientinnen und Patienten nicht weiter belasten und muss zu einer qualitativ besseren Gesundheitsversorgung führen. Deshalb sind folgende Elemente zwingend: Pflicht für die Versicherungen, in allen Regionen Managed Care-Modelle anzubieten, die Budgetmitverantwortung für Ärztinnen und Ärzte sowie ein differenzierter Selbstbehalt von fünf für MCAngebote und 15 Prozent für alle anderen Modelle mit ei-

Bei einem Nein entwickelt sich Managed Care wie bin anhin weiter, aber langsamer als mit besseren Rahmenbedingungen. Zudem würde eine wichtige Chance verpasst, unser Gesundheitswesen auf der Systemebene zu modernisieren. Die Regelung des differenzierten Selbstbehaltes gehört zu den besseren Rahmenbedingungen: Es ist ein finanzieller Anreiz, um die Versicherten (insbesonderes die chronisch Kranken) in die integrierten Versorgungsnetze hereinzulocken. Die Lösung 5/15 Prozent wurde von Patientenorganisationen gefordert: Die Gesundheitskommission des Ständera-

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Wird die Vorlage abgelehnt und kommt auch separat kein verbesserter Risikoausgleich zustande, würden sich die MCAngebote in der heutigen Logik anteilsmässig weiterentwickeln: kaum für die chronisch Kranken, die sie am nötigsten hätten; gleichzeitig aber mit finanziell und auch qualitativ attraktiven Angeboten für eher Junge und Gesunde – mit einer Stärkung der fragwürdigen Risikoselektion. Beim systematischen Ausbau des Angebotes muss der Wahrung der Qualität mehr Beachtung geschenkt werden. Die Senkung auf 5/15 Prozent mit Obergrenze 500/1000 geht in eine

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Toni Bortoluzzi

Jacqueline Fehr

Ignazio Cassis

Jean-François Steiert

tieferem Niveau von 5/15 Prozent oder auf der etwas höheren Ebene durchsetzt, ist für die Zukunft der Netzwerke nicht entscheidend. Ziel eines höheren Selbstbehaltes ist es, die Eigenverantwortung der Versicherten zu belohnen. Die Differenz beim Selbstbehalt soll chronisch Kranke dazu bringen, sich in Netzwerke zu begeben.

ner Obergrenze auf 500 beziehungsweise 1000 Franken. Die Vorlage wird vom Parlament nur abgelehnt werden, wenn sich entweder die Krankenkassenlobby durchsetzt und sich aus der Angebotspflicht verabschiedet, oder wenn mit dieser Reform die Patientinnen und Patienten mehr belastet werden.

tes hat sie der nationalrätlichen Lösung 10/20 Prozent vorgezogen. Der Nachtteil dieser Lösung ist eine Prämienerhöhung für alle, da die Kostenbeteiligung für alle kleiner wird.

gute Richtung; die Erhöhung für die anderen Modelle bleibt mit dieser Lösung bescheiden, und die gesamte finanzielle Belastung für die Patientinnen und Patienten ist gegenüber der heutigen Situation neutral.

Welche Erwartungen haben Sie für die Weiterentwicklung von MC an die Leistungserbringer? Welche an die Kantone? Welche an die Krankenversicherer (bei einem Ja oder Nein zur Revision)?

Ich hoffe natürlich, dass sich die Angebotspflicht für die Krankenversicherer in der Vorlage hält. Damit ist die Ausgangslage für ein flächendeckendes Angebot von Netzwerken in unserem Land gewährleistet. Es ist zudem die Voraussetzung geschaffen, dass ein differenzierter Selbstbehalt oder Prämienrabatte eingeführt werden können. Damit alle Akteure in unserem Gesundheitswesen mit einer gewissen Verpflichtung oder in verstärkte Verantwortung einbezogen werden, sind die Leistungserbringer zur Budgetmitverantwortung in den Netzwerken zu verpflichten. Das heisst: Alle Akteure – Krankenversicherer, Prämienzahler und Ärzte – haben einen Beitrag zu leisten. Die Kantone sollten sich generell auf die Aufsicht und bei einem sehr unwahrscheinlichen Marktversagen auf die Versorgungssicherheit konzentrieren.

Ich erwarte, dass sich Krankenversicherer und Leistungserbringer besonders für gute Angebote für chronisch kranke Menschen engagieren. Eine koordinierte Behandlung bringt gerade bei diesen Patientinnen und Patienten mehr Qualität zu tieferen Kosten. Fachverbände, Kantone und Krankenversicherungen müssen mehr in sogenannte Behandlungsprogramme investieren. Um die Risikoselektion wirklich einzudämmen, brauchen wir zudem einen sogenannten Hochrisikopool. Wenn der gesetzliche Rahmen und die Anreize nach einer Ablehnung der MC-Vorlage fehlen, wird es umso wichtiger sein, dass die Krankenversicherungen von sich aus die Modelle in hoher Qualität anbieten und mit möglichst vielen Leistungserbringern Verträge abschliessen.

Für die Leistungserbringer bedeutet Managed Care mehr Freiheit (therapeutisch und unternehmerisch) sowie mehr Verantwortung: Ich erwarte, dass sie als Freiberufler diesem Systemwechsel demzufolge positiv gegenüber stehen. Der Wechsel bedeutet auch eine Effizienzsteigerung: Die Kantone als Vertreter des Volkes sollen an einer nachhaltigen Entwicklung des Gesundheitswesens grosses Interesse haben. Die Krankenversicherer erreichen mit diesem neuen Versorgungsmodell im ambulanten Sektor mehr Qualität und Effizienz. Bei einem Nein zur Revision sollen sich alle auch weiterhin für eine grössere Systemeffizienz und eine bessere medizinische Qualität engagieren. Denn das jährliche Wachstum der Gesundheitskosten wird die nächsten Generationen massiv unter Druck setzten.

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Von den Kantonen braucht es Bestrebungen für ein flächendeckendes Angebot – notfalls mit entsprechenden ökonomischen Anreizen oder der Schaffung von Netzen mit Leistungserbringern im Lohnverhältnis. Die Leistungserbringer müssen das Potenzial der integrierten Versorgung für eine verbesserte Schnittstelleneffizienz sowie für eine systematische Nutzung der aussertarifären Spielräume durch die budgetverantwortlichen Netze ausnutzen. Von den Versicherern erwarten wir transparente, vergleichbare Angebote und eine Kontrahierungspolitik im Patienteninteresse, das heisst mit allen qualitativ guten Leistungsanbietern. Diese Erwartungen gelten auch bei einem Nein, mit einer stärkeren Verantwortung bei den Kantonen – weil es stossend ist, wenn Patientinnen einzelner Landesteile von den Vorteilen von MC ausgeschlossen werden.

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Toni Bortoluzzi

Jacqueline Fehr

Ignazio Cassis

Jean-François Steiert

Wieviele MC-Netzwerke wird es in zehn Jahren geben? Wie viele Versicherte werden in einem MC-Angebot versichert sein (bei einem Ja oder einem Nein)?

Wie viele Netzwerke es wann geben wird, kann ich nicht beantworten. Ich bin Gesundheitspolitiker und nicht Prophet. Ziel aber muss es sein, dass in unserem Land die Versicherten in ihrer Nähe zwei bis drei Netzwerke mit umfassender Versorgung zur Verfügung haben. Dass dies in weniger dicht besiedelten Gebieten nicht vor jeder Haustüre der Fall sein kann, dürfte auf der Hand liegen. Der Versorgung in Netzwerken gehört die Zukunft. Mit einer Gesetzesvorlage, welche die Mindeststandards vorschreibt, geht es schneller.

Bei einem Ja wird es im ganzen Land flächendeckend MC-Angebote geben. Diese werden eine koordinierte Behandlung in hoher Qualität anbieten. Die häufigsten komplexen Krankheiten werden aufgrund von wissenschaftlich gestützten Richtlinien behandelt. Damit wird die zentrale Frage sein, ob eine Behandlung auch wirklich wirkt. Die Verstärkung des Risikoausgleichs wird zudem zu einer Reduktion der Risikoselektion führen. Ein Nein verlangsamt diese Entwicklung. Es ist dann zu befürchten, dass chronisch Kranke und Menschen in komplexen psychosozialen Situationen nicht von diesen Angeboten profitieren können.

Bei einem Ja werden integrierte Versorgungsnetze bis 2020 in der Schweiz flächendeckend zur Verfügung stehen. Ich gehe davon aus, dass dannzumal vielleicht um die 300 Netze existieren werden. Bei einem Scheitern der Vorlage wird die Entwicklung viel langsamer gehen und andere Lösungen werden möglicherweise vorgezogen (Vertragsfreiheit, globales Budget usw.).

Bei einem Ja wird 2020 der überwiegende Teil der Bevölkerung einem Netz angeschlossen sein – mehr aus qualitativen Überlegungen denn aus finanziellen. Netzwerke müssen versichererunabhängig sein. Regionen ohne integrierte Netzwerke sollten zudem vorübergehend von der differenzierten Beteiligung ausgenommen werden. Beim Scheitern müsste die Verbesserung des Risikoausgleichs als autonomer Schritt an die Hand genommen werden, um den gesundheitspolitisch anzustrebenden Zugang chronisch Kranker zu integrierten Netzen zu gewährleisten. UMFRAGE: SILVIA SCHÜTZ

Managed Care – was man darunter versteht Im Unterschied zu herkömmlichen Angeboten der Grundversicherung verpflichten sich Versicherte mit Managed Care im weiten Sinn, im Krankheitsfall als erstes immer die von ihnen gewählte Fachperson ihres Netzwerkes zu kontaktieren. Die Anlaufstelle (der Gatekeeper) des Netzwerks kann ein Hausarzt, ein Spezialarzt oder eine medizinische Telefonberatung sein. Ziel ist, dass nach dem Erstkontakt alle weiteren Schritte im Behandlungsprozess mit dem Fokus auf Effizienz und Qualität koordiniert werden. Vom Hausarzt über die Apotheke, das Spital bis hin zur Rehabilitation, Spitex und Pflege. So kann eine optimale Betreuung der Patienten garantiert werden. Gleichzeitig werden unnötige Suchprozesse, Wartezeiten und Behandlungen vermieden. Da die Versicherten im Krankheitsfall auf dem gesamten Behandlungspfad von der gleichen Ansprechperson beraten und begleitet werden, verbessert sich der Behandlungsprozess. Eine wichtige Voraussetzung für Qualität und Effizienz ist ein elektonisches Patientendossier mit allen relevanten Informationen für alle behandelnden Fachpersonen. Ausser von diesen Vorteilen profitieren Versicherte

mit Managed Care von einem Rabatt auf die Prämie und im Krankheitsfall von einem reduzierten Selbstbehalt (fünf oder zehn Prozent – darüber wird das Parlament im Frühling verhandeln).* Gesetz: Laut dem vom Parlament noch nicht verabschiedeten Gesetz (Art. 43a-c KVG) haben die Leistungerbringer bei Managed Care im engen Sinn Budgetmitverantwortung und koordinieren den Behandlungsprozess der versicherten Person mit allen behandelnden Fachpersonen innerhalb und ausserhalb des Versorgungsnetzes. Die Gruppe von Leistungserbringern, die sich zu einem integrierten Versorgungsnetz zusammenschliesst, kann mit mehreren oder einem Versicherer vertraglich vereinbaren, dass die Behandlung ausschliesslich vom Netz übernommen wird. Das Netzwerk muss auch Patienten ohne Manged Care behandeln. Die Versicherer müssen die Grundversicherung auch ohne Managed Care anbieten. * 04.062: Bundesgesetz über die Krankenversicherung. Teilrevision. Managed Care

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Überblick über die Ärztenetzwerke in der Schweiz

Managed Care-Modelle haben einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht: 57,7 Prozent mehr Versicherte waren 2010 in einem Modell mit Budgetverantwortung versichert als 2009. Auch Ärztenetzwerke ohne Budgetverantwortung haben zugelegt. Je nach Definition von Ärztenetzwerk ist jeder dritte oder zehnte Versicherte in einem Modell mit eingeschränkter Arztwahl versichert.

SH TG

BS/BL AI/AR AG ZG

SO NE

LU

SG

ZH

SZ NW

FR

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GR

TI GE

Versicherte 185’000 100’000 Ärztenetz besteht seit: 2009 1990

10’000

Ärztenetze pro Kanton mit Anzahl der im Netz betreuten Versicherten und Netz-Alter nach Betriebsjahren.

Versicherte 1’000’000

übrige 800’000

LU GR GE

Schweiz gesamt

BS/BL 600’000

TG BE SG

AG 200’000

ZH

2010

2008

2007

2006

2005

2004

2002

2001

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© Forum Managed Care; Grafik: Hahn und Zimmermann

400’000

2000

• 95 Ärztenetzwerke gibt es in der Schweiz, in manchen Kantonen flächendeckend. Mitgezählt werden auch die von Versicherern angebotenen Zentren. Das erste Netzwerk entstand 1990.1 • 93 Prozent der Netzärzte verpflichten sich zur Teilnahme an rund acht obligatorischen Qualitätszirkeln pro Jahr. Qualitätssicherung wird erreicht durch: Critical Incident Reporting (53 Prozent), Behandlungsleitlinien (41 Prozent) und Offenlegung der Qualitäts- und/oder Kostendaten (55 Prozent).1 • 57,7 Prozent mehr Versicherte als 2009 verzeichneten Netzwerke mit Budgetverantwortung im Jahr 2010. Die Modelle ohne Budgetverantwortung der Ärzte verzeichneten in den letzten beiden Jahren je einen Zulauf von Versicherten von im Durchschnitt 21,5 Prozent.2 • 50 Prozent der Grundversorger (Allgemeinmediziner, Internisten, Kinderärzte (Pädiater) und über 400 Spezialisten sind Netzwerken angeschlossen.1 • 43 Prozent der Netzwerke haben Kooperationen mit anderen Leistungsanbietern wie Spitälern, Callcenters und Notfalldiensten.1 • 37 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind 2010 in einem Ärztenetzwerk im weiteren Sinn (mit oder ohne Budgetverantwortung) versichert2. 2009 waren es rund 36 Prozent.3 Dazu gezählt werden auch Netzwerke, die durch die Krankenversicherer angeboten werden und Ärztelisten. • 12 Prozent der Versicherten – also jeder Achte – vertrauen ihre Gesundheit einem Ärztenetzwerk an, das durch die Ärzte selbst organisiert ist und nicht durch eine Versicherung. Ärztelisten werden vom Forum Managed Care, das die Zahlen erhoben hat, nicht zu den Ärztenetzwerken gezählt. Das ist eine Erklärung für den Unterschied zu den Zahlen des Datenpool santésuisse und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).4

© Forum Managed Care; Grafiken: Hahn und Zimmermann

Managed Care wächst am stärksten

Entwicklung des Anteils der Versicherten in Ärztenetzen pro Kanton und ganze Schweiz 2000–2010.

SILVIA SCHÜTZ

1 2

3 4

Care Management 2010; Nr. 3, s. 45 ff. Datenpool santésuisse, Abdeckungsgrad 91 Prozent, siehe Grafik S. 18 in dieser Ausgabe. BAG, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2009, Blatt 1105d Die Zahlen stammen vom Forum Managed Care (www.fmc.ch). Es führt seit zehn Jahren Erhebungen von Ärztenetzwerken durch. Die Zahlen widerspiegeln den Stand August 2010.

Ärzte >150 70–149 30–69 10–29 1–9

Alle Ärztenetze in der Schweiz mit Anzahl der dem Netz angeschlossenen Ärzte.

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DELTA ist ein Pioniernetzwerk der Schweiz

«Ärztenetzwerke – vielmehr eine Philosophie als ein Wirtschaftsmodell»

Bald zwanzig Jahre sind es nun schon her, seit der Kanton Genf sein Ärztenetzwerk mit Praxen auf dem ganzen Territorium hat. Zuweisungen an Spezialisten erfolgen bei diesem Modell durch den betreuenden Hausarzt. Die Patienten sind die Ersten, die von diesem Experiment profitieren. Im Gespräch mit Dr. Marc-André Raetzo.

Die Arztpraxis von Marc-André Raetzo, der zusammen mit Philippe Schaller vor 18 Jahren das Netzwerk DELTA gegründet hat, liegt im zweiten Stock eines Gebäudes in Onex. Der Arzt erinnert sich: «Am Anfang waren alle gegen uns. Wir wurden von santésuisse vorgeladen, und im Grossen Rat wurde eine Motion eingereicht. Sowohl die linken als auch die rechten Vertreter der politischen Szene kritisierten uns. Die Medien ebenfalls. Man warf uns vor, eine Zweiklassenmedizin zu schaffen…» Haushälterisch mit dem Geld umgehen

Foto: ZVG

«Die Grundidee unseres Modells besteht darin, dass wir unsere Arbeit besser machen können.» Marc-André Raetzo blickt zurück: «Vor etwa dreissig Jahren waren Landärzte üblich, die über eine bestimmte Region verteilt waren und isoliert in ihren Dörfchen praktizierten. Diese zerstückelte Welt mag man mit der Vorstellung von Unabhängigkeit in Verbindung bringen. Eine solche Organisation entspricht jedoch nicht mehr den heutigen Bedürfnissen und interessiert auch die junge Generation nicht mehr.» Zwei Erlebnisse von Marc-André Raetzo gaben den Auschlag für die Gründung der Netzwerke: Das erste war die Begegnung mit einer etwa 75 Jahre alten Frau, die ihn wegen Appetitlosigkeit aufsuchte. Nach einigen Fragen gestand sie schliesslich, dass, wenn sie ihre Rechnungen und Krankenkassenprämien bezahlt habe, eigentlich nicht mehr viel Geld fürs Essen übrig bleibe.

beWas folgt daraus? Im traditionellen Gesundheitssystem be lasten die Prämien das Portemonnaie von vielen Menschen viel zu stark. In solchen Fällen drängt sich der Beitritt in ein Ärztenetzwerk besonders auf. Nicht jede Leistung ist ihr Geld wert

Im zweiten Beispiel geht es um eine Frau, die an Asthma leidet. Nachdem sie jahrelang regelmässig ihren Arzt konsultiert hatte, erschien sie plötzlich nicht mehr. Warum? Ihr Arzt hatte sie angeleitet, wie sie sich selber pflegen konnte. Schlussfolgerung? In der Medizin ist gewissenhafte Effizienz angebracht. «Die Bezahlung pro erbrachte ärztliche Leistung ist eine Beleidigung für den Verstand. Man muss sich um Effizienz bemühen, denn ineffiziente Leute kosten mehr», betont der Genfer Arzt. Er ist inzwischen ein Meister in der Entscheidungsanalyse und beherrscht auch andere Methoden, die auf die Effizienzsteigerung abzielen. Ärztenetzwerke fördern die eigene Effizienz und auch die Selbstständigkeit der Patienten. Die Kunst der Diagnose

Dr. Marc-André Raetzo ist Mitgründer des Ärztenetzes DELTA.

Laut Marc-André Raetzo gibt es noch viel zu tun, um den Leuten die Komplexität der Hausarztmedizin verständlich zu machen. Der Arzt steht aufrecht in seiner Praxis, schaltet das Licht aus, macht es wieder an, löscht es erneut und erwähnt dabei den Film «Les visiteurs» («Die Besucher»). Er spielt damit auf das stark vereinfachende Schwarz-WeissPrinzip an, mit dem man meint, die Qualität in der Medi-

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Die Diagnose ist das eine. Ein Vorteil von Netzwerken ist aber auch, dass sie die Prävention und die Schulung der Patienten fördern.

zin beurteilen zu können. Nehmen wir zum Beispiel die Grippe: Hier besteht die Schwierigkeit darin, dass zwei Blutentnahmen im Abstand von mehreren Wochen erforderlich sind. Niemand macht das. Das ist eine Frage des Umgangs mit Wahrscheinlichkeiten. Leidet der Patient offensichtlich nicht an einer bestimmten Krankheit, wendet man das Ausschlussverfahren an.» Qualität und Prävention

Heute überzeugen die Ärztenetzwerke immer mehr Ansprechgruppen. Ist es folglich denkbar, dass sie bald überall zu finden sein werden? «Warum nicht?», erwidert MarcAndré Raetzo und zählt die wichtigsten Vorteile dieses Gesundheitssystems auf. Seiner Meinung nach sind in den Netzwerken Ärzte vertreten, die bereit sind, sich zu hinterfragen und an der Qualität zu arbeiten. Der zweite Vorteil besteht darin, dass die Ärzte einen Teil ihrer Einkünfte aufbringen können, um Prävention und therapeutische Schulung für Patienten erschwinglicher zu machen. Ein Beispiel: Um betagten Menschen zu helfen, so mobil wie möglich zu bleiben, ermöglicht ihnen der Kanton Genf, an Gymnastik-Kursen des Jaques-Dalcroze-Instituts teilzunehmen. Ein zwar nicht medizinischer, doch geselliger Weg, um potenziell schwer wiegenden Gesundheitsproblemen vorzubeugen. Eine Studie hat einen 50-prozentigen Rückgang von Stürzen nachgewiesen. Ein weiterer Vorteil schliesslich ist die Möglichkeit, chronisch Kranke optimal betreuen zu können. Die Qualitätszirkel er-

lauben insbesondere, insbesondere Wissen gemeinsam zu nutzen, sich untereinander zu koordinieren und an der Verhaltensänderung der Patienten zu arbeiten. «Wir arbeiten prozessorientiert und stellen uns beispielsweise die Frage, warum zu einem gegebenen Zeitpunkt ein Fehler passiert ist.» Im Rahmen ihrer Fortbildung tauschen sich die Allgemeinpraktiker des Netzwerkes DELTA über die erkannten und nicht erkannten sowie über die erwiesenen Bedürfnisse aus. Der Pionier aus Onex schliesst mit folgenden Worten: «Das Experiment, das wir 1992 ins Leben gerufen haben, ist kein Wirtschaftsmodell, sondern eine Philosophie.» FRANÇOISE TSCHANZ

Das Netzwerk DELTA «Ein Foto vom Netzwerk DELTA? Unmöglich!» Das Netzwerk DELTA besitzt keine Räumlichkeiten. Bis zum letzten Jahr gab es auch keine bezahlten Angestellten. Die am Netzwerk beteiligten Ärzte haben keinen Vertrag mit den Versicherungen abgeschlossen, sondern eine Charta unterzeichnet. Diese verlangt von ihnen lediglich die Bereitschaft, sich in den Qualitätszirkeln zu engagieren. Das Netzwerk DELTA umfasst in Genf 160 und in der Waadt über 20 Hausärzte und Internisten. Zusammen betreuen sie mehr als 60 000 Versicherte.

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Nicht alle Hausärzte zeigen sich von Managed Care begeistert – sie möchten lieber mehr Wertschätzung

Ist Managed Care eine gute Medizin für Hausärzte? Zu wenig Wertschätzung der Arbeit, zu viel Arbeitszeit und das Arbeiten in der Einzelpraxis sind Negativpunkte des Hausarztberufes. Das sagen zumindest junge Medizinstudentinnen und -studenten. Kann Managed Care eine Lösung sein? Die Meinungen sind geteilt.

Ein erzürnter Hausarzt aus dem Thurgau meldete sich in diesem Jahr bei santésuisse: Sein Ärger richtete sich gegen Medien, santésuisse und andere Akteure, die das Image der Hausärzte zerstörten und für irrationale Einstellungen bei jungen Ärzten sorgten. «Demotivierend wirkten die Senkung der Labortarife durch Bundesrat Couchepin im letzten Jahr, das Infragestellen der Abgabe von Medikamenten in den Arztpraxen und das tiefere Einkommen der Hausärzte im Vergleich mit Spezialärzten oder Kollegen in Spitalambulatorien», so der Arzt. Das Resultat dieser und weiterer Abwertungen sei das Aussterben der Hausärzte – im konkreten Fall im Thurgau – und der Zusammenbruch der Grundversorgung in naher Zukunft. Besagter Arzt, der nicht namentlich genannt sein will und den wir deshalb Dr. T. nennen, rechnet im persönlichen Gespräch in seiner gut gehenden Praxis vor: Wenn einer seiner drei Kollegen in der Region in den Ruhestand tritt, stehen dessen 2000 Patienten ohne Arzt da. Die praktizierenden Ärzte werden stets älter – der Nachwuchs fehlt. «Die permanente Abwertung der Hausärzte in der Politik und den Medien vergrault die Jungen», ist Dr. T. überzeugt. Grosse Arbeitsbelastung auf dem Lande

Eine vom Thurgauer Grundversorger Verein (TGV) erstellte Erhebung der Altersverteilung der rund 150 Grundversorger im Kanton Thurgau zeigt diese Entwicklung: Demnach werden in gut fünf Jahren 50 Prozent der Hausärzte pensioniert sein. Und fünf bis acht Jahre danach 75 Prozent. «In zehn Jahren müssen 90 Arztpraxen neu besetzt werden», rechnet der TGV vor. Eine vom Obsan erstellte Studie1 aus dem Jahr 2007 und eine Studie von Peter Tschudi aus dem Jahr 20092 kommen für andere Regionen zu einem ähnlichen Schluss. «In ländlichen Regionen arbeiten die Ärztinnen und Ärzte

Pauschale für Hausbesuche Kürzlich hat die Ärzteschaft von den Krankenversicherern eine bessere Abgeltung ihrer Leistung im Umfang von 800 Millionen Franken pro Jahr gefordert. Um den Hausärzten entgegenzukommen, verlängern die Krankenversicherer die BIP bis 2012. Diese Pauschale gilt für Hausbesuche (Besuchsinkonvenienzpauschale BIP) während den Praxisöffnungszeiten. Die weiteren Forderungen lehnen die Krankenversicherer ab, weil kein Mehrwert für die Patienten erkennbar ist. santésuisse schlägt der Ärzteschaft eine Aufwertung der Grundversorgung ohne Mehrbelastung der Prämienzahler vor. Die FMH kann die Grundversorger dann besserstellen, wenn die Spezialärzte bereit sind, etwas von ihren Privilegien abzugeben.

heute schon sehr viel und können ihren Beschäftigungsgrad kaum mehr steigern», sagt Hélène Jaccard Ruedin vom Gesundheitsobservatorium. «Das momentane Gleichgewicht kann durch Schliessungen von Arztpraxen gestört werden, wenn nicht ausreichend Ärztenachwuchs vorhanden ist». Nachwuchs muss gewährleistet sein, beträgt doch das Durchschnittsalter der Ärzte rund 53 Jahre. Ein Fünftel der Ärzte ist sogar älter als 60. Keine Lust auf 120 Prozent

Über fehlende Arbeit braucht sich Dr. T. nicht zu beklagen. Seine Praxis auf dem Land läuft, «ich verdiene einiges mehr als ein leitender Arzt.» Doch das lockt den Nachwuchs nicht. Lange Arbeitszeiten, die Tatsache, dass ein Arzt auch beim Einkaufen im Dorf als Arzt angesprochen wird, die Rundum-die-Uhr-Präsenz – das sind Faktoren, die den Jungen laut Dr. T. die Landlust rauben. Dazu komme ein neuer Arzttypus, der seine Arbeit als Beruf und nicht als Berufung betrachtet und das städtische Umfeld gegenüber dem Land bevorzugt. Der steigende Anteil an Frauen und damit die Wünsche nach mehr Teilzeitarbeit entsprechen ebenfalls nicht den Anforderungen, die eine Landpraxis zum jetzigen Zeitpunkt stellt. Peter Tschudi stellt in seiner Studie fest, dass nur zehn Prozent der Medizinstudentinnen und -studenten ihre Zukunft in der Hausarztpraxis sehen – wobei die Medizinerinnen zunehmend wichtiger werden. Künftig werden 60 bis 70 Prozent der Ärzte Frauen sein. Warum sinkt das Interesse am Hausarztberuf? hat sichTschudi gefragt und gleich die Antwort geliefert: «Wir wissen, dass neben der ungenügenden Praxisnähe der Weiterbildung zum Hausarzt die Frage der Übernahme von Verantwortung, die Arbeitszeitmodelle, die Praxisform (Alleinpraxis), der Notfalldienst und vor allem auch das tiefe Einkommen der Hausärzte im Vergleich zu den anderen praktizierenden Ärzten eine grosse Rolle spielen». TV-Serie mit Hausärztin als Star?

Szenenwechsel: Die Ärztin steht nachts auf als ihre verzweifelte Nachbarin wegen der Krankheit ihrer Mutter anruft und schafft sofort Linderung – mitten in der Nacht blendend aussehend und im sexy Negligée mit übergeworfenem Seidenmorgenrock. Szene zwei: Im Altersheim besucht sie nicht nur ihren Vater, sondern rettet auch gleich einem jungen, attraktiven Pfleger das Leben. Daneben spielt sich ihr Leben zwischen ländlichem Alltag im Stil von Desperate Housewives und Ausflügen in die Stadt zu ihren Freundinnen à la Sex and the City ab. Kids und Männer füllen die Zeit ausserhalb ihres 60 Prozent-Pensums in der Gruppenpraxis aus. Cut! So oder ähnlich müsste wohl eine TV-Serie «Die Hausärztin» ausgestaltet sein, damit sie dieselbe Wirkung erzielt wie «Emergency Room» oder «Chicago Hope» in den USA. Innerhalb von zwei Jahren nach Start der Serien wollten plötzlich doppelt so viele Studenten wie zuvor Notfallarzt werden.

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MC-Modelle als Lösung oder Status Quo erhalten?

Eine Schweizer TV-Serie mit Format ist nicht in Sicht, also sind andere Rezepte gefragt. Für die einen sind Managed Care-Angebote oder Hausarztmodelle die Lösung, die anderen wollen durch finanzielle Besserstellung und Imageaufbesserung der Hausärzte den Status Quo erhalten. Ohne Kompromiss. Zu Letzteren gehört auch Dr. T. «Wir müssen alle sparen, aber nicht mehr bei uns», sagt Dr. T. Für ihn drückt sich die Wertschätzung der Arbeit auch in Geld aus. Deshalb fordert er bessere Entlöhnung für die Hausärzte – ohne Kostenneutralität (siehe Kästchen). Ein weiterer Dorn im Auge von Dr. T. sind die bedrohten Margen auf Medikamenten. «Die Direktabgabe von Medikamenten ist für Ärzte und Patienten auf dem Lande unabding-

bar und erhöht die Sicherheit der Patienten. Dadurch, dass der Arzt die Medikamente abgibt, weiss er jederzeit, was der Patient konsumiert». Auch die finanziellen Abstriche bei den Laboruntersuchungen und Röntgenaufnahmen werden laut Dr. T. auf dem Buckel der Hausärzte ausgetragen. Können Managed Care-Modelle eine Lösung sein? Das Modell Teilzeit ist für Dr. T. auf dem Land nicht realistisch. Und andere Hausarztmodelle initiierten vor allem Krankenversicherer – den Hausärzten und deren Grundproblematik der Wertschätzung sei damit nicht gedient. Pro Managed Care – spannendere Arbeitsbedingungen

Unter dem Titel «Mehr Lust statt Frust» bricht Kurt Kaspar in der Zeitschrift Care Management eine Lanze für Managed Care.3 Kaspar, selbst Arzt und VR-Präsident der Argomed Ärzte AG, schreibt: Die Aussichten für Grundversorger in Ärztenetzwerken sind sehr gut. Entscheidend ist, dass man sich auf die Stärken besinnt und nicht im Lamentieren über schlechte Bezahlung, schlechtes Image und schlechte Lobby verharrt. Hausärzte können in folgenden Bereichen rund um Managed Care eine Führungsrolle übernehmen: • Als Care Manager umsorgt er seine Patienten vom ersten Symptom bis zum Abschluss der Behandlung. • Als Mitentwickler von Versicherungsprodukten zusammen mit den Versicherern, damit gute Modelle erarbeitet, gelebt und verantwortet werden. • Als Miterzeuger von Behandlungsrichtlinien, die nicht von Subspezialisten allein und nur aus deren Warte erstellt werden. Zusätzlich tragen Teilzeitmodelle und der Austausch unter Kolleginnen und Kollegen und weiteren Mitwirkenden in einem Netzwerk zu spannenden Arbeitsbedingungen jenseits des Einzelkämpfertums bei. Vor allem berücksichtigen sie die Realität der künftigen Hausärztin. Entscheidend ist laut Kaspar, dieses Bewusstsein zu fördern und zu leben. Strukturerhaltung um jeden Preis wird dieser Entwicklung nicht gerecht. SILVIA SCHÜTZ

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3

Obsan Hélène Jaccard Ruedin, Maik Roth, Carine Bétrisey, Nicola Marzo, André Busato: Offre et recours aux soins médicaux ambulatoires en Suisse, Document de Travail 22, Observatoire suisse de la santé, Neuchâtel, Avril 2007. Peter Tschudi rechnet für Basel-Stadt und Baselland damit, dass 2022 bereits 75 Prozent der Hausärzte fehlen werden. Tschudi, Peter: Der Hausarzt – Spielball der Patienten und der Gesundheitspolitik? in: PrimaryCare 2009;9: Nr. 8, S. 158-162. Kaspar, Kurt: Mehr Lust statt Frust in: Care Management 2010;3: Nr. 3, S. 5–6.

Der künftige Hausarzt ist weiblich, hat Familie, arbeitet Teilzeit und arbeitet in einer Gruppenpraxis.

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Integrierte Versorgung

Wichtige Antworten auf bange Fragen Auch heute noch – nach einer über 20-jährigen, erfolgreichen Geschichte – stehen viele Vorbehalte im Raum, wenn von Managed Care (MC) oder integrierter Versorgung gesprochen wird. Mit der Managed Care-Reform, die sich im Parlament auf der Zielgeraden befindet, werden die Rahmenbedingungen so gesetzt, dass diese Ängste obsolet werden und die Vorteile dieses Modells zur Geltung kommen.

Offen gesagt: Am Erfolg oder am Scheitern der Managed Care-Vorlage entscheidet sich, ob das KVG mit seinem Mittelweg des regulierten Wettbewerbs überhaupt noch reformierbar ist oder nicht. Das Scheitern des Sparmassnahmenpakets in der Herbstsession 2010 zeigte auf, wie schwierig es ist, Kompromisse durchs Parlament zu bringen, wenn sich einzelne Parteien auf dem Rücken der Prämienzahlenden wahltaktisch profilieren. Die MC-Reform löst Ängste aus, einige politischen Akteure spielen damit und bedienen Vorurteile. Deshalb ist wichtig zu wissen: Integrierte Versorgung verbessert in erster Linie die Qualität und soll in zweiter Linie den Ausgabenanstieg dämpfen. Vorurteil: Managed Care ist unbeliebt

Falsch! Integrierte Versorgung ist in der Schweiz seit 20 Jahren erfolgreich. Die Zahlen sprechen für sich: 2009 haben sich laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) 37 Prozent der Versicherten für ein Modell mit eingeschränkter Arztwahl entschieden. Damit sind solche Managed Care-Modelle im weiteren Sinne die beliebteste Versicherungsform der Schweiz. Eine Versicherung mit Grundfranchise wählen nur noch 35 Prozent. 28 Prozent der Versicherten haben sich für eine

Wahlfranchise entschieden (für die Entwicklung seit 1996 siehe Grafik). Gemäss einer Erhebung des Forum Managed Care wählten 12 Prozent der Versicherten ein MC-Modell im engeren Sinne, d.h. sind einem Ärztenetz angeschlossen. Durch die im Parlament hängige Reform sollen solche Netze einen zusätzlichen Schub erhalten. Bundesrat Didier Burkhalter setzt grosse Hoffnungen in die Reform: Bis 2015 sollen 60 Prozent der Bevölkerung integriert versichert sein. Um den Erfolg besser messen zu können, muss das BAG in Zukunft Managed Care-Modelle im engeren Sinne, wie sie im Gesetzesentwurf definiert werden, separat ausweisen (so wie die Grafik auf S. 18). Vorurteil: Managed Care ist Billigmedizin

Falsch! Es gilt mit dem Mythos aufzuräumen, dass bessere Qualität zwangsläufig mehr kostet. Bei genauerer Betrachtung ist gerade das Gegenteil der Fall: Es gibt nichts teureres als schlechte Qualität – man denke nur an schädliche Mehrfachbehandlungen und unnötige Zusatzuntersuchungen. Es ist also ein Trugschluss, zu glauben, dass ein Mehr an Behandlungen – welche für den Patienten ja durchaus belastend sein können – mit einer besseren Qualität gleichzusetzen ist. Durch vorgegebene Prozesse und Strukturen können Patienten im integrierten Netz schneller auf dem korrekten Behandlungspfad optimal versorgt werden. Gleichzeitig kann es sich kein integriertes Versorgungsnetz erlauben, qualitativ schlecht zu arbeiten, da sonst sämtliche Patienten zur Konkurrenz abwandern. Zudem sind Qualitätszirkel in MCModellen stärker verbreitet als ausserhalb. Durch Zertifizierungsorganisationen, wie z.B. die Equam, wird die Qualität von MC-Praxen anhand von rund 400 genau definierten Indikatoren (wie Effektivität der Behandlung, Zugang zur Ver-

VERSICHERTENBESTAND NACH VERSICHERUNGSFORM 1996 − 2009

QUELLE: BAG

70,0%

60,0%

50,0% 40,0%

Im Jahr 2009 hat sich erstmals seit der Einführung des KVG eine relative Mehrheit der Versicherten für ein Modell mit eingeschränkter Wahl entschieden. Bereits sind rund 37 Prozent der Versicherten in einem solchen Managed CareModell im weiten Sinne versichert (grün). Das vormals vorherrschende Grundfranchisen-Modell kommt nur noch auf gut 35 Prozent (rot).

30,0% BONUS-VERSICHERUNG

20,0% EINGESCHRÄNKTE WAHL (Z.B. HMO)

10,0% WAHLFRANCHISEN

0,0% 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

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GRUNDFRANCHISE

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sorgung, Patientenzufriedenheit) gemessen, sichergestellt und transparent gemacht. Fazit: Die Qualität in MC-Modellen steigt. Von Billigmedizin kann keine Rede sein. Vorurteil: Managed Care ist Rationierung

Falsch! Es stimmt nicht, dass die geplante Budgetmitverantwortung zu stark auf wirtschaftliche Interessen fokussiert und zu Qualitätseinbussen in der medizinischen Versorgung führt. Zugegeben: Kosteneinsparungen sind ein erwünschter Effekt von Managed Care. Diese Einsparungen geschehen nicht auf dem Buckel der Patienten. Es werden keine Leistungen rationiert, sondern im integrierten Netzwerk wird rationeller gearbeitet. Das Netzwerk vereinbart mit dem Versicherer ein Globalbudget für alle seine Patienten. So kommt es nicht zum befürchteten Behandlungsstopp mitten im Jahr, denn es ist explizit kein Budget pro Patient. Ein Arzt, der als Angestellter in einer Gemeinschaftspraxis mit Budgetverantwortung arbeitet, wird das Patientenwohl noch stärker in den Vordergrund rücken, indem er nur noch medizinisch notwendige Massnahmen ergreift. Dass ein kostengünstiges System keine schlechtere Qualität zur Folge hat, beweist der Vergleich des Kantons St. Gallen mit der Waadt: Obwohl der welsche Kanton 35 Prozent pro Versicherten teurer ist, lassen die Behandlungsergebnisse nicht auf eine höhere Qualität schliessen. Vorurteil: Managed Care ist das Ende der freien Arztwahl

Falsch! Auch in integrierten Ärztenetzen haben die Versicherten innerhalb ihres gewählten Netzes die Wahl zwischen 15 bis 50 Allgemeinmedizinern und Spezialisten. Es stimmt also nicht, dass Managed Care das Ende der freien Arztwahl bedeutet. Wer sich innerhalb eines MC-Modells versichert, schränkt zwar seine freie Arztwahl ein, profitiert aber gleichzeitig von einem tieferen Selbstbehalt und tieferen Prämien. Und falls der Patient mit der Auswahl innerhalb seines Ärztenetzes nicht zufrieden ist, kann er dieses verlassen und ein anderes integriertes Versorgungsnetz wählen – bei derselben oder einer anderen Krankenversicherung. Die freie Wahl des Arztes wird somit zwar eingeschränkt, bleibt aber erhalten. Versicherte, welche sich bewusst gegen Managed Care entscheiden, müssen sich auch bewusst sein, dass sie mit ihrer uneingeschränkten Wahl auch stärker an den von ihnen verursachten Kosten beteiligen müssen. Durch diesen Anreiz wird ein positiver Zug in Richtung der MC-Modelle erzeugt. Versicherer und Ärzte haben dann ein gemeinsames Interesse, diese Modelle weiter zu födern, um die Nachfrage durch die Versicherten mit attraktiven Angeboten abzudecken. GREGOR PATORSKI

Die Eckpfeiler der im Parlament hängigen Reform Der Ständerat berät das Managed Care-Paket in der Wintersession. Die Reform wird voraussichtlich in der Frühjahrssession zu Ende beraten werden und wäre auf den 1. Januar 2012 in Kraft getreten. Doch wurde kurz vor Redaktionsschluss ein Referendum angekündigt. santésuisse legt grossen Wert darauf, dass die Anreize und Rahmenbedingungen für innovative Versicherungsmodelle durch die Reform richtig gesetzt werden. • Verfeinerter Risikoausgleich Das Fundament der Reform: Ohne einen verfeinerten Risikoausgleich, welcher neben Alter, Geschlecht und Spitalaufenthalt im Vorjahr (drei Nächte) auch den Gesundheitszustand des Versicherten berücksichtigt (sogenannter Morbiditätsindikator), ist der Anreiz für die Versicherer, eine Managed Care-Strategie zu verfolgen geringer als die «Jagd auf gute Risiken». • Budgetmitverantwortung Unbestritten ist auch die Einführung der Budgetmitverantwortung in Ärztenetzen. Mit einem Globalbudget ist sie ein wichtiges Instrument, um die Kosteneffizienz zu fördern. Analog zur neuen Spitalfinanzierung kommt man hier weg vom System reiner Kostenrückerstattung und fördert den Wettbewerb über die Qualität. • Differenzierter Selbstbehalt Das von der Ständeratskommission ausgearbeitete Modell mit einem Selbstbehalt von fünf Prozent innerhalb bzw. 15 Prozent ausserhalb der integrierten Versorgung und einem Deckel von 500 bzw. 1000 Franken wird bei einem steigenden Anteil der Versicherten mit Managed Care insgesamt zu einer tieferen Kostenbeteiligung als heute und folglich zu höheren Prämien führen. santésuisse zieht daher die Variante des Nationalrats vor. Wer bewusst das teurere Versorgungsmodell ohne Managed Care wählt, soll sich im Krankheitsfall auch stärker an den Behandlungskosten beteiligen, statt diese unsolidarisch auf das Kollektiv der Prämienzahlenden zu überwälzen. • Angebotszwang und Anbieterverbot Problematisch ist die Kombination, die Versicherer zu zwingen, Managed Care anzubieten, um ihnen im gleichen Atemzug zu verbieten, selber Managed Care anbieten zu dürfen. Selbst dann nicht, wenn sie keine Ärzte finden, welche einen Managed Care-Vertrag zu fairen Konditionen abschliessen wollen. Dieser doppelte Zwang schafft ungleich lange Spiesse zwischen Versicherern und Leistungserbringern, welche in Pseudo-Netzwerken den Versicherern ihre Bedingungen diktieren könnten. Der Angebotszwang ist abzuschaffen, dann ist die Unabhängigkeit zwischen Versicherern und Managed Care-Anbietern auch kein Problem.

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Grafik des Monats

Erfolgsgeschichte in Zahlen Logischerweise widerspiegelt sich die stetige Zunahme von Managed Care-Modellen (mit Budgetverantwortung) und Hausarztmodellen (ohne Budgetverantwortung) in einer entsprechenden Abnahme von Versicherten in Standardmodellen. Darunter fallen alle Modelle ohne Einschränkung der freien Arztwahl. Mit minus 20 Prozent fiel die Abwanderung vom letzten auf dieses Jahr am deutlichsten aus. Dass Managed Care und andere Hausarztmodelle auf einer Erfolgsschiene fahren, zeigt auch eine kürzlich publizierte Umfrage von Comparis: Demnach können sich 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung vorstellen, einem heutigen MC-Modell beizutreten. Diese Bereitschaft steigt auf 57 Prozent, wenn finanzielle Anreize dazu kommen, etwa der differenzierte Selbstbehalt. In der Deutschschweiz erhöht sich dann die Zustimmung laut Comparis gar auf 62 Prozent, in der Westschweiz auf 53 und in der italienischen Schweiz auf 43, wobei ältere Versicherte skeptischer bleiben. Mehrjahresverträge bei MC lassen die Zustimmung aber wieder sinken: Ein Zwei-Jahresvertrag auf 39 Prozent, ein DreiJahresvertrag auf 30 Prozent.

Managed Care-Modelle mit Budgetverantwortung und Hausarztmodelle ohne Budgetverantwortung wachsen jährlich, konstant und teilweise dramatisch – das zeigen Grafik und Tabelle für die Jahre 2005 bis 2010.

Einen Rekord-Anstieg von 57,7 Prozent verzeichnen die Managed Care-Modelle mit Budgetverantwortung (mit Capitation) auf dieses Jahr. Zurzeit sind über 400 000 Menschen in der Schweiz in einem solchen Modell versichert. Auch die Hausarztmodelle ohne Budgetverantwortung (ohne Capitation) legen jährlich zu. Die letzten beiden Jahre im Schnitt je 21,5 Prozent. Im Jahr 2010 befinden sich insgesamt knapp 2,7 Millionen Menschen in der Schweiz in einem Hausarztmodell. Das entspricht 37,7 Prozent. Der kleine Unterschied der hier ausgewiesenen Zahlen mit denen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) hat einen Grund: Die hier verwendeten Daten decken rund 91 Prozent ab. Die Daten des BAG 100 Prozent. Zurück zur Grafik: Zählt man die Telemedizin mit gut 400 000 Versicherten in diesem Jahr noch dazu, durchbricht die Zahl der Personen, die einem Modell mit eingeschränkter Arztwahl vertrauen, die drei Millionen-Grenze. Die Telemedizin wird statistisch erst seit 2009 erfasst, deshalb wird in der Grafik darauf verzichtet, ein Wachstum auszuweisen.

SILVIA SCHÜTZ

ENTWICKLUNG DER VERSICHERUNGSMODELLE QUELLE: SANTÉSUISSE-DATENPOOL

100,0% 90,0% 80,0% 70,0% 60,0% 50,0% 40,0%

2005

Managed CareModelle im engen Sinn (mit Budgetmitverantwortung der Ärzte) nahmen prozentual mit 57,7 Prozent dramatisch zu. Tabelle und Grafik zeigen die zunehmende Beliebtheit der Angebote mit eingeschränkter Auswahl und die abnehmende Attraktion der Standardangebote.

30,0%

2006 2007

20,0%

2008 10,0%

2009 2010 KUMULIERT

0,0%

STANDARDMODELL GEMÄSS KVG (BONUS UND ÜBRIGE VERSICHERUNGSMODELLE

HAUSARZTMODELLE OHNE CAPITATION K

CAPITATION-MODELLE (HMO, HAUSARZT MIT CAPITATION)

VERSICHERUNGSMODELLE MIT TELEMEDIZIN K

1

2

3

4

WACHSTUM DER VERSCHIEDENEN VERSICHERUNGSMODELLE WACHSTUM

WACHSTUM

WACHSTUM

WACHSTUM

WACHSTUM

2005 / 2006

2006 / 2007

2007 / 2008

2008 / 2009

2009 / 2010

1

- 3,9 %

-3,0 %

-8,2 %

-7,0 %

-20,1%

2

39,7 %

28,2 %

42,9 %

21,0 %

21,7%

3

13,5 %

10,7 %

53,0 %

17,1 %

57,7%

4

0,0 %

0,0 %

0,0 %

0,0 %

753,4%

TOTAL

1,0 %

1,0 %

0,8 %

0,5 %

-1,2%

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Drei Fragen an Marc-Anton Hochreutener, Geschäftsführer Stiftung für Patientensicherheit

Foto: ZVG

«MC spielt für die Patientsicherheit eine wichtige Rolle» Managed Care spielt für die Patientensicherheit eine wichtige Rolle, sagt Marc-Anton Hochreutener, Geschäftsführer Stiftung Patientensicherheit. Diese Modelle sind wie gemacht, um Fehler aufgrund von mangelnder Information zu vermeiden. 1200 Patienten sterben pro Jahr, sagt die Stiftung. Dr. med. Marc-Anton Hochreutener.

Zahlreiche Patienten sterben in Schweizer Spitälern, war kürzlich zu lesen. Ein wichtiges Thema, mit dem sich die Stiftung für Patientensicherheit befasst.

Die Schweiz hat ein Patientensicherheitsproblem wie alle westlichen Länder. Studien zeigen, dass in entwickelten Gesundheitssystemen jeder tausendste Spitalpatient an einem Fehler stirbt – auf die Schweiz umgerechnet also über 1200 Tote. Andere Studien aus vergleichbaren Ländern ermitteln sogar höhere Raten. Fehler in der Gesundheitsversorgung sind nicht ein Problem unsorgfältiger Arbeit. Es geht nicht um Pfusch! Es geht um ein Systemproblem, ja eine Systemkrankheit bzw. ein richtiges Public Health-Problem. Der Bund griff das Thema Ende der 90er Jahre auf, gegen erhebliche Widerstände. Daraus erwuchs eine konstruktive Auseinandersetzung, indem Bundesrätin Dreifuss eine Task Force einsetzte. Ergebnis war die Gründung der Stiftung für Patientensicherheit Ende 2003 als nationale Plattform zur Förderung des Lernens aus Fehlern und für die Patientensicherheit. Was sind die Aufgaben der Stiftung für Patientensicherheit? Wo steht die Schweiz Ende 2010 hinsichtlich Patientensicherheit?

Wir entwickeln und verbreiten Wissen, Konzepte und konkrete Empfehlungen für die Reduktion von Fehlern und Sicherheitsproblemen. Zudem betreiben wir Forschung, die wiederum der Verbesserung zu Gute kommt und praxisrelevante Erkenntnisse generiert. Wir entwickeln nichts am grünen Tisch, sondern arbeiten in Netzwerken. Wir pflegen Kooperationen mit Experten und Organisationen, welche Fachwissen beisteuern und motiviert sind, Innovationen zu entwickeln und anzuwenden. Unsere Themenpalette deckt zentrale Aspekte des klinischen Risikomanagements ab, zum Beispiel: Vernetzung lokaler Fehlermelde-Systeme, Medikationssicherheit, Patientensicherheit in der Grundversorgung, Fehleranalyse, Kommunikation nach Zwischenfällen, Patienteneinbezug oder sichere Chirurgie. Daneben sind wir in der Bildung und Lehre engagiert.

Zum Stand in der Schweiz: Viele Leistungserbringer in der Schweiz sind motiviert und engagiert, aber es ist kein Flächenbrand. Die Versicherer sind bisher leider abstinent. Im internationalen Vergleich sind wir heute wahrscheinlich nur Mittelfeld, wenn man das Gesamtsystem betrachtet. Neuste OECD-Daten bestätigen dies. Andere Länder sind deutlich weiter, gehen forscher und konsequenter vorwärts. Wenn wir in unserem Land jetzt Schub geben, können wir das wieder aufholen. Dazu brauchts jedoch vereinte Anstrengungen und eine förderliche Politik, sonst fallen wir weiter zurück! Wer kann was zu einer Verbesserung der Patientensicherheit leisten? Und was ist dabei die Rolle von Managed Care?

An erster Stelle sind die Leistungserbringer verantwortlich. Bei den Leistungserbringern sind auch starke Entwicklungen im Gang. Wichtig sind aber auch die Rahmenbedingungen und die politische Agenda. Die Politik sollte sich deutlich stärker engagieren, letztlich liegt Patientensicherheit als Teil der Versorgungssicherheit in der Verantwortung der Politik. Eine wuchtige politische Förderung der Patientensicherheit fehlt noch weitgehend. Deshalb fehlt es auch an Ressourcen. Wir sollten nicht mehr kleckern, sondern klotzen bei der Patientensicherheit, weil klotzen hier definitiv ökonomischer ist! Anders gesagt: Wir müssen aufhören, die Suppe mit der Gabel zu essen. Die Politik sollte Löffel fördern und verteilen! Managed Care spielt bei der Patientensicherheit eine wichtige Rolle. Die Vernetzung von Leistungserbringern, die Funktion koordinierender Grundversorger, die Zusammenführung von Informationsflüssen sind wichtige Prinzipien zur Vermeidung von Fehlern. Sie sind gleichzeitig Kernaspekte von Managed Care. Voraussetzung dafür, dass Managed Care sicherheitsfördernd wirkt, ist aber, dass Managed Care im Sinne echter integrierter Versorgung gelebt wird. FABIAN BAER

Stiftung für Patientensicherheit: Die Stiftung für Patientensicherheit wurde ausser vom BAG von Anbeginn mitgetragen von Berufsverbänden im Gesundheitswesen, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, dem Kanton Tessin und der Patientenorganisation. Später kamen u.a. H+, der Spitaldirektorenverband und die GDK hinzu. 25 Kantone helfen inzwischen neben Bund, Verbänden und Drittmittelgebern bei der Finanzierung mit. www.patientensicherheit.ch

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Integrierte Versorgung am Beispiel des Diabetes mellitus

Der Mensch steht im Zentrum, nicht die Krankheit Foto: ZVG

den Fokus wie das Problem Nikotin und eine nötige Rauchstoppberatung – je nach Patient. Managed Care zahlt sich aus Doris Fischer-Taeschler: «Die gezielte Steuerung durch den Facharzt legt den Fokus auf die 20 Prozent der Versicherten, die 80 Prozent der Kosten verursachen.»

Betrachtet man die Krankheit aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive, geht es auch darum, Themen wie Arbeitsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und die soziale Integration zu fördern. Die chronische Krankheit ist eine lebenslange Begleiterin und fordert lebenslange Begleitung. Managed Care/Integrierte Versorgung kann diese leisten. DORIS FISCHER-TAESCHLER, EMBA, GESCHÄFTSFÜHRERIN

Vielfach sind chronisch Kranke so genannt polymorbide Chroniker: Sie leiden an mehr als einer Krankheit und das lebenslang. Die gezielte Steuerung durch den Facharzt oder ein Fachteam für die «Haupterkrankung» legt den Fokus auf die 20 Prozent der Versicherten, die 80 Prozent der Kosten verursachen. Chronische Krankheiten sind ein Idealfall für Managed Care und umgekehrt. Das diabetologische Fachteam als Lotse

Das zentrale Element bei Diabetes ist die Begleitung durch das Fachteam. Die Fachperson wird zum steuernden und koordinierenden Lotsen. Damit wurden und werden gute Erfolge in Nordeuropa und in den USA erzielt. Im Vordergrund steht dabei die Verhaltensänderung als wesentliches Therapieelement. Wenn man erreichen will, dass sich ein Mensch mehr bewegt und gesünder isst, braucht es Beratung und viel unterstützende Motivation. Beratung, Begleitung und Empowerment lauten deshalb die Stichworte für die optimale Betreuung von chronisch Kranken. All das bietet ein begleitendes MC-Fachteam. Zusätzlich vermeidet es Doppelspurigkeiten, unnötige Untersuchungen und Behandlungen – das Disease Management wird zum Erfolgsfaktor. In guten MC-Modellen arbeiten Fachpersonen inter- und multidisziplinär: Diabetologe, Diabetesfachberaterin, Ernährungsberaterin, Podologe, allenfalls Psychologe und andere Mitglieder des Netzwerkes sorgen für nötige Zusatzangebote, die nicht von der Grundversicherung bezahlt werden.

SCHWEIZERISCHE DIABETES-GESELLSCHAFT

Die Behandlung von Diabetes kann folgende Themen zusammenschliessen: • HbA1c: Langzeitblutzuckerwert • Blutdruck und Cholesterin: oft auch andere kardiovaskuläre Risiken; zu hoher Blutdruck, zu hohe Blutfette • Augen: Retinopathie und damit Erblindung als eine Hauptkomplikation • Nieren: Nierenwäsche als grosse und teuere Komplikation • Neuropathie: Spürsinn an Extremitäten (Hände und Füsse) prüfen • Fussuntersuchung jährlich: Amputationen vermeiden • Nikotin: Rauchstoppberatung Diesen Zusammenschluss können Managed Care-Modelle/Integrierte Versorgung am besten leisten. Foto: Prisma

Managed Care (MC) ist ein Idealfall für chronisch Kranke. Die fachärztliche Steuerung durch die Behandlungskette bringt dem Patienten Mehrwert in Form von mehr Lebensqualität. Und sie legt den Fokus auf die 20 Prozent der Erkrankten, die 80 Prozent der Kosten verursachen.

Mehr als eine Krankheit

Die guidelinebasierte Behandlung richtet sich nach aktualisierten Standards und Behandlungspfaden: Dabei ist der Langzeitzuckerwert (HbA1c) ein wesentliches, aber nicht das einzige Element. Ergänzt wird sie durch die patientenzentrierte Betrachtung nach dem Grundsatz «more than a disease». Langzeitzuckerwert, Blutdruck und zu hohe Blutfette, die Nierenwerte und Augen rücken dabei ebenso in

Für chronisch Kranke und polymorbide Chroniker, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden, ist die Betreuung durch ein Ärztenetzwerk ideal.

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Bild

Monats

Foto: Keystone

Wir machen alles falsch – aber das richtig! Das Fest der Freude und des Lichts dürfte für Herz-/Kreislauf-Spezialisten, Ernährungsberater und generell Gesundheitsbewusste den Beigeschmack des Grauens und Schauderns haben: Ein Übermass an Zucker und Fett im Süssgebäck, locker fliessender Alkohol – und von alledem auch noch zu viel. Also ab in die Berghütte und jeden Tag Ski fahren, Snowboarden und mit Tourenskis oder Schneeschuhen Luft und Landschaft geniessen? Auch das ist nicht ohne: Die Unfallstatistik der Suva verzeichnet einen Zuwachs von 27 Prozent Ski- und Snowboardunfällen im Jahr 2008. Im Detail verunfallten 27 000 Skifahrer und 9000 Snowboarder. Diese Zahlen liegen acht Prozent über dem Mittel der Jahre 2000 bis 2008. Mit 498 000 Freizeitunfällen (+ 3,3 Prozent) wurde im letzten Jahr gar ein historischer Rekord erreicht! Also doch im Bett bleiben und an der wohligen Wärme träumen? Auch das nicht. Denn die meisten Menschen sollen ja im Bett sterben. Dann bleibt wohl für die Feiertage nur noch das Motto: Wir machen alles falsch, aber das richtig!

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Foto: Keystone

Die Kantone legen Tarife und Tarifverträge für die Übergangsphase bis 2014 fest. Wird dies im ersten Jahr kostenneutral gelingen?

Am 1. Januar 2011 tritt die neue Pflegefinanzierung in Kraft – die wichtigsten Neuerungen in Kürze

Das Seilziehen beginnt erst jetzt Am 1. Januar 2011 tritt die neue Pflegefinanzierung in Kraft. Sie legt die Beiträge für Pflegeleistungen schweizweit einheitlich fest und teilt die Pflegekosten zwischen Krankenversicherung, öffentlicher Hand und Patienten auf. Die Belastung der Patienten wird dabei limitiert und der Anspruch auf Ergänzungsleistungen erweitert. Noch sind aber – vor allem wegen ungenauer gesetzlicher Vorgaben – viele Fragen offen.

Aus Sicht der Krankenversicherer sind bei der neuen Pflegefinanzierung vor allem zwei Elemente herauszustreichen: Zum einen verhindert sie weitere Kostenschübe zu Lasten der Prämienzahler, zum andern schafft sie mit einheitlichen Pflegestufen und Pflegebeiträgen Transparenz. Die wichtigsten Neuerungen

Im Einzelnen hat die neue Pflegefinanzierung1 folgende wichtigen Änderungen zur Folge:

• Der Bundesrat bezeichnet die Pflegeleistungen und legt die Beiträge der Krankenversicherer für diese Leistungen für die ganze Schweiz einheitlich fest. Der Vergütung der stationären Pflege liegt eine 20-MinutenSkala mit 12 Pflegestufen zugrunde. Der geringste Beitrag liegt bei neun, der höchste bei 108 Franken pro Tag. Für die ambulante Pflege vergütet die Krankenversicherung je nach Leistungsart (Grundpflege, Untersuchung und Behandlung, Abklärung und Beratung) Beiträge zwischen 55 und 80 Franken pro Stunde. • Der Beitrag der Pflegebedürftigen an die Pflegekosten wird beschränkt, und zwar auf 20 Prozent des höchsten Pflegetarifs. Das sind im Pflegeheim Fr. 21.60 pro Tag. In der Spitex sind es knapp 16 Franken. Decken die Leistungen der Versicherer und die Patientenbeiträge den Pflegeaufwand nicht, so regelt der Kanton die Restfinanzierung. • Die Instrumente für die Erhebung des Pflegebedarfs im stationären Be-

reich (BESA, RAI-RUG und Plaisir), die heute den Pflegebedarf unterschiedlich bestimmen, werden auf das 12-Stufen-Modell abgestimmt. • Bei den Ergänzungsleistungen werden die Vermögensfreibeträge angepasst, und zwar von 25 000 auf 37 500 Franken für Alleinstehende und von 40 000 auf 60 000 Franken für Verheiratete. Die Freigrenze für Vermögen aus selbst bewohntem Wohneigentum wird auf 300 000 Franken erhöht, wenn der eine Partner in einem Heim lebt oder eine Hilflosenentschädigung bezieht. Zudem entsteht neu (ausserhalb des Heims) schon bei Hilflosigkeit leichten Grades ein Anspruch auf eine Entschädigung. • Neu werden auch ärztlich angeordnete Leistungen der Akut- und der Übergangspflege im Anschluss an einen Spitalaufenthalt während höchstens zwei Wochen vergütet. Zu deren Finanzierung verhandeln Versicherer und Leistungserbringer Pauschalen. Die Kantone übernehmen dabei wie

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bei der Spitalfinanzierung einen Anteil von mindestens 55 Prozent. • Ebenfalls neu hat die Krankenversicherung Beiträge an die Pflege zu leisten, die in Tages- oder Nachtstrukturen erbracht wird, was vor allem pflegende Angehörige entlastet. Noch ungelöste Probleme

Da die Verordnung verschiedene Fragen offen gelassen hat, interpretieren die Kantone, die Leistungserbringer und die Versicherer die gesetzliche Grundlage in einigen Punkten unterschiedlich. Bis zum Einführungstermin und wohl noch einige Zeit darüber hinaus sind vor allem im stationären Bereich noch eine Reihe von Problemen zu lösen2. Dazu gehört die Abstimmung der drei bestehenden Pflegebedarfsinstrumente auf das neue 12-Stufensystem. Der Anfang soll nun in Kantonen gemacht werden, wo RAI/RUG und BESA nebeneinander existieren. In einer zweiten Phase soll auch Plaisir angeglichen werden. Auch bei der Akut- und Übergangspflege besteht noch Klärungsbedarf. Aufgrund von Gesetz und Verordnung ist klar, dass die Übergangspflege ambulant oder stationär durchgeführt werden kann und dass sie grundsätzlich die gleichen Leistungen wie im Pflegeheim oder in der Spitex umfasst. Unbestritten ist weiter, dass Kantone und Versicherer die Pflegeleistungen finanzieren, aber nicht die Hotelleriekosten und die Betreuungsleistungen. santésuisse geht zudem davon aus, dass die Übergangspflege nicht sehr aufwändig sein wird. Denn die gesundheitlichen Probleme sollten, bevor die Übergangspflege zum Einsatz kommt, so weit stabilisiert sein, dass weder ein Bedarf für weitere Spitalleistungen noch für Rehabilitation besteht. Die Übergangspflege soll vielmehr die Kompetenz zur Selbstpflege stärken und dafür sorgen, dass die Patienten in ihrer gewohnten Umgebung wieder wie vor dem Spitalaufenthalt zurechtkommen. Pflegeaufwand und Kosten sind entsprechend zu begrenzen. Im Bereich der Tages- und Nachtstrukturen gibt es schon heute ein vielfältiges und zunehmend beliebteres Angebot (von Heimen, Alterszentren, Resi-

denzen, Kurhäusern usw.). Es handelt sich um eine Zwischenform der Pflege, die weder eindeutig dem Heimbereich noch der Spitex zuzuordnen ist. Der Bundesrat hat es jedoch unterlassen, dazu klare Regeln aufzustellen. Die Verordnung bestimmt nur, dass die Finanzierung gemäss dem im Heimbereich angewandten 12-Stufenmodell erfolgen soll. Sie schweigt sich aber aus über die Leistungserbringer, ihre Zulassung und notwendige Auflagen. Ein besonderes Problem ist, dass als ambulant definierte Leistungen nach den Regeln der stationären Pflege finanziert werden. Noch nicht geeinigt haben sich die Vertragspartner bei der Frage der Kontrolle der Pflegebedürftigkeit. santésuisse unterstützt die Versicherer, die darauf bestehen, bei ihren Versicherten selber Kontrollen vornehmen zu dürfen. Der Heimverband Curaviva und der SpitexVerband hingegen befürworten paritätische Kontrollen. Umstrittene Kostenbeteiligung

Die meisten Kantone haben inzwischen ihre Pflegegesetze revidiert. Ein umstrittener Punkt war und ist teilweise noch immer die Höhe der Kostenbeteiligung der Patienten. Der Preisüberwacher hat jedenfalls die Kantone aufgefordert, den Willen des Gesetzgebers und den Tarifschutz des KVG zu respektieren3. Insbesondere sollten sie davon absehen, die Heimbewohnerinnen und -bewohner in unteren Pflegebedarfsstufen mit einem zu hohen Eigenbeitrag zu belasten. Zudem müsse verhindert werden, dass Pflegeheime Finanzierungslücken bei der KVG-pflichtigen Pflege mit überhöhten Betreuungs- oder Pensionspreisen kompensierten. Noch steht nicht fest, ob seine Empfehlungen überall umgesetzt werden. Ganz unterschiedlich wird die Kostenbeteiligung im ambulanten Pflegebereich geregelt. Einige Kantone erheben nach dem Grundsatz «ambulant vor stationär» überhaupt keinen Patientenbeitrag, andere verlangen einen Kostenbeitrag von zehn Prozent und die restlichen schöpfen mit 20 Prozent den gesetzlich erlaubten Höchstbetrag aus. Umstritten ist zudem die unterschiedliche Behand-

lung von öffentlicher und privater Spitex in einigen Kantonen. Schwierige Übergangszeit

Die gesetzlichen Übergangsbestimmungen halten fest, dass die Summe der Vergütungen der Krankenversicherung für ambulante und stationäre Pflegeleistungen im Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes gleich hoch sein muss wie im Vorjahr. Eine solch kostenneutrale Festlegung der Pflegebeiträge wird aber kaum schon im ersten Jahr zu erreichen sein. Der Bundesrat wird deshalb in den folgenden Jahren Anpassungen vornehmen müssen. Laut Übergangsbestimmungen sind zudem Tarife und Tarifverträge an die vom Bundesrat festgelegten Beiträge anzupassen. Diese Angleichung ist durch die Kantone zu regeln. Das ist kein einfaches Unterfangen angesichts der zahlreichen unterschiedlichen Verträge und der Tatsache, dass die Beiträge der Krankenversicherer in einigen Kantonen sinken, in andern aber steigen werden. Es ist mit einem harten und langen Seilziehen zwischen den Beteiligten zu rechnen, bis die vielen noch ungelösten Fragen geregelt sind. santésuisse erwartet, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Das heisst, dass per 1. Januar 2011 die neuen Tarifstrukturen flächendeckend eingeführt werden und dass spätestens bis 2014 schweizweit einheitliche Pflegebeiträge der Krankenversicherung gelten. WALTER FREI

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Das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung und die revidierte Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) sind im Internet zu finden unter: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2008/5247.pdf, http://www.admin.ch/ch/d/as/2009/3527.pdf Stefan Kaufmann, Direktor santésuisse, hat die Probleme an der KVG-Tagung der Universität St. Gallen vom 26.08.2010 ausführlich dargelegt. Newsletter des Preisüberwachers Nr. 1–10

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Buchbesprechung: Sozialversicherungen in der Schweiz

Pirsch in den Versicherungs-Dschungel Ein gutes und verständliches Kompendium gibt einen Überblick über das komplexe schweizerische Versicherungssystem und die Funktion der einzelnen Versicherungszweige. Die praxisbezogene Form der Darstellung zeichnet die Publikation von Kurt Häcki, Ökonom und Sozialversicherungsexperte, besonders aus. Erschienen ist «Sozialversicherungen in der Schweiz» im Verlag Rüegger (4., aktualisierte Auflage).

Der Autor weist einleitend darauf hin, dass die Sozialversicherungen in der Schweiz historisch und unterschiedlich gewachsen sind und dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen seit den ersten Auflagen des Buches weiter verändert haben. Erst mit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts (ATSG) per 1. Januar 2003 wurde ein übergreifendes Gesetzeswerk geschaffen. Die einzelnen Zweige der Sozialversicherung bleiben aber in weiten Teilen eigenständig. Die geschichtliche Entwicklung

Ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung zeigt folgendes Bild: Seit 1948 ist das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHVG) in Kraft und seit 1960 das Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG). Mit einigen Jahren Verzögerung kamen neue Gesetze hinzu, im Jahr 1984 das Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung (AVIG) sowie das Unfallversicherungsgesetz (UVG). Zehn Jahre später, im Jahr 1995, traten zwei weitere Bun-

desgesetze in Kraft: Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG) sowie das Bundesgesetz über die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge (WEFG, als Teil des BVG und des OR). Seit dem 1. Januar 1996 gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG). Per 1. Juli 1997 trat die Verordnung über die berufliche Vorsorge von arbeitslosen Personen in Kraft. Bei der AHV erfolgte auf den 1. Januar 1997 die Umsetzung der 10. AHV-Revision. Auswirkungen auf die Sozialversicherungen hatte sodann das am 1. September 1999 in Kraft getretene Bundesgesetz über das Stabilisierungsprogramm 1998. Weiter ging es mit der Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes per 1. Juli 2003 sowie mit der Umsetzung der 4. IV- Revision per 1. Januar 2004 und der 5. IV-Revision per 1. Januar 2007.

die Neuordnung der Pflegefinanzierung zu Änderungen bei der AHV, den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV und im KVG führen. Instruktive Fall-Beispiele

Der Autor befasst sich auch mit der Frage, was bei den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung beachtet werden muss, wenn ein bestimmtes Ereignis wie Stellenantritt, Kündigung, Unfall, Scheidung usw. eintritt. Anhand dieser Ereignisse aus dem Lauf eines Lebens beschreibt Häcki, welche Bedingungen, Leistungen usw. aufgrund der einzelnen Gesetze gelten. Jedes Kapitel wird deshalb mit einer kurzen Fallbeschreibung eingeleitet und erläutert. Instruktiv sind sodann die verschiedenen Übersichten und Kurzfassungen im Anhang. Neu befindet sich am Schluss eine Auflistung von wichtigen Internetseiten. JOSEF ZIEGLER

Aktuelle Revisionen

Bei einigen Gesetzeswerken waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches Diskussionen über Revisionen im Gang, so über die zweite Runde der (inzwischen im Parlament gescheiterten) 11. AHV- Revision, die 6. IV-Revision und die 1. BVG-Revision. Einfluss auf die Sozialversicherungen hat seit dem 1. Januar 2008 auch das Bundesgesetz über die Bekämpfung der Schwarzarbeit (BGSA). Ein Jahr später, am 1. Januar 2009, trat das Bundesgesetz über die Familienzulagen in Kraft (FamZG), das gesamtschweizerische Mindestvorgaben für die Kinderund Ausbildungszulagen sowie neu den Anspruch von nichterwerbstätigen Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen festlegt. Neu wird auf den 1. Januar 2011 das Bundesgesetz über Kurt Häcki, Sozialversicherungen in der Schweiz. 4., aktualisierte Auflage 2010, 378 Seiten, Verlag Rüegger Zürich/Chur

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Gesundheitspolitik

Zunehmende Unzufriedenheit «Gesundheitswesen Schweiz 2010–2012» leistet einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des schweizerischen Gesundheitswesens. Es ist die jüngste, stark überarbeitete und ergänzte vierte Auflage des Standardwerkes. Unterstützt wird das Buch von santésuisse und der «Nationalen Gesundheitspolitik Schweiz».

Die beiden Herausgeber, die Gesundheitsökonomen Gerhard Kocher und Willy Oggier, stellen einleitend fest, dass sich die Lage im schweizerischen Gesundheitswesen und vor allem in der Gesundheitspolitik seit der ersten Auflage des Buches (2001) wesentlich verschärft hat. Das gelte vor allem im Blick auf die Finanzierung: 2010 würden wir wohl über 62 Milliarden Franken für unser Gesundheitssystem ausgeben. Trotz zahlreicher Sparbemühungen steigen die Ausgaben Jahr für Jahr um rund zwei Milliarden Franken. Vor grosse Herausforderungen würde uns auch der akute Personalmangel bei den Pflegefachleuten und bei Ärztinnen und Ärzten stellen. Auch kranke das Schweizer Gesundheitswesen an vielfältigen Struktur- und Organisationsproblemen. Hemmschuh: Übertriebener Föderalismus

Als Hemmschuh für längst notwendige Reformen orten die Herausgeber übereinstimmend den «übertriebenen Föderalismus». Deshalb könnten Fortschritte am ehesten mit einer Politik der kleinen Schritte realisiert werden. Angesichts der zunehmenden politischen Schwierigkeiten werde die Gesundheitspolitik immer mehr als unbefriedigend wahrgenommen. Diese ist denn auch «einer der kompliziertesten und heikelsten Poltikbereiche». Auch psychologisch spitzt sich die Lage zu. Das äussert sich in der zunehmenden Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Medien mit Politikern, Bundesämtern, sozial-

gesundheitspolitischen Kommissionen auf eidgenössischer und kantonaler Ebene sowie mit den CEOs und Verwaltungsräten der Krankenkassen. Unzufriedener würden auch grosse Teile der im Gesundheitswesen Beschäftigten wie Ärzte und Pflegende. Sie fühlen sich oft zu Unrecht als Sündenböcke. Kaum jemand bestreite noch, so die Herausgeber, dass Reformen notwendig sind, ob man die herkömmlichen kurzfristigen Spar- und Reformversuche befürworte oder nicht. Parallel und unabhängig dazu müssten wir mittelfristige, grundsätzlichere Reformen erarbeiten. Sie betreffen die Ziele, die Strategie und das System des Gesundheitswesens. Mehr Kapitel, neue Autoren

Neu in der 4. Ausgabe des Buches sind die beiden Kapitel «Qualität» und «Berufe im Gesundheitswesen». Für die neue Ausgabe des Buches wurden 26 neue Autoren gewonnen. santésuisse ist mit folgenden Autoren und Beiträgen vertreten: Direktor Stefan Kaufmann mit einem Vorwort und dem Kapitel «Krankenversicherer», Markus A. Ziegler, Gesundheitsökonom bei santésuisse, «Medikamente», und Daniel Wyler, Leiter SVK, «Tarife». Sparen: Ja, aber wo?

Wie Stefan Kaufmann in seinem Beitrag feststellt, schätzen die Versicherten die Leistungen des schweizerischen Gesundheitswesens hoch ein. Ein Grossteil sei auch bereit, dafür entsprechend hohe Krankenversicherungsprämien zu bezahlen. Gemäss einer GfS-Studie bereite jedoch der Hälfte der Prämienzahler die Bezahlung der Prämien regelmässig oder gelegentlich Mühe. Laut dem GfS-Gesundheitsmonitor 2008 seien die Versicherten erstmals mehrheitlich bereit, auf gewisse Freiheiten zu verzichten, wenn damit Kosten gesenkt werden könnten. Das betreffe namentlich die Therapiefreiheit (54 Prozent), aber auch die freie Spitalwahl (51 Prozent). Unverändert nicht mehrheitsfähig erschienen dagegen Einschränkungen

Gerhard Kocher/Willy Oggier «Gesundheitswesen Schweiz 2010–2012»- Eine aktuelle Übersicht, 447 Seiten, Verlag Hans Huber Bern, 2010.

der freien Arztwahl und des Zugangs zu neuen Medikamenten. Die grössten Sparmöglichten würden die Befragten bei sich selber, bei der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern orten. In verschiedenen Befragungen zeige sich jedoch, dass der Wissensstand der Bevölkerung über Krankenversicherung und Krankenversicherer gering sei. Nicht der Realität entsprechend würden auch die Verwaltungskosten geschätzt. Während diese Ausgaben tatsächlich 5,7 Prozent (Stand 2009) des gesamten Aufwandes für Leistungen und Administration ausmachten, gingen die Befragten im Durchschnitt von 32 Prozent aus. Abschliessend formulieren die Herausgeber ihre Hauptwünsche für die Zeit bis zu 5. Auflage: Dass grundsätzliche Reformen endlich realisiert werden können und dass sich die Datenlage im schweizerischen Gesundheitswesen stark verbessert. Ohne Transparenzzuwachs seien grössere Reformen nicht möglich. JOSEF ZIEGLER

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SILVIA SCHÜTZ, CHEFREDAKTORIN

Prämienwachstum dämpft Einkommen Der Krankenversicherungsprämien-Index (KVPI) verzeichnete für das Prämienjahr 2010 ein Wachstum von 8,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, teilt das Bundesamt für Statistik (BFS) in einer Mitteilung mit. Auf der Basis 1999=100 erreichte der KVPI damit einen Indexstand von 156,3 Punkten. Der vom BFS berechnete KVPI erfasst die Prämienentwicklung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der Krankenzusatzversicherung. Anhand des KVPI lässt sich die Auswirkung der Prämienentwicklung auf das Wachstum des verfügbaren Einkommens schätzen. Gemäss der KVPI-Modellrechnung dämpften 2010 die steigenden Prämien das Wachstum des verfügbaren Durchschnittseinkommens um 0,6 Prozentpunkte. (www.news.admin.ch)

Foto: Silvia Schütz

5000 Franken für Fragile Suisse Das Geld, das santésuisse für Weihnachtskarten und andere verschickte Glückwünsche verwenden würde, fliesst in diesem Jahr zum zweiten Mal einer gemeinnützigen Institution zu. Glücksfee Joelle zog aus dem goldenen Topf «Fragile Suisse». Die Nonprofit-Organisation bietet hirnverletzten Menschen, ihren Angehörigen und Fachpersonen in der ganzen Schweiz Unterstützung. In den nächsten Tagen werden 5000 Franken in die Kasse der Organisation fliessen.

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Aus aller Welt

Trends im Gesundheitswesen – die brennenden Themen der Krankenversicherer – Effizienz – Qualität – Ausgaben. Wir liefern die Hintergründe: In infosantésuisse finden Sie Dossiers, Interviews und Analysen. Vom Blick über die Grenze bis hin zu Stellenangeboten und praktischen Tipps für Ihren Arbeitsalltag: infosantésuisse bringt das Gesundheitswesen für Sie auf den Punkt – aktuell, sachlich und spannend. Neu erscheint infosantésuisse alle zwei Monate statt zehn Mal pro Jahr. Das ermöglicht uns, stärker auf aktuelle Branchenthemen einzugehen – mit Umfragen, Interviews, Studien, Artikeln von Fachpersonen und eigenen Recherchen. Ein weiterer Vorteil für Sie: Das Jahresabonnement mit sechs Ausgaben ist günstiger geworden. Neu kostet es nur noch 54 Franken. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spass bei der Lektüre und einen guten Start ins neue Jahr!

Service

infosantésuisse – neu alle zwei Monate

Multisektorale Gesundheitspolitik Was haben die Schaffung von Naherholungsgebieten, Bildungsförderungsprojekte und die Subvention von Rindfleisch gemeinsam? Alle haben Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung, werden aber ausserhalb des Politikbereichs Gesundheit getroffen. Diesem Thema widmet sich Spectra 83 «Gesundheitsfolgenabschätzung». Die neuste Ausgabe kann beim BAG online bezogen werden.

Kantonale Alterspolitiken Der Forschungsbericht des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zum Thema «Kantonale Alterspolitiken in der Schweiz» ist online erschienen. Er bietet eine Bestandesaufnahme der Formen und Ausprägungen von Alterspolitiken in den Kantonen. Die Ergebnisse werden mit einer kommentierten Checkliste von Merkmalen ergänzt. Der Bericht existiert auf deutsch mit Zusammenfassungen in Französisch, Italienisch und Englisch. (mm)

Mehr Beschäftigte im Gesundheitsbereich Die Zahl der in der Schweiz im Gesundheitsbereich Beschäftigten ist von 2001 bis 2008 um 2,6 Prozent pro Jahr gestiegen. Diese Zunahme liegt über dem gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungswachstum (+1,2 Prozent). Der Sektor gewann im Laufe dieser sieben Jahre 90 000 Beschäftigte hinzu und zählte 2008 rund 542 000 Erwerbstätige, was einem Anteil von 13,5 Prozent an der Gesamtbeschäftigung entspricht. (www.news.admin.ch)

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Veranstaltungen Organisator

Thema

Ort/Datum/Zeit

Infos

Gesundheits-Förderung Schweiz

12. Nationale Gesundheitsförderungskonferenz

6./7. Januar 2011, Kongresszentrum Davos

www.gesundheitsförderung.ch

Kantonsspital St. Gallen

Fachsymposium Gesundheit Chronisch kranke Menschen

19./20. Januar 2011 Olma Messen, St. Gallen

www.fachsymposium.ch

Trendtage Gesundheit Luzern

Chronische Krankheiten, Trends und Perspektiven im Gesundheitswesen

30./31. März 2011, KKL Luzern, Luzerner Saal

www.trendtage-gesundheit.ch

RVK

Das Gesundheitswesen im Umbau: aktuelle Reformen auf dem Prüfstand

19. Mai 2011, Kongresshaus Zürich

www.rvk.ch

Melden Sie uns Ihre Veranstaltungen an: redaktion@santesuisse.ch! Weitere Veranstaltungen unter www.santesuisse.ch

80 Personen von Krankenversicherern informierten sich über zukunftsweisende Branchenlösungen der SASIS AG

Neue Kundenorientierung für künftige Herausforderungen schiedenen Bedürfnisse ihrer Kunden erfüllen. Jeder Kunde kann sich aus diesem Angebot seinen Teil aussuchen und optimal in seine betrieblichen Systeme einbauen. Die SASIS AG wird sich im Jahr 2011 in enger Zusammenarbeit mit den Versicherern, santésuisse, tarifsuisse ag, Leistungseinkäufern und Leistungserbringer-Organisationen den neuen Herausforderungen stellen und mit einem neuen Web-Portal vermehrt die Nähe zu den persönlichen Benutzern und Kunden suchen. Denn eines ist sicher, das Jahr 2012 steht bald vor der Türe. H.-P. SCHÖNENBERGER, GESCHÄFTSFÜHRER

Foto: ZVG

Der nochmals verfeinerte Risikoausgleich, die neue Pflegeheimfinanzierung und die DRG-Einführung 2012 sind die Themen der nahen Zukunft. Am ersten Kundenanlass der SASIS AG seit der Aufnahme des Betriebes im 2009 standen die bevorstehende Ausrichtung der Firma und die Anpassungen der Produkte auf diese Herausforderungen im Vordergrund. Die SASIS AG ist zurück «am Markt». Nach dem erfolgreichen Abschluss des Grossprojektes «nationale Versichertenkarte» und dem Abschluss des Aufbaus der rechtlich und operativ eigenständigen Firma wird sich die SASIS AG nun konsequent auf die bevorstehenden Veränderungen im KrankenversicherungsMarkt ausrichten. Der Kundenanlass vom 24. November 2010 zeigte wie. Die Produkte der SASIS AG sind in den letzten Jahren stark zusammengewachsen. Im ganzen «administrativen Kreislauf» vom Leistungsbezug des Patienten mit der Versichertenkarte (Produkt VeKa), beim Leistungserbringer (Produkt Zahlstellenregister) über die Leistungsverrechnung (Produkt Zentrales Vertragsregister) bis zur Auswertung der Leistungsabrechnungen in der Statistik (Produkt Daten- und Tarifpool), sind die elektronischen Produkte und Dienstleistungen der SASIS AG im Einsatz. Diese Branchenlösungen sind abgestimmt auf die Nahtstellen zu den Leistungserbringern und ihren Informatik-Systemen. Die SASIS AG betreibt diese Branchenlösungen und kann mit den verschiedenen Angeboten wie Web-Applikation, StandardSchnittstelle, EDI-Schnittstelle und Mandantenlösung, die ver-

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Brille und Kontaktlinsen fallen weg Das Eidgenössische Departement des Innern hat verschiedene Änderungen der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) beschlossen, die auf Anfang 2011 in Kraft treten. Darunter befinden sich tiefere Höchstvergütungsbeträge für Inkontinenzprodukte, für Blutzuckermessgeräte und -teststreifen sowie Lanzetten. Neu wird zudem die Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) bei Mädchen und jungen Frauen bis zum 26. Altersjahr übernommen. Auch hydrokolloide/hydroaktive Wundverbände werden künftig tiefer vergütet. Zudem wird unter anderem der Beitrag an Brillengläser und Kontaktlinsen gestrichen. Mit den Massnahmen sollen jährlich rund 40 Mio. Franken zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) eingespart werden. Bisher übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die HPV-Impfung für Frauen bis zum Alter von 20 Jahren, falls sie im Rahmen von kantonalen Impfprogrammen durchgeführt wird. Neu werden die Kosten für die Impfung auch für Frauen zwischen 20 und 26 Jahren übernommen. Die Übernahme der Kosten für die Impfungen nach dem Schulalter ist bis Ende 2012 befristet und wird die OKP nach Schätzungen von santésuisse mit zwischen acht bis zehn Millionen Franken belasten. Magenband für BMI über 35

Zukünftig vergütet die obligatorische Krankenpflegeversicherung Magenband- und Magenbypass-Operationen bei Personen mit einem Body Mass Index (BMI) von über 35. Bisher galt ein BMI von über 40. Vor einem Eingriff muss die Patientin oder der Patient jedoch während zwei Jahren erfolglos eine nicht-chirurgische Therapie absolviert haben und der Eingriff muss nach den aktuellen Richtlinien der Swiss Study Group für Morbid Obesity durchgeführt werden. Dazu

gehören auch Mindestfallzahlen für die durchführenden Zentren. Von santésuisse geschätzte kurzfristige Mehrausgaben: fünf Millionen. Mittel- bis langfristig wird diese Massnahme die Ausgaben senken, weil Folgekrankheiten von Adipositas verhindert werden. Der Spitalbeitrag für Erwachsene beträgt neu 15 Franken pro Tag

Der Bundesrat erhöht den in der Verordnung über die Krankenversicherung festgelegten Spitalbeitrag. Dieser beträgt neu 15 Franken pro Spitaltag und gilt künftig für alle Erwachsenen. Ausserdem soll das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) bis im September 2011 die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung eines elektronischen Patientendossiers ausarbeiten. Zusätzlich kommt das Krebsregister: Ein noch auszuarbeitendes neues Gesetz soll künftig die kantonal unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen der Krebsregistrierung harmonisierern. Ausserdem sollen damit Neuerkrankungen schweizweit vollständig erfasst und aussagekräftige Daten zur Entwicklung von Krebserkrankungen erhoben werden. Der Entwurf steht im Frühling 2012. Komplementärmedizin bleibt draussen

Die ELGK empfiehlt die Ablehnung der komplementärmedizinischen Anträge, weil die Komplementärmedizin die WZW-Kriterien nicht erfüllt. Der definitive Entscheid liegt beim EDI. Didier Burkhalter erwartet von der Kommission, dass sie ihm ein vollständiges Dossier übergibt, damit er in Kenntnis aller Fakten entscheiden kann. Das EDI prüft parallel dazu weitere Möglichkeiten, die Komplementärmedizin in Ausbildung und Berufsanerkennung zu berücksichtigen. ALAIN VIOGET

Foto: Keystone

Klipp klar

Neue Verordnungen zu MiGeL und Leistungen

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Gesundheitswesen Schweiz 2010 – 2012 Inhalt Das Schweizer Gesundheitswesen ist komplex und im Umbruch. Reformversuche und Sparmassnahmen jagen sich, oft ohne klare Ziele und ohne Koordination. Gesundheitspolitik ist seit Jahren ein heissumstrittener und komplexer Politikbereich – mit ideologischen Polemiken und starken Interessengruppen. In einer solchen Lage ist Transparenz wichtig. Dieses Buch ist ein Nachschlagwerk über das schweizerische Gesundheitswesen. Es gibt eine aktuelle und sachliche Gesamtübersicht in 39 Kapiteln von 61 Autorinnen und Autoren. Das Buch enthält 174 Tabellen und 50 Abbildungen. Besonderen Wert legen die beiden Herausgeber – Gerhard Kocher und Willy Oggier – auf möglichst hohe Objektivität, aussagekräftige Daten und auf gute Lesbarkeit.

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Haben Sie sich schon für infosantésuisse online registriert? infosantésuisse, das Magazin der Schweizer Krankenversicherer, ist für all seine Abonnenten auch online verfügbar.

Zielpublikum Für Fachleute aus dem Gesundheits- und dem Sozialversicherungswesen, Politikerinnen und Politiker, Medienschaffende und für alle an unserem Gesundheitswesen und der Gesundheitspolitik Interessierten.

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Ex. «Gesundheitswesen Schweiz 2010 – 2012», Herausgeber: Gerhard Kocher / Willy Oggier, 4. Aufl. 2010, 464 S., Fr. 39.90 ISBN 978-3-456-84803-7

s Die Online-Version steht bereits einige Tage vor Erscheinen des Hefts zur Verfügung. s Die Online-Version enthält auch ein Archiv älterer Ausgaben. s Exklusive, umfangreiche Dossiers zu wichtigen Themen stehen ebenfalls zur Verfügung.

Alles, was Sie brauchen, ist die Abonummer auf der Adress-Folie und Ihre Postleitzahl. Folie weggeworfen, Abo-Nummer vergessen? Wir helfen gerne weiter unter redaktion@santesuisse.ch Auch Nicht-Abonennenten können die Vorteile der Online-Version testen: www.santesuisse.ch/infosantesuisse Mehr Informationen zur online-Version finden Sie in der Ausgabe 2/09. Sie können den Artikel als pdf bestellen unter redaktion@santesuisse.ch.

Bestellung an: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG Länggass-Strasse 76, Postfach, 3000 Bern 9 Fax 031 300 45 94, E-mail: distribution@hanshuber.com

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Gesundheitspolitik

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Exemplar(e) «1x1 der Krankenversicherung», deutsche Ausgabe

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exemplaire(s) du B-A-BA de l’assurance-maladie, édition française

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esemplare(i) di «1x1 L’assicurazione malattia», edizione italiano

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