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„FÜR ANDERE BIN ICH EIN PARADOXON“

SANDRA WIRD GERNE SANDI GENANNT, ABER WIE DER SAND UND NICHT DIE SANDY! WAS SIE AM LIEBSTEN TRÄGT, SIND BUNTE T-SHIRTS UND IHRE VANS, IM BÜRO HINGEGEN VERANTWORTUNG UND MANCHMAL AUCH EIN DICKES FELL. DAS SIE ZWAR METAL HÖRT, ABER NICHT IM TATTOO-STUDIO ARBEITET, KAUFT MAN IHR AUF DEN ERSTEN BLICK NICHT AB, TÄUSCHT SICH ABER SCHNELL, WENN MAN DIESES ZIERLICHE PERSÖNCHEN UNTERSCHÄTZT. WAS SIE ´IMMER WIEDER ZU HÖREN KRIEGT´ UND ´NICHT MEHR HÖREN KANN´, VERRÄT SIE UNS IM INTERVIEW.

SANDI SANDKUCHEN Groß- und Aussenhandelskauffrau

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Ich hoffe, ich habe nicht zuviel verraten, aber stell Dich doch einfach selber mal vor.

Ich bin Sandra und 29 Jahre alt. Ich bin in Karlsruhe geboren und dann direkt in ein kleines , verspießtes, konservatives Dorf an die Mosel gezogen und dort aufgewachsen. Ich war schon früh der Außenseiter, weil mein Auto voller Aufkleber war und ich paar Tattoos hatte. Ich war ne Attraktion. Da standen die Nachbarn schon gerne im Garten und haben geglotzt und hinter meinem Rücken gelabert. Dann bin ich da abgehauen, nach Köln gezogen, bin dann noch bissi in der Welt herumgekommen und bin jetzt in Hamburg gelandet und arbeite in der Logistik- und Auftragsabwicklung am Berliner Tor.

Wie reagieren Kollegen auf Dein Äußeres?

Wir haben ein sehr junges Team. Es wird zwar ab und zu mal geguckt, aber sie halten sich sehr zurück, interessiert da auch eigentlich niemanden. Ich habs aber auf anderen Arbeitsstätten natürlich auch anders erlebt, gerade bei älteren Mitarbeitern, dass da getuschelt wird, du nicht ernst genommen und anders behandelt wirst und immer der Außenseiter bist. Wie bei meinem Vater auch. Der ist in den 40er geboren. Das ist natürlich nicht einfach. (...) Bis zum letzten Tag war es für ihn total unverständlich, nicht nachvollziehbar und immer ein sehr negatives Thema, wie man sich so stark zu tätowieren kann.

Wann hast Du damit angefangen?

Ganz schwer zu erklären. Gesehen zum erste Mal in Zeitschriften, geh ich von aus. Wie gesagt, aufm Dorf aufgewachsen, da hatten nicht viele Leute Tätowierungen. Bands die man gut fand, hatten natürlich welche. Man war da 16 Jahre alt und fand das erst mal nur cool. Man war ein Kind, ein Jugendlicher, aber Gott sei Dank war ich nicht so naiv und hab mich mit 16 zu tätowiert. Ich hab mir irgendwie mit 17 mein Motiv übers Bett gehangen und hab mir das 2 Jahre angeguckt. Erst nach 2 Jahren hab ich gesagt: „Du findest das immer noch gut, also machst du das jetzt einfach mal. Ist ja nur eine kleine Tätowierung“. Da war ich dann 19 und es war nie geplant, dass ich jemals den Arm voll haben werde. Dann kam eine zweite, eine dritte Tätowierung und die Hemmschwelle wird irgendwann immer geringer und bevor du dich versiehst, ist der erste Arm voll. Aber ich kann es mir auch gar nicht mehr anders vorstellen. Das gehört zu mir wie Zähne putzen. Ist auch immer wieder witzig, wenn Leute Fragen stellen oder komisch kucken. Dann erinnert man sich immer erst wieder dran: „Ach stimmt, ist ja gar nicht normal. Hab ich doch glatt vergessen, dass ich ja der Außenseiter bin“.

Hattest Du nie Angst davor, deswegen ausgegrenzt zu werden? Ich war in der Schule schon immer ein Außenseiter, auch schon vor meinen Tätowierungen. Ich war halt so ein bisschen vorlaut, oft Ärger gehabt, hab mit den Lehrern Stress angefangen. Kam mit Autorität nicht gut klar. Hab verschiedene Phasen durchgemacht, teils war ich auch ein Metal Girl mit nem langen, schwarzen Ledermantel und schwarzen Haaren. Ob ich jetzt deswegen ausgegrenzt werde oder wegen Tätowierungen; ich glaube, wenn man schon von Anfang an, als Kind, in so einer Außenseiterrolle ist, bleibt man vielleicht sein Leben lang auch extra in der Rolle, vielleicht weil man sich da am wohlsten fühlst.

Was ist die wichtigste Lektion die Du bisher gelernt hast?

Hm, nichts ist wie es scheint. Im Sinne von, was die Gesellschaft über dich denkt. Du wirst schnell verurteilt. Egal ob ich in den Aldi gehe, oder in ne Bank, du wirst schnell abgehakt und in ne Schublade gesteckt. Natürlich hab ich mich auch schon dabei erwischt, dass ich genau so schnell verurteile, und abhake. Wir sind alle gleich und alles was wir nicht kennen, wollen wir erst mal nicht. „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.“ Da kann ich mich gar nicht von freisprechen.

Findest Du es gut, wenn Dich Leute auf der Strasse ansprechen?

Wenn sie wirklich interessiert sind, ist es kein Thema. Besonders bei Leuten, wo ich weiß, da ist echtes Interesse. Ne 19jährige im Club mit nem dummen: „Hi! Cooles Tattoo“ und gleich grabscht kann ich nicht ab. Dieses „anfassen“ direkt ist so mega respektlos.

Was glaubst Du, woran das liegt? Also die Tätowierungen, die kurzen Haare und meine dünne Erscheinung lassen mich oft in die Lesben-Ecke stellen. Vielleicht auch HarzIV, keine Ahnung. Mir wurde schon öfter Lesbe hinterher gerufen. Ähm, viele denken vielleicht auch, ich bin asozial oder arbeite im Tätowierstudio. Aber spätestens im Gespräch, kann ich dann doch hoffentlichmit Intelligenz und Rationalität überzeugen. Dann sehen die auch ganz schnell, ich bin ganz normal, vielleicht sogar noch normaler als die selbst. Dann hab ich auch noch einen guten Bürojob, verdiene auch ganz gut, das ist dann für die erst mal ein Paradoxon. Viele finden es vielleicht interessant, wissen mich dann aber nicht direkt in eine Schublade zu stecken. Da ich ja doch spießig normal bin.

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