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„WENN VORURTEILE SICH BESTÄTIGEN UND WAS DARAN GUT IST“

INTERVIEW > MOUSSA DIENG

SEIT SEINEM STUDIUM ARBEITET MOUSSA IM SOZIALEN BEREICH. ALS NACHTWACHE IN DER JUGENDHILFE BRACHTE ER SICH VIEL IN SEINEM STADTTEIL EIN UND IST NUN ALS LEITER EINES ASYLBEWERBERHEIMS IN BREMEN TÄTIG. NICHT NUR, DASS ER SICH SEHR GUT IM PARAGRAPHENJUNGLE AUSKENNT, ER WEISS DIE MENSCHEN UND IHRE DENKWEISEN LEICHT EINZUSCHÄTZEN UND FINDET IMMER DIE RICHTIGE MASSNAHME. WELCHE DAS SIND UND WAS FÜR IHN INTEGRATION BEDEUTET, ERZÄHLT ER UNS IM INTERVIEW.

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Erzähl uns einfach mal ein bisschen von Deinem Lebenslauf.

Ich bin Moussa Dieng, 29 Jahre alt und in Bremen geboren. Ich habe Abitur gemacht und dann eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Als ich gemerkt habe, dass mein Beruf nichts mehr für mich ist, hat meine Mutter mir vorgeschlagen, dass ich meine soziale Ader doch zu meinem Beruf machen sollte, da ich eh schon immer mit schwierigen Leuten zutun hatte. Als ich darüber nachgedacht habe, habe ich festgestellt, dass ich nicht nur gerne rede, sondern auch Ratschläge gebe. So habe ich mich entschieden diesen Weg zu gehen. Ich habe dann ein Studium auf Lehramt angefangen, was mir nicht wirklich zugesagt hat. Da ich aber schon in dieser Richtung bleiben wollte, habe ich mir überlegt Sozialpädagogik zu studieren, Lehrer zu werden und schließlich auch ein Praktikum in der Jugendhilfe gemacht. Da habe ich gemerkt, dass dies mein Traumberuf ist. Als ich das dann weiter gemacht habe, habe ich die richtig Motivation und Ehrgeiz entwickelt und verschiedene Berufszweige ausprobiert wie Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten auf Kinder und Jugendhilfe, Migration, Integration. Während meines Bachelors habe ich beim Jugend Migrationsdienst gearbeitet und bei der St. Johannes Kinder- und Jugendhilfe als Nachtbereitschaft. Als ich dann mit meinem Master fertig geworden bin, habe ich beide Jobs aufgegeben und in einem anderen Heim die Leitung übernommen. Hier bin ich nun seit dem 01.09.2012.

Was ist Dir am Wichtigsten bei der Arbeit?

Bei der Arbeit ist für mich wichtig, dass ich mit Menschen in Kontakt gehe, dass ich sie so behandle wie sie sind, aber auch nicht zu tief auf ihre Schwächen und Probleme achte, sondern sie eher im hier und jetzt betrachte, die Vergangenheit außen vor lasse, um auch kein Mitleid zu entwickeln. Verständnis entwickle ich gerne für vergangene Geschichten, aber ich vertiefe mich nicht zu sehr darin, da ich jeden gleich ansehen will. Wichtig ist mir noch, dass ich auch selbst voran komme, dass ich kreativ arbeiten kann und freie Gestaltungsmöglichkeiten habe und natürlich meine Arbeit gut mache. Ich habe schnell gelernt, dass ich einiges liegen lassen muss. Genau das Gegenteil von dem was mir früher immer sehr wichtig war. Anders kann man das in diesem Beruf aber nicht machen, sonst sitzt man da rund um die Uhr. Man muss Leute auch mal weg schicken und sagen ich bin morgen erst wieder da. Ich habe aber auch gelernt nicht für jedes kleine Ding gelobt zu werden, das war früher ein wichtiger Punkt. Ich brauchte für alles eine Bestätigung und hier ist das halt nicht mehr so. Ich habe gelernt, das einfach für mich selber zu machen und das ganz ohne Lob. Durch meine vorherigen Leiter wurde ich immer sehr verhätschelt, aber heute kann ich viel besser damit umgehen. Außerdem habe ich noch gelernt auf Zeit zu arbeiten und an meine Grenzen zu gehen. Mit Mobbing oder mit Rassismus auf der Arbeit umzugehen. Sehr vieles habe ich also gelernt.

Haben sich Deine Vorurteile abgebaut oder eher bestätigt?

Nee, die haben sich eher total bestätigt. Nicht im negativen Sinne, aber die Klischees haben sich einfach gefestigt. Ein gutes Beispiel dafür war die Fahrt in den Magic Park Verden. Das war eine organisierter Ausflug, der um 9 Uhr starten sollte. Den Einen haben wir schon extra gesagt, der Bus startet um halb 9, damit sie fertig sind. Die anderen standen schon um 7 Uhr Morgens da, weil sie bereits am Abend zuvor getroffen und durchgemacht haben. Kurz bevor wir also los wollen, der Motor lief schon, kamen sie dann und haben sich im rennen noch angezogen und die Kinder noch am Wickel. Das war ein richtig schönes Klischee-Bild, das wir da abgegeben haben. Das war schon lustig.

Welche Klischees sind Dir die Liebsten?

Die Afrikanerinnen kommen gerne mal zu spät, vor allem zu jedem Waschtermin. Oder gerade heute hatte ich zwei Anträge auszufüllen, Termine 9 und 9.30 Uhr, um das nicht in die Sprechzeiten fallen zu lassen. Wann ist die eine gekommen? Viertel nach 12 und die andere um 20 nach 2.

Ein anderes Thema ist das Diebstahl-Klischee. Natürlich gibt es immer und überall Ausnahmen aber der Großteil derer die klauen sagt auch, dass sie das bereits gelernt haben, als sie zwei Jahre alt waren. Wenn sie etwas geklaut haben, gab es von der Mutter ein gut gemacht. Das steckt einfach drin. Wenn du was haben willst, dann musst du das klauen.

Iranerinnen hingegen sind alle politisch verfolgt, teilweise aus religiösen Gründen, wenn sie z.B. zum Christentum wechseln. Im Iran droht ihnen die Todesstrafe, dass muss man sich erst mal vorstellen. Liebend gerne ausdiskutieren sie alles aus und machen manchmal aus einer Mücke ´nen Elefanten. Da wird abgestimmt wohin die Erbsen in den Kühlschrank kommen oder wer welchen Schrank bekommt. Alles sehr demokratisch, das lieben sie so an Deutschland.

Die Roma, egal aus welchem Land sie kommen, werden von dort vertrieben. Das finde ich schon ganz schön heftig. Sie werden einfach raus geprügelt. Man denkt immer, was ist denn Vertreibung? Ja dein Haus wird nicht mehr mit Strom versorgt, dein Müll wird nicht mehr abgeholt, du wirst nicht mehr von der Polizei oder den Ämtern versorgt, niemand beachtet dich oder du wirst beschimpf und dein Haus mit Steinen beworfen, bis du irgendwann das Land verlässt. Das ist Vertreibung, auch wenn wir uns das gar nicht richtig vorstellen können.

Das sind alles aber keine diskriminierende Klischees, sondern bestimmte Eigenschaften, die Menschen verschiedener Nationalitäten haben und wenn jemand die nicht hat, dann fällt er aus dem Raster und damit gleich auf. Genauso ist es ja auch bei mir. Das erste Mal sehen sie jemanden der auch einen Migrationshintergrund hat, also wittern sie schon mal kein Rassismus, den viele Mitarbeiter über die Jahre auch entwickeln. In diesem Beruf sollte man ja schon nichts gegen Ausländer haben, das wäre dann wirklich der falsche Job für einen. Aber ich muss auch sagen, allein durch Kommunikation lassen sich viele Missverständnisse schnell wieder aus dem Weg räumen. Zumindest kann man dann verstehen, warum der Eine oder andere immer mitten ins Gespräch platzt. Ein Nicken bedeutet bei mir z.B. Ich habe dich gesehen, wird aber oft als du darfst rein kommen verstanden.

Fühlst Du Dich akzeptiert?

Ja ich denke, ich werde sehr akzeptiert. Ich komm gut an, weil ich mich einfach auch sehr gut auskenne. Ich bin menschlich und geduldig, aber ich mache manchmal auch ein wenig zu viel. Oft kommen dann Heimbewohner wegen Kleinigkeiten und dadurch verunselbstständigen sie dann auch wieder. Da muss man halt so ein gutes Mittelmaß finden. Außerdem bin ich immer echt, auch wenn ich genervt bin, dann sag ich das auch. Dann ist das so und alle wissen, dass sie das auch nicht persönlich zu nehmen haben, weil ich einfach nur gestresst bin.

Was würdest Du Dir für die Zukunft wünschen?

Eigentlich bin ich da sehr pessimistisch eingestellt, deswegen würde ich mir dumm vorkommen, wenn ich sagen würde, ich würde mir eine offen Welt wünschen oder so was, weil ich das für völlig unrealistisch halte. Ich erwarte gar nichts von der Zukunft und schon gar nicht gesellschaftlich gesehen. Es wird sich nichts verbessern. Eine Verbesserung wäre toll, in alle Richtungen mehr Offenheit und Toleranz, aber daran glaube ich nicht. Natürlich wäre es schön, wenn mehr Gleichheit herrschen würde, aber das denke ich, wird automatisch irgendwann so kommen. Alleine schon wie viele Asylbewerber ich im letzten Jahr rein geholt oder Platz durch neue Wohnungen geschaffen habe. Es kommen ja auch immer wieder Menschen nach und wenn der Trend so weiter geht, wird sich unsere Gesellschaft sowieso immer mehr vermischen. Ein kleines blondes Mädchen, das sieht man nur noch sehr selten, das fällt ja mittlerweile schon auf. Früher war es genau anders herum. Alle waren Blond und wenn jemand schwarze Haare hatte, viel der natürlich auf. Mindestens ein Elternteil hat heute irgendwo einen ausländischen Ursprung und das hat man mittlerweile ja schon fast überall. Diese Offenheit wird ganz von selbst kommen. Minderheiten werden zu Mehrheiten, das ist einfach so. Wenn diese Menschen dann die Mehrheit sind, wird das auch nicht mehr so ungewöhnlich sein. Dann herrscht nicht mehr diese Angst untereinander. Oft ist es nur dieses Fremde, ja einfach Unbekannten, dass man nicht einschätzen kann und dann seinem menschlichen Trieb folgt. Ich kenne das nicht, deswegen bin ich erst mal vorsichtig, skeptisch und beobachte. Wenn ich in den Medien dann so einen Scheiß höre, von wegen Ausländer begehen viel mehr Verbrechen dies und das. Das sind verfälschte Statistiken. Das Thema hatte ich in meiner Masterthesis. Es gibt tausende von Gesetzen, die kann ein Deutscher gar nicht brechen. Er kann z.B. nicht gegen das Ausländerrecht verstoßen und das macht jeder der hier einreist, weil er noch keine keine Papiere hat. Da er ein Flüchtling ist, also ein unerlaubt eingereister Mensch, begeht er in diesem Moment schon eine Straftat, für die er auch 600€ zahlen muss, von nichts! Aber wenn du diese ausländerrechtlichen Statistiken raus nimmst, dann sind Menschen mit Migrationshintergrund nämlich weniger straffällig als Deutsche. Die Medien leisten den größten Beitrag dazu. Sie suchen sich die Brennpunkte aus und zeigen auch nur das was die Leute sehen wollen. Wen interessiert der anständige Türke, der sein Stipendium hat? Wen interessiert das? Wer will das im Fernsehen sehen? Die Leute sehen nur das was Unruhe stiftet, und ihnen Angst macht. Eigentlich ist das doch nur Hetzerei was da passiert. Das ist genauso mit Jugendlichen. Sie werden verhetzt ohne Ende und bei Ausländern ist das halt auch so. Sie werden immer schlecht dargestellt und wenn du gar keine kennst, dann denkst du natürlich auch, dass alle kriminell oder gewalttätig sind. Von daher trübt das ja auch noch mal das Bild ungemein.

Die meisten Asylbewerberheime liegen in Randbezirken, woran liegt das?

Aber das hat noch einen ganz anderen Grund. Es sollen gerade neue Asylbewerberheime errichtet werden aber

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