Spielzeit
2016 /17
eins von drei Das Magazin des Schauspiel KĂśln
Mehrmals kommen! Schauspiel in Serie zum Sonderpreis
www.schauspiel.koeln
Weitere Infos zu den Kartenserien und Abonnements erhalten Sie an der Theaterkasse und auf unserer Homepage.
Foto Tommy Hetzel
Vierer-, Achter-, ZehnerKarte!
ab 34₏
Foto Tommy Hetzel
Liebe Leserinnen, liebe Leser, in der Stadt von König Ödipus ist etwas faul: Es riecht nach Urin, der Verkehr verstopft die Straßen, vor dem Tempel werden an öffentlichen Festen Frauen vergewaltigt, die Verwaltung scheint vielen Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein, Baustellen stehen still, der Haushalt ist kurz vor dem Notstand, an erschwinglichem Wohnraum herrscht Mangel und der öffentliche Nahverkehr läuft, optimistisch ausgedrückt, auch nicht ganz so rund. Kurzum, in Theben wütet die Pest. Was macht Ödipus? Jedenfalls lanciert er keine Imagekampagne, um auch mal die positiven Seiten hervorzuheben, sondern er fängt an, Fragen zu stellen – so lange bis er den Grund für das Elend gefunden hat. Gnadenlos führen ihn seine Recherchen zu sich selbst und als sich herausstellt, dass er seinen Vater ermordet und seine Mutter geschwängert hat, sticht er sich, weil er so blind gewesen ist, die Augen aus, und nimmt jetzt, wo er paradoxerweise klar sieht, sein Schicksal an. Er bekennt sich radikal zu seinem SCHEITERN – unabhängig davon, ob er bewusst oder unbewusst schuldig geworden ist – und macht so den Weg frei für VERÄNDERUNG! Damals, im alten Griechenland, reichte das Selbstopfer eines Königs, um ein kränkelndes System zu reinigen – heute sieht die Sache etwas komplizierter aus: In der Demokratie ist die VERANTWORTUNG nicht mehr irgendwo weit weg, also oben beim König und den Göttern, sondern sie liegt, oh Schreck, beängstigend nahe bei uns selbst. Die antike Tragödie »König Ödipus« steht am Beginn des abendländischen Theaters und macht auf radikale Weise klar, was für alle Zeiten sein wiederkehrendes Thema sein wird: Menschen in der Krise, die scheitern. Damit formuliert es seit über zweieinhalbtausend Jahren den Gegenentwurf zu dem, was wir – in unseren ökonomistischen Zeiten mehr denn je – als unseren Auftrag begreifen: Setze dich durch! Sei immer produktiv! Optimiere dich selbst! Habe Erfolg! Gewinne!
einsvondrei | Editorial
Die Tragödie zeigt Menschen, denen all dies NICHT gelingt und löst offensichtlich durch den SCHOCK über ihr Scheitern kathartische, also reinigende Wirkung aus. In der Komödie hingegen – und das ist der eigentliche Unterschied – löst das Scheitern GELÄCHTER aus, was mindestens ebenso reinigend ist. Gleichermaßen wie der Gegenstand des Theaters das Scheitern ist, sollte man meinen, ist das Theater selbst berechtigt zu scheitern. Oder anders gesagt: Gutes Theater ist der Möglichkeit des Scheiterns immer gewahr, fürchtet sie aber nicht. Nur so kann es mutig neue Wege beschreiten. Dass das (subventionierte) Theater seine Geschichten von Scheiternden, seine mitunter unbequemen und antiökonomistischen Akzente also, oft mit Durchsetzungskraft, Ehrgeiz und enormer SELBSTAUSBEUTUNG erreicht, gehört wohl zur ewigen DIALEKTIK dieser flüchtigen Kunstform. Und ironischerweise verirrt man sich als Theatermacher sogar manchmal zu dem etwas arroganten (und auch kapitalistisch grundierten) Gedanken, dass, wenn in anderen Bereichen so enthusiastisch, wagemutig, professionell und kollegial gearbeitet würde wie am Theater, viel Stau, Stagnation und Frust vermieden werden könnte. Ja, das Theater als Ort des Scheiterns hat – so wäre es einmal evolutionstheoretisch zu erforschen – ziemlich gute Techniken der Krisenüberwindung entwickelt. In Köln ist das Theater fürs Erste an seinem Wiedereinzug in das eigentliche Domizil am OFFENBACHPLATZ gescheitert. Das nervt gewaltig. Nicht nur die, die davon am unmittelbarsten betroffen sind, nämlich die vielen Mitarbeiter aller Gewerke, denen die Zeit in provisorischen Spielstätten oft sauer wird, sondern auch die Zuschauer. Vor allem aber nervt es den ganz normalen Steuerzahler, der nun das Gefühl hat, er muss noch unendlich mehr für etwas bezahlen, das ihn möglicherweise gar nicht interessiert. Daran lässt sich erst mal nichts beschönigen. Es nervt einfach. Und doch zeigt sich auch da das Theater als Krisenkünstler, das selbst dem größten Scheitern so etwas wie Erfolg abgewinnt. Das Depot im Carlswerk ist jedenfalls jetzt erst so richtig warm gespielt. Das Konzept, Stadttheater nicht nur als Theater FÜR, sondern auch als Theater MIT der Stadt zu denken, was nichts anderes heißt, als mit der Stadt in einen Dialog und damit auch in eine AUSEINANDERSETZUNG zu treten, ist voll aufgegangen! Indem wir »die Stadt von der anderen Seite sehen« gibt es viele, deren Blick auf die Stadt sich durch diese neue Perspektive verändert hat. In unserer Produktionshalle führt die Straße buchstäblich direkt ins Theater hinein und auch wieder aus ihm heraus. Da ist in beide Richtungen für neue Begegnungen eigentlich kaum eine Schwelle mehr zu überwinden. Unser Garten ist eine urbane Message, ein AUFRUF, das Leben bunter, sinnlicher und nachhaltiger zu denken, eine kommunikative Plattform, ein Symbol für Bürgerbeteiligung. Das Schauspiel und mit ihm seine Themen haben sich durch seinen Standort verändert, und ebenso hat sich der
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Standort durch das Schauspiel verändert. In Mülheim sind die Menschen, also die Steuerzahler, stolz auf ihr Theater – selbst die, die es vielleicht nicht so regelmäßig besuchen. Wo, wenn nicht hier, kommt das Schauspiel in den Dialog mit den Bürgern, in dem es unablässig die beiden Fragen wiederholt: Wie leben wir? Und wie wollen wir leben? Scheitern ist nicht schön, aber manchmal produktiv. Das Schauspiel Köln jedenfalls ist durch die Krise zu einem eindeutigen Schluss gekommen: Sein Schicksal annehmen heißt, nicht in Fatalismus zu versinken, sondern im Gegenteil, die Möglichkeit des Scheiterns kühl im Blick die WELT als veränderbar zu begreifen.
Ihr Stefan Bachmann Intendant Schauspiel Köln PS: Apropos Veränderung: Was Sie in den Händen halten ist unser neues THEATERMAGAZIN. Anstelle eines dicken Spielzeitheftes erscheint es nun dreimal im Jahr. Das ermöglicht uns, Sie spezifischer und aktueller über die anstehenden Premieren und Aktionen zu informieren. Den Spielplan für die Saison 2016/17 finden Sie natürlich jetzt schon komplett in dieser Ausgabe. PPS: Apropos Interimsspielstätte: Der Begriff »Interim« verbietet sich aufgrund der ausgedehnten Dauer ab sofort für das Depot in Mülheim. Das befindet sich ja ohnehin im Zentrum der Stadt, ganz einfach, weil sich ein Stadttheater immer im Zentrum der Stadt befindet. Nun wollen wir aber auch an der Peripherie präsent sein und werden deshalb eine Spielzeit lang da Theater zeigen, wo es zur Zeit am wenigsten vermutet wird, auf der Baustelle. In der AUSSENSPIELSTÄTTE AM OFFENBACHPLATZ inszenieren junge Regisseure neue Stücke – Theater in einem unfertigen Raum, dafür aber mit klarem Profil. PPPS: Apropos »König Ödipus«: Den spielen wir nicht. Dafür aber zaudert ein ödipal veranlagter Prinz aus Dänemark so lange, bis auch er gescheitert ist. PPPPS: Apropos Scheitern: Ich hoffe, dass uns alles bestens gelingt.
Foto Tommy Hetzel
Geschichten aus dem Wiener Wald von ร dรถn von Horvรกth | Regie Stefan Bachmann
inhalt 06 | Neuigkeiten
06 | Neuigkeiten
Das Import Export Kollektiv des Schauspiel Köln | Ballet of Difference mit Richard Siegal | Nachwuchsförderung: Das Schauspielstudio | Theater und Schule | Die Ape unterwegs in der Stadt
24 | Georg Seeßlen: Erfolg/Angst
Erfolg ist kein stabiler Status, sondern eine Funktion in Raum und Zeit. Darum ist man nie »genug erfolgreich«. Der heiße Kern des Erfolges ist die Angst.
08 | Der Spielplan 2016/17 Alle Premieren der neuen Spielzeit in der Übersicht. 10 | Weiter im Spielplan Diese Stücke können Sie auch im nächsten Jahr noch sehen. 12 | Die ersten zehn von 21 Nicht weniger als 21 Premieren stehen 2016/17 auf dem Programm. Inhalt, Teams und Daten der ersten zehn finden Sie hier. 16 | CARLsGARTEN Der grünste Treffpunkt mitten im Herzen Mülheims direkt vor dem Schauspiel Köln. 18 | Führungskräfte Drei Inszenierungen – drei Regisseurinnen. Ein Interview. 24 | Erfolg/Angst Erfolg und Angst gehören oft zusammen. Ein Koordinatensystem von Georg Seeßlen.
08 | Der Spielplan
Das neue Magazin des Schauspiel Köln erscheint ab sofort dreimal in der Spielzeit und ersetzt das klassische Spielzeitheft. Es enthält Interviews, Essays und aktuelle Informationen. Und in dieser Ausgabe natürlich den Spielplan der kommenden Saison. 04
30 | Das Leben ist doch kein bunter Teller Was macht eigentlich der Bürger? Gibt es ihn noch? Ein Gespräch mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer. 36 | Plädoyer für das Zaudern Nicht immer führen Entschlossenheit und schnelles Handeln zum besten Ergebnis. Ein Gegenvorschlag des Kulturwissenschaftlers Joseph Vogl. 42 | 30 Fragen an das Ensemble Antworten der Kölner Schauspieler auf den berühmten Fragebogen von Max Frisch. 48 | Impressum
36 | Joseph Vogl: Plädoyer für das Zaudern
Foto Sandra Then
»Es gibt«, so heißt es bei Robert Walser, »gottlob noch Zweifler und solche, die zu Zaudern Drang haben«.
18 | Führungskräfte Die drei Regisseurinnen Pınar Karabulut, Lilja Rupprecht und Therese Willstedt inszenieren drei der Eröffnungspremieren zu Beginn der neuen Spielzeit. Zu einem Gespräch über kulturelle Hintergründe und ihrer Erfahrungen als junge Frauen im Theaterbetrieb haben sie sich an einem inzwischen symbolischen Ort getroffen: dem Kölner Hauptbahnhof.
30 | Das Leben ist doch kein bunter Teller Moderne Gesellschaften sind so komplex, dass es keine einfachen Lösungen mehr geben kann. Deshalb kommt der Bürgergesellschaft und ihrer Fähigkeit zu Dialog und Engagement im politischen Prozess eine besondere Bedeutung zu. Der Sozialpsychologe Harald Welzer erklärt, warum der Bürger besser ist als sein Ruf. 05
Neuigkeiten Theater und Schule Gemeinsame Theaterbesuche, Informationen zum Spielplan, die richtige Auswahl an Stücken, Vor- und Nachbereitungen, Workshops, virtuelles Programmheft, Hilfe bei der Planung von Theaterprojekten:
Diesen Sommer rollt die »Ape auf Achse« einmal quer durch die Stadt: Halten Sie die Augen auf, wir machen Halt auf nahezu allen beliebten Open-Air-Veranstaltungen. Folgen Sie uns !
Die Theaterpädagogik des Schauspiel Köln ist der richtige Ansprechpartner für Lehrer und Schüler bei allen Fragen rund um den Theaterbesuch. Informationen zu Programmen und Workshops finden Sie immer aktuell unter www.schauspiel.koeln /theaterpaedagogik
Ape
auf Achse
Oder kontaktieren Sie uns direkt. Frank Rohde und Stephanie Sonnenschein Abteilung Theater und Schule der Bühnen Köln Postfach 101061, 50450 Köln Telefon 0221-221 28384 theaterpaedagogik@schauspiel.koeln Quelle: Google Maps
Das Import Export Kollektiv Gemeinsam mit der Mülheimer Tagesund Abendschule Köln (TAS) entwickelt das Schauspiel Köln das modellhafte Projekt SCHULE DES LEBENS. Über zwei Schuljahre begleitet das Schauspiel unter der Leitung des Theatermachers Bassam Ghazi das IMPORT EXPORT KOLLEKTIV mit 18 Schülerinnen und
Schülern. Es lädt sie ein, das Theater als möglichen Ort kultureller und gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt zu begreifen. An der Schnittstelle Theater und Schule entsteht ein forschendes und biografisches Labor mit einem besonderen Schauspielkollektiv, mehreren Theaterpro-
duktionen und einem neuen Unterrichtsfach. Aus den Biographien und Erfahrungen der Schüler wird Theater, und das Theater wird zur Schule des Lebens. Das Projekt SCHULE DES LEBENS wird gefördert von der Stiftung Mercator.
Ballet of Difference Tanz in Köln: Koproduktion mit Richard Siegal Der US-Amerikaner Richard Siegal ist ein künstlerischer Grenzgänger, seine Choreografien stehen für kraftvollen Tanz und explosive Körperarbeit. In diesem Jahr hat er eine neue Kompanie gegründet: RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE. Das erste mit Spannung erwartete Projekt der Gruppe wird im Juli 2017 im Depot 1 zu sehen sein – als Koproduktion mit dem Tanz am Schauspiel Köln. RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE versteht sich als Alternative zum institutionalisierten Ballett der Gegenwart und hinterfragt gesellschaftliche Stereotype. Die Verschiedenheit ist hier Programm: Die Kompanie vereint zwölf herausragender Tänzerinnen und Tänzer aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen, die auf völlig unterschiedliche Art und Weise tänzerisch geprägt worden sind. Das Team kommt teils aus der internationalen freien Szene, teils aus etablierten Ensembles wie Cedar Lake Contemporary Ballet oder dem Bayerischen Staatsballett.
Nicolas-F. Djuren
Nils Hohenhövel
Elisa Schlott
Nicolas Handwerker
Robin Meisner
Marlene Tanczik
Kristin Steffen
Elias Reichert
Schauspielstudio Als Glücksfall hat sich die Kooperation zwischen der Leipziger »Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy« und dem Schauspiel Köln, aus der nun bereits der zweite Jahrgang hervorgeht, herausgestellt: Das Ensemble gewinnt an Vielfalt, die Studierenden können in der Praxis lernen, und das Publikum hat die Möglichkeit, den Weg der angehenden Schauspieler – von der Ausbildung bis zum entscheidenden Abschlussvorspiel – hautnah zu begleiten. Wir heißen die acht neuen Ensemblemitglieder herzlich willkommen !
07
Der Spielplan 2016 /17 Das Depot in Mülheim und eine neue Außenspielstätte auf der anderen Rheinseite. Alle Premieren der neuen Spielzeit im Überblick.
Der Revisor von Nicolai Gogol Regie Linus Tunström Premiere im Januar 2017 Eine Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses im Austausch mit Geschichten aus dem Wiener Wald vom Schauspiel Köln
DEPOT 1
Hamlet
Faust I
von William Shakespeare Regie Stefan Bachmann Premiere 23. September 2016
von Johann Wolfgang von Goethe Seite 12
Groß und klein
Tod eines Handlungsreisenden
von Botho Strauß Regie Lilja Rupprecht Premiere 14. Oktober 2016
14
nach dem gleichnamigen Film von Anders Thomas Jensen 14
Effzeh Effzeh! ein Fußballoratorium von Rainald Grebe Regie Rainald Grebe Uraufführung 22. April 2017
Sommergäste von Maxim Gorki Regie Robert Borgmann Premiere 09. Dezember 2016
von Arthur Miller Regie Rafael Sanchez Premiere 10. März 2017
Adams Äpfel Regie Therese Willstedt Premiere 18. November 2016
Regie Moritz Sostmann Premiere 10. Februar 2017
Geächtet 15
von Ayad Akhtar Regie Stefan Bachmann Premiere 12. Mai 2017
08
DEPOT 2
AuSSenspielstätte am Offenbachplatz
Die Opferung von Gorge Mastromas
Karnickel
von Dennis Kelly Regie Rafael Sanchez Premiere 24. September 2016
von Dirk Laucke 13
Robinson Crusoe
von petschinka und Rafael Sanchez 14
Jemand wie ich
Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll bearbeitet von Thomas Jonigk Regie Thomas Jonigk Uraufführung 11. Februar 2017
Faust II von Johann Wolfgang von Goethe Regie Moritz Sostmann Premiere 08. April 2017
Istanbul von Nuran David Calis Regie Nuran David Calis Uraufführung 13. Mai 2017
Regie Rafael Sanchez Uraufführung 01. Oktober 2016
13
Swallow
von Charlotte Roos Regie Bruno Cathomas Uraufführung 03. Dezember 2016
13
Mohamed Achour erzählt Casablanca
Kinder- und Familienstück nach Daniel Defoe von und mit subbotnik Premiere am 30. Oktober 2016 Eine Produktion von subbotnik, Theater an der Ruhr und FFT Düsseldorf
Regie Pınar Karabulut Uraufführung 29. September 2016
von Stef Smith 15
Regie Matthias Köhler Deutschsprachige Erstaufführung 10. Dezember 2016
15
Kleines von Hannah Moscovitch Regie Charlotte Sprenger Deutschsprachige Erstaufführung 03. Februar 2017
Wir wollen Plankton sein von Julian Pörksen Regie Melanie Kretschmann Künstlerische Mitarbeit Carl Hegemann Uraufführung 17. März 2017
Sprengkörperballade von Magdalena Schrefel Regie Andrea Imler Uraufführung 05. Mai 2017
09
WEITER IM SPIELPLAN Depot 1 Ein Volksfeind von Henrik Ibsen | Regie Roger Vontobel Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand | Regie Simon Solberg Glaubenskämpfer von Nuran David Calis | Regie Nuran David Calis LEHMAN BROTHERS. von Stefano Massini | Regie Stefan Bachmann Geschichten aus dem Wiener wald von Ödön von Horváth | Regie Stefan Bachmann
Depot 2 Victor oder Die Kinder an der Macht von Roger Vitrac | Regie Moritz Sostmann Umbettung von Jens Albinus | Regie Jens Albinus Der Menschenfeind von Molière | Regie Moritz Sostmann Die Lücke von Nuran David Calis | Regie Nuran David Calis Habe die Ehre von Ibrahim Amir | Regie Stefan Bachmann Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht | Regie Moritz Sostmann
Foto Tommy Hetzel
Premiere 23. September 2016 | Depot 1
Hamlet von William Shakespeare
Die ersten Zehn von
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Ein zaudernder Prinz, ein skrupelloser Karrierist, verunsicherte Bürger, eine Frau auf einem Trip durch Deutschland, Sinnsucher, Außenseiter und Fanatiker – hier kommen die ersten zehn Premieren der neuen Spielzeit.
12
Wer kennt ihn nicht? Google findet in nur 0.37 Sekunden über 56 Millionen Einträge zu Hamlet. 56 Millionen Perspektiven. Hamlet entzieht sich jeder Eindeutigkeit, er ist Vexierspiel und Spiegel zugleich, egal von wo und wann man schaut. Prinz Hamlet mag die Welt, in die er hineingeraten ist, nicht: Seit sein Vater gestorben ist und seine Mutter neu geheiratet hat, widert ihn das Leben an. Eines Nachts beauftragt ihn der Geist seines Vaters, die Ermordung durch den eigenen Bruder zu rächen. Hamlet stürzt in eine Krise, verliert sich in Reflexionen, zaudert, handelt nicht. Der Racheakt bleibt auf der Strecke, bis Hamlet mit einem manipulierten Schauspiel den Onkel seiner Bluttat überführt. Die Gewissheit erhöht den Druck – aus dem Zauderer [→ Plädoyer für das Zaudern | Seite 36] wird ein Handelnder. Doch der Weg aus dem Labyrinth der Intrige führt für alle nur noch in den Tod. Stefan Bachmann eröffnet die Spielzeit mit Shakespeares berühmtestem Werk: In einer Zeit, in der auf den politischen Bühnen radikale Positionen enormen Zulauf gewinnen, wird HAMLET in zweierlei Hinsicht brisant: Er erinnert ans Innehalten, Nachdenken und Reflektieren, ist zeitgleich aber auch beispielhaft für eine schrittweise Isolierung und Radikalisierung des Denkens (und Handelns) auf Grund einer Überforderung durch die Welt. Regie Stefan Bachmann Bühne Olaf Altmann Kostüme Birgit Bungum Musik Sven Kaiser Choreografie Sabina Perry Dramaturgie Barbara Sommer
Uraufführung 29. September 2016 | Offenbachplatz
Premiere
Karnickel von Dirk Laucke
24. September 2016 | Depot 2
Die Opferung von Gorge Mastromas von Dennis Kelly
Güte oder Feigheit? Warum entscheidet sich der junge Gorge Mastromas im Zweifel eigentlich immer für das moralisch Richtige – wo es doch für ihn offensichtlich von Nachteil ist: Seinem gemobbten Schulfreund steht er loyal zur Seite, obwohl ihn das selbst herabsetzt; statt eine Affäre zu vertuschen und seine Beziehung zu retten, offenbart er seinen Betrug. Mit Anfang dreißig findet er sich wenig respektiert als Angestellter in einem Unternehmen wieder. Er ist nett. Er ist anständig. Glücklich aber ist er nicht. Und dann trifft er eines Tages eine Entscheidung, die seinem Leben eine radikale Wendung verleiht: Von nun an gibt es nur noch den Eigennutz, nur noch die Lüge als Mittel. Mit der Güte ist es vorbei, mit der Feigheit erstmal auch. Er lügt, er steigt auf, er macht Geld, er bekommt die Frau, die er sich an seiner Seite wünscht, er geht über Leichen. Mastromas' rasanten Aufstieg vom mittelmäßigen Schüler zum skrupellosen Karrieristen [→ Erfolg/Angst | Seite 24], der sich zunehmend in seinem Lügenkonstrukt verstrickt, erzählt Autor Dennis Kelly mit abgründigem Witz und einem glasklaren Blick auf die bröckelnde Moral in Zeiten des globalen Kapitalismus. Regie Rafael Sanchez Bühne Dirk Thiele Kostüme Heidi Fischer Musik Cornelius Borgolte Video Bibi Abel Dramaturgie Stawrula Panagiotaki
Robert Brendel begreift die Welt nicht mehr. Eben noch war er ein progressiver Filmhochschulprofessor mit Aussicht auf eine Leitungsposition am Institut, einer langjährigen Ehe, einem Sohn und einem Haus am Stadtrand. Doch dann besetzt die neue Dekanin den Posten lieber mit einer international vernetzten Professorin. Und ein paar jugendliche Schläger mit Migrationshintergrund verprügeln seine Frau. Die bemüht sich daraufhin um eine Mediation mit den »Übergriffigen«, entdeckt in der Bauchtanzgruppe eines Kulturzentrums ihr freieres Ich (wieder) und kündigt ihre Arbeitsstelle. Derweil läuft zuhause beim dementen Großvater ein Betreuungsdefizit auf. Kein guter Zeitpunkt für die Heimkehr des erwachsenen Sohnes. In seinem neuen Stück unterzieht Dirk Laucke das linksliberale westdeutsche Bildungsbürgertum [→ Das Leben ist doch kein bunter Teller | Seite 30] einem tragikomischen Lackmustest der Veränderung. Wie haben sich linke Werte über die Generationen gewandelt? Inwieweit bestehen sie den Abgleich mit den realen Verhältnissen? Was machen wir alle eigentlich mit der Freiheit, die wir haben? Regie Pınar Karabulut [→ Führungskräfte | Seite 18] Bühne Franziska Harm Kostüme Bettina Werner Dramaturgie Nina Rühmeier
Uraufführung 01. Oktober 2016 | Offenbachplatz
Mohamed Achour erzählt Casablanca von petschinka und Rafael Sanchez
Vor dreieinhalb Jahren erfährt Mohamed Achour, dass am Schauspiel Köln ein neues Ensemble entstehen soll. Gerade mit der Schauspielschule abgeschlossen, wittert er seine Chance [→ Erfolg/Angst | Seite 24] und findet sich kurze Zeit später tatsächlich beim Vorsprechen wieder. Doch seine Interpretation von Hamlet scheint den Intendanten und die Dramaturginnen nicht zu interessieren. Sie wünschen sich etwas Modernes, Welthaltiges, und Mohamed weiß schon, was sie damit meinen: ein Flüchtlingsdrama, real und authentisch. Und wenn sie das so wollen, sollen sie etwas Authentisches bekommen: seine Geschichte, auch wenn die ganz anders ist als alles, was sie erwarten. In der Tradition von 1001 Nacht beginnt Mohamed Achour zu erzählen. Von der schönen Stadt Damaskus, in der er aufgewachsen ist, von seiner behüteten Kindheit, die plötzlich ein jähes Ende nimmt. Und von Casablanca. Denn wie in dem legendären Filmklassiker wird auch für ihn die nordafrikanische Stadt zu einem Schicksalsort ... Und während er erzählt, gehen Erinnerung und Legendenbildung immer neue Verbindungen ein. Regie und Ausstattung Rafael Sanchez Text und Musik petschinka Mit Mohamed Achour
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Kinder- und Familienstück Premiere 14. Oktober 2016 | Depot 1
Groß und klein
von Botho Strauß
Wo ist ihr Platz in der Welt? Wo sind die Menschen, die sie Willkommen heißen, sie in ihre Gemeinschaft aufnehmen? Lotte Kotte, in Scheidung lebend und arbeitslos, ist der verlässliche Boden unter den Füßen abhanden gekommen und mit ihm die Sicherheit und das Selbstverständnis, dazuzugehören. Eine Randständige und Suchende ist sie, eine, die den anderen beim Dasein zuschaut und sich doch eigentlich selbst mit Haut und Haar zur Verfügung stellen will. Aber wohin sie auch geht, wen sie auch anspricht, wie sehr sie sich bemüht – überall stößt sie nur auf kurzzeitiges Interesse. Die Anderen sind mit sich selbst beschäftigt, mit ihrem persönlichen kleinen Glück oder mittleren Unglück, mit ihrer Wirklichkeitsflucht und ihren Betäubungsversuchen mithilfe von Alkohol und Fernsehkonsum. So bleiben Lotte nur kurze Einblicke und eine Ahnung von Nähe. Mit GROSS UND KLEIN entwirft Botho Strauß ein gestochen scharfes Bild der alten Bundesrepublik [→ Das Leben ist doch kein bunter Teller | Seite 30], in der die Individualisierung und Vereinzelung voranschreitet. Die junge Regisseurin Lilja Rupprecht, die zum ersten Mal in Köln arbeitet, nimmt mit ihrer Inszenierung diese untergegangene Welt ins Visier, die noch heute für viele Menschen identitätstiftend ist. Regie Lilja Rupprecht [→ Führungskräfte | Seite 18] Bühne Anne Ehrlich Kostüme Annelies Vanlaere Video Moritz Grewenig Musik Romain Frequency Dramaturgie Thomas Laue
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30. Oktober 2016 | Depot 2 | ab 9 Jahren
Robinson Crusoe nach Daniel Defoe
In die Welt! Der junge Robinson verlässt das wohlbehütete Elternhaus und schlägt alle väterlichen Ratschläge aus, um ein Abenteurer zu werden. Das weite Meer spuckt ihn als Schiffbrüchigen an das Ufer einer fernen Insel. Nicht nur für Robinson ist hier alles fremd – er selbst wird zum Fremden. Die unendlich lange Einsamkeit geht an ihm nicht spurlos vorüber [→ Angst/Erfolg | Seite 24], und als er nach achtundzwanzig Jahren zum ersten Mal auf ein menschliches Wesen trifft, beginnt für beide ein Abenteuer, das ihr Weltbild ins Wanken bringt. Mit der Übernahme der Inszenierung ROBINSON CRUSOE setzt das Schauspiel Köln die Zusammenarbeit mit der Theatergruppe subbotnik fort. Mit einfachsten Mitteln, Erfindungsreichtum und viel Humor gelingt es dem Theaterkollektiv, eine der größten Abenteuergeschichten der Weltliteratur spielend auf die Bühne zu bringen: Das bedrohlich brausende Meer entsteht aus Live-Musik, Schauspiel trifft auf Puppenspiel und Choreographie. Die Inszenierung feierte am Forum Freies Theater in Düsseldorf mit großem Erfolg Premiere und ist ab Ende Oktober im Depot 2 zu sehen. Eine bewegende Erkundung der Welt, die hinter dem eigenen Horizont liegt. Konzeption | Raum | musikalische Leitung subbotnik Choreographie Stefanie Elbers Eine Koproduktion von Theater an der Ruhr, FFT Düsseldorf und subbotnik
Premiere 18. November 2016 | Depot 1
Adams Äpfel nach dem gleichnamigen Film von Anders Thomas Jensen
Ivan ist ein fanatischer Optimist. Als Pfarrer einer winzigen Gemeinde auf dem Land hat er sich der Resozialisierung von Straftätern verschrieben [→ Angst/Erfolg | Seite 24]. Neben dem Trinker und Sexualstraftäter Gunnar und dem Tankstellenräuber Khalid zählt seit kurzem Adam zu seinen Schützlingen, ein gewaltbereiter Neonazi, frisch aus dem Gefängnis entlassen. Ivans blinder Glaube an das Gute, seine unbeirrbare Güte provozieren den Misanthropen Adam, der bald alles daran setzt, Ivan zu brechen und ihn zur Einsicht in die Trostlosigkeit der Verhältnisse zu zwingen – ein Neonazi und ein Landpfarrer in einem Duell von biblischen Dimensionen. Die Filmadaption ADAMS ÄPFEL ist die erste Inszenierung der schwedischen Regisseurin Therese Willstedt am Schauspiel Köln. Eine bitterböse Komödie über Glaube, Fanatismus, Sucht und die Macht der Selbsttäuschung. Regie Therese Willstedt [→ Führungskräfte | Seite 18] Bühne Nehle Balkhausen Kostüme Arianna Fantin Musik Emil A. Høyer Licht Mårten K. Axelsson Dramaturgie Julian Pörksen
einsvondrei | Die ersten zehn von 21
Uraufführung 03. Dezember 2016 | Depot 2
Jemand wie ich
Deutschsprachige Erstaufführung
von Charlotte Roos
Der Spieltrieb sitzt in jedem Menschen. Die meisten jedoch verlieren, verdrängen oder vergessen ihn mit der Zeit, und tauschen das Spiel gegen die sogenannte Wirklichkeit ein. Der Realitätssinn schlägt den Möglichkeitssinn, Widersprüche werden eingeebnet, und für ein Doppelleben fehlt den meisten Menschen schlichtweg die Kraft. Schauspieler verweigern sich dieser Entwicklung: Sie bleiben Viele, sie suchen das Andere – so tun als ob als Lebensaufgabe. So auch die acht Schauspielstudenten der Leipziger Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy«, die in den nächsten zwei Jahren das Ensemble des Schauspiel Köln bereichern werden [→ Neuigkeiten | Seite 06]. Was für Figuren werden ihnen begegnen? Was ist überhaupt eine gute Rolle? Was macht einen Menschen unverwechselbar? Und wie viele verschiedene Charaktere lassen sich unter dem Begriff »Ich« beheimaten? Gemeinsam mit den acht angehenden Schauspielern machen sich die Autorin Charlotte Roos und der Regisseur Bruno Cathomas auf die Suche nach Antworten. Ein Stück über Spiel und Wirklichkeit, Rollentausch und Identität. Regie Bruno Cathomas Bühne Thomas Garvie Kostüme Aleksandra Pavlović Musik Philipp Pleßmann Dramaturgie Julia Fischer | Thomas Laue
10. Dezember 2016 | Offenbachplatz
Premiere 09. Dezember 2016 | Depot 1
Swallow von Stef Smith
Sommergäste von Maxim Gorki
Ihre Eltern waren Kleinbürger oder Arbeiter. Sie selbst sind Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller oder deren Frauen. Sie können es sich leisten, die warmen Monate auf dem Land zu verbringen, in angemieteten Sommerhäusern. Die Tage sind reich an Worten, arm an Taten, voller Klagen, aber ohne Konsequenzen. Man diskutiert über Kunst, Geschlechterrollen und das gute Leben, ist immer bereit, einander zu kritisieren, doch selten, sich selbst in Frage zu stellen. Wenngleich alle ahnen, dass nichts bleiben kann, wie es ist [→ Plädoyer für das Zaudern | Seite 36]. Veränderungen schleichen sich in ihren Alltag, ihre Beziehungen, die Kunst. Von wenigen herbeigewünscht, von den meisten gefürchtet. Soll denn die Sonne, kaum im Zenit, schon wieder in Dämmerung sinken? Nach seiner Romanadaption SEGEN DER ERDE kehrt der Regisseur Robert Borgmann mit Maxim Gorkis Porträt einer paralysierten Gesellschaft, der auch die letzte Achtung vor dem Leben abhanden zu kommen droht, ans Schauspiel Köln zurück.
Drei Frauen, drei Aufnahmen der Gegenwart: Rebecca leidet an einem gebrochenen Herzen und trägt seit der Trennung eine grobe Narbe in ihrem Gesicht. Sam hält es nicht mehr aus, als Frau leben zu müssen [→ Führungskräfte | Seite 18], will nicht mehr sein, was die anderen in ihr sehen. Anna verlässt seit Monaten nicht mehr ihre Wohnung, hört auf zu essen, zerschmettert ihre Möbel und versteckt sich vor der Welt. Mit großer Radikalität in ihrem sprachlichen Ausdruck und gleichzeitig mit einem zärtlichen Blick auf die Figuren gelingt es der schottischen Dramatikerin Stef Smith, die Widersprüche der modernen Gesellschaft zwischen Selbstoptimierung und Selbstzerstörung offenzulegen. SWALLOW sorgte beim letztjährigen Fringe Festival in Edinburgh für Furore und wurde als bestes Stück ausgezeichnet. Regie Matthias Köhler Bühne Elke Auer Musik Antonio de Luca Dramaturgie Stawrula Panagiotaki
Regie Robert Borgmann Bühne Rocco Peuker Dramaturgie Nina Rühmeier
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Foto Tommy Hetzel
CARLsGARTEN – der grünste Treffpunkt im Herzen Mülheims direkt vor dem Schauspiel Köln.
CARLs GARTEN Den kargen Industrievorplatz vor dem DEPOT haben wir seit unserem Start in Mülheim 2013 in eine wuchernde Oase verwandelt. Seit drei Jahren wachsen hier Kohl neben dicker Bohne, wilde Kräuter neben Salat und Rhabarber unter Sonnenblumen. Auf der ca. 2500 qm großen Fläche lassen sich Wildbienen, Schmetterlinge, verschiedenste Vogelarten und pausierende Schauspielerinnen und Schauspieler beobachten. Theatergänger, Anwohner der Schäl Sick, neugierige Linksrheinische und Hobbygärtner jeden Alters sind gleichermaßen eingeladen, sich einen Moment zurückzuziehen aus dem sonst so verkehrsreichen Köln und zusammen mit uns zu gärtnern, zu pflanzen, zu ernten und zu feiern. Offen ist der CARLsGARTEN jederzeit, regelmäßig finden gemeinsame Gartenzeiten statt. Informationen zu aktuellen Veranstaltungen finden Sie unter www.carlsgarten.koeln
FILmCLUB in der Grotte Der Spaß an mutigen Filmen steht im Zentrum. In der Spielzeit 2016/17 findet in der Grotte unter dem Hügel wieder jeden Monat der FILmCLUB statt. Unserem Leitsatz bleiben wir weiterhin treu und zeigen Filme, die formal oder inhaltlich neue Wege gehen und eingefahrene Sehgewohnheiten und Rezeptionsmuster aufbrechen. Wir laden Vertreter verschiedener Filmberufe in den FILmCLUB ein, ihre Filme zu präsentieren und über ihre Arbeit zu sprechen. Jeden 1. Donnerstag im Monat im CARLsGARTEN, in der Grotte. Eintritt frei.
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Am Beginn der Spielzeit 2016/17 stehen die Inszenierungen von drei jungen Regisseurinnen: Therese Willstedt und Lilja Rupprecht arbeiten erstmals am Schauspiel Köln – Pınar Karabulut hat hier bereits zwei Theaterabende in der Reihe Werkstücke realisiert. Ein Gespräch über die Erfahrungen als junge Frauen im Theaterbetrieb und über kulturelle Hintergründe.
FÜhRungs krÄfte Interview Sibylle Dudek und Nina Rühmeier Fotos Sandra Then 18
einsvondrei | Führungskräfte
Wir haben uns heute am Kölner Hauptbahnhof getroffen und dort Fotos gemacht. Inwieweit habt Ihr die öffentlichen und medialen Debatten verfolgt, die aus den Geschehnissen der Silvesternacht – den sexuellen Übergriffen auf Frauen – resultiert sind?
Ist das für Euch auch eine Rolle, die der Kunst und insbesondere dem Theater zukommen könnte: Komplexität auszuhalten und darzustellen? Eine Art Gegenbewegung zu bilden zu der alltäglichen pauschalisierenden Berichterstattung?
Lilja Rupprecht: Man kam ja gar nicht drum herum. Es war überall Thema. Ich fand es nicht leicht, dazu eine Position einzunehmen. Man hat gespürt, dass eine Welle der Empörung und Angst durch die Gesellschaft geht. Und sich unter Frauen auch ein Gefühl der Unsicherheit oder Bedrohung breit macht, weil die Informationen ja auch erst nach und nach kamen. Es war unklar, ob diese Übergriffe abgesprochen waren, oder ob die Medien sich da draufsetzen und alles schlimmer machen, als es war.
Therese Willstedt: Ja. Ich sehe meine Arbeit als eine Art von Recherche und Suche oder auch Untersuchung, um menschliche Mechanismen besser verstehen zu können. Es ist wie eine Art Prisma, das man die ganze Zeit dreht und schaut, wie sich dabei die Bilder und das Licht verändern. Das Theater ist für mich ein Raum der Reflexion und nicht der Manifestation.
Pınar Karabulut: Es ist ja immer so: Erst muss etwas passieren, damit eine breite Aufmerksamkeit für ein Thema entsteht. Ich verstehe aber nicht, warum diese Übergriffe nur in Verbindung mit fremdländischen Männern thematisiert wurden. Als ob es sonst keine Übergriffe auf Frauen oder sexuelle Belästigung gäbe. Und besonders schlimm finde ich, dass es auch noch mit der Flüchtlingsdebatte vermischt wurde.
»Theater ist kein Ort, an dem sich die Gleichberechtigung bereits durchgesetzt hat.« (Pınar Karabulut) Therese Willstedt: Ich kenne diese Debatten auch aus Schweden, denn da wurden sie geführt in Verbindung mit Zwischenfällen, die in Schwimmbädern passiert sind. Diese Debatten bestehen aus Vereinfachungen und Verallgemeinerungen. Die Komplexität der Situation mit all ihren Auswirkungen und Ursachen wird überhaupt nicht ausgehalten. Bei dem Großteil der Berichterstattung in den Medien geht mir das so – dass es immer um eine schnelle Einordnung geht, um Beurteilung oder Verurteilung. Aber so ist die Situation, in der wir leben, nicht. Die Situation ist komplexer, und um sie zu verstehen, müsste man sie aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Auch die Berichterstattung über die Anschläge in Belgien war dafür ein Beispiel. Es geht um eine Manipulation durch Angst. Und es ist sehr leicht, mit der Angst der Menschen zu spielen. Lilja Rupprecht: Und das funktioniert natürlich gerade, wenn man das Fremde, die Fremden damit in Verbindung bringt. Das ist ja eine Urangst in vielen Menschen, die da angesprochen wird. Ich finde das auch nachvollziehbar. Ich konnte die Angst oder das Unwohlsein verstehen, die durch diese Übergriffe entstanden sind.
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Noch mal zurück zu den Ereignissen der Silvesternacht. In Deutschland war eine breit vertretene Meinung, dass »die Araber« erst einmal verstehen müssten, was Gleichberechtigung wäre – mit einem Selbstverständnis vorgetragen, als ob in Deutschland bzw. Europa überall vollkommene Gleichberechtigung herrschen würde. Wie erlebt Ihr das? Im Alltag? Und in Eurem Arbeitsumfeld? Therese Willstedt: Jetzt bin ich sehr gespannt auf Eure Antworten. Pınar Karabulut: Ich empfinde das schon als einen totalen Kampf als junge Frau am Theater. Dass die Spielzeit mit Inszenierungen von drei jungen Frauen startet, ist ja auch eine Ausnahme. Und dass wir hier sitzen und das thematisieren, spricht dafür, dass es keine Normalität ist. Am Schauspiel Köln sind die männlichen Regisseure – wie an vielen Theatern – in der Überzahl. Und wenn du als junge Frau – das ist natürlich noch mal verstärkt so, weil ich im Moment ja auch noch als Regieassistentin arbeite – zu den technischen Abteilungen gehst und nach etwas fragst, heißt es schnell: Was willst du denn damit? Du weißt ja gar nicht, wie man das gebraucht. Theater ist kein Ort, an dem sich die Gleichberechtigung bereits durchgesetzt hat.
Pınar Karabulut, 1987 geboren, studierte Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Neue deutsche Literatur in München. Von 2013 bis zum Sommer 2016 arbeitete sie als Regieassistentin am Schauspiel Köln und realisierte mehrere vielbeachtete Theaterabende, die zu Festivals eingeladen wurden. Im Oktober wird sie KARNICKEL von Dirk Laucke zur Uraufführung bringen.
Lilja Rupprecht: Für mich ist das gar kein Thema. Auch diese Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht: Ich wollte mich nicht damit beschäftigen. Dieses Kreisen um das Männer-Frauen-Thema finde ich nicht interessant. Gerade inszeniere ich »Hundeherz« nach Bulgakow. Den männlichen Protagonisten habe ich mit einer Frau besetzt. Das könnte man als feministische Setzung interpretieren, aber das war nicht das, was mich interessiert hat. Ich wollte einfach diese Schauspielerin in der Rolle sehen und mit ihr arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass nicht alles nach diesem Mann-Frau-Schema beurteilt wird. Dass man so schnell über äußere Merkmale zu einer Meinung kommt, finde ich fatal. Ich habe mich deswegen auch in den letzten Jahren am Theater ganz bewusst nicht mit dieser Männer-Frauen-Thematik beschäftigt, weil ich nicht wollte, dass das für mich ein Thema ist. Das ist keine Kategorie, mit der ich die Welt betrachte. Andererseits gibt es genug Situationen, wo man gar nicht darum herumkommt. Einer jungen Frau, die jetzt auch nicht schlecht aussieht, wird am Theater oft erst mal nicht zugestanden, dass sie auch inhaltlich stark ist. Dass Frauen eine Message haben, dass sie inhaltlich etwas zu erzählen haben, das wird manchmal angezweifelt. Da haben es junge Regisseure definitiv leichter. Ihnen wird auch in den Abläufen mehr Wums zugetraut, z.B. sich auch mal dem Technischen Direktor gegenüberzustellen und sich durchzusetzen. Frauen haben es schwerer, ernst genommen zu werden.
»Wenn ich will und es von Nöten ist, kann ich ein absoluter Diktator sein.«
Therese Willstedt,1984 in Schweden geboren, studierte Tanz an der Ballettakademie in Göteborg und Regie an der Danish National School of Performance Arts in Kopenhagen. Als Regisseurin und Choreographin arbeitet sie in Schweden, Dänemark, Deutschland und Palästina. Mit ADAMS ÄPFEL von Anders Thomas Jensen inszeniert sie erstmals am Schauspiel Köln.
Was bemerkenswert ist: In den Regieklassen der Hochschulen, in denen junge Regisseurinnen und Regisseure ausgebildet werden, sind Frauen stärker vertreten. Es gibt sogar reine Frauenjahrgänge. Was passiert dann mit ihnen in der Auslese auf dem Arbeitsmarkt? Habt Ihr Vermutungen? Lilja Rupprecht: Vielleicht sind die Frauen ermüdet von den vielen Kämpfen. Und man stellt sich die Frage, ob Arbeit und Leben eigentlich in einem richtigen Verhältnis stehen. Noch mal extremer, wenn man sich eine Familie wünscht. Pınar Karabulut: Aber warum müssen Regisseurinnen in der alltäglichen Arbeit mehr kämpfen, um sich durchzusetzen? Zum Beispiel gegenüber männlichen Schauspielern? Lilja Rupprecht: Vielleicht liegt es auch daran, dass sie diese Auseinandersetzungen mehr kosten. Weil sie sensibler sind. Es kostet Frauen mehr Energie.
(Therese Willstedt)
Pınar Karabulut: Weil es einfach nicht so selbstverständlich ist. Man steht immer als Frau da.
Therese Willstedt: Das ist ein hoch komplexes Thema. Ungleichheit – auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern – wird durch etablierte Machtstrukturen bedingt und aufrechterhalten. Das Theater ist auf jeden Fall ein sehr traditioneller, hierarchischer Ort, an dem das Denken in Stereotypen immer noch an der Tagesordnung ist. Wobei ich sagen muss, dass sich das in Skandinavien gerade ändert. Da beeinflussen soziale Herkunft und Geschlecht die beruflichen Möglichkeiten nicht in dem Maße wie in Deutschland. Trotzdem leben wir noch immer in patriarchalen Machtstrukturen, auch wenn ein Wandel hin zu mehr Gleichberechtigung stattgefunden hat und weiter stattfindet. Aber bei allen Errungenschaften besteht die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern doch in einigen Bereichen weiter. Ob uns das nun gefällt oder nicht, wir werden immer noch beeinflusst von gesellschaftskonformen Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit.
Lilja Rupprecht: Gerade die älteren Schauspieler finden das niedlich, wenn man als junge Frau vor ihnen steht. Das ist ja auch sehr rührend, dass sie das finden. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil in der Arbeit? Therese Willstedt: Kommt drauf an. Manchmal kann man es benutzen. Vor zehn Jahren, als ich angefangen habe im Theater, sah ich wie ein Junge aus. Ich wollte nicht als »süße junge Frau« wahrgenommen werden. Aber auch diese Art von Kampf hat mich mit der Zeit ermüdet. Wir neigen dazu, Männer und Frauen einander gegenüberzustellen und über individuelle Eigenschaften so zu sprechen, als wären sie geschlechtsspezifisch. Die Fähigkeit, gut führen zu können, ist keine männliche oder weibliche Qualität. Auch Durchsetzungsvermögen nicht. Wenn ich will und es von Nöten ist, kann ich ein absoluter Diktator sein.
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einsvondrei | Führungskräfte
Lilja Rupprecht: Ich glaube, in der Natur der Frauen liegt es, sich mehr darum zu sorgen, dass es allen gut geht. Das ist der mütterliche Teil, der irgendwo in uns liegt. Pınar Karabulut: Das glaube ich nicht. Ich würde mir wünschen, dass Gleichberechtigung im Theater zur Normalität wird und dass auch eine feministische Haltung zu haben nicht bedeutet, sich permanent erklären zu müssen. Lilja Rupprecht: Männer würden jetzt jedenfalls nicht hier zusammensitzen und über Männlich-Sein im Theater reden. In dem Begriff »Regie-Führen« drückt sich ja deutlich aus, dass es um eine Führungsaufgabe geht. Schaut man in einem Synonym-Wörterbuch nach, werden Begriffe wie: Herrschaft, Kommando, Kontrolle angeführt – auch wieder eher männlich konnotierte Begriffe. In wie weit entspricht das Eurem Arbeits- und Selbstverständnis? Therese Willstedt: Das ist wiederum ein sehr traditionelles, aber auch ein illusorisches Bild vom Regisseur, der wie eine Art General agiert und sich immer völlig sicher ist in seinen Entscheidungen. Wenn man von vorneherein weiß, wohin man will und wie man dorthin kommt, warum geht man dann überhaupt noch los? Wo bleibt dann die Suche? Zu glauben, man sei derjenige, der alle Antworten parat haben müsste, ist eine ziemlich einsame Angelegenheit. Für mich bedeutet Regie-Führen die Suchrichtung auf den Proben zu dirigieren und schließlich das entstandene Material zu sichten und zusammen zu bringen.
Lilja Rupprecht, 1984 in Hamburg geboren, arbeitete als Regieassistentin am Thalia Theater Hamburg und studierte Regie an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin. Ihre Inszenierungen sind u.a. am Deutschen Theater Berlin, am Thalia Theater Hamburg und am Münchner Volkstheater zu sehen. Botho Strauß’ GROSS UND KLEIN ist ihre erste Regiearbeit fürs Schauspiel Köln.
Pınar Karabulut: Es gibt ja auch das Team, mit dem man eng zusammenarbeitet: Bühnenbildner, Kostümbildner, Musiker ... Natürlich bin ich als Regisseurin dann die Person, die alles zusammenbringt, die erst mal mit einer Idee und Vorstellung reinkommt, in welche Richtung es gehen könnte. Die Schauspieler sind ja auch nicht dazu da, etwas auszuführen. Ich würde die Rolle des Regisseurs mit der eines Fußballtrainers vergleichen. Er oder sie bestimmt die Spiel-
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taktik und trainiert mit den Spielern, aber trotzdem kann ein Trainer für sich ja überhaupt nichts ausrichten. Da kann er noch so viele tolle Gedanken haben. Alleine gewinnt er das Spiel nicht. Im Endeffekt schießen die Spieler das Tor. Therese Willstedt: Natürlich haben wir viel Verantwortung. Und natürlich ist es unser Job, eine Vision zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Es ist auch wichtig, diese Verantwortung anzunehmen und trotzdem im Prozess offen zu sein. Lilja Rupprecht: Es gibt aber umgekehrt auch bei einigen Schauspielern den Wunsch, geführt zu werden. Dass die Regisseure sie an die Hand nehmen, jeden Schritt mit ihnen gehen und alles ins Ohr flüstern. Das interessiert mich in der Arbeit aber gar nicht, ich will ja verstehen, mit wem ich es zu tun habe. Ich habe aber gemerkt, dass meine Art, erst mal zu schauen, bei manchen auch eine Irritation hervorruft.
»Männer würden jetzt jedenfalls nicht hier zusammensitzen und über Männlich-Sein im Theater reden.« (Lilja Rupprecht) Lasst uns über Euren kulturellen Backround sprechen und inwieweit das Eure Arbeit bestimmt. Therese: Du arbeitest als Schwedin in Dänemark, Deutschland und hast auch schon in Palästina gearbeitet. Pınar: Du hast zwei Bezugspunkte – die deutsche und die türkische Kultur. Von Dir, Lilja, wissen wir, dass Du eine leidenschaftliche Reisende bist, nicht selten mehrere Monate in anderen Kulturen verbringst ... Was für eine Rolle spielt die Auseinandersetzung mit dem Fremden, mit unterschiedlichen Kulturen für Eure Arbeit? Lilja Rupprecht: Für mich ist das Reisen wichtig, um wieder zu einer Objektivität zu kommen – nicht immer nur zu fragen: Wie geht es mir, wie bin ich, sondern zu sehen, wie Menschen in unterschiedlichen Bedingungen leben. Pınar Karabulut: Bei mir ist das natürlich so: Ich lebe das jeden Tag. Es ist ja einfach da und ist keine Entscheidung, die ich treffe. Und natürlich wähle ich so auch die Themen und Stücke, mit denen ich mich beschäftige. Das heißt aber nicht, dass es da immer um Migration oder Integration gehen muss. Ich habe mich ja auch mit Stücken beschäftigt, die sehr deutsch sind, in denen es um deutsche Identität geht. Vielleicht will ich endlich Deutschland verstehen. Therese Willstedt: Für mich ist es die Neugier, die mich antreibt. Und ich versuche auch ganz bewusst, meine
Komfortzone zu verlassen. Das Zusammenprallen der Kulturen und Sprachen, die Missverständnisse, die dabei entstehen können, bringen mich weiter und provozieren mich, Themen anders zu betrachten. Es hält mich frisch. Zu Beginn der Spielzeit steht aber nicht die Auseinandersetzung mit dem Fremden im Vordergrund, sondern eine Identitätssuche der Bürgerin/des Bürgers, die/der sich verunsichert fragt, wo ihr/sein Platz in der Gesellschaft ist – so könnte man die inhaltliche Schnittmenge der drei sehr unterschiedlichen Stoffe beschreiben, die Ihr inszeniert. Pınar Karabulut: Also, für mich ist die Welt in dem Stück von Dirk Laucke, das ich inszenieren werde, schon eine sehr fremde: die gutbürgerliche deutsche Mitte.
Therese Willstedt: ADAMS ÄPFEL ist wie eine groteske Sitcom über Außenseiter. Die Geschichte handelt von der Absurdität des menschlichen Daseins und dem Gefühl von Unglück und Isolation. Wir versuchen, diesem Gefühl zu entkommen und Trost in schnellen Lösungen zu finden, anstatt die Wurzel des Übels zu packen. Es ist eine schwarze, politisch inkorrekte Komödie mit extremen Charakteren. Lilja Rupprecht: Da schließt sich Gross und Klein sehr gut an. Die Suche nach sich selbst, nach einem Platz in der Gesellschaft treibt die Protagonistin Lotte an. Ich frage mich, ob diese Sehnsucht nach dem Ankommen überhaupt zu stillen ist, oder ob die Sehnsucht nicht dazu gehört und ein Teil von uns ist. Und diese Vorstellung eines Ideallebens, in dem man zur Ruhe kommt und seinen Platz findet, nicht eine Utopie ist.
ERFOLG Ein Koordinatensystem von Georg Seeßlen
Was ist Erfolg? Was ein erfolgreicher Mensch? Und in welchem Verhältnis stehen Erfolg und Angst zueinander? Wir haben den Filmkritiker, Sachbuchautor und Künstler Georg Seeßlen gebeten, sich mit diesem spannungsreichen Begriffspaar auseinander zu setzen.
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Der erste Erfolg, den man verzeichnen kann, ist die Angst zu besiegen. Der erste Erfolg ist, genauer gesagt, nicht zu unterliegen, dem Tod zum Beispiel.
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Was Erfolg ist? Es ist gewiss nicht einfach die Anwendung von Macht zum eigenen Vorteil. Noch ist es ein purer glücklicher Zufall. In der Mitte ist Erfolg, melodramatisch, an die eigene Leistung gebunden. Aber das reicht nie. Man muss oben mit den Göttern im Bunde sein. Und gleichzeitig unten tief im Animalischen stecken. Erfolg ist 24
alles drei: Eine Sache des Geistes (that’s the spirit!), eine Sache der Seele und eine des Körpers. Genauer gesagt: Erfolg ist der Triumph des Ganzen über die Teile. Im Erfolg kommt alles Gespaltene wieder zusammen. Darum genießt, so kann es gehen, den subjektiven Erfolg auch jener Mensch, der den sozialen Erfolg als destruktive Illusion enttarnt hat.
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Man sonnt sich in seinem Erfolg, so sagt man. Erfolgreiche Menschen erscheinen als Wärmespender. Immer, so scheint es, geben sie etwas von ihrem Erfolg ab, wenn auch nicht zu viel. Die Erfolgreichen haben die Gaben, so oder so.
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Der Erfolgreiche ist glücklich im Selbstgenuss. Er ist sein eigener Gott. Er liebt sein Spiegelbild. Der Erfolgreiche wächst und wächst. Nothing succeeds like success.
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Woran erkennt man ERFOLG? Der Blick. Die Hände. Das Gehen und Stehen. Die Haltung. Die Kleidung. Das Lied. Das Lächeln.
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Die Grammatik des Erfolgs: männlich/weiblich.
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Erfolg ist kein stabiler Status, sondern eine Funktion in Raum und Zeit. Darum ist man nie »genug erfolgreich«. Der heiße Kern des Erfolges ist die Angst.
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Die Grammatik des Erfolgs: Subjekte und Objekte (Überheben und Unterliegen).
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oh göttliche Ökonomie, oder aus der Hölle, teuflische Pakte von Tausch und Kredit, er findet den Menschen und formt ihn. Denn nur im unendlichen Wachstum und in der kreativen Konkurrenz ist Erfolg möglich, zu dem der Mensch geboren ist: Zum Mehr als er selber werden.
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Angst – Prüfung – Erfolg.
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Die Grammatik des Erfolges: Die Glücklichen – Die Heroischen – Die Bösen.
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BEUTE
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Dinge, die vom Erfolg erzeugt sind.
Grammatik des Erfolgs: Der Raum des Erfolgs.
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Im Erfolg wird der Körper zum Monument seiner Konstruktion.
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DER KAPITALISMUS IST AN ALLEM SCHULD. Er verspricht den Erfolg, der nur der Misserfolg der anderen sein kann. Ob er aus dem Himmel stammt,
Sind Götter erfolgreich? Wir, ihre Geschöpfe, wir müssen es wissen, sie können uns nicht so gemeint haben, wie wir geworden sind. Deshalb sind sie meistens eifersüchtig, zornig, rachedürstend, aber, schlimmer, auch gleichgültig, abwesend, nie gewesen. Je weniger Götter es gibt, desto erfolgloser werden sie. 25
einsvondrei | Erfolg/Angst
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Maschinen des Erfolgs.
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Erfolg macht sexy. Sagt man. Zumindest für jene, die sich am Leitfaden des Erfolges zu leben entschlossen haben. Aber Erfolg zerbricht auch immer an der Sexualität. Der erfolgreichste Kane der Welt wird immer wieder an der Liebe scheitern. Und mit dem Scheitern an der Liebe wird der Erfolgreiche zum Monster.
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Verdoppelung: Wir träumen den Erfolg, der uns in der Wirklichkeit versagt ist.
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Erfolg verleiht Flügel.
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ERFOLG UND ANGST SIND INEINANDER VERSCHMOLZEN Die junge Clarice Starling in einer grafischen Version von »Das Schweigen der Lämmer«. Zeichnung: Aldo di Gennaro. Almanacco del Giallo 2005. Sergio Bonelli Editore, Milano
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My Fair Laddie - A Mad Musical. Zeichnung: Mort Drucker. In: Mad Magazine June 1974, Vol. 1., No. 167. E.C. Publications Inc. New York
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ANGST und erfolg SIND INEINANDER VERSCHMOLZEN
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Die Angst verleiht Flügel.
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Verdoppelung. Wir träumen die Angst, damit wir sie nicht haben müssen.
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Sexualität macht Angst. Auch in Zeiten der liberalen Organisation von Begehren und »Orientierung«. Immer kann etwas schiefgehen. Im Herzen des Horrors lauert die finstere Hochzeitsphantasie. Das schöne Märchen vom Geliebten, der in die Gestalt des Monsters gebannt ist, in La Belle et la Bête, als vampirische Seele, aber viel mehr wahrscheinlich ist der umgekehrte Fall:
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Maschinen der Angst.
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Haben Götter Angst?
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Dinge, die Angst machen.
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Die Grammatik der Angst: Subjekte und Objekte (das Monstrum und sein Adressat).
Grammatik der Angst: Räume der Angst.
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RAUB
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Angst ist – wenn sie keine Krankheit ist – Grammatik der Angst: Verzweiflung – kein Wesensmerkmal (im Gegensatz zur Kampf – Resignation. Ängstlichkeit), sondern eine Funktion zwischen Subjekten. Darum ist Angst immer im Zug ihrer Selbstübersteigerung. Die Erlösung in der Angst liegt im Erfolg. Erfolg – Konkurrenz – Angst.
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ALLES IST AM KAPITALISMUS SCHULD. Ist es nicht die Natur des Menschen, die zum Phantasma des unendlichen Wachstums und der kreativen Konkurrenz geführt hat? Der Mensch ist für den Kapitalismus, ob der ihm nun den Himmel oder die Hölle bringt. Denn nur das unendliche Wachstum und nur der unerschütterliche Glaube an die Fähigkeit, die Konkurrenz zu bestehen, können dem Menschen helfen, mit der Angst zu leben, mit der er geboren ist.
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Durch die Angst wird der Körper zur Chronik seines Zerfalls. 28
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Die Grammatik der Angst: männlich/weiblich.
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Woran erkennt man ANGST? Die Augen. Die Hände. Die Wendung. Die Krümmung. Die Flucht. Der Schrei.
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Der Ängstliche ist sich selber fremd. Er ist sein eigener Dämon. Im Spiegel kann er das Furchtbarste nur sehen. Der Ängstliche schrumpft und schrumpft. Vor nichts muss man so sehr Angst haben wie vor der Angst.
einsvondrei | Erfolg/Angst
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Man schlottert vor Angst, so sagt man. Ängstliche Menschen verbreiten Kälte um sich. Immer, so scheint es, wollen sie auch von anderen Wärme und Energie, auch wenn die sich wappnen. Die Angstvollen wollen immer etwas nehmen, so oder so.
das Gespaltene wieder zusammen. Darum erfährt, so kann es gehen, die subjektive Angst auch jener Mensch, der in die Gesellschaft Furchtlosigkeit als Heilslehre bringen wollte.
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Die erste Angst, die man entwickelt, ist die davor, keinen Erfolg zu haben. Die erste Angst gilt, genauer gesagt, dem Unterliegen, dem Tod zum Beispiel.
Foto Akademie der Künste in Berlin
Was Angst ist? Es ist gewiss nicht nur die Gewahrung von Gefahren für die eigene Sicherheit. Noch ist es pures ozeanisches Gefühl. In der Mitte ist Angst, melodramatisch, an die eigene Schuld gebunden. Aber das reicht nie. Man muss oben die Götter erzürnt haben, mit was auch immer. Und gleichzeitig unten tief im Märchensumpf stecken. Angst ist alles drei: Eine Sache des Geistes, eine Sache der Seele und eine des Körpers. Genauer gesagt: Angst ist der Zusammenbruch der organisierten Teile in ein chaotisches Ganzes. In der Angst kommt
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Georg Seeßlen studierte in München Malerei, Kunstgeschichte und Semiologie. Neben seiner Tätigkeit als Film- und Medienkritiker, als Autor von Essays und Sachbüchern dreht er gelegentlich Dokumentarfilme für das Fernsehen. Sein publizistisches Werk umfasst u.a. Auseinandersetzungen mit David Lynch und dem pornographischen Film, Michael Haneke und Quentin Tarantino, Rechtsextremismus, dam Fernsehen und digitalem Dating.
DAS LEBEN IST DOCH KEIN BUNTER TELLER Theater, so heißt es, ist ein bürgerliches Medium. Aber vielleicht gibt es ihn ja gar nicht mehr, den klassischen Bürger. Und falls doch, wie findet er sich zurecht in dieser unübersichtlich gewordenen Gesellschaft, und wie viel Wahrheit verträgt er? Der Sozialpsychologe Harald Welzer ist ihm auf der Spur, und er hat Vorschläge für einen Umgang mit der bürgerlichen Orientierungslosigkeit.
Interview Thomas Laue | Illustrationen Labor fou 31
einsvondrei | Das Leben ist doch kein bunter Teller
Herr Welzer, lassen Sie uns über den Bürger reden, dieses merkwürdige und vielgescholtene Wesen. Was ist von der Tradition des Bürgers und von der Bürgergesellschaft heute eigentlich noch übrig? Jede Menge. Nehmen Sie zum Beispiel die klassisch bürgerliche Haltung, die sich im letzten Sommer gezeigt hat, als die Flüchtlingszahlen anwuchsen und eine unendlich große Zahl von Menschen auf praktische Weise für ihre Gesellschaft Verantwortung übernommen hat. Da hat man gesehen, dass wir eine Bürgergesellschaft sind, die funktioniert. Zur gleichen Zeit haben wir aber auch den »Wutbürger« kennengelernt oder den »besorgten Bürger«, der mit Pegida auf die Straße geht. Ich habe nie verstanden, wieso man Versammlungen einer vierstelligen Zahl von Personen, von denen man weiß, dass sie überhaupt nicht an Bürgergesellschaft und Demokratie interessiert sind, eine derartige mediale Aufmerksamkeit schenkt, und wieso man die unter dem Begriff des Wutbürgers subsumiert. Das sind Personengruppen, die sich dezidiert außerhalb unserer bürgerlichen Verkehrsformen aufhalten und das auch strategisch einsetzen. Im Grunde genommen feiern sie dauernd Punktsiege, ohne dass es irgendeinen Anlass dafür gäbe. Heißt das, die Krise des Bürgertums ist gar keine, sondern eine Krise der Medien? Eine Krise der Medien und der Politik. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel für eine funktionierende bürgerliche Öffentlichkeit: Wir führen seit Anfang Dezember letzten Jahres eine Debattenreihe zur offenen Gesellschaft durch. Das Erstaunliche daran ist, dass zu diesen Debatten nicht nur regelmäßig Hunderte von Leuten kommen und total zivilisiert über die Frage »Welches Land wollen wir sein?« diskutieren, sondern dass die ganzen Hysterisierungsanlässe, die in den Medien anhand von AfD, Pegida, den Kölner Übergriffen, Böhmermann und so weiter permanent existieren, in diesen Debatten gar keine Rolle spielen. Stattdessen sind das völlig unhysterische Diskussionen, in denen sich Leute besorgt oder engagiert oder beides zugleich darüber austauschen, was die Probleme und was die positiven Aspekte unserer Gesellschaft sind. Das unterscheidet sich total von dem politischen und dem medialen Diskurs, total. Worin besteht dabei die Krise der Politik in Hinblick auf die Bürgergesellschaft? Darin, dass es verantwortungslose Subjekte wie Herrn Seehofer gibt, die nichts Besseres zu tun gehabt haben, als das Flüchtlingsthema parteipolitisch zu instrumentalisieren, und zwar unglaublich erfolgreich zu instrumentalisieren,
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womit sie ja die Kanzlerin total unter Druck gesetzt haben und Teile der Öffentlichkeit auch. Aber Instrumentalisierung ist eigentlich etwas, das mit Bürgergesellschaft nicht so arg viel zu tun hat. So war die Parteiendemokratie nicht gedacht, oder? Dazu kommt, dass die sogenannten etablierten Parteien in der gegenwärtigen Situation natürlich auch menschgewordene Hilflosigkeit sind und gar nicht wissen, wie sie sich zur Sache verhalten sollen. Und sie können sich deswegen nicht verhalten, weil sie keine politische Programmatik an den Tag legen. Der Bedeutungsverlust der SPD liegt ja auch darin, dass man kaum noch einen Sozialdemokraten findet, der erklären könnte, weshalb es diese Partei gibt. Helmut Schmidt hat gesagt, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, ist es genau das, was im Moment fehlt. Woher können neue Visionen denn kommen? Sicherlich auch aus der Bürgergesellschaft. Es gibt eine Menge Beispiele von Gruppen, die nichts anderes machen, als konkrete Utopien nicht nur zu entwickeln, sondern auch auszuprobieren, damit zu experimentieren. Da kommen viele Impulse. Nur werden die gegenwärtig von den betriebsförmigen Parteien kaum zur Kenntnis genommen.
»Es ist ein Problem, wenn Leute ein Orientierungsdefizit instrumentalisieren und diese Mickey-Maus-Lösung anbieten wie die AfD.« Aber wie schafft man es als Bürger einer Stadt aus dem Reden ins Handeln zu kommen? Bei Ihrer Debattenreihe »Die offene Gesellschaft« hat das Schauspiel Köln ja auch mitgemacht – ist super, find ich großartig, aber wie wird aus dem dauernden Reden konkretes Tun? Ich glaube, dass die meisten Leute, die an den Debatten teilnehmen, deshalb teilnehmen, weil sie bereits etwas tun. Berufsschullehrer, die mit Flüchtlingen arbeiten, Handwerksmeister, kleine Unternehmer, deren Praxis sich verändert hat, und die in irgendeiner Weise darauf reagiert haben. Es gibt sehr viele Praxisveränderungen in den letzten Jahren, die politisch viel zu wenig wahrgenommen werden. Wir haben es auch mit dem Altwerden von politischen Inhalten zu tun. Die Welt hat sich in den letzten 30 Jahren intensiv verändert, und die etablierten Parteien, die wir haben, argumentieren immer noch in den Mustern von 1970/1980 oder so. Übrigens inklusive der Grünen. Das ist natürlich ein Riesenproblem, denn das findet relativ wenige Abnehmer, und es findet entsprechend auch weniger Glaubwürdigkeit. Umgekehrt ist das Problem dann groß, wenn Leute wiede-
rum dieses Orientierungsdefizit für sich instrumentalisieren und diese Mickey-Maus-Lösung anbieten wie die AfD, die mit irgendwelchem Quatsch kommt, der mit der modernen Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun hat. Das heißt, wir leben vom politischen Denken her immernoch in der Gemütlichkeit der alten Bundesrepublik? Ich finde die alte Bundesrepublik, das muss ich leider mal so sagen, eigentlich ziemlich gut. Wenn man das 20. Jahrhundert anguckt, hat die alte Bundesrepublik ein ziemlich hohes zivilisatorisches und demokratisches Niveau erreicht. Das ist erstmal nicht schlecht. Es hat auch viele Nachteile, ist auch verbunden mit vielen ökologischen Fehlentwicklungen, aber es ist doch ein Ausgangspunkt, wo man fragen kann, wieso da Verschiedenes funktioniert hat, wieso es auch soziale Bewegungen gegeben hat, die dann politikförmig geworden sind, wie die Grünen, und warum das heute eigentlich nicht mehr funktioniert. Ja genau: Warum funktioniert das heute eigentlich nicht mehr? Weil wir seit der Wiedervereinigung eine intensive Entwicklung der Entpolitisierung gehabt haben, wozu die Parteien ihren Beitrag geleistet haben, weil Politik immer als Expertokratie und Lieferservice verstanden wird. Es gibt eine Abkoppelung auf der Ebene der Politikerpolitik, von dem, was lebensweltlich vor sich geht, verbunden mit der ganz falschen Idee, dass dauernd irgendwelche Lösungen geliefert werden müssten. Moderne Gesellschaften sind so komplex, dass es keine Lösungen gibt. Es gibt Annäherungen an bessere Bewältigung von Problemen, aber man kann doch in unserer Welt nicht ernsthaft sagen: hier Problem, dort Vorschlag, dann Lösung. Aber das ist genau das, was Politiker im Selbstmissverständnis glauben, was von ihnen erwartet wird. Was würden Sie Politikern, die heute ja dann doch irgendwie handeln oder entscheiden müssen, als Ratschlag mit auf den Weg geben? Erstmal, dass sie auch unbequeme Entscheidungen fällen und verteidigen müssen, anstatt im Vorhinein danach zu gucken wie die Umfragewerte sind und ihre Entscheidungen danach auszurichten. Ganz katastrophal. Zweitens: Politik findet nicht in Talkshows statt, sondern in den dafür zuständigen Gremien, auch diesen Eindruck sollte man beim Publikum langsam mal vermeiden. Außerdem glaube ich, dass es wirklich wichtig ist, auch mal gegen die Mehrheitsauffassung in der eigenen Partei oder in der Koalition argumentativ Dinge durchzustehen, anstatt immer, was mir ja total auf den Senkel geht, dieses pseudomäßige Verkaufen zu betreiben. Also den katastrophalsten Parteitagsbeschluss oder das desaströseste Ergebnis einer Koalitionsverhandlung als den Stein der
Weisen anzubieten, wo jeder weiß, totaler Scheiß, wird nie gut gehen. Oder wenn mal jemand sagen würde, äh, nein, so kann man aus humanitären Gründen oder auch aus geopolitischen Gründen ein Problem nicht lösen, und das auch durchfechtet, wie Merkel das mal für eine gewisse Weile versucht hat. So etwas würden die Leute ja sofort honorieren. Heißt das, dass Politikverdrossenheit nicht daherkommt, dass Menschen an Politik verdrossen sind, sondern weil sie lieber Wahrheiten hören wollen? Das heißt, dass sie klüger sind. Ich bin auch politikverdrossen, aber nicht, weil ich mich nicht für Politik interessiere, sondern weil ich mich dafür interessiere.
»Man kann doch in unserer Welt nicht ernsthaft sagen: hier Problem, dort Vorschlag, dann Lösung.« Schauen wir mal wieder auf den Bürger, also auf den Menschen, der in der Stadt lebt. Brauchen wir andere Organisationsformen um das Zusammenleben zu organisieren? Und wie schaffen wir es, wieder an demokratische Errungenschaften anzuknüpfen oder zu einem Dialog zurückzukehren? Man muss viel deutlicher machen, was es alles an Engagement gibt, und das stark machen. Mehr als fünfzig Prozent der Bevölkerung sind ehrenamtlich engagiert. Das ist ein Wahnsinnswert. Wenn man sich anguckt, was im letzten Sommer und Herbst passiert ist, wie viele Hunderttausende von Leuten sich wirklich den Arsch aufgerissen haben, um etwas für Flüchtlinge zu tun, welche Formen von lokaler Organisation, Nachbarschaftshilfen, Tafeln es gibt, und wenn man sich anschaut, was im Moment an neuen Wirtschaftsformen oder Vergemeinschaftungsformen entwickelt wird, dann muss man doch sehen, dass das ein wahnsinnig lebendiger Laden ist, mit dem wir es hier zu tun haben, und keiner, bei dem Wutbürger, Politikverdrossene und Vollpfosten die Mehrheit stellen. Das ist einfach nicht der Fall. Wenn man die Perspektive mal so umdreht, dann hätte man eine ganz andere Ausgangsposition, um zu sagen: Lasst uns doch mal darüber nachdenken, wie wir dieses Engagement, wie wir diese Engagementbereitschaft bestärken können. Und honorieren können. Durch Aufmerksamkeit, durch das Anhören von Vorschlägen, wie Dinge angegangen werden sollten. Hat das etwas damit zu tun, dass der Bürger wieder in Verantwortung muss? Absolut.
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einsvondrei | Das Leben ist doch kein bunter Teller
Was verstehen Sie genau unter Verantwortung? Jetzt sind wir am Anfang des Gesprächs. Wenn Leute sagen, hier taucht ein Problem auf, hier sind Menschen in Not, hier muss man Hilfe leisten, wer ist da, der die Hilfe leisten kann? – Ich. Das ist Verantwortung.
muss anders verteilt werden. Damit begebe ich mich aber automatisch in einen Konflikt, weil ich Privilegien anderer angreife. Und das gehört für mich mit dazu. Wir müssen uns von dieser wirklich blödsinnigen Vorstellung verabschieden, dass alle immer zufrieden sein müssen.
»Wir brauchen Interessenkonflikte, die ausgetragen werden.«
Wenn wir nochmal unser Verhältnis zur alten Bundesrepublik betrachten, wo ja vieles, wie Sie eben gesagt haben, durchaus gut, wenn nicht besser war. Gibt es etwas, worin wir als Bürger heute nicht schlechter, sondern besser geworden sind? Junge Bürgerinnen und Bürger sind wesentlich besser geworden. Wir wissen zum Beispiel aus der letzten Shellstudie, dass die Angst vor Fremden, vor Überfremdung, vor Zuwanderung so niedrig ist, wie sie es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht war. Wir wissen, dass die Jungen ganz anders miteinander und mit Fremdheit umgehen, dass Unterscheidungskriterien, wie sie noch in meiner Generation eine Rolle gespielt haben, geschweige denn in der Vorgängergeneration, für sie völlig gegenstandslos sind, dass sie eine viel globalere Erfahrung haben, dass sie viel besser mit Ambivalenzen umgehen können. Das finde ich extrem positiv.
Soll man mit der AfD reden oder nicht? Na klar! Worüber? Über ihre absonderlichen, zum Teil menschenfeindlichen, zum Teil demokratiefeindlichen Vorstellungen, wie eine Gesellschaft auszusehen hat. Da geht es um was. Nämlich um die Frage, wie unsere Gesellschaft sein soll. Da muss ich doch in die Auseinandersetzung gehen. Wenn einige Leute nicht zur Party eingeladen sind, müssen wir dann in Kauf nehmen, dass Menschen in der Gesellschaft zurückbleiben? Das Leben ist doch kein bunter Teller. In das ganze Universum des Unpolitischen und der Entpolitisierung gehört auch diese wirkliche Schwachsinnsvorstellung, dass alles immer win-win ist, und alle immer mehr abkriegen und so weiter. So funktioniert Gesellschaft nicht, so funktioniert die Welt nicht. Was wir sehen und was wir brauchen, sind Interessenkonflikte. Und diese Interessenkonflikte müssen ausgetragen werden. Ich bin sehr dafür, dass verhängnisvolle Entwicklungen wie wachsende Bildungsungleichheit, wie wachsende soziale Ungleichheit zurückgefahren werden. Es muss dringend etwas getan werden, damit diese Phänomene nicht weiter anwachsen. Aber das kann ich nicht mit der Vorstellung machen, dass alle trotzdem immer noch mehr kriegen. Sondern da muss ich sagen, okay, wir haben es mit einer Verteilungsproblematik zu tun, gesellschaftlicher Reichtum
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Also besteht in einer Welt, die gerade insgesamt sehr katastrophisch gestimmt ist, doch noch Hoffnung? Der von mir geschätzte Philosoph Odo Marquardt, der im vergangenen Jahr gestorben ist, hat immer darauf beharrt, dass die Welt mehr Nicht-Krise sei als Krise. Das ist ein extrem wichtiger Satz. Denn wenn wir uns jetzt hier gepflegt unterhalten, auf einem hohen Reflexionsniveau, dann tun wir das, weil unser Leben absolut nicht krisenhaft ist, sondern extrem sicher und saturiert. Das ist doch super. Daraus kann man doch was machen.
Foto Wolfgang Schmidt
Jetzt gibt es aber nicht nur die, die Verantwortung übernehmen, sondern auch die, die Ängste formulieren. Angst vor Verlust von Status, Angst vor Verlust von Überschaubarkeit von Welt – wie erreicht man die? Das ist doch eine völlig falsche Vorstellung, dass man immer alle erreichen müsste. Die Gründe für Ängste, Neurosen, für Spinnereien, für was auch immer, Hobbys, oder sonst was, sind in einer pluralen Gesellschaft eben plural. Ich hab doch auch nicht die Vorstellung, dass ich mit meinen Büchern alle Menschen erreiche. In einer pluralen Gesellschaft ist das, was man erreichen kann, immer partikular, und irgendjemand ist immer nicht zur Party eingeladen. Aber so ist das Leben.
Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe, Direktor von »Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit« und Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. Das von ihm ins Leben gerufene Debattenformat »Die offene Gesellschaft« wird derzeit bundesweit in vielen Theatern, Bibliotheken und an anderen öffentlichen Orten durchgeführt.
Die Zeichnungen von Labor fou entstanden als GraphicRecording im Rahmen des Stadtprojektes DIE STADT VON DER ANDEREN SEITE SEHEN des Schauspiel Köln, einem Modellprojekt der nationalen Stadtentwicklungspolitik des Bundes.
DIE STADT VON DER ANDEREN SEITE SEHEN – PHASE 2: KOMPLIZENSCHAFTEN Seit Beginn der letzten Spielzeit schaut das Schauspiel Köln in einem offenen Prozess im Rahmen von Workshops, Führungen und Interventionen auf die Stadt. Von Mülheim aus, wo derzeit Wandel in Echtzeit passiert. Zusammen mit 200 motivierten und engagierten StadtbewohnerInnen haben wir beim großen Auftakt am 5. März 2016 begonnen, den Stadtteil Mülheim unter der Fragestellung »Wie wollen wir leben, und welche Stadt brauchen wir dafür?« zu erkunden. Im nächsten Schritt rufen wir nun interessierte Menschen auf, mit KünstlerInnen, AktivistInnen und StadtplanerInnen Komplizenschaften einzugehen, um so konkrete Veränderungen anzustiften und zu realisieren. Gemeinsam wollen wir Grenzen überwinden, Brücken bauen, Schneisen schlagen und Orte schaffen, an denen die Regeln immer wieder neu bestimmt werden können. Ein Jahr lang erfinden wir gemeinsam unsere Stadt, um sie so für die Zukunft weiter zu entwickeln und besser zu machen. Wir laden Sie dazu ein! Werden Sie Komplizen! Alle weiteren Informationen unter www.schauspiel.koeln
PLÄdoyer FÜr das Zaudern Ein Essay von Joseph Vogl
Entscheidungsfreude und Handlungsfähigkeit werden in unserer beschleunigten Welt als Tugenden betrachtet. Was aber, wenn man sich diesen Anforderungen entzieht und – willentlich oder nicht – zu keiner schnellen Entscheidung kommt? Der Literaturwissenschaftler und Philosoph Joseph Vogl entdeckt in seinem Plädoyer für das Zaudern das schöpferische und widerständige Potential, das in dem Moment des Innehaltens liegt.
s ist sicher keine allzu grobe Verdächtigung, wenn man die abendländische Welt als eine Aktivitätskultur be greifen will, die sich durch eine Bejahung des Tuns und des Handelns, durch ein Lob des Werks und der Bewerkstelligung auszeichnet. Dazu gehört umgekehrt auch, dass das Nichtstun und seine Varianten immer wieder und fast zwangsläufig in das Register kardinaler Untugenden gerieten und dort als Faulheit, als Müßiggang, als schlichte Unfähigkeit oder bösartige Verweigerung eine Dunkelzone heilloser Unproduktivität charakterisierten. Am deutlichsten zeigte sich diese Verurteilung wohl in der Todsünde der Trägheit oder acaedia, eine der interessantesten und folgereichsten Verfehlungen im christlichen Katalog. Denn in ihrer scholastischen Fassung meinte diese Trägheit nicht nur das Vergehen der Untätigkeit, eine Art Mönchskrankheit, die die Faulenzer und Säumigen in den abgeschlossenen Räumen eines kontemplativen Lebens befiel. Die acaedia verbindet vielmehr eine unbestimmte Unruhe des Geistes mit der Verfolgung verschiedenster, beliebiger Dinge ohne Ziel, ohne Bestand, ohne ernsthaften Sinn und Zweck; eine fieberhafte Faulheit, eine Vorliebe fürs Ausweichen und Vermeiden. Ihre dunkelste Seite liegt schließlich in einem trägen Unglauben, gespeist aus der Unbequemlichkeit von Glaubensanstrengungen überhaupt. Im Innersten dieser Trägheit regt sich ein trotziger Gram angesichts der guten Absichten Gottes; der Träge queruliert gegen den sinnreichen Ausgang der Geschichte und hat seine besondere Mitwirkung am Heilsgeschehen abgesagt. Ihm fehlt sozusagen der heilsgeschichtliche Schwung. Wahrscheinlich verwundert es darum nicht, dass gerade seit dem aktionssüchtigen 19. Jahrhundert eine besondere Spielart dieser trägen Seinsweise auffällig wurde und als
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prominenter Posten in den Akten der gerade entstandenen Psychiatrie erschien. Dabei handelte es sich um das, was man als »krankhafte Unentschlossenheit« und Willenslähmung verzeichnen musste. In zugespitzter Form zeigt sich das in Erscheinungen, denen man den Namen einer »Zweifel- und Grübelsucht« gegeben hat. Hier – ich zitiere aus zeitgenössischen Expertisen – kombiniert sich ein »Zustand fortwährenden Zauderns« mit »nichtigen Motiven«, wobei man sich in endloses Fragen verliert und zu keinem Abschluss mehr kommt.
Der rätselhafte Zwischenraum zwischen Entschluss und Ausführung Die Annalen des psychiatrischen Wissens haben eine Vielzahl von Fällen und Beispielen parat: Man hat es etwa mit einem viel versprechenden Juristen oder einem jungen, erfolgreichen Kaufmann zu tun, die von einer »Zwangsvorstellung in Frageform« oder einer »krankhaften Präcision« heimgesucht werden, einer »Ergründungssucht« erliegen, dabei »vom Hundertsten ins Tausendste« und in ein »Labyrinth von Problemen« geraten, um sich schließlich ohne absehbares Ende mit »Schöpfungsfragen« über den Anfang der Welt, der Natur, des Alls, des Menschen etc. herumzuschlagen. Es handelt sich in den genannten Fällen um prekäre Zustände, in denen das »ich will« nicht zu einem Wollen führt, das Wollen selbst das Gewollte verhindert und der Blick auf mögliche Handlungsfolgen in einen unendlichen Regress von Gründen und Ursachen treibt. Dabei manifestiert sich ein Drama von Entscheidungen ohne Entscheidung; und zugleich eine eigentümliche Passion: eine ‚theoretische’ oder ‚theoretisierende’ Leidenschaft, in der der Übergang zur Praxis nicht mehr funktioniert: als hätte der Satz vom Grund eine dämonische Attraktion erhalten und das Denken mit einem endlosen Zu-Grunde-Gehen infiziert. Auf der anderen Seite verweist dies auf eine eigentümliche Erscheinung oder Nicht-Erscheinung: auf eine Leerstelle, auf ein Stocken, auf einen rätselhaften Zwischenraum zwischen Entschluss und Ausführung, der sprachlos, zeichenlos oder ganz und gar inexpressiv bleibt. Nichts geschieht.
Titanen des Zögerns Seit dem 19. Jahrhundert wird die zeitgenössische Literatur von Gestalten heimgesucht, die das Zaudern zu einem heroischen Format vergrößern, statt es als pathologische Hemmung oder Lähmung erscheinen zu lassen: von Melvilles Bartleby über Valérys Monsieur Teste bis hin zu jenen Exemplaren, die Robert Walser einmal »wahrhafte Titanen« des Zögerns genannt hatte. »Es gibt«, so heißt es bei Robert Walser, »gottlob noch Zweifler und solche, die zu Zaudern Drang haben«. Man hat es hier offenbar mit Figuren zu tun, die aus einer Art Trunkenheit des Willens heraus entstehen, sich mit größter
Anstrengung weigern, irgendetwas zu tun oder zu sein und behaupten, dass – wie Valéry sagte – »die Vorstellung, mit etwas fertig zu werden, in einem Geist, der sich genügend kennt, nicht den mindesten Sinn mehr hat«. Ähnliches wird übrigens über Musils »Mann ohne Eigenschaften« gesagt: »Er zögerte«, »etwas aus sich zu machen«; dann fühlte er, dass »ein Mann, der etwas mit ganzer Seele tun möchte, auf diese Weise weder weiß, ob er es tun, noch ob er es unterlassen soll«. Offenbar ist hier eine ganz und gar moderne Haltung umrissen: nämlich gegensätzliche Dinge zu denken und Widersprüche auszuhalten, ohne dabei zugrunde zu gehen.
Zaudern als Weltverhalten So kann man im Hin und Her des Zauderns, in seiner eigenartigen Sprachlosigkeit erstens ein besonderes Weltverhalten erkennen. Während das Zaudern in abendländischer Tradition immer wieder auf die Seite der Unentschlossenheit genötigt und damit als eine launische Vereitelung des »Werks« disqualifiziert wurde, lässt es sich selbst als aktive Geste des Befragens erkennen, in der das Werk, die Tat, die Vollstreckung nicht unter dem Aspekt ihres Vollzugs, sondern im Prozess ihres Entstehens und Werdens erfasst sind. Das Zaudern scheint eine seltsam verwischte Spur zu ziehen, die überall dort scharf und prägnant wird, wo sich – in einer langen abendländischen Geschichte – eine Kultur der Tat und eine Kultur des Werks brechen und reflektieren. Das Zaudern begleitet den Imperativ des Handelns und des Vollzugs wie ein Schatten, wie ein ruinöser Gegenspieler; und man könnte hier von einer Zauder-Funktion sprechen: Wo Taten sich manifestieren und wo Handlungsketten sich organisieren, wird ein Stocken, eine Pause und ein Anhalten markiert. Darum hat das Zaudern seinen schattenhaften historischen Ort überall dort, wo sich eine Hegemonie von Konsequenzsucht, eine Unausweichlichkeit im Ablauf von Taten, Begebenheiten und Reaktionsketten manifestieren. Scheinbar verlässliche Automatismen werden gestört. Das Zaudern ersucht um ein Moratorium im wahrscheinlichen und absehbaren Verlauf. Es überprüft das »ich will« im System. Als aktives Innehalten zwischen Entscheidung und Nicht-Entscheidung liegt seine politische Dimension dort, wo es das Diktat der Schlagfertigkeit, den Sog zwanghafter Schnellentscheidungen und den Schicksalsautomaten unterbricht. Im Zaudern hält sich die verstohlene Hoffnung auf eine aufschiebende Macht.
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Foto Thomas Aurin
Hausregisseur Moritz Sostmann macht Theater mit Schauspielern und Puppen. In der n채chsten Spielzeit widmet er sich dem aktivsten Zauderer der Theaterliteratur: dem Faust.
einsvondrei | Plädoyer für das Zaudern
Das Leben, wie es sein könnte
Zweitens formiert sich im Zaudern eine interrogative Kraft. Es folgt einer Methode der Infragestellung. In ihm artikuliert sich ein komplizierender Sinn, der weniger die Antworten zu den Fragen und die Lösungen zu den Problemen herbei sucht. Es wird vielmehr umgekehrt unterstellt, dass in den gegeben Antworten und Lösungen unerledigte Fragen und Probleme insistieren. Das ergibt eine analytische Situation schlechthin: Man ist von lautstarken Lösungen umstellt und kann die dazugehörigen, schweigenden oder sprachlosen Fragen und Probleme noch gar nicht entziffern. Das Zaudern hegt einen Komplexitätsverdacht; es folgt einer Arithmetik, die vom Hundertsten ins Tausendste geht. Das Zaudern agiert gegen die scheinbare Gleichförmigkeit der Welt. Mit ihm wird eine komplexe oder perplexe Weltansicht erzwungen; mit ihm verwandelt sich die gegebene Welt zur Gestalt einer tiefen Fragwürdigkeit.
Zaudern als Verfahren der Revision Damit umschließt das Zaudern – drittens – eine gewisse Idiosynkrasie gegen die Festigkeit von Weltlagen überhaupt, gegen die Unwiderruflichkeit von Urteilen, gegen die Endgültigkeit von Lösungen, gegen die Bestimmtheit von Konsequenzen, gegen die Dauer von Gesetzmäßigkeiten und das Gewicht von Resultaten; und es hegt ein begründetes Misstrauen gegen heilsgeschichtliche Aufschwünge jeder Art. Das Zaudern ersucht um Revision. Stimmt es nämlich, dass jede moderne Ordnungsgestalt mit Präferenzen operiert, deren Geltung nicht mehr endgültig gerechtfertigt werden kann, so steht, wie Nietzsche sagt, »ein Abgrund hinter jedem Grund, unter jeder ‚Begründung’«. Somit verfolgt das Zauderverfahren einen kritischen Rekurs und nimmt einen Horizont in den Blick, an dem sich die Verwandlung von Unordnung in Ordnung immer von neuem vollzieht. Aus dieser Perspektive liegt der Grund von Ordnungs- und Urteilssystemen in ihrem positiven Bestand selbst; und die »Zweifel- oder Grübelsucht« entziffert das Willkürliche und Zufällige in der Gesetzmäßigkeit überhaupt. Der säkulare Verdacht, der sich im Zaudern formiert, gilt der Haltbarkeit von Anfangsgründen und Abschlussgedanken sowie der Gültigkeit eines letzten – oder ersten – Worts.
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Das Zaudern hält an den unterdrückten Möglichkeiten der Geschichte fest. Man stößt auf Ereignisse, die von ihren unerledigten Varianten wie von einer Dunstschicht umspielt sind; man stößt auf Aktionen, die ins Spektrum ihrer Alternativen zerfallen. Sofern das Zaudern zu den bestehenden Lagen und Zwangslagen die entsprechenden Probleme und Fragen entdeckt, wird seine Verfahrensweise dadurch bestimmt, dass es die Kontinuität des historischen Prozesses unterbricht und das Weitermachen bestreikt: Im Zaudern tritt die Kontingenz des gegenwärtigen Seins und seiner Bedingungen hervor; es fordert, wenn man so will, eine kritische Ontologie unserer selbst, unseres Redens und Wissens heraus. Die Gegenwart wird gedehnt und verbreitert und gewinnt eine Gestalt, die nun keineswegs unvermeidlich und seit langem programmiert erscheint. Das liegt im Anspruchsprofil des Zauderns: Es hat eine Vorliebe für Verzweigungen, für Labyrinthe und einen abweichenden Verlauf. Scheinbare Konstanten und Unvergänglichkeiten sind an den Rand ihres Werdens gerückt, und damit kommt ein Projekt in den Blick, das auf der Offenheit, der Unabschließbarkeit unserer Geschichte und unserer Geschichten beharrt.
Foto Stephanie Kiwitt
Zaudern als eine Methode der Infragestellung
Andererseits ist der analytische Sinn des Zauderns darum mit einem historischen Möglichkeitssinn verbündet. Das methodische Zaudern (oder das Zaudern als Methode) erzeugt eine seltsame Spiegelung (wie Musil das nannte), eine Spiegelung, in der »das Leben, wie es ist, in allem gebrochen erscheint durch ein Leben, wie es sein könnte«. Es drängt dazu, die Frage nach der »Einlösung der in die Welt versenkten Versprechen« nicht zu vergessen.
Joseph Vogl ist Professor für Neuere deutsche Literatur, Literatur- und Kulturwissenschaft/Medien an der HumboldtUniversität zu Berlin und Permanent Visiting Professor an der Princeton University, USA. Er übersetzte Schlüsselwerke der neueren französischen Philosophie und publizierte vielbeachtete Sachbücher, darunter »Über das Zaudern«, »Das Gespenst des Kapitals« sowie »Der Souveränitätseffekt«.
Foto David Baltzer
Glaubensk채mpfer von Nuran David Calis | Regie Nuran David Calis
Fotos Tommy Hetzel
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Fragen an das Ensemble
Sich den Zeitgenossen fragend zu nähern – diese Kunst liegt dem legendären Fragebogen von Max Frisch aus dem Jahr 1966 zugrunde. Jede Frage, und erscheint sie zunächst auch noch so simpel, offenbart ihren Hintersinn und wirft den Befragten auf sich selbst zurück. Eine Auswahl der Fragen haben wir den Schauspielerinnen und Schauspielern unseres Ensembles gestellt.
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01 Sind Sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts, wenn Sie und alle Ihre Bekannten nicht mehr da sind, wirklich interessiert? Irgendetwas in mir will diese Frage sofort mit JA beantworten. Ich frage mich aber, welche Perspektive ich einnehmen müsste, um diese Frage mit Ja beantworten zu können. Oder wem es eigentlich nutzt, dass es uns gibt, außer uns selbst jetzt. Aus der Sicht des Menschen ist es ja möglich zu sagen, dass beispielsweise die Bienen unbedingt erhalten werden müssen, sie erfüllen für die uns umgebende Natur einen unbestrittenen Zweck. Wie sollte ich das über den Menschen sagen? Erfüllt der Mensch einen Zweck? Ich stelle mir vor, wie Gott auf uns herabschaut und zu sich sagt: Wie glücklich ich bin, dass mir das eingefallen ist, damals, diese Menschen zu erschaffen. Entertainment. Im Endeffekt wäre für mich die interessantere Frage: Wieso eigentlich leben wir so, als wäre uns die Erhaltung des Menschengeschlechts nicht nur dann erst egal, wenn wir selbst und alle unsere Bekannten und Verwandten nicht mehr da sind, sondern jetzt schon?
02 Möchten Sie das absolute Gedächtnis? Hmmm. Ich hatte eine super Antwort auf diese Frage parat, aber habe sie leider vergessen ... Kann mich aber sehr gut an den Moment/Tag erinnern, wo ich war, als mich die Mail mit der Frage erreicht hat. Ausnahmsweise handelte es sich um einen Tag, den ich auf einer dunklen staubigen Probebühne verbracht habe. Während draußen die warme Frühlingssonne die Menschen glücklich machte, der Carlsgarten innerhalb von Stunden in seiner prachtvollen Blüte stand und jeder normale Mensch sich draußen aufhielt, bemühte ich mich, gegen die Kälte des vergangenen Winters, der noch im nur sehr schwer beheizbaren Raum hing, anzuproben. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte die Panama Papers. Der britische Premier versprach sein Vermögen zu veröffentlichen, Herbert Grönemeyers Song »Bochum« wurde zum schönsten Popsong der Geschichte gewählt, das erste komplett aus Holz gebaute Elektroauto wurde vorgestellt, in Oberbayern sollte die erste legale Hanfplantage zur Schmerzbehandlung angebaut werden, und Eintracht Frankfurt stand mal wieder auf einem Abstiegsplatz. Ach ja, und Phife Dawg, Mitglied der Hip Hop Band A TRIBE CALLED QUEST, ist an diesem Tag mit 45 Jahren verstorben. Ich glaube ein absolutes Gedächtnis wäre mir viel zu anstrengend ...
04 Hätten Sie lieber einer anderen Nation (Kultur) angehört und welcher? Nein. Ich mag die Konsumorientiertheit unserer Gesellschaft nicht und finde es oft schwer, immer wieder eine Richtung zu finden, sich da zu orientieren. Andererseits ermöglicht mir das Privileg, hier geboren zu sein, eben auch die Suche nach neuen Wegen und die bewusste Auseinandersetzung mit dem, was uns umgibt, was wir sind. Natürlich ist es menschlich gesehen scheißegal, wo wir herkommen, aber ich habe dann eben auch die Möglichkeit, einfach so mal nach Tunesien zu fliegen und mir das Land und die Kultur anzusehen, umgekehrt wäre das für die meisten Menschen von dort wahrscheinlich bedeutend schwieriger. Das gilt es zu kritisieren, ist aber nicht zu leugnen. Ansonsten: »countries are just lines, drawn in the sand with a stick.«
Johannes Benecke
Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen? Mohamed Achour
Thomas Brandt
Mir sind »meine« Toten zu lieb, als dass ich sie mitteilen will! Dann und wann begegnet man sich im Glanz eines Mistkäfers und wenn die UhrZeit SchnapsZahl schreit. Nikolaus Benda
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einsvondrei | 30 Fragen an das Ensemble
10 Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?
06 Hassen Sie leichter ein Kollektiv oder eine bestimmte Person, und hassen Sie lieber allein oder in einem Kollektiv?
05 Wenn Sie die Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen
08 Überzeugt Sie Ihre Selbstkritik? Nicht immer, denn sie weiß nicht, was sie will, denn sie will nicht, was sie kennt.
Rechtsradikale sind ein Kollektiv und die hasse ich, aber nur allein, dann sieht niemand, wie hässlich ich in meinem Hass bin. Im Kollektiv bin ich am liebsten, sexy und schön, hassen schließt diese Attribute aber aus. Hasse allein, aber immer nur ein Kollektiv.
So oder so würde ich die Frage mit JA beantworten, in der Regel JA, aber eigentlich möchte ich in meinem Leben mehr wünschen und weniger hoffen, mehr gestalten als erwarten, und mich mehr mit der Realität des Hier und Jetzt auseinandersetzen, anstatt hoffnungsvoll – oder -los – woanders hinzublicken. Hoffentlich gelingt mir das.
gegen den Widerspruch der Mehrheit? Die Maßnahmen, die gegen den menschgemachten Ökozid dieses Planeten ankämpfen, würde ich gegen jeden noch so scharfen Widerspruch behaupten. Ich sehne mich tatsächlich nach der Möglichkeit einer solchen Macht. Die politische Entscheidungsfähigkeit würde ich der Klimawissenschaft überlassen. Ich würde jedes koloniale Denken ausradieren und die soziopathische Weltwirtschaft vernichten. Alle Menschen würden Bäume pflanzen. Für eine lebbare Zukunft brauchen wir kleinere Träume und größere Herzen.
Yuri Englert
Stefko Hanushevsky
Bruno Cathomas
Nicola Gründel
Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als ein gesundes Tier? Und als welches?
Robert Dölle
Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden, oder Sophia Burtscher
meinen Sie’s noch? Angabe des Alters. Ich bin 44 Jahre alt, und ich habe nie aufgehört zu meinen, dass ich klüger werde, denn ich träume viel.
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Ich möchte auf jeden Fall das Leben feiern; wenn nicht mehr als Mensch, dann in den Tiefen der Meere als Orca. In irgendeiner Form kommen wir alle wieder.
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Marek Harloff
Beneiden Sie manchmal Tiere, die ohne Hoffnung auszukommen scheinen, zum Beispiel Fische im Aquarium? Ja. In Zeiten, wo man von zu vielen Gedanken und Erwartungen getrieben wird, da wär es schön, einfach nur zu existieren, ohne sich dessen bewusst zu sein.
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12 Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben? Dass ich auf diese Frage die richtige Antwort finde.
14 Hoffen Sie auf ein Jenseits? Gegenfrage ... Was ist das Jenseits? Ist das ein Ort, der besser ist als das Diesseits? Wo liegt dieser Ort? Wie komme ich da denn hin? Ist das eine andere Wirklichkeit? Ein Ort jenseits der erfahrbaren Welt? Ist es da vielleicht sehr langweilig? Vielleicht ist das auch einfach der Ort, an dem ich gerade nicht bin? Oder ist das Jenseits vielleicht die Möglichkeit einer Utopie? Darauf könnte man ja hoffen, vielleicht ... Oder vielleicht ... nee, Quatsch ... Keine Ahnung ...
16 Was versetzt Sie eher in Eifersucht: dass die Person, die Sie lieben, eine andere Person küsst, umarmt usw. oder dass es dieser anderen Person gelingt, Humor zu befreien, den Sie an Ihrem Partner nicht kennen? Eifersüchtig macht mich nur das Fremdknutschen – das mit dem Humor übernehme ich schon selber. Seán McDonagh
Gesetzt den Fall, Sie glauben an einen Gott: Kennen Sie ein Anzeichen dafür, dass er Humor hat?
Benjamin Höppner Melanie Kretschmann
Simon Kirsch
Yvon Jansen
Können Sie einen Menschen lie-
Guido Lambrecht
ben, der früher oder später, weil er Sie zu kennen meint, wenig
Kommt es vor, dass Sie sich im Hu-
Hoffnung auf Sie setzt?
mor als ein anderer entpuppen, als Sie gerne sein möchten, d.h.
Leider hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Ich könnte sogar jemanden lieben, der mich für eine Kanalratte oder seltene Schlingpflanze hält.
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Niklas Kohrt
dass Sie der eigene Humor erschreckt?
Haben Sie Humor, wenn Sie alleine sind? Das kommt darauf an, was ich gerade mache. Wenn ich zum Beispiel auf eine Möbellieferung warte, eher weniger.
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Da der Humor in einer Wohngemeinschaft mit den Herren und Damen Sarkasmus, Ironie und Schadenfreude lebt, ist er mitunter sehr verstörend. Diese Mitbewohner machen ihn gelegentlich zu einer verletzenden Waffe. Dennoch sollten wir ihn als das feiern, was er ist: ein großer befreiender, Distanz schaffender, reflektierender Begleiter.
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Wenn man wie ich im katholischen Pfarrhaus aufgewachsen ist, dann erübrigt sich die Frage geradezu. Wer einmal eine typische Priesterkonferenz erlebt hat, in der die Priester in Begleitung ihrer »Haushälterinnen« den Verfall der westlichen Werte und die zunehmenden Scheidungsraten beklagen, Wein und Wasser vertauschen, in der Hoffnung, dass die roten Nasen sie nicht verraten, in der sie kurz einen frauenfeindlichen Spruch in Richtung Pfarrsekretärin abfeuern, mit sehr offenen Mund schmatzend dasitzen, da sie seit vielen Jahren sozial isoliert leben, sich die Krümel des verspeisten Kuchens von ihrer Haushälterin aufheben lassen, nachdem eben diese ihnen zuvor unauffällig die Schuppen vom schwarzen Priesterkragen entfernt hat, der muss zumindest schmunzeln. Gesetzt den Fall, es gäbe einen Gott, und dieser hätte lange gegrübelt, welche Person auf Erden sein Sprachrohr sein soll. Nach langen Abwägen wäre er zu dem Schluss gelangt, dass Priester die richtige Wahl seien, dann kommt man nicht umhin zu denken, dass Gott einen sehr bösen und schwarzen Humor haben muss. Weder Louis CK noch Ricky Gervais hätten sich so einen Witz ausdenken können. Man kann davon ausgehen, dass Gott viel lachen muss, wenn er sich seine Sprachrohre anschaut.
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einsvondrei | 30 Fragen an das Ensemble
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Was fürchten Sie mehr: das Urteil von einem Freund oder das Urteil
Was ertragen Sie nur mit Humor?
von Feinden?
Wenn ich wenig Geld habe, nehm' ich es mit Humor. Wenn ich etwas nicht weiß, glaub' ich noch an Humor. Ein Loch im Koffer trage ich mit Humor. Denn das Schicksal kommt alldem zuvor.
Ein Freund ist ein Freund, weil er nicht urteilt. Einen Feind habe ich, glaube ich, gerade nicht. Einmal kam ein ganz brutaler Typ in die Kneipe, wo ich gearbeitet habe, der sah sehr feindlich aus. Aber da habe ich eher gefürchtet, dass er mich zusammenschlägt. Glücklicherweise hat er das nicht gemacht.
24 Wie reden Sie über verlorene Freunde? Ich gebe mir ja Mühe, mir fällt auch 'ne Menge dazu ein. Rilke zum Beispiel: »Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen, ein leise Weiterwinkendes - , schon kaum erklärbar mehr«.
Peter Miklusz
Halten Sie die Dauer einer Freundschaft (Unverbrüchlichkeit) für ein Wertmaß der Freundschaft?
Justus Maier
Sabine Orléans
Ist es schon vorgekommen, dass Sie überhaupt gar keine Freundschaft hatten, oder setzen Sie dann Ihre diesbezüglichen Ansprüche einfach herab? Es ist noch nicht vorgekommen, dass ich gar keine Freundschaft hatte. Was die Ansprüche betrifft, habe ich die Erfahrung gemacht, dass nicht jede Freundschaft den gleichen Anspruch hat und dass die Grenzen zwischen Freundschaft und Bekanntschaft manchmal fließend sind. Außerdem sind Freundschaften seltene Perlen.
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Ich glaube nicht, dass das ein Wertmaß für Freundschaft ist. Nicht die Länge, also die Jahre, entscheiden darüber, was Freundschaft bedeuten kann. Für mich ist eher bedeutend, wie intensiv die Freundschaft dann war. Konnte man sich streiten und trotzdem später wieder zusammensitzen, oder konnte man auch mal lange voneinander nichts hören, was der Freundschaft dadurch auch keinen Abbruch tat. Gestern habe ich gerade mit einem sehr guten Freund über Folgendes geredet: Manchmal ist es eben so, du lernst einen Menschen kennen und spürst, dass das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft wird, und dann will man auch zusammen einen Weg bestreiten. Aber die äußeren Umstände sorgen manchmal für das Gegenteil. Das heißt zum Beispiel, weil man umziehen muss in eine andere Stadt. Dann kann sich der Kontakt plötzlich auch wieder verlieren, weil jeder weiß, gut, es geht eben weiter. Dennoch hatte man eine starke, tolle Zeit, und was man miteinander gesprochen hat, bleibt – das kann einem keiner mehr nehmen. Zwei Freunde tauschten sich aus, sie lernten was voneinander. Was spielt es da dann für eine Rolle, wie lang eine Freundschaft war? Um die Frage noch mal genauer zu betrachten, würde ich sagen: Freundschaft ist! Für sie gibt es kein Gesetz von Länge oder Kürze.
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Jörg Ratjen
Philipp Pleßmann
Martin Reinke
Sind Sie sich selber ein Freund?
Wolfgang Pregler
Gesetzt den Fall, Sie haben einen Freund, der Ihnen in intellektueller Hinsicht sehr überlegen ist: tröstet Sie seine Freundschaft darüber hinweg oder zweifeln Sie insgeheim an einer Freundschaft, die Sie sich allein durch Bewunderung, Treue, Hilfsbereitschaft usw. erwerben? Freundschaft basiert auf Vertrauen, nicht auf Bewertung.
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»Wer nämlich auf einen wahren Freund blickt, erblickt gleichsam irgendein Abbild seiner selbst.« (Cicero, De amicitia - Kap. 23) Aber wen oder was erblickt, wer auf sich selber blickt? Einen Freund? Und wenn er freundlich auf sich blickt: zu wem ist er dann freundlich? Zu sich selbst oder zu einem Abbild seiner selbst? Freundlichkeit ist wohl immer auch eine Frage der Klugheit. Es kann ganz klug sein, zunächst und gerade im Zweifel freundlich zu sein – nicht zuletzt gegen sich selbst.
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30 Können Sie sich überhaupt ohne
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Heimat denken?
Mögen Sie Kinder allgemein? Allgemein? Nein! Kinder sind voller Wunder, wundervoll eben: Sie fragen ohne Vorurteile, haben grenzenloses Vertrauen, sind neugierig, wissbegierig, wollen bedingungslos lieben, können impulsiv Schwäche zeigen und spielen, spielen, spielen … Wann und wie viel verlernt man davon im Laufe des Lebens? Und warum eigentlich? Ich flüchte jedoch vor Kindern, die sich ausschließlich als Nabel der Welt empfinden, respektlos gegenüber anderen sind, unter mangelnder Empathie und Egoismus leiden, der sich in Wut und Gewalt äußert. Spreche ich gerade von «Kindern« oder von dem «Kind«, das wir alle in uns verstecken?
28 Haben Sie schon Auswanderung erwogen? Ja. Aber nach vier Jahren in meinem Seit-Kindheit-Sehnsuchtsland, wo das Leben sich anfühlte wie auf einer Ansichtspostkarte, hatte ich plötzlich übergroßes Heimweh nach der ganz spezifischen Hässlichkeit deutscher Innenstädte.
Magda Lena Schlott
Worauf könnten Sie eher verzichten: Katharina Schmalenberg
Auf Heimat? Auf Vaterland? Auf die Fremde? Wohl auf Vaterland, ich weiß gar nicht recht, was das ist. Mutterland würde ich vielleicht eher vermissen …? Die Fremde ist unverzichtbar, da sie doch immer eine potentielle Heimat darstellt.
Annika Schilling
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Meine ursprüngliche Heimat ist der Ort, an dem ich geboren wurde und die Familie, in der ich meine Kindheit verbracht habe, in der ich angefangen habe, die zu werden, die ich heute bin. Heimat ist eine subjektive Erfahrung, die sich prägend und bestenfalls stabilisierend auf das Wachstum, auf die Individualisierung und Sozialisierung auswirkt. Sie ist die Brücke zur Welt und zum Leben. Die Heimat meiner Kindheit wird immer mehr zur erinnerten Heimat, zumal meine Mutter, das Zentrum der Familie, mein Ursprung, kürzlich gestorben ist. Immer, wenn ich mal wieder ein Stück Heimat verloren habe, wird mir die tiefe Bedeutung der Bedürfnisse, die hinter dem Begriff Heimat stehen, bewusst. Das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit, nach Orientierung, nach Anerkennung und das Bedürfnis nach Glück. Neue Heimaten müssen für die Lücke, die entstanden ist, gesucht und gefunden werden. Das denke ich auch im Hinblick auf die vielen Flüchtlinge, die ihre Heimat aufgeben mussten und jetzt in Europa Schutz suchen. Bleibt die Heimatlosigkeit bestehen, wird die Anpassung an das Neue, Fremde zur überfordernden Belastung und fehlt dazu noch die Möglichkeit des sprachlichen Ausdrucks, tritt Isolation ein. Dann fangen Körper und Psyche an zu sprechen und werden krank. Dann bleibt die neue Heimat eine unerreichbare Utopie und die Sehnsucht nach «hier bin ich Mensch, hier darf ich sein« (Faust, Goethe) bleibt emotional unerfüllt und schmerzhaft.
Lou Zöllkau
Wissen Sie, was Sie brauchen? Morgens einen Kaffee, abends einen Tee. Und zwischendurch Orte, die mich inspirieren, in mir und um mich herum. Menschen, bei denen ich zu Hause bin und Schokolade. Am liebsten dunkel und mit ganzen Nüssen drin. Friede, Freude, Eierkuchen.
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Birgit Walter
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Spielstätten und Preise
Wir danken Kooperationspartner
Unsere Spielstätten Depot 1, Depot 2 und Grotte im Carlswerk in Köln-Mülheim Schanzenstraße 6-20 | 51063 Köln-Mülheim
Kulturpartner
Außenspielstätte am Offenbachplatz | 50677 Köln Depot 1 Je nach Preis- und Platzgruppe kostet eine Karte zwischen 10 und 39 Euro. Depot 2: 17 Euro | 22 Euro (Premierenpreis) Grotte: 5 Euro Außenspielstätte am Offenbachplatz: 17 Euro | 22 Euro
Das Schauspiel Köln wird gefördert von
Einzelne Produktionen und Projekte werden gefördert von
Schüler und Studenten zahlen nur 7 Euro auf allen Plätzen in allen Spielstätten (außer Gastspiele u. Sonderveranstaltungen). Karten Den Karten- und Aboservice finden Sie in den Opernpassagen zwischen Breite Straße und Glockengasse. Öffnungszeiten Theaterkasse Mo bis Fr von 10 bis 18 Uhr, Sa von 11 bis 18 Uhr Tickets gibt es außerdem unter www.schauspiel.koeln, über die Tickethotline 0221-221 28400 oder per Mail an tickets@buehnen.koeln Abonnements Sie wollen regelmäßig ins Theater? Egal, ob Sie Ihren gewohnten Platz einnehmen oder völlig flexibel entscheiden wollen, wann Sie ins Theater gehen: Ihre persönliche Aboberaterin Frau Susanne Müller erreichen Sie unter susanne.mueller@buehnen.koeln oder unter der Abo-Hotline 0221-221 28240. Ausführliche Informationen zu unseren Abonnements finden Sie unter www.schauspiel.koeln
Impressum Herausgeber Schauspiel Köln Intendant Stefan Bachmann Geschäftsführender Direktor Patrick Wasserbauer Redaktion Intendanz · Dramaturgie · Öffentlichkeitsarbeit und Künstlerisches Betriebsbüro Konzept, Satz und Gestaltung ambestengestern.com Druck Heider Druck und Verlag GmbH Auflage 40.000 Redaktionsschluss 28.04.2016 Änderungen vorbehalten.
Sommerferien 2016 In der Zeit vom 11.07. bis 19.08. ist der Karten- und Aboservice nur telefonisch zwischen 10 und 14 Uhr sowie per E-Mail erreichbar.
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Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bühnen Köln finden Sie unter www.schauspiel.koeln im Menüpunkt »Karten«.
Tanz Am köln! Schauspiel Peeping Tom | Moeder
20. | 21. | 22. oktober 2016 | Depot 1
L-E-V | Sharon Eyal & Gai Behar OCD Love 16. | 17. Dezember 2016 | Depot 1
Dance On | Rabih Mroué Water Between Three Hands 27. | 28. Januar 2017 | Depot 2
les ballets C de la B | Alain Platel Mahler Projekt
15. | 16. | 17. Februar 2017 | Depot 1
Rosas | Verklärte Nacht 22. | 23. April 2017 | Depot 2
Vertigo Dance Company | Vertigo 20 16. | 17. Juni 2017 | Depot 1
Ballets of Difference | Richard siegal
Foto OCD LOVE by Gil Shani
juli 2017 | Depot 1
Genauere Informationen finden Sie Anfang Juli in der neuen Tanzbroschüre oder unter www.schauspiel.koeln
Der neue Spielplan ist da!
Hamlet von William Shakespeare Regie Stefan Bachmann Premiere 23.09.2016 | Depot 1
Die Opferung von Gorge Mastromas von Dennis Kelly Regie Rafael Sanchez Premiere 24.09.2016 | Depot 2
Karnickel von Dirk Laucke Regie Pınar Karabulut Uraufführung 29.09.2016 | Offenbachplatz
Groß und klein von Botho Strauß Regie Lilja Rupprecht Premiere 14.10.2016 | Depot 1
Robinson Crusoe nach Daniel Defoe von und mit subbotnik Premiere 30.10.2016 | Depot 2
Adams Äpfel nach dem gleichnamigen Film von Anders Thomas Jensen
www.schauspiel.koeln
Foto David Baltzer
Regie Therese Willstedt Premiere 18.11.2016 | Depot 1
Familienstück