Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen Interview Rainald Grebe | Fotos Sandra Then
Mit EFFZEH! EFFZEH! EIN FUSSBALLORATORIUM führt der Regisseur, Comedian und Liedermacher Rainald Grebe seine Auseinandersetzung mit Kölner Mythen fort. Den FC-Torwart Thomas Kessler traf er zu einem Gespräch über Fangesänge, die Verbindung des Fußballs zum Theater und die neue Solidität des 1. FC Köln. Rainald Grebe: Im Schauspiel spielen wir vor 500 Zuschauern. Ihr spielt im Rheinenergiestadion jedes Mal vor 50.000. Macht das was mit Dir? Thomas Kessler: Sicher, aber die 50.000 Leute kommen ja nicht, weil sie Thomas Kessler sehen wollen oder Anthony Modeste, die kommen wegen des 1. FC Köln. Wenn hier elf Mann ausgetauscht werden, dann werden immer noch 50.000 ins Stadion kommen. Außerdem mittlerweile – das ist mein 10. Jahr als Profi – stumpft man ein bisschen ab. Ich meine das gar nicht negativ, weil Normalität wichtig ist. Man kann sich nicht immer so viele Gedanken um das Drumherum machen. Was da eigentlich passiert, kriegst du mit, wenn du aufgrund einer Verletzung nicht im Kader sein kannst oder in einem anderen Stadion ein Spiel von Freunden guckst. Dann denkst du dir schon: Das ist Wahnsinn. Aber als Spieler tut einem das ganz gut, wenn man da ein bisschen entspannter draufschaut. Wenn man sich da Gedanken macht vor wie vielen Menschen man da eigentlich arbeitet … Nehmen wir ein Spiel gegen Borussia Mönchengladbach – das ist ja mit sehr viel Emotion verbunden. Du wirst auf der Straße vorher angesprochen, die Leute wünschen einem Glück. Das ist aber nicht nur ein positiver Anreiz, den du hast, sondern du trägst natürlich auch Verantwortung auf deinen Schultern. Du kannst einer ganzen Stadt das Wochenende versauen. Du weißt ja, wie das ist auf den Tribünen. Was die Leute da lästern. Ja, das Lästern gehört dazu. Wenn du im Stadion bist, hast du 50.000 Trainer, die es alle besser wissen. Die könnten auch alle besser halten und besser schießen. Aber das ist okay. Wenn wir als Profis uns im Sommer eine WM angucken, dann denken wir auch: »Hätte der Ronaldo mal dies oder das gemacht …« Und Liebe und Hass liegen ja ganz eng beieinander bei diesem Sport.
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Ich mache ja unter anderem Comedy und das ist lachabhängig. Dann gibt es Vorstellungen – oder Spiele – da lachen die Leute an bestimmten Stellen nicht. Darüber mache ich mir schon Gedanken. Ich versuche natürlich, das auch auszublenden, aber es verändert mich. Gibt es das bei euch nicht auch? Beispielsweise wenn du ausgepfiffen wirst? Wenn die eigenen Fans mich auspfeifen würden, würde das natürlich etwas mit mir machen. Wenn man irgendwo anders spielt und der Gegner pfeift mich aus, dann ist das für mich eher ein positiver Ansporn. Wenn sie einen ignorieren, dann kann man nichts Besonderes haben. Deswegen ist das ganz schön, wenn die gegnerischen Fans ein bisschen negativer auf einen schauen.
Ich interessiere mich sehr für Fangesänge. Weißt du, was die da singen? In Köln weiß ich das natürlich. Das erste Mal war ich mit sieben im Stadion und regelmäßig dann mit 14, 15. Da bin ich eigentlich immer ins Stadion gegangen. Ich kenne das fast in- und auswendig, was die Jungs und Mädels singen. Wenn ich selber spiele, versuche ich das natürlich so gut es geht auszublenden. Das ist nicht immer so einfach, gerade in Spielen, in denen du mal vermeintlich nicht so viel zu tun hast, da musst du dich schon echt zusammenreißen, um die Konzentration auf das Spiel zu halten.
Aber noch mal zum Theatereffekt oder dem Mit-dem-Publikum-spielen. Das gibt es doch manchmal auch, dass man die jetzt besonders mitnimmt oder anfeuert. Ja, gerade bei Heimspielen ist es für uns unglaublich wichtig, dass die Leute uns ein Stück weit tragen. Vor allem für die Feldspieler, weil es da auch an die Substanz geht, je länger das Spiel dauert. Für mich ist das ja eher eine mentale als eine körperliche Anstrengung. Wenn ich nach einem Spiel richtig kaputt bin, sind das meistens die Spiele, bei denen man von außen denkt: Der stand doch da 90 Minuten nur rum. Nur, dieses Aufrechterhalten der Konzentration, in der 89. oder 90. Minute noch mal zupacken zu müssen, obwohl eben die ganze Zeit über nichts passiert ist, ist viel, viel anstrengender, als wenn ich permanent was auf die Hütte kriege und nur am Fliegen bin und weiß, es kann kommen, was will, es passiert dir eh nichts mehr. Aber ich glaube, für die Jungs, wenn die schon 80 Minuten gelaufen sind, dann ist es für die schön, wenn sie in den letzten Minuten noch mal vom Stadion getragen werden.
»Ich kenne das fast in-und auswendig, was die Jungs und Mädels singen.«
Gibt es denn da von Stadion zu Stadion Unterschiede? Du kennst sie ja alle. Wenn du bei Traditionsvereinen spielst, ist die Stimmung immer außergewöhnlich gut. Und in Köln ist es sowieso immer gut. Man hat jahrelang gesagt, wenn die Mannschaft nicht wäre, dann wäre es im Stadion richtig schön. Zum Glück haben wir das ja ein bisschen umdrehen können. Aber natürlich gibt es besondere Stadien – wenn man auswärts in Dortmund vor 80.000 Leuten spielt, vor dieser riesigen Kulisse, das ist schon was Außergewöhnliches. Keine Frage. Der komische Effekt ist ja: Wenn ich irgendwo in der Regionalliga spiele und da stehen dreihundert Leute hinter mir und ich höre, was jeder Einzelne sagt, ist das viel schlimmer, als wenn da 50.000 stehen, die mich auspfeifen oder durchgehend beleidigen. Das hörst du irgendwann nicht mehr. Aber wenn hinter dir einer steht und der sendet dir 90 Minuten was zu und du hörst irgendwann nur noch diese eine Person, das ist viel, viel anstrengender. Deswegen: Je mehr Leute es werden, desto angenehmer wird es eigentlich für die Spieler. Gerade für mich. Ich laufe denen ja nicht weg. Ich stehe ja permanent in einem Bereich, in dem die auf mich zugreifen können.
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Was sind denn so die Schlachtrufe? Da gibt es jetzt nichts wo ich sage: »Boah, das hörst du jetzt jedes Spiel«. Die Fans sind kreativ und bauen auch immer wieder neue Dinge ein. Das ist wirklich situationsabhängig, was gesungen wird. Bei Gladbach-Spielen, was wird da so gesungen? Da sind natürlich die Anfeindungen ein bisschen größer, weil die Rivalität sehr extrem ist … Wie geht denn dieses … irgendwas mit Niederrhein, wie geht denn das? Dafür ist mein Gedächtnis nicht gut genug, dass ich das wiedergeben könnte. (Lacht.) Da muss ich die Fans noch mal fragen. Ich bin ja auch nur Fußballer, weißt du, ich kann mir so was ganz schlecht merken. (Allgemeines Gelächter.) Der Scheiß Verein vom Niederrhein … oder irgendwie sowas war das. Ich weiß es nicht … (lacht). Das kostet mich nur Geld, wenn ich das hier jetzt sage. Der DFB liest alles. Ich frage dann jemand anderen. Ich frage mal den Capo. Ja, der wird es definitiv wissen. Gibt es das Wort »Schauspieler« eigentlich noch im Fußball? Das ist ja eher negativ besetzt, oder? Ja, das ist schon negativ belastet, weil es voraussetzt, dass jemand eine rote oder gelbe Karte provozieren will
für Situationen, in denen gar nichts passiert ist. Obwohl ich glaube, dass Schauspielen zu diesem Beruf auch ein bisschen dazu gehört, weil man nicht immer überall sagen darf, was man denkt. Deshalb gehört auch außerhalb des Platzes manchmal ein bisschen Schauspielerei dazu. Zum Beispiel: eine Glanzparade. Wo geht die Show los? Klar versuchst du, die Leute ein Stück weit mitzureißen. Aber in meiner Situation – wenn ein Schuss auf’s Tor kommt, versuchst du den zu halten. Wenn du im Training einen Ball sensationell über die Latte lenkst, musst du dir schon mal anhören: »War kein Fotograf da. Kannst wieder aufstehen.« (Gelächter.) Das sind so die Sprüche, die man ertragen muss. Aber das gehört ja dazu. Auf der anderen Seite ist immer das erste Ziel, seinen Job zu machen und es gibt Situationen, die sehen spektakulärer aus, als sie sind. Wie ist das denn bei den berühmten Interviews nach dem Spiel? Machst du das gerne? Ich habe da zumindest keine Probleme mit. Es macht mehr Spaß nach einer persönlich guten Leistung oder nach einem gewonnenen Spiel zu reden, als wenn man ein Spiel verloren hat und dann vielleicht in der Niederlage noch seine Aktien mit drin hatte. Aber unser Job ist nicht nur
Fußballspielen, sondern man muss auch mal was erzählen. Man darf auch nicht vergessen: Die Leute, die vor dem Fernseher sitzen, die wollen das hören. Ich versuche, mich der Situation zu stellen, egal ob sie negativ oder positiv ist.
»Wenn meine Eltern mich irgendwo anders hingeschleppt hätten, dann hätte ich denen einen Vogel gezeigt.« Früher war es noch so: Da war ein Schauspieler oder eine Schauspielerin jahrelang an einem Theater, man kannte die, die sind da alt geworden. Und heute wechseln sie dauernd, die Regisseure genauso. Beim Fußball ist das ja wahrscheinlich noch krasser. Nun ist es ja momentan beim 1. FC Köln so, dass sogar plakatiert wird »so viel Kölsch war noch nie«. Ist das Zufall? Zufall würde ich es nicht nennen. Ich glaube, dass die
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Situation gerade so passt. Nur weil man ein kölsches Herz hat, hat man nicht automatisch die Berechtigung, beim 1. FC Köln Fußball zu spielen. Da muss ja beides passen. Da müssen die Komponenten der sportlichen Leistung passen, und wenn sich dann jemand noch zu 100 Prozent mit dem Verein identifiziert, ist das ein schöner Nebeneffekt. Aber für mich persönlich war es so: Ich bin in Köln geboren, ich bin hier in der Jugend groß geworden, habe auch meine ersten Profijahre hier verbracht, wurde dann allerdings ein bisschen unruhig, weil es nicht so weitergegangen ist für mich, wie ich das wollte. Dann habe ich zwei Jahre lang etwas anderes gesehen, bin zurückgekommen, als hier vieles im Argen lag und habe versucht, den Karren mit aus dem Dreck zu ziehen. Das ist uns ja auch gut gelungen. Und das ist dann schön, wenn man Jungs neben sich hat, die auch die gleichen Gefühle für diese Stadt haben. Das ist, glaube ich, von den Emotionen her schon besonders …
»Nur weil man ein kölsches Herz hat, hat man nicht automatisch die Berechtigung, beim 1. FC Köln Fußball zu spielen.« Du bist auch Fan, oder? Ja, ich meine, wenn man hier geboren ist und das erste Stadion, in das man gegangenen ist, das Müngersdorfer Stadion war, dann hast du ja gar keine andere Wahl. Wenn meine Eltern mich irgendwo anders hingeschleppt hätten, dann hätte ich denen einen Vogel gezeigt. »Was soll ich denn woanders? Ihr habt mich einmal hierher gebracht, hier will ich nicht wieder weg.« Als Sportler ist das eher eine Ausnahmesituation, dass man so viele Jahre im gleichen Klub verbringt. Ich habe im Jahr 2000 angefangen hier zu spielen. Wenn 2019 mein Vertrag hier endet, dann war ich bis auf die zwei Jahre in Hamburg und Frankfurt 19 Jahre hier und dann bin ich 33 Jahre alt. Das ist mehr als die Hälfte meines Lebens, die ich in diesem Klub verbracht habe. Für mich ist das eine Auszeichnung. Ich bin in einem Klub, den ich liebe, ich darf hier Fußball spielen … Du hast eben gesagt, dann bist du 33 Jahre alt. Bereitest du dich schon vor auf die Zeit, wenn das Theater vorbei ist? Ja, natürlich mache ich mir Gedanken. Ich habe nebenher noch Sportmanagement studiert, bin letztes Jahr fertig geworden. Jeder erwachsene, halbwegs vernünftig denkende Mensch macht sich Gedanken darüber, was nach dem Fußball passiert. Ich würde gerne so lange gesund bleiben, so lange fit bleiben, dass ich den Sport noch eine Weile ausüben
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kann und solange man hier noch mein Gesicht erträgt, möchte ich auch hier Fußball spielen. Aber wenn es mal nicht mehr so sein wird, wird das auch eine spannende Zeit. Und hast du schon Vorstellungen, was werden könnte? Dass ich dem Fußball gerne treu bleiben möchte, ist, glaube ich, keine Überraschung. Aber in was für einer Funktion das am Ende sein wird und welche Möglichkeiten man hat, das muss man abwarten. Es sind nicht immer alle Türen offen und man muss manchmal im richtigen Moment den Fuß reinstecken. Das kann ich jetzt noch nicht beantworten, wo mein Fuß dann in welcher Tür stecken wird. Vielleicht sind auch alle Türen zu und ich mache was ganz anderes. Aber ich habe da weniger Angst, sondern bin gespannt, was passiert. Im Moment heißt es ja immer – wie heißt der Spruch von Schmadtke? – »ruhig, ruhig …«. Alles ist solide geworden, alle sind zufrieden im Moment. Aber das Theater ist ja so ein bisschen raus, also das, was man eigentlich früher von Köln so dachte, dass das so theatral ist, mit dem Auf und Ab … Siehst du das auch so, dass das Theater raus ist? Es ist auf jeden Fall ruhig geworden. Wenn die Leute einen etwas fragen, kann man meistens mit der Wahrheit antworten. (Lachen). Das ist ja auch schon mal was. Deswegen ist es ein total angenehmes Arbeiten. Ich habe da schon andere Zeiten erlebt, das war auch spannend, war auch für meine Entwicklung wichtig, weil ich die ganze Bandbreite dieses Klubs so miterlebt habe. Nur die glorreichen Jahre mit dem Europapokal und so, da bin ich zu jung für, auch als Fan zu jung. Mich wundert, dass die Stadt, die eigentlich so theatral ist, das mag. Dass die Leute sagen: »So solide geworden – schön.« Ja, das Allerschlimmste ist eigentlich, dass dafür erst ein Düsseldorfer, ein Schwabe und ein Österreicher kommen mussten, um hier ein bisschen Ruhe reinzubringen. Wenn es nicht so gut wäre, wäre es schon fast traurig. Aber wir sind doch sehr glücklich, dass wir die Immis jetzt hier haben, an der Spitze des Klubs.
Thomas Kessler, Torhüter, geboren und aufgewachsen in Köln, spielt – mit kurzen Abstechern zum FC St. Pauli und zu Eintracht Frankfurt – seit seiner Jugend für den 1. FC Köln und stieg zweimal mit dem Verein in die Bundesliga auf.
Rainald Grebe, Theater- und Liedermacher und ebenfalls gebürtiger Kölner, kam dem Fußball in der Praxis bisher in der Fankurve beim Spiel des 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach am nächsten.
»Ja, das Allerschlimmste an unserer aktuellen Situation ist eigentlich, dass dafür erst ein Düsseldorfer, ein Schwabe und ein Österreicher kommen mussten, um hier ein bisschen Ruhe reinzubringen.«