Magazin DREI VON DREI

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Spielzeit

2016 /17

drei von drei Das Magazin des Schauspiel KĂśln


Die Stadt von morgen Das Festival vom 28.06. bis 02.07.2017

Weitere Informationen auf Seite 42.

Foto Mirko Plengemeyer

Jetzt anmelden unter www. stadtsehen. koeln


Liebes Publikum, hauchdünn ist der Boden, auf dem unsere Gesellschaft steht. Ein leises Knacken erst, ein lautes Krachen dann, und das, woran wir glaubten, droht zu verschwinden. Einsturz. Umsturz. Die Welt verändert sich in einer Rasanz, die uns alle erstarren lässt. Eine andere, eine lautere, eine primitivere Sprache greift um sich. Eine Sprache der Hetze, der Drohung, der Lüge. Gesprochen von Führerpersönlichkeiten, die endgültige Lösungen versprechen. Rauflustig bis zur Kriegsbereitschaft. Egomanen, Despoten, Wahnsinnige – bejubelt von Menschen, die sich endlich wieder gemeint fühlen. Ihre nationale Identität geschützt sehen. Denn jetzt gehen die Grenzen wieder zu, und wunderschöne Mauern verhindern die freie Sicht. Vorwärts marsch in Richtung Blindheit. Hauptsache ist doch, die Sache lässt sich auf eine Zeile zwitschern. Knackige Ansagen ersetzen den Dialog. Und endlich ist alles (wieder) so einfach … Nicht bei uns im Theater. Da ist der Dialog gewissermaßen die Grundsubstanz. Das Ringen mit Worten und ihrer Bedeutung ist unser Geschäft, und je differenzierter, je komplexer es wird, desto mehr macht es uns Spaß. Einfach ist hier gar nichts. Und schnelle Antworten gibt es selten. Aber unser Boden, der die Welt bedeutet, ist zum Glück noch fest gezimmert. Und solange wir spielen, wird es den Dialog geben – nicht nur den, den die Spieler auf der Bühne sprechen, sondern auch den mit der Stadt, mit der Welt, in der wir leben. In diesem Heft stellen wir Ihnen die letzten acht Premieren bis zum Ende der Spielzeit vor, dazu das Finale unseres großen, zweijährigen Stadtprojektes, in dem die Visionen für Morgen nun tatsächlich Gestalt annehmen. Aufführungen werden entstehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: den Blick ins Offene ! Herzlich, Ihr Stefan Bachmann Intendant Schauspiel Köln

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inhalt 04 | Der Spielplan 2016/17 Der gesamte Spielplan der Saison im aktualisierten Überblick.

Der Autor Julian Pörksen hat ein Stück über die Neurosen des Theaters geschrieben. Die Regisseurin und Schauspielerin Melanie Kretschmann kommt aus einer Familie mit Theatervergangenheit. Zusammen gehen sie auf Reisen. Ein Stückauszug.

Foto Elisabeth Harloff

30 | Wir wollen Plankton sein

18 | Zabriskie Point Hoffnungsträger oder schweigende Mehrheit? Nuran David Calis über die rätselhafte Jugend von Istanbul. 04 | Der Spielplan Unser Spielzeitmagazin erscheint nun schon zum dritten Mal in diesem Jahr. Es ersetzt das klassische Spielzeitheft, und führt Sie stattdessen in regelmäßigen Abständen durch die Spielzeit. So bleiben Sie immer auf dem aktuellen Stand unserer Planungen. 02

06 | Die letzten 8 von 23 Inhalte, Teams und Daten – alle Informationen zu den Premieren bis zum Ende der laufenden Spielzeit. 10 | CARLsGARTEN Der Garten im Carlswerk ist nicht nur das Openair-Foyer des Schauspiels, sondern auch ein Ort der Begegnung und der Kulinarik. Ein Rezept von Eschi Fiege zum Nachkochen. 12 | Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen Der Regisseur, Musiker und Comedian Rainald Grebe trifft FC-Keeper Thomas Kessler im Geißbockheim. 18 | Zabriskie Point Der Autor und Regisseur Nuran David Calis erzählt Geschichten zusammen mit den Menschen, die sie gerade erleben. Und er kennt Istanbul – eine Stadt, die ihm Heimat und Rätsel zugleich ist. 24 | Die nachhumpelnde Kunstform Der amerikanische Erfolgsautor Ayad Akhtar denkt über das Theater nach. 30 | Wir wollen Plankton sein Theater hat Platz auf der kleinsten Wanderbühne. Ein Auszug aus dem neuen Stück von Julian Pörksen. 36 | Dann fliegt der Laden auseinander Veränderung fängt damit an, dass wir miteinander reden. Navid Kermani spricht mit Stefan Bachmann und plädiert für einen Dialog auch mit denen, mit denen man ungern spricht. 42 | Die Stadt von morgen Ein erster Überblick über das Abschlussfestival unseres Stadtprojektes im Juni. 48 | Service und Impressum


Illustration Labor Fou

12 | Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen

42 | Die Stadt von morgen Nach zwei Jahren Laufzeit baut das Stadtprojekt des Schauspiel Köln ein neues Stadtzentrum. Unter der Mülheimer Brücke. Alle Infos zum Festival im Juni.

Der Regisseur, Musiker und Comedian Rainald Grebe beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit den Mythen seiner Heimatstadt Köln. Nach dem Überwinden seines Angsttraumas Kölner Karneval geht er nun vermehrt ins Fußballstadion, um dem Erfolgsgeheimnis des 1. FC Köln auf die Spur zu kommen. Im Geißbockheim traf er den FC-Torwart Thomas Kessler zum Gespräch.

Was wir brauchen, ist eine Vision für Europa! Der Schriftsteller und Friedenspreisträger Navid Kermani macht im Gespräch mit Schauspielintendant Stefan Bachmann Vorschläge zum Umgang mit einer Welt, die aus den Fugen ist.

Foto Sandra Then

36 | Dann fliegt der Laden auseinander

Foto Fischer Verlag

24 | Die nachhumpelnde Kunstform Mit GEÄCHTET hat der amerikanische Dramatiker Ayad Akhtar eines der Stücke der Saison geschrieben. Nach der Lektüre seines Textes über das Theater, den er uns für dieses Heft geschenkt hat, und der hier erstmals auf Deutsch erscheint, versteht man, warum das so ist. 03


Der Spielplan 2016 /17 Längst ist das Depot in Mülheim zum neuen Zentrum des Theaters geworden. Neu dazugekommen ist in dieser Spielzeit die Außenspielstätte am Offenbachplatz, die in wenigen Monaten vom Geheimtipp zum Publikumsliebling geworden ist. Und auch bei unseren Premieren sind für die letzte Runde noch zwei dazu gekommen. Insgesamt 23 Premieren werden es in der laufenden Spielzeit sein. Hier der vollständige und aktuelle Überblick.

Der Revisor von Nicolai Gogol

DEPOT 1

Hamlet von William Shakespeare Regie Stefan Bachmann Premiere 23. September 2016

Groß und klein von Botho Strauß Regie Lilja Rupprecht Premiere 14. Oktober 2016

Regie Linus Tunström Premiere 10. Januar 2017 Eine Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses im Austausch mit Geschichten aus dem Wiener Wald vom Schauspiel Köln

Faust I von Johann Wolfgang von Goethe Regie Moritz Sostmann Premiere 10. Februar 2017

Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller

Adams Äpfel nach dem gleichnamigen Film von Anders Thomas Jensen Regie Therese Willstedt Premiere 18. November 2016

Regie Rafael Sanchez Premiere 10. März 2017

Effzeh! Effzeh! ein Fußballoratorium von und mit Rainald Grebe

Iwanow von Anton Tschechow Regie Robert Borgmann Premiere 09. Dezember 2016

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Regie Rainald Grebe Uraufführung 23. Juni 2017

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DEPOT 2

AuSSenspielstätte am Offenbachplatz

Die Opferung von Gorge Mastromas

Karnickel

von Dennis Kelly

von Dirk Laucke

Regie Rafael Sanchez Premiere 24. September 2016

Regie Pınar Karabulut Uraufführung 29. September 2016

Robinson Crusoe

Mohamed Achour erzählt Casablanca

Kinder- und Familienstück nach Daniel Defoe von und mit subbotnik Premiere am 30. Oktober 2016

von petschinka und Rafael Sanchez Regie Rafael Sanchez Uraufführung 02. Oktober 2016

Jemand wie ich von Charlotte Roos

Swallow

Regie Bruno Cathomas Uraufführung 03. Dezember 2016

von Stef Smith Regie Matthias Köhler Deutschsprachige Erstaufführung 10. Dezember 2016

Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll

Kleines

Theaterfassung und Regie Thomas Jonigk Uraufführung 11. Februar 2017

von Hannah Moscovitch Regie Charlotte Sprenger Deutschsprachige Erstaufführung 03. Februar 2017

Hit me Baby – Vol. III Stefko Hanushevsky und Christopher Brand machen das Beste aus 400 Jahren Musikgeschichte Premiere 04. März 2017

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Wir wollen Plankton sein von Julian Pörksen Regie Melanie Kretschmann Künstlerische Mitarbeit Carl Hegemann Uraufführung 11. März 2017

Faust II

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von Johann Wolfgang von Goethe Regie Moritz Sostmann Premiere 08. April 2017

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Sprengkörperballade von Magdalena Schrefel

Zehn Milliarden – ohne mich

Regie Andrea Imler Uraufführung 21. April 2017

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nach dem Bestseller von Stephen Emmott Import Export Kollektiv | Regie Bassam Ghazi Uraufführung 20. April 2017

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Geächtet von Ayad Akhtar Regie Stefan Bachmann Premiere 24. Mai 2017

Istanbul

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von Nuran David Calis Regie Nuran David Calis Uraufführung 13. Mai 2017

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Die letzten ACHT von DREIUNDZWANZIG Eine paradoxe Komödie, 400 Jahre Musikgeschichte an einem Abend, der Tragödie zweiter Teil, eine Sprengkörperballade, eine theatrale Reise, das Import Export Kollektiv, eine schonungslose Analyse und ein Fußballoratorium – die letzten acht Premieren unserer Spielzeit.

Premiere

11. März 2017 | Offenbachplatz

04. März 2017 | Depot 2

Hit me Baby – Vol. III

Stefko Hanushevsky und Christopher Brandt machen das Beste aus 400 Jahren Musikgeschichte

Sie sind wieder da – mit einer dritten Auflage ihres musikalischen Abends! Pünktlich zum Frühlingsbeginn verlassen der Musiker Christopher Brandt und unser Ensemblemitglied Stefko Hanushevsky den Probenraum mit einem neuen Set bekennend subjektiv ausgewählter und für ihre Zwei-Mann-Band arrangierter Songs aus 400 Jahren Musikgeschichte und diversen Genres. Eine Hommage an unvergessene Klassiker und Lieder, die es hätten werden sollen – und nicht zuletzt an die absonderlichen Anekdoten, die persönlichen Plaudereien und das wertlose Wissen, ohne das die Liebe zur Musik nicht zu denken ist. Mit Christopher Brand Stefko Hanushevsky Ausstattung Franziska Harm Dramaturgie Nina Rühmeier

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Uraufführung

Wir wollen Plankton sein von Julian Pörksen

Immer wieder nehmen sie Anlauf, suchen nach Konflikten, nach Gefühlen und Gedanken, die sich noch darstellen lassen in einer von Reflexionen ausgehöhlten Welt: Eine Grande Dame, ihr junger Liebhaber und ihr ebenso junger Sohn laden ein zu einem Theaterabend der großen Erschöpfung. Sie verstricken sich in Theorien, verlieren sich in Gefühlen, suchen nach dem Theater und nach ihrer eigenen Rolle, kreisen grübelnd um sich selbst, traurig, schillernd, liebenswert. [→ Wir wollen Plankton sein | Seite 30] WIR WOLLEN PLANKTON SEIN ist eine paradoxe Komödie, ein ziemlich lautes Plädoyer für Stille, Leere, Ruhe – die Regression zum Plankton als verlockende Alternative. Regie Melanie Kretschmann Künstlerische Mitarbeit Carl Hegemann Bühne Thomas Garvie Kostüme Nadja Zeller Kostümspecial Herr von Eden Musik Malakoff Kowalski Dramaturgie Michaela Kretschmann


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Premiere 08. April 2017 | Depot 2

Faust II

von Johann Wolfgang von Goethe

Uraufführung Uraufführung 20. April 2017 | Depot 2

Erst nach Goethes Tod wurde der zweite Teil des Faust veröffentlicht, so hatte es der Dichter selbst verfügt. Er wollte sich die Reaktionen seiner Zeitgenossen auf diese »sehr ernsten Scherze« ersparen, nahm er doch an, sie würden ungünstig ausfallen. Und tatsächlich, vielen galt die Fortführung dieser Tragödie um den ewig suchenden, rastlosen Helden als misslungen. Zu groß, ausufernd, maßlos erscheint er ihnen. Heute jedoch gilt gerade dieser zweite Teil als visionär, wird hier doch die gesamte Moderne vorweggenommen, ihr Drama, ihre Versprechen. [→ Dann fliegt der Laden auseinander | Seite 36] Faust, die kleine Welt der Liebe hinter sich lassend, stürzt sich in die große Welt der Politik, der Macht, der Wirtschaft, der antiken Mythen und Magie. Gesetze von Zeit und Raum sind aufgehoben, das Papiergeld wird erfunden, ein künstlicher Mensch erschaffen, Faust wird Feldherr und Landbesitzer, heiratet die schönste Frau der Welt, baut Deiche, geht über Leichen – skrupellos in seiner Selbstbezogenheit und seinem Drang nach Sinn und Herrschaft. Moritz Sostmann, Hausregisseur am Schauspiel Köln, setzt seine Expedition durch Goethes Dramenkosmos fort, gemeinsam mit einem Ensemble aus Schauspielern und Puppen. Regie Moritz Sostmann Bühne Christian Beck Kostüm Elke von Sivers Musik Philipp Pleßmann Dramaturgie Julian Pörksen

Zehn Milliarden – ohne mich nach dem Bestseller von Stephen Emmott

»We‘re fucked – Wir sind nicht zu retten«, so lautet die unmissverständliche Botschaft von Stephen Emmott in seinem Buch 10 MILLIARDEN: Klimawandel, Rohstoffmangel, Wassermangel … Hunger und Leid und noch mehr Kriege und noch mehr Flucht. Die 22 jungen Menschen des Import Export Kollektivs setzen sich mit der Behauptung dieser düsteren Zukunft auseinander. Wie wird unsere Welt aussehen? Wie werden ihre Kinder, wie ihre Enkel leben? Welche Konsequenzen wird es haben, wenn aus 7,45 Milliarden irgendwann 10 Milliarden Menschen geworden sind? Mögliche Szenarien werden anhand der Buchvorlage gebündelt und mit dem Leben der Spielenden in Beziehung gesetzt und verflochten. »Ja, ja macht ruhig so weiter, euch wird das Lachen noch vergehen. Ich weiß ihr denkt, dass dieser Spaß ewig so weitergeht. Aber da habt ihr euch getäuscht … All dies passiert vor unseren Augen. Trotzdem tun wir so, als hätten wir alle Antworten und alle Zeit der Welt. Ich bin jung und ich hab nicht alle Antworten. Ich bin wütend, aber nicht blind. Ich habe Angst und trotzdem …«

21. April 2017 | Offenbachplatz

Sprengkörperballade von Magdalena Schrefel

Drei Frauengenerationen, drei Beziehungskonstellationen: Die beiden uralten Schwestern Cookie und Fuzzi quälen sich gegenseitig in endlosen Kinderspielen. Djana, Mutter zweier halbwüchsiger Töchter, stellt mit ihrer jüngeren Tochter Gina wieder und wieder die Trennung vom Vater nach, während die ältere Tochter Zabina mit ihrer Freundin Bine durch die Stadt streunt. Auf ihrer Suche nach Identität und einem Ort, an dem man richtig ist, ringen sie alle um die Deutungshoheit von eigenen und fremden Erinnerungen. SPRENGKÖRPERBALLADE erzählt in dichter, poetisch aufgeladener Sprache vom Grenzverlauf zwischen Spiel und Verletzung. Die junge Regisseurin Andrea Imler, die am Schauspiel Köln zuletzt NOTHING HURTS von Falk Richter inszenierte, bringt Magdalena Schrefels neuestes Stück in der Außenspielstätte am Offenbachplatz zur Uraufführung. Regie Andrea Imler Bühne Thomas Garvie Kostüme Franziska Harm Musik Doro Bohr Dramaturgie Nina Rühmeier

Regie Bassam Ghazi Dramaturgie Henrike Eis Es spielt das Import Export Kollektiv

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dreivondrei | Die letzten acht von 23

Uraufführung 13. Mai 2017 | Depot 2

Uraufführung 23. Juni 2017 | Depot 1

Istanbul

von Nuran David Calis

Es ist noch nicht lange her, da war Istanbul das Symbol für eine freie und weltoffene Türkei und zugleich vielbesungener Sehnsuchtsort für viele der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln. Fast schien die Stadt am Bosporus mit ihrer zwei Kontinente verbindenden Brücke dabei die europäischste Stadt überhaupt zu sein. Doch seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 und den politischen Reaktionen der Erdoğan-Regierung ist auch in Istanbul nichts mehr so, wie es war. Oder hat sich nur unser Blick verändert? Der Regisseur und Autor Nuran David Calis hat mit DIE LÜCKE und GLAUBENSKÄMPFER gezeigt, dass er ein Händchen dafür hat, Geschichten aus der Gegenwart gemeinsam mit denen zu erzählen, die sie gerade erleben. Auch in ISTANBUL [→ Zabriskie Point | Seite 18] werden wieder Anwohner und Geschäftsleute aus der Kölner Keupstraße zusammen mit Ensemblemitgliedern des Schauspiel Köln auf der Bühne stehen. Gemeinsam berichten sie davon, welche Auswirkungen die Ereignisse in der Türkei auch in Deutschland haben, was es heißt, um das Lebensgefühl einer Stadt zu trauern, wie es ist, plötzlich seinem Nachbarn misstrauen zu müssen und wie kostbar Freiheit in bewegten Zeiten geworden ist. Regie Nuran David Calis Bühne Anne Ehrlich Kostüm Amelie von Bülow Musik Vivan Bhatti Video Karnik Gregorian Dramaturgie Thomas Laue

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Premiere 24. Mai 2017 | Offenbachplatz

Geächtet

von Ayad Akhtar

Amir Kapoor ist angekommen, in Amerika, in der Wohlstandsblase der westlichen Welt. Der Sohn pakistanischer Einwanderer ist ein erfolgreicher Anwalt, trägt edle Hemden, trinkt teure Weine und bewohnt mit seiner Frau Emily ein Loft in der Upper East Side von Manhattan. Er ist vollständig assimiliert im Amerika des 21. Jahrhunderts, von seinen Wurzeln, vom Islam, will er nichts wissen. Emily hingegen, eine Malerin, hat die islamische Kultur als Inspirationsquelle für sich entdeckt. Beim Abendessen mit dem jüdischen Kurator Isaac und dessen afroamerikanischer Frau Jory kommt es zu einer Debatte über Religion und Tradition, die schleichend eskaliert – bis Amir die Kontrolle verliert. GEÄCHTET wurde 2013 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, Ayad Akhtar avancierte zum Star des amerikanischen Theaters. [→ Die nachhumpelnde Kunstform | Seite 24] Eine schonungslose Analyse unserer Gegenwart, eine unterhaltsame wie tiefschürfende Auseinandersetzung mit Rassismus und Integration, Religiosität und Terrorismus – und die erste Inszenierung von Stefan Bachmann am Offenbachplatz. Regie Stefan Bachmann Bühne Olaf Altmann Kostüm Esther Geremus Lichtdesign Bernd Purkrabek Dramaturgie Julian Pörksen

Effzeh! Effzeh!

Ein Fuballoratorium von und mit Rainald Grebe

Weniges ist so schichtenübergreifend identitätsstiftend wie der Straßenkarneval oder das Sympathisieren mit einem Fußballverein. Folgerichtig widmet sich der Lieder- und Theatermacher Rainald Grebe zwei Jahre nach seiner musikalischen Auseinandersetzung mit dem Kölner Karneval nun dem zweiten großen lokalen – und durchaus theatralen – Mythos: dem 1. FC Köln. [→ Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen | Seite 12] Ein Abend über glorreiche Zeiten und bittere Niederlagen, über Abstiege, Aufstiege und Umbrüche. Von Bubi Weyer bis Matthias Lehmann, von Hennes Weisweiler bis Peter Stöger und der Bezirksliga zum UEFA-Pokal. Für alle Hobbytrainer, Freizeitkicker, Linksaußen, Rechtsfüßer, Kölner und jeden, der schon immer mal die sakrale Dimension der Stadiongesänge oder das akustische Spektrum letzter Spielminuten genießen wollte ohne dafür einen Fuß ins Stadion setzen zu müssen. Sogar für Mönchengladbacher. Regie Rainald Grebe Musikalische Leitung Jens Karsten Stoll Bühne Jürgen Lier Kostüme Kristina Böcher Dramaturgie Nina Rühmeier


Foto Thomas Aurin

Faust I von Johann Wolfgang von Goethe | Regie Moritz Sostmann


Der

carlsgarten

let love rule

Vor fünf Jahren wurde die Idee geboren, vor dem Schauspiel Köln einen Garten anzulegen. Um den Vorplatz bunter zu gestalten, Mülheim einen grünen Ort zu schenken und die Mitarbeiter der Bühnen Köln, Nachbarn, Abonnenten und Neugierige auf neue Art und Weise zusammen zu schweißen. All das und mehr ist seitdem passiert. Und noch immer gilt: Jeder ist herzlich willkommen, mitzuhelfen. Wir veranstalten regelmäßig Gartensprechstunden zum Gärtnern unter Anleitung. Einmal im Monat gibt es einen großen Gartentag mit Musik, Essen, Trinken und einem besonderen Angebot, das Sie unter www.carlsgarten.koeln nachlesen können. An bereits zwei solcher Gartentage war die Wiener Köchin Eschi Fiege bei uns zu Gast. Denn eine Zutat teilen wir mit ihr: love. Die Liebe ist, was zählt im Garten, beim Kochen, im Leben. Zum Nachkochen aus ihrem aktuellen Buch LOVEKITCHEN und als Dankeschön an all unsere Helfer hier eines ihrer Rezepte – so bunt wie der Garten und seine Gäste.

Bon appétit !


A BSU R DE I N T ERV EN T ION. B LB Ü TE EL TO A SU RN DO EM IN T EE T RT V EMNITTI O NM . AT EN, G LRÜ ÜTNEENMO C F RI Ü NA GT SZ W,I E B E L B MHE ILLEIT & T M T HTLOI M EN GRÜNEM CHILI & FRÜHLINGSZW IEBEL

Für 1 Person

2 grüne Chilis oder mehr 2 grüne Chilis oder 1 Frühlingszwiebel mehr 2 Eier, getrennt 1 Frühlingszwiebel 1 EL Mehl 2 Eier, getrennt 30 ml Milch oder 1 EL Mehl Schlagsahne 30 ml Milch oder Salz, schwarzer Pfeffer Schlagsahne aus der Mühle Salz, schwarzer Pfeffer 1 EL Butter aus der Mühle 40 g Ziegenfrischkäse 1 EL Butter 1 kleine Handvoll 40 g Ziegenfrischkäse gemischte 1 kleine Handvoll Kräuter (z.B. Dill, gemischte Schnittlauch, Kräuter (z.B. Dill, Estragon, Kerbel) Schnittlauch, 1 kleine Handvoll Estragon, Kerbel) bunte Cherrytomaten 1 kleine Handvoll 1–2 kleine Handvoll bunte Cherrytomaten gemischte Blüten, 1–2 kleine wenn SieHandvoll welche gemischte Blüten, haben wenn Sie welche haben

Ich war schon sehr früh der Überzeugung, dass Eifersucht und Rache in der Liebe sinnlos sind. Auch dann, wenn etwas geschehen ist, das mich wirklich kränkt. Ich habe Ich warzur schon sehr früh gemacht, der Überzeugung, dassder Eifersucht undhat, Rache in der Liebe zu es mir Gewohnheit demjenigen, Mist gebaut etwas Besonderes sinnlos sind. Auch dann, etwas geschehen ist, das mich wirklich kränkt. Ich habe schenken. Der hat es dannwenn nämlich nötig. es mir zur Gewohnheit gemacht, demjenigen, der Mist gebaut hat, etwas Besonderes zu Dieses Omelett schenkte ichnämlich Bernhard, als er nach einer sehr langen Nacht erst mit dem schenken. Der hat es dann nötig. Zwitschern der Vögel lange nach mir nach Hause kam. Ich sagte „Guten Morgen“ und Dieses schenkte ich Bernhard, er nach einer sehr langen Nacht erstfrischen mit dem machteOmelett dieses hübsche Omelett für ihn –alszugegeben vielleicht mit etwas mehr Zwitschern der Vögel lange nach mir nach Hause kam. Ich sagte „Guten Morgen“ und Chilis, als unbedingt nötig gewesen wären. Irgendwann, nach dem dritten oder vierten machte dieses hübsche Omelett für ihn – zugegeben vielleicht mit etwas mehr frischen Bissen, hatte er Tränen in den Augen. Ob nun wegen der Chilis, meinetwegen oder einChilis, als unbedingt nötigdes gewesen wären. dritten oder vierten fach wegen der Schönheit Morgens weißIrgendwann, ich nicht undnach es ist dem mir auch egal. Bissen, hatte er Tränen in den Augen. Ob nun wegen der Chilis, meinetwegen oder einIch mich seiner von losgelösten, fachhatte wegen derursprünglich Schönheit deswegen Morgens weiß ichjeder nichtVerantwortung und es ist mir auch egal. ungebremsten Energie in ihn verliebt. Jede Art von Gefühl brach mit anarchischer, ansteIch hatteKraft mich wie ursprünglich seiner von jeder Verantwortung ungeckender ein wilderwegen Bergbach aus ihm heraus. Wie hätte ichlosgelösten, ihm nun deswegen bremsten Energie in ihn verliebt. Jede Art von Gefühl brach mit anarchischer, ansteböse sein können? Wir sollten nie vergessen, warum wir uns in einen Menschen verliebt ckender Kraft wie ein wilder ausgut ihmgefiel, heraus. Wienicht hätteverteufeln. ich ihm nun deswegen haben, und sollten etwas, das Bergbach uns anfangs später böse sein können? Wir sollten nie vergessen, warum wir uns in einen Menschen verliebt haben, und sollten etwas, das uns anfangs gut gefiel, später nicht verteufeln. Die Chilis halbieren, entkernen und fein hacken. Die Frühlingszwiebel putzen und fein hacken. Beides beiseite stellen. Eigelb mit Mehl und Milch zu einem Die Chilis halbieren, entkernen und fein hacken. DieSalz Frühlingszwiebel putzen glatten Teig rühren. Würzen. Eiweiß mit einer Prise zu Schnee schlagen und fein hacken. Beides beiseite stellen. Eigelb mit Mehl und Milch zu einem und unterziehen. Die Butter in einer beschichteten Pfannen schmelzen. In glatten Teigdie rühren. Würzen. mit einer Prise zu Schneedarübergieschlagen der Pfanne Zwiebeln leichtEiweiß anschwitzen und denSalz Omelett-Teig und unterziehen. Die Butter in einer beschichteten Pfannen schmelzen. In ßen. Chili einstreuen. Omelett bei mittlerer Hitze beidseitig goldgelb backen. der Pfanne die Zwiebeln leicht anschwitzen und den Omelett-Teig darübergieAm besten verwenden Sie dafür eine zweite beschichtete Pfanne, die Sie beim ßen. Chili einstreuen. bei Pfanne mittlerer Hitze beidseitig goldgelb backen. Wenden passgenau aufOmelett die andere aufsetzen und dann mit Schwung Am besten verwenden Sie dafür eine zweite beschichtete Pfanne, die Sie beim umdrehen. Wenden passgenau auf die andere Pfanne aufsetzen und dann mit Schwung Den Ziegenkäse cremig rühren. Die Kräuter zupfen oder fein hacken. Die umdrehen. Tomaten je nach Größe halbieren oder vierteln. Das Omelett auf einem Teller Den Ziegenkäse cremig rühren. Die Kräuter zupfen oder fein hacken. Diemit anrichten, mit Ziegenkäse und Tomaten füllen, zusammenklappen und Tomaten je nach Größe halbieren oder vierteln. Das Omelett auf einem Teller Blüten bestreuen. Mit frischem Orangensaft und starkem Kaffee servieren. anrichten, mit Ziegenkäse und Tomaten füllen, zusammenklappen und mit Kurz darauf kommt dann die Versöhnung, da bin ich mir ziemlich sicher. Blüten bestreuen. Mit frischem Orangensaft und starkem Kaffee servieren. Kurz darauf kommt dann die Versöhnung, da bin ich mir ziemlich sicher.

Copyrights Foto © Vanessa Maas/Brandstätter Verlag

Für 1 Person

2 grüne Chilis oder mehr 1 Frühlingszwiebel 2 Eier, getrennt 1 EL Mehl 30 ml Milch oder Schlagsahne Salz, schwarzer Pfeffer aus VO R Sder P E IMühle SEN

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1 EL Butter

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VOR SPEISEN

40 g Ziegenfrischkäse

1 kleine Handvoll gemischte Kräuter Foto Sina van Oostrum

(z.B. Dill, Schnittlauch, Estragon, Kerbel) 1 kleine Handvoll bunte Cherrytomaten 1–2 kleine Handvoll gemischte Blüten, wenn Sie welche haben 11


Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen Interview Rainald Grebe | Fotos Sandra Then


Mit EFFZEH! EFFZEH! EIN FUSSBALLORATORIUM führt der Regisseur, Comedian und Liedermacher Rainald Grebe seine Auseinandersetzung mit Kölner Mythen fort. Den FC-Torwart Thomas Kessler traf er zu einem Gespräch über Fangesänge, die Verbindung des Fußballs zum Theater und die neue Solidität des 1. FC Köln. Rainald Grebe: Im Schauspiel spielen wir vor 500 Zuschauern. Ihr spielt im Rheinenergiestadion jedes Mal vor 50.000. Macht das was mit Dir? Thomas Kessler: Sicher, aber die 50.000 Leute kommen ja nicht, weil sie Thomas Kessler sehen wollen oder Anthony Modeste, die kommen wegen des 1. FC Köln. Wenn hier elf Mann ausgetauscht werden, dann werden immer noch 50.000 ins Stadion kommen. Außerdem mittlerweile – das ist mein 10. Jahr als Profi – stumpft man ein bisschen ab. Ich meine das gar nicht negativ, weil Normalität wichtig ist. Man kann sich nicht immer so viele Gedanken um das Drumherum machen. Was da eigentlich passiert, kriegst du mit, wenn du aufgrund einer Verletzung nicht im Kader sein kannst oder in einem anderen Stadion ein Spiel von Freunden guckst. Dann denkst du dir schon: Das ist Wahnsinn. Aber als Spieler tut einem das ganz gut, wenn man da ein bisschen entspannter draufschaut. Wenn man sich da Gedanken macht vor wie vielen Menschen man da eigentlich arbeitet … Nehmen wir ein Spiel gegen Borussia Mönchengladbach – das ist ja mit sehr viel Emotion verbunden. Du wirst auf der Straße vorher angesprochen, die Leute wünschen einem Glück. Das ist aber nicht nur ein positiver Anreiz, den du hast, sondern du trägst natürlich auch Verantwortung auf deinen Schultern. Du kannst einer ganzen Stadt das Wochenende versauen. Du weißt ja, wie das ist auf den Tribünen. Was die Leute da lästern. Ja, das Lästern gehört dazu. Wenn du im Stadion bist, hast du 50.000 Trainer, die es alle besser wissen. Die könnten auch alle besser halten und besser schießen. Aber das ist okay. Wenn wir als Profis uns im Sommer eine WM angucken, dann denken wir auch: »Hätte der Ronaldo mal dies oder das gemacht …« Und Liebe und Hass liegen ja ganz eng beieinander bei diesem Sport.

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dreivondrei | Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen

Ich mache ja unter anderem Comedy und das ist lachabhängig. Dann gibt es Vorstellungen – oder Spiele – da lachen die Leute an bestimmten Stellen nicht. Darüber mache ich mir schon Gedanken. Ich versuche natürlich, das auch auszublenden, aber es verändert mich. Gibt es das bei euch nicht auch? Beispielsweise wenn du ausgepfiffen wirst? Wenn die eigenen Fans mich auspfeifen würden, würde das natürlich etwas mit mir machen. Wenn man irgendwo anders spielt und der Gegner pfeift mich aus, dann ist das für mich eher ein positiver Ansporn. Wenn sie einen ignorieren, dann kann man nichts Besonderes haben. Deswegen ist das ganz schön, wenn die gegnerischen Fans ein bisschen negativer auf einen schauen.

Ich interessiere mich sehr für Fangesänge. Weißt du, was die da singen? In Köln weiß ich das natürlich. Das erste Mal war ich mit sieben im Stadion und regelmäßig dann mit 14, 15. Da bin ich eigentlich immer ins Stadion gegangen. Ich kenne das fast in- und auswendig, was die Jungs und Mädels singen. Wenn ich selber spiele, versuche ich das natürlich so gut es geht auszublenden. Das ist nicht immer so einfach, gerade in Spielen, in denen du mal vermeintlich nicht so viel zu tun hast, da musst du dich schon echt zusammenreißen, um die Konzentration auf das Spiel zu halten.

Aber noch mal zum Theatereffekt oder dem Mit-dem-Publikum-spielen. Das gibt es doch manchmal auch, dass man die jetzt besonders mitnimmt oder anfeuert. Ja, gerade bei Heimspielen ist es für uns unglaublich wichtig, dass die Leute uns ein Stück weit tragen. Vor allem für die Feldspieler, weil es da auch an die Substanz geht, je länger das Spiel dauert. Für mich ist das ja eher eine mentale als eine körperliche Anstrengung. Wenn ich nach einem Spiel richtig kaputt bin, sind das meistens die Spiele, bei denen man von außen denkt: Der stand doch da 90 Minuten nur rum. Nur, dieses Aufrechterhalten der Konzentration, in der 89. oder 90. Minute noch mal zupacken zu müssen, obwohl eben die ganze Zeit über nichts passiert ist, ist viel, viel anstrengender, als wenn ich permanent was auf die Hütte kriege und nur am Fliegen bin und weiß, es kann kommen, was will, es passiert dir eh nichts mehr. Aber ich glaube, für die Jungs, wenn die schon 80 Minuten gelaufen sind, dann ist es für die schön, wenn sie in den letzten Minuten noch mal vom Stadion getragen werden.

»Ich kenne das fast in-­und auswendig, was die Jungs und Mädels singen.«

Gibt es denn da von Stadion zu Stadion Unterschiede? Du kennst sie ja alle. Wenn du bei Traditionsvereinen spielst, ist die Stimmung immer außergewöhnlich gut. Und in Köln ist es sowieso immer gut. Man hat jahrelang gesagt, wenn die Mannschaft nicht wäre, dann wäre es im Stadion richtig schön. Zum Glück haben wir das ja ein bisschen umdrehen können. Aber natürlich gibt es besondere Stadien – wenn man auswärts in Dortmund vor 80.000 Leuten spielt, vor dieser riesigen Kulisse, das ist schon was Außergewöhnliches. Keine Frage. Der komische Effekt ist ja: Wenn ich irgendwo in der Regionalliga spiele und da stehen dreihundert Leute hinter mir und ich höre, was jeder Einzelne sagt, ist das viel schlimmer, als wenn da 50.000 stehen, die mich auspfeifen oder durchgehend beleidigen. Das hörst du irgendwann nicht mehr. Aber wenn hinter dir einer steht und der sendet dir 90 Minuten was zu und du hörst irgendwann nur noch diese eine Person, das ist viel, viel anstrengender. Deswegen: Je mehr Leute es werden, desto angenehmer wird es eigentlich für die Spieler. Gerade für mich. Ich laufe denen ja nicht weg. Ich stehe ja permanent in einem Bereich, in dem die auf mich zugreifen können.

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Was sind denn so die Schlachtrufe? Da gibt es jetzt nichts wo ich sage: »Boah, das hörst du jetzt jedes Spiel«. Die Fans sind kreativ und bauen auch immer wieder neue Dinge ein. Das ist wirklich situationsabhängig, was gesungen wird. Bei Gladbach-Spielen, was wird da so gesungen? Da sind natürlich die Anfeindungen ein bisschen größer, weil die Rivalität sehr extrem ist … Wie geht denn dieses … irgendwas mit Niederrhein, wie geht denn das? Dafür ist mein Gedächtnis nicht gut genug, dass ich das wiedergeben könnte. (Lacht.) Da muss ich die Fans noch mal fragen. Ich bin ja auch nur Fußballer, weißt du, ich kann mir so was ganz schlecht merken. (Allgemeines Gelächter.) Der Scheiß Verein vom Niederrhein … oder irgendwie sowas war das. Ich weiß es nicht … (lacht). Das kostet mich nur Geld, wenn ich das hier jetzt sage. Der DFB liest alles. Ich frage dann jemand anderen. Ich frage mal den Capo. Ja, der wird es definitiv wissen. Gibt es das Wort »Schauspieler« eigentlich noch im Fußball? Das ist ja eher negativ besetzt, oder? Ja, das ist schon negativ belastet, weil es voraussetzt, dass jemand eine rote oder gelbe Karte provozieren will


für Situationen, in denen gar nichts passiert ist. Obwohl ich glaube, dass Schauspielen zu diesem Beruf auch ein bisschen dazu gehört, weil man nicht immer überall sagen darf, was man denkt. Deshalb gehört auch außerhalb des Platzes manchmal ein bisschen Schauspielerei dazu. Zum Beispiel: eine Glanzparade. Wo geht die Show los? Klar versuchst du, die Leute ein Stück weit mitzureißen. Aber in meiner Situation – wenn ein Schuss auf’s Tor kommt, versuchst du den zu halten. Wenn du im Training einen Ball sensationell über die Latte lenkst, musst du dir schon mal anhören: »War kein Fotograf da. Kannst wieder aufstehen.« (Gelächter.) Das sind so die Sprüche, die man ertragen muss. Aber das gehört ja dazu. Auf der anderen Seite ist immer das erste Ziel, seinen Job zu machen und es gibt Situationen, die sehen spektakulärer aus, als sie sind. Wie ist das denn bei den berühmten Interviews nach dem Spiel? Machst du das gerne? Ich habe da zumindest keine Probleme mit. Es macht mehr Spaß nach einer persönlich guten Leistung oder nach einem gewonnenen Spiel zu reden, als wenn man ein Spiel verloren hat und dann vielleicht in der Niederlage noch seine Aktien mit drin hatte. Aber unser Job ist nicht nur

Fußballspielen, sondern man muss auch mal was erzählen. Man darf auch nicht vergessen: Die Leute, die vor dem Fernseher sitzen, die wollen das hören. Ich versuche, mich der Situation zu stellen, egal ob sie negativ oder positiv ist.

»Wenn meine Eltern mich irgendwo anders hingeschleppt hätten, dann hätte ich denen einen Vogel gezeigt.« Früher war es noch so: Da war ein Schauspieler oder eine Schauspielerin jahrelang an einem Theater, man kannte die, die sind da alt geworden. Und heute wechseln sie dauernd, die Regisseure genauso. Beim Fußball ist das ja wahrscheinlich noch krasser. Nun ist es ja momentan beim 1. FC Köln so, dass sogar plakatiert wird »so viel Kölsch war noch nie«. Ist das Zufall? Zufall würde ich es nicht nennen. Ich glaube, dass die

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dreivondrei | Einer ganzen Stadt das Wochenende versauen

Situation gerade so passt. Nur weil man ein kölsches Herz hat, hat man nicht automatisch die Berechtigung, beim 1. FC Köln Fußball zu spielen. Da muss ja beides passen. Da müssen die Komponenten der sportlichen Leistung passen, und wenn sich dann jemand noch zu 100 Prozent mit dem Verein identifiziert, ist das ein schöner Nebeneffekt. Aber für mich persönlich war es so: Ich bin in Köln geboren, ich bin hier in der Jugend groß geworden, habe auch meine ersten Profijahre hier verbracht, wurde dann allerdings ein bisschen unruhig, weil es nicht so weitergegangen ist für mich, wie ich das wollte. Dann habe ich zwei Jahre lang etwas anderes gesehen, bin zurückgekommen, als hier vieles im Argen lag und habe versucht, den Karren mit aus dem Dreck zu ziehen. Das ist uns ja auch gut gelungen. Und das ist dann schön, wenn man Jungs neben sich hat, die auch die gleichen Gefühle für diese Stadt haben. Das ist, glaube ich, von den Emotionen her schon besonders …

»Nur weil man ein kölsches Herz hat, hat man nicht automatisch die Berechtigung, beim 1. FC Köln Fußball zu spielen.« Du bist auch Fan, oder? Ja, ich meine, wenn man hier geboren ist und das erste Stadion, in das man gegangenen ist, das Müngersdorfer Stadion war, dann hast du ja gar keine andere Wahl. Wenn meine Eltern mich irgendwo anders hingeschleppt hätten, dann hätte ich denen einen Vogel gezeigt. »Was soll ich denn woanders? Ihr habt mich einmal hierher gebracht, hier will ich nicht wieder weg.« Als Sportler ist das eher eine Ausnahmesituation, dass man so viele Jahre im gleichen Klub verbringt. Ich habe im Jahr 2000 angefangen hier zu spielen. Wenn 2019 mein Vertrag hier endet, dann war ich bis auf die zwei Jahre in Hamburg und Frankfurt 19 Jahre hier und dann bin ich 33 Jahre alt. Das ist mehr als die Hälfte meines Lebens, die ich in diesem Klub verbracht habe. Für mich ist das eine Auszeichnung. Ich bin in einem Klub, den ich liebe, ich darf hier Fußball spielen … Du hast eben gesagt, dann bist du 33 Jahre alt. Bereitest du dich schon vor auf die Zeit, wenn das Theater vorbei ist? Ja, natürlich mache ich mir Gedanken. Ich habe nebenher noch Sportmanagement studiert, bin letztes Jahr fertig geworden. Jeder erwachsene, halbwegs vernünftig denkende Mensch macht sich Gedanken darüber, was nach dem Fußball passiert. Ich würde gerne so lange gesund bleiben, so lange fit bleiben, dass ich den Sport noch eine Weile ausüben

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kann und solange man hier noch mein Gesicht erträgt, möchte ich auch hier Fußball spielen. Aber wenn es mal nicht mehr so sein wird, wird das auch eine spannende Zeit. Und hast du schon Vorstellungen, was werden könnte? Dass ich dem Fußball gerne treu bleiben möchte, ist, glaube ich, keine Überraschung. Aber in was für einer Funktion das am Ende sein wird und welche Möglichkeiten man hat, das muss man abwarten. Es sind nicht immer alle Türen offen und man muss manchmal im richtigen Moment den Fuß reinstecken. Das kann ich jetzt noch nicht beantworten, wo mein Fuß dann in welcher Tür stecken wird. Vielleicht sind auch alle Türen zu und ich mache was ganz anderes. Aber ich habe da weniger Angst, sondern bin gespannt, was passiert. Im Moment heißt es ja immer – wie heißt der Spruch von Schmadtke? – »ruhig, ruhig …«. Alles ist solide geworden, alle sind zufrieden im Moment. Aber das Theater ist ja so ein bisschen raus, also das, was man eigentlich früher von Köln so dachte, dass das so theatral ist, mit dem Auf und Ab … Siehst du das auch so, dass das Theater raus ist? Es ist auf jeden Fall ruhig geworden. Wenn die Leute einen etwas fragen, kann man meistens mit der Wahrheit antworten. (Lachen). Das ist ja auch schon mal was. Deswegen ist es ein total angenehmes Arbeiten. Ich habe da schon andere Zeiten erlebt, das war auch spannend, war auch für meine Entwicklung wichtig, weil ich die ganze Bandbreite dieses Klubs so miterlebt habe. Nur die glorreichen Jahre mit dem Europapokal und so, da bin ich zu jung für, auch als Fan zu jung. Mich wundert, dass die Stadt, die eigentlich so theatral ist, das mag. Dass die Leute sagen: »So solide geworden – schön.« Ja, das Allerschlimmste ist eigentlich, dass dafür erst ein Düsseldorfer, ein Schwabe und ein Österreicher kommen mussten, um hier ein bisschen Ruhe reinzubringen. Wenn es nicht so gut wäre, wäre es schon fast traurig. Aber wir sind doch sehr glücklich, dass wir die Immis jetzt hier haben, an der Spitze des Klubs.

Thomas Kessler, Torhüter, geboren und aufgewachsen in Köln, spielt – mit kurzen Abstechern zum FC St. Pauli und zu Eintracht Frankfurt – seit seiner Jugend für den 1. FC Köln und stieg zweimal mit dem Verein in die Bundesliga auf.

Rainald Grebe, Theater- und Liedermacher und ebenfalls gebürtiger Kölner, kam dem Fußball in der Praxis bisher in der Fankurve beim Spiel des 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach am nächsten.


»Ja, das Allerschlimmste an unserer aktuellen Situation ist eigentlich, dass dafür erst ein Düsseldorfer, ein Schwabe und ein Österreicher kommen mussten, um hier ein bisschen Ruhe reinzubringen.«


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zabriskie Point Eine Begegnung mit der tĂźrkischen Jugend in Istanbul


dreivondrei | Zabriskie Point

Istanbul im Januar 2016. Der Regisseur, Autor und Filmemacher Nuran David Calis bereitet nach Schau mal, sagt sie, ich weiß wirklich nicht, was sie denken, DIE LÜCKE und GLAUBENSKÄMPFER mit gibt die Leiterin für Geisteswissenschaft mir beim DurchISTANBUL seine dritte Arbeit am Schau- queren der Aula zu verstehen, auf ihre Studenten blickend. Dann bleibt sie an den Stufen stehen und hält einen Mospiel Köln vor, bei der Menschen aus ment entrückt vor mir inne. der Kölner Keupstraße gemeinsam mit Stufen zur Geisteswissenschaftlichen Fakultät in der TC Schauspielern auf der Bühne stehen. Im Die Universität Istanbul, gegründet 1453, sind stark beschädigt. vergangenen Jahr hat er im Rahmen ei- Die Marmortreppen haben bessere Tage hinter sich. Mehrenes Stipendiums des Auswärtigen Amtes re Stücke und Blöcke sind herausgefallen oder abgebrochen. Von den abgebrochenen Steinen fehlt jede Spur. Das kommt mehrere Monate in Istanbul gelebt – vor mir bekannt vor. Vor einigen Tagen habe ich so etwas schon einmal gesehen, aber ich kann mich nicht erinnern, wo?! dem plötzlichen Putschversuch vom 15. Juli 2016. Die Jugend Istanbuls, der er Vor den Stufen schaue ich mich um; das Licht ist gedämpft. damals begegnet ist, hat ihn ratlos geDie Fensterscheiben sind stark verschmutzt und lassen kaum die Sonne durch. Hier und da ein paar Tags. Kein Ort, an macht – und hoffnungsfroh.

Text Nuran David Calis Fotos Miraz Bezar

dem man sich gerne aufhält. Und dennoch scheinen die Studenten sich nicht davon abhalten zu lassen, unermüdlich in den Fluren und Räumen zu diskutieren, zu rauchen, zu trinken, sich etwas zu notieren, herumzulaufen, hastig zu telefonieren, sich zu küssen oder einfach nur nebeneinander zu liegen. Keiner will hier weg. Stattdessen strömen sie in Scharen in ihre Uni. Vor den Toren der Uni, am Security Check, bilden sich meterlange Schlangen, wie an einem Grenzübergang in Tijuana. Und alle wollen sie rein ... Beim Durchqueren der Aula, muss ich an die Eröffnungsszene von Antonionis »Zabriskie Point« denken. Ein pulsierender


studentischer Vulkan, der um Gedanken, um Ideen ringt. An den Wänden befinden sich mehrere Leinentücher mit Fotos von Berkin Elvan, darunter Slogans, »Freiheit!«. Keine anderen Ikonen, die man sonst so kennt, denke ich. Kein Che Guevara. Nix. Dann noch ein Bild von dem kurdischen Volkssänger Ahmet Kaya und die Flagge des Fußballclubs von Besiktas. Und ein kleines Mädchen, das in Soma vor dem Präsidenten steht und ihn anschreit. Alles Freiheitskämpfer, denke ich, nur keine, die wir im Westen kennen. Man hat das Gefühl, dass sich weder die Professoren noch die vorbeigehenden Dozenten, noch die zahlreichen Hausmeister, die in ihren dunkelgrauen Overalls durch die Menge bewegen, mit den Studenten anlegen möchten. Und die Studenten? Sie ignorieren jede Autorität hier. Es ist ihnen egal, wer da ist, ob sie jemand beim Rauchen oder Bier trinken sieht. Keine Angst vor niemandem, scheinen sie zu haben. Von Burka bis Jeans, von Salafisten bis Hipster-Bart, egal, alle sitzen hier zusammen und ignorieren alle, die über 30 sind. In diesem Moment gibt die Leiterin mir zu verstehen, dass ich die Stufen hochgehen soll. Es ist die Leiterin, die mich eingeladen hat, mit den Studenten über einen Film von mir zu reden. Die Studenten kommen und gehen, meint sie, sie sind immer pünktlich, nie zu laut, sie stehen oder sitzen hier in den Gängen, immer in kleinen Gruppen, nie alleine, sie kommen in meinen Unterricht oder in den meiner Kollegen, die meisten fehlen nie, holen sich fleißig ihre Scheine ab, sind kaum krank, keine Parties, kein Streit. Aber ... – und dann macht sie eine lange Pause und schaut mich an: Ich weiß wirklich nicht,

was sie denken!? Manche sind bei mir seit Jahren, aber ich weiß nichts über sie. Am Ende meines Vortrags zu meinem Film, bei dem es kaum Fragen gab, stoße ich beim Rausgehen einen Studenten an. Die paar Studenten, die sich meldeten, behandelten mich mit Samthandschuhen. Keine zu aufdringlichen Fragen. Als hätten sie sich vorher abgesprochen. Ich frage ihn, was hier los sei, ich bin kein Dozent, aber ich will das hier verstehen. Bitte. Denn ich verstehe dieses Land nicht. Ich verstehe diese Stadt nicht. Und ich weiß nicht, was diese Fakultät hier tut. Warum man mich hier überhaupt eingeladen hat, ohne mir die wirklich wichtigen Fragen zu stellen? Eigentlich müssten wir doch über dieses Land reden, wir müssten über Deutschland reden, über Europa, über die Islamophobie, die mein Film zum Thema hat, über Werte, über Religion?! Dieses Land ist die Heimat meiner Eltern, ich bin jedes Jahr hier und von Jahr zu Jahr fällt es mir schwerer, dieses Land zu verstehen. Was verstehst du nicht, fragt er mich, lächelnd. Wie kann ein Land solche Verrohungen und solche Zärtlichkeiten an einem Tag hervorbringen? Ich bin total ratlos. In einem Moment beschließt die Regierung, neue orthodoxe Kirchen bauen zu lassen, im anderen Moment schickt sie den Papst zum Teufel und unternimmt nichts, wenn ein Christ angezündet wird. Schwule und Lesben sind frei in diesem Land, sie können ihre Liebe frei wählen und leben, dann im selben Moment geht die Polizeigewalt auf ein schwul-lesbisches Straßenfest in Istanbul los, mit Gummigeschossen und Tränengas, unter dem Vorwand, dass man so eine »teuflische Orgie« den Menschen im Ramadan nicht

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dreivondrei | Zabriskie Point

zumuten kann. Die Alten klatschen, die Jungen kämpfen dagegen an. Entsetzt blicke ich auf eine Gesellschaft, die mich zutiefst in ihren Bann zieht und gleichzeitig abstößt. Die Heimat und Hölle gleichzeitig für mich ist. Was ist das für eine Zeit?! Frage ich ihn. Er lächelt weiter höflich und lässt mich weiterreden. Und in diesem Moment merke ich, dass ich gar nichts weiß über dieses Land, über die Menschen, über diese jungen Menschen. Ich weiß nicht, was »Untergrund« bedeutet hier, ich weiß nicht was »Kunst« oder »Freiheit« hier bedeutet, ich weiß gar nichts und dann maße ich mir an, über dieses Land und deren junge Generation zu urteilen?!

ganzes Land zum Beben bringt. Daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Bewegung die bestehende Mehrheiten im Parlament wegspült und neu ordnet. Wenn wir sie von außen nicht künstlich manipulieren.

Wenn du dich nützlich machen willst, reißt der Student mich aus dem Gedankenstrom raus, besorg mir und uns ein Praktikum in Deutschland, ansonsten gibt es nichts, was du tun kannst für uns! Was wir nicht selber können. Und sag deinen Theater- und Film-Leuten in Deutschland, sie müssen für nichts zahlen, denn jedem, der hier an der Geisteswissenschaft studiert, geht es finanziell gut. Wir haben reiche Eltern. Sie sollen uns nur eine faire Chance geben, den Rest machen wir hier. Ihr müsst uns nichts lehren.

Eine letzte Frage erlaube ich mir, einem der Studenten beim Rausgehen zu stellen: Eure Fakultät ist ganz schön runtergekommen, tun sie nichts für euch? Doch, doch, die Marmorsteine werden immer wieder erneuert, aber wir schlagen die Blöcke immer wieder raus und dann landen sie auf den Köpfen der Polizei am Taksim. In diesem Moment fällt mir ein, woher ich die abgebrochenen Marmorsteine kenne ...– vom Gezi-Park, rausgerissen von den Demonstranten. Jetzt weiß ich, dass diese Generation all die Fragen lösen wird, wenn sie gelassen wird.

Und dann wird mir alles klar; die Köpfe der Studenten sind voll, voll mit Plänen und Fragen, das spürt jeder, der in ihre Augen schaut. Man muss nur schauen, wie sie sich organisieren; blitzschnell. Die nächste Demo, die nächste Kundgebung. Das nächste Feuer, das gelegt werden muss gegen die kalten Säcke da oben. Hier wird illegal ein kurdisches Theaterstück auf die Beine gestellt, da wird illegal eine Lesung durchgezogen. Alles spontan. Mitarbeiter von namhaften kulturellen Institutionen unterstützen die Künstler und die Jugend hier heimlich. Aber niemand redet direkt miteinander, niemand weiß direkt, was der andere denkt. Dieser Staat hat die direkte freie Kommunikation zerstört, aber die Kommunikation geht abseitige Wege und das Leben und die Kunst suchen sich ihren Weg an die Öffentlichkeit. Und jetzt, mit etwas Abstand, bemerke ich, über was diese Generation verfügt und ich nicht. Die Studenten verfügen über das Wissen, ihr Land zu deuten und sich so zu verhalten, dass sie es Stück für Stück verändern werden, ohne, dass wir es hier in Europa so richtig bemerken. Sie zeigen uns, dass ihr Land sich von innen heraus verändern muss und kann. Sie sind entfremdet gegenüber gut-gemeinten und schlecht-gemeinten Autoritäten. Sie sind am Zabriskie Point. Alles ist möglich und nichts. Eine wirklich undurchschaubare, unwirkliche Zeit. Vielleicht ist diese Regierung schon Geschichte? Oder eine Zwischenstufe zu etwas hin, wohin die Menschen in der Türkei seit dem Militärputsch September 1980, angezettelt durch die USA und das türkische Militär, aufgebrochen sind. War es nicht die Generation nach 1980, die zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen sind, als Hrant Dink erschossen wurde, und skandiert haben: Wir alle sind Armenier!?! Es ist genau diese Generation Gezi, die ein

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Es heißt immer, dass jede Gesellschaft die Regierung bekommt, die sie verdient. Aber diese Jugend, die ich hier sehe, hat diese Regierung nicht verdient. Mach dir keine Sorgen um uns, sagt mir noch der Student, als er gehen will. Wir werden kämpfen und ihr in Deutschland, in Europa, werdet bald die Ergebnisse sehen. Dann dreht er sich um und lässt mich alleine zurück.

Und so muss ich beim Rausgehen nochmal an Michelangelo Antonionis »Zabriskie Point« denken, diesmal an den wirklichen Ort, den die beiden Liebenden im Film aufsuchen. Den »Zabriskie Point« am Death Valley. Irgendwann stehen die Beiden vor einer unwirklichen Landschaft, die entweder gerade kaputtgegangen ist oder am entstehen ist. Wir wissen es nicht. Alles oder Nichts. Quo vadis Türkiye ...?! Etwas ahne ich jetzt, die Zukunft liegt in ihren Händen und darf nicht in unseren liegen. Was für ein großartiges Land wäre dann die Türkei, wenn sich unsere Rechtstaatlichkeit mit dem emotionalen Kern, der Solidarität dieser jungen türkischen Generation binden würde? Dann würden wahrscheinlich einige Europäer an den Türen der Türkei stehen und um Einlass bitten. Oder?!

Rund 12 Monate später, im Januar 2017. Und jetzt? Ein paar Monate nach dem versuchten Militärputsch in der Türkei blicken wir von hier aus auf die Heimat unserer Eltern. Wir wissen immer noch nicht, wohin sich das Land bewegt. Der Ort, der seit den Erzählungen unserer Eltern immer auch ein Sehnsuchtsort war, wendet sich von uns ab. Viele hier sind mittlerweile in der Diaspora und blicken auf ein Land, das sich ihnen immer weiter entfremdet. Das Land verschließt sich. Will auch nichts mehr von den verlorenen Töchtern und Söhnen wissen. Brücken werden niedergerissen. Türen verschlossen. Die Menschen ziehen sich zurück. Harren aus. Istanbul eine wüste, hitzige, verwegene Stadt, Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident steuert auf eine Eiszeit zu … Quo vadis Istanbul?! Quo vadis Türkiye?



Foto Nathalie Dampmann

die nachhumpelnde kunstform Über das Theater im Zeitalter industriellen Erzählens, den Film Findet Nemo und die Frage nach dem Menschen auf der Bühne


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dreivondrei | Die nachhumpelnde Kunstform

Er gehört zu den Stars des amerikanischen Theaterbetriebs – der Schauspieler und Schriftsteller Ayad Akhtar. Zum Ende dieser Spielzeit inszeniert Stefan Bachmann sein preisgekröntes Drama Geächtet in der Außenspielstätte am Offenbachplatz – die erste Arbeit des Intendanten auf der anderen Rheinseite. Akhtars Stück ist eine ebenso unterhaltsame wie schonungslose Analyse unserer Gegenwart, ein brandaktueller Text über Rassismus, Religiosität und Angst. Wir haben Ayad Akhtar um einen Beitrag für dieses Magazin gebeten – und wurden mit einem Essay über die Arbeit des Autors, über die Kommerzialisierung des Erzählens und die Kraft des Theaters beschenkt.

Text Ayad Akhtar

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Im Pixar-Film FINDET NEMO verliert der Clownfischvater Marlin seine geliebte Ehefrau – und die Mutter seines Sohnes Nemo – Coral, an einen marodierenden Barrakuda. Dieser Verlust, der sich gleich zu Beginn des Films ereignet, hinterlässt bei Marlin bleibende Spuren und zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte. Als Nemo dann, ebenfalls im ersten Akt, von einem Taucher gefangen wird, ist es Marlins Suche nach seinem Sohn, die dem Film seinen Titel und der Geschichte ihre Richtung gibt. Für den Autor war das keine leichte Aufgabe: Marlins Beweggründe – sowohl seine Angst, den einzigen Sohn, den Coral ihm geboren hat, zu verlieren, als auch das verzweifelte Verlangen, ihn wiederzufinden, nachdem er verschwunden ist – mussten innerhalb kürzester Zeit etabliert werden. Dazu müssen wir, das Publikum, Zeugen jener Kraft und Schönheit werden, die in dem Bund zwischen Marlin und seiner Frau liegt, der Liebe und des Trostes, den er mit ihr verliert. Dem Autor bleibt dafür eine einzige Szene, und er findet eine ebenso einfache wie elegante Lösung für diese Aufgabe. In dieser Szene zeigt Marlin seiner Frau ein »Haus«, das er gefunden hat: Marlin Wow. Coral Mmm-hmm. Marlin Wow. Coral Ja, Marlin. Nein, wirklich. Es ist wunderschön.

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Marlin Also, Coral, als du meintest, du willst Meerblick, da hast du sicher nicht damit gerechnet, dass du gleich das ganze Meer kriegen würdest, oder? (Seufzt) Oh ja. Hier kann ein Fisch durchatmen. Bin ich gut oder bin ich gut? Coral Du bist gut. Marlin Und es war nicht einfach. Coral Es haben bestimmt viele Clownfische ein Auge drauf geworfen. Marlin Na und ob — jeder Einzelne von ihnen. Coral Mm-hmm. Das hast du gut gemacht. Und die Nachbarschaft ist toll. Marlin Also gefällt es dir, ja? Es gefällt dir? Coral Ja, nein, das tut es, das tut es. Wirklich, ich mag es sehr. Tolle Hanglage, großartige Aussicht, gute Schulen in der Gegend – aber brauchen wir wirklich so viel Platz? Marlin Coral, Liebling, wir reden hier von unseren Kindern. Sie verdienen das Beste. Schau doch, schau. Sie werden aufwachen, ihre kleinen Köpfchen rausstrecken und das Erste, was sie aus ihrem Schlafzimmerfenster sehen, ist ein Wal! Schau! Coral Leise, du weckst die Kinder. Ziel und Zweck dieser Szene ist es, den Zuschauer mit der Welt der Fische vertraut zu machen, Identifikation zu stiften. Sie haben Familie; sie leben in Familien. Sie machen sich Gedanken über das Viertel, in dem sie wohnen, über die Schulen, auf die ihre Kinder gehen und darüber, ob sie mit den Nachbarn Schritt halten. Eine schöne Aussicht ist ihnen ebenso wichtig wie ihr Ansehen in der Gemeinde … Der Identifikationsprozess verläuft nach einem vorgefertigten Schema, es bleibt keine Zeit, sich erzählerisch zunächst den Unterschieden zu widmen, um dann, ganz behutsam, die Gemeinsamkeiten aufscheinen zu lassen. Nein, Gleichheit muss schnell und mit allem Nachdruck vermittelt werden. Er ist wie du. Sie ist wie du. Sie alle sind wie du. Deswegen liebst du sie. Denn am Ende aller Tage gilt doch, dass wir alle – jeder Einzelne von uns – gleich sind.

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Nach welchen Regeln wird diese Gleichheit erzeugt? Wer heute, im spätkapitalistischen Zeitalter, empfindsam ist, sieht sich einem Dauerfeuer von Klischees ausgesetzt, einer endlosen Litanei von Stereotypen über menschliches Verhalten, über die endgültige Substanz, die Bedeutung des Gefühls- und Seelenlebens. Es handelt sich um eine Bestandsaufnahme des Menschen in Formeln und Plattitüden, vorgenommen von einer Mehrheit. Sie will erfassen, was wir lieben. Was wir hassen. Was wir brauchen. Was wir wollen. Was wir uns anschauen. Was wir anklicken. Kurz, was wir kaufen.

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Das Einzige, was fast jeder professionelle Theaterschaffende weiß, ist, dass am Theater kein Geld zu holen ist. Es kommt einem täglichen Wunder gleich, dass diese Kunstform überhaupt überlebt, eine traurig nachhumpelnde Leidenschaft, deren Antiquiertheit sich unangenehm in den quecksilbrigen Kanälen der industriellen Ausbeutung verfängt – wie verfaultes Laub, das immer wieder die Abflussrohre verstopft. Theater stellt Ansprüche an die Realität. Es braucht Raum und Gegenwart. Es braucht einen Ort und Menschen, die anwesend sind. Es zwingt zu Nähe und Kommunikation. Es fordert einen lebendigen Dialog, es gedeiht durch ihn. Mit anderen Worten: Es ist eine Kunstform, die auf geradezu störrische Art und Weise auf den Menschen zugeschnitten ist, und deren strukturelle Steifheit und technische Überholtheit ein wichtiger Grund sind, warum sie dem Ausverkauf standhält. Theater kann nicht kopiert und weiterverkauft, es kann nicht reproduziert werden. Es findet ausschließlich im Hier und Jetzt statt.

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Theater braucht einen Raum. Menschen in diesem Raum. Es wird durch die Notwendigkeit von Nähe und Anwesenheit eingeschränkt. Das ist, in ökonomischer Hinsicht, seine Schwäche. In menschlicher Hinsicht jedoch, ist es seine Stärke. Die Ausrichtung des Theaters am Menschen mit seinen (Un-)Möglichkeiten erklärt, warum es immer zentral, sogar essentiell für unser Leben und unsere Gesellschaft sein wird, unabhängig von den sich wandelnden sozialen und kulturellen Übereinkünften. In einer Welt, die zunehmend von Abbildern von Beziehungen bevölkert ist, liegt die subversive Wahrheit des Theaters darin, dass seine Grundlage reale Beziehungen sind. Im Wesentlichen die Beziehung zwischen Schauspieler und Publikum.

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Foto Ana Lukenda

KLEINES von Hannah Moscovitch | Regie Charlotte Sprenger


Der Körper. Auch darin kann man das zutiefst Menschliche des Theaters erblicken. Wir sprechen so häufig über Figuren, darüber, wie er oder sie geschrieben wurde – aber kommen wir damit dem, was in einem theatralen Moment geschieht, wirklich nahe? Entzieht sich diese Verbindung, die einen solchen Moment ausmacht, nicht gerade jeder Analyse, geht sie nicht darüber hinaus? Was nicht bedeutet, dass wir sie nicht verstehen können. Doch wären die Grundlagen dieses Verständnisses keine dramaturgischen. Schließlich beginnen wir, indem wir unsere eigene Beziehung zu dem lebenden Schauspieler auf der Bühne ausloten, ein ganz neues Beziehungsregister zu ermessen. Keine Aufzählung von Merkmalen und Qualitäten, sondern etwas Unaussprechlicheres. Fleischlicher. Unmittelbarer. Bedenken Sie: Nicht die Beschreibung des Geschmacks einer reifen Mango. Eine orange-gelbe Saftigkeit, zum Beispiel. Oder die beißende Süße, die im Mund nachhallt wie das perfekte Echo einer Quinte im Unterbügel des Cello. Nein. Nein, nicht das. Nichts dergleichen. Es kann tatsächlich überhaupt nichts gesagt werden. Sondern bloß: der Geschmack an sich.

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Derrida hat die Krux der Sache mit der ihm eigenen Eleganz dargelegt: »Schlägt mein Herz, weil ich jemanden liebe, oder weil ich liebe, was dieser Mensch verkörpert.« Darin könnte die Kernfrage aller Schauspieltechniken, jeder narrativen Dramaturgie bestehen. Bewegt uns eine Identifikation – auf dem Bildschirm, auf der Bühne –, die durch bekannte Eigenschaften an dem jeweiligen Charakter hervorgerufen wird – oder bewegt uns etwas Unbenennbares? Mit anderen Worten: Trauere ich um Coral, wegen dem, was sie ist – nennen wir es eine aufopferungsvolle Vorstadtmutter oder eine unterstützende, liebevolle Ehefrau – oder trauere ich um sie aus einem anderen, unaussprechlichen, mysteriöseren Grund, der darauf hinweist, wer sie ist? Natürlich kann es im Fall von FINDET NEMO nur das erstere sein. Das ästhetische Feld wird vollkommen von einer Dramaturgie der Aufzählung dominiert, einer Dramaturgie der Mitte, die an den gemeinsamen Nenner appelliert. Wenn die Ideen ausgereift, die Drehbücher geschrieben und verfilmt, wenn alles gesagt, durchgesiebt und entschieden worden ist, dann kann die gesamte Weisheit des industriellen Prozesses in einen einzigen, magischen Satz destilliert

werden, ein sine qua non zeitgenössischer Narration, die folgenreiche Erkenntnis aus jeder »Poetik des Was«: Die Charaktere müssen sympathisch sein. Der gesamte Prozess der Einfühlung wurde kommerzialisiert, unsere Erwartungen konditioniert, eine Industrie hat die die Ausbildung unserer Fähigkeit zu fühlen und mitzufühlen übernommen.

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Heutzutage ein erzählender Autor zu sein – Drehbuchautor, Dramatiker, Schriftsteller – bedeutet, mit der Vorherrschaft dieser »Poetik des Was« konfrontiert zu sein. Es bedeutet auch, mit dem Wunsch nach einer sogenannten Entwicklung konfrontiert zu werden, in deren Verlauf die alten, weniger wünschenswerten Eigenschaften einer Figur auf organische Weise durch neue, wünschenswertere ersetzt werden. Was durch diese Betrachtungsweise der Charakterentwicklung verloren geht, ist etwas Fundamentales, etwas Wahres über die Unlösbarkeit des menschlichen Lebens. Der menschliche Charakter ist nicht bloß die Summe seiner Teile, die durch eine neue Zusammensetzung ein anderes, wünschenswerteres Gemisch ergeben. Im Herzen der menschlichen Identität verbirgt sich ein Geheimnis, das stellvertretend für das große Geheimnis des Lebens steht. Die wahre dramatische Form führt uns den geistigen Kampf mit diesem unlösbaren Rätsel des Daseins vor Augen. Die Erforschung des Lebens und des Selbst, unberührt von der schwachsinnigen Frage nach Sympathie, ist der Ausgangspunkt einer »Poetik des Wer«. Denn Authentizität kann – gleich dem ewigen Geheimnis der Identität – niemals auf eine Formel reduziert werden.

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Die Vorherrschaft der »Poetik des Was« hat für die Struktur unseres Lebens gravierende Konsequenzen. Denn die Geschichten, die wir uns erzählen, vermitteln uns das Spektrum menschlicher Möglichkeiten, die Spielräume unserer Freiheit. Wenn diese Geschichten nach Maßgaben einer Industrie erzählt werden – Erlösung um jeden Preis, Gleichheit als Entwicklungsziel, die Fiktion, Identität sei eine Karriereleiter – wie könnte da kein Zusammenhang bestehen zur Verarmung des menschlichen Daseins? Deutsch von Julia Fischer, Julian Pörksen und Nina Rühmeier

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Wir wollen 30


wollen plankton sein 31


dreivondrei | Wir wollen Plankton sein

Der Autor und Dramaturg Julian Pörksen hat ein Stück über das Theater geschrieben – eine paradoxe Metakomödie für drei Personen, die gleichzeitig Schauspieler und Schauspielerinnen und über ihr Spiel reflektierende Figuren sind. Es entspinnen sich Situationen, die in ihrer Profanität den wunden Punkt einer überaktiven Gesellschaft suchen und die mit kleinen Gesten zu großen Fragen anregen.

KONSTRUKTION

Die Schauspielerin Melanie Kretschmann wird bei diesem Stück ihre erste Regie übernehmen und selber mitspielen. Sie tritt dabei in die Fußstapfen ihres Großvaters Hans Harloff: Er war Schauspieler, Regisseur und Intendant einer Wanderbühne. So greifen schon im Probenprozess Realität und Theater ineinander, lässt sich nicht mehr genau zwischen Theaterfamilie und Familie unterscheiden; eine reflexive Endlosschleife entsteht, unendlich traurig, unendlich komisch.

Bernadette Damit wir ein Gefühl entwickeln, wo wir gerade sind.

Traurige Stille. Bernadette Und jetzt? Yorick Weiß nicht. Bernadette Vielleicht lassen wir einfach mal ein bisschen Revue passieren, was bisher so war. Die schönsten Momente. Yorick Au ja.

Yorick Das ist gut, ja. Bernadette Dein Anfangsmonolog. Ich fand das sehr schön von dir gemacht. Yorick Und den Tanz? Mochtest du den Tanz? Bernadette Und wie! Da hast du für mich wirklich etwas gehabt von: Wir haben eine Trauer in uns, und diese Trauer ist ganz zart und ein bisschen zäh und eben nicht laut und groß. Das hast du für mich da gesagt. Dass wir eben eher Seetang sein wollen als Feuer. Das hast du ausgedrückt. Yorick Danke. Das wollte ich auch ausdrücken. Bernadette Das hast du auch ausgedrückt.

Stücktext Julian Pörksen Fotos Elisabeth Harloff

Yorick Gut. Das wollte ich. Bernadette Ja.

Stille.

WIR WOLLEN PLANKTON SEIN ist als Buchausgabe im Alexander Verlag Berlin erschienen, bei dem auch die Aufführungsrechte liegen.

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Yorick Und dann hat Micha über das Glück gesprochen. Find ich tief. Find ich tief, von hier aus gesehen. Damals dachte ich noch: Naja. Aber jetzt finde ich tief, was er da gesagt hat.


Bernadette Er ist nur immer so ernst. Ich mach mir manchmal ein bisschen Sorgen. Yorick Das machen die Theorien. Ich sag dir: Das sind die Diskurse, von denen er immer redet. Und die ganzen Kriege. Und Großvater. Und die Postmoderne. Da hat er sich ein bisschen verstrickt, und jetzt glaubt er, dass er für alles zuständig ist und zu allem etwas denken muss und dass er die Leute erziehen muss und dass er etwas sieht, was alle anderen nicht sehen. Bernadette Als wir uns kennen gelernt haben, warst du genauso! Yorick Ja. Schrecklich.

Yorick So richtig hab ich das auch nicht verstanden. Irgendwie will er mit dem Kapitalismus spielen und ihn dadurch pervertieren. Indem er ihn bejaht. Irgendwie so. Bernadette Was heißt denn das schon wieder? Yorick Keine Ahnung. Er schreibt ein Singspiel darüber, hat er gesagt. Das will er uns vorführen. Bernadette Ich freu mich ja auch, dass er so engagiert ist. Aber er hat so etwas Verbohrtes. Warum hat der das? Meinst du, er onaniert nicht genug? Yorick Bitte nicht. Bitte bitte nicht.

Bernadette Du hast immer gesagt: Das ist nur eine Konstruktion! Und das hast du dann ganz, ganz ausführlich dargelegt. Yorick Es tut mir leid. Bernadette Das war wahnsinnig langweilig. Wenn ich gesagt hab »Liebe«, dann hast du sofort losgelegt: Konstruktion! Dabei wusste ich das doch! Ich wusste das doch, das hättest du doch gar nicht immer sagen müssen. Aber du hast es immer gesagt. Immer! Yorick Ich weiß. Tut mir leid. Ich war einfach sehr unsicher, damals. Bernadette Und jetzt Micha, die Sache mit den Geschlechterrollen. Das muss man doch nicht immer sagen. Das weiß ich doch. Aber er erklärt mir trotzdem dauernd, dass ich mein Geschlecht performativ hervorbringe. Damit ist nun wirklich nichts gewonnen. Er sagt das auch gar nicht zu mir. Er sagt das über sich. Eigentlich sagt er zu mir, dass er es durchdrungen hat und dass er zu denen gehört, die die Muster durchschaut haben. Das ist doch eitel. Einfach unendlich eitel. Und er kann sich gar nicht vorstellen, dass auch andere Menschen das verstanden haben, nur weil sie nicht die ganze Zeit darüber reden. Yorick Hat er dir auch schon diese Kapitalismus-Sache erzählt?! Bernadette Ich glaube nicht. Aber ich höre ja so ungern zu, das weißt du doch.

Bernadette Vielleicht hat er einen Luststau. Das kann passieren. Man verlernt, den eigenen Trieben nachzugeben. Dann staut sich das an. Das Gleichgewicht geht verloren. Die Persönlichkeit kippt. In die eine oder andere Richtung. So hat das mein Therapeut mal erklärt. Ich bin ja in Therapie. Ich habe eine Depression. Eine wirklich sehr disparate, hyperkomplexe Depression. Zitat. Früher, hat mein Therapeut gesagt, wäre ich außerdem eine klassische Hysterikerin gewesen. Hat er so gesagt. So hätte man das früher bezeichnet. Eine klassische Hysterikerin. Wie das klingt, oder? Klassische Hysterikerin. Manchmal ist es schon ganz schön traurig, heute zu leben, in dieser Gegenwart. Es war doch einiges besser, damals. Die Krankheitsbilder. Die Künstler. Die Kleidung. Die Architektur.

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dreivondrei | Wir wollen Plankton sein

Es gab noch weiße Flecken auf der Landkarte. Und Zarah Leander hat noch gelebt. Und die Schilfdommel war noch nicht ausgestorben. Ach ja.

Bernadette Liebling, baust du an einer Wanderbühne?! Meinst du wirklich, er baut an einer Wanderbühne? Yorick Es könnte sein. Er will die Welt sehen, sagt er. Bernadette Die Welt! Warst du in letzter Zeit mal draußen, in der Welt? Scheußlich. Die armen echten Menschen. Es gibt keinen schlimmeren Ort als die Realität. Du kannst wirklich froh sein, dass du hier lebst, mit uns. Auf dieser Bühne. Yorick Das bin ich. Früher wusste ich nie, was mit mir los ist. Ich habe nirgends dazu gehört. Ich war überall fremd. Bis ich zu euch kam, ins Theater. Da wusste ich: Ich bin endlich zuhause.

Sie sehen sich an. Yorick macht merkwürdige Bewegungen. Bernadette Was machst du da? Yorick Das ist ein Balztanz! Bernadette Bist du dir sicher? Das sieht nicht so aus. Woher hast das denn bitte?

Micha läuft einmal über die Bühne, etwas Schweres, Unförmiges schleppend. Er trägt eine Andy-Warhol-Perücke und ein Andy-Warhol-Kostüm. Bernadette Hallo Liebling.

Yorick Aus einer Doku. Das ist der Balztanz der Kraniche, der schönste und komplizierteste Balztanz im gesamten Tierreich.

Auftritt Micha, in Unterhose, eine Krone auf dem Kopf. Er schleppt eine große Pappkuh mit sich herum.

Micha verschwindet wortlos. Bernadette Was machst du denn da wieder?

Bernadette Liebling, was ist denn?

Man hört Micha hämmern.

Micha Ich wollte nur mal Hallo sagen.

Bernadette Was macht er denn da? Das macht mich verrückt. Was macht er da?

Bernadette Das ist allerliebst. Aber du weißt doch, dass wir noch etwas Zeit brauchen.

Yorick Vielleicht baut er wieder an seiner Wanderbühne.

Micha Ich weiß.

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Nichts passiert. Micha Ich hab meine Bühne fast fertig. Bernadette Toll. Ich komm nachher kucken, ja?

Nichts passiert. Bernadette Gehst du jetzt bitte wieder. Micha Damit ihr ficken könnt?! Yorick Ja. Micha Ihr seid ekelhaft. Bernadette Liebling, sei jetzt bitte mal erwachsen, ja? Micha Ich krieg das immer alles mit, da auf der Seitenbühne.

Yorick Dann geh in die Kantine. Micha Halts Maul. Bernadette Liebling, du musst dich langsam damit anfreunden, dass deine Mutter ein Sexualleben hat. Das hat auch mein Therapeut auch gesagt: »Der Micha muss das echt langsam mal lernen.« O-Ton mein Therapeut. Micha Ich werde mich ganz sicher nicht mit deinem Sexualleben anfreunden. Vor allem nicht, wenn dein Sexualleben so alt ist wie ich! Ich habe mein ganzes Leben unter deinen Eskapaden gelitten. Unter all den Männern, dieser Parade von Idioten, die hier durchmarschiert ist. Ich hab es satt. Ich hab es einfach satt hier zu leben, in diesem Treibhaus der Neurosen, in dem alle nur mit sich beschäftigt sind und es nur noch darum geht, schön und originell zu sein und alles nur noch so daher gesagt wird und meine Mama mit einem Typen ins Bett steigt, der so alt ist wie ich und mein Freund sein will, aber ich will keinen Freund, ich will einen Vater, ich will einen richtigen Vater, ich will eine Linie in meinem Leben, an der ich mich abarbeiten kann und ich will endlich, endlich einen ernstzunehmenden Gegner.

Stille.


ivanow von Anton Tschechow | Regie Robert Borgmann


Dann fliegt der Laden auseinander Der Kölner Schriftsteller Navid Kermani ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und einer der wichtigsten Intellektuellen in Deutschland. Im Gespräch mit Schauspielintendant Stefan Bachmann plädiert er für einen Dialog auch dort, wo es wehtut, und er appelliert an eine westliche Zivilgesellschaft, für die europäische Idee zu kämpfen.

Foto David Baltzer

Stefan Bachmann: Brexit in England, Donald Trump in den USA, kriegerische Auseinandersetzungen in Syrien und an vielen anderen Orten auf der Welt, enorme Fluchtbewegungen und mitten in Europa ein Erstarken des Rechtspopulismus. Was passiert da gerade um uns herum? Navid Kermani: Man kann weltweit Phänomene von Fremdenfeindlichkeit, Fanatismus oder Nationalismus beobachten. Das geht mit einer Verunsicherung durch einen längeren Prozess von Globalisierung einher. Diese Verunsicherung ruft danach, dass man sich seiner Selbst versichert. Und man versichert sich seiner Selbst ja immer auch durch die Differenz zu anderen. Das muss nicht per se ein schlechter Prozess sein. Kultur entsteht daraus. Europäische Kultur ist in der Renaissance auch durch die Abgrenzung vom arabischen Kulturraum entstanden. Aber im Moment beobachten wir, wie diese Verunsicherung in Aggressivität umschlägt. Das ist in Europa unterschiedlich stark ausgeprägt, was auch mit den realen sozialen Faktoren zu tun hat, die beispielsweise in Deutschland andere sind als in England oder Südeuropa. Das soziale Gefüge in Deutschland ist noch relativ stabil, aber die ganzen kulturellen Faktoren schlagen natürlich auch hier durch: Einwanderung, Globalisierung, fremde Kulturen und so weiter. Ich glaube, dass es in den westlichen Gesellschaften immer noch eine sehr deutliche Mehrheit von Menschen gibt, die die Art und Weise, wie wir leben, im Grunde für richtig halten. Die für Europa plädieren, die nicht zum Nationalstaat

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zurückwollen, die auch Einwanderung nicht per se kritisch sehen. Aber man gewinnt keine Mehrheiten damit, zu sagen, wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist – zumal die Weltlage als Bedrohung wahrgenommen wird. Und da gibt es plötzlich die, die sagen, wir wollen Veränderung, wir lehnen den Status quo – das mobilisiert natürlich erst einmal viel mehr. Ist das eine Revolution, die da stattfindet? Und ist es attraktiv, rechts zu sein, weil man meint, man gehöre einer Bewegung an, die etwas verändert? Auf jeden Fall wirken plötzlich die, die einmal angetreten waren, das System zu ändern oder sogar zu stürzen – nehmen wir nur die Achtundsechziger oder die Grünen – seltsam restaurativ. Wer Veränderung will, der steht plötzlich rechts. Da hat sich doch etwas komplett pervertiert. Das Kraftfeld der Verlässlichkeit der USA, die ja auch stabilisierend für die Welt gewirkt hat – ob einem das nun immer gepasst hat oder nicht – wird von etwas abgelöst, das vermutlich ganz viel mit Willkürherrschaft zu tun hat. Und mit einer Form von Oligarchie, die genau die Menschen, die sie gewählt haben, komplett anlügt. Ich verstehe schon, dass es nicht attraktiv ist, auf dem Status Quo zu beharren. Auf der anderen Seite ist es für mich trotzdem nicht verstehbar. Warum kommen diese Rattenfänger wieder? Man muss doch sehen, dass Trump sozusagen der große Bruder von Berlusconi ist. Aber natürlich mit viel gefährlicheren Dimensionen, weil Trump viel größere Macht hat. Wie schaffen die das, so die Massen zu mobilisieren? Ich glaube, dass wir uns gar nicht so sehr Gedanken machen müssen über »die«, sondern mehr über uns. Wieso kann die liberale Gesellschaft ihre Anhänger nicht mobilisieren? Wie kommt es, dass die jungen Menschen, die gegen den Brexit waren, nicht am Referendum teilgenommen haben? Warum konnte Hillary Clinton ihre Anhängerschaft so viel weniger mobilisieren als Donald Trump? Wie kommt es, dass womöglich in Frankreich Le Pen gewählt wird, weil sich sowohl die traditionelle Linke als auch die traditionelle Rechte selbst zerlegen? Ja, warum ist das so? Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir uns vor den Debatten fürchten, die eigentlich geführt werden müssten und sie so anderen überlassen. Etwa in Deutschland sind alle wichtigen Entscheidungen der letzten Jahre praktisch im Konsens getroffen worden, der sich bis in die Opposition zieht, ob nun zur Griechenlandhilfe, zu den Flüchtlingen, jetzt auch noch zur Wahl des Bundespräsidenten. Diese Einigkeit erzeugt natürlich ein Potential dafür, zu sagen: »Nee, finden wir aber nicht« und damit sofort als Alternative kenntlich werden.

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Aber wir können doch auch Debatten nicht künstlich erzeugen. Und müssen wir nicht gerade jetzt Allianzen bilden? Das ist doch der ständige Vorwurf: Die Linken zerfleischen sich immer selber und verpassen es, sich dieser rechten Strömung entgegen zu stellen. Wir müssten uns dann doch eher zusammenschließen und uns nicht in den ewigen Debatten verlieren, ob wir etwas ein bisschen mehr so oder so sehen. Ja, aber die Debatten, die im Moment geführt werden, in der Politik oder zum Teil auch im Theater, sind ja Debatten, die vielleicht nicht an die wesentlichen Dinge rühren. Nehmen wir die letzte Silvesternacht in Köln, wo es in diesen Tagen ausschließlich darum geht, war dieser Polizeieinsatz gut oder nicht, hat Frau Peters von den Grünen dieses oder jenes gesagt  ... ... oder darf man Nafri sagen oder nicht ... Ist mir erstmal vollkommen egal im Augenblick. Aber da geht die Energie hin. Während die eigentliche Frage, wieso eigentlich in Nordafrika die Verhältnisse so sind, dass so viele junge Leute hierherkommen, überhaupt nicht gestellt wird – auch nach der vorigen Silvesternacht nicht.

»Wir müssen echte Alternativen schaffen und für Veränderungen einstehen. Man mobilisiert niemanden mit dem Status Quo.« Ich habe das Gefühl, dass es gerade eine unglaubliche Sehnsucht nach einem maskulin geprägten Führertypus gibt. Etwas archaisch gesprochen: Die Suche nach der harten Hand des leitenden Vaters. Schwingt da nicht gerade ein Pendel zurück zu einer patriarchalen Gesellschaft? Ja, aber das deckt ja auch Schwächen auf. Der Freiheitsbegriff, den wir in den letzten Jahren entwickelt haben, ist extrem individualistisch. Der meint vor allem die persönliche Freiheit, die persönliche Lebensweise. Nichts darf eingeschränkt werden, alles muss respektiert werden, jeder muss nach seiner Fasson selig werden. Das ist inzwischen ein sehr detaillierter Katalog. Ich würde 90, vielleicht sogar 100 Prozent davon unterschreiben, aber wenn man Freiheit nur als persönliche Entfaltung definiert, dann ist das zu wenig. Wie müsste man Freiheit heute definieren, damit sie funktioniert?


Wir reduzieren den Freiheitsbegriff sehr stark auf die Möglichkeit des Einzelnen, zu tun, was er gerne tun möchte. Aber mir ist in diesem Kontext beispielsweise auch die soziale Freiheit sehr wichtig, die Voraussetzung für die persönlichen Freiheitsrechte ist. Mir ist auch die Freiheit der Syrer wichtig, also nicht nur unsere eigene. Und die Linke war eigentlich mal international ausgerichtet, das ist aber komplett weg! Man sieht das doch an der mangelnden Unterstützung von jedweder Freiheitsbewegung der Welt. Von links kommt da gar nichts. Aber wir können Lösungen für unsere Probleme nur finden, wenn wir auch auf andere Länder schauen, wenn wir akzeptieren, dass wir mit allem, was wir tun, international eingebunden sind.

»Es hat keinen interessiert, was in der Welt passiert. Und jetzt sind wir überrascht, dass diese Welt über uns hereinbricht.« Man muss sich mal an den letzten Wahlkampf erinnern, an die Debatten zwischen Steinbrück und Merkel angesichts dieser wirklich fundamentalen Konflikte weltweit. Syrien gab es schon, Afghanistan, auch die Flüchtlingskrise hat es schon gegeben, auch, wenn niemand davon wissen wollte. Aber in den beiden Fernsehdiskussionen wurde die Außenpolitik in drei Minuten gerade mal gestreift. Das heißt, es hat niemanden interessiert, was in der Welt passiert. Und jetzt sind wir überrascht, dass diese Welt über uns einbricht. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass es eine politische Kraft gibt, die sich konsequent zu Europa bekennt, und dass es dann meinetwegen eine politische Kraft gibt, die sagt: »Nee, wir wollen dieses Europa aber nicht.« Dann kann man ja streiten. Dann kann man debattieren. Aber wen könnte man denn in Deutschland wählen, wenn man sagt, ich bin für die Vereinigten Staaten von Europa, die im Grundgesetz doch ganz klar anvisiert ist? Also wirklich entschieden für Europa, damit für eine politische Union, deren Entscheidungen dann auch demokratisch legitimiert. Oder eine Kraft, die Europa befürwortet, aber etwa den Euro kritisch sieht – das ist nicht meine Position, aber ich finde, sie hätte Berechtigung. Nicht jeder, der für den Ausstieg der Griechen aus dem Euro ist, ist deswegen schon gegen das europäische Projekt. Stattdessen gibt es einen lauwarmen Konsens, irgendwie für Europa zu sein, und lauter Schreihälse, die zurück zur Nation wollen. Aber wie willst du Menschen, die gerade dabei sind, Europa und die Globalisierung für alles Schlechte verantwortlich machen, und einem Populismus folgen, der sagt, wir müssen uns wieder auf den Nationalstaat konzentrieren, wir müssen wieder dafür sorgen, dass es uns gut geht und nicht den anderen – wie willst du denen ernst-

haft europäisches Denken als eine Lösung der gefühlten Probleme anbieten? Die leben ja genauso in einer Blase wie wir. Die haben ja auch keinen Kontakt zu anderen Leuten, zu Flüchtlingen, zu Ausländern, zu Muslimen. Sondern die haben nur Informationen, die ständig ihr Weltbild bestätigen, genauso wie wir Informationen haben, die unser Weltbild bestätigen. Gerade weil wir in diesen Informationsblasen leben, ist der persönliche und direkte Kontakt viel wichtiger als früher. Im persönlichen Gespräch ist sofort eine andere Stimmung da. Niemand ändert dadurch komplett seine Meinung, aber allein schon, dass man ins Gespräch kommt, Dinge erklärt, Verletzungen zulässt, sich selber nicht ganz so sicher ist, nachfragt, wie kommen Sie zu Ihrer Position? – Und es ist ja gar nicht unbedingt notwendig, die zu überzeugen. Sondern, dass wir auch uns selbst, also denen, die tendenziell für Europa stehen, sagen: Tut etwas für Europa, engagiert euch. Fehlt es uns an Idealismus? Im Sinne eines wirklich utopischen Denkens? Du wirst keine Begeisterung erzeugen, wenn du sagst, »für den Euro«! Das ist doch absurd. Niemand wird doch für den Euro auf die Barrikaden gehen oder kämpfen, wie man das in Rumänien oder der Ukraine für die europäische Idee getan hat und immer noch tut. Warum gibt es keine Allianz der europäischen Idealisten? Die Generation über uns hat noch existenziell erfahren, warum Europa notwendig war. Das haben wir nicht. Aber ich glaube, dass wir in eine Situation kommen werden, wo wir es erfahren werden. Wird uns das verändern? Entweder werden wir sagen, wir wollen Europa und kämpfen dafür, oder es bricht auseinander. Und dann? Dann haben wir ein ziemlich düsteres Zeitalter vor uns. Was braucht es, um aus der eigenen Blase herauszukommen? Was braucht es, damit aus dem »die« und »wir« wieder eine gemeinsame Identität wird? Eine ganz gemeinsame hat es ja nie gegeben, es wird immer Differenzen geben. Die Frage ist, wer gewinnt die Mehrheiten? Das ist ein Wettstreit und ich finde es im Prinzip auch nicht verkehrt, dass es diese Parteien gibt, die sollen sich ja formieren. Diese gesellschaftlichen Stimmen gibt es nun mal, man kann ja nicht sagen, die darf es nicht geben. Die sollen sich artikulieren, sonst radikalisieren die sich ja noch

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mehr. Natürlich muss man dagegenhalten und stärker sein – hoffentlich. Ich folge deshalb derzeit dem Impuls, persönlich hinzugehen, mit Leuten zu reden und darüber zu berichten. Also nicht nur in die Welt zu reisen und über Afghanistan oder Indonesien oder Afrika zu schreiben, sondern auch die Fremde in der eigenen Lebenswelt kennenzulernen. Wirklich mal in Milieus gehen, in denen AfD gewählt wird, zu den katholischen Nationalkonservativen in Polen, nach Osteuropa. Dann bist Du eine Ausnahme, denn die Grundstimmung ist nicht danach. Die Grundstimmung ist nicht nach »Wir reden miteinander.«, sondern »Mit denen darf man nicht reden.«. Mit Leuten, die einen beleidigen, kann man nicht reden. Aber Menschen, die einem argumentativ begegnen, mit denen muss man immer reden – was denn sonst? Ich bekomme ja viele Briefe, natürlich auch sehr kritische Briefe – aber solange die Höflichkeit gewahrt bleibt, ist es völlig in Ordnung, dann nehme ich das auch auf.

»Wenn man Freiheit nur über persönliche Entfaltung definiert, ist das zu wenig.« Ich war ja letzten Sommer als Theaterleiter einem unglaublichen Druck ausgesetzt, weil wir zu einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen von Birlikte auch einen Mitbegründer der AfD eingeladen hatten. Diese politische Korrektheit ist ein ganz merkwürdiges Hindernis in der Auseinandersetzung mit Wirklichkeit. Es entstehen so viele neue Tabus, die den Blick verstellen und auch eine Diskussion unmöglich machen. Die Antwort auf die AfD kann doch nicht sein, alles zu verteidigen, wie es ist, und sich kollektiv hinter Frau Merkel zu stellen, wie positiv man auch einzelne Entscheidungen von ihr findet. Ich habe keinen Zweifel – und das würde ich wahrscheinlich von gar nicht so vielen Staatsführern sagen – an ihrer persönlichen Integrität. Dennoch muss man doch auch darauf hinweisen, dass in ihrer Regierungszeit enorm viel schiefgelaufen ist, gerade mit Bezug auf das europäische Projekt oder in der Flüchtlingsfrage. Man kann nicht die Probleme nicht 15 Jahre lang ignorieren und dann innerhalb eines Wochenendes mit einem dürren Kommuniqué alles komplett auf den Kopf stellen und sagen, jetzt sind die Grenzen offen. Man muss doch auch mal die Frage stellen, wie das Problem eigentlich entstanden ist. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Natürlich musste man die Gren-zen öffnen, die Menschen liefen ja schon über die Autobahn. Aber niemand spricht darüber, weshalb sie eigentlich losgelaufen sind. Was war da im Sommer 2015 los, als in den Flüchtlingslagern rund um Syrien die Lebensmittelrationen um die Hälfte ge-

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kürzt wurden, weil die Geberländer dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen die zugesagten Gelder nicht ausgezahlt hatten. Warum haben wir eigentlich in Syrien nichts getan, als es noch Möglichkeiten gab, auf den Konflikt einzuwirken, als es noch keinen IS gab, keine Dschihadisten, keine russischen und iranischen Truppen, keine internationalen Söldner. Die kamen ja erst nach zwei, drei Jahren.Stattdessen verschanzen wir uns hinter dieser Willkommenskultur und sagen, wir sind aber für Flüchtlinge und so weiter. Man kann doch nicht für Flüchtlinge sein, sondern man kann doch nur dafür sein, dass man versucht, Flüchtlingsursachen auch zu begegnen. Und dazu gehört die Frage: Wieso entsteht denn Flucht? Streng genommen kann man eigentlich überhaupt nicht für Flüchtlinge sein, in dem Sinne, dass man natürlich niemandem wünscht, dass er überhaupt flüchten muss. Das meine ich. Und dabei wird überhaupt nicht mehr diskutiert, dass man die Bundesregierung kritisieren muss für manches, was sie in den Jahren davor getan hat. Wieso es zum Beispiel Deutschland war, das eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle europäischen Staaten über viele Jahre hinweg blockiert hat – und jetzt auf einmal danach ruft. Stattdessen diskutieren wir darüber, ob man Nafri sagen darf oder nicht. Trotzdem erodieren doch gerade grundsätzliche Werte. Glauben wir denn wirklich noch an das Grundgesetz, an die Freiheit, an die Demokratie, an ein Europa? Sind wir uns da wirklich noch so einig? Und geht nicht längst auch etwas an gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten verloren? Wer kauft denn heutzutage zum Beispiel noch eine Zeitung? Das ist aber nicht nur eine Wertedebatte, sondern auch eine Debatte des Engagierens. Am Beispiel der Zeitungen: Einerseits klagen alle darüber, dass die Informationen unseriös werden, und zugleich kaufen sie keine seriösen Zeitungen und Zeitschriften, obwohl dort noch am ehesten recherchierte, auch hintergründige Informationen zu finden sind. Stattdessen klickt man sich im Internet durch und fragt sich dann, warum man die Welt nicht mehr versteht. Ja, aber ich musste doch die letzten 20 Jahre nicht darüber nachdenken, ob ich eine Zeitung abonniere oder nicht. Die waren einfach da. Jetzt fordert mich so etwas als Bürger plötzlich ganz ungeahnt heraus. Aber übertrag das mal auf die Politik: Der Politiker, der nicht die Frage des Tages stellt, sondern der wirklich überlegt, wie wir in 20 Jahren leben wollen, also die großen und vor allem unbequemen Fragen stellt, der würde in den Meinungsumfragen sofort ein par Prozentpunkte verlieren. Aber weshalb? Einerseits erwarten wir, dass Politiker unpopulär sind und nach ihrer Überzeugung handeln, und gleichzeitig bestrafen wir sie, wenn sie es tun. Also liegt es doch nicht an den Politikern, sondern es liegt an der Öffentlichkeit, an uns.


Das Problem ist doch, dass es nicht die große intellektuelle Bewegung gibt, die jetzt Europa oder eine offene Gesellschaft verteidigt, während der Rechtspopulismus zunehmend eine Bewegung wird, und zwar in rasant schnellem Tempo. Aber es gibt doch Gegenbeispiele. Etwa in Kanada, wo der Ministerpräsident mit einem wirklich radikalen, offenen Programm die Mehrheit gewonnen hat. Weil er Leute für eine Veränderung begeistert hat. Auch Bernie Sanders hat unglaublich viele Leute mobilisiert. Das zeigt doch, dass man auch von der anderen Seite Leute begeistern kann, nicht nur von rechts und national. Wenn man eine Vision entwickelt, die nicht nur auf ein bloßes Weiter-so ausgerichtet ist, und ernsthaft darüber nachdenkt, wie wir in Zukunft leben wollen, dann kann man Leute, gerade die jungen Leute, begeistern. Das erlebe ich auch, wenn ich in Schulen gehe. Aber man kann eine globale europäische Bewegung nicht per Dekret bestimmen. Man muss sich überlegen, wieso ist denn das so wenig attraktiv, was dieser Politikbetrieb normalerweise so auswirft? Wieso gehen die Leute nicht in Parteien? Wobei wir jetzt erleben, dass die Parteien gerade mehr Zulauf haben als vor der Wahl von Trump.

Foto David Baltzer

Weil die Menschen merken, jetzt bewegt sich etwas. Die Chiffre für das, was du offene Gesellschaft nennst, ist für mich schon seit langem Europa. Und zwar ein Europa, das die europäische Idee aus diesem pragmatischen, auf die Ökonomie reduzierten Modell rausbringt und wirklich wieder als Idee begreift, wie wir leben möchten. Das kann eine politisch linke oder rechte Begründung für Europa sein, die entschiedenen Europäer gab und gibt es auf beiden Seiten des politischen Spektrums, aber beruht auf einer langen geistesgeschichtlichen Entwicklung sowie auf den realen Erfahrungen aus zwei Weltkriegen und Völkermord.

Was braucht es, damit das entsteht? Wir sind in einer Situation, in der Europa wirklich auseinanderbrechen könnte. Wenn Marine Le Pen gewählt wird, wird die europäische Union das mit ziemlicher Sicherheit nicht überleben. Das heißt, wir sind an einem Punkt, wo Europa, in der Form, wie es nach dem Krieg entstanden ist, womöglich in fünf oder zehn Jahren nicht mehr existiert. Und das wäre eine Katastrophe. Zumal andere Konstanten ja auch nicht mehr existieren. Amerika existiert als Teil einer Wertegemeinschaft so nicht mehr, Russland agiert zunehmend autoritär und aggressiv. Das Zweite ist die Frage der, wenn man so will, Weltinnenpolitik. Es ist existentiell, zu begreifen, dass das, was woanders stattfindet, uns unmittelbar betrifft. Wir sind nicht isoliert von dem, was in Aleppo stattfindet. Oder von dem, was in Afghanistan oder Afrika stattfindet. Was ist da eigentlich los, außerhalb unserer gated community? Diesen Einbruch der Wirklichkeit festzustellen, die Wirklichkeit dann aber auch nicht nur in Form der Flüchtlinge, die uns erreichen, wahrzunehmen, sondern in Form der Welt, aus der sie fliehen, und fliehen werden. Zu überlegen, was bedeutet das, was kann man jetzt noch tun? Nicht nur in Bezug auf die Kriege. Etwa dass Jahr für Jahr fruchtbares Land in der Größe der Schweiz aufgrund des Klimawandels versteppt. Das sind ja wirklich gewaltige Fragen, die wichtiger sind als das, was wir täglich in den Medien diskutieren. Und das Dritte ist, dass wir nochmal die soziale Frage in den Blick nehmen müssen. Wir haben ein Wirtschaftsmodell, das einige wenige in den letzten Jahrzehnten explosionsartig reich gemacht hat. Dieser Reichtum befindet sich in immer weniger Händen. Wie gesagt, in Deutschland ist das noch einigermaßen abgefedert, aber weltweit ist das dramatisch! Wir erleben den Wegfall der Mittelschicht. Die Mittelschicht steht aber für eine Zivilgesellschaft, die etwas hervorbringt: Partizipation, kulturelle Bildung, all das, und die bricht weg. Und dann fliegt der Laden auseinander. Das sind, glaube ich, die drei großen oder meinetwegen drei der großen Fragen. Die Antworten habe ich nicht, aber es wäre schon mal gut, wenn wir die richtigen Fragen stellen.

Ansichten eines clowns von Heinrich Böll | Regie Thomas Jonigk



Die Stadt von Morgen Was hält die Stadtgesellschaft zusammen? Wer bestimmt über den öffentlichen Raum? Und wie sieht die Stadt aus, in der wir zukünftig leben wollen? Im Rahmen des zweijährigen Projektes DIE STADT VON DER ANDEREN SEITE SEHEN beschäftigt sich das Schauspiel Köln mit der Stadt von morgen und befragt Bewohner, Künstler und Stadtplaner nach ihren Perspektiven, Träumen und Visionen. Unter der Mülheimer Brücke haben wir zum Ende der letzten Spielzeit in einem ehemaligen Bauwagen eine Dependance eröffnet, die als Ankerpunkt im Stadtteil wirkt. Hier entsteht im Juni auch das Zentrum eines fünftägigen Festivals, mit dem das Stadtprojekt ein vielstimmiges und buntes Finale erlebt.

Illustrationen Labor Fou | Fotos Mirko Plengemeyer 43


Eine Agora unter der Mülheimer Brücke Das Stadtzentrum wird in der Regel dort verortet, wo sich die meisten Geschäfte aneinanderreihen. Wo aber ist der Platz in der Stadt, an dem das gesellschaftliche Leben stattfindet? Wo wir uns treffen? Miteinander in Verhandlung treten? Ins Gespräch kommen? Und wenn wir einen solchen Ort schaffen könnten, wie sähe er aus? Unser Festivalzentrum bezieht Quartier unter der Mülheimer Brücke – da, wo einst das historische Zentrum Mülheims lag und wo jetzt eine vierspurige Brücke einen gewaltigen Bogen auf die andere Rheinseite schlägt. Nicht erst mit der anstehenden Sanierung der Brücke ist der Platz ein Ort der Transformation geworden – ein Durchgangsort, der nicht gerade zum Verweilen einlädt. Genau hier wird das Festivalzentrum entstehen und diesen Ort beleben und umdeuten – als Treffpunkt, als Raum für Diskussionen, Performances, Lesungen und Konzerte. Von hier aus werden wir auch auf Expeditionen durch den Stadtteil aufbrechen. Gestaltet und gebaut wird das Festivalzentrum von Studierenden der Abteilung raum&designstrategien der KUNSTUNIVERSITÄT LINZ zusammen mit dem Professor, Stadtplaner und Künstler Ton Matton. Anschließend werden die Studierenden den Ort beziehen und als Gastgeber und Selbstversorger fungieren – eine temporäre Infrastruktur errichten, zu Kochevents einladen und von einer Nachrichtenstelle Botschaften auf die andere Rheinseite schicken.

Komplizenschaften bilden Damit die Stadt, in der wir zukünftig leben wollen, Gestalt annimmt, bedarf es Komplizenschaften und der gemeinsamen Arbeit. Mit dem Künstlerkollektiv Labor Fou / Knüvener Architekturlandschaft, der Theatergruppe subbotnik und dem Künstler- und Kuratorenduo Markus Ambach und Kay von Keitz haben wir Verbündete gefunden, die den urbanen Raum immer wieder zum Schauplatz und Ausgangspunkt ihrer Arbeiten machen. Drei Komplizenschaften, drei unterschiedliche Perspektiven auf die Stadt von Morgen. Und drei Einladungen, das Projekt und die Stadt aktiv mitzugestalten. Labor Fou / Knüvener Architekturlandschaft: Raumfähre Das Künstlerkollektiv Labor Fou nimmt sich gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Thomas Knüvener einem in Köln heiklen Thema an: der Fortbewegung im öffentlichen Raum. Doch statt in die üblichen Tiraden über notorisch verstopfte Straßen und verspäteten Nahverkehrs einzustimmen, entwickeln sie eine unkonventionelle Perspektive auf das Thema Mobilität und schaffen ein neues Verkehrsmittel samt Infrastruktur: eine Raumfähre, die mehrmals täglich auf dem Rhein verkehrt und Schauplatz für Veranstaltungen wird. Wenn Sie sich an dem Bau des Anlegers für die Fähre beteiligen wollen, wenden Sie sich bitte an Thomas Knüvener unter mail@architekturlandschaft.net

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Markus Ambach und Kay von Keitz: Mülheimer Wunderkammer Markus Ambach und Kay von Keitz machen sich auf zur Entdeckung Köln-Mülheims. In Anlehnung an das Prinzip der »Wunderkammern«, in der Forscher und Pioniere Fundstücke ihrer Gegenwart versammelten und in einen Kontext brachten, bewegen sie sich durch den Stadtteil und schaffen eine eigene Mülheimer Wunderkammer. Während des Festivals wird aus einem für Mülheim typischen Ladenlokal ein »Museum der Stadt«. Von hier aus starten Spaziergänge, die Vorgefundenes und Erfundenes aufgreifen und scheinbar bekannte Wege und Plätze in einem neuen Licht zeigen. Wenn Sie Gegenstände und Erzählungen zur »Mülheimer Wunderkammer« beitragen möchten, wenden Sie sich bitte an MAP-Markus Ambach Projekte unter post@markusambachprojekte.de subbotnik: Einweg-Oper DIE TROMPETEN VON JERICHO II Jede Stadt hat nicht nur ihre eigenen Geschichten, Gesichter, Farben und Gerüche, sondern auch ihre individuellen Geräuschkulissen. Für die Fortsetzung ihrer Einweg-Oper DIE TROMPETEN VON JERICHO werden sich subbotnik wieder aufmachen und den Stadtteil belauschen und befragen. Das Ergebnis ihrer akustischen Recherche wird als Zusammenspiel von Wort, Bild und Geräusch während des Festivals uraufgeführt. Auf der Bühne unter der Mülheimer Brücke führen subbotnik das Geräuschmaterial zusammen: Sie entwickeln assoziativ Geschichten, musizieren und komponieren Live-Geräuschkulissen. Am Ende steht eine große Erzählung – nicht nur über den Stadtteil und seine Bewohner, sondern auch über den vielstimmigen Möglichkeitsraum Stadt. Ab April möchte subbotnik in einen wöchentlichen Austausch mit interessierten Bewohner Mülheims treten. Wenn Sie Bilder für die Oper beisteuern oder mitmusizieren möchten, wenden Sie sich bitte an Oleg Zhukov unter oleko@gmx.de


Koproduktion Die Szenischen Forscher und Künstler aus unseren Kooperationen mit der Ruhr-Universität Bochum und der Kunsthochschule für Medien Köln entwickeln spezifische künstlerische Arbeiten für das Grande Finale.

Open Call »Die andere Seite« Im Juni vergangenen Jahres haben wir Künstler und Stadtforscher eingeladen, Projekte zum Thema »Die andere Seite« zu entwickeln. Eine Experten- und Publikumsjury hat drei Arbeiten ausgewählt, die während des Festivals präsentiert werden. Alle drei prämierten Projekte entwerfen neue Ideen für das Zusammenleben in der zukünftigen Stadtgesellschaft.

»Die Stadt ist das jeweilige Resultat von technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Notwendigkeiten und Möglichkeiten, Ansprüchen und Vorstellungen – als manifeste Materialisierung und zugleich als lebendiger Organismus. Die Rolle der Kunst in diesem Gefüge genauer zu betrachten und sie auch aktiv ins Spiel zu bringen, kann für alle Beteiligten eine ebenso spannende wie produktive Angelegenheit sein.« (Kay von Keitz)

Mülheimer Zukunftskiste – Gewinner der Expertenjury Dana Kurz, Nikolaus Hillebrand, Kyne Uhlig und Ulrike Rhode haben eine mobile Trickfilmwerkstatt entwickelt, die auf einem Lastenfahrrad durch den Stadtteil tourt und die Anwohner einlädt, ihre Wünsche und Visionen für eine Stadt von morgen festzuhalten. Der fertige Trickfilm wird an unterschiedlichen Orten im Stadtteil gezeigt. Zwei Seiten einer Fassade – Gewinner der Expertenjury Studierende des Lehrstuhls für Gebäudelehre und Grundlagen des Entwerfens der RWTH Aachen haben sich im Rahmen einer Forschungsarbeit mit Mülheimer Cafés und deren Fassaden beschäftigt. Im Rahmen des Festivals werden Spaziergänge zu den untersuchten Orten angeboten und mit den gewonnenen Erkenntnissen eine Fassadeninstallation für eines der Cafés gebaut. Dienst ohne Vorschrift – Gewinner der Publikumsjury In einer performativen Installation verwandeln Armin Nagel, Claudia Saar, Frank Böhle, Jean Marc Lehmann und Chris Mersmann die Wartehalle im Bürgeramt Mülheim in ein Service-Paradies. In Zusammenarbeit mit Bürgern und einem Kölner Kommunikationsdienstleister erfinden sie außerdem eine himmlische Service-Hotline für das Amt. Wenn Sie im Rahmen eines Workshops gemeinsam mit den Künstlern Ideen für die Halle und die Hotline entwickeln möchten, wenden Sie sich bitte an info@arminnagel.de

Das ausführliche Programm erscheint im Mai – bereits jetzt anmelden unter www.stadtsehen.koeln

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GEMEINSAM GRÖSSER DENKEN Ein Gespräch mit Eva-Maria Baumeister und Isabel Finkenberger, die das Stadtprojekt künstlerisch leiten und kuratieren. Das Stadtprojekt, angelegt über zwei Jahre, geht dem letzten Halbjahr entgegen. Was hat euch bisher besonders beeindruckt? Eva Baumeister: Ich habe den Menschen in Bezug auf die Stadt, in der sie leben, eine gewisse Gleichgültigkeit unterstellt. Es gibt aber eine große Bereitschaft, sich zu beteiligen, zu engagieren und die Stadtgesellschaft mitzugestalten! Isabel Finkenberger: Sehr spannend finde ich, wie komplex »Stadtmachen« sein kann. Es gibt zahlreiche Ebenen – strategisch, vor Ort, mittendrin und abstrakt – unglaublich viele Erfahrungen und ein breites Wissen, wie die unterschiedlichen Stadtmacher in Mülheim agieren und sich einmischen.

»Zukünftig wollen wir in einer Stadt leben, die den Menschen angepasst ist, nicht den Autos. In der Veränderungen von unten heraus passieren und nicht von oben diktiert werden. Eine Stadt, die mehr ist als nur Shopping und Restaurants. Eine Gemeinschaft, die immer wieder neu verhandelt wird.« (Thomas Quack, Labor Fou)

Und was können wir bis Juni noch erwarten? Eva Baumeister: Unser Bauwagen am Wiener Platz wird bis Juni unser Verbindungsort zum Stadtteil sein: Hier finden Performances und kleine Diskursrunden statt, die alle auf das Grande Finale im Juni hinarbeiten. Zudem gibt es im Rahmen unserer Komplizenschaften Workshops, an denen man sich beteiligen kann. Isabel Finkenberger: Neben den sehr konkreten Veranstaltungen sind wir von Anfang an dabei, die vielschichtigen Erfahrungen und Erkenntnisse miteinander in Beziehung zu setzen und zu bündeln. Dies geschieht nicht immer sichtbar, wirkt sich aber ganz konkret auf den angestoßenen Prozess und die Programmierung des Projektes aus. Wir sind außerdem nicht alleine mit dem Thema Stadt und den dort immanenten Themen unterwegs. Warum also nicht zusammen mit den vielen Verbündeten weiterdenken, auch über Juni hinaus?

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»Bei der Performance ›Trompeten von Jericho I‹ haben wir einen spektakulären Spielort entdeckt: eine Naturbühne aus Beton, direkt unter der Mülheimer Brücke. Über uns der Großstadtverkehr, unten der Blick auf den Rhein. Urban und poetisch zugleich. Die Sicht auf die andere Rheinseite wird rechts und links eingerahmt von zwei mächtigen Stahlpfeilern. Wie ein Bilderrahmen in einem Breitbandformat, der den Fokus schärft.« (Oleg Zhukov, subbotnik)

IMPULSE am Schauspiel Köln Das IMPULSE Theater Festival versteht sich als Plattform für das freie Theater im deutschsprachigen Raum. Im Juni wird auch das Schauspiel Köln zum Spielort ausgewählter Produktionen. Drei Fragen an den künstlerischen Leiter Florian Malzacher. Wie würden Sie die künstlerische Ausrichtung des Festivals beschreiben? Wir laden jedes Jahr rund zehn herausragende Produktionen des freien Theaters aus dem deutschsprachigen Raum ein. Diese Arbeiten zeichnet vor allem aus, dass sie sehr unterschiedliche ästhetische Ansätze haben – eine wirklich große Bandbreite an künstlerischen Möglichkeiten, die Welt zu sehen.

Hat sich euer Blick auf die Stadt und den Stadtteil Mülheim durch das Projekt verändert? Und inwiefern?

Gibt es eine inhaltliche bzw. thematische Klammer der ausgewählten Produktionen?

Isabel Finkenberger: Mülheim selbst ist unglaublich interessant, vielleicht einer der spannendsten Stadtteile in Köln im Moment. Sicherlich auch, weil hier gerade besonders viele Themen verhandelt werden und die Transformation besonders sichtbar ist – und weil dieses Stück Stadt eben dadurch auch besonders fragil ist.

Wir haben in den letzten Jahren einen sehr klaren Fokus auf das Verhältnis von Theater und Politik gelegt. Denn wir sind überzeugt, dass Theater ein immens politisches Potential hat. Dieses Potential liegt aber nicht allein in den Inhalten und Themen, sondern auch in der Form, wie wir zusammenkommen: Für Impulse ist Theater ein öffentlicher Raum, in dem gegensätzliche Positionen verhandelt, aber auch ausgehalten werden können. An dieser Stelle werden wir weitermachen: Die Brexit-Entscheidung kam mitten im letzten Festival, inzwischen ist Trump in den USA zum Präsidenten gewählt worden. Da stellt sich doch die Frage: Wie entscheiden wir? Was sind die Grenzen der Demokratie?

Ihr habt mit einigen Künstlern sehr eng zusammengearbeitet und tut das auch im nächsten halben Jahr auch weiter. Warum habt ihr euch diese »Komplizen« gewählt? Eva Baumeister: Wichtig bei der Auswahl der Künstler war, dass sie aus verschiedenen Bereichen oder Genres kommen und dass sie in ihrer Herangehensweise entweder vom Stadtkontext inspiriert sind oder ganz konkret in Stadtgestaltung eingreifen. Die Gruppe subbotnik etwa kommt aus dem Theater und arbeitet mit Musik und Geräuschen als Hauptelement ihrer Stücke. Material für ihre Geschichten und Texte beziehen sie direkt aus dem »Abhören« oder »Belauschen« der Stadt und ihrer Bewohner. Labor Fou – in unserem Projekt gemeinsam mit Knüvener Architekturlandschaft – baut, oft gemeinsam mit den Bewohnern, ganz konkrete Installationen oder Mobile, die Themen und Bedürfnisse des Stadtteils aufgreifen, und Markus Ambach und Kay von Keitz gehen direkt auf die Bewohner und Orte des Stadtteils zu und sammeln deren Geschichten. Isabel Finkenberger: In der Zusammenschau der Projekte, Inszenierungen und Interventionen ergibt sich ein sehr vielschichtiges Bild auf das Thema Stadt – genau das wollen wir!

Im Rahmen von IMPULSE werden in diesem Jahr auch einige Produktionen im Schauspiel Köln gezeigt. Über die Beziehung Stadttheater und freie Szene wird viel und kontrovers diskutiert. Wie sehen Sie das? Braucht es eine Abgrenzung? Für mich ist es produktiv, sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede deutlich zu machen. Wir wollen ja alle eine möglichst vielfältige Kunst. Manchmal ist ein Stadttheater der perfekte Partner für eine freie Gruppe – manchmal aber eben auch nicht. In diesem Jahr arbeiten wir bzw. die beteiligten Künstler mit einem Kunstverein, mit dem WDR, mit einem Barock-Ensemble, einem Statistischen Amt, einem Altersheim und mit dem Schauspiel Köln zusammen. Ich denke, unsere gemeinsamen Zuschauer werden interessante Querverbindungen entdecken – aber auch Gegensätze. Auf beides sind wir sehr gespannt. Das IMPULSE Festival findet vom 22. Juni bis 01. Juli 2017 statt. Mehr Informationen unter www.festivalimpulse.de

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Spielstätten depot Depot 1, Depot 2 und Grotte im Carlswerk in Köln-Mülheim Schanzenstraße 6-20 | 51063 Köln-Mülheim

OFFENBACHPLATZ Außenspielstätte am Offenbachplatz | 50677 Köln

Kartenservice in den Opernpassagen

PREISE

Kooperationspartner

Depot 1: Je nach Preis- und Platzgruppe kostet eine Karte zwischen 10 und 39 Euro. Depot 2: 17 Euro | 22 Euro (Premierenpreis) Grotte: 5 Euro Außenspielstätte am Offenbachplatz: 17 Euro | 22 Euro Schüler und Studenten zahlen nur 7 Euro auf allen Plätzen in allen Spielstätten (außer Gastspiele u. Sonderveranstaltungen).

KARTEN Den Karten- und Aboservice finden Sie in den Opernpassagen zwischen Breite Straße und Glockengasse. Öffnungszeiten Theaterkasse Mo bis Fr von 10 bis 18 Uhr, Sa von 11 bis 18 Uhr

Kulturpartner

Tickets gibt es außerdem unter www.schauspiel.koeln, über die Tickethotline 0221-221 28400 oder per Mail an tickets@buehnen.koeln

ABO-SERVICE Ihre persönliche Aboberaterin Frau Susanne Müller erreichen Sie unter susanne.mueller@buehnen.koeln oder unter der Abo-Hotline 0221-221 28240. Ausführliche Informationen zu unseren Abonnements finden Sie unter www.schauspiel.koeln

Das Schauspiel Köln wird gefördert von

Einzelne Produktionen und Projekte werden gefördert von

IMPRESSUM Herausgeber Schauspiel Köln / Intendant Stefan Bachmann Geschäftsführender Direktor Patrick Wasserbauer / Redak­tion Intendanz · Dramaturgie · Öffentlichkeitsarbeit und Künstlerisches Betriebsbüro / Konzept, Satz und Gestaltung ambestengestern.com / Druck Köllen Druck und Verlag GmbH / Auflage 40.000 / Redaktionsschluss 20.02.2017 Änderungen vorbehalten.

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Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bühnen Köln finden Sie unter www.schauspiel.koeln im Menüpunkt »Karten«. Die angegebenen Preise verstehen sich zzgl. 10 % Vorverkaufsgebühr.


Wir wollen Plankton sein von Julian Pörksen

Regie Melanie Kretschmann Uraufführung 11. März 2017 | Aussenspielstätte am Offenbachplatz www.schauspiel.koeln

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Produktionen in der AuSSenspielstätte am Offenbachplatz Karnickel

Kleines von Hannah Moscovitch

Wir wollen Plankton sein von Julian Pörksen

von Dirk Laucke

Mohamed Achour erzählt Casablanca von petschinka und Rafael Sanchez

Sprengkörperballade von Magdalena Schrefel | Uraufführung am 21. April 2017

Geächtet von Ayad Akhtar | Premiere am 24. Mai 2017

Swallow von Stef Smith Alle Termine finden Sie unter www.schauspiel.koeln

Foto Tommy Hetzel

»Es gibt keinen schlimmeren Ort als die Realität.«


Spielzeit

2016 /17

Faust Das Theaterevent FAUST I und FAUST II inklusive Abendessen am 07.05., 03.06. und 11.06.17 Faust I und Faust II Regie Moritz Sostmann Mehr Infos unter www.schauspiel.koeln

Foto Jez Timms

von Johann Wolfgang von Goethe


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