von Roberto Bolaño Eine Produktion von Si vous pouviez lécher mon coeur
Deutschlandpremiere an Ostern 2018 Beim renommierten »Festival d’Avignon« gefeiert, hebt Jungregisseur Julien Gosselin Roberto Bolaños Kultroman »2666« in einen bild- und klanggewaltigen Genremix aus Schauspiel und Kino. An den Ostertagen zeigt das Schauspiel Köln – als einziges Theater in Deutschland – sein 12 Stunden langes Abenteuer. Tickets für das Theaterevent inklusive Verpflegung sind jetzt erhältlich. Weitere Informationen unter www.schauspiel.koeln
© Foto Simon Gosselin
31. März und 01. April 2018 | jeweils von 11 bis 23 Uhr
Leben wir in revolutionären Zeiten? Alarmiert durch die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Frankreich und in den europäischen Ländern, forderte vor rund einem Jahr der französische Philosoph und Soziologe Geoffroy de Lagasnerie in seinem Buch Die Kunst der Revolte dazu auf, die demokratische Öffentlichkeit und den politischen Raum neu zu denken: Was bedeutet es heute, politisch das Wort zu ergreifen, auch hinsichtlich der Digitalisierung unserer Welt, was heißt es, ein*e Bürger*in, ein Teil eines Kollektivs zu sein? In seinem wohl bedeutendsten Drama Die Weber, das am Schauspiel Köln im Februar Premiere in der Regie von Armin Petras hat, macht Gerhart Hauptmann eine ganze soziale Schicht zum Protagonisten, indem er das Schicksal schlesischer Weber in der Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt. Er gab damit Ausgeschlossenen, Erniedrigten, Sprachlosen eine Stimme und revolutionierte so das Drama. Hauptmann, der zum Wiederaufleben der Revolution 1848 aufrief, sowie auch der von der vorrevolutionären Zeit geprägte Georg Büchner mit seinem Fragment Woyzeck von 1836, decken auf, welche fatalen Auswirkungen repressive und ungerechte gesellschaftspolitische Verhältnisse auf das Individuum, auf seine psychisch-soziale und physische Verfasstheit haben. Ihre Werke offenbaren, wie Ohnmacht und Unterdrückung in Wut und Aufruhr umschlagen. Auch heute stehen wir wieder vor einer Welt im Umbruch, in der nicht nur die Werte eines demokratischen Europas gefährdet sind, die globalen Umwälzungen, die die digitalen Entwicklungen, die Klimaveränderungen und die Migrations-
bewegungen mit sich bringen, stellen uns vor neue Herausforderungen. »Leben wir in revolutionären Zeiten?«, fragt der Spiegel-Journalist Georg Diez in seinem Essay für dieses Magazin. Er stellt fest: »Ja, das findet gerade statt – ein Aufstand gegen die Ordnung der Dinge.« Unerzählte Geschichten – ungeschriebene Geschichte Der niederländische Grafikdesigner Ruben Pater stellte für dieses Magazin mit dem Themenschwerpunkt »Revolte« einige ausgewählte Illustrationen zur Verfügung. Der Künstler will mit seinen Arbeiten visuelle Erzählungen über komplexe politische Themen schaffen. Sein sogenannter Drone Survival Guide, den Sie auf der Doppelseite 30/31 finden und der es allen ermöglicht, die am häufig verwendetsten Drohnen zu erkennen, ist bisher in Dutzende von Sprachen übersetzt worden. Pater beschäftigt sich in seinen Bildern darüber hinaus mit Katastrophen, die durch die globale Erwärmung verursacht werden, niederländischen Süßigkeiten, die alltäglichen Rassismus hervorrufen, Journalismus in Ländern, in denen Zensur ausgeübt wird und nicht zuletzt mit der digitalen Revolution und der digitalen Überwachung. Im Frühjahr 2017, als die rechtspopulistische Partei PVV (Partei für Freiheit) während des Wahlkampfes die niederländische Politik plötzlich in den Fokus der Weltöffentlichkeit manövrierte, initiierte er im Rahmen seines Zyklus‘ Untold Stories die politische Kunstaktion Facts against Fear. »Wir brauchen ein besseres Verständnis unserer kolonialen Vergangenheit in den westeuropäischen Ländern, und wir sind noch weit entfernt davon«, sagt Ruben Pater. Doch er sei zuversichtlich für die Zukunft, denn es gäbe einige sehr tapfere Künstler, Aktivisten und Schriftsteller, die an der Spitze dieses Bürgerrechtprotests stehen und ihre Zahl wachse. »Jetzt werden sie bedroht, verhaftet und lächerlich gemacht, aber ich bin mir sicher, dass sie irgendwann als Helden anerkannt werden.« Beate Heine
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inhalt Der Spielplan 2017/18 Alle Premieren im Überblick
Die nächsten 8 von 20 Premieren Inhalte, Teams und Daten der nächsten acht Produktionen
Aufstand gegen die Ordnung der Dinge Ein Essay von Georg Diez
Ich wünsche mir ein neues '68 Ein Interview mit Prof. Dr. Christoph Butterwegge
A Permission Slip Ein Post von Laurie Penny
Ein Mord, ein Park und zwei Revolten Ein Text von Doğan Akhanlı
Warum eine Rentenversicherung, wenn ich mit 50 sterbe? Eine Kolumne von Sascha Lobo
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t Love, Pain, Revolution Ein ABC von Richard Siegal
Kunst und Rebellion Ein Monolog von Armin Petras nach Fritz Kater
BRITNEY am Offenbachplatz
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Programmvorschau
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Service und Impressum
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Grafiken und Illustrationen von Ruben Pater zum Themenschwerpunkt »Revolte«
13 · 22 /23 · 28 /29 · 30 /31 · 46 /47
03
Der Spielplan 2017/18 Woyzeck
DEPOT 1
von Georg Büchner Regie Therese Willstedt Premiere 23. März 2018
Peer Gynt von Henrik Ibsen
08
Winterreise
Regie Stefan Bachmann Premiere 22. September 2017
von Elfriede Jelinek Regie Stefan Bachmann Premiere 05. Mai 2018
Romeo und Julia
Eine Übernahme vom Burgtheater Wien
von William Shakespeare Regie Pınar Karabulut Premiere 14. Oktober 2017
Don Quijote nach dem Roman von Miguel de Cervantes
Wilhelm Tell
Regie Simon Solberg Premiere 30. Mai 2018
von Friedrich Schiller Regie Stefan Bachmann Kölner Premiere 10. November 2017 Eine Koproduktion mit dem Theater Basel
Gastspiele
Mary Page Marlowe von Tracy Letts Regie Lilja Rupprecht Premiere 24. November 2017
Seite 06
Die Weber von Gerhart Hauptmann Regie Armin Petras Premiere 02. Februar 2018
08
von Richard Siegal / Ballet of Difference Choreografie und Regie Richard Siegal Weltpremiere 22. Februar 2018
04
Battlefield Basierend auf der Mahabharata und dem Stück von Jean-Claude Carrière Regie Peter Brook / Marie-Hélène Estienne 18. | 19. November 2017 Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs von Milo Rau Regie Milo Rau 02. Dezember 2017 In Kooperation mit der Akademie der Künste der Welt The Civil Wars Konzept, Text und Regie Milo Rau 21. | 22. Dezember 2017
On Body
Eine Koproduktion mit Tanz Köln und dem Muffatwerk München
Tickets im Vorverkauf erhältlich
09
2666 Basierend auf dem Roman von Roberto Bolaño Regie und Adaption Julien Gosselin 31. März | 01. April 2018
DEPOT 2
AuSSenspielstätte am Offenbachplatz
Occident Express
Frau Schmitz
von Stefano Massini
von Lukas Bärfuss
Regie Moritz Sostmann Deutsche Erstaufführung 07. Oktober 2017
Regie Rafael Sanchez Deutsche Erstaufführung 23. September 2017
Hool
Alles, was ich nicht erinnere
nach dem Roman von Philipp Winkler in einer Bühnenfassung von Nuran David Calis
nach dem Roman von Jonas Hassen Khemiri
Regie Nuran David Calis Premiere 15. Dezember 2017
Regie Charlotte Sprenger Uraufführung 11. November 2017 07
Heimwärts
Endspiel
von Ibrahim Amir
von Samuel Beckett Regie Rafael Sanchez Premiere 12. Januar 2018
Regie Stefan Bachmann Uraufführung 09. Dezember 2017
07
07
Real Fake (AT) von Import Export Kollektiv Regie Bassam Ghazi Premiere 10. März 2018
Wonderland Ave. von Sibylle Berg Regie Ersan Mondtag Uraufführung 08. Juni 2018
Rot von John Logan Regie Melanie Kretschmann Premiere 26. Januar 2018
09
Gott von Woody Allen Regie Moritz Sostmann Premiere 13. April 2018
Wir sind Affen eines kalten Gottes. Weiterhin im Repertoire Depot 1 Tod eines Handlungsreisenden | Regie Rafael Sanchez Faust I | Regie Moritz Sostmann Hamlet | Regie Stefan Bachmann Cyrano de Bergerac | Regie Simon Solberg Geschichten aus dem Wiener Wald | Regie Stefan Bachmann Außenspielstätte am Offenbachplatz Geächtet | Regie Stefan Bachmann Wir wollen Plankton sein | Regie Melanie Kretschmann Mohamed Achour erzählt Casablanca | Regie Rafael Sanchez
Ein Abend von und mit subbotnik zum 200. Geburtstag von Karl Marx Uraufführung 05. Mai 2018
Depot 2 Ansichten eines Clowns | Regie Thomas Jonigk Faust II | Regie Moritz Sostmann Istanbul | Regie Nuran David Calis Glaubenskämpfer | Regie Nuran David Calis Die Lücke | Regie Nuran David Calis Der gute Mensch von Sezuan | Regie Moritz Sostmann Habe die Ehre | Regie Stefan Bachmann Umbettung | Regie Jens Albinus Hit me Baby Vol. III | von und mit Stefko Hanushevsky und Christopher Brandt
Premiere
Die nächsten acht von zwanzig
820
24. November 2017 | Depot 1
Mary Page Marlowe
von Tracy Letts
Was ist der Mensch? Ist er die Summe seiner Erzählungen? »Welche elf Szenen würden Sie auswählen, wenn Sie die Geschichte Ihres Lebens erzählen sollten?«, fragt der amerikanische Dramatiker Tracy Letts, als er zu seinem ungewöhnlichen Porträt eines unauffälligen Frauenlebens interviewt wird. Es sind nicht nur die glücklichen und erfolgreichen Momente eines Lebens, von denen er in seinem neuen Stück erzählt. Es gibt auch die traurigen, die Momente des Scheiterns und die, in denen falsche Entscheidungen getroffen wurden. Und da das Leben kein Kontinuum ist, wie Letts sagt, auch wenn es sich so anfühlen mag, zoomt er in die unterschiedlichen Lebensphasen seiner Protagonistin Mary Page Marlowe, verlässt dabei die Chronologie, springt hin und her, von der Midlifecrisis in die Collegezeit, von dort an das Ende im Krankenbett, um wieder zum Anfang des Lebens zu gelangen. Letts, der international bekannt wurde durch sein preisgekröntes Drama Eine Familie (August: Osage county), zeigt die verschiedenen Identitäten im Verlauf eines Lebens. Er erzählt von einer Frau, die sich fremd in der Welt fühlt, die sich immer wieder die Frage stellt: Bin ich die, die ich zu sein scheine? In ihren verschiedenen Lebensphasen versucht sie, dieses Gefühl zu ergründen, zu verdrängen oder aufzulösen. Versuche, die mal in Therapien oder im Drogenmissbrauch enden – ein ganz unauffälliges Leben eben. Regie Lilja Rupprecht Bühne Anne Ehrlich Kostüme Annelies Vanlaere Musik Romain Frequency Video Moritz Grewenig Dramaturgie Beate Heine
06
zweivondrei | Die nächsten acht von 20
Premiere 15. Dezember 2017 | Depot 2
Hool Uraufführung 09. Dezember 2017 | Offenbachplatz
Heimwärts
von Ibrahim Amir
Mehr als ein halbes Leben war Wien für Hussein sein Zuhause. Nun aber, wo es ums Sterben geht, hat er nur noch einen Wunsch: zurück nach Syrien. Dort die letzten Atemzüge machen und begraben werden – in seinem Heimatland. Und so macht sich Hussein auf den Weg, begleitet von seinem Neffen Khaled, dem Arzt Osman und der transsexuellen Sanitäterin Simone. Ihre »Reise« entspricht der Route Millionen Flüchtender – nur eben in die andere Richtung. Bevor sie ihr Ziel erreichen, verstirbt Hussein und die drei Übriggebliebenen stranden mit einer Leiche im Gepäck im türkischen Niemandsland. Das Ausstellen der Todesurkunde sollte ein Routinevorgang sein, wäre da nicht der ehrgeizige Beamte Bekir, der in der kleinen Reisegruppe eine Ansammlung von dubiosen Individuen sieht – erst Recht als im Land ein Ausnahmezustand ausbricht, der aus allen Verdächtige macht. Zum zweiten Mal schreibt Ibrahim Amir, der aus Syrien stammt und in Österreich lebt, ein Stück im Auftrag des Schauspiel Köln. Mit untrüglichem Gespür für aberwitzige Situationen und menschliche Abgründe thematisiert er die Bedeutung von Heimat und Zugehörigkeit.
nach dem Roman von Philipp Winkler Bühnenfassung von Nuran David Calis
Premiere Heiko ist Hooligan. Seine Freunde Jojo, Ulf und Kai auch. Regelmäßig fahren sie zu arrangierten Treffen, um sich mit Hools aus anderen Städten zu prügeln. Geschunden, adrenalingestärkt und glücklich kehrt die Truppe nach den Schlägereien zurück nach Hause. Das ist das Umland Hannovers, wo sein AlkoholikerVater und die neue thailändische Frau Mie wohnen und Heikos Onkel Axel das zwielichtige Wotan Boxing Gym betreibt. Doch die eigentliche Familie sind die Kumpels, mit denen Heiko in der alteingesessenen Kneipe »Timpen« abhängt. Als die Truppe eines Tages beschließt, gemeinsam nach Braunschweig zu fahren, um ein paar Fascho-Hools vor einer Kneipe »aufs Maul zu hauen«, nimmt die unheilvolle Geschichte ihren Lauf … Phillip Winklers Roman, mit dem der Autor 2016 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, ist eine energiegeladene und raue Comingof-Age-Geschichte, die mitreißende Einblicke in eine sich am Rande der Illegalität bewegende Jugend gewährt. Nuran David Calis, der in den vergangenen Spielzeiten am Schauspiel Köln DIE LÜCKE, GLAUBENSKÄMPFER und zuletzt ISTANBUL inszenierte, bringt diesen bemerkenswerten Text auf die Bühne. Regie Nuran David Calis Bühne Anne Ehrlich Kostüme Tine Becker Musik Vivan Bhatti Dramaturgie Stawrula Panagiotaki
12. Januar 2018 | Depot 2
Endspiel von Samuel Beckett
»Es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende« – so heißt es gleich zu Beginn von Becketts düsterer Komödie. In einer schwindenden Welt sind sie übriggeblieben, Hamm, der Herr, Clov, der Knecht, sowie Hamms Eltern, die »verfluchten Erzeuger«. Sie können nicht fort, sie sind gefangen in gegenseitiger Abhängigkeit an einem trostlosen Ort. Und so spielen sie das unendliche Endspiel, sie reden an gegen die Hoffnungslosigkeit, die überall lauert. Es sind verzweifelte Clowns, die mit großem Witz und voller Boshaftigkeit gegen das Nichts ankämpfen: »Die Zone der Indifferenz drängt von innen nach außen« (Adorno). Die einzige Waffe, die bleibt, ist Humor. Das Stück, das 1956 uraufgeführt wurde, festigte Samuel Becketts Ruf als bedeutendster Autor des absurden Theaters. Eine bitterböse Komödie, ein existenzieller Text – in einer Inszenierung von Rafael Sanchez, Hausregisseur am Schauspiel Köln. Regie Rafael Sanchez Bühne Thomas Dreißigacker Kostüme Maria Roers Musik Cornelius Borgolte Dramaturgie Beate Heine
Regie Stefan Bachmann Bühne und Kostüme Jana Findeklee ∙ Joki Tewes Dramaturgie Julian Pörksen
07
zweivondrei | Die nächsten acht von 20
Premiere 02. Februar 2018 | Depot 1
Die Weber
von Gerhart Hauptmann
Mitte des 19. Jahrhunderts in einem kleinen Ort in Schlesien: Die Lebensbedingungen der ansässigen Weber verschlechtern sich zusehends. Durch die Mechanisierung der Webstühle gehen Arbeitsplätze verloren, und die, die noch Arbeit haben, müssen sich dankbar schätzen und sind der Willkür des Fabrikanten Dreißiger ausgeliefert. Lohnkürzungen, katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen, Krankheit und bitterliche Armut sind die Folgen. Unter den Webern herrschen Resignation und Verzweiflung, aber auch blanke Wut. Zu verlieren gibt es nichts, und so entzündet sich eine Stimmung des Aufbegehrens, die zur Revolte wird. Mit DIE WEBER hat Gerhart Hauptmann 1892 ein bahnbrechendes soziales Drama geschrieben, das das Schicksal einer ganzen Bevölkerungsgruppe ins Zentrum stellt. Schonungslos und drastisch beschreibt er die entwürdigende Armut unter den Webern und demgegenüber die wohlhabende Lebensweise und Weltsicht des Industriellen Dreissiger. Armin Petras, der für seine kraftvollen Inszenierungen bekannt ist, wird Hauptmanns Gesellschaftspanorama im Depot 1 mit großer Besetzung auf die Bühne bringen. Regie Armin Petras Bühne Olaf Altmann Kostüme Patricia Talacko Musik Kornelius Heidebrecht Choreografie Denis »Kooné« Kuhnert Dramaturgie Sibylle Dudek
08
Premiere 23. März 2018 | Depot 1
Woyzeck
von Georg Büchner
Er wird verlacht und ausgenutzt, erniedrigt und beleidigt: Woyzeck, der einfache Soldat, wird von einer brutalen Gesellschaft ausgebeutet und zwischen fremden Mächten zerrieben. Als Diener seines Hauptmanns verdient er kaum genug, um seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind zu unterstützen. Sein Nebenverdienst als medizinisches Versuchskaninchen eines skrupellosen Arztes kostet ihn seine körperliche Gesundheit. Und seine ohnehin angeschlagene Psyche wird schließlich vollständig zerrüttet, als sich ein lang schon schwelender Verdacht bestätigt: Marie, die Frau, der er Sold und Gesundheit opfert, betrügt ihn mit dem Tambourmajor. Es ist ein radikaler, ein sozialrevolutionärer, satirischer und tragischer Text, den der 23-jährige Georg Büchner seiner Nachwelt unvollendet hinterlassen hat. WOYZECK ist Vorläufer des modernen Dramas, eine luzide Studie über Gewalt und Wahn, über Macht und Ohnmacht, Willensfreiheit und Fremdbestimmung. Nach ADAMS ÄPFEL kehrt die schwedische Regisseurin Therese Willstedt mit einer Inszenierung von Georg Büchners Dramenfragment ans Schauspiel Köln zurück. Regie Therese Willstedt Bühne und Licht Mårten K. Axelsson Kostüme Birgit Bungum Musik Emil A. Høyer Dramaturgie Julian Pörksen
Weltpremiere 22. Februar 2018 | Depot 1
Premiere
On Body
26. Januar 2018 | Offenbachplatz
Choreografie Richard Siegal Eine Koproduktion mit Tanz Köln und dem Muffatwerk München
Rot von John Logan
Ein Tornado halsbrecherischer Pirouetten. Ballerinas auf Spitzenschuhen im Blitzlichtgewitter. Abstrakte Technobeats. Bei Richard Siegals neu gegründeter Kompanie Ballet of Difference begegnen sich klassische Ballett-Tradition, Contemporary Dance und Pop-Kultur auf Augenhöhe. Nach dem umjubelten Erfolg von MY GENERATION kehrt Richard Siegal mit Ballet of Difference zurück ins Schauspiel Köln. Der neue Abend ON BODY beleuchtet den Körper aus unterschiedlichen Perspektiven: Als künstlerisches Ausdrucksmittel zwischen kultureller Codierung und künstlerischer Prägung, zwischen realer Präsenz und digitaler Repräsentation und nicht zuletzt als Projektionsfläche kapitalistischer Aneignungsstrategien. Die drei Teile des Abends reflektieren nicht nur die ästhetischen Wendepunkte in der Karriere des US-Choreografen, sondern werfen auch einen Blick in die Zukunft des Tanzes. Ausgangspunkt ist das wegweisende Stück UNITXT (2013). Demgegenüber steht das 2017 entstandene Stück BoD, das als Titel gebende Arbeit für Ballet of Difference programmatischen Charakter hat: Das erste Stück, das mit der neuen Kompanie entstand, kombiniert körperliche Ausdrucksformen unterschiedlicher ethnischer Traditionen und ästhetischer Sozialisierungen zu einem elektrisierenden Amalgam als Ausdruck einer kulturell reichen und diversen Gegenwart.
Den Höhepunkt des Abends markiert eine neue Arbeit Richard Siegals, die im Kontext der anderen beiden Choreografien zur Uraufführung gebracht wird: In BALLET 2.018 legt Siegal den Fokus auf die subtilen Energieströme, die zwischen menschlichen Körpern zirkulieren. Künstlerische Leitung und Choreografie Richard Siegal Dramaturgie und musikalische Beratung Tobias Staab Musik DJ Haram (BoD), Lorenzo Bianchi Hoesch (Komposition für BALLET 2.018) Alva Noto (UNITXT) Kostüme Chromat/Becca McCharen (BoD), Richard Siegal (BALLET 2.018) Konstantin Grcic (UNITXT), Licht Gilles Gentner (BoD, BALLET 2.018), Richard Siegal (UNITXT) Stylistin Edda Gudmundsdottir (BoD) Ballettmeister Caroline Geiger, Diego Tortelli
Ende der 1950er Jahre: Mark Rothko, Entwickler des Abstrakten Expressionismus und Meister der Farbfeldmalerei, ist auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Er hat gerade den Auftrag für eine Serie von Wandbildern für das neue Seagram Building in New York bekommen – dotiert mit dem höchsten Honorar, das je einem/einer Maler*in gezahlt wurde. Er stellt einen Assistenten an, ihm bei der Vorbereitung der Leinwände zu helfen. Ken ist jung und hat einen anderen Blickwinkel auf Kunst und Gesellschaft. Dem klugen, aber sehr exzentrischen Wesen Rothkos kann er sich zunächst nur unterordnen – im Laufe der Zeit wächst aus der Beziehung zwischen Meister und Schüler jedoch eine Begegnung auf Augenhöhe, die beide ihre Rolle neu überdenken lässt. ROT entspinnt eine Auseinandersetzung mit den großen Themen Kunst, Gesellschaft und Tod – berührend und flirrend wie Rothkos Bilder selber ... John Logan, geboren 1961 in San Diego, schrieb nach seinem Abschluss an der Northwestern University in Chicago zahlreiche Theaterstücke, bevor er ab 2000 vorwiegend als Drehbuchautor tätig ist (u.a. die oskarnominierten Drehbücher für The Aviator und Gladiator). Für sein Theaterstück Rot wurde er 2010 mit dem Tony Award ausgezeichnet. Regie Melanie Kretschmann Künstlerische Mitarbeit Carl Hegemann Bühne Thomas Garvie Kostüme Nadja Zeller Musik Gregor Schwellenbach Licht Jan Steinfatt Dramaturgie Michaela Kretschmann
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Ein Essay von Georg Diez
Leben wir in revolutionären Zeiten? Die Spitzfindigen, und ich kann sie schlecht leiden, weil sie in ihrer Spitzfindigkeit oft so selbstzufrieden sind und die Welt unter ihren Stabfingern zerbröselt, würden sicher erstmal definieren wollen, was eine Revolution ist. Kann sie nur von links kommen, was auch immer das ist, aber dazu vielleicht später mehr? Oder kann sie auch von rechts kommen, was auch immer das ist, davon sicher später mehr? Was also ist der Unterschied zwischen revolutionär und reaktionär? War die konservative Revolution der 1920er Jahre eine Revolution? Sicher nicht per se, denn allein aus diesem Geist und dem schrecklichen Schreiben der Ernst Jüngers dieser Welt, die heute wieder hofiert werden und gelesen und in ihrer Eiseskälte zelebriert von den blassen Feuilletonisten, wurden etwa keine neue Institutionen geschaffen, und das ist eines der Merkmale einer Revolution. Carl Schmitt wiederum hat sehr direkt in das Denken hineingewirkt, das dann die Nazimordgerichtsmaschine wurde. Aber auch Carl Schmitt wird ja heute wieder gelesen, fast als sei nichts gewesen. Anders gesagt, wir leben ziemlich sicher in revolutionären Zeiten, aber die Revolution ereignet sich an einem anderen Ort als die Revolte dagegen. Denn das findet ja statt, ein Aufstand gegen die Ordnung der Dinge, und zwar ein Aufstand von rechts. Revolution und Revolte sind also voneinander getrennt, sie hängen zwar zusammen, aber das eine, die Revolte, ist mehr eine Reaktion auf das, was die Revolution vorantreibt: Also wahlweise und vor allem der technologische Schnellzug, der durch das Leben der Menschen rast und einen Haufen Konfusion hinterlässt und dabei auch die Möglichkeit bietet, alles mögliche neu und anders zu definieren, definieren zu müssen, im Zweifelsfall, denn die Technik ist erstmal ziemlich klar und wenig kompromissbereit, wenn man sie lässt.
Der linken Revolution geht es um das Morgen, um den Horizont der Zukunft, um eine bessere Welt. Die rechte Revolution dagegen spielt die Vergangenheit gegen die Gegenwart aus. Die Angst, mit anderen Worten, die fast immer am Grund der Revolte liegt, verbunden mit dem Zwillingsbruder Wut, der aus der Angst die Raserei werden lässt und die Gefahr bedeutet, diese Angst ist eine vor den Veränderungen, die das Leben, die Existenz, den Urgrund des Seins und das Wesen des Menschen neu bestimmen. Man ist immer leicht dabei zu behaupten, dass die Zeit, in der man lebt, irgendwie einzigartig ist, und der Blick zurück in die Geschichte zeigt dann
meistens, dass das nicht so richtig stimmt. In diesem Fall, in unserem Fall, ist es, glaube ich, anders. Es zeigt sich, wie krass und auch gefährlich sich hier verschiedene Entwicklungen überlagern, am ehesten vergleichbar mit der Zivilisationsschwelle der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert, als sich das Welt- und Menschenbild vollständig revolutionierte durch die Entdeckungen und Erkundungen unter anderem von Gutenberg, Kopernikus, Columbus, Luther, da Vinci – technologische, wirtschaftliche, geistige und politische Brüche, die zu Jahrhunderten von Kriegen führten. Das ist immer das, was mitschwingt in diesen europäischen Zeiten, wenn sich Revolten vorbereiten, es scheint eine DNA der Erinnerung zu geben oder einfach ein kulturelles Gedächtnis, das diese Verwüstungen gespeichert hat. Zieht Pegida durch die Straßen, scheinen da die Bauernhorden des 16. Jahrhunderts und die braunen Horden des 20. Jahrhunderts durch – zwei sehr sehr unterschiedliche Volksbewegungen, beide blutig, die eine gegen die Autoritäten gerichtet, die andere gegen Andere gerichtet, Schwache, Juden, Linke, Andersdenkende. Diese Bilder überlagern sich, mit der Rückkehr der Geschichte, die wir gerade erleben, kehren auch die Assoziationen und die Verbindungen durch die Jahrhunderte zurück. Die rechte Revolte in diesem Land und in ihrer antidemokratischen, ausländerfeindlichen, antisemitischen, antimuslimischen, dumpfdeutschen Art und Ausprägung ist deshalb auch ein Schock der Geschichte in einer eigentlich geschichtslos gewordenen Zeit.
Rechte Revolte, linke Ratlosigkeit Das Wesen der linken Revolution, wenn man sie auf die Begriffe Emanzipation, Gerechtigkeit, Freiheit, Individualismus, Solidarität konzentriert, ist dabei immer eine Revolution, der es um das Morgen geht, um den Horizont der Zukunft, um eine bessere Welt. Das Wesen der rechten Revolution dagegen ist es, die Vergangenheit gegen die Gegenwart auszuspielen, eine Ordnung im Mythos zu suchen und das als Geschichte auszugeben, die Rationalität der Abläufe also zu verstellen und verkleistern, überhaupt in ihrem Anti- oder Irrationalismus einen übersteigerten Gruppenzusammenhalt zu konstruieren, der sich über Feinde definiert – es geht letztlich um autoritäres Verhalten, also Unterordnung und Abgrenzung, und das macht es letztlich heute so schwierig, die rechte Revolution auf die Personen oder Organisationen zu konzentrieren, die offensichtlich rechts oder rechtsextrem bis rechtsradikal sind. Der Aufstand von rechts kommt heute eben sehr oft aus der Mitte, und überhaupt sind diese räumlichen Anordnungen zunehmend fragwürdig, weil sie eine falsche Abtrennung oder Abgrenzbarkeit suggerieren. Es gibt, würde ich be-
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zweivondrei | Aufstand gegen die Ordnung der Dinge
haupten, rechts und links insofern nicht mehr, als sich zwei Lager identifizieren ließen. Es gibt linkes und rechtes Denken, das sich wiederum sehr gut identifizieren lässt. Die rechte Revolte allerdings umfasst eben auch Menschen und Milieus, die eigentlich traditionell eher links sind, die Arbeiter etwa, die sich von einer eher linken Partei wie der SPD nicht mehr vertreten fühlen und sich aus Wut gegen die Folgen einer ungeregelten und ungerechten Globalisierung den Rechten zuwenden, von Trump und Le Pen bis zur AfD. Die Kritik gegen diese Zustände, eine Globalisierung, die sehr ungleich funktioniert und viele Gewinner und auch viele Verlierer kennt, kommt dabei ja auch von links, also durch linkes Denken, das von Leuten vorgetragen wird, die wiederum eher die ökonomischen Grundlagen dieser ungerechten Ordnung attackieren, als Mauern gegen Mexikaner zu fordern.
Es ist eine Enteignung im Riesenstil, es ist eine gestohlene Zukunft für Milliarden von Menschen durch das eine Prozent. Es geht also, wenn man die rechte Revolte analysieren will, vor allem darum, die Argumente und Begriffe zu nehmen und zu benennen. In revolutionären Zeiten gibt es immer Antworten, die in die Vergangenheit weisen, und Antworten, die nach vorne weisen. Nicht alle Antworten, die aus so genannten linken Kreisen kommen, sind nach vorne gerichtet. Sie sind damit noch nicht rechts im klassischen Sinn. Sie sind aber, würde ich argumentieren, eben auch nicht links, weil sie die Möglichkeit, gemeinsam eine bessere Welt zu konstruieren, aus eher taktischen Gründen aufgeben und sich mehr um die Klientel kümmern, die in ihrer unmittelbaren Nähe lebt. Womit auch schon ein weiterer Punkt der rechten Revolte und der scheinlinken Schwammigkeit benannt ist: Der globale Horizont, die weltweiten Auswirkungen von so wesentlich revolutionären Faktoren wie dem Klimawandel, der die Gemütlichkeit der Positionen wegfegt wie ein hyperaktiver Herbststurm. Wenn also die rechte Revolte auf die linke Ratlosigkeit oder Kleingeistigkeit trifft, wenn die Ideenarmut und die Mutlosigkeit überwiegt, dann überlässt man die Zukunft denen, die daran arbeiten, weil sie es können, und nicht, weil sie wüssten, wohin sie wollen oder was das Ganze soll. Die Gefahr damit, sich in diesen Positionen von rechts und links zu verheddern, ist die Tatsache, dass die Welt in den Laboren und Großraumbüros von Google, Facebook, Apple und all den anderen Tech-Groß- und Kleinfirmen mehr verändert wird als in den vergangenen 500 Jahren. Das rechte Potential dieser Veränderungen – im Sinne von: autoritär, gleichschalterisch, manipulativ und freiheitsfeindlich – ist
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ungeheuer. Noch sind diese Firmen nicht in den Händen von Leuten, die dieses Potential voll ausschöpfen, obwohl man sich da auch nicht so sicher sein kann, die Frage ist eben, was passiert, wenn Mark Zuckerberg etwa tatsächlich 2020 amerikanischer Präsident werden will. Er ist kein Rechter mit rechten Positionen. Er besitzt allerdings eine Firma, die, mit russischen Milliarden, die Wirkweisen der Demokratie schon jetzt auf eine Art und Weise verzerrt, dass echte Rechte davon eigentlich nur träumen können. Man muss also genau sein und genau hinschauen in diesen erst einmal ziemlich komplizierten Zeiten, in denen sich so viele Dinge gerade neu sortieren. Die Unsicherheit, die aus dieser so empfundenen oder realen Überforderung resultiert, ist einer der Gründe für die autoritären Anwandlungen vieler Menschen. Der Druck auf die Demokratie wächst, von außen wie von innen. Die Deformationen dieser Regierungsform haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zugenommen, die Legitimität wird nicht nur von Extremen angegriffen. Der Abbau etwa des politischen Handelns und Handwerks in den USA und der Angriff auf die Gerichte kommt nun aus der Mitte, von ganz oben, und die Kleptokratie führt vor aller Augen ihre Beutezüge durch Steuererleichterungen und Spekulationsgewinne durch Niedrigzinsen. Es ist eine Enteignung im Riesenstil, es ist eine gestohlene Zukunft für Milliarden von Menschen durch das eine Prozent. Ist das eine rechte Aktion? Ich würde sagen, eindeutig ja. Es ist Vernichtung von Zeit, die vor uns liegt, zum Gewinn und zur Bereicherung einer kleinen Gruppe von Profiteuren. Dass dieser stille rechte Putsch wiederum eine echte rechte Revolte produziert, ist, auch wenn es frustrierend ist, weniger widersprüchlich, als es scheint. Das eine bedingt das andere, es sind die zwei Seiten der Zange, in die der Kapitalismus in seiner radikalen Ausprägung die westlichen Gesellschaften genommen hat. Rechte Revolten, das zeigt die Geschichte, haben stets wenig an diesen Machtverhältnissen geändert, das ist, neben all dem tödlichen Hass, eine Kontinuität. Die rechte Revolte ist damit immer ein Werkzeug, nie ein Zweck. Sie führt unweigerlich zu mehr und mehr Wut, denn der Grund der Raserei wird nicht beseitigt, im Gegenteil, die Verhältnisse verschärfen sich noch und führen somit zu mehr und mehr Gewalt, direkter oder indirekter. Die rechte Revolte ist damit nicht das eigentliche Problem, sie ist erst einmal ein Symptom.
Georg Diez schreibt für Spiegel Online die Kolumne S.P.O.N. – Der Kritiker. Er arbeitet als Theater- und Literaturkritiker für verschiedene Zeitungen und veröffentlicht Bücher u.a. The Rolling Stones, Der Tod meiner Mutter und Die letzte Freiheit. Er ist Mitglied der 2016 ins Leben gerufenen Bewegung »Demokratie in Europa 2025«.
SPIONAGER ÄTSEL Five Eyes ist das mächtigste Spionagenetzwerk der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichneten fünf Nationen ein Abkommen, in dem sie vereinbarten, untereinander Informationen und Technologien auszutauschen. Das Abkommen sollte vor dem Rest der Welt geheim gehalten werden. Bei diesem Rätsel können Sie die Landkarten dieser Nationen finden. Nach welchen fünf Nationen suchen wir?
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Ich wünsche mir ein neues
Es sind Texte von großer sozialrevolutionärer Sprengkraft – Georg Büchners WOYZECK und Gerhart Hauptmanns DIE WEBER. Wir haben diese beiden Stücke zum Anlass genommen, den Armutsforscher Professor Dr. Christoph Butterwegge über Formen der Armut, über Ausbeutung und das Ausbleiben einer Revolte zu interviewen. 14
Wie sieht Armut in Deutschland im Jahr 2017 aus? Die Armut heute ist ja sicherlich eine andere als die, die in DIE WEBER oder WOYZECK geschildert wird. Das habe ich auch immer gedacht, bis ich durch eine alte Frau des Gegenteils belehrt worden bin. Ich war zu Gast in einer Live-Sendung des Deutschlandfunks zum Thema »Altersarmut«. Da rief eine Kleinstrentnerin aus München an und schilderte ihren Alltag. Dass sie abends im Dunkeln sitzt, um Strom zu sparen, vor einem Glas warmer Milch, weil ihre Oma ihr in der Kindheit erzählt hat, dass man den Hunger nicht spürt, wenn man warme Milch trinkt. Ich selbst habe immer geschrieben, dass die Armut heute eine andere ist als in der Nachkriegszeit – aber in dem Moment habe ich mich gefragt, ob wir uns nicht etwas vormachen. Wenn jemand in einer reichen Stadt wie München in einer verschimmelten Wohnung lebt und nichts unternehmen kann – weder Freunde im Restaurant treffen noch in den Biergarten oder ins Kino und erst recht nicht ins Theater gehen kann, ist das dann nicht doch die gleiche Armutsform? In aller Regel wird gesagt, dass es bei uns – wenn überhaupt – nur relative Armut gibt. Absolute Armut wird hingegen mit der »Dritten« oder »Vierten Welt« in Verbindung gebracht. Obdachlose, total verelendete Drogenabhängige und Illegale, die ich lieber Illegalisierte nenne, leiden aber auch in Deutschland unter absoluter Armut. Sie leben zum Teil in noch schlimmeren Verhältnissen als jene Anruferin, die übrigens die Witwe eines Bankrott gegangenen Druckereibesitzers ist. Wodurch unterscheiden sich absolute und relative Armut? Können Sie etwas zu den Begriffen sagen? Absolut arm ist jemand, der seine Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann: wer also nicht genug zu essen hat, kein sicheres Trinkwasser, keine den klimatischen Bedingungen angemessene Bekleidung, kein Obdach und keine medizinische Grundversorgung. Relativ arm ist jemand, der seine Grundbedürfnisse zwar befriedigen, sich aber vieles von dem nicht leisten kann, was in jener Gesellschaft, in der er lebt, für fast alle normal ist: Er kann nicht am sozialen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen. Ich finde, dass man die relative Armut, die bei uns meist verharmlost, relativiert und beschönigt wird, genauso ernst nehmen muss wie die absolute Armut. Wenn ein Jugendlicher im tiefsten Winter, bekleidet mit einem T-Shirt und Sandalen, auf einem Schulhof steht und von den Klassenkameraden und Klassenkameradinnen ausgelacht wird, dann ist das vermutlich viel schlimmer für ihn, als die Kälte zu spüren. Wer relativ arm ist, wird sozial ausgegrenzt; ihm wird vorgeworfen, ein Drückeberger, Faulenzer und Sozialschmarotzer zu sein. Diese soziale Ausgrenzung, das begreifen viele Mitbürger nicht, kann für den Betroffenen demütigender, erniedrigender und deprimierender sein als absolute Armut, also das Leben im Slum in Nairobi, wo alle anderen um einen herum auch arm
sind. Dort macht es einem kein Mensch zum Vorwurf, dass man in einer Hütte statt in einem Palast lebt. Bei uns ist das ganz anders. Die Armen werden von der Gesellschaft für ihre soziale Misere selbst verantwortlich gemacht. Nach einiger Zeit übernehmen sie diese Schuldzuweisung, halten sich selbst für Versager und trauen sich nicht mehr aus der Wohnung – was sie sich auch finanziell kaum leisten können –, schämen sich und resignieren häufig. Hartz-IV-Bezieher sind zu einem viel höheren Anteil gesundheitlich und psychosozial beeinträchtigt als die Normalbevölkerung – das hat mit dem geschilderten Mechanismus zu tun. Deswegen finde ich, eine derart reiche Gesellschaft wie unsere darf nicht den Fehler machen, Armut so zu definieren wie vor hundert Jahren oder zu Zeiten des Weberaufstandes von 1844. Das wird häufig als Kriterium angelegt: Nur wenn jemand von Wasser und Brot lebt, ist er arm. Bei den Reichen würde man das nie machen. Reichtum sieht heute auch anders aus als 1844. Er besteht nicht mehr darin, eine Kutsche oder einen Reitstall zu besitzen. Reichtum ist das Gegenteil von Armut und beides gehört zusammen. Wie lässt sich der Zusammenhang beschreiben? Häufig ist ja die Rede davon, dass die soziale Schere immer weiter auseinanderklaffe. Brecht hat das so schön ausgedrückt in einem Vierzeiler: »Armer Mann und reicher Mann / standen da und sahen sich an, / und der Arme sagte bleich, / wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich.« Wenn in der Finanzkrise mehr Menschen ihr Girokonto überziehen und hohe Dispozinsen zahlen müssen, werden diejenigen, denen die Banken gehören, noch reicher. Und wenn in der Wirtschaftskrise mehr Familien beim Lebensmitteldiscounter einkaufen, werden die Familien, denen diese Ketten gehören – die Familie Schwarz bei Lidl und die Familie Albrecht bei Aldi – noch reicher. Und die haben schon jetzt ein Privatvermögen von 20 bis 30 Milliarden Euro. Also, dieser strukturelle Zusammenhang von Armut und Reichtum besteht auch heute noch. Und er spaltet die Gesellschaft. Aber diese Ungerechtigkeit führt heute nicht zum Aufstand, oder nur sehr vereinzelt. Eine breite soziale Bewegung entsteht nicht daraus. Das hat auch Büchner schon so beschrieben: Die Impulse für einen Aufstand kommen eher aus den oberen Schichten, führen aber nicht zur Revolte. Er träumte von einer Revolution von unten: »Ich [...] habe in neuerer Zeit gelernt, daß nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann, dass alles Bewegen und Schreien des Einzelnen vergebliches Torenwerk ist.« Heutzutage wirkt Armut entsolidarisierend. Da es in unserer Gesellschaft viele Wohlständige und Reiche gibt sowie eine relativ breite Mittelschicht, die es damals noch nicht
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zweivondrei | Ich wünsche mir ein neues '68
gab, entsteht der Eindruck, jeder könne es schaffen, wenn er sich nur anstrengt. Das ist auch die große Erzählung der frühen Bundesrepublik gewesen: Wer sich anstrengt, fleißig ist und etwas leistet, wird mit Wohlstand bis ans Lebensende belohnt. Dieses Aufstiegsversprechen hat sich heute in Abstiegsangst transformiert. Fast drei Viertel der Beschäftigten, die im Niedriglohnsektor tätig sind, haben einen Berufsabschluss, elf Prozent sogar einen Hochschulabschluss. Wer sich anstrengt, lebt folglich nicht automatisch fernab der Armut. Er kann nur eine schwere Krankheit oder eine Kündigung von der Armut entfernt sein ... Ein Aufstand mit massenhaftem Blutvergießen wäre sicherlich nicht der richtige Weg, um eine Gesellschaftsveränderung herbeizuführen. Eine Möglichkeit, den Kapitalismus sozialer zu gestalten, sind Wahlen. Aber selbst das funktioniert ja nicht. Die sozial Benachteiligten gehen immer weniger zur Wahl. Sie haben ja nicht ohne Grund den Eindruck, dass sie weder von den etablierten Parteien noch von der Regierung politisch repräsentiert werden, dass ihre Interessen keine Rolle spielen. Sie sind viel zu geschwächt, resigniert, misstrauen diesem System und sind, zumindest manche, dadurch anfällig für rechten Populismus – wenngleich ich den eher in der kleinbürgerlichen Mitte verorte. Der Aufstand bei DIE WEBER resultiert nicht aus einem durchdachten Umsturzplan. Es gibt auch keine Vision für die Zeit danach. Der Aufstand ist impulsiv, die Schmerzgrenze ist überschritten. Na gut, aber die Weber bekamen auch kein Hartz IV. Das Arbeitslosengeld II und andere Transferleistungen des Staates sind auch ein Mittel, die Armen ruhig zu stellen. Dadurch können Hungerdemonstrationen verhindert werden. Und deswegen ist die heutige Gesellschaft schwer mit der im 19. Jahrhundert zu vergleichen, die keine sozialstaatlichen Sicherungsmechanismen kannte. Zusammenschließen können sich die Armen aber auch deshalb nicht, weil sie isoliert sind. Das war übrigens in der Weimarer Republik noch anders: Es gab lange Schlangen vor den Arbeitsämtern, da wurde das Geld bar ausgezahlt, und da agitierten dann KPD, SPD und Erwerbslosenausschüsse. Heute wird das Geld vom Jobcenter auf das Girokonto überwiesen. Zudem wirken heute Ideologien, die es seinerzeit nicht oder nicht massenmedial verbreitet gab. Damals hat man wahrscheinlich aus einem Gefühl heraus rebelliert, heute ist man selbst Mitglied einer Gesellschaft, einer politischen Kultur und hat ihre ideologischen Mythen verinnerlicht. Zum Beispiel die neoliberale Leistungsideologie. Heute ist in der Gesellschaft, in ihrem geistigen Überbau, wie ich das nennen möchte, fest verankert, dass Leistung nötig ist und mit Reichtum belohnt wird, während Armut eine Strafe für Leistungsunwilligkeit oder Leistungsunfähigkeit darstellt. Die zwei reichsten Geschwister unseres Landes, Susanne Klatten
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und Stefan Quandt, haben in diesem Mai eine Milliarde und 74 Millionen Euro nur an Dividenden aus BMW-Aktien für das Vorjahr bezogen – völlig leistungslos. Es heißt immer, Leistung müsse sich lohnen, es ist aber keine Leistung, der Sohn oder die Tochter eines Konzernbesitzers zu sein, den man beerbt wie die Kinder von Herbert und Johanna Quandt. Das sind feudale Verhältnisse … Ja, ich sehe einen finanzmarktkapitalistischen Neofeudalismus bei uns entstehen. Lange Zeit war es in der alten Bundesrepublik verpönt, Luxus zu zeigen. Heute ist die neoliberale Leistungsideologie so stark in den Köpfen verankert, dass man Reichtum sogar fördern muss. Die Regierung entlastet die Reichen immer stärker, während die Armen gleichzeitig mit der Mehrwertsteuererhöhung von 16% auf 19% stärker belastet werden. Die Wahnidee dahinter ist: Wenn man den Reichtum fördert, nutzt das auch den Armen. »Trickle down«-Effekt heißt das in der Ökonomie. Ich nenne es die Pferdeäpfeltheorie – man füttert die Pferde mit gutem Hafer, und die Spatzen am Ende der Kette bekommen die Pferdeäpfel, aus denen sie die Haferkörner dann noch herauspicken können. Sinnvoller wäre es, den Spatzen gleich Futter zu geben. Oft entsteht der Eindruck, die Politik sei machtlos den Gesetzmäßigkeiten des Marktes ausgeliefert. Natürlich hemmt auch das einen Widerstand und Protest, wenn es gar keinen klaren Adressaten gibt, oder? Das ist eine von diesen Erzählungen ... Margaret Thatcher hat gesagt: »There is no alternative«, und dieses TINA-Prinzip, das macht viel an Resignation in der Gesellschaft aus. Man glaubt nicht mehr, dass man etwas verändern kann, und deshalb beteiligt man sich auch nicht an Bewegungen, die etwas ändern könnten. Es gibt meines Erachtens drei große Erzählungen unserer Zeit: Globalisierung, demographischer Wandel und Digitalisierung. Alle drei haben etwas von Unausweichlichkeit, brechen sie doch wie Naturkatastrophen über die hoch entwickelten Industriestaaten herein, auch über die Bundesrepublik. Interessanterweise gibt es diese Erzählungen ja auch schon bei DIE WEBER in den Reden des Fabrikanten Dreissiger. Da ist auch von Alternativlosigkeit, Wettbewerbsfähigkeit die Rede. Und die Mechanisierung der Webstühle wird als Drohkulisse aufgebaut. Am Ende muss der einfache Weber noch dankbar sein, dass er überhaupt arbeiten darf. Den arbeitenden Menschen wird Angst gemacht, und das macht sie im Grunde wehrlos. Die Armen in Deutschland vergleichen sich mit den Armen der »Dritten« oder »Vierten Welt« und es wird ihnen auch eingeredet, sie sollten das
tun. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt: »Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie heute.« Das ist eine Halbwahrheit. Für viele trifft das nicht zu, aber es wirkt. Auch auf Mittelschichtsangehörige, die vielleicht etwas zu verlieren hätten. Sie rebellieren nicht, wollen das Bestehende vielmehr erhalten und wählen auch so. Das bringt uns zu den Erfolgen der AfD. Ist das, was wir in Deutschland erleben, auch eine Revolte, aber eine von rechts? Rechtspopulisten leben davon, dass sich die Gesellschaft spaltet, weil sich gerade in der Mittelschicht die Ängste vor dem sozialen Abstieg nicht in Form von Rebellion, Revolte und Revolution entladen, sondern sich viele aus Verlustangst politisch nach rechts wenden. Das hat in Deutschland ja Tradition, in der Weltwirtschaftskrise – Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre – ist der Aufstieg der NS-Bewegung zu beobachten. Während der ersten Wirtschaftskrise der alten Bundesrepublik 1966/67 zieht die NPD in sieben Landtage ein und wäre 1969 fast in den Bundestag eingezogen. Heute profitiert die AfD von einer tiefen Verunsicherung in der Gesellschaft, die durch wachsende soziale Ungleichheit ausgelöst wird. Das, was »Flüchtlingskrise« genannt wird, ist ja im Grunde ein Kampf derjenigen, die fürchten, arm zu werden, gegen diejenigen, die noch ärmer sind. Man will sich auf Kosten der Flüchtlinge abschotten und die eigenen sozialen Besitzstände sichern. Das ist aber der falsche Weg. Denn es sind nicht die Flüchtlinge, die Einheimische arm machen, sondern diejenigen, die ungleiche Verteilungsverhältnisse schaffen, weil sie davon profitieren. Man müsste sich also gegen die einheimischen Reichen und Hyperreichen wenden, aber das wäre viel schwerer, weil die sehr mächtig sind. Flüchtlingsheime kann man anzünden, von privaten Sicherheitsdiensten bewachte Villen nicht. Bedeutet das für die Zukunft, dass die sozialen Unterschiede immer größer werden, es aber dagegen keinen Protest, keine sozialen Bewegungen gibt? Dass es keine soziale Gegenbewegung gäbe, stimmt nicht ganz, aber sie ist nicht so stark, wie es nötig wäre, um grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Meine Hoffnung richtet sich einmal mehr auf die Mittelschicht. Von gut Ausgebildeten und kritischen Intellektuellen müssten Impulse zur Bekämpfung der sozialen Polarisierung kommen, geboren aus einem sozialen Verantwortungsbewusstsein. Solidarität, die im Finanzmarktkapitalismus und im Zeichen der neoliberalen Hegemonie verloren gegangen ist, muss wiederbelebt werden. Für mich ist das Kardinalproblem der Menschheit heute die wachsende soziale Ungleichheit, weltweit. Ich wünsche mir ein neues ‘68, eine neue außerparlamentarische Bewegung. Eine soziale Bewegung müsste sich daran machen, die bestehenden Macht- und
Mehrheitsverhältnisse aufzubrechen, und zwar in Form einer außerparlamentarischen Mobilisierung, einer Bewegung, wie es die Schüler- und die Studentenbewegung und die Außerparlamentarische Opposition (APO) 1967/68 waren. Das würde ich mir wünschen, auch wenn davon zurzeit noch relativ wenig zu sehen ist.
Das Gespräch führten die Dramaturgin Sibylle Dudek und der Dramaturg Julian Pörksen.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt sind seine Bücher Armut, Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik? sowie Kritik des Neoliberalismus erschienen.
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A PERMISSON SLIP – by Laurie Penny
Today I wrote this permission slip, for myself and anyone else who needs it. Today, you do not have to count your blessings. You have permission not to be grateful. You have permission not to try your very best today. You have permission not to get over it. You have permission to scream, alone in your house, even if the neighbors can hear. You have permission to be moody. You have permission to be a bit weird. You have permission to go a bit mad. You have permission to feel every hurt everyone has ever done to you alive on the surface of your skin. You have permission to tell us where it hurts. You have permission to be furious. You have permission to be joyful. To be too much. To be terrified. To be obscene. You have permission to make a scene. You have permission to be unproductive. You have permission to make dreadful art. You have permission to embarrass us. You can be as difficult as you need to be. You can skip your workout today. Rest. You have permission to let yourself go. Today you are excused from smiling. You are excused from being an inspiration.
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EIN ERLAUBNISSCHEIN – von Laurie Penny
Heute habe ich diesen Erlaubnisschein geschrieben, für mich selbst und alle anderen, die ihn brauchen. Heute musst Du nicht dankbar sein. Du hast die Erlaubnis, undankbar zu sein. Du hast die Erlaubnis, heute nicht Dein Bestes zu geben. Du hast die Erlaubnis, nicht darüber hinwegzukommen. Du hast die Erlaubnis, alleine zu Hause rumzuschreien, selbst wenn es die Nachbarn hören. Du hast die Erlaubnis, schlecht gelaunt zu sein. Du hast die Erlaubnis, ein bisschen seltsam zu sein. Du hast die Erlaubnis, ein bisschen verrückt zu werden. Du hast die Erlaubnis, jeden Schmerz zu spüren, den Dir jemals jemand an der Oberfläche deiner Haut zugefügt hat. Du hast die Erlaubnis, uns zu sagen, wo es wehtut. Du hast die Erlaubnis, wütend zu sein. Du hast die Erlaubnis, fröhlich zu sein. Zu viel zu sein. Erschrocken zu sein. Obszön zu sein. Du hast die Erlaubnis, eine Szene zu machen. Du hast die Erlaubnis, unproduktiv zu sein. Du hast die Erlaubnis, schreckliche Kunst zu machen. Du hast die Erlaubnis, uns zu blamieren. Du darfst so schwierig sein, wie Du willst. Du darfst Dein Workout heute ausfallen lassen. Ruhe Dich aus. Du hast die Erlaubnis, dich fallen zu lassen. Niemand erwartet heute von Dir, dass Du lächelst. Niemand verlangt von Dir, eine Inspiration zu sein.
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Breathe. You are excused from suffering in silence. Suffer as loudly as you like. You don’t have to make sure everyone else is okay first. You don’t have to forgive what you cannot forget. You are excused from rolling with the punches. You are excused from taking it on the chin. You are excused from turning this crisis into an opportunity. You do not have to clean up anyone else’s shit today. You have permission not to learn from all this. You are excused from making the best of a bad situation. You are excused from rising above. You don’t have to treat this as an opportunity for personal growth. You have permission to seek attention. You have permission to ask for more. You have permission to ask for better. You have permission to scare the shit out of us. Take it. You have permission to name names.
Quelle: Laurie Penny: A PERMISSON SLIP. Post auf der Facebook Seite von Laurie Penny am 26.10.2017 Aus dem Englischen übersetzt von Lea Goebel.
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Atme. Du musst nicht im Stillen leiden. Leide so laut, wie Du willst. Du musst nicht zuerst sicherstellen, dass es allen anderen gut geht. Du musst nichts vergeben, was Du nicht vergessen kannst. Du darfst es nehmen, wie es kommt. Niemand erwartet, dass Du es mit Fassung trägst. Du musst diese Krise nicht in eine Chance verwandeln. Du musst heute nicht die Scheiße der anderen aufräumen. Du hast die Erlaubnis, nichts aus alldem zu lernen. Du darfst das Beste aus einer schlechten Situation machen. Du darfst über Dich hinauswachsen. Du musst es nicht als eine Gelegenheit betrachten, als Persönlichkeit zu wachsen. Du hast die Erlaubnis, Aufmerksamkeit zu suchen. Du hast die Erlaubnis, mehr zu verlangen. Du hast die Erlaubnis, nach Besserem zu fragen. Du hast die Erlaubnis, uns zu Tode zu erschrecken. Nimm es. Du hast die Erlaubnis, Namen zu nennen.
Laurie Penny, geboren 1986 in London, ist Bloggerin, Journalistin und Buchautorin. Ihre klugen, zornigen und kämpferischen Texte zum Thema Feminismus und (Pop-)Kultur machten sie bekannt. Ihr Buch Fleischmarkt (2012) ist ein Manifest gegen die Vermarktung und gegen den sexistischen Blick auf den weiblichen Körper. In ihrer neu erschienenen Essaysammlung Bitch Doktrin setzt sie sich mit dem Aufstieg der extremen Rechten in den USA und Europa auseinander.
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Border fences of the EU Melilla, Spain Spain—Morocco border
In 2016, more than 5,000 migrants died during their attempt to reach Europe by sea.
*Steinhilper, E. and Gruijters, R. (2017) Border Deaths in the Mediterranean: What We Can Learn from the Latest Data.
ord M Ein ark P n ei evol R zwei
, ord d n u ark n e t evol Text Doğan Akhanlı
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zweivondrei | Ein Mord, ein Park und zwei Revolten
Hrant Dink, der armenische Journalist, der in seiner Zeitung AGOS gegen das Schweigen anschrieb, war noch am Leben. Bei vielen drang er mit seiner sanften Revolte gegen die Todesstille nicht durch, die die türkische Gesellschaft über den Genozid an den Armeniern gebreitet hatte. Die türkische Gesellschaft vermied ein solch böses Wort; wenn man überhaupt darüber sprach, dann über sogenannte „tragische Ereignisse“. Egal, ob linksradikaler Revolutionär, Nationalist oder frommer Muslim: Der unausgesprochene Konsens war noch nicht gebrochen, er galt für alle und er hieß: Ignorieren, Schweigen, Leugnen. Die Vernichtung der Armenier von 1915–1916 hatte nie stattgefunden. In trauter Eintracht, wenn auch ansonsten völlig zerstritten, leugnete die türkische Mehrheitsgesellschaft nicht nur; sie diffamierte auch: die über den Erdball zerstreute armenische Diaspora, die für die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern kämpfte und überall auf der Welt immer wieder an die Opfer dieses staatlichen Massakers erinnerte. Die Mehrheitsgesellschaft war außer Stande zu erkennen, dass die überlebenden Armenier Gerechtigkeit wollten. Anfang der 2000er Jahre erlebte die Türkei die Geburt, vielleicht auch die Wiederauferstehung der Zivilgesellschaft, die 20 Jahre zuvor in einem Militärputsch niedergeschlagen worden war. Sie wollte ebenfalls Gerechtigkeit. Aber sie dachte dabei nicht an die Opfer des Massenmordes zu Beginn des vorausgegangenen Jahrhunderts. Für sie hieß Gerechtigkeit Erfolg im Kampf für Demokratie und Menschenrechte jetzt. Heute. Den Völkermord sparte sie in ihrem Denken und Wollen aus. Sie sperrte ihn sogar aus. Sie übersah das riesige, das historische Loch, den Sog aus der Tiefe. Die türkische Zivilgesellschaft verkannte deshalb auch den unüberbrückbaren Konflikt zwischen sich und den Armeniern im In- und Ausland. Bis zum Mord an Hrant Dink, der getötet wurde, weil er in seiner Wochenzeitung von der Geschichte der Adoptivtochter des türkischen Staatsgründers Atatürk erzählt hatte, der Geschichte von Sabiha Gökçen, der ersten Kampflugzeugpilotin der Türkei. Sabiha Gökçen war Armenierin, ihre Eltern wurden 1915 umgebracht. Nach der Enthüllung ihrer so lange verleugneten Biographie heulten die Nationalisten auf, und sie begannen eine öffentliche Hetzkampagne gegen Hrant Dink. Sie bedrohten ihn, sie erklärten ihn für vogelfrei und schließlich ermordeten sie ihn am 19.01.2007 in Istanbul. Polizisten nahmen den Täter fest, aber sie sperrten ihn nicht in eine Zelle, sondern sie feierten gemeinsam mit dem Mörder die Tat. Sie dokumentierten ihre Begeisterung mit einem Foto, das sie vor der türkischen Fahne beim Absingen der Nationalhymne zeigte.
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Da wurde aus der Anklage gegen das Verschweigen, hinter die Hrant Dink bis dahin nur eine verschwindende Minderheit in der türkischen Bevölkerung versammeln konnte, plötzlich eine Revolte. Zu offensichtlich war mit dem Mord geworden, dass eine verleugnete Gewaltgeschichte niemals nur stumme Geschichte bleibt, dass sie nicht einfach Staub in den Akten ansetzt, dass sie niemals vergeht, sondern dass sie tötet. Immer wieder: tötet. Wie mit einem Fluch belegt, dem Fluch der Wiederkehr. Nach der Ermordung von Hrant Dink protestierten Hunderttausende Menschen bei spontanen Kundgebungen in Istanbul und Ankara. Hunderttausende, die Plakate mit der Aufschrift trugen »Wir sind alle Hrant. Wir sind alle Armenier!«, begleiteten in einem acht Kilometer langen Trauerzug den Sarg. Der fast 90 Jahre währende Konsens war gebrochen, er war von den mörderischen Wiedergängern selbst zerschossen worden. Seither können der türkische Staat und die Nationalisten die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema »Genozid an den Armeniern« nicht mehr verhindern; an vielen Orten in der Türkei finden seitdem Veranstaltungen statt, die an den Genozid erinnern. Und die zuvor so schamlos gefeierten Attentäter Hrant Dinks verloren jeden öffentlichen Zuspruch in der Gesellschaft. Diese Massenproteste waren die erste Revolte für historische Gerechtigkeit in der Türkei. Die Wahrheit, dass Gerechtigkeit ohne geschichtliche Verankerung hohl ist, fand in der türkischen Zivilgesellschaft endlich breite Zustimmung. Den Völkermordopfern von 191516 sollte Gerechtigkeit widerfahren. Das war ein epochaler Erkenntnisgewinn. Der Historiker und Völkermordforscher Taner Akcam interpretierte die Revolte gegen den Mord an Hrant Dink als Entschuldigung der türkischen Mehrheitsgesellschaft für ihr bisheriges historisches Versagen, nämlich das Verdrängen und Verschweigen des Genozids. 2013 begann die sogenannte Gezipark-Bewegung. Ich habe die Proteste in Istanbul, die auch mich begeistert haben, von Deutschland aus verfolgt und beobachtet. Immerhin hatte ich zwei Jahre zuvor selber die Luft des Aufbruchs einatmen können. Denn nach meiner viermonatigen Gefangenschaft 2010 bin ich einen weiteren Monat lang in der Türkei geblieben, habe mich mit Gruppen der Zivilgesellschaft getroffen und mit vielen jungen Menschen gesprochen. Ich habe sie schon damals nicht als unpolitisch wahrgenommen; einen Vorwurf, den ich immer wieder gehört hatte. Sicherlich, sie waren nicht politisch im althergebrachten Sinne, dafür waren sie undogmatisch und neugierig. Die neue Generation weiß viel. Sie weiß viel, weil sie viel hört. Sie hörte von der Revolte 2007, wenn sie nicht selber schon dabei war. Deshalb weiß sie, was die Generation vor ihr nicht wusste oder nicht wissen wollte: dass die Jungtürken während des ersten Weltkrieges Armenier vernichtet
und später Griechen vertrieben haben. Sie hörte noch mehr, denn weil 2007 die Revolte den Schweigebann gebrochen hat und das Zuhören zur guten Gewohnheit wurde, werden weitere Geschichten von Gewalt und Tod öffentlich. Zum Beispiel, dass 1938 im Dersim-Gebiet Abertausende Aleviten und Kurden massakriert wurden. Oder dass nach dem Militärputsch 1980 eine halbe Million Menschen festgenommen und viele gefoltert wurden und Tausende von ihnen verschwunden sind. Die junge Generation verstand plötzlich, dass die Festgenommenen, Gefolterten, die Verschwundenen und Hingerichteten ihre Eltern waren, ihre Tanten, ihre Onkel und ihre Großeltern. Über deren Leid hatten die staatlichen Institutionen lange Jahrzehnte nur Lügen verbreitet, auch über diese Geschichte war die Stille gelegt. Aus dieser Stille, aus diesem Schweigen ist die heutige Generation ausgebrochen.
Gerechtigkeit verpflichtet sind, werden aus dem Gedächtnis der türkischen Gesellschaft nicht mehr verschwinden. Daran ist in diesen Zeiten zu erinnern, in denen ein diktatorisches Regime eine neue Stille über die Gewalt legen will. Literatur: Akçam, Taner: ARMENIEN UND DER VÖLKERMORD. DIE ISTANBULER PROZESSE UND DIE TÜRKISCHE NATIONALBEWEGUNG. Hamburg, 1996. Flucht, Exil und Verfolgung: http://www.flucht-exil-verfolgung.de.
Im kleinen grünen Gezi-Park inmitten Istanbuls, der mehrere Wochen lang Schmelzpunkt der neuen Zivilgesellschaft war, befand sich früher ein Armenischer Friedhof. Den gab es zur Zeit der Gezi-Revolte nicht mehr, auch ein Denkmal hat die Zeiten nicht überdauert. Es war nach dem Istanbuler Prozess gegen die jungtürkischen Massenmörder für die armenischen Opfer errichtet worden. Die Täter waren nämlich 1919 in Konstantinopel vor Gericht gestellt worden, in einem Völkermordprozess. Es war ein Nürnberger Prozess vor dem Nürnberger Prozess. Dort wurden die »Verbrechen gegen Menschlichkeit« von 1915-16 thematisiert und die Haupttäter des Genozides wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 17 Todesurteile wurden von den Kriegsgerichten verhängt, drei wurden vollstreckt. Welch neues historisches Bewusstsein, welch neues Verständnis von Gerechtigkeit hatte die Gezi-Bewegung hervorgebracht, dass sie eine Straße, die durch den Gezi-Park, führte, nun umbenannten: in Hrant-Dink-Straße! Das Gerechtigkeitsgefühl der Armenier, die den Opfern das Genozids Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, und das Gerechtigkeitsgefühl der Zivilgesellschaft, die Demokratie und Freiheit durchsetzen will, hatten zueinander gefunden und einem kleinen Streifen türkischen Bodens sichtbar eingeschrieben: Wir wissen von deiner Geschichte, von deinem Leiden, von der staatlichen Gewalt und von der Notwendigkeit der Revolte! Die Gezi-Bewegung hat verstanden, dass sich die massenmordende staatliche Gewalt in der Türkei wie ein blutiger Lavastrom durch die Geschichte dieses Landes zieht und dass sie schließlich erneut und brutal in die Gegenwart der bislang letzten Revolte der Gerechtigkeit fordernden Menschen in der Türkei einbrach. Die beiden Revolten, die der
Doğan Akhanlı, wurde 1957 in der Türkei geboren. Er lebt und arbeitet als Schriftsteller in Köln. In seinen Texten setzt er sich immer wieder kritisch mit der türkischen Geschichte auseinander. Zweimal, 1985 und 2010, wurde er in der Türkei inhaftiert. Von seinen Erfahrungen als politischer Häftling und von der Folter, der er ausgesetzt war, erzählt er eindringlich in dem Theater-Projekt ISTANBUL am Schauspiel Köln. Im August dieses Jahres wurde er auf Betreiben der Türkei während eines Urlaubs in Granada/Spanien erneut festgenommen. Erst als die spanische Regierung das Auslieferungsverfahren stoppte, konnte er nach Deutschland zurückkehren.
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Border fences of the EU Evros, Greece Greece—Turkey border
In 2016, more than 5,000 migrants died during their attempt to reach Europe by sea.
*Steinhilper, E. and Gruijters, R. (2017) Border Deaths in the Mediterranean: What We Can Learn from the Latest Data.
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Surveillance RU
Raven
Surveillance NATO
AirRobot Surveillance Worldwide
Aeryon Scout Surveillance Worldwide
AR Parrot Consumer Worldwide
* In development/testing phase
COMPUTERPROGNOSEN
Die Digitalisierung führt zu neuem Wissen, das die Gesellschaft erschüttern kann: So lässt sich vorhersagen, wer zukünftig erkranken oder wer wann sterben dürfte. Auf diesen Wandel sind wir nicht besonders gut vorbereitet.
Eine Kolumne von Sascha Lobo
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Soeben ist der jährliche IT- bzw. Digitalgipfel zu Ende gegangen [Anm. d. Red.: Juni 2017], der liebenswerte, gipfelgewordene Digitalkonjunktiv der Bundesregierung: könnte. com, müsste.org, hätte-sollen.de. Einer der Schwerpunkte dort war das Thema E-Health, also digitale Gesundheit zwischen Vernetzung und neuem Wissen durch neue Forschungsmethoden. Wissen! Ein Wort wie eine Hirngranate, das immer einen Wirkungstreffer erzeugt. Wissen ist Macht, Rohstoff und Währung, Wissen ist Ziel, Weg und Zweck gleichzeitig. Im digitalen 21. Jahrhundert dreht sich alles um Daten, Datenströme und Datenverarbeitung, die digitalen Vorformen des Wissens also. Aber die neuen Technologien mit ihren enormen und gefälligst offensiv auszuschöpfenden Vorteilen – offenbaren auch, dass große Teile der analogen Gesellschaft aufgebaut sind auf Nichtwissen. Speziell dem Nichtwissen der Zukunft. Im Bereich der Gesundheit lässt sich am besten beobachten, welche Rolle Nichtwissen spielt. Schließlich gibt es dort spätestens seit 2003 ein oberlandesgerichtlich festgestelltes »Recht auf Nichtwissen«.
Der Patient dürfte morgen sterben – verzichtet man auf die Therapie? Im Mai 2017 wurde ein Artikel in der Zeitschrift Nature veröffentlicht: »Precision Radiology: Predicting longevity using feature engineering and deep learning methods in a radiomics framework«. Tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Forschungsansatz gesellschaftlicher Sprengstoff, denn das Ziel der Studie war die Vorhersage des Todeszeitpunkts von Patienten mithilfe von Deep Learning, einer Variante der Künstlichen Intelligenz. Es offenbart sich die wunderbare, schreckliche Ambivalenz der digitalen Zukunft der Gesundheit. Fünf Jahre in die Zukunft vermutet: Inzwischen ist ein Produkt auf dem Markt, das den Todeszeitpunkt eines Krankenhauspatienten mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit bestimmen kann. Die Maschine schätzt, dass Patient A morgen stirbt. Wendet man die teure Therapie X bei ihm an? Die Frage erscheint unmenschlich, aber sie ist ja bereits Realität.
tender Operationen über die Vergabe von Organen bis zur Einschätzung, ob eine Behandlung erfolgsversprechend und damit vertretbar erscheint. Das erklärte Ziel der erwähnten Forscher: Solche Deep-Learning-Systeme »könnten den Ärzten bestimmte Entscheidungen abnehmen.« Es ist wichtig zu begreifen, dass hier nicht Wissenschaft und Forschung das Teufelszeug sind - sondern dass in der digitalen Gesellschaft durch neue Datenströme und neue Auswertungsmethoden unvermeidlich Wissen entsteht mit dem Potenzial, die Gesellschaft zu erschüttern. Es kann deshalb weder die Aufgabe der Wissenschaft sein, diese Zusammenhänge nicht zu erforschen, noch sie dauerhaft geheim zu halten. Es bleibt nur die Möglichkeit eines neuen Umgangs mit Wissen, das Bereiche der Gesellschaft beleuchtet, die vorher im beruhigenden Nebel des Nichtwissens verborgen waren. Denn es geht ja nicht bloß um die Sterblichkeit von schwerkranken Patienten. Ebenfalls im Mai 2017 haben Forscher der Cornell University bei der Vorhersage von Alkohol- und Drogenverwendung bei einzelnen Personen eine 81- bzw. 84-prozentige Wahrscheinlichkeit erreichen können – allein anhand der Daten in sozialen Netzwerken. Längst gibt es Unternehmen, die anhand öffentlich zugänglicher und käuflicher Daten Prognosen verkaufen, wie oft und wie lange jemand krank werden könnte. Eingekauft werden diese Prognosen natürlich von Arbeitgebern. Das klingt wie ein gesundheitlicher Datenschutz-GAU, der größte Proteste der Bevölkerung nach sich ziehen dürfte. Aber das hängt erfahrungsgemäß nur von der Verpackung ab. Angenommen, es gäbe eine datenbasierte Vorhersagemöglichkeit, eine Selbstmordgefährdung festzustellen – man könnte darauf wetten, dass es von der Boulevardpresse angeführte Proteste in die entgegengesetzte Richtung gäbe. Zum Beispiel bei der Einstellung von Piloten. Und Überraschung, natürlich kann Facebook mit hoher Wahrscheinlichkeit längst die Selbstmordgefährdung einer Person vorhersagen.
Kosten sind in Gesundheitssystemen eindeutig ein Überlebensfaktor, und Ärzte sind - ohne dass es offen ausgesprochen werden müsste - heute schon oft gezwungen, ähnliche Entscheidungen zu treffen: von der Reihenfolge lebensret-
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• »Wieso werden meine Steuergelder dazu verwendet, Leute zu retten, die sich mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit morgen umbringen?« • »Weshalb sollte ich einen Arbeitskollegen akzeptieren, der laut algorithmischer Auswertung Alkoholiker ist?« • »Warum bezahle ich Rentenversicherung, wenn der Computer ohnehin sagt, dass ich mit 50 sterbe?« Das sind realistische Beispiele für die gesellschaftlichen Frontverläufe eines neuen Wissens. Und ja, diese Fragen mögen auf den ersten Blick kleingeistig und sogar menschenfeindlich wirken, aber sie werden gestellt und politisch ausgeschlachtet werden. Denn ihnen wohnt in vielen Fällen eine Ambivalenz inne. Eine 99-prozentige Wahrscheinlichkeit ist keine Gewissheit Die Frage des Alkohol- und Drogenmissbrauchs hat im Büro zum Beispiel einen anderen Klang als auf einer Baustelle, wo das eigene Leben von einem Kollegen abhängen kann. Es kann der Punkt kommen, wo neues Wissen erhebliche gesellschaftliche Erschütterungen mit sich bringt. Die breite Akzeptanz von Solidargemeinschaften hängt zum Beispiel ziemlich stark vom Unwissen ab, etwa von der theoretischen Möglichkeit, irgendwann selbst betroffen sein zu können. Und hier bekommt das neue Wissen über die Zukunft einen dunklen Drall: denn eigentlich handelt es sich immer nur um Wahrscheinlichkeiten. Und auch eine 99-prozentige Wahrscheinlichkeit ist eben keine Gewissheit - sie wird bloß oft so behandelt. Vom Publikum und erst recht von Unternehmen, die damit Geld verdienen. Für den Markt ist weniger die messbare Realität relevant und mehr, ob ausreichend viele Leute an ein Produktversprechen glauben. Und wer nicht eingestellt wird, weil er mit seinem Datenprofil zu 90 Prozent Alkoholiker sein könnte, kann lange darum kämpfen, zu den 10 Prozent zu gehören. Wenn er es überhaupt je erfahren sollte. Heute schon töten Drohnen Leute, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Terroristen sein könnten. Man erkennt daran, dass selbst bei der Frage nach Leben und Tod längst Wahrscheinlichkeit die Gewissheit ersetzt hat: die rote Linie ist überschritten an den Rändern der westlichen Gesellschaften. Deshalb kann diese Haltung leicht ins Innere einsickern. Auch weil Menschen außerordentlich schlecht bei der realistischen Bewertung von Wahrscheinlichkeiten sind.
Dieses Wissen kollidiert mit den Grundwerten unserer Gesellschaft Und dabei sind noch nicht einmal die Fehler berücksichtigt, über die der Fall Lukas Hartmann eine wertvolle Lektion erteilen kann. Hartmann hatte sich bei 23andme angemeldet, einer unter anderem von Google finanzierten Firma, die Genomauswertungen verkaufte. Eines Tages bekam er eine Mail, dass etwas Brisantes gefunden worden sei. Verbunden mit der Frage, ob er das wirklich wissen wolle und wenn nicht, solle er einfach nicht draufklicken. Soviel zur digitalen Realität des Rechts auf Nichtwissen. 23andme erklärte Hartmann, er habe eine Genomkonstellation, die zu einer seltenen Erbkrankheit namens Gliedergürteldystrophie führe. Die ist nicht heilbar und führt nicht selten zum frühen Tod. Hartmann aber ist hochspezialisierter Programmierer. Er betrachtete seinen angeblichen Gen-Fehler deshalb als Bug, lud von der Seite von 23andme sein eigenes Genom herunter und machte sich ans Debuggen seines genetischen Codes. Was er fand, war tatsächlich ein Bug, allerdings in der Auswertungssoftware von 23andme. Der ihm schließlich auch vom Unternehmen selbst bestätigt wurde. Ein Bug hatte Lukas Hartmann für unheilbar krank erklärt. Digitalisierung bedeutet auch, das gesellschaftliche Fundament des Nichtwissens zu durchlöchern. Etwa, weil wir Wissen aus datengestützten Maschinen-Prognosen als faktische Realität behandeln. In manchen Bereichen gibt es kaum andere Möglichkeiten, in anderen kollidiert die Anwendung dieses neuen Wissens oder vermeintlichen Wissens mit den Grundwerten der Gesellschaft.
Sascha Lobo ist Autor, Blogger und Journalist. Er schreibt u.a. die Spiegel Online Kolumne S.P.O.N. – Die Mensch-Maschine und verfasst mit verschiedenen Co-Autoren Sachbücher zu den Themen Arbeit, Netz und Gesellschaft u.a. Internet – Segen oder Fluch, Teufel Coolness. Schmähschrift gegen eine reaktionäre Pose, Aufstieg und Niedergang der Piratenpartei. In der ZDFneo Dokumentation Manipuliert untersucht Lobo mit acht Proband*innen die Wirkungsmechanismen des Internets.
Und wir sind nicht besonders gut darauf vorbereitet. Trotz Digitalgipfel. Erschienen am Mittwoch, 14.06.17 um 12:38 Uhr auf spiegel-online.de 34
Lange Jahre war der Tanz am Schauspiel Köln ausschließlich in Form von Gastspielen vertreten. Das ändert sich mit dieser Spielzeit: Richard Siegal, Choreograf von Weltrang, wird mit seinem neu gegründeten, international besetzen BALLET OF DIFFERENCE über drei Jahre hinweg in Köln präsent sein. Angefangen hat es mit einem koproduzierten Gastspiel. Es folgt eine Welturaufführung, die zunächst in München, zum Ende hin in Köln geprobt wird – begleitet von Lectures, Workshops und öffentlichen Proben. Die Zusammenarbeit kulminiert schließlich in einem grenzüberschreitenden Projekt mit dem Theater, in dem Tänzer*innen und Schauspieler*innen aufeinander treffen. Anlässlich dieser Zusammenarbeit haben wir Richard Siegal gebeten, ein Alphabet zu entwickeln – zu jedem Buchstaben ein Wort, zu jedem Wort Assoziationen. Herausgekommen ist eine Collage, in der Siegal YoutubeVideos, Lyrik, Gemälde, Zitate und Bilder miteinander in Beziehung setzt.
Ein ABC von Richard Siegal
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Kuns rebEl Armin Petras (nach f. k.) tagebuch eines revolutionärs / versuch einer fälschung
st und LioN Wieviel widerständiges Potential steckt in Kunst? Kann Kunst ein Akt der Rebellion sein? Und eine Revolution zum Kunstwerk werden? – Der Regisseur und Autor Armin Petras schildert in seinem Text die Wahrnehmungen eines Künstlers in den Tagen des Prager Frühlings. Es ist eine Überschreibung, Verdichtung und Zuspitzung von Aufzeichnungen des tschechischen Autorenfilmers Pavel Juráček, der an einem Film nach Motiven aus Gullivers Reisen arbeitete. Die Ereignisse auf den Straßen, die mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts eskalieren, lassen die Verwandtschaft von Kunst und Rebellion zutage treten: Beides entsteht aus einem Impuls heraus, aus der Notwendigkeit zu handeln. 41
zweivondrei | Kunst und Rebellion
als ich aufwache weiss ich ich werde nie mit gulliver fertig werden ob etwas wirklich passiert was keiner glaubte dass es jemals passieren würde in den zeitungen stehen worte die man noch vor einem jahr nur flüstern konnte doch ich versaufe diese zeit ich bin nicht dabei ich kann nur staunen ich habe angst dass es schlecht ausgeht morgen werde ich aufstehen und in der zeitung werden die namen der verhafteten stehen und ich werde nichts für sie tun das was passiert ist ist der anfang einer revolution eine revolution der gedanken der romantischen rationalisten solche revolutionen hat aber noch nie jemand jemals gewonnen ich stelle mir die beamten und kreissekretäre in ihren amtsstuben vor die angst haben angst dass alles was sie gelernt haben irgendwann nicht mehr gültig ist ich habe den ganzen tag zeitung gelesen fernsehen gesehen radio gehört ich fand alles fantastisch jetzt denke ich es ist alles ein betrug meine herren was ist los an den grenzen stehen panzer das ist es was sie wollen panzer dann haben sie eine story alles erinnert eher an ein schachspiel als an eine revolution falls es gelingt höre ich auf mich zu schämen falls es nur betrug ist macht es keinen sinn in diesem land weiter zu leben bisher ist es nie passiert dass ein regime von innen abgeschafft wurde das ist der grund warum so viele nicht schlafen können in diesen nächten vielleicht bin ich pathetisch aber es ist schon morgens um vier und ich bin allein heute am Sonntag den 24. märz scheint die sonne wir sind unheimlich vernünftige menschen wir mischen uns in nichts ein wenn wir uns besaufen singen wir volkslieder wenn jemand kotzen muss dann weil er einen kaputten magen hat ich bin ohne hoffnung jeden tag laufe ich einmal gegen meine tür um zu glauben dass es kein traum ist meine angst vergeht langsam die angst dass sowieso alles schlecht ausgeht selbst wenn alles wieder so wird wie früher die 4 monate werden für immer bleiben alkoholiker ist jemand der seine arbeit und seine pläne vernachlässigt ich rauche kippen aus dem aschenbecher wann macht der tabakladen auf wenn heute Sonntag ist die toten legten sie auf die haube eines taxis loch im kopf blut lief über die kotflügel zum boden morgens donnerte der himmel ununterbrochen flugzeuge sie sind da in den bäuchen der riesigen flugzeuge panzer sie sind 200000 12 divisionen sie schießen und töten sie sind echt aber sie haben nicht gewonnen sie kommen zu den kleinen menschen wie ein nashorn gegen einen schmetterling das ist ein
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schlechtes bild aber wahr wir fliegen durch ihre hände sie haben den mund offen hier auf der brücke habe ich den mann mit dem loch im kopf gesehen dann bin ich nach paris abgefahren wir wussten dass man nicht auf uns schoss sondern auf unsere herzen um sie in angst einzubetonieren ich schrieb im badezimmer einen brief an meine freundin larissa in moskau dass sie nie wieder an meiner tür klingeln soll wir schliefen im flur auf einem kleinen bündel klamotten den schlüssel zum dachboden in der hand wir hatten einen plan bis zum schornstein und dann nicht weiter dann brachten wir judita zu ihrer mutter die grenzen waren immer noch offen mit dem alfa romeo fuhren wir an unendlichen panzerkolonnen vorbei was wird morgen sein in einer woche ich wachte auf weil mein haus brannte ich roch es aber es war nicht mein haus sondern eine flagge der konterrevolutionäre der rathausplatz ist von pflastersteinen übersät ich schaffe es nicht zu schreiben als ob ich kein deutsch könnte morgen geben wir unser gold ab die regierung hat aufgerufen wegen der schwierigen wirtschaftlichen lage die goldreserven des landes zu erhöhen alle verstehen was gemeint ist es geht um unsere eigenständigkeit schade dass ich keine frau bin dann hätte ich mehr schmuck gab es das schon einmal dass bürger ihrer regierung ihr gold geben ich habe das gefühl dass ein tag nur ein paar minuten dauert ich führe ein kümmerliches leben auf den trümmern meiner sehnsüchte auf den trümmern meiner erinnerung auf den trümmern meiner arbeit auf den trümmern meiner wohnung die menschen haben angst dass der käfig herunterfällt dass man die grenzen abschliesst ich hätte gerne krebs besser krebs als so langsam verrückt zu werden alles geht weiter auch wenn man selber nichts macht kinder spielen okkupation im park keiner will amerikaner sein menschen sammeln auf dem rathausplatz patronenhülsen anatol france schreibt die besten beweise sind von allen die falschen weil sie in allen einzelheiten für das geplante ziel ausgedacht sind es kann jetzt alles passieren wir sind in der mitte europas wir können auch aufhören zu existieren die anzahl der selbstmorde ist seit august gefallen es ist morgen ich wollte in der nacht ein sujet für paramount schreiben wegen der schulden ich könnte ein sujet über schulden schreiben aber was ist wenn sie mein sujet abfangen paramount kann genauso gut eine tarnorganisation des cia oder des fbi sein die drehbücher die artikel die lieder jetzt weiss ich dass es verlorene zeit war unwiederbringlich das schlimmste aber ist dass ich verstanden habe dass durch meine tagebücher ich in meinen eigentlichen arbeiten äußerlich geblieben bin ja ich habe alle sujets alle filme von außen geschrieben
ohne anteilnahme meiner person und meines sogenannten privatlebens ich habe mich nicht selbst in dem thema geäußert ich habe nur das thema geäußert niemand weiß was wird gehen die feinde weg werde ich verrückt wird meine stadt zerschossen sein vergisst sie mich wird es am 17. April 1979 geregnet haben lebe ich überhaupt ich sehe die panzer ich habe angst vor den maschinengewehren ich fürchte um mein leben unser land spürt sein herz wie es schlägt es liegt so offen zum ersten mal da alles gold hilft nicht in paris sagte ich ihr wir werden nach birma gehen es ist das einzige land in dem ich leben kann sie sagt komm wir spielen ein bisschen danach lagen wir an einem see peter ustinov hat hier sein holzhaus oder woanders ich träumte von silvester ich hatte niemals solche angst wie silvester angst nicht rechtzeitig fliehen zu können eine gruppe mit weißen helmen weißen knüppeln raste vom rathaussplatz auf uns zu es explodierten überall granaten mit tränengas die menschenmenge schrie ich zog sie an der mauer entlang sirenen hupen kirchenglocken kälte unser held lebe hoch die soldaten schlossen eine falle am haus der mode betäubendes geschrei zehntausend menschen liefen die straße hoch unsere straße wollten nur weg am ende der straße aber maschinenpistolen panzer da liefen sie hinein konnten nicht mehr zurück weil zehtausende hinter ihnen kamen auf sie von hinten draufzurannten die ganze breite der straße einnehmend aufeinanderzudrängend stolpernd fallend die anderen mitziehend am boden liegend die hände arme über den kopf von hinten tausende nach vorne über sie stürzend vorne die maschinengewehre panzer ich öffnete die tür zu unserem hauseingang zog sie mit gebrochenem knöchel hinter mir her in das haus rein wir machten uns einen kaffee schauten aus dem fenster unten schreiende und verletzte abtransportierte hanka 2 monate im gips es war winter sie schrien ges ta po ges ta po die granaten mit dem tränengas fielen nicht mehr zu boden es gab keinen platz mehr sie flogen direkt auf die körper explodierten unter den körpern neben ihnen einige wenige retteten sich die tür der andorranischen botschaft ein mann mit weißem bart stand dort hielt die tür offen ein andorraner aus andorra hielt die tür offen und die die keine hoffnung hatten die nicht mehr wegkonnten die keine hoffnung hatten die liefen in das tor hinein und hundert andere ihnen hinterher wir verließen das fenster tranken unseren kaffee zu ende sie hüpfte und fluchte eine straße wurde geformt aus knüppelmännern sie schlugen die anderen in einen großen bus jeder bekam von jedem knüppelmann einen schlag bis der bus voll war und abfuhr eine einfache szene man konnte dann nicht mehr über den rathausplatz man wollte nicht geschlagen werden aber in der unterführung gab es nur tränengas es war wie im nebel spazieren gehen
an den roten triefaugen störte sich niemand mehr das unwirkliche wurde wirklichkeit jeder wusste jetzt was los war alles war klar wie nie hier im nebel die pflastersteine auf dem rathausplatz bildeten eine riesige land art installation keiner würde diese austellung erhalten sie war nur für kurze zeit die künstler waren abgezogen mit wunden und blut und die anderen hatten krumme schlagstöcke an den schlagstöcken sah man den fleiß bei der arbeit je krummer der schlagstock umso fleißiger sein inhaber wenn du zu nah an jungs mit langen haaren und jeans herankamst hattest du schnell rückenschmerzen es ist nicht geschichte was wir erleben es ist die karikatur von geschichte die wahrheit wird bis ins unendliche verdreht die zeit ist überladen mit faselei und lüge die begriffe verlieren ihre bedeutung sie blähen sich auf und verschwinden wie sterne die monströs groß werden und dann verglühen alles ist eine metapher und es selbst zugleich die zeit stürzt davon um sinnlos anzuhalten niemand kann die zusammenhänge mehr verstehen alle wollen sie deuten die ungeheuer aus dem mittelalter sind wieder ausgeschlüpft die stimme gullivers sagt aus dem off ich habe gehört sag mal geht die uhr noch oder kommt es mir nur so vor aber er sagte nur was haben sie eigentlich immer reicht es ihnen nicht dass man sie noch ticken hört mitlerweise weiß niemand wie die zensur funktioniert es ist mir vollkommen egal ob gulliver in die kinos kommt oder nicht es ist kompliziert dass ich gulliver nur für mich erdacht geschrieben und gedreht habe und dass mich sein weiteres schicksal nicht so sehr interessiert der film ist jetzt fertig ich bin wieder allein innerlich gegen mich selbst allein ohne etwas das ich machen könnte um zu wissen dass es sinn hat dass es mich gibt dass ich lebe dass ich das leben noch eine weile tun sollte einfacher gesagt dass das leben einen sinn hat wir werden uns bis zum tode wundern und wir werden verlegen sein
Der Regisseur, Autor und Intendant Armin Petras ist einer der prägenden Theatermacher im deutschsprachigen Raum. Im Zentrum seiner Arbeit steht die Frage, welche Spuren historische Ereignisse hinterlassen und wie sie sich in den Biographien der Menschen widerspiegeln. Armin Petras war von 2006 - 2013 Intendant am Berliner Maxim Gorki Theater. Seit 2013 leitet er das Schauspiel Stuttgart.
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offenbachplatz
Im BRITNEY in der Außenspielstätte am Offenbachplatz finden neben den Aufführungen, Konzerte, Filme, Gastspiele und Ausstellungen statt. Der kreative Vernetzungsort im Herzen der Stadt setzt im Dezember auf MUSIK UND EXPEDITION: Gleich zu Beginn wird der französische Experimentalmusiker und Instrumente-Erfinder PIERRE BASTIEN, der unter anderem auch mehrere Alben auf dem Label von Aphex Twin veröffentlichte, mit Sounds und Videobildern in sein Universum entführen. Die Filmpalette zeigt in Anwesenheit des Regieteams die Filmpremiere von LAST SHIP HOME – DIE WELTUMSEGELUNG DER PETER VON DANZIG. Zwischen den Jahren, in Vorfreude auf Silvester und unter dem Motto Bühne & Erschöpfung, gibt es mit KOMPLIZEN DER SPIELREGELN und dem Rapper DANCING QUEEN MASKULIN einen Köln-Berlin Konzertabend im Britney. Das Videofenster CAPRI BY NIGHT erleuchtet im winterlichen Dezember mit Programm des New Yorker Kurators Ben Sisto bereits ab dem späten Nachmittag den Offenbachplatz.
AUSBLICK Im Januar findet in Kooperation mit Tribunal NSU-Komplex Auflösen ein Gastspiel der Bühne für Menschenrechte mit NSU-MONOLOGE statt. Während im Münchner Prozess gerade die Plädoyers gegen Zschäpe und Co. gehalten werden, erzählen die Monologe von den jahrelangen Kämpfen dreier Familien der Opfer. Im Anschluss gibt es ein Gespräch. Der Dokumentarfilm MACHINES in Kooperation mit der Filmpalette von Rahul Jain ist eine intime Darstellung des Lebens-Rhythmus und der Arbeit in einer gigantischen Textilfabrik in Gujarat, Indien. Mit unvergesslichen Bildern und sorgfältig ausgewählten Interviews erzählt Jain eine Geschichte von Ungleichheit und Unterdrückung, Menschen und Maschinen.
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SPIONAGER ÄTSEL Completely Automated Public Turing Test to Tell Computers and Humans Apart oder CAPTCHA ist der Name jener sonderbaren, verzerrten Anordnungen von Buchstaben und Zahlen, wie man sie gelegentlich online findet. Es handelt sich um einen visuellen Turing-Test, eine Methode zur Unterscheidung von Mensch und Maschine. CAPTCHAs wurden 1997 erfunden, sind aber bereits überholt. Die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), ein Forschungslabor der US-Streitkräfte, arbeitet an wesentlich fortschrittlicheren Programmen auf Basis künstlicher Intelligenz. In diesem Rätsel sind die Namen von acht dieser Programme zu finden.
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SPIONAGER ÄTSEL Nine Eyes ist ein multilaterales Abkommen zwischen den Five Eyes und einer Reihe europäischer Nationen. Unter seiner offiziellen Bezeichnung – SIGINT Seniors Europe (SSEUR) – haben sich diese neun Nationen darauf verständigt, untereinander sämtliche Informationen und Technologien auszutauschen. Finden Sie in diesem Rätsel die neun Abkürzungen aller daran beteiligten Dienste. Die restlichen 23 Buchstaben ergeben zusammen den Namen jenes Geheimdienstes, der an Nine Eyes teilnehmen wollte, aber keine Einladung erhielt.
NSA (US)
NSA (US)
BB S T T GCHQ (UK) DGSE (FR) S C N E MIVD (NL) CSEC (CA) C N E G D E P MIVD (NL) D G N DE E S BP CSEC (CA) PET (DK) ASD (AU) DI VNS EQ GS N B D S I I H D C PET (DK) SI T V E MS NQC G R AN ASD (AU) A SSA IS NI C HG TD NC D NIS (NO) GCSB (NZ) H C E S C D I H U E GCSB (NZ) NIS (NO) DGSE (FR)
GCHQ (UK)
S T E M N C R A A S A S N C G T N H C E S C D I H U E
Trage hier die restlichen Buchstaben ein:
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Spielstätten depot Depot 1, Depot 2, Grotte und CARLsGARTEN im Carlswerk in Köln-Mülheim | Schanzenstraße 6-20 | 51063 Köln-Mülheim
OFFENBACHPLATZ Außenspielstätte am Offenbachplatz | 50677 Köln
Kartenservice in den Opernpassagen
PREISE
Kooperationspartner
Depot 1: Je nach Preis- und Platzgruppe kostet eine Karte zwischen 10 und 39 Euro. Depot 2: 17 Euro | 22 Euro (Premierenpreis) Grotte: 5 Euro Außenspielstätte am Offenbachplatz: 17 Euro | 22 Euro Schüler*innen und Student*innen zahlen im Vorverkauf 50% des regulären Kartenpreises oder an der Abendkasse nur 7 Euro. Dies gilt auf allen Plätzen in allen Spielstätten (außer Gastspiele und Sonderveranstaltungen).
KARTEN Den Karten- und Aboservice finden Sie in den Opernpassagen zwischen Breite Straße und Glockengasse. Öffnungszeiten Theaterkasse Mo bis Fr von 10 bis 18 Uhr, Sa von 11 bis 18 Uhr Tickets gibt es außerdem unter www.schauspiel.koeln, über die Tickethotline 0221-221 28400 oder per Mail an tickets@buehnen.koeln
Kulturpartner
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Einzelne Produktionen und Projekte werden gefördert von
IMPRESSUM Herausgeber Schauspiel Köln / Intendant Stefan Bachmann Geschäftsführender Direktor Patrick Wasserbauer / Redaktion Intendanz · Dramaturgie · Öffentlichkeitsarbeit und Künstlerisches Betriebsbüro / Konzept, Satz und Gestaltung ambestengestern.com / Illustrationen (Umschlag, Seite 13, 22-23, 28-31, 46-47) Ruben Pater / Druck Kern GmbH / Auflage 40.000 / Redaktionsschluss 10.11.2017
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Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bühnen Köln finden Sie unter www.schauspiel.koeln im Menüpunkt »Karten«. Die angegebenen Preise verstehen sich zzgl. 10 % Vorverkaufsgebühr. Änderungen vorbehalten.
RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE Richard Siegal
22., 23., 24. FEBRUAR 2018 I 19:30 UHR I DEPOT 1
EINE KOPRODUKTION MIT TANZ KÖLN UND SCHAUSPIEL KÖLN WWW.SCHAUSPIEL.KOELN | WWW.TANZ.KOELN | TICKETS: 0221.221 28400
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