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ERSTER TEIL

Gesine Cresspahl stammt aus einem kleinen Dorf namens Jerichow irgendwo in Mecklenburg. Jetzt lebt sie mit ihrer Tochter Marie in der Großstadt New York in frei gewähltem Exil, das sich mehr für die Tochter als für sie wie Heimat anfühlt. Sie ist eine der vielen Immigrantinnen des Big Apple, sicher gestrandet im Trubel der Insel Manhattan, doch innerlich von Heimweh geplagt, verborgen in robuster Eigenständigkeit. Der erste Band von Uwe Johnsons Roman­Tetralogie „Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl“ bildet schwer punktmäßig die Grundlage für Anna­ Sophie Mahlers Inszenierung „Jahrestage. Erster Teil“ am Schauspiel Leipzig. Erzählt wird aus dem Alltag einer alleinerziehenden Mutter im Jahr 1967 / 68 und aus transatlantischen Erinne rungen an ein bewegtes Leben im alten Europa zu Beginn des deutschen Nationalsozialismus.

REGIE

ANNA-SOPHIE MAHLER

TEXT- & KONZEPTMITARBEIT ........... FALK RÖ ß LER

„Dass der überwiegende Teil der begleitenden BeatlesLieder vom ‚White Album‘ stammt, das erst nach der Handlungszeit entstand, ist ein bewusst gesetztes Paradox und eine subtile Erweiterung der johnsonschen Poetik. Es wird laut in Jerichow. Grandios vorgetragene Musik und ein spartanisches Bühnenbild, das allein auf Lichtvariation und ein sich wie Gewitterwolken aus dem Schnürboden herab senkendes Ensemble aus Scheinwerfern und Kabelschlingen setzt.“

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

„Ein sehr angenehmer, unterhaltender, varieté hafter Abend, der viele Elemente zusammenbringt — eine Art Johnson-Oratorium.“

BÜHNE & KOSTÜME ......................

KATRIN CONNAN MUSIK ........................................

DRAMATURGIE

MICHAEL WILHELMI, MARTIN WENK

BENJAMIN GRO ß E

WIEDERAUFNAHME 6 . 1.

GRO ß E BÜHNE

PREISKATEGORIE B

MIT: THOMAS BRAUNGARDT, SONJA ISEMER, AMAL KELLER, ANDREAS KELLER, MARKUS LERCH, DENIS PETKOVIC, BETTINA SCHMIDT, PAULA VOGEL, MARTIN WENK, MICHAEL WILHELMI

DEUTSCHLANDFUNK KULTUR

„Gut durchdacht die Strichfassung, der man gut folgen kann. Ebenso die motivisch eingesetzte Live-Musik, die die Ortswechsel nachvollziehbar macht. Durchdacht auch das Bühnenbild aus weißen Quadern, die multifunktional Möbel, Häuser oder Sichtachsen verkörpern.“

MARIE BESTEHT DARAUF, DASS ICH IHR WEITERERZÄHLE, WIE ES GEWESEN SEIN MAG. ABER WAS SIE WISSEN WILL, IST NICHT VERGANGENHEIT, NICHT EINMAL IHRE. FÜR SIE IST ES EINE VORFÜHRUNG VON MÖGLICHKEITEN, GEGEN DIE SIE SICH GEFEIT GLAUBT, UND IN EINEM ANDERN SINN GESCHICHTEN. SO VERBRINGEN WIR EINIGE ABENDE.

Zweiter Teil

Zurück ins Jahr 1968 zu Gesine und Marie an den Riverside Drive nach New York. Zurück ins Jerichow ihrer Erinnerung, wo die junge Gesine unter sowjetischer Herrschaft auf die Rückkehr ihres Vaters aus der Kriegsgefangenschaft wartet. Beschützt wird sie von Jakob, der sich um sie kümmert und in den sie sich verliebt. Erst als Schülerin, dann als Studentin lernt Gesine die Unterdrückung des sich verstärkenden SEDRegimes kennen und spüren, erlebt absurde Spitzelei und Indoktrinationsrituale, aber auch wahre Freundschaft und jugendlichen Widerstand. Wieder heißt es für die Familie Cresspahl: Neues System, neue Macht und vor allem neue Anpassung.

In „Jahrestage. Zweiter Teil“ nach Uwe Johnson entfaltet sich erneut das große Thema des Autors und seiner Hauptfigur. Kein Land nirgends und keine Migration können Gesine aus dem Eingebundensein in politische Kon flikte am Ende moralisch entlasten und zur Ruhe bringen.

„Immerzu. Immerzu.“ Das Leben ist ein Karussell, das sich ständig dreht. Hier kommt jemand entgegen, da ziehen Worte vorbei, Lichter, Stimmen. An Woyzeck dreht es sich nur vorbei, das Leben. „Wenn wir in den Himmel kämen, müssten wir Donnern helfen“, sagt er. Hier auf Erden aber muss Woyzeck zunächst dem Doktor helfen, bei dessen medizinischen Experimenten. Jeden Morgen muss er zum Hauptmann und ihm zu Hilfe sein. Er muss in die Kaserne, und zuhause ist Marie, die er liebt und mit der er einen Sohn hat. Auch dort sollte er helfen. Mehr, als er es tut. Aber egal, was er tut es genügt nie. Den anderen nicht, und ihm auch nicht.

Immerzu aber gibt es auch die Stimmen in Woyzecks Kopf. Die ihm noch ganz andere Dinge einsagen, die er tun soll: Das Karussell dreht sich immer schneller und schneller unter einem großen Mond, der rot ist „wie ein blutig Eisen“. Ruhe gibt es kaum für Woyzeck. Aber wenn er zur Ruhe kommt, sind da immer noch diese Stimmen, dann flüstert sogar die Erde auf den Feldern. Diese Stimmen erzählen ihm auch vom Tambourmajor, der es auf Marie abgesehen habe.

Woyzeck versucht zu fliehen. Den Hauptmann, den Doktor und diese Stimmen. Aber sie holen ihn ein. Und Marie wird eingeholt von Woyzecks Eifersucht. „Der Mensch ist ein Abgrund.“

1821 erstach Johann Christian Woyzeck seine Geliebte, die Witwe Woost, in der Leipziger Vorstadt. Er war bereits in Leipzig in die Lehre gegangen, und nach Jahren als Soldat, die er im Hin und Her der Napoleonischen Befreiungskriege in Armeen verschiedenster Staaten verbracht hatte, war er wieder in die Stadt zurückgekommen.

Wie viele andere in Deutschland wurde auch Georg Büchner auf den Leipziger Fall aufmerksam, der drei Jahre verhandelt und breit besprochen wurde. Denn mit diesem Fall verbanden sich wie unter einem Brennglas Fragen, die da mals noch nicht allzu lange diskutiert wurden: Fragen nach Schuldfähigkeit und Wahnsinn ebenso wie soziale Fragen nach Lebensbedingungen und Lebenschancen.

Die psychiatrischen Gerichtsgutachten, die zum Fall Woyzeck entstanden, bilden eine der Quellen zu Büchners Drama, das sich andererseits eine große literarische Freiheit nimmt. Schlaglichtartig reiht Büchners „Woyzeck“ in expressiver Zuspitzung Stationen einer Eskalation auf und nimmt gesellschaftliche Hierarchien und Abgründe in einen grellen Fokus. Büchners Drama ist Fragment geblieben aber gerade in seiner Fragment­ Struktur entspricht es vielleicht den Aspekten und Umständen dieser Geschichte.

GEORG BÜCHNER

REGIE ......................................... ENRICO LÜBBE

BÜHNE ....................................... ETIENNE PLUSS

KOSTÜME BIANCA DEIGNER

VIDEO ROBI VOIGT

MUSIK PHILIP FRISCHKORN

DRAMATURGIE TORSTEN BU ß

PREMIERE 27 . 4.

GRO ß E BÜHNE

PREISKATEGORIE B

ZU AUSGEWÄHLTEN

VORSTELLUNGEN: ENGLISCHE ÜBERTITELUNG

Schauspielintendant Enrico Lübbe widmet sich in Leipzig dem Stoff noch einmal neu, nach der Schauspiel­Inszenierung in Chemnitz 2011 und Alban Bergs Opernversion 2017 in Erfurt unter der musikalischen Leitung von Joanna Mallwitz. Das Bühnenbild entwirft Etienne Pluss, der für „Violetter Schnee“ an der Staatsoper Unter den Linden 2019 mit dem Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet wurde. Seine Arbeiten führten ihn zuletzt zu den Salzburger Festspielen („Il Trittico“, Regie Christoph Loy) sowie gemeinsam mit Regisseur Claus Guth zu den Festspielen in Aix­en­Provence und an das Teatro San Carlo Neapel.

Ebenso wie Pluss verbindet auch Kostümbildnerin Bianca Deigner eine langjährige Zusammenarbeit mit Enrico Lübbe, gemeinsam erarbeiteten sie in Leipzig „Das kalte Herz“, „Winterreise / Winterreise“ oder „Die Maßnahme / Die Perser“. Weitere Arbeiten führten Bianca Deigner an das Theater Gera sowie ans Theater Freiburg, an die DomStufen­Festspiele Erfurt und an die Opéra de Lille in Kooperation mit der Philharmonie de Paris zu Stockhausens „Freitag aus Licht“.

Nach zuletzt „Das kalte Herz“ und „563“ gestaltet der Leipziger Musiker und Jazzpianist Philip Frischkorn für „Woyzeck“ erneut eine Schauspielmusik am Haus.

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