13. Ausgabe

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Inhalt

Kurzmeldungen

SR Wahl: Verlauf der Wahlbeteiligung

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Wahlbeteiligung in Prozent 12,31%

11,59%

9,54%

11,10%

8,23%

6,77%

2006

10

2007

6,70%

2008

8,69% 7,54%

2009

2010

2011

2012

2013

Akademische Wahlmüdigkeit

2014

Hochschulpolitik

SR & AS 5 Wieso Politik ins Parlament gehört 6 Gestaltungswille statt pol. Euphorie 8 Akademische Wahlmüdigkeit 10 Wahlkommentar 12

In Sorge um den eigenen Studiengang 13 Campusleben

Ein Mentee werden ptb Bremen Bachelor of Life: auf dem Boulevard Ein Professor im Europäischen Parlament

Bremen

Drei Dinge in Bremen erleben In der Warteschleife Echte Tatorte in Bremen

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In Sorge um den eigenen Studiengang

Feuilleton

Impressum

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In der Warteschleife

22 24 26

Die Vervollkommnung einer Erfindung Pleiten, Pech und Pannen auf Festivals Die WM - Ein Fest des Volkes? Eine Gedenkreise nach Minsk

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16 18 19 20

29 30 32 34


Editorial

Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen! Die SR-und AS-Wahlen sind vorüber und nun wird es Zeit, sich diesbezüglich einen kleinen Überblick über die aktuellen Geschehnisse zu verschaffen. Leider erfüllte die Wahlbeteiligung auch in diesem Jahr nicht die Hoffnungen. Wo im Vorjahr noch 11,59% aller Studierenden ihr Kreuzchen bei der SR-Wahl setzten, waren es dieses Jahr nur 11,10%. Der Scheinwerfer hat die stärksten Listen interviewt und gefragt, wie die Koalitionsverhandlungen voran gehen, was sie zu dem Wahlergebnis sagen und wie die Reaktion auf diese geringe Wahlbeteiligung ist. Eben diese niedrige Wahlbeteiligung ist auch dahingehend besorgniserregend, weil es hochschulpolitisch mal wieder hoch hergeht. Denn wieder soll ein Studiengang aus der Universität Bremen verschwinden. Dass dies nicht hinnehmbar ist, bewiesen die Studierenden der Universität und Hochschule Bremen sowie weiterer Gruppen durch ihren Protest mehr als deutlich. Der Scheinwerfer beleuchtet für euch das Leben in Sorge um die eigenen Studiengänge und die dahinterliegende Problematik. Um in der Politik zu bleiben, springen wir von der Hochschulpolitik zu einem ebenso brisanten Thema, welches seit einiger Zeit ganz Deutschland beschäftigt, und ein immer wiederkehrendes Thema in den Medien ist. Von 2010 bis 2014 hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Flüchtlinge mehr als verdoppelt. Ein immer präsenter werdendes Problem hierbei ist der fehlende Wohnraum. Die meisten Flüchtlinge werden zunächst in provisorischen Notunterkünften beherbergt, welche wegen der unzumutbaren Verhältnisse allerdings nicht als Dauerlösung geplant sind und geplant sein dürfen. Leider

werden diese häufig jedoch zu ihrem festen Zuhause, da schlicht und ergreifend Wohnraum fehlt, oder das Bundesamt für Migration zu lange für einen Asylantrag braucht. Der Scheinwerfer setzt sich mit dieser Problematik auseinander und zeigt auch, was die Schattenseiten einer solchen Debatte sind. Denn leider werden auch die fremdenfeindlichen Parolen zu diesem Thema immer lauter. Der Sommer ist mehr oder weniger in vollem Gange und was in dieser Jahreszeit unter anderem auf keinen Fall mehr wegzudenken ist, ist die allseits beliebte Festival-Saison. Jedes Jahr pilgern tausende MusikFans aus ganz Deutschland zu den beliebtesten Festivals, von Rock am Ring über das Hurricane bis hin zu Omas Teich, um ein Wochenende lang guter Musik zu lauschen, verschiedene Menschen kennenzulernen und Spaß zu haben. Doch dabei kommt es oftmals anders als man es vorher sorgfältig zu Hause geplant hat. Dann ist zu wenig Bier in der Tasche meistens nur das geringste Problem. Der Scheinwerfer hat die schlimmsten Fauxpas mal unter die Lupe genommen und hofft, dass ihr dadurch das ein oder andere Schlamassel vermeiden könnt. In diesem Sinne wünschen wir euch einen schönen Sommer und starke Nerven für die bevorstehenden Prüfungen. Viele Grüße und viel Spaß beim Lesen.

Jarmila Rakowski

Yannik Roscher

Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus, unter scheinwerfer@uni-bremen.de oder auf der Facebook-Seite: https://www.facebook.com/scheinwerfer.bremen 3


Kurzmeldungen

Kurzmeldungen Nachhaltigkeit in der Wahlwoche

Wider die Wegwerfgesellschaft

Das Thema Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Über etlichen, oft sogar verwirrend vielen Bio-Labels und dem Drängen hin zur Elektromobilität steht dieser Begriff und umfasst noch eine ganze Menge mehr. An der Uni Bremen fanden im Zuge dieser Idee am 24. und 26. Juni die sogenannten Nachhaltigkeitstage 2014 statt. Wer wollte, konnte sich dort über Umweltschutz und Möglichkeiten zur Energie-Einsparung informieren. Natürlich gehörte auch eine Kleidertauschparty dazu. Initiiert wurde das Ganze unter anderem durch Dr. Doris Sövegjarto-Wigbers, die bereits beim unieigenen Projekt „UniSolar“ die Fäden in der Hand hatte (wir berichteten), sowie durch Prof. Dr. Georg Müller-Christ, der sich als Professor der Wirtschaftswissenschaften ebenfalls einen Namen im Bereich der Nachhaltigkeit gemacht hat.

Bereits zum wiederholten Male bot das Szenecafé „noon“ am 5. Juli Raum für das sogenannte „Repair Café“. Statt alte oder kaputte Gerätschaften, Klamotten oder Fahrräder auszusortieren und den vermeintlichen Müll sprichwörtlich aus den Augen und aus dem Sinn zu befördern, treffen sich im Rahmen dieser Veranstaltung Menschen, die Lust haben, Altes zu erneuern. Dabei geht es nicht um ein einsames „Nebeneinanderhergeschraube“. Die Initiatorinnen stammen aus dem Bachelorstudiengang Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie dem Institut für historische Publizistik. Sigrid Kannengießer, eine der Initiatorinnen, benennt die dahinter stehende Idee ganz klar: „Reparieren ist, mehr noch als recyceln, die umweltfreundlichste Alternative zum Wegwerfen und Neukaufen“. Deshalb geht es auch darum, die Leute zu informieren. Wer möchte, kann sich dort bei selbstgebackenem Kuchen auch über die reine Reparatur hinaus austauschen. Eine Wiederholung ist wahrscheinlich.

Weitere Informationen: www.va-bne.de

Weitere Informationen: www.facebook.com/repairbremen

In eigener Sache: Neue verantwortliche Redakteure Es ist mal wieder soweit, in der Scheinwerfer-Redaktion finden einige Wechsel statt. Nach fünf gemeinsamen Ausgaben verabschieden wir Jarmila Rakowski als Koordinatorin des Scheinwerfers und wünschen ihr und allen, die uns nun leider verlassen das Beste für die Zukunft. Als neue Koordinatorin möchten wir euch die Politikwissenschaftsstudentin Lina Schwarz vorstellen. Das Bremen Ressort, das bisher von Neele Meyer geleitet wurde, wird ab sofort von der Studentin für Germanistik- und Rechtswissensschaften Antonia Cohrs übernommen und das Ressort Campusleben übernimmt die Integrierte Europastudien Studentin Lisa Urlbauer von Merlin Pratsch. Wir sind überzeugt, dass wir für die Posten die richtigen Personen gefunden haben, die den Scheinwerfer auch in der Zukunft verantwortungsvoll gestalten und weiterentwickeln werden.

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Post it on Facebook! Ihr kennt eine sehenswerte Ausstellung, wisst wo die beste Party steigt oder ein schönes Konzert stattfindet, und möchtet es gerne mit anderen teilen? Dann schreibt es uns doch und wir posten es dann für euch auf Facebook. Entweder ihr meldet euch direkt über unsere Facebookseite, oder ihr schickt euren Tipp an: werberessort.scheinwerfer@gmail.com


Hochschulpolitik

Studierendenrat (SR)

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er Studierendenrat (SR) wird alljährlich gewählt und ist das höchste ständige beschlussfähige Organ der Studierendenschaft. Wahlberechtigt sind alle Studierenden der Universität Bremen. Im Fokus des SR stehen die Wahl und Kontrolle des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), und der Beschluss von Richtlinien und Vorgaben für den AStA. Im SR sind derzeit zwölf Listen vertreten. Die 25 zu besetzenden SR-Plätze sind wie folgt verteilt: - AfA 5 - QFL 1 - Bali 1 - RCDS 3 - CG 3 - SDS 1 - Die PARTEI 4 - StuZu Jura 1 - LiSA 2 - ViStA 1 - Hopis 2 - W&P 1

Mehr Informationen unter: http://sr.uni-bremen.de/wiki/ Hauptseite

Akademischer Senat (AS)

I

m AS werden zentrale Entscheidungen getroffen, die die gesamte Universität betreffen. Hierzu zählen vor allem die Entscheidungen bezüglich der Mittelzuweisungen und -beschaffung, des Hochschulentwicklungsplans und die Wahl des Rektors beziehungsweise der Rektorin. Aktuell ist dies Professor Doktor-Ingenieur Bernd Scholz-Reiter, der während der Sitzungen auch den Vorsitz inne hat. Des Weiteren wird hierin beispielsweise auch darüber entschieden, ob bestimmte Studiengänge aufgelöst oder finanziell beschnitten werden. Nicht zuletzt beschließt der AS auch über die Grundordnung und nimmt den jährlichen Rechenschaftsbericht des Rektorats entgegen. Somit sind viele der getroffenen AS-Entscheidungen für uns Studierende unmittelbar bemerkbar. Darum sind in diesem Gremium auch Vertreter der Studierendenschaft repräsentiert, jedoch lediglich mit vier von 22 Plätzen. Insgesamt setzt sich der AS nun wie folgt zusammen: - 7 Professoren & Professorinnen - 5 Dekane & Dekaninnen - 4 Akademische Mitarbeiter & Mitarbeiterinnen - 4 Studierende (AfA, CG, LiSA, PARTEI) - 2 Sonstige Mitarbeiter & Mitarbeiterinnen Mehr Informationen unter: http://www.uni-bremen.de/as

Text: Zusammengestellt von Björn Knutzen & Yannik Roscher Grafik: Katrin Pleus, Quelle AStA Uni Bremen

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Hochschulpolitik

Wieso Politik ins Parlament gehört In unserer Sonderausgabe unternahmen wir den Versuch, anhand von Anwesenheitsquoten und anderen Zahlen das parlamentarische Arbeiten der hochschulpolitischen Listen zu analysieren. Dieses Experiment sollte Transparenz schaffen und informieren. Aber lässt sich die Qualität politischen Handelns wirklich in Zahlen fassen?

W

er die sich wiederholenden kritischen Berichte dazu liest, wie häufig die politische Klasse ihre Sitzungen im Bundestag versäumt, muss glauben, dass Anwesenheit einen politischen Wert an sich darstellt. Viele werden einwenden, dass dies allein nicht genügt. Trotzdem gibt es gute Gründe, dies von unserer politischen Vertretung zu verlangen. Eine Analyse anhand der hochschulpolitischen studentischen Gremien. Reine Formalität Ein Blick in die Ordnungen des SR offenbart ein paar Hinweise, die die Forderungen nach Anwesenheit teilweise legitimieren. Bereits in der Grundordnung wird auf das Urabstimmungsverfahren hingewiesen. Dieses Instrument dient „der Willensbildung der Studierendenschaft in grundsätzlichen Angelegenheiten“. Einmal abgesehen von der Möglichkeit, eine Urabstimmung auf Verlangen von mindestens fünf Prozent der Studierendenschaft in die Wege zu leiten, ist im SR eine Zwei-Drittel-Mehrheit dazu notwendig. Gleiches gilt für eine Grundordnungsänderung sowie eine Änderung von Finanz-, Wahl- und Geschäftsordnung. Darüber hinaus verlangt die Geschäftsordnung des SR, dass mindestens 13 von 25 Stimmberechtigten anwesend sind, damit Beschlussfähigkeit besteht. Bei Krankheit oder Verhinderung eines einzelnen oder nur weniger Mitglieder der AStA-Koalition wäre der SR damit automatisch beschlussunfähig, sofern die Opposition geschlossen zu Hause bliebe. Das ist selbstverständlich auch der geringen Parlamentsgröße geschuldet. Trotzdem lohnt das Gedankenspiel, es wäre in anderen bekannten Parlamenten ebenso. Dabei verliefe dieses Verfahren noch stärker als ohnehin ohne öffentlichen Diskurs. Redeparlament vs. Arbeitsparlament Häufig wird in politischen Systemen zwischen so genannten Rede- und Arbeitsparlamenten unterschieden. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt in einem Beitrag zum Redeparlament, dieses wolle als „wichtigste[s] Forum der öffentlichen Meinung“ gelten. Die dortige Rede diene dann der „Rechtfertigung eigener Entscheidungen“, „Kritik an der Haltung anderer“, der „öffentlich-wirksame[n] Kontrolle, Information und Meinungsbekundung“, aber nicht dazu, „um sich gegenseitig zu überzeugen“, wie es dort heißt. Trotz der politologisch-kritischen Einschätzung ist das Verständnis von Redeparlamenten in Wirklichkeit breiter. Als herausragendes Beispiel gilt gern das englische Unterhaus, in dem um Argumente gerungen wird.

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Im Arbeitsparlament wiederum sind „Macht und Arbeit“ in den Ausschüssen zu suchen. Hier sind es teilweise nicht die großen Rednerinnen und Redner, sondern es ist die vermeintliche oder reale Expertise gefragt. In diesem Fall wird beispielsweise gern der US-Kongress bemüht. Der Studierendenrat Bei Betrachtung des studentischen Parlaments fällt auf, dass es keine Ausschüsse gibt. Ob eine solche Struktur bei bloß 25 Mitgliedern überhaupt sinnvoll ist, dürfte diskussionswürdig sein. Und doch wäre es naiv, davon auszugehen, dass alle Entscheidungen erst im Rat entwickelt werden. Tatsächlich werden sich die einzelnen Listen intern eine Meinung bilden und suchen de facto auf der AStA-Etage das außerparlamentarische Gespräch mit anderen Listen. Bis zu einem gewissen Grad ist diese Art der Interaktion auch normal und nicht sinnvoll zu unterbinden, unabhängig davon, wie das bewertet würde. Davon ausgehend ließe sich feststellen, dass die Anwesenheit im SR von geringer Bedeutung ist, solange zumindest eine Mehrheit für die jeweiligen Entscheidungen zustande kommt. Die Erfahrung lehrt aber etwas anderes. Erste Anträge werden häufig von einzelnen Listen oder temporären Koalitionen zuvor und außerhalb des SR erarbeitet. Innerhalb der laufenden parlamentarischen Diskussion kommt es dann jedoch oftmals zu Überarbeitungen und Änderungsanträgen. Einen eigenen Antrag mit einigen Veränderungen durchzubringen, das ist dann doch besser als gar nichts zu tun. Innerhalb der vergangenen Legislaturperiode zeigte sich solch ein Prozess speziell im Zuge der Haushaltsdebatte (wir berichteten). Wer nicht da ist, der schweigt Wenn nun aber Diskussionen im SR stattfinden, deren Ende nicht immer vorauszusehen ist, und wenn dadurch neue, uns alle betreffende Anträge entstehen, ist es von großer Bedeutung, dass sich möglicht viele der gewählten Vertreterinnen und Vertreter daran beteiligen. Ein weiterer Punkt ist das Stellen von Anträgen selbst. Dabei fällt dies naheliegenderweise insbesondere der Opposition schwerer als der AStA-Regierungs-Koalition, da letztere zumeist die Mehrheit bildet. Die meisten Listen innerhalb des SR sind sich politisch jedoch womöglich nicht derart fremd, als dass oppositionelle Anträge bei entsprechenden Kompromissen nicht auch angenommen würden. Es lassen sich somit durchaus etwas mehr parlamentarischer Aktivismus und dessen mediale Dokumentation verlangen. Es geht schließlich auch darum, dass dort Listen


Hochschulpolitik

den Debatten fernbleiben, die von möglicherweise Hunderten Studierenden gewählt worden sind, um diese zu vertreten. Diese Wahl erfolgte dabei vielleicht auch vor dem Hintergrund politischer Inhalte oder Positionen. Auf der anderen Seite handelt es sich beim SR um ein öffentliches Parlament. Alle haben ein Recht darauf, den Sitzungen beizuwohnen. Selbst Anträge können von nicht gewählten Studierenden ohne große Probleme in den Rat eingebracht werden – Annahme ungewiss. Wer also Anwesenheit und eine höhere parlamentarische Aktivität der Hochschullisten wünscht, ist frei darin, unseren Hochschulpolitikerinnen und Hochschulpolitikern über die Schultern und auf die Finger zu schauen. Da die Beteiligung aus der Studierendenschaft wie auch bei den Wahlen häufig genug recht gering ausfällt, könnte dies einen guten Ansporn darstellen, anwesend und aktiv zu sein. Letzten Endes zeugt das unnötige Fernbleiben vom SR sowohl von mangelndem Respekt vor jenen, die den Weg zur Wahlurne finden, als auch von geringer Wertschätzung demokratischer Möglichkeiten. Es kann nur mäßig verwundern, dass so wenige wählen gehen, wenn die mandatierten Personen sich nicht im Sinne ihrer Versprechen verhalten. Und es wird sicherlich vielen

noch schwerer gemacht, den AStA als legitime Vertretung der Studierenden darzustellen. Und dann folgen die nächsten Kürzungen. Der AStA ruft zum Protest auf und niemand kommt. Das Rektorat und die politische Klasse freuen sich gewiss. Die Redaktion des Scheinwerfers möchte einige der analytischen Instrumente ihrer Wahlsonderausgabe beibehalten. Aus diesem Grunde werden wir künftig auch im regulären Magazin verstärkt auf die Aktivitäten der Listen hinweisen. Dazu wird die tatsächliche Anwesenheit womöglich ebenso gehören wie die Anzahl an Anträgen. Für weitere Vorschläge, welche Kennziffern oder Inhalte wichtig wären, sind wir dankbar und greifen diese gern auf, sofern sie sinnvoll sind.

Text: Björn Knutzen Illustration: Samira Kleinschmidt

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Hochschulpolitik

Gestaltungswille statt politischer Euphorie Nach der Wahl ist vor den Koalitionsverhandlungen. Der Scheinwerfer hat die stärksten Listen danach gefragt, was sie zum Wahlergebnis zu sagen haben, und auch die kleineren und neu eingezogenen Listen um Statements gebeten. Dies sind ihre Antworten.

Campus Grün

AStA für Alle

Wie ist eure Reaktion zu der gesunkenen Wahlbeteiligung? Wir finden das natürlich sehr schade, aber das Ziel kann keineswegs eine Wahlbeteiligung von ca. 12% sein. Wir werden uns daher weiter mit Möglichkeiten beschäftigen, die Studierenden mehr über die Wahlen zu informieren und zum Wählen zu animieren. Seid ihr zufrieden mit eurem Wahlergebnis? Es ist natürlich schade, dass wir zwei Sitze verloren haben. Aber angesichts der vielen neuen Listen, die angetreten sind, können wir mit der klaren Mehrheit der Stimmen und fünf Sitzen gut leben. Wie sehen eure Pläne angesichts der Sitzverteilung für die kommende Legislaturperiode aus? Wie aus den komplizierten Mehrheitsverhältnissen im SR ein vernünftiger, arbeitsfähiger AStA gebildet werden kann, werden in den nächsten Wochen die Koalitionsgespräche zeigen.

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Sitze 2013

Sitze 2014

AfA

7

5

Campus Grün

5

3

Die PARTEI

3

4

PIRATEN

1

2

RCDS

4

3

SDS

1

1

Wie ist eure Reaktion zu der gesunkenen Wahlbeteiligung? Die Listen und die Wahlkommission haben sich Mühe gegeben, die Wahlen auf dem Campus präsent zu machen. Auch war im vergangen Jahr hochschulpolitisch viel los, wie z.B. die Kürzungsprostete im Herbst. Es ist schade, dass trotzdem so wenige Menschen wählen gehen. Seid ihr zufrieden mit eurem Wahlergebnis? Im Akademischen Senat haben wir wieder ein gutes Wahlergebnis und einen Sitz bekommen, das ist toll. Besonders freuen wir uns, dass die Studierendenschaft auch im nächsten Jahr nicht durch den RCDS vertreten wird. Im Studierendenrat haben wir leider zwei Sitze verloren, sind aber immer noch mit drei vertreten, obwohl sich die Anzahl der angetretenen Listen verdoppelt hat. Für diese Ergebnisse bedanken wir uns bei allen Menschen, die uns gewählt haben! Wie sehen eure Pläne angesichts der Sitzverteilung für die kommende Legislaturperiode aus? Wie wir schon vor der Wahl angekündigt haben, hoffen wir, dass wir in einem starken, breit aufgestellten, linken AStA erfolgreiche Hochschulpolitik machen können. Sollte es dafür keine Mehrheit geben, machen wir ein weiteres Jahr kritische Oppositionsarbeit

Hochschulpiraten

Wir Piraten sind mit unserem Ergebnis sehr zufrieden, zwei Sitze statt einem Sitz sind ein großer Erfolg für uns. Die gesunkene Wahlbeteiligung sehen wir als schlechtes Zeichen. Alle Listen sollten versuchen die momentane Spaltung zu überwinden, sich in Zukunft konstruktiver einbringen und so hoffentlich mehr Menschen an die Urnen bringen.


Hochschulpolitik

Die PARTEI

Wie ist eure Reaktion zu der gesunkenen Wahlbeteiligung? Angesichts des Umstandes, das unsere Plakate abgerissen, unsere Banner geklaut und die Reifen unseres Wahlkampfmobils zerstochen wurden, gehen wir fest davon aus, dass mindestens fünfhundert unserer potentiellen Wähler_innen verschleppt, ermordet und irgendwo auf dem Campus verscharrt wurden. Wir haben allerdings schon das Team von Galileo Mystery darauf angesetzt, die Sache sollte also bald aufgeklärt sein. Seid ihr zufrieden mit eurem Wahlergebnis? An unserem Wahlziel von 100 Prozent + x sind wir erneut deutlich gescheitert. Entsprechend groß ist unsere Enttäuschung – insbesondere da uns das Feedback in der Wahlwoche auf einen Erfolg hoffen ließ. Nächstes Jahr fordern wir in jedem Falle OSZE-Wahlbeobachter an. Wie sehen eure Pläne angesichts der Sitzverteilung für die kommende Legislaturperiode aus? Unser Ziele für die nächsten zwölf Monate sind eine atomwaffenfreie Welt, die Lösung des Nahost-Konflikts und die Anwesenheit von Vertreter_innen der Liste LiSA in mindestens fünfzig Prozent der Studierendenratssitzungen – sortiert in absteigender Reihenfolge nach unserem Glaube an eine zeitnahe Umsetzbarkeit.

SDS Mit unserem Ergebnis sind wir zufrieden, trotz der vielen linken Listen ist unser Stimmenanteil fast gleichgeblieben, die Wahlbeteiligung könnte natürlich höher sein. Zudem hat der RCDS Stimmen eingebüßt, was für uns ebenso ein schönes Ergebnis ist. Wir wollen mit unserem Sitz, wie auch letztes Jahr, mit einem gewerkschaftlichen Referat Verantwortung übernehmen und hoffen auf konstruktive Gespräche der verschiedenen Listen mit uns und untereinander.

Anm. d. Red.: Bei den Texten im blauen Kasten handelt es sich um Statements der Hochschullisten. Die Texte im grauen Kasten sind Interviews mit den jeweiligen Listen.

RCDS

Wie ist eure Reaktion zu der gesunkenen Wahlbeteiligung? Die Wahlbeteiligung ist bei den diesjährigen Wahlen, ähnlich wie in den vergangenen Jahren, bedenklich gering. Dies muss ein Aufruf für die gesamte Universitätslandschaft sein. Im Vorfeld der Wahlen sollte es daher viel stärker darum gehen, die Studierenden aufzuklären und ihnen näher zu bringen, was und vor allem warum sie wählen gehen sollten. Verstärkte FacebookWerbung der Wahlkommission sowie die Infotafel in der Glashalle gehen in die richtige Richtung. Seid ihr zufrieden mit eurem Wahlergebnis? Im Vergleich zum Vorjahr hat der RCDS einen Sitz im SR und insgesamt 58 Stimmen verloren. Unser Anspruch war es, die 4 Sitze zu halten und möglicherweise einen Sitz dazu zu gewinnen. Auf den ersten Blick ist dies eine Niederlage, die wir akzeptieren müssen. Allerdings schneiden wir im Vergleich zu den anderen Listen noch sehr gut ab. Vor allem Afa (noch 5 Sitze) und Campus Grün (noch 3 Sitze) mussten mit minus 2 Sitzen herbe Niederlagen einstecken. Die linken Listen haben sich komplett aufgespalten - LiSA hat sich mit nur noch 2 (!) Sitzen halbiert. Erstmals haben wir deutlich mehr Stimmen als Lisa und Campus Grün bekommen. Vor diesem Hintergrund scheint unsere Position, trotz des Verlusts, gestärkt. Wie sehen eure Pläne angesichts der Sitzverteilung für die kommende Legislaturperiode aus? In dieser Legislatur werden wir es durch den Sitzgewinn von einigen Listen mit vielen verschiedenen Gruppen und einem sehr stark zersplitterten System zu tun haben. Bereits im vergangenen Jahr konnte sich um AfA, Die Partei und die Hochschulpiraten keine Mehrheit entwickeln. Für die Arbeit im SR ist diese Entwicklung fatal. Das Gremium wird weitgehend die Möglichkeit verlieren mit einer Stimme zu sprechen, da die Kompromiss- und Mehrheitsbildung äußerst kompliziert wird. Als RCDS werden wir deshalb zwei Ziele verfolgen: Einerseits werden wir auch weiterhin als einzig nicht linke Liste für eine pragmatische, umsetzbare und vor allem studierendenorientierte Hochschulpolitik stehen und auf Fehlentwicklungen im SR hinweisen. Andererseits werden wir uns möglichen Kompromissen nicht verschließen um Vorhaben, die unserer Universität zugute kommen, nicht zu blockieren.

Fragen: Lisa Urlbauer Antworten & Statements von den jeweiligen Listen

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Hochschulpolitik

Akademische Wahlmüdigkeit -

D

ie Zahl ist eindeutig: Zur Wahl des Studierendenrates hat es höchstens 44 Stimmen gebraucht, um einen Sitz zu erhalten. Der Basisdemokratischen Linken (BaLi) ist das gelungen. Damit haben die Stimmen von 44 Menschen genügt, um die Beteiligung einer Liste an den politischen Verhandlungen innerhalb des SR zu ermöglichen. Diese entscheidet fortan mit darüber, wozu beispielsweise studentische Gelder verwendet werden. Insgesamt sind im nächsten SR zwölf hochschulpolitische Listen vertreten. Auch für die übrigen Listen und ihre Sitze genügte eine zumeist geringe Anzahl an Stimmen. Das verwundert insofern nicht, da von fast 19000 Wahlberechtigten bloß etwa 2000 zur Wahlurne gegangen sind. Die Wahlmüdigkeit der hiesigen Studierenden steht damit im krassen Gegensatz beispielsweise zur Wahlbeteiligung unter Studierten und Bessergestellten bei Volksentscheiden wie jenem zur Hamburger Schulreform oder bei Bundestagswahlen.. Als stärkste Liste geht wie schon im Vorjahr AStA für Alle (AfA) aus den Wahlen hervor, muss jedoch deutliche Verluste hinnehmen. Gleiches gilt für Campus Grün (CG) und die Liste der StudiengangsAktiven (LiSA). Auch der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) muss Einbußen akzeptieren, während der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband

(SDS) bei einem Sitz verharrt. Zuwächse gibt es hingegen bei der PARTEI und den Hochschulpiraten (Hopis), die seit ihrem jeweils ersten Wahlantritt kontinuierlich dazugewonnen haben. Wahlgewinner gibt es keine Mit der Queer-Feministischen Liste (QFL), Wok & Pfanne (W&P), BaLi, der Liste „Vielfalt im Studierendenausschuss“ (ViStA) und dem Studierendenzusammenschluss der Rechtswissenschaften (StuZu Jura) gibt es zwar fünf Listen, denen erstmals oder nach einer Pause mit einem Sitz der Einzug in den SR gelungen ist. Bedenkend aber, wie wenige Stimmen es dazu gebraucht hat und wie niedrig die Wahlbeteiligung ausgefallen ist, fällt es schwer, von Wahlgewinnerinnen zu sprechen. Über die Gründe wird zu reden sein. Bei diesmal doppelt so vielen hochschulpolitischen Listen wie im vergangenen Jahr können die Studierenden sich eigentlich nicht über eine zu geringe Auswahl beschweren. Gemäßigt linke Kräfte standen ebenso auf dem Wahlzettel wie radikalere Vertreterinnen und Vertreter dieser Richtung. Es konnte konservativ gewählt werden oder mit dem Fokus auf queere oder kulturelle Themen. Auch eine Liste zur Vertretung eines spezifischen Studiengangs und eine weitere für die Promovierenden sind für den SR angetreten. Satirische oder Spaßparteien hat es ebenso gegeben wie Listen, deren Pen-

SR-Wahl: Sitzverteilung (absolut)

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Hochschulpolitik

Wer sind die 89 Prozent? Die Wahlen zum Akademischen Senat (AS) und zum Studierendenrat (SR) sind gelaufen. Das Ergebnis ist durchwachsen. Im AS ist erstmals die PARTEI vertreten. Und im SR kommen in der folgenden Legislaturperiode fünf im vergangenen Jahr nicht vertretene Listen dazu. Die Wahlbeteiligung lag bei 11,4 und 11,1 Prozent.

dant in Länderparlamenten oder dem Bundestag sitzt. Außerdem ist es bemerkenswert, dass sich mit 182 Studierenden sogar 59 mehr als im vergangenen Jahr zur Wahl aufstellen ließen. An Studierenden, die sich für die Universität und das Studium aus welchen Gründen auch immer engagieren, mangelt es also nicht. Ein gern vorgebrachtes und durch Studien immer wieder belegtes Argument betrifft nach Aussage von Wahlberechtigten das ungenügende Wissen über die Wahlen und die hochschulpolitischen Vorgänge. Dass dies an fehlenden Informationsmöglichkeiten liegt, darf aber getrost für zumindest nur die halbe Wahrheit gehalten werden. Wenn mehrere Listen bei Facebook und Twitter vertreten sind oder ganz klassisch eine Website betreiben, fällt es schwer zu erklären, wieso die Menschen sich dort nicht informieren. Die vielen Flyer auf den Mensatischen mögen nerven, verraten jedoch einiges über die politische Haltung vom RCDS, von LiSA, AfA und Co. Darüber hinaus berichtet der Uni-Blog EULe über die Wahlen. Außerdem wurden eigens dafür Facebook- und Twitter-Accounts eingerichtet. Auch der Scheinwerfer selbst berichtet seit seiner Gründung regelmäßig über hochschulpolitische Vorgänge und dürfte neben der Informations- und Transparenzoffensive des damaligen Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) maßgeblich mitverantwortlich für die höchste Wahlbeteiligung innerhalb der letzten zehn Jahre gewesen sein (12,31 Prozent im Jahr 2012). Auch diesmal gab es große Bemühungen, um die Studierenden zu informieren.

det, ob Studiengänge wie die Psychologie geschlossen werden. Es wird darüber hinaus spannend sein zu beobachten, wie sich die erstmals im AS vertretene PARTEI dort politisch verhalten wird. Der ehemalige Neueinsteiger LiMINT (Liste der MINTStudierenden) ist zu dieser Wahl nicht erneut angetreten. AfA sowie CG konnten ihre Sitze halten und auch LiSA ist erneut mit einem Sitz vertreten. Fragen über Fragen Woran aber liegt es nun, dass 88,6 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur AS-Wahl (SR: 88,9 Prozent) gehen? Ist es Überforderung durch die gefühlt tausenden Flyer, Plakate, Zeitschriften und Banner? Handelt es sich womöglich um eine antiparlamentarische Grundhaltung? Ist der Glaube, etwas bewegen zu können, derart gering? Falls ja: Rechtfertigt das, den wirklich geringen Wahlaufwand nicht in Kauf zu nehmen? Oder ist der Aufwand noch immer zu groß? Gibt es den Wunsch, mit dem Semesterticket oder ganz zentral ohne Unterlagen zu wählen? Es bleiben 89 Prozent der Wahlberechtigten sprichwörtlich zu Hause. Damit stellt sich die Frage: Wer sind diese 89 Prozent und wieso wollt ihr nicht wählen?

Wichtiges Gremium, Liste wenig Interesse AStA für Alle (AfA) Obwohl im Akademischen Senat (AS) so Campus Grün (CG) wichtige Dinge wie Liste der StudiengangsAktiven (LiSA) die Eröffnung oder Schließung von Studi- Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, engängen sowie finan- Elitenförderung und basisdemokratische zielle Angelegenheiten Initiative (PARTEI) beschlossen werden, ist die Wahlbeteiligung auch dort sehr gering. Mit 11,4 Prozent liegt sie zwar höher, aber der Bedeutung dieses Gremiums wird das nicht gerecht. Sicherlich würde eine deutliche Abweichung von der SRWahl auch überraschen, werden doch beide Wahlen gemeinsam abgehalten. Brisant ist in diesem Zusammenhang aber, dass universitär insbesondere dieses Gremium beispielsweise darüber mitentschei-

Stimmen

Sitze

418

1

365

1

294

1

301

1

AS-Wahl: Sitzverteilung (absolut)

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Hochschulpolitik

SR Wahl: Verlauf der Wahlbeteiligung Wahlbeteiligung in Prozent 12,31%

11,59%

9,54%

11,10%

8,23%

6,77%

2006

2007

6,70%

2008

8,69% 7,54%

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Wenn von einer fünfstelligen Anzahl an Wahlberechtigten bloß knappe zehn Prozent zur Wahl gehen, läuft offenbar etwas gehörig falsch. Was sind eure Gründe, nicht zur Wahl zu gehen? Wir würden uns freuen, eure Antworten zu erhalten, um sie in einem späteren Heft aufgreifen zu können. Möglicherweise können auch die hochschulpolitischen Listen ihre Lehren daraus ziehen. Kontakt: scheinwerfer@uni-bremen.de Text: Björn Knutzen Grafiken: Katrin Pleus

Die Wahl überwindet Inhalte ODER Wahlsieger: Spaß Ein Kommentar von Lina Schwarz

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tudierende haben gewählt; der neue Studierendenrat der Uni Bremen steht endgültig fest. Die Wahl als Qual: So müssen die 88,6 % empfunden haben, die den Weg zur Wahlurne nicht angetreten haben oder unterwegs aufgehalten wurden. Bei einer Wahlbeteiligung, die nahezu identisch mit der des Vorjahres war, befällt einen die Furcht vor Wahlergebnissen ebenso nahezu identisch mit denen des Vorjahres. Und tatsächlich hat - wie im Vorjahr - AStA für Alle die meisten Stimmen gesammelt. Trotzdem zählen sie zu den Verlierern dieser Wahl; 185 verlorene Stimmen führen zu 2 Sitzen weniger. Mit ihrem Verlust sind sie nicht allein: Auch die anderen Großen (CG, der RCDS und LISA) müssen sich von Sitzen trennen. Seit der Wahl 2013 wollen die Wähler*innen weder mehr nach links noch nach rechts rücken - sondern vor allem mehr lachen. Mit jeder Menge satirischer Wahlwerbung und ohne Inhalte hat die Die PARTEI es geschafft, 304 Stimmen und damit nach AfA die meisten Sitze zu erhalten. Das sind klare und irgendwie auch verdiente Wahlsieger; keine andere Liste hat sich so liebevoll um die Wählerschaft gekümmert. Mit der Ape auf dem Boulevard, mit Bonbons und mit detailreichen Stellungnahmen zu kon12

kurrierenden Listen hat Die PARTEI die Wähler*innen an die Hand genommen und mental zur Wahlurne begleitet. Vielleicht führte aber auch die allgemeine Verwirrung über die vielen Listen, auf die sich wenige inhaltliche Punkte verteilten, zur Flucht in die Satire. Kleine und neue Listen - wie zum Beispiel der Studierendenzusammenschluss der Rechtswissenschaften und die Queerfeministische Liste - sicherten sich jeweils einen Sitz und zählten damit neben Der PARTEI zu den Gewinnern dieser Wahl. Berechtigte Zweifel bleiben, ob dieser Listenüberfluss der Hochschulpolitik gut tut oder ob eine 5%-Hürde ähnlich der in der Bundespolitik in Erwägung gezogen werden sollte, bevor sich die Inhaltsmüdigkeit weiter breit macht. Braucht Hochschulpolitik überhaupt eine inhaltliche Ausrichtung an der Links-Rechts-Ordnung der richtigen Politik? Im Grunde laufen die Interessen doch eher entlang der Studiengänge als entlang der klassischen Konfliktlinien. Eine wichtige Waffe im Kampf gegen das monoton stagnierende politische Desinteresse an der Uni Bremen wäre inhaltliche Eindeutigkeit. Und - das zeigt das Wahlergebnis des Studierendenrats 2014 in aller Deutlichkeit Spaß in der Politik.


Campusleben

Ein Leben in Sorge um den eigenen Studiengang Vergangenes Jahr protestierten Universitätsmitglieder statusübergreifend gegen Kürzungen. Zuvor besetzten Kunststudierende einen Saal im GW2, und aktuell kämpfen nicht bloß Psychologiestudierende gegen die Schließung ihres Studiengangs. Die universitäre Atmosphäre ist geprägt von Zorn, Protest und Ohnmacht.

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s klingt nach Fortschritt und Gelingen, wenn vom sogenannten Wissenschaftsplan 2020 (WP 2020) die Rede ist. Wohl nicht zufällig erinnert dieser optimistischüberschauende Begriff an den Hochschulentwicklungsplan 5 (HEP5). Der Entwurf dieses politischen Rahmens, dessen Endfassung in diesem Sommer vom Senat beschlossen werden soll, liegt vor und birgt einigen Sprengstoff. Was dort steht, bedeutet für viele Studierende auf dem Campus die Sorge um eine ordentliche Ausbildung. Eine Geschichte voller Kürzungen Vor sechs Jahren besiegelten der Senat und ihm folgend die Universität das Ende des Studiengangs Sport. Der Bachelor Behindertenpädagogik folgte. Kürzlich kämpften Universitätsmitglieder aus allen Bereichen mit zumindest geringem Erfolg gegen Personalkürzungen. Aktuell ist der Studiengang Psychologie bedroht. Damit handelt es sich diesmal um einen durchaus auch naturwissenschaftlich ausgerichteten Studiengang. Dieser ist prinzipiell ökonomisch „verwertbar“ und bedient einen Bereich, dessen Bedeutung auch gesellschaftlich ansteigt. Der Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG), Wilfried Bolles, erinnert diesbezüglich an die steigende Zahl dementer Menschen. Und doch rumort es überall, und die im vergangenen Jahr in den Kürzungsprotesten zutage getretene Solidarität zeigt vielleicht auch, dass immer mehr Studierende begreifen: Es kann beinahe alle treffen. Nur selten kommen wirklich viele Studierende zusammen, wenn es um politische Belange geht. Wann immer sich mehrere Hundert versammeln, handelt es sich häufig um ein Thema, das viele

auf einmal betrifft. Im Entwurf des WP 2020 steht wörtlich: „[D]as Land [hält] es für zwingend erforderlich zu prüfen, ob Psychologie als eigenständiges Fach aufzugeben sei“. Im Kern ist es dieser Satz, der kürzlich 300 Studierende zu einer Protestund Diskussionsveranstaltung mit der Bildungssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) erscheinen ließ. Anwesend waren Vertreterinnen und Vertreter des AStAs (Allgemeiner Studierendenausschuss) ebenso wie Studiengangsangehörige, Konrektorin Professorin Heidi Schelhowe, Fachbereichsleiterin Professorin Birgit Volmerg und andere, die ihre Solidarität bekundeten. Nicht Politik, sondern Studium Die Anzahl der Anwesenden wirkt erst im entsprechenden Kontext. In einer Gesellschaft, die den meisten aktuellen Erkenntnissen zufolge nicht an Politik-, sondern an Parteienverdrossenheit krankt, schalten sich nicht viele in den politischen Prozess ein. Wer dort also protestiert, ist vielleicht übrig geblieben und hält womöglich die Stellung auch für all jene, die nicht da sind. Es braucht nicht das Bild der schweigenden Mehrheit bemüht zu werden, um sich vorzustellen, dass Studierende in der Psychologie, der Kunst, den Pflegewissenschaften und in vielleicht noch ganz anderen Bereichen von Sorgen um die Zukunft ihres Fachs geplagt sind. Mitunter scheint alles offen zu sein. Die meisten wollen ganz offenbar ihr Studium zu Ende bringen, einige wollen danach ins Berufsleben, andere in den Master. Wo diese Wahlfreiheit theoretisch vorhanden ist, zeigt die Erfahrung, dass nichts davon sicher ist. Wo immer weniger Leute sich engagieren – die Zeiten riesiger Studierendendemos sind womöglich vorbei – , gefährdet ein solches Vorgehen, wie es der Senat und bisweilen auch die Universitätsleitung an den Tag le-

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gen, das Demokratievertrauen - möglicherweise einer ganzen Gesellschaftsschicht. Keiner will’s gewesen sein Seit Jahren aber beschuldigen sich die Akteurinnen und Akteure gegenseitig. Die Uni verweist auf die Landespolitik, welche wiederum auf den Bund zeigt. Diejenigen, die derzeit an der Macht sind, argumentieren mit notwendigen Sparmaßnahmen, nur um dann hinterher die herrschende Bildungssituation zu kritisieren. Manche Studierende wiederum richten ihre Kritik sogar an die Lehrenden, die kaum etwas dafür können. Und die Kürzungen wiederholen sich seit Jahren. Die Uni ist finanziell abhängig vom Land. Wie es aber auch aus internen Kreisen immer wieder ertönt, sei beispielsweise der Studiengang Psychologie systematisch kaputtgespart worden. So gebe es seit Jahren nur befristete Professuren und andere Lehrende gehen in den kommenden Semestern in Rente. Wo sie bereits fehlten, habe es außerdem keine Neueinstellungen gegeben. Und dies sei nicht allein aus finanzieller Not geschehen. Unterdessen holen Psychologiestudierende ihre Veranstaltungen an Wochenenden in Blockkursen nach – samt extra dafür herbeigerufenem ehemaligem Dozenten. Durch verpasste Veranstaltungen, die so mit aller Gewalt in die Semester gepresst

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werden, steigt jedoch augenscheinlich auch der Druck im Kessel. Der Senat aber scheint an den Studierenden vorbeizuregieren. Die Bildungssenatorin versucht, die Pläne zu erklären. QuanteBrandt als Therapeutin, die doch bloß zuhört und auf die eine Selbsterkenntnis der Studierenden hofft: Nicht meckern, sondern studieren und dann gehen. Denn ob es aber wirklich zu einem Einlenken kommt, steht in den Sternen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass einige immer wieder auf die Straße gehen, während andere nicht daran glauben, gehört zu werden. Doch wenn sich nur wenige hinstellen, und seien die Argumente noch so gut, werden sie vom Senat ignoriert. Sind es aber viele und sind sie gehörig laut, ist ein Erfolg tatsächlich möglich; auch das zeigen vergangene Proteste in kleinem oder größerem Ausmaß. Es wird deutlich, dass nicht mehr bloß jene vermeintlich schöngeistigen Fächer gefährdet sind. Dass schon morgen die Existenz auch ansonsten breit getragener Studiengänge diskutiert oder daran gearbeitet wird, auch diese kaputtzusparen, ist längst nicht mehr unmöglich. Volmerg verweist darauf, dass die Psychologie damals ganz gezielt aus der Bewerbung um den Exzellenzstatus der Uni Bremen herausgehalten worden sei. Der Vorwurf Quante-Brandts, die Psychologie sei kaum in die Forschungsschwerpunkte der Uni-


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versität eingebunden und habe im Hochschulranking zuletzt ständig schlecht abgeschnitten, dürfte dabei recht zynisch sein. Nicht bloß der Hinweis aus dem Institut selbst, dass es dort zu vielleicht unnötigen Einsparungen gekommen sei, rückt das Ganze in ein anderes Licht. Es wirkt auch so, als könne alles, was nicht „exzellent“ ist, tatsächlich Gefahr laufen, eingestampft zu werden. So wirkt es wie zur bloßen Beruhigung, wenn die gleiche Senatorin behauptet, es handle sich um eine „ergebnisoffene Diskussion“. Die andere Seite Allein mit notwendigen Spaßmaßnahmen lässt sich die Schließung des Studiengangs wahrscheinlich nicht begründen. Das Fach beweist in anderen Bereichen durchaus seine Stärken. So sind es laut Delmenhorster Kreisblatt in Bremen nur die Besten aus jährlich 40000 Bewerbungen, die zum Studium zugelassen werden. Von diesen beenden 85 Prozent der Studierenden ihr Studium in Regelstudienzeit. Volmerg nannte diese Zahl „traumhaft“. Im Gesamtdurchschnitt aller Fächer sind es bundesweit bloß 40 Prozent. An der letzten großen Demonstration beteiligte sich indes auch die Psychotherapeutenkammer. Laut Aussage des zu jener Zeit amtierenden AStAs habe zusätzlich der Bremer Verein TäterOpfer-Ausgleich erklärt, er könne seinen Betrieb nicht ohne Studierende aufrechterhalten. Und selbst die Parteigenossinnen und –genossen von der ASG stellen sich gegen die Senatorin. So forderte Bolles von ihr, „den eigenständigen Studiengang Psychologie zu erhalten und sachgerecht auszustatten“. Währenddessen weist er darauf hin, dass zeitnah vier von sechs Lehrstühlen aus Altersgründen frei würden. Der Studiengang scheint wegzubrechen. Es ist zu befürchten, dass längst nicht alles ausgestanden ist. Trotz der augenscheinlichen Solidarität sollte Schelhowes Aussage, man prüfe auch andere Sp a r m ö g l i c h k e i ten, Sorge bereiten. Es sind damit wahrscheinlich nicht die bei-

spielsweise etlichen tausend Euro zum Betrieb der universitären Überwachungskameras gemeint. Nicht umsonst ist die Rede davon, der Studiengang Psychologie stehe „nicht ganz oben“ auf der Kandidatenliste. Alternativen sind wohl im Gespräch. Sorge um das eigene Studium Viele Studierende sind sich derweil ihrer Lage sehr bewusst und beklagen das Handeln von Universität und Politik. Zuletzt gingen mehrere Hundert Personen Mitte des vergangenen Monats auf die Straße, um ihrem Ärger Luft zu machen. Eine am Ende einer Demonstration aus Pappkartons errichtete Mauer wurde dann mit dem Begriff des WP 2020 beschrieben. Zum richtigen Zeitpunkt rannte die Menge in diese Mauer und nahm das Senatswerk auseinander. Für manche ist dies auch irgendwie Spaß gewesen; in jedem Fall ist es die Kraft der Symbolik, die hier beschworen werden sollte. Und doch macht sich das Gefühl breit, nur wenig bewirken zu können. Viele Studierende scheint längst ein Unbehagen ob ihrer Situation zu begleiten. Ein entspanntes Studieren fällt dabei schwer. Eine Studentin aus dem Master Klinische Psychologie erklärte, sie habe Glück, dieses Semester fertig zu werden, und vermutet unbestimmte Auswirkungen auf diejenigen, die derzeit noch studieren. Trotz ihres fortgeschrittenen Studiums hat sie aber das Bedürfnis, für den Studiengang zu kämpfen, und sagte dem Scheinwerfer: „Ich glaube, dass die Schließung unseres

Die Fahrrad-Demonstration am 18. Juni

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Ein Mentee werden Das Mentoring-Programm des Career Centers der Uni Bremen beschäftigt sich mit der Frage: „Was passiert jetzt?“ Studiengangs ein riesiger Fehler wäre. Wir haben sehr gute Dozenten und Professoren, die gute Vorlesungen und Seminare halten.“ Darüber hinaus erklärt sie, dass es Studierenden besonders wichtig ist, eine anständige Lehre zu erhalten: „Eine Universität kann gute Psychotherapeuten und Wissenschaftler bereitstellen, doch lehren kann nicht jeder.“ Von der Exzellenz-Uni ist dort keine Rede. Eine andere Studentin bestätigt diese Wahrnehmung grundsätzlich, nimmt aber Lehrende wahr, die durch die Situation gestresst und zudem gezwungen seien, „Seminare im ReferatsmarathonStil“ abzuhalten. Auch habe die Lage Einfluss auf die Stimmung des Fachbereichs insgesamt. Zuletzt weist sie auf jenen Umstand hin, der während vieler Proteste immer wieder zu hören gewesen ist: „Es gibt Frustration und Angst auch um andere Studiengänge, da Psychologie extrem nachgefragt und wichtig ist.“ Denn schließlich gebe es ungeachtet aller Ohnmacht doch eines zu bedenken: „Wenn dieser Studiengang nicht sicher ist, sind es viele andere auch nicht.“ Der sehr aktiven Fachschaft (StugA) wird vonseiten des Fachbereichs indessen vorgehalten, es sei teilweise nicht ihre Aufgabe, sich um die Lage des Studiengangs zu kümmern. Aus deren Kreisen selbst ist dafür zu hören: „Es ist nicht unsere Aufgabe, aber es macht niemand sonst!“ So zynisch und frustriert das klingt, könnte es die Situation recht treffend beschreiben und steht exemplarisch für den Einsatz, den die Studierenden für ihr Fach zu leisten bereit sind. Die Pädagogin Quandte-Brandt mimt derweil die gute Zuhörerin. Als politische Therapeutin erklärt sie ihre Pläne und nimmt die Probleme der Studierenden wohl doch nicht ganz ernst. Eine psychologische Grundausbildung hätte hierbei womöglich wahre Wunder wirken können.

Text: Björn Knutzen Illustration: Ulrike Bausch Fotos: Yannik Roscher

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ine Frage, die sich viele Absolventen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengänge stellen. Bei der Schwierigkeit, was nach dem Studium kommen mag, knüpft das Mentoring-Programm an. Die Studenten dieser Studiengänge haben oft nach dem Studium das Gefühl, alles ein wenig zu kennen und nichts genau zu wissen! Das Programm soll den Mentees den Einstieg ins Berufsleben erleichtern. Das Konzept beruht auf drei Grundbausteinen: Einmal sollen die Studenten von ihren Mentoren persönlich etwas lernen und sich weiterentwickeln, ihnen soll eine Orientierung außerhalb der Uni geboten werden. Zweitens geht es auch darum, dass umgekehrt die Mentoren von den Mentees etwas lernen sollen. Der Horizont der Unternehmen soll erweitert werden, damit sie

Verbleib der Mentees 2011/12 Abbruch aufgrund schwerer Erkrankung (3)

Auslandspraktikum Elternzeit (1) (1)

Noch im Studium (6)

Berufseinstieg erfolgt (15)

Weiterführendes Studium (6) Doktorandenstelle (4)

auch offener gegenüber Geisteswissenschaftlern werden. Drittens geht es darum, ein Netzwerk aufzubauen. Natürlich stehen die Studenten im Vordergrund, die Kontakte aufbauen sollen. Aber auch die Unternehmen profitieren von diesem Austausch, da sie so erfahren, was heute an den Universitäten gelehrt wird. Auch auf persönlicher Ebene für die Mentoren sind die Gespräche wichtig. Herr Schnier, einer der Mentoren zurzeit (Kunsthalle Bremen), äußert sich in einem Statement, in dem er auf den Erfahrungsaustausch mit der anderen Generation hinweist und über die Möglichkeit, so über die eigenen Entscheidungen und Handlungen zu reflektieren. Des Weiteren verweist er auf die Wichtigkeit und Besonderheit solch eines Programms, denn die Mentees lernen Entscheider von Unternehmen kennen und können von ihren Erfahrungen profitieren. Praktika können dies nicht leisten, da es dort darum geht, die Arbeitsinhalte zu erlernen. Wie wird man nun ein Mentee? Hierfür reicht eine einfache Bewerbung. Enthalten sollte sie ein Motivationsschreiben, eine


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Projektidee und einen Lebenslauf. Zeugnisse und Noten werden hier bei der Platzvergabe nicht berücksichtigt. Die Studenten sollten sich am Ende ihres Studiums befinden oder bereits Absolventen sein. Für diejenigen, die schon im Berufsleben stehen, macht dieses Programm keinen Sinn. Dann geht die Bewerbung an die Programmkoordination. Die Programmkoordinatorin versucht, einen passenden Mentor für die Mentees zu finden. Die Unternehmen stehen in dieser Phase bereits fest. Die Mentoren können Wünsche hinsichtlich der fachlichen Interessen und der beruflichen Ausrichtung ihres Mentees äußern. Wichtig ist auch, dass die „Chemie“ zwischen Mentor und Mentee stimmt. Herr Schnier erklärt hierzu, dass er als Mentor besonderen Wert auf die Offenheit der Mentees legt. Sie sollen die Chance nutzen und die Tandemphasen nach ihren Wünschen formen, denn es geht um ihr Leben und ihre Ziele. Dann geht es los. Es gibt ein erstes Kennenlernen-Treffen. Es wird geschaut, ob sich der Mentor und der Mentee gut verstehen, die Ziele und Wünsche werden besprochen. Wenn beide einverstanden sind, geht das Mentoren-Programm los. Die Tandembeziehung erstreckt sich über zehn Monate. Der Auftakt beginnt im September mit einer großen Eröffnungsfeier, dort lernen sich alle Mentoren und Mentees kennen. Diese Feier wird jedes Jahr mit witzigen Aktionen geplant. Letztes Jahr gab es ein Speed-Dating zwischen den Mentoren auf der einen Seite und den Mentees auf der anderen Seite. So wurde die Stimmung gelockert und man konnte einfach ins Gespräch kommen. Die Mentoren sollen für alle Mentees als Ansprechpartner da sein, die Berührungsängste sollen gemindert werden. Im Juni ist dann die große Abschlussfeier. Hier stellen die Mentees ein Plakat vor, auf dem sie über ihre letzten zehn Monate berichten, ihr Projekt vorstellen und ihre Entwicklung darstellen. Zum Abschluss gibt es ein Zertifikat für die Teilnahme. In der Zwischenzeit sollen sich die Mentoren mit den Mentees alle vier bis sechs Wochen treffen. Wie die Treffen gestaltet werden, ist individuell vom Mentor mit seinem Mentee abzustimmen. Im Laufe der Zeit gibt es Treffen nur für die Mentoren und nur für die Mentees, bei denen sie sich über ihre Erfahrungen austauschen können.

Verbleib der Mentees 2010/11 Verbleib unbekannt (2)

Studium gerade beendet (1) Weiterführendes Studium (1)

Doktorandenstelle (6) Berufseinstieg erfolgt (13)

Die Programmkoordination steht die ganze Zeit zur Beratung zur Stelle und hilft, wo sie kann. Nach der Halbzeit findet ein Businessdinner für alle statt. Dafür wird immer ein Unternehmen gesucht, das das Sponsoring übernimmt. Wieder ein guter Zeitpunkt, um auch mit anderen Mentoren ins Gespräch zu kommen. Wer sind denn nun eigentlich die Unternehmen? Jedes Jahr gibt es wieder neue Unternehmen, aber auch welche, die immer wieder dabei sind. Große Unternehmen wie Daimler, Mondelez und Kellogg’s nehmen immer wieder teil. Aber auch von kleineren Unternehmen und Kultureinrichtungen wie Museen oder Zeitungen stellen sich Mentoren vor. Die Programmkoordination versucht eine Vielzahl von verschiedenen Unternehmensbereichen abzubilden. Die Mentees haben zwar ihren eigenen Mentor, aber durch die großen Veranstaltungen lernen sie auch die anderen Mentoren der Unternehmen kennen, können Kontakte knüpfen und einfach sehen, wie viele Möglichkeiten sie eigentlich haben. Dieses Programm zielt nicht darauf ab, Stellen zu vermitteln oder Praktikumsplätze zu vergeben - auch wenn sich oft Möglichkeiten für Praktika ergeben. Es geht um die persönliche Weiterentwicklung des Mentees. Die Mentoren sollen die Mentees leiten, unterstützen, motivieren und da sein, wenn sich wichtige Fragen auftun im Hinblick auf die berufliche Orientierung und den Berufseinstieg. Wenn euch das Programm zusagt, bewerbt euch einfach. Das Wintersemester ist der Bewerbungsstart für das nächste Jahr. Einreichen könnt ihr eure Bewerbung bis zum April. Wenn in einem Jahr kein Mentor dabei ist, dann kann man es ruhig im nächsten Jahr wieder probieren. Es kann auch einfach daran liegen, dass in diesem Jahr kein passender Mentor dabei gewesen ist. Die Organisatorin Frau Hoffmann gibt euch auch gerne eine Rückmeldung zur Bewerbung und ist für alle Fragen bezüglich des Mentoren-Programms für euch da. Eure Ansprechpartnerin: Wiltrud Hoffmann, M.A. Koordinatorin für berufsorientierendes Mentoring Career Center Universität Bremen ZB C 1203 (Zentralbereich am Boulevard im Durchgang zum GEO-Gebäude direkt gegenüber dem Haupteingang der Mensa) Bibliothekstr. 1 28359 Bremen Bei Fragen und weiteren Informationen wendet euch an Frau Hoffmann. Montag bis Donnerstag E-Mail: wiltrud.hoffmann@uni-bremen.de Telefonnummer: +49 421 218-6 10 34 http://www.uni-bremen.de/career-center

Text: Antonia Cohrs Grafiken: Katrin Pleus, Quelle: Career Center Universität Bremen

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Psychologisch-Therapeutische Beratungsstelle in Bremen

Nach einer Befragung des DSW (Deutschen Studentenwerks) im Jahre 2012 suchten rund 96.000 Studierende eine psychologische Beratung in den Beratungsstellen der Studentenwerke auf. Insgesamt bieten 44 Studentenwerke in Deutschland eine Beratung an, ob für Gruppen, Paare oder auch einzeln. Das Studentenwerk Bremen ist eines dieser 44 Einrichtungen. Die ptb, die psychologisch-therapeutische Beratungsstelle, stellt dabei zahlreiche Möglichkeiten an drei Standorten in Bremen und Bremerhaven zur Verfügung.

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einahe jeder sechste Student und jede fünfte Studentin hat laut DSW mit psychologischen Problemen zu kämpfen. Immer mehr Studierende suchen Hilfe bei den psychologischen Beratungsstellen des Studentenwerks. Bremen ist dabei keine Ausnahme: In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Hilfesuchenden mehr als verdoppelt. Verwunderlich ist das nicht: Die negative Stigmatisierung einer Therapie ist langsam aus der Gesellschaft verschwunden, zudem nimmt die Anzahl junger Menschen mit psychologischen Problemen durch wachsenden Stress mit der Zeit zu. Eine „klassische Therapie“ beim Psychotherapeuten hilft in vielen Fällen, birgt dabei allerdings auch einige Nachteile gegenüber einer Beratung beim ptb. Von der eigenen Krankenkasse werden meist nur die Kosten für eine Kurzzeittherapie übernommen und ein Eintrag in die Krankenakte bedeutet in einigen Fällen sinkende Chancen bei der Berufsauswahl, vor allem dann, wenn eine Verbeamtung geplant ist. Viele wollen auch erst mal schauen, ob sie überhaupt eine längerfristige Therapie benötigen; schließlich reicht oft auch nur eine kurzfristige Beratung. Die ptb hat, wie bereits oben erwähnt, drei Standorte: an der Uni Bremen, an der Hochschule Bremen und an der Hochschule Bremerhaven. Finanziert wird sie dabei vom Studentenwerk; ein Besuch ist dort für Bremer Studenten also kostenlos. Sie nimmt sich fast aller studentischen Probleme an, seien sie privat oder unibezogen, und die Beratung unterliegt der Schweigepflicht. Der häufigste Grund sind dabei depressive Symptome. Früher waren es noch Leistungs- und Prüfungsangst, welche zurzeit dennoch die zweit- und drittgrößten Probleme der Bremer Studierendenschaft zu sein scheinen. Viele Probleme verzahnen sich allerdings: Stress an der Uni kann zu Problemen im Privatleben führen, umgekehrt funktioniert das genauso. Bei der

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Einzelberatung versuchen die Ansprechpartner von der ptb, gemeinsam mit den Ratsuchenden die Ursachen herauszufinden. Diese Form der Beratung ist die beliebteste, jedoch sind auch Paar- und Gruppenberatungen möglich. Dabei sollte man jedoch beachten, dass die Beratung nicht immer eine Therapie ersetzen kann; in entsprechenden Fällen vermittelt die Beratungsstelle einen Psychotherapeuten bzw. eine Psychotherapeutin oder andere Stellen von außerhalb. Zusätzlich dazu bietet die Beratungsstelle auch andere Gruppenangebote an, beispielsweise Workshops, Selbsthilfe- und Trainingsgruppen, z.B. Arbeitsstrukturierungsgruppen. Einige sind an die allgemein ausgerichtet, einige auch auf spezielle Probleme fokussiert, wie etwa ADHS und Konzentrationsstörungen. Zudem ermöglicht die ptb eine Unterstützung für (ehemals) an psychischen Erkrankungen leidende Studierende. Für einige diese Angebote gibt es eine Warteliste oder eine Voraussetzung etwa ein vorheriges Gespräch mit einem Berater bzw. einer Beraterin -, um sicher zu gehen, dass die Gruppe bzw. der Workshop zu einem passt. Wem die offenen Sprechstunden nicht genügen, die dort auch angeboten werden, der kann sich auch bequem und jederzeit zu Hause an den Rechner setzen; Online-Beratungen helfen dabei nicht nur in dringenden Fällen, sondern auch solchen Studierenden, die vielleicht zu schüchtern sind oder aus anderen Gründen ein persönliches Gespräch ablehnen. Für internationale Studenten sind englischsprachige Beratungen verfügbar. ptb an der Universität Bremen Zentralbereich am Mensasee Öffnungszeiten des Sekretariats: (auch während der Semesterferien geöffnet) Mo Di Do Fr Mi Telefon Fax e-mail

09:00 - 13:00 Uhr 14:00 - 16:00 Uhr 0421 2201 11310 0421 2201 21390 ptb@stw-bremen.de

Online-Beratung: https://stw-bremen.beranet.info/ Text: Thanh Tram Tran Foto: Ulrike Bausch


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Heute:

auf dem Boulevard

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tudierende kommen zur Uni und das hat Gründe. Sie kommen, um sich in Vorlesungen zu setzen. Um der Professorin mit beiden, einem oder keinem Ohr beim Dozieren zuzuhören. Um in der Bibliothek Bücher auf- und zuzuschlagen und die Stunden dazwischen mit Wissen oder analytischen Beobachtungen der Tischplatte zu füllen. Viele Studierende kommen, um zu lernen, andere, um zu vergessen. Ich komme zur Uni und setze mich auf den Boulevard. Wer sich hier aufhält, kann nichts falsch machen. Denk ich mir und halte mich stundenlang auf. Mit diesen Stunden könnte ich locker einen Halbtagsjob füllen oder ein Freunde beeindruckendes Hobby pflegen. Ich könnte auch jedes halbe Jahr zum Zahnarzt gehen: wäre ebenfalls sinnvoll, mache ich aber auch nicht. Allerdings benutze ich täglich Zahnseide, seit ich einen meiner Backenzähne beinahe an den Feind Karies verloren hätte. Ich möchte niemanden gegen seinen oder ihren Willen missionieren, aber die Nutzung von Zahnseide löst heute schon ein Problem, das man erst morgen hat. Genau wie das Boulevardsitzen. Trotzdem ist es weder als Studiengang noch als Berufsbild oder Extremsport anerkannt, aber ich bleibe sitzen und übe mich in Geduld. Vielleicht, eines Tages. Der Boulevard im Zentrum des Campus ist der Knotenpunkt, auf dem sich die Wege aller Studierenden kreuzen. Er ist das pulsierende Herz des Unikörpers, das das Blut, bzw. die Studierenden durch die Uni-Adern treibt, er ist das Paris, London, New York in Horn-Lehe. Der Boulevard ist der Zugang zur Mensa, zur Bibliothek, zur Glashalle und zur Cafeteria, er ist der Vorgarten aller wichtigen Uniinstitutionen. Und gerade das wird ihm auch zum Verhängnis: Unachtsam eilen viele Studis zu ihrem eigentlichen Ziel, ohne den Radfahrern auf der Südseite einen guten Morgen zu wünschen oder sich die neuesten Plakate auf dem Mittelstreifen anzuschauen. Es fehlt an Boulevardbewusstsein, vielleicht kann der ASta (Allgemeiner Studierendenausschuss) dafür ein Referat einrichten? Ich habe da Vorbildfunktion. Ich setzte mich auf die Bank vor der Bibliothek und überlege, welche Bü-

cher ich jetzt suchen müsste, um darin irgendwelche Texte zu lesen. Aber dann taucht die dunkle Großraumbüroatmosphäre der Bibliothek vor meinem inneren Auge auf, die engen Bücherreihen und der Geruch nach Konzentration; schnell wende ich mich ab und lasse mich mit den Massen bis vor den Eingang der Cafeteria treiben. Grade die Bank neben der Cafeteria ist mir die liebste, denn sie ist die mit der höchsten Trefferquote. Treffer von was? Von bekannten Gesichtern zum Beispiel. Meine selbst erhobene Statistik bestätigt, dass es im Laufe eines Tages jeden Studierenden mindestens einmal für einen Café Crema in die Cafeteria und somit an der Boulevardbank vorbei treibt. Die Pausewilligen setzen sich auf einen Kaffee zu mir und wir reden über Wichtiges, wie logistische Regressionsverfahren oder über noch Wichtigeres, zum Beispiel die Fußball-WM. Für einen Moment scheint es, als wären wir uns einig in unserer Weltbetrachtung aus der Boulevardperspektive - bis die Kommilitonin mit einem Blick auf die Uhr und einem leicht entsetztem „Oh“ zurück in die Bibliothek oder in die Vorlesung stürmt und klar wird: Es ist und bleibt einsam auf der Spitzenbank des Boulevards. In solchen Momenten tauchen Zweifel auf: Ist es das wert? Lohnt es sich noch? Welche Biegung wird mein Hals annehmen, wenn ich weiter so lange und oft auf dieser Bank neben dem Cafeteria-Eingang sitze? Mein Kopf ist bereits beim Versuch, der dort auf Genickhöhe angebrachten Metallstange auszuweichen, um einige Zentimeter nach vorne verschoben. Raucher und Extremsportler können vielleicht nachvollziehen, dass die Angst vor Langzeitschäden die Freude am aktuellen Tun manchmal ganz schön schmälern kann. Aber hey, Schildkröten sind ja ganz süß. Also auf, auf den Boulevard! Denn: You only live once.

Text: Lina Schwarz Illustration: Wienke Menges Logo: Hülya Yalcin

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Zwischen Bremen, Brüssel und Warschau -

Zwischen dem 22. und 25. Mai 2014 wählten die Bürger der Europäischen Union das achte Europäische Parlament. Eines der Mandate trägt die nächsten fünf Jahre der Bremer Soziologie Professor Dr. Zdzislaw Krasnodebski. In seinem Heimatland Polen trat er für die Partei Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS), zu Deutsch Recht und Gerechtigkeit, an. Dabei schnitt die nationalkonservative Partei als zweitstärkste Kraft des Landes ab und stellt in der kommenden Legislaturperiode mehr als ein Drittel der polnischen Abgeordneten. In einem Gespräch Mitte Juni erzählte er dem Scheinwerfer von seinem neuen Alltag, politischen Plänen und seiner Zukunft an der Universität.

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m die 2.500 Kilometer Luftlinie trennen die vier Orte, die zukünftig den Arbeitsalltag von Prof. Dr. Krasnodebski prägen. Brüssel, Straßburg und Warschau wird der 61-Jährige nach der konstituierenden Sitzung des Parlaments im Juli regelmäßig ansteuern. Der Scheinwerfer fragte nach, wie der Dozent plant, diese Orte mit seinem Wohnort Bremen zu verknüpfen. „Ich muss mehr pendeln, als ich es bisher gemacht habe. Bis jetzt war ich sehr oft in Warschau. Ich muss auch immer noch dorthin, weil in Warschau mein Wahlbezirk ist, nur nicht mehr jede Woche. Sollte ich in Bremen wohnen bleiben, muss ich natürlich von hier aus nach Brüssel und Straßburg reisen“, erzählte er. Wie genau sein neuer Terminplan aussieht, hänge davon ab, wie sich seine Beziehung zur Uni entwickle. „Sollte es möglich sein, möchte ich meine akademische Tätigkeit fortsetzen. Vielleicht in veränderter Form. Dann muss ich natürlich mobil sein. Wenn es sich nicht realisieren lässt, muss ich überlegen, was ich dann mache. Ich wohne sehr gerne in Bremen, es ist eine sehr schöne Stadt und mir gefällt meine Tätigkeit hier an der Uni.“ Weiterhin erzählt Prof. Dr. Krasnodebski, dass er sich bereits informiert habe und sich die beiden Tätigkeiten, zumindest zeitlich gesehen, verbinden ließen. Die meisten Sitzungen im Europäischen Parlament seien Mitte der Woche und so könne er eventuell Montag und Freitag für die Lehre nutzen. „Ich weiß nur noch nicht, wie es formal gesehen wird. In Polen ist es kein Problem, ein Mandat mit einer Professur zu verbinden. Ich habe einige Kollegen im Parlament, die auch lehren. Zdzislaw Krasnodebski, geboren 1953 in Choszszno, Polen 1972-1976 Studium der Soziologie und Philosophie, Universität Warschau 1976 M.A. In Soziologie, Universität Warschau 1979-1981 Studium der Philosophie und Soziologische Theorien, Rhur-Universität Bochum 1984 Ph.D. In Soziologie, Universität Warschau 1991 Habilitation, Universität Warschau Lehrt derzeit in den Integrierte Europastudien u.A. Soziologische Theorien sowie Länder- und Areastudies: Ostmitteleuropa Seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments für die Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS)

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Und auch auf der Seite des Europäischen Parlaments gibt es eigentlich keine Regelung, die dagegen spreche. Es gibt einige Tätigkeiten, die man nicht mehr ausüben kann, aber die Professur gehört glücklicherweise nicht dazu.“ Funktionen, die sich nicht mit einem Mandat im Europäischen Parlament vereinbaren lassen, sind zum Beispiel die Mitgliedschaft in einem Nationalen Parlament eines Mitgliedstaates der EU oder Tätigkeiten am Europäischen Gerichtshof. Diese müssen dann vor Aufnahme der Position im Parlament niedergelegt werden. Vieles muss für die achte Legislaturperiode noch organisiert werden: So habe sich bereits die politische Gruppe konstituiert, aber man müsse beispielsweise noch die Komitees wählen, denen man angehören möchte und viele bürokratische Dinge regeln. Die meisten Sachen seien bis zum ersten Juli geklärt, bis auf einige Mitarbeiterfragen, so Prof. Dr. Krasnodebski. 2009 beteiligte sich die PiS, unter anderem mit der Britischen Conservative Party, an der Gründung einer Europapartei und der zugehörigen Fraktion Europäische Konservative und Reformisten (EKR). Dieser gehört nach der im Mai stattgefundenen Europawahl auch die Partei Alternative für Deutschland (AfD) an. Die AfD vertritt eine stark eurokritische Position und weise laut einigen politischen Kommentaren und Analysen auch rechtspopulistische Fragmente auf. So kam 2013 beispielsweise ein Rechtspopulismusforscher der FH Düsseldorf in einer Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung in Nordrhein-Westfalen zum Ergebnis, dass die Partei Tendenzen zum Rechtspopulismus zeige. Mit 70 Abgeordneten aus 15 Mitgliedstaaten stellt die Fraktion


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Ein Professor im Europäischen Parlament EKR die drittgrößte Europawahl 2014: Sitzverteilung (absolut) Kraft im Europäischen Parlament. Sie vertritt, wie in ihren politi52 50 EVP Fraktion der Europäischen schen Leitlinien zu le67 48 Volkspartei (Christdemokraten) sen ist, einen Eurorealismus und spricht sich S&D Fraktion der Progressiven Al70 gegen eine fortschrei- 52 lianz der Sozialdemokraten tende europäische InEKR Europäische Konservative und tegration und einen Reformisten möglichen europäiALDE Allianz der Liberalen und schen Föderalstaat aus. Demokraten für Europa Welche Ziele Prof. Dr. GUE/NGL Vereinte Europäische Krasnodebski für seine Linke/Nordische Grüne Linke Partei verfolgt, hänge 191 davon ab, zu welchem Grünen/EFA Die Grünen/Freie Europäische Allianz Komitee er letztendlich gehöre. „Ich werde EFDD Europe of freedom and direct definitiv das Komitee democracy Kultur und Bildung NI Fraktionslos - Mitglieder, die 221 im Auge behalten. keiner Fraktion angehören Das verbindet sich mit meinen Interessen, die auch teilweise im Studiengang Integrierte chen bildungspolitischen Zielen der Wahl-Bremer nach Brüssel Europastudien vertreten sind. Das ist Geschichts- und Erinnegeht. „Ich, genau wie jeder Hochschulprofessor, bin natürlich rungspolitik. Dabei geht es um die kulturelle Identität Europas, Unterstützer von europäischen Austauschprogrammen. Es gibt um die kulturelle Vielfalt und die nationalen Identitäten. Das gewisse Probleme das umzusetzen, häufig kommen Klagen über werde ich vielleicht fortsetzen. Und es ist auch so, dass von meizu viel Bürokratie. Vielleicht kann man hier Lösungen finden. nen Wählern in Warschau verlangt wird, dass ich die polnische Und weiterhin muss man natürlich schauen, ob im Bologna ProSichtweise, die Vergangenheit aber auch die Gegenwart Europas zess wirklich alles geklappt hat. Wie Sie wissen, wird das System und besonders Ostmitteleuropas, auf EU-Ebene sichtbar mastark kritisiert. Es gibt natürlich gewisse Vorzüge. Aber ich weiß che“, erklärt uns der Soziologie-Professor. Weiterhin sei auch nicht, ob drei Jahre für den Bachelor nicht zu kurz sind. Aber die Frage wichtig, wohin sich die Europäische Union entwickeln das sind die Probleme, mit denen ich mich beschäftigen werde. werde. „Ich stehe der Vorstellung sehr kritisch gegenüber, dass Welche Frage auch immer wieder aufkommt und im Zusammensich Europa hin zu einem Staat entwickeln soll. Vielleicht unhang mit Bildung steht, ist die Situation von jungen Menschen terschätzt man es in Deutschland manchmal, aber für Polen und in Europa. Ich habe dazu noch keine feste Meinung oder Löviele andere Nation ist die Nationalstaatlichkeit sehr wichtig.“ sungen parat. Die Situation außerhalb Kerneuropas wird immer Neben den kulturellen Aspekten, muss Prof. Dr. Krasnodebski dramatischer und da ist ergibt sich dann die Frage, ob man durch sich auch mit politischen Problemen beschäftigen, wie der Krise eine andere Bildungspolitik die Probleme zumindest vermindern in der Ukraine oder Ungleichgewichte in der Energiepolitik. kann. In Polen und auch in anderen ostmitteleuropäischen Län„Es gibt natürlich auch klassische Themen, mit denen sich jedern hat man viele Möglichkeiten zum Studieren eröffnet, ohne der polnische Europaabgeordnete auseinander setzen muss, wie sich groß Gedanken zu machen, was die Leute danach machen zum Beispiel Agrarpolitik. Das Thema ist natürlich nicht meine werden. Diese große demographische Krise muss definitiv von Spezialität. Generell aber, habe ich den Eindruck, dass es viele der EU behandelt werden.“ Missverständnisse und Kommunikationsbarrieren auf Ebene der Nach den ersten Plenarsitzungen im Juli, befinden sich die Miteuropäischen öffentlichen Sphäre gibt. Es gibt viele Probleme glieder des Europäischen Parlaments erst einmal bis September in wirtschaftlich schwächeren Ländern, aber die Massenmedien in einer Sommerpause. Im Verlauf der nächsten Monate werden vermitteln sie nicht so, dass man es auch versteht. Daran würsich noch viele Unklarheiten bezüglich Prof. Dr. Krasnodebskis de ich auch gerne mitwirken, dass diese Kommunikation besser Zukunft klären – sowohl politisch als auch akademisch. läuft. Und auch dass die Interessen dieser Länder besser vertreText: Lisa Urlbauer ten werden“. Foto: Zdzislaw Krasnodebski Als letzten Punkt fragte der Scheinwerfer nach, ob und mit welGrafik: Ulrike Bausch, Quelle: Europäisches Parlament

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Bremen

Drei Dinge, die man in Bremen getan haben sollte

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In der Galerie gab es regelmäßig Ausstellung, im Juni zuletzt „Strand/Steine/Scherben“ von Piotr Rambowski. Mit Dete ist es tatsächlich gelungen, ein Kreativzentrum in der Neustadt zu begründen. Umso bedauerlicher, dass der Vertrag für die Räumlichkeiten nur bis Anfang August läuft. Danach soll es aber auf jeden Fall weitergehen - nur wo und wann, das steht noch in den Bremer Straßen. Text: Lina Schwarz Foto: Katrin Pleus

Top2 Die fahrende Veganbar kommt zum Stehen Das Kultureinrichtungshaus in der Neustadt

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m Ende jeder Woche wartet immer der Sonntag. Alle Arbeit ist getan, alle Referate sind gehalten, die Partys vom Wochenende sind gefeiert. Und es bleibt noch ein bisschen leere Zeit, bis der Spaß wieder von vorn beginnt. Für einige steht an solch einem Tag die Befriedigung niederer Bedürfnisse - beispielsweise Hunger - im Mittelpunkt, andere wollen ihren Geist von schönen Künsten inspirieren lassen. Bewohner*innen der Bremen Neustadt hätten es schwer, sowohl das eine als auch das andere an einem Sonntag angemessen zu verwirklichen, gäbe es nicht das Kultureinrichtungshaus Dete. Hier findet jeden Sonntagmorgen ab 9:30 Uhr das Kultstück statt. Beim Kultstück gibt es die Kunst aufs Frühstücksbrötchen; Frückstückgenießer*innen können vom Büffet selbstgemachte Brotaufstriche und Fleischaufschnitte naschen, während ihre kunstinteressierten Freunde in den Galerieräumen die aktuelle Ausstellung bestaunen. Das Kultureinrichtungshaus Dete hat sich in den Räumen des ehemaligen Möbelhauses Deters in der Bremer Neustadt erschaffen. Artur Ruder, einer der Mitgründer, berichtet, dass er und die anderen Initiatoren bewusst auf jede institutionelle Finanzierung verzichtet haben. Das Projekt wurde stattdessen durch eine Menge unbezahlte Arbeitsstunden und das Prinzip Upcycling realisiert. Ein zentraler Kunst- und Kulturraum in der Neustadt, der sich nicht an politische Vorgaben halten muss, sondern selbstbestimmt und autark existieren kann. Am Anfang gab es diese Idee. Dann gab es Dete. Seit der Eröffnung im Oktober 2013 sind viele Konzerte, Theaterstücke, Lesungen und Kleinkunstveranstaltungen über die Bühne des Dete gegangen.

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hr wollt ein leckeres und schnelles Essen, habt aber keine Lust auf Döner, Rollo oder Nudelbox? Außerdem wollt ihr gerne etwas Gesundes und Neues ausprobieren? Dann empfehle ich euch die Veganbar in Findorff. Die meisten von euch kennen sie von der Uni. Normalerweise ist das Team der Veganbar mit einem fahrbaren Untersatz unterwegs. Nun gibt es einen festen Standpunkt für den Imbiss. Verkauft werden Whöner, Falafel Teller, Currywurst und immer wieder neu wechselnde Gerichte. Nur wie stellen wir uns jetzt den veganen Döner (Whöner), die Currywurst oder die Bratwurst vor? Produziert werden die „Fleischgerichte“ einfach mit einem Ersatz aus Weizeneiweiß, Seitan genannt. Außerdem wird zum Whöner zum Beispiel ein Beilagensalat mit selbstgemachtem Dressing serviert. Auch Pommes und eine vegane Mayonnaise können als Beilage dazu bestellt werden. Seit Juni 2014 kocht das Team um Marc Moog in Findorff für Stammkunden und Neukunden. Die Salatbar enthält einen frischen Kartoffelsalat und Rohkostsalat, die Tagesgerichte werden schön präsentiert und auch die Süßigkeiten wie Brownies laden zum Naschen ein. Für Marc Moog ist der Name Programm. Alles in seinem Laden ist frei von Tierprodukten und alles, bis auf das Mineralwasser, trägt ein Biosiegel. Daher sind die Gerichte etwas teurer als die der „normalen“ Imbissbuden, aber dafür wird auf die Qualität und Herkunft geachtet. Durch die feste Ansiedlung in Findorff wird die mobile Veganbar nicht mehr so häufig unterwegs sein. Zu finden ist sie jedoch weiterhin auf dem wöchentlichen Flohmarkt des Messegeländes sowie auf der Breminale und weiteren großen Veranstaltungen. Nachverfolgen, wo die mobile Veganbar wann sein wird, könnt ihr auf der Facebookseite. Also schaut vorbei und probiert den veganen und gesunden Imbiss in Findorff!


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Öffnungszeiten: Montag – Freitag 11 – 19 Uhr Admiralstraße 79, 28215 Bremen/Findorff www.veganbar.de regelmäßige Updates zu den aktuellen Gerichten auf https://www.facebook.com/veganbar die aktuellen Daten zu der mobilen Veganbar auf www.facebook.com/veganbarunterwegs Text: Antonia Cohrs Grafik: Ulrike Bausch

ist von Mitte Mai bis September für bis zu 2.500 Teilnehmer eine kostenfreie Möglichkeit, sich auch im Hochsommer sportlich zu betätigen. Und das Ganze darf wirklich nicht nur als Jux betrachtet werden; denn es werden jedes Mal rund 20 Kilometer gefahren, die auch erfahrene Skater an ihre Grenzen bringen können. Nichtsdestotrotz macht es einfach Spaß, ohne Stress und Hektik mit zahlreichen Begeisterten die Abendsonne zu genießen und einfach die Rollen rollen zu lassen. Für die Sicherheit unterwegs wird durch die Polizei und die Johanniter sowie rund 50 Ordner (alle mit Fahrradklingeln bewaffnet) gesorgt. Nur wenn das Wetter mal nicht mitspielen sollte, wird die Skate Night abgesagt; nähere Informationen dazu in der Info-Box. Die nächsten Termine stehen schon fest. Also eintragen, Inliner besorgen und hin da!

Die nächsten (voraussichtlichen) Termine: * 05.08.14 * 02.09.14 * 07.10.14 Regelmäßige Updates unter: www. happyskater.de oder https://www.facebook.com/HappySkater.Bremen oder in der Morning-Show von Energy Bremen

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Skaten, was die Rollen hergeben

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ndlich ist es wieder soweit: Sommer, Sonne, Werdersee. Aber danach? Wenn sich so langsam die Sonne vom Deich verabschiedet und frische Abendluft die Nase umweht, wird es Zeit für etwas anderes. Schließlich muss der verbrannten Haut auch einmal etwas Abkühlung verschafft werden. Und wie ist das am besten möglich? Natürlich bietet sich da eine Runde auf dem Fahrrad, mit Inline-Skates oder Skateboards an. Eine Runde um den Werdersee oder im Blockland kann allerdings jeder. Was wirklich Abwechslung bringt, ist eine Tour quer durch Bremen! Und zwar ungehindert: keine Ampeln, kein Warten auf Autos, einfach keine Stopps. Wie das möglich sein soll? Ganz einfach: jeden ersten Dienstag im Monat mit Inlinern (oder einem anderen fahrbaren Untersatz) zum Hansa-Carré kommen, denn dort findet regelmäßig die Skate Night statt. Der Ablauf ist dabei auch nicht kompliziert: Nur der Menge anschließen und durch Bremen düsen. Vorher gibt es vor Ort natürlich auch noch ein bisschen Programm, wie einen DJ und einen Hindernisparcours. Das ganze Event findet nun schon seit über 15 Jahren statt und

Text: Neele Meyer Grafik: Ulrike Bausch

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Bremen

In der Warteschleife In den vergangenen Jahren wurde die Migrationspolitik der Europäischen Union zunehmend Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Anlass sind die vielen Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen und diese Reise teilweise mit dem Leben bezahlen. Aber auch die, denen die Einreise in ein europäisches Land gelingt, sehen sich mit vielen Problemen konfrontiert.

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chon immer und zu allen Zeiten sind Menschen oder sogar ganze Völker gewandert. Aber nicht immer geschieht dies freiwillig. Manchmal treiben Armut, Hunger, Krieg oder die Angst um das eigene Leben die Betroffenen dazu, ihre Heimat zu verlassen und vor dem unlebbaren Leben zu flüchten, um in einem anderen Land oder auf einem anderen Kontinent nach Sicherheit zu suchen. Auch Bremen ist so ein Ort. Im Jahr 2013 kamen circa 1100 Flüchtlinge nach Bremen, im aktuellen Jahr werden weitere 300 erwartet. Auch auf Bundesebene ist eine stark steigende Tendenz zu verzeichnen; so hat sich die Zahl der Asylanträge von 2010 bis 2014 mehr als verdoppelt. Besonders der Bürgerkrieg in Syrien löste eine riesige Flüchtlingswelle aus. Nicht nur das Land Bremen stand und steht damit vor dem Problem, ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Viele Flüchtlingswohnheime sind stark überfüllt. 2013 waren in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen (ZaST) in Bremen beispielsweise 240 Menschen untergebracht, obwohl das Heim ursprünglich nur für 160 Menschen ausgelegt war. Solche Zustände sind dauerhaft nicht tragbar und wurden durch die Einrichtung neuer Wohnunterkünfte verbessert. Besonders viel Aufsehen sorgte 2011 die Entstehung einer Sammelunterkunft im als links-alternativ geltenden Viertel. Einige Anwohner*innen wehrten sich gegen die von der Stadt geplante Aktion und betonten in der entsprechenden Beiratssitzung, Flüchtlinge seien willkommen, allerdings sei es woanders besser für sie. Die Tageszeitung berichtete darüber auf taz.de. Solche und ähnliche unterschwellig fremdenfeindliche Ansichten sind vermutlich überall verbreitet; allerdings hätte man in einem linksliberalen Stadtteil wie dem Viertel mehr Willkommenskultur und Toleranz erwartet. Offene rassistische Anschuldigen gegenüber Flüchtlingen und Unterstützer*innen waren dagegen in der Diskussion um das Wohnheim in der Nähe der internationalen Jacobs University in Bremen-Nord (Grohn) zu vernehmen. Die Angst vor zunehmender Kriminalität ist eines der Argumente gegen Flüchtlingsheime im Bezirk. Ob latente Fremdenfeindlichkeit oder offener Rassismus: Die Konflikte um die Einrichtung neuer Unterkünfte für Geflüchtete sind nur Beispiele der schwierigen Situation, welcher die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Deutschland ausgesetzt sind. Schwierig einerseits deswegen, weil sie monatelang in der Ungewissheit leben, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Das Bundesamt für Migration brauchte im Jahr 2013 durchschnittlich 24

sieben Monate, um einen Asylantrag zu bearbeiten. Dieses Leben in der Warteschleife zermürbt und zerrt an den Kräften, und zwar vor allem deshalb, weil die Mehrheit der Flüchtlinge am Ende entweder gemäß der Drittstaatenregelung in das EULand, dass sie als erstes in Europa betreten haben, oder gleich zurück in ihre Heimat ausgewiesen wird. Insgesamt wurden im Jahr 2013 80.978 Asylanträge gestellt, von denen nur 24,9% der Antragsteller*innen eine Asylberechtigung oder eine Anerkennung als Flüchtlinge erhielten. Schwierig ist die Situation für Flüchtlinge andererseits auch, weil zu der Ungewissheit während der Antragstellung die grenzwertigen Bedingungen kommen, unter denen Flüchtlinge hier leben müssen. Über Monate oder Jahre leben sie in oftmals überfüllten Heimen, haben keine Chance ein eigenes Leben aufzubauen und müssen sogar festgelegte Mahlzeiten zu festgelegten Zeiten in der Kantine einnehmen. Die Residenzpflicht legt fest, dass sie den Landkreis in dieser Zeit nicht verlassen dürfen, und bevor sie von einem Arzt behandelt werden, brauchen die Erkrankten zuerst einen Kostenübernahmeschein vom Sozialamt. Sueddeutsche.de schreibt über einen Fall im Frühjahr in Hannover, in dem eine Mutter mit ihrem Kleinkind von einer Hannoveraner Kinderklinik abgewiesen wurde, weil der Kostenübernahmeschein fehlte. Der Junge starb noch am selben Tag. Wo bleibt für solche Menschenrechte wie Gesundheitsversorgung, Bewegungsfreiheit und Teilhabe das entsprechende Bewusstsein, das sonst so groß zu seien scheint? Wie können wir diese Ideale in Freiwilligenprojekten in den Ländern des Südens und in der Entwicklungszusammenarbeit umsetzten, wenn wir sie vor der eigenen Haustür nicht leben? Doch auch in der Migrationspolitik verändert sich etwas. Zwar werden die generellen Bestimmungen auf Bundesebene festgelegt, aber die Umsetzung ist im Detail Ländersache und somit abhängig von der jeweils landespolitischen Färbung. Marc Millies berichtet, dass vor dem Hintergrund der rot-grünen Regierung in Bremen die Proteste für die Rechte von Flüchtlingen in Bremen vergleichsweise erfolgreich verlaufen seien. Millies arbeitet für den Bremer Flüchtlingsrat, ein Verein, der seit mehr als 10 Jahren mit und für Flüchtlinge Lobby-Arbeit betreibt und die Bremer Proteste, die Teil der seit 2011 immer wieder anrollenden bundesweiten Protestwelle waren, mit organisierte. Ein Erfolg war die Verbesserung der Wohnsituation. Flüchtlinge müssen nicht wie in anderen Bundesländern mindestens ein Jahr in Wohnheimen unterkommen, bevor sie sich eine eigene Woh-


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nung suchen dürfen. Solche Regelungen existierten bisher nur in Köln, Leverkusen und Berlin, obwohl die individuellen Wohnungen, in denen sich Menschen selbst versorgen können, weniger kosten als die Unterbringung in Wohnheimen. Das Sozialressort Bremen hat für die Integration von Flüchtlingen für 2014 und 2015 insgesamt 26 neue Stellen geschaffen und setzt 350.000 € zusätzlich ein als Reaktion auf die wachsende Zahl der Flüchtlinge. Auch in der Gesundheitsversorgung hat sich die Situation in Bremen verbessert: sämtliche Flüchtlinge sind hier automatisch bei der AOK versichert. Allerdings sei es längst noch nicht so, dass man sich zufrieden zurücklehnen könne, sagt Marc Millies. Schon allein deswegen, weil im nächsten Jahr in Bremen Wahlen sind. Auch bundesweit gehen die Proteste weiter. Der Zusammenschluss „Jugendliche Ohne Grenzen“ hatte zu einer bundesweiten Demonstration unter dem Motto: „Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern die ganze Bäckerei! Das heißt, Bleiberecht für alle!“ anlässlich der Innenministerkonferenz vom 11. bis 14. Juni in Bonn aufgerufen. In diesem Sinne war auch die Diskussion um das Wohnheim im Ostertor durchaus positiv. Sie hat nämlich eine öffentliche Debatte über Migrationspolitik angeregt und dazu beigetragen, Vorurteile aus den Köpfen zu räumen.

Text: Lina Schwarz Illustration: Ulrike Bausch

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Tatort – Was passiert in Bremen wirklich? 80er Jahre, Bremen, Mord an drei Prostituierten. 90er Jahre, Bremer Hauptbahnhof. Ein IC mit einem angeschossenen Mann und 5000 US Dollar weniger. 2001, Oberneuland, Einbruch mit dem Täter als Leiche. Was ist da geschehen?

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er Fall mit den drei ermordeten Prostituierten fand in zeitlich unterschiedlichen Abständen in verschiedenen Teilen Bremens statt. Der erste Mord geschah in der Schillerstraße, der zweite im Breitenweg, und die dritte Frau wurde in Blumenthal gefunden. Alle in Modellwohnungen, in denen heutzutage noch überwiegend Prostitution betrieben wird. Alle Morde wiesen Ähnlichkeiten auf. Da überall Geld gestohlen wurde, ging man zunächst von einem Raubmord aus. Das Merkwürdige an diesem Fall war, dass alle Leichen nachträglich inszeniert wurden. Ihnen wurden zum Teil Dessous an - oder ausgezogen. Die polizeiliche Ermittlung kam mit ihren gewohnten Mitteln nicht weiter und zog einen Fallanalytiker zurate. Dieser erkannte, dass es sich hier um einen Serienmörder handelt, der seine Sexualfantasien ausgelebt hat. Der damalige Kommissar Axel Petermann bildete sich nach diesem Fall zu einem Fallanalytiker weiter und wurde einer der ersten in Bremen. Er grub Jahre später diesen Fall noch einmal aus und versuchte nachzuvollziehen, was er damals anders gemacht hätte und ob er schneller zu der richtigen Lösung gefunden hätte. Der Täter wurde damals nur für den Raubmord verurteilt. Axel Petermann suchte diesen Mann noch einmal auf, um von ihm die Theorie der Sexualdelikte bestätigt zu bekommen; dieser bestätigte seine Theorie. Für seine Verurteilung machte die Bestätigung keinen Unterschied mehr. Anderer Ort, anderer Mord. Anfang der 90er Jahre im Bremer Hauptbahnhof. Ein IC fährt ein und in einem Abteil liegt ein angeschossener Mann, der später an seiner Schusswunde stirbt. Was ist passiert? Der Schaffner sah den Mann noch 7 Minuten vorher lebend in seinem Abteil. Die Polizei stand vor einem Rätsel. Ein toter Mann, 5000 US-Dollar weniger und keine Waffe weit und breit. Also ein Raubüberfall mit Todesfolge? Des Weiteren war es für die Polizei unerklärlich, aus welchem Winkel der Schuss hätte fallen müssen, damit die Blutspritzer genau so an der Wand entstehen konnten. Aus diesem Grund stellten die Kommissare eine vage Theorie auf: Der Mann muss sich selber angeschossen haben. Nur bleibt ein weiteres Problem: Wo war die Waffe? Die Überlegung: Der Tote könnte sie mit letzter Kraft noch aus dem Fenster

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geworfen haben. Also ließ die Polizei die Bahngleise absuchen. Und tatsächlich, eine Schusswaffe wurde gefunden. Nun verschärfte sich der Verdacht, dass ein inszenierter Selbstmord vorlag. Der Tote war ein US-Soldat und hoch verschuldet. Die Ermittler gehen davon aus, dass er mit der Inszenierung an die Lebensversicherung für seine Familie wollte, um ihnen aus den Schulden zu helfen. Hundertprozentig kann man sich hierbei nicht sicher sein, aber alle Fakten deuten auf diesen Ausgang der Geschichte hin. In Bremen gab es aber auch absurde Verbrechen. Etwa 1991 an Weihnachten in Schwachhausen. Zwei Einbrecher wollten einen Lebensmittelladen ausräumen. Doch durch Zufall kam der Ladenbesitzer vorbei und die beiden Täter versuchten zu fliehen. Die Polizisten erwischten bei der Flucht nur einen der Täter. Als der Inhaber seinen Laden wieder aufräumte, öffnete er sein Kühlhaus und findet dort was? Den zweiten Einbrecher! Er saß mittlerweile seit etwa einer halben Stunde in dem Kühlhaus und war unterkühlt und bereits kurzatmig. Der Täter wollte wohl fliehen und schloss sich selber im Kühlhaus ein, da diese nur von außen geöffnet werden kann! Zehn Jahre später. Ein anderes Verbrechen. Ein Wettkontor in Bremen wurde von einem bewaffneten Täter überfallen. Der Räuber kam direkt nach der Eröffnung des Ladens und bedrohte die zwei Angestellten mit einer Waffe, sodass diese den Tresor öffneten und der Täter mit 30.000 DM fliehen konnte. Der Täter wurde nicht gefasst. Einen Monat später kam es zu einer ähnlichen Situation: Ein Einbruch in einer Villa in Oberneuland. Das Problem: Die Hausherrin war daheim. Als der Einbrecher von ihr überrascht wurde, schlug er ihr mehrmals mit der Pistole auf den Kopf. Das merkwürdige an diesem Fall: Am Ende war der Täter tot. Die Theorie: Während der Täter der Frau auf den Kopf schlug, muss sich ein Schuss gelöst haben. Daraufhin brach er zusammen und die Frau konnte den Alarmknopf betätigen. Dann fiel ein zweiter Schuss. Der Einbrecher erschoss sich selber. Nur warum? Es stellte sich heraus, dass er unter anderem wegen Erpressung polizeilich gesucht wurde. Sein Tod schien sein einziger Ausweg gewesen zu sein. Zudem stellt sich heraus, dass hinter der Geschichte ein Auftraggeber steckte. Zwischen dem Täter und der Frau gab es keinerlei Verbindungen. Außerdem war das Haus videoüberwacht und jede Tür wurde mit einer Alarmanlage gesichert - bis auf eine. So gab es auch nur einen unbewachten Weg über den See zum Haus.


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Das heißt, der Täter musste Informationen über das Haus gehabt haben, um genau diesen einen Weg zu kennen und dann durch die eine Tür in die Villa zu gelangen. Der Auftraggeber hinter dem Mann wurde verurteilt. Es stellte sich auch heraus, dass der Täter der gleiche Mann war wie jener beim Überfall im Wettkontor. Eine der Angestellten erkannte den Mann wieder. Auch hier war der Auftraggeber der Hintermann. Der Grund dafür: Der Drahtzieher war bei dem Wettkontor hoch verschuldet. 2002 spielte sich eine eher weniger amüsierende Geschichte in Bremen ab. In der Weser, auf der Höhe des Segelhafens, wurde ein Bündel aus Plastiktüten und Teppichen aus dem Wasser geholt. Die Arbeiter riefen die Polizei, weil ihnen das Bündel merkwürdig vorkam. Zu Recht, denn darin war eine Leiche eingewickelt. Diese lag offenbar schon eine Weile im Wasser, denn sie war weitgehend verwest. Die Polizei spricht noch heute von dem Gestank. Erst in der Pathologie konnte das Geschlecht des Opfers herausgefunden werden. Es handelte sich eine Frau, deren Alter auf 25 bis 30 Jahren geschätzt wurde. Scheinbar hat sie ein Kind zur Welt gebracht. Der Tötungsakt habe wohl über einen Angriff am Hals stattgefunden, was bedeutet, dass die junge Frau wohlmöglich erstickt oder erdrosselt wurde. Was für die Polizei feststand war, dass mindestens zwei Täter an der Tat beteiligt gewesen sein mussten; denn egal wie man das Bündel gepackt hätte, ein Mensch alleine hätte dies nicht geschafft. Wer diese Frau ist, weiß die Polizei bis heute

nicht. In solchem Fall ist es noch schwieriger, einen Mörder zu ermitteln. Denn es gilt: Wenn keine Identität feststeht, kann kein Motiv entwickelt werden und kein Verdächtigenkreis entstehen. Zusätzlich wurde eine Anthropologin zu diesem Fall hinzugezogen. Sie untersuchte die Zähne der Frau und konnte das Alter weiter eingrenzen auf 28 bis 32 Jahre. Außerdem wurde durch eine spezielle Methode versucht, das Gesicht zu rekonstruieren. Der Schädel wurde immer wieder fotografiert und schichtweise auf das Gesicht gelegt. So entstand ein Phantomfoto der Frau (siehe Foto) Auf diesem Bild kann man klar die osteuropäische Herkunft der Frau erkennen. Die DNA wurde nicht nur mit vermissten Personen aus Deutschland verglichen, sondern auch mit Vermissten aus Russland, der Ukraine und Polen. Auch das Phantombild wurde in diesen Ländern ausgestrahlt. Bis heute tappt die Polizei im Dunkeln. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich eine Theorie. Man geht davon aus, dass diese osteuropäische Frau nach Deutschland verschleppt wurde, um hier zur Prostitution gezwungen zu werden. Diese Vermutung wird gestützt dadurch, dass eine Bremer Prostituierte meinte, diese Frau einmal gesehen zu haben. Nur genau wissen tut es niemand. Wer ist diese Frau und was ist mit ihr geschehen? Das sind nur ein paar Geschichten von echten Verbrechen, die Andreas Calic in seinen Führungen der StattReisen Bremen e.V. erzählt. Teilweise lässt er seine Gäste miträtseln und er führt sie an die Orte des Geschehens. Ab Juni gibt es ein neues Programm: „Sex and Crime“. Dabei wird es um andere Verbrechen gehen, etwa die

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des Mannes in den 70er Jahren, der wegen Vergewaltigung und Mord eines Mädchens verurteilt wurde. Der Fall Otto Becker ging in die Geschichtsbücher ein, vielleicht vor allem weil die Ermittler wussten, dass der Verdächtige Otto Becker homosexuell war. Nichts Handfestes sprach gegen den Mann und er wurde dennoch verurteilt. Es war alles wie eine große Verschwörung gegen ihn. Ein engagierter Rechtsanwalt nahm sich einige Jahre später dieses Falles an und deckte einen der größten Justizirrtümer der Geschichte auf! Otto Becker war nicht der Schuldige und kam im zweiten Verfahren frei. Der wahre Täter wurde jedoch nicht ermittelt. Weitere 40 Jahre später öffnete die Polizei diesen „cold case“ abermals. Mit der heutigen DNA-Techniken konnte der Fall dann letztendlich gelöst werden. Ein Mann, der damals auch ins Visier der Polizei geraten war, stellte sich als Täter heraus. Zur Zeit der Neuaufnahme war der Täter bereits verstorben und konnte nicht mehr verurteilt werden. Dieser Mann war jedoch nach dieser Tat wegen einer anderen Vergewaltigung verurteilt worden und kam dafür ins Gefängnis. Das war nur ein kleiner Einblick zu echten Tatorten in Bremen. Die Tatorte und die Geschichten dahinter haben oftmals einen Schwerpunkt, etwa das Verrennen der Justiz im Fall Otto Bremen, den Einsatz eines Fallanalytiker oder wie besondere Methoden der Polizei angewendet werden.

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Interesse? Informiert euch auf der Internetseite über die angebotenen Führungen: www.stattreisen-bremen.de Andreas Calic und sein Team der StattReisen Bremen e.V. führen euch zu den echten Tatorten in Bremen.

Text: Antonia Cohrs Phantombild: Polizei Bremen Illustrationen: Samira Kleinschmidt


Feuilleton

Die Vervollkommnung einer Erfindung grenzt hart an die Erfindungslosigkeit Die Maschine als Maschine wahrnehmen und ihre Vervollkommnung in Frage stellen. Das tat Antoine de Saint-Exupéry schon Mitte des letzten Jahrhunderts. Doch gerade in unserer heutigen Zeit stellen sich diesbezüglich neue Fragen – Fragen, die gestellt werden sollten, aber nicht unbedingt beantwortet werden können.

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rüher war alles besser.“ Dieser eher sinnleere Spruch der oftmals älteren Generation überdeckt häufig all das Schlechte, was damals geschah, und ist wohl vielmehr eine Verklärung der eigenen Jugend. Eine Jugend, in der es keine digitale Vernetzung gab, das nächste Musikalbum und der neueste Film nicht nur einen Klick entfernt war. Eine Zeit, in der die Dinge, die man hierzu nutzte, noch das Dingsein innehatten. Der Schritt um die Ecke zum nächsten Telefonhäuschen, das Greifen des stabilen dicken Hörers, der Einwurf der Münzen und das Suchen im monströsen Papierberg des Telefonbuches. Man war in einer direkten Interaktion mit der Maschine, schätzte sie als das, was sie tat und zu tun hatte, und erschrak nicht über den Defekt. Die Unvollkommenheit machte die Maschine liebenswürdig und schätzenswert. Was war das wohl für ein Gefühl, vor dem Radio zu hocken, die Kassette eingelegt und mit startbereiten Finger auf dem Aufnahmeknopf? Wann wird das neue Lied gespielt, auf das man so lange gewartet hat? Wird es gelingen? Denn nur der eine Versuch zählt. Heutzutage geben uns perfektionierte Geräte absolute Musik überall und unbegrenzt. Wann, wo, wie ist eher eine Frage des Netzempfanges. Doch die Maschine wurde und wird immer weiter optimiert, bis, wie Antoine de Saint-Exupéry in seinem Werk „Wind, Sand und Sterne“ schon 1939 erkannte: „Erst wenn aus unseren Geräten jede sichtbare Spur der technischen Bearbeitung geschwunden ist und wir sie so natürlich und selbstverständlich wie vom Meer gerundete Kieselsteine ergreifen, wir dann

langsam vergessen, dass es sich überhaupt um so etwas wie eine Maschine handelt.“ Wer denkt sich schon etwas dabei, wenn man lässig auf seinem vollendetem Smartphone dort ein Bild schießt, nebenbei Musik hört, um sich schlussendlich per GPS in das von Freunden über WhatsApp mitgeteilte Restaurant zu begeben? Schätzt man wie damals die Wertigkeit und Gewissheit der Maschine, die einen mit allem versorgt? Wahrscheinlich nicht. Ob das überhaupt Wichtigkeit hat, ist natürlich berechtigt zu fragen. Doch wenn die einstmalige Erfindung vervollkommnet ist und man sich mit dieser Perfektion arrangiert, ist das dann nicht eine Art der Erfindungslosigkeit? Doch es gilt immer das Positive zu sehen. Die Zeit, welche vom Werkzeug und der Maschine verschlungen wurde und nunmehr frei erscheint, ergibt „Frei-Zeit“ für uns. Durch den nicht mehr nötigen Weg zum Telefonhäuschen, durch das nicht mehr stundenlange Warten vor dem Radio haben wir Zeit für uns und die um uns herum. Aber mal ehrlich: Nutzen wir diese Zeit? Das mag wohl jeder nur subjektiv entscheiden. Doch sollten wir bei nächstem Griff zum Smartphone nicht nur sein äußeres Design bemerken, sondern es auch als Maschine wahrnehmen, die es zu wertschätzen gilt und deren Vervollkommnung uns nicht in eine Erfindungslosigkeit verfallen lassen sollte. Text: Yannik Roscher Illustration: Ulrike Bausch 29


Feuilleton

Helga, das Zelt brennt! - Am Anfang des Sommers quellen Magazine, Zeitschriften und Internet-Blogs mit Tipps, Tricks und Checklisten für Festivalgänger über. Was aber alles schief gehen kann, wird dem Festivalgänger verschwiegen.

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ops! Du hast zu lange gewartet! Das Festival deiner Wahl ist ausverkauft und es gibt nur noch extrem teure SchwarzmarktTickets. Falls du aber mal wieder mehr Glück als Verstand hast, hältst du trotzdem eines der raren Tickets in den Händen. Jetzt geht‘s an die Vorbereitungen: Die Wahl zwischen einem Reiserucksack (80l) und einem Hartschalenkoffer vom letzten MalleUrlaub (80l) scheint eigentlich klar zu sein. Trotzdem ist es wie bei jeder Wahl: Es gibt einfach Menschen, die sich immer für das Falsche entscheiden. Die Gründe für den Koffer scheinen anfangs argumentativ nachvollziehbar: Die Klamotten werden nicht zerknüllt, das Gepäckstück kann gezogen werden und die harte Schale schützt zerbrechliche Dinge im Inneren, wie beispielsweise Keramiktassen und -teller oder Gläser. Gratulation, du hast soeben einen Zonk gewonnen. Spätestens beim Betreten des Geländes (Ja, mein lieber Festivalgänger: ‚Gelände‘ wie ‚Geländewagen‘) versacken die Räder im Schlamm oder Staub, es fehlt eine Hand zum Tragen von Zelt, Isomatte und Co. und plötzlich wird einem bewusst, dass das Aussehen auf einem Festival eher sekundär ist. Aber zurück zum Anfang. Die Standardutensilien für einen viertägigen Ausflug in die Welt von Sex, Drugs & Rock‘n‘Roll, die du auf allen Checklisten gefunden hast (wobei das Gaffatape durch Kreppband ersetzt wurde – klebt ja schließlich auch ganz gut), sind schnell zusammengesucht und verstaut. Die ein oder andere Prinzessin quetscht noch ein Glätteisen und einen Föhn zwischen die helle Bekleidung. Auch ein Festival ist keine Entschuldigung für ein schlechtes Styling! Schnell noch die Reizwäsche und ein Negligé zum Schlafen rein, man weiß ja nie, wen man dort so alles antrifft. Der Tag der Abreise ist endlich gekommen. Wenn man sich entschließt, mit einem tiefer gelegten Kleinwagen zu fahren, sollte Folgendes beachtet werden: Zwar mag die maximale Personenbeförderungszahl für eine durchschnittliche Fahrt zu Konzerten, Partys oder ähnlichem großzügig vom Autohersteller bemessen sein, doch wenn pro Person ein bis zwei Gepäckstücke beziehungsweise Hartschalenkoffer, Zelte, Paletten mit Dosenbier, Essen, Stühle und anderes Campingzubehör eingeladen werden, wird es eng. In diesem Fall lohnt es sich, einen erfahrenen Tetris-Spieler mit dem Packen zu beauftragen. Nach mehrfachem Umstapeln und der Endbeladung durch das Schiebedach kann die Fahrt endlich losgehen – wenn da nicht der Huckel am Ende der verkehrsberuhigten Zone wäre. Im ersten Gang versucht der Fahrer über die leichte Erhöhung zu rollen, ohne mit dem Fahrzeugunterboden aufzukommen oder sich den Auspuff zu demolieren. Mit viel Gefühl und einem Schubs von außen kann es losgehen. Kurz nachdem die Vorderreifen den Asphalt des Beschleunigungsstreifens berührt haben, wird der überlade30

ne Wagen jedoch von der Polizei rausgewunken. Beim Umpacken des Wagens kommen interessante Dinge zutage, die der Besitzer des kleinen Autos schon vorher eingeladen hat: eine Spülwanne mit Steingut-Geschirr, Tonkrüge mit Met und die zwei großen Subwoofer, die auch daheim hätten bleiben können. Außerdem hat einer der Hartschalenkoffer das Klebeband-Bierpaletten-Konstrukt zerstört. Eine Dose Radler hat sich komplett über deinen Schlafsack ergossen. Obwohl nun im Wagen mehr Platz ist, hat sich am Gewicht anscheinend nichts geändert. Aus der Not heraus wird ausgelost, wer mit dem Zug nachreisen beziehungsweise sich eine andere Mitfahrgelegenheit suchen darf. Und wieder geht es Richtung Autobahn. Die erste Hürde ist geschafft: In weiter Ferne kannst du den Einlass erahnen. Seit Stunden bewegt sich nichts. Niemand ist sich sicher, ob die Tore zum Gelände bereits geöffnet wurden. Gesellig, wie der Festivalgänger nun mal ist, setzt man sich zu anderen lustigen Leutchen und öffnet sein erstes Bier. Auch das Wetter spielt mit: Die Wolken verziehen sich und die Sonne strahlt am Himmel. Die Temperaturen steigen und das nächste Bier wird schon geöffnet. Und weil‘s so erfrischend war, gleich noch eins hinterher! Endlich beginnt der Einlass und die ersten taumeln bereits durch die Einlasskontrollen. Manche bekommen gar nichts mehr mit und werden von ihren Freunden durchgezogen und zum bestmöglichen Platz für Zelt, Pavillon und Grill gebracht. Die leicht alkoholisierten Camp-Nachbarn krabbeln in ihre Zelte, um ihren ersten Rausch auszuschlafen. Die Idee gefällt dir und du rollst dich mit deinem neuen Festivalbegleiter – Bierli, eine lächelnde Bierdose – in deinem feuchten Schlafsack zusammen. Das kleine vor-apokalyptische Idyll wird von Flüchen und Wutanfällen zerrissen: Während bei dem einen ein Hering fehlt, fehlt bei dem anderen gleich das ganze Gestänge. Es ein weit verbreitetes Phänomen, dass das komplette Zelt nicht wieder in die dafür vorgesehene Tasche passt, sobald man es einmal entpackt hat. Darum entscheiden sich die meisten, Stangen und Planen separat abzutransportieren. 365 Tage später kann man das schon mal vergessen haben. Aus der Not heraus entstehen improvisierte Schlafstätten aus Planen und geliehenen Zeltstangen. Bei Sonne und angenehmen Temperaturen mag das reichen. Zur Festival-Saison ereignet sich aber des Öfteren ein interessantes Wetterphänomen, das als ‚Gewitter‘ bekannt ist. Bei den ersten Regenfällen laufen die Flachzelte voll und die Architekten saufen ab. Nachdem sich das Chaos aus Zeltstangen gelegt hat und die erste Bierpause angesetzt wurde, kommt der Hunger. Der Profi hat einen wiederverwendbaren Dreibeiner und genügend Kohle eingepackt, um für eine ganze Fußballmannschaft grillen zu können. Der Wegwerfgrill hingegen bietet Brutzelvergnügen für


Feuilleton

Pleiten, Pech und Pannen auf Festivals eine schnelle Mahlzeit. Also Folie ab, ein Stück Papier anzünden und zwischen die Kohle werfen. Während die Kohle fröhlich vor sich hin dampft, steigt ein weiterer, beißender Geruch in die Luft: Die Pappe brennt! Einweggrille müssen KOMPLETT ausgepackt werden! An dieser Stelle solltest du dir eine Wasserflasche schnappen und die Flammen löschen oder dein Grillgut auf einen Stock aufspießen und einfach rein halten. Davon würde aber jeder Brandschutzexperte abraten. Zum Glück verläuft das Festival an sich ganz gut. Abgesehen davon, dass aufgrund einer Flaschenverwechslung nicht mit Wasser, sondern mit Wodka gekocht wird. Aus der Not heraus entstehen so Gerichte wie WodkaTerrine, Wodka-Nudeln und heißer Wodkatee. Du solltest ein Kochbuch schreiben: „Wodka – das Wunderwässerchen zum Kochen“. Aber irgendwann ist jedes Festival mal zu Ende. Das restliche Bier wird getrunken und die Essensreste werden per Zwille über das gesamte Campinggelände katapultiert. Ein leichter Rauchschleier wabert romantisch über die Zelte, die nicht brennen. Und immer daran denken: nach dem Festival ist vor dem Festival. Im diesem Sinne: HELGA!

Text: Tanja Koelen Illustration: Samira Kleinschmidt

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Feuilleton

Ein Fest des Volkes? Die Fußballweltmeisterschaft kann zweifelsfrei als größtes Sportereignis der Welt bezeichnet werden. In diesem Jahr kehrt die internationale Fußballelite erstmals seit 1950 nach Brasilien zurück – dem Land, welches wohl am stärksten mit dem Fußball verbunden ist. Es erscheint jedoch nur auf den ersten Blick so, als hätte das ganze Land dem Großereignis freudig entgegengefiebert.

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amba, Sonne, Strand und Fußball. Diese Schlagworte scheinen fest in den Brasilien-Vorstellungen vieler Menschen verankert zu sein. Eine Fußballweltmeisterschaft in Brasilien? Das scheint einfach zu passen. Kein Vergleich zu den Korruptionsdebatten um die skandalöse Vergabe der WM 2022 nach Katar, keine Boykottdrohungen wie bei den Olympischen Spielen in Sotchi. Und dennoch scheint etwas nicht zu stimmen. Die Vorfreude ist durch einen verwunderlichen Beigeschmack getrübt – den Protest. Verwunderlich insofern, alsda dieser aus dem Inneren kommt. Die Menschen begehren gegen ,,ihre“ Weltmeisterschaft auf. Warum nur? Protest im Rampenlicht Juni 2013. Der Confed-Cup, die große Generalprobe für die Weltmeisterschaft, ist in vollem Gange. Während die brasilianische Nationalmannschaft ein überzeugendes Turnier spielt und im Finale sogar Welt- und Europameister Spanien bezwingen kann, demonstrieren im ganzen Land mehrere Millionen Menschen. Die Plattform ist gut gewählt. Erstmals findet die Protestbewegung medienwirksam Gehör und kann ihre Kritik in die Weltöffentlichkeit tragen. Die einzelnen Botschaften sind hierbei vielfältig, aber in ihrer Kernaussage vereint: Der Staat gibt Milliarden für sportliche Großereignisse aus, während Bereiche der Bildung, Gesundheit und Infrastruktur gnadenlos unterfinanziert sind. Staatspräsidentin Dilma Rousseff verharmlost die Demonstrationen und macht erst Zugeständnisse, als hunderte Menschen bei Straßenschlachten verletzt werden und die Situation zu eskalieren droht. Mehr Geld soll in die Bildung investiert, mehr Ärzte ins Land geholt werden. Mit den Kameras verschwindet die Schattenseite der anstehenden Weltmeisterschaft vorerst aus dem globalen Bewusstsein. Auch größere Demonstrationen bleiben nach Ende des Confed-Cups aus, sodass der Anschein einer erfolgreichen Schlichtung entsteht. Doch im Land wird weiter protestiert. Fernab aller Kameras wächst der Zweifel an der Weltmeisterschaft in immer weiteren Bevölkerungskreisen. Mai 2014. Mit den Kameras sind auch die Demonstrationen zurück. In São Paulo, Rio, Brasília, Belo Horizonte und vielen weiteren Städten gehen zehntausende Menschen auf die Straßen und protestieren gegen die Verschwendung von Geldern und soziale Ungerechtigkeit. Viele Menschen nutzen dabei die mediale Aufmerksamkeit, um auf Problematiken im Land hin-

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zuweisen, welche zumindest nicht direkt mit der Weltmeisterschaft in Zusammenhang stehen. Häufig wird für Gehaltserhöhungen demonstriert und gestreikt oder gegen die allgemeine Korruption protestiert. Im Endeffekt erfolgt jedoch fast immer der Rückschluss auf die Organisation, welche hinter jeder Weltmeisterschaft steht. Neben der eigenen Regierung wird die FIFA als Hauptverursacher der meisten Probleme ausgemacht und angeklagt. Zurecht. Die Nachhaltigkeitslüge Kritik an der FIFA zu finden ist ein leichtes Unterfangen. Offiziell ein eingetragener Verein, aber ausgestattet mit den finanziellen und machtpolitischen Mitteln eines multinationalen Großkonzerns, verharrt der Weltfußballverband seit Jahrzehnten in einer unangefochtenen Monopolstellung. Die elitären Kreise um Präsident Blatter zeigen sich äußerst verschlossen und in ihrer Führung vereint. Korruption bei der Vergabe von Weltmeisterschaften ist mittlerweile kein Verdacht mehr, sondern hinreichend bewiesen. Wenig erstaunlich, aber dennoch erschreckend, manifestieren sich eben diese Charakterzüge der FIFA und deren Auswirkungen auch im Gastgeberland Brasilien. Oder: Warum letztendlich nur die FIFA profitiert. Die Weltmeisterschaft schafft neue Arbeitsplätze, verbessert die Infrastruktur, fördert den Tourismus und stärkt die Wirtschaft. Das gängige Repertoire an Versprechungen ist nicht erst seit dieser Weltmeisterschaft existent und wird, so auch in diesem Jahr, regelmäßig und vornehmlich aus Regierungskreisen angeführt. Fakt ist jedoch, dass Südafrika nach der Weltmeisterschaft 2010 auf einem Schuldenberg von drei Milliarden Euro sitzen blieb. Die Touristen gingen wieder, die Arbeitsplätze waren nur kurzfristig besetzt und die exorbitant teuren Stadien blieben danach weitgehend ungenutzt. Die FIFA hingegen erwirtschaftete einen Gewinn von knapp 500 Millionen Euro. Möglich ist eine solche Gewinnspanne durch die umfangreichen Privilegien, welche die FIFA von jedem Ausrichterland verlangt. So zahlt die FIFA ebenso keinerlei Steuern auf ihre Gewinne durch die Weltmeisterschaft, wie die namhaften Hauptsponsoren. Schätzungsweise 750 Millionen Euro entgehen Brasilien somit an Einnahmen, welche im sozialen Bereich doch so dringend benötigt werden. Die Gesamtkosten für die Ausrichtung belaufen sich mittlerweile auf 14,5 Milliarden Euro und liegen somit dreimal so hoch wie bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Viel Geld


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für ein Land, welches mit einer enormen Spaltung zwischen den sozialen Schichten zu kämpfen hat und in einigen Bereichen immer noch nicht über den Status eines Entwicklungslandes hinausgekommen ist. Modernität statt Identität Fast genauso schwerlimm wie die Verschwendung von dringend benötigten Geldern, wiegt für viele Menschen in Brasilien die fehlende Partizipation an der Weltmeisterschaft. Seit jeher ist der Fußball in diesem Land ein Volkssport. Er bringt Menschen unterschiedlicher Schichten zusammen, welche nur durch ihre gemeinsame Liebe zum Sport geeint sind. So war es zumindest über viele Jahre hinweg. Mittlerweile jedoch weichen die fast mystischen Schauplätze vergangener Fußballepochen einer streng regulierten und zunehmend exklusiven Stadionwelt. Am deutlichsten lässt sich dies am Beispiel des legendären Estádio do Maracanã erkennen. Fast 200.000 Menschen sahen hier im Jahre 1950 das Finale der Weltmeisterschaft, mehrere Jahrzehnte lang war es das größte Stadion der Welt und von einer solch unvergleichlichen Atmosphäre gezeichnet, dass nicht wenige Menschen dem Maracanã eine eigene Seele zusprachen. Doch der ideologische Charakter als Stolz einer ganzen Nation ist verflogen. Unter den strengen Regularien der FIFA wurde das Stadion für die Weltmeisterschaft umgebaut. Fast 400 Millionen Euro kostete die Renovierung, welche sich nun in massiven Eintrittspreiserhöhungen wiederfinden lassen. Das Stadion des Volkes hat seine Identität verloren und ist nunmehr von Konformität

und Austauschbarkeit geprägt. Auch der Bau bzw. die Renovierung vieler anderer Stadien empört die Menschen in Brasilien. Gerade hier offenbart sich die fehlende Nachhaltigkeit der Weltmeisterschaft in voller Härte. Das teuerste Stadion steht in der Hauptstadt Brasilia und wurde extra für die Weltmeisterschaft errichtet. Bei einer temporären Nutzung des mit 70.000 Plätzen ausgestatteten Stadions wird es wohl auch bleiben, da Brasilia keinen Fußballverein in den ersten beiden Ligen vorzuweisen hat und somit die Kapazitäten niemals ausfüllen wird. Die Liste lässt sich fast endlos weiterführen. Von der Räumung etlicher Favelas aus ästhetischen Gründen, über die Zerstörung kultureller Einrichtungen zugunsten eines gigantischen Parkplatzes und, die Vertreibung lokaler Straßenhändler, bis hin zu katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen. Was schlussendlich bleibt sind Versprechungen und Verharmlosungen seitens der Regierung, ein konsequentes Ignorieren aller Probleme durch die FIFA sowie eine Nation, deren Begeisterung über die Rückkehr der Weltmeisterschaft deutlich getrübt ist. Wie es weitergeht? Man darf gespannt sein. Bereits 2016 steht mit den Olympischen Spielen in Rio das nächste Großereignis auf dem Plan. Text: Felix Wendler Illustration: Isabel Weiss Foto: Andre Durao / Shutterstock.com

Rio de Janeiro, 23. März 2013, in der Nähe des Maracanã Stadions demonstrieren die Menschen gegen die Weltmeisterschaft in Brasilien.

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„Auf den Spuren unserer Mütter und Väter“ Während des Nazi-Regimes in Deutschland war eines der größten, in Weißrussland gelegenen Vernichtungslager der Nazis in Trostenez bei Minsk. Anlässlich der Grundsteinlegung für eine Gedenkstätte für die Opfer dieses Ortes reiste auch eine Delegation aus Bremen nach Minsk. Der Scheinwerfer berichtet über diese intensive Reise nach Weißrussland.

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insk ist für Norddeutsche noch näher gelegen als zum Beispiel Venedig - und trotzdem ferner und fremder als so manche europäische Großstadt. Das liegt nicht nur am Oberhaupt der Republik: dem letzten Diktator Europas, Alexander Lukaschenko. Kaum ein anderes Nachbarland Deutschlands ist in der Vergangenheit durch Krisen wie Tschernobyl, Vernichtungskriege und Genozide stärker getroffen worden; außerdem ist es das Land, in das man von allen Nachbarländern am schwierigsten einreisen kann. Kein Land also für einen schnell gebuchten Urlaub. Doch vom 06.06. bis zum 13.06.2014 bekam ich die Chance, über Vilnius/Litauen nach Minsk/Belarus zu reisen. Der Anlass war eine Gedenkreise der IBB Dortmund (Internationales Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund), ein Gedenken an die Holocaust-Opfer. Am Abend nach dem Ankunftstag in Vilnius ging es mit dem Bus über die Grenze nach Minsk. Keine weite Reise, und doch dauerte es alleine drei Stunden, über die stark bewachte Grenze zu kommen. Zwischen der litauischen Grenze und Minsk liegen nur etwa 150 Kilometer, überwiegend Wald, Feld und pure Natur, ehe man an den ersten Bauriesen erkennt, dass man in

Präsident Lukaschenko bekommt die Gedenktafel überreicht, um sie an dem Stein zu befestigen.

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Minsk angekommen ist. Wohin man auch blickt: Überall werden weitere Hochhäuser hochgezogen. Die ganze Stadt ist sehr weitflächig angelegt und besonders im zentralen Stadtbereich durch die sowjetische Architektur geprägt, die zugegebenermaßen wirklich schön anzusehen ist. Doch überall gibt es Staatspräsenz durch Polizei und Militär. Schon seit einiger Zeit arbeitet das IBB-Dortmund daran, an die Opfer des Vernichtungsortes Trostenez mit einer würdigen Gedenkstätte zu erinnern. Dieser letzte große Vernichtungsort ohne Gedenkstätte liegt heute in Minsk, der weißrussischen Hauptstadt. Während der deutschen Besatzungszeit (1941-1944) lag er noch außerhalb der Stadt. Insgesamt wurden hier bis zu 206.000 Menschen getötet, verbrannt oder verscharrt, wobei die genaue Anzahl der Opfer unklar ist. Etwa 22.000 Deutsche aus Berlin, Hamburg, Bremen, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Wien und Theresienstadt wurden nach Minsk deportiert. Aus diesen Orten kam auch der überwiegende Anteil der Gedenkreisenden. Anlässlich der Grundsteinlegung am 08.06.2014 durch den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko organisierte die IBB Dortmund diese Gedenkreise. Mehr als 120 Akteure aus der Erinnerungsarbeit in Westeuropa nahmen daran teil. „Wenn wir die Namen und die Schicksale der Opfer aus unserer Erinnerung streichen, würden wir uns ein zweites Mal schuldig machen“, erklärt Peter Junge-Wentrup, Geschäftsführer der IBB Dortmund, den Anlass für die zivilgesellschaftliche Initiative, die die IBB Dortmund 2013 gestartet hatte. An der Grundsteinlegung selber nahmen weit über 500 Menschen teil. Unter ihnen auch Zeitzeugen aus Belarus und Vertreter der Katholischen und Orthodoxen Kirche sowie der jüdischen Gemeinden, Diplomaten, Freiwillige, Studenten und Historiker. Aber auch zahlreiche Belarussen erschienen, um ihren Präsidenten sprechen zu hören. Seine Rede hielt er auf Russisch und ohne Übersetzung, so dass einem Großteil der Anwesenden der genaue Inhalt unklar blieb. In einer Gedenkstunde in der IBB „Johannes Rau“ Minsk wurden zudem von prominenten Vertretern der je-


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Eine Gedenkreise nach Minsk, Trostenez weiligen Städte die Namen der deportierten Menschen an Igor Karpenko, den Bürgermeister der Stadt Minsk, übergeben. Es wurden hier jeweils der erste und der letzte Name von jeder dieser langen Listen laut vorgelesen. Für Bremen übernahm dies Luise Scherf, die Ehefrau von Henning Scherf, in Zu s a m m e n a r b e i t mit Elvira Noa, der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Bremen. Henning Scherf war von 1995 bis 2005 Bremens Bürgermeister (SPD) und ist für seine Bürgernähe bekannt. Bei seiner Rede zum Pr o g r a m m p u n k t „Gedenken für eine gemeinsame Zukunft im gemeinsamen Haus Europa“ legte er dem gut einen Kopf kleineren Übersetzer spontan den Arm um die Schultern und behielt dies während der gesamten Zeit bei. Mit Nachdruck betonte er in seiner Rede, dass nur ein gemeinschaftliches Europa mit Frieden und voller Respekt erfolgreich und wünschenswert sein kann. Der Sonntag war nur der offizielle Teil des Programms: Grundsteinlegung durch den Präsidenten, feierliche Übergabe der Namen und die Unterzeichnung der Absichtserklärung zum Bau der Gedenkstätte Trostenez durch den Leiter der IBB Dortmund, Peter Junge-Wentrup, und den Bürgermeister der Stadt Minsk, Igor Karpenko, sowie eine ehrenvolle Kranzniederlegung am Gedenkstein im Wald von Blagwschtschina – dem Ort, wo etwa 150.000 Juden erschossen und verscharrt wurden. Darüber hinaus nahmen etwa 120 Personen an einem mehrtägigen Programm teil: „Lernen aus der Geschichte für eine gemeinsame Zukunft“. Es wurden viele Reden gehalten, etwa über Trostenez, aber auch zum Thema „Was lernen (junge) Menschen in Gedenkstätten?“. Verschiedene Vertreter bestimmter Museen und Gedenkstätten berichteten an dieser Stelle von ihren Erfahrungen. Außerdem besuchten die Teilnehmer die Standorte der ehemaligen jüdischen Ghettos sowie verschiedene Denkmä-

Die Gedenktafel: Der Grundstein für die Gedenkstätte Trostenez Übersetzung: Gedenkstätte „Trostenez“ Wird erbaut im Auftrag des Präsidenten der Weißrussischen Republik Alexander (G.) Lukaschenko – Juni 2014 ler und Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Besonders imposant fand ich das Denkmal in der Nähe der Gemeinde Njeswisch. Diese liegt etwa 120 Kilometer südwestlich von Minsk. Die Gedenkstätte Gorodej liegt genau dort, wo über 1000 jüdische Menschen verscharrt wurden. Sie wurden aus den umliegenden Ghettos hierhergetrieben, mussten sich auf den Bauch legen und wurden mit LKWs totgefahren. Wer überlebte, wurde erschossen. Heute liegen an dieser Stelle genauso viele Steine, wie es Opfer gegeben hat. Die kaputten Fenster stehen für die zerstörten Leben und Häuser. Und doch ist dieser Ort des Gedenkens nicht einmal im Internet zu finden. Einen ausführlichen Bericht zur Reise gibt es auf dem Blog http://blogs.uni-bremen.de/commemorativetravel/ Text und Fotos: Pia Zarsteck

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Impressum

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Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin c/o Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Bremen Bibliothekstraße 3/StH D-28359 Bremen scheinwerfer@uni-bremen.de

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Jarmila Rakowski (V.i.S.d.P.; 01573/7614628), Yannik Roscher (V.i.S.d.P.; 01573/7616384), Lina Schwarz

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Mitwirkende Redakteure:

Tanja Koelen, Felix Wendler, Pia Zarsteck

Öffentlichkeitsarbeit Lukas Henseler (Ressortleitung), Ulrike Bausch, Antonia Cohrs, Jennifer Gätjen, Marina Owsjannikow

Lektorat: Gerd Klingeberg Titelbild: Markovka / Shutterstock.com (bunter Hintergrund) Druck: Druckerei Brüggemann Auflage: 3000 Für den Inhalt der einzelnen Artikel sind die Autoren verantwortlich. Die in Artikeln oder Kommentaren zum Ausdruck kommende Meinung spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Alle Angaben ohne Gewähr. Zur besseren Lesbarkeit werden in dieser Publikation häufig geschlechterspezifische Formulierungen auf die maskuline Form beschränkt. Die weibliche ist selbstverständlich mit implizert. Herausgeber dieser Zeitung ist die Studierendenschaft der Universität Bremen. Der Scheinwerfer finanziert sich durch die allgemeinen Studierendenbeiträge.

Foto: Ulrike Bausch


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