8.Ausgabe, Januar 2013
Bremens freies Unimagazin
RAUM NOT Warum für Studierende kein Platz in LEERveranstaltungen ist
Größenwahn
Weltgrößte Yacht in Bremen gebaut
Bioernährung
Nachhaltigkeit vs. Scheinheiligkeit
Der Fallturm
Hochflug kommt vor dem Fall
Inhalt
Kurzmeldungen Leserbriefe
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Hochschulpolitik
Raumnot
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Brauchen Unis einen AStA?
8
FAQ: Studierendenrat
Campusleben 14
Vereinbarkeit von Familie und Studium
Bremens Top3-Erlebnisse
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Geowissenschaftler im Portrait: Prof. Bohrmann
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Familienfreundliches Studium
14
Fallturm
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Mit dem Rucksack unterwegs
Wagenburg
18
Drei Dinge in Bremen erleben
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Böttcherstraße
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Weltgrößte Yacht aus Bremen
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Rettungshundestaffel
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Feuilleton
Karneval - Eine Einführung
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Bioernährung
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Russland - Aufbruch in den Umbruch
30
Backpacking-Tipps
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Lautsprecher
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Buchrezension
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Impressum
28
Running Dinner
Bremen
20
10
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Editorial
Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen! Ruhe auf den billigen Plätzen! Denn jeder von uns allen sollte froh sein, wenn er sich überhaupt in so mancher Lehrveranstaltung auf eine Stufe in der Ecke setzen darf, um den ehrwürdigen Worten eines Dozierenden lauschen zu dürfen. Gleichzeitig verwundert es, dass in einigen anderen Lehrräumen für die Anzahl der Studierenden, die darin in wissenschaftlichen Genuss kommen, so viel Platz ist, dass man darin auch beinahe Sportpraxiskurse stattfinden lassen könnte. Und manchmal könnte man sogar meinen, dass im einen oder anderen leeren Kursraum wissenschaftliche Experimente zum Thema Nihilismus stattfinden würden. Kurzum: Es herrscht an der Uni eine Raumnot an der einen Stelle, während an anderer Stelle zu viel Platz ist. Doch Lösungen zu diesem Thema spüren wir Studierenden nicht. Unser Redakteur Björn Knutzen hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und zeigt auf, wie diese so unterschiedlichen Situationen zustande kommen oder zu vermeiden wären. Definitiv keine Raumnot wird es auf der größten Yacht der Welt geben, die derzeit unter strengster Geheimhaltung in Bremen gebaut wird. Und obwohl die Tore der Werft fest verschlossen und streng bewacht sind, wollen wir euch einen Eindruck verschaffen von der Größenordnung (oder eher der grenzenlosen Hybris?), die dahinter steckt. Ganz andere Nöte als zu wenige Räume oder zu viel Geld haben die Biokonsumenten auf der Suche nach einem gesunden Lebensstil mit Produkten, die das Biosiegel tragen. Dabei ist das
doch wohl eine Entwicklung, die Nachhaltigkeit im Sinn hat und sich zudem als Gegenbewegung versteht, und zwar zu einer Gesellschaft, die immer weniger Bezug zu ihren Nahrungsmitteln hat und fragwürdige Herstellungsmethoden in Kauf nimmt, solange der Preis so niedrig wie möglich ist. Aber steckt hinter dem Siegel auch wirklich immer Bio? Garantiert das Konsumieren wirklich ein längeres und gesünderes Leben? Oder fallen überzeugte Käufer von teuren Bioprodukten nicht manchmal eher auf einen Marketingtrick herein? Der eigentlich erfreuliche Trend scheint möglicherweise auch seine Tücken zu haben… Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns nach zwei Jahren und übergeben das Zepter an Jarmila Rakowski und Yannik Roscher als neue Verantwortliche des Scheinwerfers. Wir danken allen Lesern und freuen uns auf die nächsten Ausgaben mit neuen Gesichtern. Viele Grüße und viel Spaß beim Lesen.
Anne Glodschei
Lukas Niggel
Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus oder unter scheinwerfer@uni-bremen.de. 3
Kurzmeldungen
Kurzmeldungen Exzellenz und Forschendes Lernen
Urlaub auf Italienisch oder Polnisch
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m Rahmen seiner Initiative „Exzellenz in der Lehre“ hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft einen so genannten Fellowship für Innovationen in der Hochschullehre vergeben. Die Auszeichnung geht an Dr.-Ing. Olena Kuzmicheva aus dem Institut für Automatisierungstechnik im Fachbereich Physik / Elektrotechnik und ist mit einer Summe von 50000 Euro dotiert. Neben Kuzmicheva gab es noch etwa 200 weitere Anträge. Gefördert werden davon 15. In ihrer Forschung beschäftigt sich die Bremer Post-Doktorandin unter anderem mit der Entwicklung medizintechnischer Anwendungen. Kuzmicheva ermöglicht Studierenden darüber hinaus, aus ihrem Projekt zu lernen. Dazu gehören spezielle Veranstaltungen zu stochastischen Methoden. Außerdem geht es um die Zusammenhänge statischer Methoden mit der Robotik. Auf Seiten der Universität gab man sich stolz. Heidi Schelhowe, Konrektorin für Lehre und Studium, verwies darauf, dass man in Bremen offensichtlich nicht nur exzellente Forschung betreibe, sondern auch die Lehre nicht vernachlässige.
Den Uni-Campus mit einer App überblicken
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er Campus der Universität Bremen ist riesig und für neue Studenten meistens ein unübersichtlicher Irrgarten. Wie wäre es also, wenn man ihn ganz einfach von seinem Smartphone aus erkunden könnte? Um das zu ermöglichen, haben Studenten aus dem Fachbereich der Informatik im Rahmen des Bachloreprojekts „eStudent“ unter der Leitung von Gerrit Kalkbrenner eine App entwickelt, mit der man sich schnell auf dem Uni-Campus orientieren kann. eStudentLBS 1.0 gibt Informationen über die Abfahrtszeiten von Bussen und Straßenbahnen sowie eventueller Verspätungen. Außerdem kann man den aktuellen Speiseplan der Mensa oder der GW2 Cafeteria einsehen, die Öffnungszeiten und Dienstleistungen wichtiger Gebäude auf dem Campusgelände werden dort ebenfalls angezeigt. Diese so genannten „Points of Interests“ (POI’s) sind auf einem Lageplan der Universität markiert und der Nutzer erhält beim Anklicken nähere Informationen. Die App wird kontinuierlich von den Studenten Dennis Schlobohm und Benjamin Kaufmann weiterentwickelt und kann von jedem kostenlos in dem Google Play Store heruntergeladen werden.
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eues Angebot für Sprachbegeisterte in Bremen: Das hiesige Fremdsprachenzentrum (FZHB) bietet allen Interessierten ab Mitte Februar Sprachkurse für Italienisch und Polnisch an. Das Angebot gilt auch im Rahmen eines so genannten Bildungsurlaubs. Die Kurse richten sich primär an Berufstätige, Studierende können jedoch ebenfalls teilnehmen. Es handelt sich bei den aktuellen Angeboten um fünftägige Intensivkurse. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Die Kosten pro Kurs belaufen sich auf 80 Euro. Preise für andere Statusgruppen können abweichen. Für weitere Informationen empfiehlt sich ein Besuch auf der offiziellen Internetpräsenz des FZHB unter: www. fremdsprachenzentrum-bremen.de
In eigener Sache: Neue verantwortliche Redakteure
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a die Koordinatoren und die Ressortleiter von Campusleben, Bremen und Feuilleton allesamt aus der ersten Scheinwerfergeneration stammen, ist es nun an der Zeit, dass diese sich um ihre Bachelorarbeit kümmern und neue Gesichter diese verantwortungsvollen Posten übernehmen. Als neues Koordinatorenteam werden die Kommunikations- und Medienwissenschafts-Studentin Jarmila Rakowski sowie der Politikstudent Yannik Roscher aktiv. Neuer Ressortleiter des Campuslebens wird Merlin Pratsch, Neele Meyer ist fortan für das Bremenressort zuständig und die Leitung des Feuilletons übernimmt Dunja Rühl. Wir sind überzeugt, dass sich für diese Posten die richtigen Personen gefunden haben, die den Scheinwerfer in Zukunft gestalten und weiterentwickeln werden.
Richtigstellung
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er in der siebten Ausgabe des Scheinwerfers erschienene Beitrag „keine Luft den Linken“ von Benjamin Reetz spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Wir bitten um Entschuldigung, weil wir diesen Kommentar nicht explizit als solchen gekennzeichnet haben. Desweiteren distanzieren wir uns von der Din A4 Blattbeilage, die sich auf den Kommentar von Benjamin Reetz bezieht, in jeglicher Hinsicht. Diese wurde unrechtmäßig in einige der ausliegenden Exemplare der letzten Ausgabe eingelegt.
Leserbriefe
Leserbriefe
zu „Keine Luft für Beckstein!“ / Keine Luft den Linken! (Ausgabe Nr. 7, Dez. 2012) „Keine Luft den Linken!“ ist der Titel des Kommentars, welcher in der vergangenen Ausgabe des Scheinwerfers erschienen ist. In klarer Anlehnung an die im Vorfeld der Veranstaltung kursierenden Flyer, die den Titel „Keine Luft für Beckstein!“ trugen, handelt es sich hierbei um eine augenscheinliche Kritik an sogenannter „Linker Politik“ im Allgemeinen und ihrer Feindseligkeit gegenüber der Demokratie. Bereits im zweiten Satz kritisiert Reetz die vorherrschende Lautstärke des Protestes, welche dem Ziel diente, die Veranstaltung gar nicht erst beginnen zu lassen und eine Diskussion verhinderte. Die anschließende Diffamierung der Protestteilnehmer*innen als „öko-sozialistische Faschisten“ lässt uns als ökologische und sozial emanzipatorische Liste nicht unberührt. Es ist traurig und erschütternd, dass eine legitime Protestform gegen eine Podiumsdiskussion pauschal als „faschistisch“ dargestellt wird. Kritik ist wichtig, oft konstruktiv und vorantreibend doch der Begriff Faschismus ist für uns an dieser Stelle vollkommen unangebracht, unreflektiert verwendet und schadet der Ausdrucksstärke dieses Begriffes, wenn dieser so leichtfertig und unpassend verwendet wird. In seinem flammenden Plädoyer verteidigt Reetz am Ende „Die Freiheit eines jeden“. Aus unserer Sicht muss hier dieser Freiheitsbegriff abgewogen werden gegen unser Bestreben, die Verbreitung von rassistischem Gedankengut zu verhindern. Wir wünschen uns eine Universität, die ein Ort der Meinungsfreiheit und -verschiedenheit ist, ja! Aber gleichzeitig sollte sie auch ein geschützter Raum sein. Geschützt zum Beispiel in dem Sinne, dass wir auf dem Campus gegen rassistische Diskurse vorgehen und uns für eine offene, vorurteilsfreie und menschenrechtsachtende Wissenschaft und Gesellschaft einsetzen. Wir lehnen die Verallgemeinerung und Reduzierung emanzipatorischer Politikfelder wie etwa Konsumkritik, Demokratie und Ökologie auf ein ideologisch verblendetes Bild ab. Auch wenn wir uns nicht mit der teilweise gewaltsamen Übergriffigkeit des Protestausgangs identifizieren, ist der Protest als Mittel der Partizipation für eine lebendige Demokratie legitim und Ausdruck einer wachen Gesellschaft. CHRISTOPHER KEWITZ / CAMPUSGRÜN Benjamin Reetz und sein Kommentar über die zerschlagene Diskussion um den Asylkompromis gibt ziemlich genau das wieder was ich und einige andere Kommilitonen (mit unterschiedlicher Migrationshintergrund) während und nachdem bedauerlichen Protest gedacht hatten. Wir fanden das einfach nur genial, dass Stefan Luft Politiker einladen konnte, die nicht nur etwas zu dem Thema sagen können, sondern auch noch federführend und meinungsbildend den Asylkompromiss durchgesetzt haben. Was da alles an Argumenten und Formulierungen von Beckstein hätten kommen können, was man da alles nur hätte gegen setzen können, was für ein gefundenes Fressen für interessierte Politikstudierende, die nicht nur eine fundierte Meinung dazu bilden könnten, sondern auch die Thematik argumentativ in ein anderes Licht hätten setzen können. Es wäre so schön gewesen, Beckstein von dem hohen Ross eines Polit-Granden herunterzuholen, um ihm klarzumachen, dass er heute altes Eisen ist und nur noch als Polit-Rentner taugt und seine damalige Politik nur ein Schutzmechanismus einer überforderten Regierung war und für die Zukunft keine Dauerlösung ist. Leider wurde nur eines an diesem Tag klar: Das anwesend politisch begeisterte Publikum der Bremer-Uni hat gezeigt, dass sie nur zu einem infantilen Diskurs in der Lage ist, wo keine Argumente sondern die Lautstärke der Trillerpfeifen und des unreflektierten „Verpiss-dich“ Gebrülls einiger Leute zählt. TUNCER YILMAZ zu Freiheit für Öcalan? (Ausgabe Nr. 7, Dez. 2012) Zunächst einmal möchte ich ein Lob dafür aussprechen, dass Ihr einen Artikel zur Situation der KurdInnen geschrieben habt. Allerdings habe ich einige Anmerkungen In dem Absatz, in dem Ihr die Aussagen des Bremer Politikwissenschaftlers Dr. Stefan Luft einbringt, erwähnt Ihr, dass er keine Unterschiede in der Integration sehe, beziehungsweise diese nicht ausgemacht werden könnten. Für Statistiken dieser Art muss die Anzahl der in Deutschland lebenden Kurden amtlich erfasst werden. Da es aber keinen kurdischen Staat und somit keine kurdische Staatsangehörigkeit gibt, gibt es auch keine amtliche Erfassung kurdischer Staatsangehöriger in Deutschland. Lediglich Schätzungen zur Anzahl der KurdInnen in Deutschland liegen durch NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. und durch die Antwort der Bundesregierung auf eine Bundestagsanfrage vor. Im Übrigen werden die KurdInnen aber nicht nur nicht als eigene MigrantInnen-Gruppe anerkannt, auch weigern viele Standesämter sich, die kurdischen Namen anzuerkennen. Herr Dr. Luft spricht sich auch für das Eingreifen des Staates bei Verstößen gegen das Verbot von PKK-Symbolen aus. Hier stellt sich mir die Frage, wie ein solches Eingreifen denn seiner Meinung nach aussehen soll? Immerhin gibt es bereits Eingriffe durch die deutsche Regierung. 21.04.2012 Demo in Frankfurt. Eine 12-jährige Demonstrantin wurde im Zuge dieser Demonstration stundenlang im Krankenhaus behandelt, nachdem sie von PolizistInnen grundlos mit Pfefferspray in Ohnmacht gesprüht wurde. Auch der Übergriff der Polizei am 08.09.2012 auf das 20. Internationale Kurdische Kultur-Festival, der mit Schlagzeilen wie „Kurdenkrawalle in Mannheim“ die Runde machte, lässt sich hier sehr gut einreihen. Zum Vorfall: Nachdem der Polizei ein 12-jähriger Junge dadurch auffiel, dass er eine verbotene Fahne mit sich trug, entschied sich diese für einen Eingriff. Aus Angst vor dem Auftreten der Staatsmacht flüchtete der junge Demonstrationsteilnehmer in die Menge. Ab diesem Zeitpunkt wurde aus einem friedlichen Festival ein Horror-Erlebnis für alle Besucher. Während in den Medien von 80 verletzten Polizisten die Rede war, schenkte man den hunderten verletzten Festival-Besuchern keinen einzigen Funken Aufmerksamkeit. Allein die Solidaritätsbekundung durch Fahnen, Transparente, Parolen wird kriminalisiert, ebenso das einfache Sammeln von Spenden. HEVALÊ ALMAN 5
Hochschulpolitik
Raumnot bei leeren Räumen In den Hörsälen sitzen die Studierenden auf den Treppen. Statt hinterer Bänke gibt es ersatzweise klapprige Stühle aus den Gründungsjahren der Universität. Wo werden wir in den kommenden Jahren lernen und lehren?
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einahe alle Studierenden kennen es. Und nur wenige beklagen sich nicht darüber. Hier stören kleine Räume, dort jene, die völlig heruntergekommen sind. Manche Lehrenden finden gar keine Räume für ihre Veranstaltungen. Dabei scheint es, als verhalte es sich hierbei wie bei der ähnlich gelagerten Wohnungsnot: Jährlich kehrt das Thema wieder, Lösungen werden kaum gefunden, und wenn doch, dann profitieren Studierende von teuren Wohnungen oder in diesem Fall von kostenintensiven Neubauten für profitträchtige Fachbereiche. Nachhaltige Lösungen bleiben jedoch aus.
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Wer nach den Gründen der Raumproblematik fragt, bekommt verschiedene Antworten. Zumeist handelt es sich um bloße Gerüchte oder Vorwürfe, doch es ist an fast allen etwas dran. Oft genannt werden doppelte Jahrgänge, die Abschaffung der Wehrpflicht und die Tatsache, dass tatsächlich immer mehr junge Leute ein Studium anstreben. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Anzahl der Studierenden in Deutschland um eine knappe halbe Million gestiegen. Die so genannte Studienanfängerquote (Anteil der Studienanfänger an der gleichaltrigen Bevölkerung) stieg im ungefähr gleichen Zeitraum um satte 20 Prozent. Wohl nicht zuletzt steigen die Zahlen durch jene Studierenden, die sich
Hochschulpolitik
nachträglich in die Studiengänge einklagen. Einem Bericht des Weser-Kuriers aus dem November 2012 zufolge verdoppelte sich innerhalb eines Jahres die Anzahl derjenigen, die sich ins Fach Psychologie einklagen wollten. Ganz objektiv sind die deutschen Hochschulen heute mit einer wesentlich höheren Anzahl von Studieninteressierten konfrontiert, für deren Aufnahme die meisten wohl niemals ausgelegt waren. Neben offensichtlichen Bereichen wie der Lehre existieren auch im Hochschulsport ähnliche Probleme. Ende 2012 titelte der Bereich Hochschulsport der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster beispielsweise: „Hochschulsport platzt aus allen Nähten“. Kurzfristig ließ sich die Lage durch Umstrukturierungen lösen, eine dauerhafte Lösung kann das jedoch kaum sein. Daneben wird häufig angenommen, es gäbe eine Präferenz, Veranstaltungen vorwiegend auf den Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag zu legen. Nach Auskunft des Veranstaltungsbüros der Uni Bremen ist das von einem dortigen Mitarbeiter als „DiMiDo-Präferenz“ bezeichnete Phänomen durchaus vorhanden. Das führe montags und freitags teilweise zu potenziell freien Kapazitäten. Viele, die es jedes Wochenende zu den Eltern nach Hause verschlägt, werden diese Einschätzung teilen. Trotzdem wird davor gewarnt, das Problem nur eindimensional zu betrachten. Was für einzelne Veranstaltungen, Studiengänge oder Semester gelte, könne nicht auf alle bezogen werden, wie es seitens des Veranstaltungsbüros heißt. Wer die Zahlen der Studienanfänger betrachtet, die Räume und die Veranstaltungen zählt, meint mitunter, eins und eins zusammenzählen zu können. Die proklamierte Raumnot wäre dann womöglich nichts anderes als eine quasi natürliche Erscheinung. Die Wirklichkeit zeigt sich aber differenzierter. So sind viele Studierende mitverantwortlich für die Organisationsprobleme. Doppelt- und Dreifachanmeldungen erschweren eine effiziente Planung. Und schlecht durchdachte Anmeldeverfahren für die Veranstaltungen machen es den Studierenden natürlich nicht leicht. Auch sind Verfehlungen von Lehrenden anzumahnen, wo diese dem Veranstaltungsbüro nicht mitteilen, wenn Räume doch nicht benötigt werden. Was dann folgt, kennen wohl viele: große leere Räume, während überall von Raumnot die Rede ist. Bremen konkret Das Problem der Raumnot ist bundesweit bekannt. Auch in der lokalen Presse wird darüber berichtet. So schreibt der Weser-Kurier im Oktober vergangenen Jahres davon, dass zu Semesterbeginn noch Räume für 50 Veranstaltungen gefehlt hätten. Uni-Sprecher Eberhard Scholz versucht zwar, die Wogen etwas zu glätten und verweist darauf, dass es nicht bei dieser hohen Zahl bliebe. Doch muss auch er eingestehen, dass es derzeit nur noch um „eine Art Verwaltung des Mangels“ gehe. Dabei wirken die reinen Zahlen im ersten Moment verhältnismäßig nichtssagend. Dr. Martin Mertens, Dezernent für Organisation und Raumentwicklung an der Uni Bremen, erklärt in einem weiteren Bericht aus dem Oktober 2012, dass es pro Semester
rund 3000 Veranstaltungen für 18000 Studierende gebe. Für die Veranstaltungen unterhält die Uni 89 Lehrräume inklusive 13 Hörsäle. Insgesamt gebe es 6039 Plätze. „Das Lehrprogramm ist damit fahrbar. Aber wir bewegen uns am Limit“, erklärt der Dezernent gegenüber dem Weser-Kurier. Erst beim genauen Hinsehen wird die Problematik deutlich. So seien die Räume zwischen zehn und 18 Uhr zu 100 Prozent ausgelastet. Die Ironie: in den Räumen selbst sollen nur verhältnismäßig geringe 60 Prozent der Sitzplätze belegt sein. Dazu kommt, dass die Uni Bremen gewissermaßen von Haus aus auf einer schlechten Grundlage arbeitet. Während die Auslastung der Gesamtanzahl an Räumen in einem Semester an anderen Universitäten durchschnittlich etwa 60 Prozent beträgt, sind es hier 80 bis 90 Prozent – Zahlen, die sich auch durch die hundertprozentige Auslastung inmitten der Woche ergeben und für planerischen Spielraum kaum noch Platz lassen. Im dortigen Artikel taucht auch das ein oder andere Versäumnis auf. Das Geld war knapp und Neubauten gab es nur wenige. Lösungen und neue Wege Bei der Problematik, die durch Proteste, studentische Klagen und mitunter zornige Lehrende zutage tritt, ist eines offenbar: Im Veranstaltungsbüro liegt man richtig, wenn vor eindimensionalen Lösungen und Pauschalisierungen gewarnt wird. Allem Anschein nach hat die Diskussion der vergangenen Jahre die Situation nur geringfügig verbessert. Neue Lösungen und Ideen können Abhilfe schaffen, sofern Mut und Kreativität vorhanden sind. Wenn Doppelanmeldungen der Studierenden die Planung erschweren, gilt es möglicherweise, neue und gerechtere Konzepte für die Zulassung interessierter Studierender in teilnehmerbeschränkten Veranstaltungen zu entwickeln. Wo das Veranstaltungsbüro im Unklaren über die tatsächliche Auslastung gelassen wird, müssen Lehrende endlich Kollegialität beweisen. Auch Studierende können dazu beitragen: Wieso nicht den unorganisierten Dozenten daran erinnern, die Räume abzumelden, wenn Veranstaltungen schon ausfallen? Ob aus Solidarität oder Eigennutz: vielleicht wird es dadurch für alle zur Selbstverständlichkeit. Davon profitieren am Ende sicher alle. Zuletzt stellt sich vielleicht die Frage, ob es tatsächlich einer Präsenzuniversität bedarf. Wo immer mehr Personen studieren wollen, die öffentlichen Kassen jedoch immer leerer und Neubauten auf diese Weise verunmöglicht werden, muss womöglich insgesamt über ein anderes Studieren nachgedacht werden. Bereits 1998 berichtete die ZEIT über die damals neue Idee einer virtuellen Universität (VU), die heute als Fernuniversität Hagen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat – virtueller Campus und virtuelle Bibliothek inklusive. Offene Probleme erfordern offene Fragen: Braucht es zukünftig noch Räume für jedes Fach und jede Veranstaltung? Text: Björn Knutzen Grafik: Fatima Yoldas 7
Hochschulpolitik
„AStA ist eine Selbstbeschäftigung für Leute im 35. Semester.“ Die politische Positionierung mancher ASten ruft immer wieder kritische Stimmen hervor. Während einige sich zum Beispiel an Kapitalismuskritik bloß stören, sehen andere darin den Grund für die niedrige Wahlbeteiligung und fordern ganz direkt die Abschaffung der verfassten Studierendenschaften. Ein Beitrag zur Diskussion.
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ie Junge Union (JU) hat es kürzlich auf ihrem so genannten Deutschlandtag beschlossen. Jetzt diskutieren Studierendenvertreter über die Pläne der jungen Christdemokraten. Diese haben in ihrem neuen Grundsatzprogramm zwischen BAföG und Außenpolitik einen Passus von nicht mal ganz vier Zeilen darauf verwendet, die Abschaffung der verfassten Studierendenschaften zu fordern. Hauptkritikpunkt: die Verwendung der studentischen Geldmittel. Diese seien innerhalb der universitären Verwaltung besser aufgehoben. Das sagt Marcel Grathwohl von der JU, der den „AStA für eine Selbstbeschäftigung für Leute im 35. Semester“ hält, im Interview mit dem Deutschlandradio. Dass es bei der Diskussion also nicht nur um finanzielle Fragen geht, erkennt, wer sich genauer mit der Hochschulwirklichkeit auseinandersetzt. Die Kritik Wo es Zwangsabgaben gibt, ist das Unbehagen oft groß. So ist es bei Steuern wie auch bei den Beiträgen zum Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Alle Studierenden zahlen zusammen mit ihrem Semesterbeitrag auch die 9,50 Euro, von denen der AStA sich finanziert. Es mag daher kaum verwundern, wenn Grathwohl das kritisiert. „Die Studenten können gar nicht darüber entscheiden, was sie abführen“, erklärt er empört. Darüber hinaus beklagen sich Vertreter der christdemokratischen Jugendorganisation auch über die konkrete Verschwendung studentischer Mittel. Ein Artikel dazu in der ZEIT aus dem Jahr 2010 verweist auf besonders deutliche Beispiele. So lud ein Berliner AStA Ende der 90er Jahre auf Kosten der Studierenden einige Industrievertreter ins Gourmetrestaurant des Hotel Adlon ein. In Bonn verlor der AStA eine sechsstellige Summe, indem Studierenden Kredite gewährt wurden, die einige niemals zurückzahlten. Und für zwei Studentinnen der TU Berlin ging es zum fünften Treffen lateinamerikanischer und karibischer Lesben - auf Kosten aller Studierenden. Solcherlei findet sich nach Informationen unseres Magazins in Bremen jedoch nicht. Zwar bemängelten unter anderem Vertreter des RCDS in verschiedenen Legislaturperioden die Unwirtschaftlichkeit der hiesigen Druckerei oder die Existenz des Feministischen Referats. Ansonsten finanziert der Bremer Uni-AStA aber Leistungen wie das KFZ-Referat, stellt den Stugen das notwendige Geld zur Verfügung und unterstützt, basierend auf einem Mehrheitsbeschluss im Studierendenparlament und über den AStA hinaus, auch den Scheinwerfer und andere
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studentische Projekte. Wohl ein Grund, wieso man sich gegen eine Pressemitteilung zum Thema entschieden hat. Das geht zumindest aus dem öffentlichen Protokoll der AStA-Sitzung vom 31. November des vergangenen Jahres hervor, in dem außerdem darauf verwiesen wird, dass man „der Debatte keine Befeuerung geben“ wolle. Die meisten Zwangsabgaben, von GEZ-Gebühren vielleicht einmal abgesehen, werden gemeinhin akzeptiert. Hier und dort mag am Stammtisch jemand verdammen, dass der sprichwörtliche kleine Mann dem Staat sein schwer verdientes Geld abdrücken muss. Doch im Allgemeinen akzeptiert die Bevölkerung deren Notwendigkeit. Wenn die Kritik an den Beiträgen für die studentische Vertretung in letzter Zeit also lauter wird, liegt es nahe, dass dies auch an einer Legitimationskrise der universitären Demokratie selbst liegt. Grathwohl zweifelt daran, ob bei einer Wahlbeteiligung von 15 Prozent überhaupt noch von einer Vertretung der Studenten gesprochen werden könne. Tatsächlich liegt die Wahlbeteiligung bundesweit im niedrigen zweistelligen Bereich. Dies bestätigen auch Zahlen aus Bayern. In Augsburg, München und Regensburg dümpelte die Wahlbeteiligung 2011 knapp um die besagten 15 Prozent herum. Kritisch äußert sich dazu auch Kristina Scherer, hochschulpolitische Sprecherin der JU, im Gespräch mit der TAZ. Wie ihr Kollege ärgert auch sie sich über die Zwangsgebühren und unterstellt den ASten darüber hinaus, die falschen Ziele zu verfolgen: „Die Studierenden sind zur Zahlung der Beiträge verpflichtet, obwohl ihre Interessen nicht angemessen vertreten werden“, bemängelt sie. Grathwohl geht so weit, den gewählten Vertretern vorzuwerfen, „Interessenvertreter nur in eigener Sache“ zu sein. Reaktionen Die Vorwürfe der Jungen Union sind nicht unwidersprochen geblieben. Der AStA der FU Berlin lässt es sich nicht nehmen, im Fall der JU von einem „Extremismus der ’Mitte’“ zu sprechen. Der aus verschiedenen Fachschaftslisten, so genannten Regenbogenlisten (u.a. Schwul-Lesbische und feministische Listen), linken Listen und Themenlisten (beispielsweise Studieren mit Kind) bestehende AStA kritisiert ein „erschütterndes Demokratieverständnis“, wie auch eine „technokratische, realitätsferne und befremdende Grundhaltung“. Torsten Rekewitz vom Freien Zusammenschluss der StudentInnenschaften (fsz) beklagt im Streitgespräch mit Grathwohl im Deutschlandradio dessen pauschale Vernichtungskritik. Es ärgert
Hochschulpolitik
*Daten: SR Wahlkommission Bremen, Präsidium des Studierendenparlaments Hamburg,, Zentraler studentischer Wahlvorstand Berlin, Technische Universität Darmstadt
ihn, dass die JU sich an negativen Einzelfällen festhalte. Außerdem glaube er nicht daran, dass die Studiensekretariate (SfS) das gleiche leisten könnten wie der AStA. In Bremen befasst sich das SfS zumeist mit formalen Dingen wie der Im- und Exmatrikulation, der Namens- oder Adressänderung oder der Information über Langzeitstudiengebühren. Ähnlich sieht das Christin Eisenbrandt, Referentin für Soziales im AStA der Uni Kassel, im Gespräch mit der Süddeutschen. Sie hält den AStA für durchweg sinnvoll und erklärt: „Die Studierenden sind die größte Statusgruppe an einer Uni. Sie brauchen eine Stimme und ein wachsames Auge auf die hochschulpolitischen Fragen.“ Der Konstanzer Soziologe und Hochschulforscher Tino Bargel pflichtet den studentischen Vertretern ebenfalls bei. Er geht in die Offensive und verteidigt nicht nur die verfassten Studierendenschaften, sondern spricht von einer „funktionalen Notwendigkeit“ für einen Ausbau studentischer Mitbestimmung. Insgesamt legten von ihm durchgeführte Studien nahe, dass es einen längerfristigen und durch Bologna befeuerten Trend gebe, sich vom hochschulpolitischen Engagement fernzuhalten. Und wo sich wenige engagieren, bleibt es beim Status Quo, der derzeit mit nur geringer Wahlbeteiligung goutiert wird. Gleichzeitig lässt er eine einseitige Erklärung mit Verweis auf das System von Bachelor und Master nicht zu: „Es wäre - das sage ich mal ganz deutlich - für die Studierenden eine faule Ausrede zu sagen, wegen des Bachelor-Studiums können wir uns nicht engagieren, das ist nicht der Fall. Andere machen es ja“, erklärt er im Gespräch mit dem Deutschlandradio. Jedoch bleibt er es schuldig, zu erklären, welche Studierenden sich engagieren und was für den einzelnen an Einsatz und Verzicht dafür nötig ist. Anders als die JU, die aus der Legitimationskrise die Konsequenz der Abschaffung zieht, wünscht Bargel sich eine Stärkung. Er fordert eine stärkere Einbindung der Studierenden sogar soweit,
eine Einmischung ihrerseits zu verlangen. Ist beispielsweise die Wahlbeteiligung zu gering, könnten dem AStA weniger Mittel zur Verfügung stehen. „Dann liegen die eben auf Halde.“, stellt er mit Blick auf dann überschüssige Finanzen fest. Ähnliche Vorschläge gab es schon einmal. So verweist der Tagesspiegel auf eine Initiative der hessischen Landesregierung, die die Beitragserhebung im Jahr 2004 von der Wahlbeteiligung der Studierenden abhängig machte. Dagegen kam es zu massiven Protesten, die Wahlbeteiligung beispielsweise in Marburg stieg jedoch von 22 auf 39 Prozent und erreichte damit locker die nötigen 25 Prozent der Stimmen, um den üblichen Beitrag beizubehalten. In Köln hingegen erreichten die Studierendenvertreter 1966 eine rekordträchtige Wahlbeteiligung von 62 Prozent dadurch, dass sie unter allen Wählern einen rubinroten VW Käfer verlosten. Kurios: Auch der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), hochschulpolitischer Verband der CDU, positioniert sich gegen die politische Schwester. Frederik Ferreau, bisheriger Bundesvorsitzender des RCDS, bemerkt bei Spiegel Online süffisant: „Die Hochschulpolitik ist nicht die Hauptspielwiese der JU. Klar, dass die sich noch nicht im Detail damit auseinandergesetzt haben.“ Der RCDS Bremen verweist in einer Pressemitteilung auf Äußerungen des neu gewählten Vorsitzenden Erik Bertram: „Studentische Mitbestimmung an den Hochschulen ist von zentraler Bedeutung für bestmögliche Studienbedingungen.“ Offen ist, ob das alle so sehen. Text: Björn Knutzen Grafik: Katrin Pleus
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Hochschulpolitik
Der Studierendenrat – was ist das denn? Nach einem erfolgreichen Start ins Studium ist es hilfreich, den kleinen Politikapparat der Uni in Grundzügen zu verstehen. Spätestens wenn es um Geldzuteilungen geht, ist man nämlich auch selbst betroffen.
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etrachtet man die Politik der Uni Bremen, erkennt man schnell ein Abbild der „großen Politik“ in Berlin. Wie auch auf der Bundesebene, sind (fast) alle wichtigen Gremien der Gewaltenteilung vorhanden: Das Parlament ist quasi der Studierendenrat (SR) und entscheidet über jene Dinge, die uns Studierende betreffen – vom Semesterticket bis hin zu den Öffnungszeiten der Fahrradwerkstatt. Die Regierung ist der Allgemeine Studierendenausschuss(AStA), der von den Mitgliedern des SR gewählt wird. Dann gibt es noch die Wähler, das sind wir Studenten. Während der AStA mehr oder weniger bekannt ist, scheint der SR für viele Studierende erst einmal fremd zu sein. Oft ist ersterer nämlich, obwohl er aus dem SR hervorgeht, wesentlich präsenter auf dem Campus. Man denke nur an die AStA-Etage in der Glashalle, die AStA-Druckerei, das AStA-Café oder die AStA-BaFöG-Beratung. Da lohnt es sich doch, einen genaueren Blick auf den (scheinbar) kleinen Bruder, nämlich den SR, zu werfen.
Von diesen 130 Euro werden die Semestertickets bezahlt, derzeit pro Person 123,12 Euro. Der Rest bildet dann den Haushalt der Studierendenschaft (siehe auch: http://www.uni-bremen.de/de/ eule/vorgestellt-die-studierendenratswahl). Der Haushaltsplan beinhaltet dann alle Ausgabenposten. Darunter fallen in erster Linie Personal- und Verwaltungskosten. Aber auch einige studentische Projekte sind ein fester Posten im Plan, sofern deren Finanzierung auf Dauer vom SR beschlossen wurde. Unter anderem ist auch der Scheinwerfer dort aufgeführt. Einen weiteren großen Posten bilden die Studiengangsausschüsse (StugA). Da der SR Teile des Semesterbeitrags erhält, ist er auch für deren anteilige Zuteilung auf die Studiengänge verantwortlich. Das geschieht je nach Anzahl der Studierenden pro Studiengang. Als Faustregel gilt: je größer der Studiengang, desto mehr Geld steht ihm zu. In der Verwaltung ihres Geldes sind die Stugen autonom. Ob für eine Party oder die O-Woche – außer für Alkohol dürfen die Stugen den Betrag für alles ausgeben, was „der Studierendenschaft zugutekommt“.
Der Studierendenrat umfasst derzeit 25 Mitglieder die sich aus den Parteien, den sogenannten Listen, zusammensetzen. Gewählt wird jährlich und (im Idealfall) von der gesamten Studentenschaft. Dann beginnt die eigentliche Arbeit des SR: Er ist das „höchste beschlussfassende Organ der Studierendengemeinschaft“. Somit hat der SR das letzte Mitspracherecht, wenn es um studentische Entscheidungen und Serviceleistungen geht. So behandeln die vergangenen Beschlüsse die Aufstellung von Infokästen auf dem Campus, die die Studierenden über Sitzungstermine, Ansprechpartner und Termine informieren sollen (nachzulesen unter sr.uni-bremen.de). Oft wird aber auch, wie bei der letzten Sitzung, über Interna der studentischen Uniorganisation entscheiden, unter anderem zählt dazu die Bezahlung der Mitarbeiter auf der AStAEtage. Wie sich an dieser Stelle bereits andeutet, gehören auch die Bestimmung des Haushaltes und die Festlegung des Haushaltsplans zu den Aufgaben des SR – ein typisch parlamentarisches Merkmal. In einem Interview mit Vertretern des Studierendenrats auf dem Blog „Eule“ wird genau erwähnt, wie das Budget festgelegt wird und wovon es abhängt. Die Höhe des Semesterbeitrags bestimmt den Haushalt des Studierendenrats. Über die eine Hälfte des Beitrags, den wir jedes Semester zahlen, verfügt die Uni selbst, die andere Hälfte steht dem Studierendenrat zur Verfügung. 242,62 Euro kriegt die Uni jedes Semester von jedem von uns. Ungefähr 130 Euro, also etwa die Hälfte, wird vom Studierendenrat festgelegt.
Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass doch alle Studierenden, wenngleich passiv, von der Uni-Politik betroffen sind und es daher durchaus wichtig ist, wählen zu gehen. Denn wofür unser Geld ausgegeben wird, können wir mit der Wahl einer bestimmten politischen Liste durchaus beeinflussen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit gehört zum Aufgabenspektrum des SR. Diese benötigt „ebenfalls viel Arbeit neben dem Studium“, so David Ahrens, Präsident des Studierendenrats. Die Website zum Beispiel bietet Studierenden die Möglichkeit, alle Neuigkeiten und weitere Informationen des SR zu sehen. Aktuell gehören zur Debatte auch noch andere Themen und Änderungen, die der SR plant. „Wir sind gerade dabei, eine mögliche Änderung von Grund- und Wahlordnung zu diskutieren“, so Ahrens im Gespräch. Genauere Informationen kann er dazu aber noch nicht geben. Es bleibt ein Verweis auf die nächste Sitzung des SR. Die monatlichen Sitzungen sind offen und „Gäste sind immer gerne willkommen“, so der SR-Vorsitzende. Wann und wo die Treffen stattfinden, steht ebenfalls auf Seite des SR unter : http://sr.uni-bremen.de/wiki/Liste_aller_Listen.
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Text: Nazli Djafarbegloo Grafik (Quelle und Bearbeitung): SR und Katrin Pleus
Campusleben
Deine Aufgabe: eine vegane Vorspeise Running Dinner in Bremen – Eine Erfahrungsgeschichte
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eit drei Tagen wartete ich schon auf die E-Mail, in der mir mitgeteilt werden sollte, mit wem, und vor allem: was ich beim Running Dinner kochen sollte. Ich nahm das erste Mal teil an einem sogenannten Running Dinner, oder kurz: RuDi, und war dementsprechend sehr gespannt. Seit Oktober 2009 wird das RuDi einmal pro Semester für alle jene angeboten, die Lust auf leckeres Essen, nette Leute und eine Stadt(teil)rundfahrt der besonderen Art haben. Organisiert von den Navigatoren – einer überkonfessionellen christlichen Studentengruppe, die in verschiedenen Städten Deutschlands und der Welt vertreten ist – isst jeder Teilnehmer an einem Abend drei Gänge an jeweils drei verschiedenen Orten mit immer unterschiedlichen Leuten, die nach dem Zufallsprinzip in Kochteams eingeteilt werden. Jedes Zweier-Kochteam, kümmert sich also entweder um Vor-, Haupt- oder Nachspeise und besucht für die beiden anderen Gänge andere Küchen. Und damit man sich nicht nur für eineinhalb Stunden beim Essen sieht, gibt es im Anschluss an den Nachtisch eine ‚After-DinnerParty‘ für alle, um die Gespräche vom Tisch weiterzuführen und natürlich auch, um die gerade gegessenen Kalorien angemessen verbrennen zu können. „Einen Raum für diese anschließende Party zu finden, ist mit die größte Herausforderung der ganzen Organisation“, so Sabine Carls, die Hauptorganisatorin des RuDi. Und dann war die E-Mail da: ich würde morgen für acht Personen eine vegane Vorspeise zubereiten – für mich als Nicht-Veganerin und Käseliebhaberin eine Herausforderung, die ich gerne annahm. Kurzerhand kontaktierte ich die meine Kochpartnerin. Auch sie war Neuling in Sachen veganes Essen, aber schnell einigten wir uns auf Bruschetta und verabredeten uns zum Einkaufen und Kochen. Alles funktionierte super und unkompliziert, was ich nicht unbedingt erwartet hatte; man kocht schließlich nicht immer mit einer völlig fremden Person für völlig fremde Leute. In ihrer Küche mitten in der Bremer Innenstadt würden wir kochen und Gäste empfangen. In welchen Teilen Bremens wir zwei als Kochteam aber Hauptspeise und Nachtisch zu uns nehmen würden, wusste ich noch nicht. Und meine Neugier stieg, genauso wie die von zwei guten Freudinnen, die ebenfalls am RuDi teilnahmen. Das genau sei aber auch die zweite große Schwierigkeit der Organisation, sagt Sabine. „Wenn die Anmeldung losgeht denke ich immer, hoffentlich stellen genug Leute ihre Wohnung beziehungsweise ihre Küche zur Verfügung“, was bis jetzt aber immer gut geklappt habe. „Nur ein paar Mal haben wir, wenn beispielsweise ganze WGs teilgenommen haben, deren Wohnung zweimal belegt, sodass dort jeweils verschiedene Gäste zu Vorspeise und Nachttisch empfangen wurden.“ Leute die nicht ihre Küche oder Wohnung zur Verfügung stellen können oder wollen, sind also trotzdem herzlich eingeladen mitzumachen. Ein paar Stunden später erhielt ich die zweite E-Mail mit den Infos zum weiteren Ablauf meines Dinners: zur Hauptspeise ginge es nach Riensberg, zum Nachttisch in die Neustadt. Ganz schöne Strecken also, die ich da zurücklegen sollte. Ob dass alles klappen
würde? Schließlich sind pro Gang, Anfahrt inklusive, eineinhalb Stunden eingeplant. Abwarten. Von Freunden aus anderen Städten in Deutschland hatte ich schon viel, und eigentlich nur Gutes, über ein RuDi gehört. Jetzt, da ich meine Planung vor Augen hatte, war ich umso gespannter, wie es bei mir ablaufen würde. So wie ich das RuDi von andernorts bereits kannte, so kam es auch nach Bremen: „Die Navis in Hannover haben das mal gemacht, und das wollten wir auch mal probieren“, erzählt die Religionswissenschaftsstudentin Sabine. Es sei von Anfang an gut angenommen worden. „Wir waren nie unter 40 Teilnehmer, beim letzten Mal sogar 54.“ Dann war es soweit, alles fertig gekocht und der Tisch war gedeckt. Es konnte losgehen. Es wurde ein leckeres, sehr geselliges Essen. Auch der Veganerin schmeckte es. Zu peinlicher Stille, wie ich schon leise befürchtet hatte, kam es nicht; das Gespräch kam schnell in Gang. Pünktlich waren Teller und Weinflaschen leer. Also auf zur nächsten Station. Zur Hauptspeise wurde uns wahlweise TortelliniAuflauf oder Lasagne im Wohnzimmer serviert. Ich wurde so satt, dass ich nicht wusste, wie ich auch noch Nachtisch essen sollte. Zum Glück hatten wir noch eine halbe Stunde Bahnfahrt vor uns – und eine halbe Stunde länger Aufenthalt bei unseren „HauptgangGastgebern“ noch dazu. Denn von unseren Nachtisch-Gastgebern hörten wir: „Wir sind noch bei der Hauptspeise und schaffen es nicht pünktlich. Könntet ihr eine halbe Stunde später kommen?“. Kein Problem für uns! So hatten wir mehr Zeit zum Verdauen des Hauptgangs. Das war auch nötig! Zum Nachtisch gab es nämlich warme Blätterteigtaschen mit Überraschungsfüllung: verschiedene Mischungen aus Yoghurette, Marzipankartoffeln, Kinderriegeln und Apfelmus, und dazu Vanilleeis. Hier war die Atmosphäre ganz locker. Erstaunlich, wie viel man mit Leuten lachen kann, die man nicht kennt und die noch dazu völlig unterschiedlich sind! Mit der Nachtischtruppe ging es dann zur Party in eine Gemeinde nach Walle, wo man die Gesichter des Abends wiederkannte und bei Bier und Wein weiterquatschte. Insgesamt war es ein toller Abend mit interessanten Leuten und gutem Essen. Wer denkt, es würden nur Leute mitmachen, die Mitglied bei den Navigatoren sind, hat sich getäuscht. Und selbst wenn: die Gespräche drehten sich nicht hauptsächlich um christliche Themen. „Das ist auch sowieso in unserem wöchentlichen Treffen so. Wir haben hier natürlich viele gläubige Christen, aber auch solche, die nicht glauben und einfach nur interessante Gespräche und Diskussionen erleben wollen“, erklärt Sabine. Beim RuDi sind aber sowieso alle eingeladen mitzumachen, ganz nach dem Motto, das auch auf den Flyern (die mit Sicherheit vor dem nächsten RuDi im Frühjahr wieder an der Uni verteilt werden) zu finden ist: neue Menschen kennenlernen, zusammen kochen, klönen, lachen, Party machen. Und vor allem lecker essen. Je mehr Leute mitmachen, genauer: mitkochen und mitessen, desto vielfältiger und interessanter wird der Abend – und zwar für alle Beteiligten! Text: Katharina Redanz
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„Ich habe doch den schönsten Beruf, den man sich vorstellen kann“ Prof. Dr. Gerhard Bohrmann: Meeresgeologe, Preisträger, Lehrender, Figur in einem Buch – ein vielseitiges Leben. Der Scheinwerfer durfte einen kleinen Einblick in seinen spannenden Alltag erhaschen.
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erian, Polarstern, Maria S. Merian, Sonne, Meteor, Joides Resolution – das sind nur ein paar Namen der zahlreichen Forschungsschiffe, auf denen Gerhard Bohrmann, Professor an der Universität Bremen, die Aufgaben des Fahrtleiters erfüllte. Eine Ehre, zumal man so die wissenschaftliche Arbeit der Teilnehmer aus der ganzen Welt koordiniert. Zuletzt übte Bohrmann diese Aufgabe auf dem taiwanesischen Schiff OR5 aus. Vor ein paar Monaten stach der Meeresgeologe von Taiwan aus in See und erforschte, wie schon so häufig, sein Spezialgebiet: Methanhydrate – eine feste Form von Methan und Wasser. Methanhydrate entstehen bei bestimmten Druck- und Temperaturbedingungen in der Tiefsee. Diese speziellen physikalischen Zustände treten vor allem an den unterseeischen Kontinentalhängen auf – in Tiefen ab 500 Meter, so dass vor allem dort die merkwürdige Substanz zu finden ist. Bis jetzt ist wenig über diese Art der Hydrate bekannt. Die genauere Erforschung ist schwierig, da der Stoff nur am Grunde des Meeres zu erhalten ist. Tritt Methan an bestimmen Stellen am Meeresboden aus, bildet sich dort eine eisförmige Verbindung aus dem Stoff und dem vorherrschenden Wasser. Das Methan selbst entsteht durch die Verwesung von kleinen Lebewesen im Wasser, die danach im Sediment abgelagert wurden. Holt man die Hydrate schließlich per Roboter an Bord eines Schiffes, so zersetzen sich diese sofort. Das Eis schmilzt, das „Gefängnis“ öffnet sich und das Gas kann entweichen. Man kennt keine genauen Zahlen, aber es wird eine weltweite Menge von 1000 bis 5000 Gigatonnen vermutet. Da Methan als „saubere“ Energiequelle der Zukunft gilt – es setzt deutlich weniger Kohlendioxid als Öl oder Kohle frei –, versuchen viele Nationen, die Geheimnisse der Substanz zu entschlüsseln. Allerdings ist der Schritt zum kommerziellen Abbau aus vielen Gründen noch in weiter Ferne, da die Lagerstätten offensichtlich schwer zu erreichen wären und Gefahren nicht ausgeschlossen werden können. In Forscherkreisen kann lediglich vermutet werden, welche globalen Aus12
wirkungen der Abbau hervorrufen könnte. Der Absturz von Kontinentalhängen (der Bereich zwischen dem Schelf und dem Kontinentalfuß, der zum Teil von Gashydraten in Form gehalten wird) könnte die Folge sein. Und dies wiederum könnte dazu führen, dass es zu einer Rutschung kommt und infolgedessen ein Tsunami entsteht. Da kommt nun Gerhard Bohrmann ins Spiel; denn wenn einer etwas über die Hydrate, deren Vorkommen und Eigenschaften weiß, dann er! Er ist weltweit einer von wenigen Spezialisten auf diesem Gebiet. So ist es auch kaum verwunderlich, dass die ganze Welt im Geo-Gebäude der Universität Bremen klingelt, wenn es gilt, diese Methanhydrate zu erforschen. Und eben auch, wenn das bedeutet, nach Taiwan zu fliegen. Dort sind die geologischen Bedingungen übrigens so extrem, dass vielerorts Erdbeben, Vulkanausbrüche und innerhalb des Meeres große Vorkommen an Methanhydraten auftreten. Der 56-jährige Gerhard Bohrmann ist seit 2002 Professor für Allgemeine Geologie/Meeresgeologie an der Uni Bremen. Weiterhin arbeitet er auch für das „Marum“, das Zentrum für Marine Umweltwissenschaften. Der gebürtige Saarländer studierte ab 1977 Geologie und Paläontologie in Darmstadt und promovierte in Kiel. Anschließend verschlug ihn der Wunsch, in die Antarktis zu fahren, nach Bremerhaven ins Alfred-Wegener-Institut. 1991 zog es ihn zurück nach Kiel, wo er als wissenschaftlicher Angestellter der Paläo-Ozeanologie-Abteilung forschte. Von dort aus ging es schließlich nach Bremen. Auf die Frage „Wieso Bremen?“ ist seine Antwort denkbar einfach: „In Kiel konnten wir einfach keine Tiefseeroboter beziehen! Ich arbeite eben am liebsten mit Robotern. Und Schleswig-Holstein sperrte sich im Gegensatz zu Bremen. Dabei war die Hansestadt nicht mal so reizvoll – die Stelle war befristet und meine Entscheidung eigentlich nicht logisch.“ Bereut hat er diesen Schritt trotzdem nie. Schließlich ist er mittlerweile auch stellvertretender Direktor des Marums und kann so diverse Angelegenheiten initiieren. Die Tagesabläufe eines Gerhard Bohrmanns sind schwierig zu
Campusleben beschreiben, dazu sind sie zu unterschiedlich. Im WintersemesSchätzing gelingt es bestens, die Realität mit der Fantasie derart ter widmet er sich hauptsächlich der Lehre, im Sommersemester zu verbinden, dass kaum einer mehr weiß, ob das Geschriebene weniger. Zurzeit steckt der Meeresgeologe mitten in der Vorberewirklich geschehen kann – oder eben nicht. 2001 ruft Frank itung einer neuen Polarstern-Expedition. Mitte März ist der AbSchätzing bei Bohrmann an und fragt, ob dieser nicht mal Zeit flug nach Chile. Von dort aus geht es auf die Polarstern, das größte für ein Treffen hätte. Aus den geplanten zwei Stunden, die das und wohl auch bekannteste deutsche Forschungsschiff, welches Gespräch dauern sollte, werden zwei Tage. Bohrmann beschreibt übrigens im vergangenen Jahr seinen 30. Geburtstag feierte. die Zusammenkunft mit dem Schriftsteller so: „Nie wieder habe Außerdem bearbeitet er derzeit noch die Ergebnisse einich einen Nichtfachmann mit solch einem großen Detail-Wissen er Expedition nach Nigeria aus dem vorletzten Jahr und getroffen. Er wusste schon alle Hintergründe und wollte von mir plant zudem einen Workshop für Januar in Brest. Nebennur noch wissen, inwieweit die Fakten in Fiktion zu verändern her begutachtet er Schiffsanträge und Publikationen für sind.“ Danach hörte Bohrmann lange Zeit nichts mehr von seiZeitschriften oder schreibt Fahrtproposals und -berichte. nem Gesprächspartner. Bis 2002 während einer Expedition mitBohrmann ist also offensichtlich ein viel beschäftigter Mann, ten auf dem Pazifik eine Mail von Schätzing eintrudelte mit dem dessen Leben aus einem Wechsel zwischen Privatem, der Lehre Inhalt: „Kannst du dir vorstellen, in meinem Buch mitzuspielen?“ an der Uni und der Forschung besteht. Bis zu zweimal im Jahr Bohrmann schrieb kurz und knapp zurück: „Meinetwegen. Aber ist der Professor auf dem Schiff unterwegs. Er besteht dabei auf nur, wenn ich ein Wissenschaftler sein darf.“ Nach der darauf dem Wort Expedition – schließlich ist man auf solchen Forscfolgenden Antwort, dass das kein Problem sei, vergaß Bohrmann hungsreisen noch die Angelegenheit immer ein Entdeckwieder. 2004 jedoch er. Nämlich ein Entrief eine Redakteurin decker der Tiefsee. vom NDR an und Auf solchen Abwebat Bohrmann um gen ist der Profesein Interview; erst sor gerne: „Man ist durch sie erfuhr er, kreativ, nicht abwas für eine Rolle er gelenkt. Alle sitzen tatsächlich im Robei den täglichen man spielt, nämlich Meetings intensiver die einer durchaus zusammen, als sie beliebten Nebenes in der Uni tun rolle. So getarnt würden. So kommt rettet Bohrmann man auch auf ganz mit seinem Wissen neue Projektideen, die Welt und darf die in naher Zuals Dank für seine kunft verwirklicht Mühe im Buch sogar werden können. überleben. Nach dieInsgesamt ist mein sem ersten Interview Beruf einfach eine folgten noch viele tolle Kombinaweitere. Noch heute, tion. Sonst wäre es Jahre nach der Erja auch langweilig. stausgabe, wird er Aber so habe ich einregelmäßig um ein Prof. Bohrmann (rechts) mit Thomas Pape von der Bohrmann AG fach den schönsten Interview oder eine Job, den man sich vorstellen kann. Ich kann ja schließlich Rede zum Inhalt des Buches gebeten. Sein Tagesplan enthält also auch mit jungen Leuten zusammenarbeiten. Es macht richnoch eine zusätzliche Aktivität: die Arbeit eines Promis. Lachend tig Spaß, mit ihnen neue Sachen zu entwickeln.“ Schmunerzählt Bohrmann: „Ich musste schon viele Autogramme gezelnd führt er weiter aus: „Und ich muss es wissen. Schließlich ben. Und in dem Erscheinungsjahr hatte ich auch gleich für habe ich meinen Zivildienst in einem Altersheim gemacht.“ alle Bekannte ein Weihnachtsgeschenk. Wer kann schließlich Tippt man den Namen Gerhard Bohrmann in eine bekannte schon von sich behaupten, dass man in einem Buch mitspielt?“ Suchmaschine, gibt es nach 0,22 Sekunden ungefähr 53.700 Mit seiner Rolle ist er ganz zufrieden, denn „ich spiele ja auch Ergebnisse. Ziemlich schnell stößt man in Verbindung mit dem einen Guten und nicht so einen Halunken.“ Die verkörperte Namen Bohrmann immer wieder auf das Gleiche: auf das Buch Figur ist ihm nur etwas zu mutig: „Ich würde nie selber tauchen „Der Schwarm“, ein Science-Fiction-Thriller des deutschen gehen. Vorher würde ich eher einen Roboter runterschicken.“ Schriftstellers Frank Schätzing. Der Bestseller mit mehr als 1000 Seiten erschien im Jahre 2004 und beschreibt, wie die Menschen auf der ganzen Erde von fremdem Leben aus dem Meer bedroht Text: Neele Meyer werden. Das Buch ist nicht nur unter den Geowissenschaftlern Fotos: Dimitriy Evtushenko ein fester Begriff. Ohne nun den Inhalt vorausnehmen zu wollen: 13
Die Vereinbarkeit von Studium und Familie Kinderspielzeug, Strampler, Wickeltisch und Bücher über Bücher – dass Studium und Kinder sich nicht ausschließen, steht außer Frage. Da aus Datenschutzgründen keine konkreten Zahlen freigegeben werden, wird geschätzt, dass etwa fünf bis sechs Prozent der Studierenden der Universität Bremen jeden Tag erneut feststellen müssen, was es heißt, sowohl Studium als auch Kind unter einen Hut zu bekommen.
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ind, Studium und Arbeit zu vereinbaren, bedeutet ein hohes Maß an Zeitmanagement, Flexibilität und eine Universität, die mitspielt. Seit 2007 nimmt die Universität an dem „Audit Familiengerechte Hochschule“ teil, wobei die Arbeitsstelle Chancengleichheit das Projekt in Kooperation mit dem Dezernat Organisations- und Personalentwicklung leitet. Auch die AG Familienfreundliches Studium bemüht sich um die Vereinbarkeit von Studium und Familie, indem sie familienfreundliche Orte auf dem Campus anregt, wie beispielsweise in der Mensa, in der Cafeteria oder im Verwaltungsgebäude, oder die Kinderbetreuung ausbaut. Das folgende Gespräch mit zwei Studierenden mit Kindern zeigt, wie der alltägliche Balance-Akt von Studium und Kind von ihnen gemeistert wird. Hélène, Studentin im Master BWL, und ihr Mann Paul, Promotionsstudent und wissenschaftlicher Mitarbeiter, bekamen ihre Tochter Gaywa (10 Monate) in der Abschlussphase des Studiums. Anna, alleinerziehende Mutter, bekam ihren Sohn Jasper (1) am Ende ihres Bachelorstudiums.
Jahr nach der Schwangerschaft Vorlesungen zu besuchen, aber ich wollte mich langsam wieder in die Uni eingliedern und zum Beispiel Hausarbeiten schreiben. Aber ohne den Vater hat sich diese Planung leider zerschlagen. : Wie klappt das mit der Betreuung ohne den Vater? Anna: Jasper kommt bald in die Kita, da bin ich ein bisschen aufgeregt, ob auch alles klappt. […] Was ich schade finde, ist, dass es kaum Männer als Betreuer gibt. Bei Jasper fehlt ja auch die männliche Bezugsperson. […] Wir kommen bezüglich der Betreuung nicht auf einen Nenner. […]
: Gibt es noch weitere Schwierigkeiten beim Studium mit Kind hier an der Universität? Zum Beispiel mit Dozenten, dem Prüfungsamt oder Ähnliches? Hélène: Am Anfang hatten wir Schwierigkeiten mit dem Zeitdruck, der von den Dozenten wegen Prüfungen ausging. Wenn man sich für eine Prüfung angemeldet hatte, musste man sie auch machen. Aber mit der Zeit hatten die Dozenten immer mehr Verständnis für unsere Situation Bei Fragen zu Familie und Studium: und der Druck hat nachgelassen. Manche Praktika oder Exkursionen kann AG Familienfreundliches Studium ich nicht machen. Manchmal kann ich Bettina Schweizer (GW 2 A4169) Gaywa bei ihrem Papa lassen, aber eben chancen3@uni-bremen.de auch nicht immer. Ich kann mein Studiwww.uni-bremen.de/familie um nicht so gestalten, wie ich will. Die Flexibilität ist eingeschränkt, manche Betreuungseinrichtungen: Seminare kann ich nicht besuchen. […] Unikrümel: unikruemel@uni-bremen.de Anna: Im Fachbereich wird man mal an Wuselhöhle: wusel.hoehle@gmail.com die falschen Ansprechpartner verwiesen, Uni-Kita: info@unikita-bremen.de aber momentan bin ich ja sowieso im Kinderland: kinderland@asta.uni-bremen.de Urlaubssemester.
: Welche Beratungsangebote an der Uni habt ihr genutzt? Seid ihr zufrieden mit der Beratung? Hélène: Überwiegend haben wir Freunde gefragt, aber auch die Verwaltung hat uns geholfen. Sie hat uns an die jeweiligen Stellen weitergeleitet, wie beispielsweise an den AStA oder die Stelle für Chancengleichheit. Die Beratungsangebote haben wir aber auch im Internet gefunden. Insgesamt sind die Beratungsmöglichkeiten an der Uni sehr gut, man wird gut unterstützt und fühlt sich nicht alleine. Anna: Ich habe schon in der Schwangerschaft nach Beratungsangeboten an der Uni geguckt, war auch beim Eingangstreffen der AG Familienfreundliches Studium und hatte ein Gespräch mit Frau Schweizer (Stellvertretende Leiterin der Arbeitsstelle Chancengleichheit). […] Bei der AG Familienfreundliches Studium wurde mir auch geraten, möglichst viel noch in der Schwangerschaft zu erledigen und zu regeln, denn der Stress kommt verstärkt, wenn das Kind da ist.
: Wie hast du das mit deinem Studium geregelt? Anna: Momentan mache ich ein Urlaubssemester und befinde mich in Elternzeit. Es war auch gar nicht geplant, im ersten 14
: Wie sind die Reaktionen der Leute an der Uni generell? Wie begegnen sie eurem Kind? Hélène: Alle sind freundlich und zuvorkommend, sowohl die Studenten als auch die Universität. Allerdings ist die Regelung in der Mensa ein bisschen schwierig. Eine Freundin von uns wollte Essen für sich und ihr Kind holen, hatte aber bei der Essensausgabe ihr Kind nicht dabei. Die Angestellte wollte kein Essen für das Kind mitgeben, da das Kind nicht dabei war. Das Kind muss aber dabei sein, wenn man den Kinderteller haben möchte. Aber mit Tablett, Kind und am besten noch Kinderwagen ist es wirklich schwierig, das Essen zu holen. Da ist ein wenig Entgegenkommen gefragt.
Campusleben
Betreuungsmöglichkeiten an der Universität Bremen Mit dem Kinderland, der Uni-Kita, den Unikrümeln und der Wuselhöhle stehen den Studierenden mit Kind vier Möglichkeiten zur Verfügung, ihre Kinder betreuen zu lassen und gleichzeitig in ihrer Nähe zu sein. Die Betreuungseinrichtung Kinderland findet sich auf dem UniCampus im Sportturm und betreut Kinder in altersgemischten Gruppen im Alter von einem halben Jahr bis sechs Jahren. Abgesehen von 15€ pro Semester für Materialkosten ist das Kinderland für die Eltern kostenlos. Studentische Hilfskräfte unterhalten die Kinder von Montag bis Freitag zwischen acht Uhr morgens bis achtzehn Uhr abends und werden vom AStA, der Universität und dem Studentenwerk finanziert. Die Betreuungszeiten richten sich ganz nach dem Bedarf der Eltern. „Bei Bedarf, zum Beispiel im Krankheitsfall, helfen wir uns auch gegenseitig und die Eltern übernehmen dann ebenfalls einen geringen Betreuungsanteil. Durch das Miteinander und die Unterstützung entsteht meist eine vertrauensvolle Atmosphäre, was für die Kinder und den Austausch der Eltern untereinander ganz toll ist, finden wir.“ erzählen Ragna Frey und Maja Zamoscinska, die Organisatorinnen des Kinderlandes. Seit Sommer 2011 können aufmerksame Studierende auf dem Boulevard kurz vor der Mensa wieder Kinderstimmen vernehmen, die sich bei genauerem Hinhören hinter einem hohen Holzzaun lokalisieren lassen. Tatsächlich liegt hinter dem Zaun der gemeinsame Garten und Spielplatz von den Betreuungseinrichtungen der Wuselhöhle und der Unikrümel. Die Wuselhöhle bietet Plätze für Kinder im Alter von sechs Monaten bis drei Jahre an. Insgesamt können vierzehn Kinder von den beiden staatlich geprüften Erzieherinnen betreut werden. Mit ihren Nachbarn, den Unikrümeln, können die Kinder draußen gemeinsam den Spielplatz nutzen. Die Unikrümel gibt es nun seit etwa einem Jahr an der Universität Bremen. Dort ist man bemüht, den Studierenden mit Kind das Leben an der Uni zu erleichtern. Die Eltern haben die Möglichkeit, ihre ‚Unikrümel‘ ab etwa dem ersten Lebensjahr (andere Altersstufen sind nach Absprache möglich) bis zu neun Stunden pro Woche kostenlos durch kinderliebe Studierende betreuen zu lassen. Die BetreuerInnen besitzen allesamt ausreichend Erfahrung - privat oder beruflich - in der Kinderbetreuung. Die Unikrümel gestalten ihre Betreuungszeiten flexibel und nach Bedarf der studierenden Eltern. Die Uni-Kita bietet ein- bis dreijährigen Kindern 48 Plätze an. Die Kinder werden ganztags in altersgemischten Gruppen mit jeweils acht Kindern von qualifizierten Kräften behütet. Die Uni-Kita findet man neben dem NW 1-Gebäude. Rund um die Uni-Kita befindet sich eine Kleingartensiedlung, in der die Kinder spazieren gehen und die Natur entdecken können. Erfahrungswerte der Kindereinrichtungen zeigen, dass es trotz aller Bemühungen vorkommen kann, dass Betreuungsplatzsuchende ab-
gelehnt werden müssen. Die Organisatorin der Unikrümel Monika Wessel erzählt: „Wir sind immer bemüht, so viele Eltern mit ihren Kindern wie möglich aufzunehmen, denn wir finden es sehr traurig, wenn wir Nein sagen müssen. Meistens gelingt es uns das, aber leider sind auch unsere Kapazitäten begrenzt.“ Sollten die Eltern nun doch zu den wenigen zählen, die keinen Betreuungsplatz erhalten haben, können sie eventuell nach Rücksprache mit dem Lehrenden ihre Kinder mit in die Vorlesung bzw. ins Seminar nehmen. Da es aber sowohl für Studierende als auch für Kind besser wäre, den jeweiligen eigenen Aktivitäten nachzugehen, haben die Unikrümel ein Ziel vor Augen: „Unser Ziel ist es, im nächsten Semester mehr Werbung zu machen, damit noch viel mehr Eltern von den Betreuungsangeboten erfahren und somit den Studierenden mit Kind das Studieren zu erleichtern. Dank eines tollen Betreuungs-Teams und der Unterstützung der Universität können wir das hoffentlich auch umsetzen. […]Wir haben viel Spaß mit und bei den Unikrümeln! So können die Eltern sich auf den Unterricht konzentrieren, während die Kinder mit Freude und Gelächter toben und spielen.“ In jeder Betreuungseinrichtung haben die Kinder eine Eingewöhnungsphase, in der die Eltern unbedingt dabei sein müssen, denn es hängt von der Entscheidung des Kindes ab, wann Mama oder Papa gehen dürfen. Wie von den Betreuungseinrichtungen zu hören ist, ist diese Eingewöhnungsphase zumeist nicht problematisch. Allerdings brauchen manche Kinder mehr Zeit als andere, so dass sich die Phase über mehrere Wochen hinziehen kann. Diese Zeit sollte man dem Kind dann geben und sich in Geduld üben. Wenn das Kind nicht bereit ist, ohne Eltern zu bleiben, dann müssen die Eltern im Wechsel mit dabei bleiben oder noch ein Semester warten. Aber dies ist, wie die Erfahrungen der Betreuungseinrichtungen zeigen, eher selten. AG Familienfreundliches Studium Die 2007 gegründete AG Familienfreundliches Studium bemüht sich nicht nur um den Ausbau von Kinderbetreuung, sondern tätigt auch Öffentlichkeitsarbeit, indem sie regelmäßig Informationsmaterialien wie Flyer oder Plakate für Studierende auf dem Campus verteilt. Unter anderem findet man die AG auch bei Stud.IP, wo sie die aktuellen Themen und die Protokolle der AG-Treffen vorstellt. Außerdem führt die AG Gespräche mit den StudiendekanInnen, um die Situation der Studierenden mit Kindern zu verbessern. In größeren Abständen nimmt die AG an Sitzungen der Beratungsstellen der einzelnen Fachbereiche teil, um ihnen ihre Erfahrungen und Vorschläge für ein familienfreundliches Studium mitzuteilen. Somit versucht die AG stets mit der „Arbeitsstelle Chancengleichheit“, Konzepte und Vorkehrungen für Studierende mit Kind und entsprechenden Familienaufgaben zu verbessern und optimieren. Text und Foto: Anastasija Eilers
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Campusleben
Hochflug kommt vor dem Fall Er ist zwar nicht einmal halb so hoch wie der Eiffelturm, doch überragt der Bremer Fallturm mit seinen 146 Metern den gesamten Campus. Für euch haben wir uns den „weißen Riesen“ mal etwas eingehender angesehen.
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ugegeben, die grundsätzliche Idee erscheint schon ein wenig eigentümlich: Man baut einen hohen Turm, und zwar einen, von dem man die unterschiedlichsten Dinge aus der obersten Etage gen Boden fallen lässt. Natürlich weiß jeder, der schon einmal einen Papierflieger von der Dachterrasse eines Hochhauses hat segeln lassen, dass so etwas ziemlich viel Spaß machen kann. Doch der Bau eines 146 Meter hohen Turms auf dem Campus der Bremer Universität extra zu diesem Zweck wirkt auf den ersten Blick schon einigermaßen aufwendig. Aber der Bremer Fallturm ist weitaus mehr als nur ein einfacher Turm, in dem man die unterschiedlichsten Dinge fallen lässt. Er ist ein in ganz Europa einzigartiges wissenschaftliches Projekt. Begonnen hatte alles vor ziemlich genau 27 Jahren. Im September 1985 kam es zur Gründung des „Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation“ – kurz ZARM. Das Zentrum gehört dem Fachbereich Produktionstechnik an, in dem man sich unter anderem mit der Luft- und Raumfahrttechnik beschäftigt. Da die Wissenschaftler damals danach strebten, ihre Forschung auf die Gebiete der – wie es das ZARM selbst beschreibt – „gravitationsabhängigen Phänomene und der raumfahrtrelevanten Probleme“ auszudehnen, kam es zur Gründung des neuen Zentrums auf dem Campus. Als letztliches Ziel hatten sich die Forscher nicht weniger als die Erforschung von „verfahrenstechnischen Problemen ohne den […] Einfluss der Schwerkraft“ gesetzt. Allerdings sollten diese Experimente nicht, wie man leicht vermuten könnte, mitten im Weltall, sondern stattdessen hier auf der Erde, genauer: auf unserem Campus, stattfinden. Doch wie erforscht man Schwerelosigkeit auf der Erde? Wie gelingt es, die allzeit präsente Schwerkraft quasi auszuschalten?
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Ein Labor musste her. Jedoch keines, wie man es aus der Biologie oder Chemie kennt. Wer käme schon auf die Idee, Schwerelosigkeit in einem Reagenzglas anzusetzen? Also setzte im Februar 1987 die Planung eines gigantischen Labors ein, nämlich die Planung des „Bremer Fallturms“. Nur ein gutes Jahr später begannen auch schon die ersten Bauarbeiten, bis schließlich im September 1990 der erste und bis heute einzige Fallturm in ganz Europa in Betrieb genommen werden konnte. Und seit dem ersten Abwurf vor nunmehr 22 Jahren ging es mit dem Bremer Fallturm abwärts – aber natürlich im positiven Sinne. Was bis hierhin allerdings noch unerwähnt blieb, ist die Beschreibung, wie genau so ein Fallturm denn überhaupt funktioniert. Leider genügt es nämlich nicht, einfach einen hohen Turm zu bauen und nacheinander allerlei Dinge von dessen Spitze herunterzuwerfen. Der spitze Turm, der durchaus an eine besonders lange Rakete erinnert, ist in Wirklichkeit nur die äußere Hülle des eigentlichen Fallturms. In diesem Zylinder aus Stahl und Beton befindet sich freistehend eine 110 Meter hohe Stahlröhre – der eigentliche Fallturm. Besonders leistungsfähige Pumpen sind in der Lage, in dieser Röhre ein fast perfektes Vakuum zu erzeugen. Im dem Fallturm herrscht dann nur noch ein Luftdruck von gerade einmal 10 Pascal. Das entspricht etwa einem Zehntausendstel des Luftdrucks, dem wir normalerweise hier in Bremen ausgesetzt sind. Ist das Vakuum erst einmal erzeugt, kann im nächsten Schritt die so genannte Fallkapsel ihren Weg nach unten antreten. Dabei kommen, je nach Ausmaß des Experiments, Kapseln mit einer Länge von bis zu 2,4 Metern zum Einsatz. Und für den beinahe fünf Sekunden langen Fall herrschen in dieser Kapsel Bedingungen der Schwerelosigkeit. Nicht gerade lang, denkt ihr. Stimmt!
Mit einem mehrere Wochen oder gar Monate langen Aufenthalt im Weltall sind diese fünf Sekunden natürlich nicht vergleichbar. Doch im Vergleich zu teuren Parabelflügen lässt sich mit Hilfe unseres Fallturms die Schwerelosigkeit mit relativ geringem Aufwand nach Bremen holen. Zu Recht wurden diese fünf Sekunden in den 90er Jahren daher als wissenschaftlicher Meilenstein gefeiert. Doch die Möglichkeiten des Bremer Fallturms sind damit noch nicht ausgeschöpft; denn was auf dem Weg nach unten funktioniert, kann auch nach oben klappen. Ganz so wie bei einem Parabelflug, bei dem die Phase der Schwerelosigkeit sowohl während des Absinkens als auch des Ansteigens des Flugzeugs eintritt, lässt sich in einem Fallturm eine Art „senkrechter Parabelflug“ simulieren. Not-
wendig dafür ist einzig und allein eine entsprechende Möglichkeit, die Fallkapsel auf ihrem Weg nach oben zu beschleunigen. Genau dafür gibt es unter dem Bremer Fallturm seit dem Jahr 2004 ein Katapult. Angetrieben von einem enormen Druckunterschied zu der „vakuumierten“ Fallröhre, schießt der Kolben des Katapults die Fallkapseln mit einer Spitzengeschwindigkeit von bis zu 175 km/h in die Spitze der Stahlröhre. Durch dieses trickreiche Verfahren ist es möglich, die Phase der Schwerelosigkeit, die die Experimente im Inneren der Kapseln erfahren, auf beinahe zehn Sekunden auszudehnen. Die Möglichkeiten, die sich dadurch Forschern aus der ganzen Welt eröffnen, sind so zahlreich wie vielseitig. Beispielsweise ist es den Forschern des ZARM vor zwei Jahren gelungen, im freien Fall ein Bose-Einstein-Kondensat von Millimetergröße zu erzeugen. Und das, obwohl die Existenz dieses äußerst schwer zu realisierenden Aggregatzustandes, bei dem die Atome fast bis auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt werden, erst vor 17 Jahren überhaupt experimentell nachgewiesen werden konnte. Doch auch das Verhalten von Wasserflöhen unter Bedingungen der Schwerelosigkeit wie auch die Entstehung der Saturnringe wird im Bremer Fallturm gleichermaßen untersucht. Mit seinen Baukosten von umgerechnet etwa 16 Millionen Euro ist der Fallturm vielleicht kein Schnäppchen gewesen. Doch nach einem vergleichbaren Ort, der Forschern aus der ganzen Welt diese Möglichkeiten für ihre Experimente bietet, sucht man derzeit vergeblich.
Text: Sarah Sandmann Fotos: Katrin Pleus
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Bremen
Querlenker gleich Que
rschießer?
Am Bremer Güterbahnh of haben sich im Jahr 20 09 einige Fahrzeuge au ger Gleis niedergelasse f der Brachfläche am Ol n. Seitdem lebt dort ein denbure vielfältige Gruppe, un Was treibt sie zu dieser d zwar trotz jeden Wid Lebensform, und waru er standes. m ist es so schwer, an sie heranzutreten?
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teigt man am Bremer Hauptbahnhof in den Zug Richtung Oldenburg, gelangt man, zumindest für kurze Zeit, an einen sonderbaren Ort. So ergeht es eines Freitags auch mir, als ich an der Tür des Zuges gerade noch einen Platz finde. Kurz bevor wir die Weser überqueren, fällt mir auf der rechten Seite ein blickdichter bunter Holzzaun auf. Über ihn hinweg schauend sehe ich, dass sich dort einige LKWs und Wagen platziert haben. Solange ich kann, betrachte ich diesen eigenartigen Platz. Es sieht nicht so aus, als würden die Wagen in kürzester Zeit wieder weiterziehen, und ich zerbreche mir den Kopf, worum es sich hier wohl handelt. „Querlenker“ ist der Titel der Homepage, die ich nach etwas Recherche im Netz finden konnte. Das macht mich neugierig und ich versuche, neben den überschaubaren Infos, die diese Seite gibt, mehr herauszufinden. Demnach besetzten am 06.05.2009 fünf bis sieben Wagen die Brachfläche hinter dem Güterbahnhof. Eine bunte Gruppe von „Künstlern, Pädagogen und Handwerkern“, wie die TAZ sie beschreibt, wählte nach den gescheiterten Versuchen der Niederlassung in Walle und der Überseestadt die zentrale Lage des Güterbahnhofs. Es handelt sich um das Phänomen der Wagenburgen, von denen in der gesamten Bundesrepublik welche zu finden sind. Während im 15. Jahrhundert diese Ansiedelungen vor allem aus Sicherheits- und Verteidigungsgründen genutzt wurden, stellen sie heute eine wenig praktizierte, aber dennoch alltägliche Lebensform dar. Ich entscheide mich, einen Artikel über diese Lebensform zu schreiben, und will mir das Ganze unbedingt vor Ort anschauen. Doch zu diesem inhaltlichen Treffen wird es nicht kommen, dazu aber später mehr. Zuerst frage ich mich: warum verfolgen einige diese Art zu leben, und was zeichnet die Bremer Gruppe am Güterbahnhof aus? Drei zentrale Intentionen werden häufiger in Interviews mit der TAZ, der Kreiszeitung oder Radio Bremen angegeben: einerseits gefalle die intensive gemeinschaftliche Lebensweise, die es möglich mache, die Natur und die Jahreszeiten ausgeprägter zu erleben und den Alltag so autark wie möglich zu gestalten. Damit einhergehend wird auch Gesellschaftskritik geübt: Vor allem der Trend zur Leistungsgesellschaft wird argwöhnisch betrachtet. Des Weiteren sei es ein Anliegen, lebenswerten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Letzterer Aspekt spiegelt sich auch in dem Nutzungskonzept wider, welches die Besetzer nach erfolgreichem Widerstand gegen alle Räumungsversuche dem Verwalter der Fläche, der Wfb Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, vorlegen. Das Vorhaben sei, auf „Grundlage mobiler Lebens-und Arbeitsräume eine Kulturwerkstatt auf[zu]bauen“ und Ideen wie Stadtteilarbeit, Kulturworkshops, Schweißkunst, Kinoabende und Konzerte zu verwirklichen. Im Juni 2009 beginnen die Gespräche mit der Wirtschaftsförde-
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rung Bremen über die Zwischennutzung des Platzes. Das Innenresort des Senats sperrt sich dagegen, da die Gefahr eines „rechtsfreien Raumes“ bestünde, an dem eine Agglomeration der Linksszene zu befürchten sei. Dagegen zeigt sich das Wirtschaftsressort kooperativ und man einigt sich zunächst auf einen Zwischennutzungsvertrag. Um einen Pachtvertrag zu erwirken, lässt sich die Gruppe als Verein „Querlenker e.V.“ notariell eintragen. Außerdem gilt es, Auflagen zu erfüllen, wie die Installation von Toiletten und die Umzäunung des Geländes. Der darauf unterzeichnete Pachtvertrag nimmt dem Innenressort den Wind aus den Segeln: der Problematik des rechtsfreien Raumes wird nämlich damit vorgebeugt und gleichzeitig die zuvor brach liegende Fläche sinnvoll genutzt, weil sich das Konzept förderlich in die bereits angesiedelten Kulturprogramme und Organisationen einfügt. Neben gut besuchten Veranstaltungsangeboten haben die Querlenker jedoch auch mit Gegnern zu kämpfen; im Frühjahr vergangenen Jahres erhitzte Vandalismus und Brandstiftung die Gemüter. Die Querlenker sind trotz der Ereignisse immer noch vor Ort, die Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Bremen scheint demnach gut zu funktionieren. Eigentlich ist die Brachfläche für die Bahnanlagen vorgesehen, dennoch soll es Pläne für den Bau von Bürogebäuden geben. Das hieße aber eine Verlegung des Oldenburger Gleises und gleichzeitig das Ende der Wagenburg vor Ort. Wie es darum steht, das ist schwer zu sagen, da die Gerüchteküche zwar einiges hergibt, jedoch keine validen Informationen. Um Auskünfte aus erster Hand zu bekommen, wende ich mich im Sommer persönlich an die Querlenker. Auf ihrer Homepage kündigt man nämlich große Gastfreundschaft und reges Interesse an Besuch an. Ich versuche es erst einmal mit einer E-Mail und frage, ob ich auf einen Schnack vorbeischauen darf. Eine Antwort erhalte ich vorerst nicht und die Zeit drängt. „Besucher willkommen? Total gerne!“ heißt es auf der Homepage, sodass ich mich auf den Weg zum Wagendorf mache. Ich treffe vor Ort zwei Bewohner an, denen nicht wirklich auffällt, ob ich dort hingehöre oder nicht. Ich gehe auf sie zu und schildere mein Vorhaben. Begeisterung sieht anders aus! Alleine könnten sie das nicht entscheiden; deswegen laden sie mich zur Plenumssitzung ein. Ich freue mich und werte den Besuch bereits als vollen Erfolg. Zwei Wochen später ist es soweit und mit ein wenig Aufregung in den Knochen mache ich mich auf zu dem Ort, an dem die Menschen doch ganz anders sind als ich. Ich empfinde Neugierde, aber auch die Unsicherheit, direkt abgewiesen zu werden. Während sich der zentrale, mit Sitzgelegenheiten bestückte Platz füllt, warte ich unruhig und beobachte das Treiben. Es ist ein schöner Sommerabend, Sommersonnenwende, wie einer der Bewohner erwähnt. Ein hellbrauner Hund schlendert umher und genießt einige Streicheleinheiten. Die letzte Veranstaltung wird
gut gelaunt evaluiert, ein Gast habe wohl gesagt, es ähnelte von der Atmosphäre her dem Fusion Festival. Zeitgleich erstellt eine junge Frau neben mir die Tagesordnung und ich lasse mich mit meinem Punkt aufnehmen. Ein Zug fährt vorbei und mich erreichen aufgrund der Lautstärke nur Wortfetzen. Mit etwas Verspätung beginnt die Plenumssitzung, die von den Bewohnern des Platzes in regelmäßigen Abständen einberufen wird. Die Sitzungen dienen der gemeinsamen Absprache von Vorhaben und der Besprechung von Problemen der gesamten Gruppe; die Vergabe von Gastplätzen, neue TÜV-Verordnungen, die Müllentsorgung und Stromversorgung werden diskutiert. Ich lausche interessiert und bin überrascht, welche Probleme ein Leben in diesem „freien Raum“ mit sich bringt. Wie rechnet man die Wasser- und Stromnutzung mit Gästen ab, die nur ein, zwei Monate vor Ort bleiben und dann ihre Unabhängigkeit nutzen, um weiter zu ziehen. Telefoniert man ehemaligen Mitbewohnern noch wegen zwei, drei Euros hinterher oder belässt man es einfach dabei. Wer übernimmt die anfallenden Reparaturen? Solche und ähnliche Fragen werden zu Beginn der Sitzung diskutiert. Was jedoch sofort deutlich wird, das ist die große Hilfsbereitschaft innerhalb der Gruppe. Dann bin ich an der Reihe und erkläre mein Anliegen. Skeptische Blicke erschweren mir das Vorhaben, aber die darauffolgende Diskussion wendet sich zum Guten. Ich kann ihre Einwände verstehen: In den Wochen zuvor gab es einige Probleme mit der Presse und fehlerhafte, sogar erfundene Artikel seien veröffentlicht worden. Ich überzeuge die Runde mit dem Angebot, den Artikel in enger Zusammenarbeit zu machen und ihnen die Chance zu geben, ihn vor der Veröffentlichung zu autorisieren. Ein, zwei Personen erheben ihre Stimme für mich und wir einigen uns darauf, den Artikel doch erst für die Ausgabe im Wintersemester zu schreiben. Aufgrund des Gefühls, trotz meiner Offenheit nicht dazu zu
passen und auch nicht weiter stören zu wollen, bedanke ich mich nach der Abstimmung und verlasse das Wagendorf. Mit gemischten Gefühlen lasse ich das Treffen sacken und versuche, meine Skepsis abzulegen. Wie vereinbart, nehme ich drei Monate später den Kontakt wieder auf. Eine Reaktion auf die E-Mails erhalte ich nicht, und auch im persönlichen Gespräch werde ich nur weiter verwiesen oder auf unbestimmte Zeit vertröstet. Was nun? Ich bin frustriert und sauer. Hatte ich mich so sehr täuschen lassen? Auch nach einer weiteren Bitte per Mail erhalte ich keine Reaktion und beschließe für mich, nicht noch penetranter nachzuhaken. Hier scheint ein Wort womöglich doch nicht so viel zu zählen. Ernüchtert über das Scheitern überlege ich, woran es gelegen haben könnte. Ich echauffiere mich darüber, dass die Außendarstellung der Querlenker für mich mit der Realität so gar nichts zu tun hat und ich mich lästig gefühlt habe – von wegen Besuch gerne erwünscht, das ist wohl Definitionssache. Ich habe mich bemüht, mein privates Interesse zu bekunden und nicht wie ein Geier hinter der Story her zu sein. Gerne hätte ich mehr über diese Gruppe erfahren, die sich entgegen aller Konventionen und jeden Widerstandes niedergelassen hat und eine für mich ganz spezielle und andere Lebensform verkörpert, über die ich nun nicht viel erfahren durfte. Doch da scheint schon das Haar in der Suppe zu schwimmen: der Unterschied zwischen ihnen und mir ist womöglich doch zu groß. Ich war davon ausgegangen, durch lockeres Auftreten und mein ehrliches Interesse schnell mit ihnen das Gespräch zu finden, viel fragen zu können und Neues zu lernen. Damit habe ich wahrscheinlich sowohl die Querlenker als auch mich überschätzt. Text und Foto: Katrin Pleus
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Bremen
Drei Dinge,
die man in Bremen getan haben sollte
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Kohltour mitmachen Kälte, gute Freunde, Schnaps und heißer Kohl reichen für eine richtige Kohlfahrt. Wie war das noch gleich? Ab Dezember? Ab Januar? Nee! Früher war es zugegebenermaßen mal gang und gäbe, nicht vor dem ersten richtigen Frost Grünkohl zu essen. Nur danach war er reif und schmeckte. So ist es mittlerweile nicht mehr, aber trotzdem: erst wenn es richtig kalt ist, mundet das Bremer Gericht so richtig gut! Traditionell gehören dann Salzkartoffeln, Kasseler, Pinkel (Grützwurst) und Kochwurst dazu. Wer mag, darf sich dazu auch noch Speck und Senf genehmigen. Aber was eigentlich noch viel klassischer als das Gericht an sich ist, das ist die dazugehörige Tour. Wie? Noch nie gehört? Wer ab Mitte Januar, wenn es so langsam dunkel wird und es richtig knackig kalt ist, im Umland oder in Bremen direkt unterwegs ist, sollte sich nicht wundern, über Teebeutel, Boßel- oder Tischtennisbälle zu stolpern. Gerne auch begleitet von lauter Musik und Gegröle. Wer sich nämlich als richtiger Bremer
schimpft, sollte mindestens einmal in seinem Leben an solch einer Kohltour teilgenommen haben. Irgendwann ab der Mittagszeit trifft man sich mit Freunden, dem Fußballteam, dem Schützenverein oder anderen Gruppen und beginnt ... mit – ähm, ja, mit dem Trinken. Zu einer richtigen Kohltour gehört mindestens ein voll beladener Bollerwagen: mit Schnäpsen, Spielzubehör und einer Kleinigkeit zu essen. Musik darf natürlich auch nicht fehlen. Meist wird dann vorher festgelegt, ob an jedem Zaunpfahl, jeder Straßenlaterne oder jeder Parkbank ein Kurzer getrunken wird – der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Während des 2- bis 4-stündigen Weges werden dann gerne Spiele gespielt. Zum Beispiel Boßeln, Teebeutel-Weitwurf oder das Spaghetti-in-eine-Makkaroni-stecken-Spiel. Sind schließlich alle irgendwann komplett durchgefroren, haben schmerzende Füße und sind auch „leicht“ angeduselt, kehrt die Gruppe mit roten Nasen in ein Lokal ein und genießt den aufwärmenden Effekt, den Grünkohl nun mal so an sich hat. Danach darf der Abend gerne mit Tanz und weiterer Trinkerei ausklingen.
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Kaffee im Litfass trinken Gemütliche Nachmittage und aufregende Nächte – all dies kann im Litfass erlebt werden. „Moin Flo Mega!“ und „Oh, hallo Malte von Bremen 4“. Kurz die Atmosphäre aufsaugen, abchecken, ob sich weitere Bremer Promis aufhalten, und sich anschließend einen schönen Platz vor der Spiegel-Front suchen, mit direktem Blick auf die große und reich bestückte Theke. Wo dieser Ort ist? Dieser Platz ist im bekannten und beliebten Bremer Viertel oder, wie die älteren Bremer und Bremerinnen sagen würden, im Ortsteil Ostertor/Steintor: Wir befinden uns im Litfass! Viele kennen bestimmt bereits den Irish Pub „Hegartys“ am Ulrichsplatz. Und dort, direkt gegenüber, versteckt hinter einem großen Baum und einer (aha!) Litfaßsäule befindet sich das Straßencafé Litfass. Auf der eigenen InternetSeite steht ausschlaggebend: „Wer uns kennt, der weiß: wir sind mehr als nur eine Bar.“ Das Litfass kann einfach nicht genau klassifiziert werden: Es ist ein Café, ein Pub, eine Bar, eine Theaterbühne, eine Kunstausstellung, eine Musikbühne und, und, und... Wer das Lokal bereits kennt, weiß, dass dort immer besondere Aktivitäten stattfinden. Mal tritt eine schwedische Band auf, mal feiert das Litfass groß Geburtstag und mal zeigt es auch die Werder-Spiele, um nur ein paar Kleinigkeiten zu nennen. Besonders am Freitag- und Samstagabend ist es brechend voll
und freie Plätze sind Rarität. Aber auch nachmittags trifft man diesen und jenen und hat einfach immer jemanden zum Schnacken. Und wenn es an einem regnerischen Sonntag mal nicht so voll ist, wird sich einfach eine Zeitung geschnappt und ein leckerer Con Leche genossen. Nebenher wechseln sich an den Wänden ständig Kunstwerke, Bilder und Ähnliches ab, die selbstverständlich auch käuflich zu erwerben sind. Aber um ehrlich zu sein: wer sich solche Preise leisten kann, der studiert vermutlich nicht mehr und hält somit vermutlich auch nicht diese Zeitung in seinen Händen. Zum Arbeiten eignet sich das Litfass hingegen nicht, denn die netten Bedienungen lenken viel zu gerne ab. Wer sich also mal etwas einsam fühlt, greift sich ein gutes Buch, schlendert durchs Viertel und schneit einfach mal ins Litfass rein. Irgendeiner aus dem gut gemischten Publikum wird sich schon zum Quatschen bringen lassen - und wenn nicht, schmeckt der Kaffee trotzdem. Und zur Not ist ja dann auch noch das Buch da. PS: Es gibt übrigens keine Garantie, dass man nicht gleich den ganzen Tag und die ganze Nacht dort versackt.
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Heimspiel von Werder Bremen „Wo die Weser einen großen Bogen macht, wo das Weser-Stadion strahlt in neuer Pracht, wo man trägt die allerschönsten Spiele aus, da ist Werder Bremen, da sind wir zu Haus.“ Gebürtige Bremer Studenten spüren bei diesen Worten sofort das Kribbeln. Ein Kribbeln, das sich am ganzen Körper ausbreitet.
Denn wenn diese schönen Zeilen erklingen, dann wissen alle, es ist wieder so weit: Der SV Werder Bremen bestreitet ein Heimspiel. Ein Muss, schließlich zählt Werder nicht ohne Grund zu einem der beliebtesten und erfolgreichsten Fußball-Vereine Deutschlands. Fairness und Fan-Nähe werden auch über die Bremer Grenzen hinaus hoch geachtet. Schon ab etwa 11 Uhr an einem Samstag (an einem anderen Wochentag entsprechend früher oder später) trudeln die ersten Fans ein und verteilen sich rund ums Stadion. Getroffen wird sich dann zum Beispiel am Taubenschlag, einer klassischen Werderkneipe, oder am Werder-Imbiss. Dort wird mit Freunden gequatscht und man lässt sich von dem langsam zunehmenden Gewusel anstecken. Kurz bevor es dann endlich losgeht, die Treppen von den Fans erklommen werden und die Zeilen von „Lebenslang Grün-Weiß“ durchs Stadion schallen, gibt es für so manchen kein schöneres Gefühl. Wenn dann auch noch die Sonne auf den Rasen scheint und die ersten Spieler durch das Tor kommen und sich aufwärmen, gibt es kein Halten mehr. Und das ist nicht mal übertrieben, selbst NichtWerder-Fans und/oder Nicht-Fußball-Fans sind bei diesem Bild, bei diesem Eindruck überwältigt. So viele Menschen (ca. 42.500) auf einem Haufen, alle in Grün-Weiß, leiden zusammen bei einem äußerst schmerzvollen Foul und freuen sich nach einem gelungenen Torschuss lautstark mit den Spielern. In der Halbzeit gibt es dann so viel zu sehen, so viel zu essen und zu trinken (wobei als Info erwähnt werden sollte, dass dies nur noch ohne Bargeld möglich ist) und so viel aufzunehmen. So oder so ist vor allem für mich persönlich das Spiel eher Nebensache – das sieht man ohne Frage im Fernsehen sowieso besser. Es geht vorwiegend um die Gemeinschaft, die Euphorie und das Glücksgefühl, das im Stadion herrscht. Text: Neele Meyer Fotos: Neele Meyer (Kohltour), Katrin Pleus (Litfass) und Anne Glodschei (Heimspiel)
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Bremen
Unterwegs auf
Bremens „heimlicher Hauptstraße“ Sie ist neben den Bremer Stadtmusikanten der Touristenmagnet schlechthin und doch ist die Böttcherstraße weitaus mehr als nur ein beliebtes Fotomotiv. Für euch haben wir uns in der historischen Handwerkergasse der Fass- und Zubermacher mal ein wenig genauer umgesehen.
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s ist Samstag, kurz vor zwölf. Riesige Trauben von Touristen, schwer bepackt mit großen Rucksäcken und fast noch größeren Kameras, drängen sich wissbegierig um ihre Tourguides. Unter begeisterten „Ohh“s und „Ahh“s wird der alte Giebel des RoseliusHauses, der Sieben-Faulen-Brunnen und das Porzellanglockenspiel im Glockenspielerhaus für das heimische Fotoarchiv festgehalten. In der gesamten Böttcherstraße gibt es kaum ein Durchkommen, kaum einen Laden, in dem nicht gerade unzählige Touristen aus allen Ländern der Welt auf der Suche nach einem Mitbringsel für die Zuhausegebliebenen sind. Doch ohne koffeinfreien Kaffee, wäre das gerade beschriebene allwöchentliche Szenario wohl ein anderes. Ohne entkoffeinierten Kaffee?, fragt ihr euch. Auf den ersten Blick erscheint dieses These doch sehr gewagt. Was macht es schon für einen Unterschied? Dann würden die Menschen in Bremen und der Böttcherstraße eben mehr Kräutertee oder Wasser trinken. Doch tatsächlich verdanken wir der Erfindung des koffeinfreien Getränks vor mehr als 100 Jahren weitaus mehr – nämlich einen nicht unerheblichen Teil unserer Stadtgeschichte. Die Ursprünge der Böttcherstraße reichen zurück bis in das 14. Jahrhundert. Als direkte Verbindung zwischen Marktplatz und altem Hafen erlebte sie damals ihre erste Blütezeit – eben als das Geschäft der Fass- und Zubermacher florierte. Doch mit der Verlegung des Hafens im 19. Jahrhundert setzte für die Böttcherstraße eine Phase des Verfalls ein. Eine Phase, die wohl letztlich das Ende der mittelalterlichen Straße bedeutet hätte, wäre im Jahr 1902 nicht ein gewisser Ludwig Roselius in Erscheinung getreten. Der gebürtige Bremer und Gründer von „Kaffee HAG“ kaufte das heutige Haus Nummer 6 in der Böttcherstraße. Es folgte die Patentierung des von Roselius erfundenen Verfahrens zur Entkoffeinierung. Roselius‘ Kaffeefirma erlebte einen kometenhaften Aufstieg, der letztlich auch die zweite Blütephase der Böttcherstraße einleitete. Denn der Bremer Roselius beließ es nicht bei dem Kauf von Haus Nummer 6. In „Monopoly-Manier“ kaufte er ein Grundstück nach dem anderen und restaurierte schließlich die gesamte Böttcher-
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Unterwegs in der Boettcherstraße straße. So entstanden in der alten Bremer Straße nach und nach Büro- und Verwaltungsräume für Roselius‘ Kaffeefirma. Doch auch ein Kaffeestübchen erhielt Einzug in die Böttcherstraße. Gebaut wurde hauptsächlich im damals üblichen Back- und Sandstein-Stil. Allerdings war der Bremer Roselius alles andere als altmodisch. Als ein Freund des Fortschritts und der Kunst, entschloss er sich auch dazu, ebenfalls zwei – für damalige Verhältnisse – fast schon unerhört moderne Gebäude aus Glas, Stahl und Beton zu errichten: das Paula-Modersohn-Becker-Haus und das Haus Atlantis. Es erscheint somit nicht verwunderlich, dass die Böttcherstraße in den 40er Jahren in Deutschland von den Nationalsozialisten als „abschreckendes Beispiel der entarteten Kunst“ verurteilt wurde, erzählt Jana Müller, die in der Bremer Bonbon Manufaktur arbeitet. Doch für sie sind es gerade diese „völligen Gegensätze“ von mittelalterlichem Flair auf der einen Seite und moderner Architektur auf der anderen, die die Böttcherstraße noch heute zu einem ganz besonderen Ort in Bremen machen.
Bremen
Der Sieben-Faulen-Brunnen von Bernhard Hoetger Ludwig Roselius entschied sich damals ganz bewusst dafür, die Böttcherstraße auch als Touristenattraktion aufzubauen – mit großem Erfolg, wie wir heute wissen. Derzeit gibt es in Bremen über 140 Führer, die täglich Touren durch die ganze Stadt in den unterschiedlichsten Sprachen anbieten. „Und jede Führung“, erzählt Susanne Römann aus dem Robinson Crusoe Haus stolz, „geht hier durch“. Während der letzten Jahre hat dieser regelrechte „Ansturm auf die Böttcherstraße“ sogar noch deutlich zugenommen. Seitdem Bremen über Billigfluglinien mit zahlreichen europäischen Metropolen verknüpft ist, strömen die Touristen nur so heran. Somit ist die Böttcherstraße, trotz des immer noch verlegten Hafens, mittlerweile doch wieder zu einer Art „heimlichen Hauptstraße Bremens“ avanciert, findet Susanne Römann. Und doch ist der Tourismus, der das alltägliche Treiben in der Böttcherstraße so sehr prägt, noch lange nicht alles. „Es gibt hier viele Ecken, die man als normaler Tourist nicht sieht“, erzählt Jana Müller aus der Bremer Bonbon Manufaktur. Denn wer weiß schon, dass der Beweis dafür, dass die Bremer Stadtmusikanten damals tatsächlich nach Bremen gezogen sind, ausgerechnet in der Bött-
cherstraße gefunden wurde? Ein Beinknochen des „Esels Graukopf“ hat die Vier verraten. Gefunden wurde der Knochen bei Restaurationsarbeiten an der Böttcherstraße im Jahr 1991. Und als wäre das noch nicht Beweis genug, fand man außerdem noch ein Dokument, welches das Symbol der vier Musiker zierte. Somit konnte erstmals bewiesen werden, dass Esel, Hund, Katze und Hahn vor langer Zeit tatsächlich nach Bremen gezogen waren – und das allein dank der Böttcherstraße. Entsprechend erinnert heute eine Gedenktafel im Durchgang zum Handwerkerhof an diesen bemerkenswerten Fund. Es ist schwer in Worte zu fassen, was genau den Charme der Böttcherstraße ausmacht. Vielleicht sind es die Gegensätze, die sich in den Bauten wiederspiegeln, vielleicht die bewegende Geschichte, die von so vielen Phasen der Blüte und des Verfalls geprägt ist , doch vielleicht sind es auch all die kleinen verborgenen Ecken, die immer wieder neue Überraschungen bereithalten. Was auch immer es ist, die Böttcherstraße ist noch immer eine der bedeutendsten Straßen in ganz Bremen.
Text: Sarah Sandmann Fotos: Hanna Düspohl
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Bremen
Wenn der Superlativ nicht mehr ausreicht Es ist derzeit wohl eines der größten Geheimnisse in ganz Bremen. Wortwörtlich, denn in unserer Hansestadt wird die gigantischste Yacht der Welt gebaut. Grund für uns vom Scheinwerfer, einmal ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
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erade erst ist Weihnachten vorbei. Gerade erst haben wir den Stress des ewigen Geschenkekaufens hinter uns gelassen, doch die Erinnerungen daran sind bei den meisten von euch wohl noch genauso lebendig wie bei mir. Die ewige Suche – und das, obwohl die gefühlte Hälfte aller Verwandten doch eigentlich „eh schon alles hat“. Natürlich ist das ein klein wenig übertrieben. Wer hat schon wirklich alles? Aber wie ist es mit den Menschen, die tatsächlich alles Erdenkliche besitzen? Menschen, deren Kontostand aus einer so langen Abfolge von Ziffern besteht – und das auch noch mit einem Plus davor –, dass es nichts auf der Welt gibt, das sich damit nicht kaufen ließe. Eine luxuriöse Villa? Ein komfortabler Privatjet? Ein eigener Fußballclub? Alles schon dagewesen. Nein, um tatsächlich aus der Masse hervorzustechen, um wirklich zu beeindrucken und seinen „Forbes-Listen-Konkurrenten“ einmal schön in den Champagner zu spucken, dringt ein arabischer Prinz namens al-Walid ibn Talal Al Saud nun in neue Dimensionen vor. Er lässt eine Yacht bauen. Aber natürlich nicht irgendeine Yacht, sondern die größte Yacht der Welt. Und das hier bei uns in Bremen! Ihr habt davon noch nie etwas gehört? Kein Wunder, denn das Geheimnis wird beinahe so gut gehütet wie die britischen Kronjuwelen, was allerdings in Anbetracht der gigantischen Ausmaße der Yacht gar nicht so einfach ist. So kam es auch dazu, dass das Projekt Azzam, wie es genannt wird, Ende Mai 2012 für wenige Stunden der Öffentlichkeit präsentiert werden musste. Ja, genau. Sie „musste“, denn bis dahin wurde die Superyacht im „nur“ 170 Meter langen Baudock der Bremer Schiffswerft Lürssen versteckt. Doch als das Schiff zu groß wurde, führte im wahrsten Sinne der Worte kein Weg mehr an einem Umzug in das 220 Meter lange Schwimmdock vorbei. In Fachkreisen spekuliert man daher, dass die Azzam zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung gegen Ende dieses Jahres mindestens 180 Meter lang sein wird. Selbst Usain Bold würde hier also beinahe 20 Sekunden benötigen, um vom Bug zum Heck zu laufen. Offiziell bestätigt wurde dies natürlich noch nicht. Schließlich wird immer noch versucht, die größtmögliche Geheimhaltungsstufe für das gigantische Projekt zu wahren. Allerdings kann man wohl davon ausgehen, dass die in Bremen neu gebaute Yacht allein aus Prestigegründen auf jeden Fall länger sein wird als die mit 162 Metern bisher größte Yacht der Welt. Diesen Titel hält seit dem Jahr 2010 der russische Milliardär Roman Abramowitsch mit seiner Eclipse. Ebenso gigantisch wie die Ausmaße der Azzam sind auch ihre Kosten. Um die 500 Millionen Euro wird der arabische Auftraggeber dieses Mega-Projekts wohl bezahlen müssen – von den laufenden Kosten einmal ganz abgesehen. Eine Million Liter Treibstoff passen vermutlich in den Tank der „Supermaxiyacht“. In Anbetracht des eindrucksvollen Düsenantriebs, der bei ihrer kleinen Spritztour über die Weser sichtbar war, wird dies wohl auch notwendig sein,
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damit die Yacht ihre prognostizierte Spitzengeschwindigkeit von 30 Knoten (entspricht etwa 55 km/h) erreichen kann. Es erscheint fast überflüssig zu erwähnen, dass auch die Geschwindigkeit ein Rekord für Yachten dieser Größe ist. Bestätigt wurde übrigens, dass eine italienische Firma das Design der Azzam übernommen hat. Über die genaue Ausstattung der Yacht wird bisher jedoch nur gemunkelt. Ein Raketenabwehrsystem, ein U-Boot im James-Bond-Stil, ein Kino, eine Disco, ein Hubschrauberlandeplatz oder mehrere Swimming-Pools – nichts ist unmöglich. Denn mit all dem und noch viel mehr kann bereits die Eclipse von Abramowitsch aufwarten. Doch warum wird um das große Projekt eigentlich ein fast noch größeres Geheimnis gemacht? Warum lässt man sich eine Yacht solch gigantischen Ausmaßes bauen und schreibt sich dann trotzdem „top secret“ auf die Flagge? Die Lürssen-Werft wurde nach eigenen Angaben von ihrem Kunden dazu verpflichtet, keine Informationen über ihr aktuelles Projekt preiszugeben. Weiterhin ist ihr auch „untersagt, Bildmaterial zu veröffentlichen“, wie die PR- und Marketing-Managerin von Lürssen, Sylke auf dem Graben, zu berichten weiß. Genau genommen wurde bisher noch nicht einmal der Auftragsgeber der neuen Mega-Yacht offiziell bestätigt. Ganz neu ist dieses Gehabe unter Milliardären gewiss nicht. Besonders Roman Abramowitsch ist bekannt dafür, alles zu tun, um dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit zu entgehen. So ließ er an seiner Eclipse unter Wasser Scheinwerfer und Bewegungsmelder installieren, die neugierige Taucher schon von Weitem erspähen. Weiterhin gibt es Störsender und Blitzlichtsensoren, die eine digitale Fotografie in Yachtnähe unmöglich machen. Dies wirft jedoch auch die Frage auf, wo die neue größte Yacht der Welt eines Tages denn einmal vor Anker gehen wird? Selbst wenn ihr Besitzer auf hoher See vor neugierigen Blicken geschützt ist, so müsste er schon auf einen privaten Hafen ausweichen, um dies auch in Landnähe zu sein. Bisher ist nicht bekannt, ob Prinz al-Walid ibn Talal Al Saud - vorausgesetzt, er ist der tatsächliche Auftraggeber der Azzam - ein paar Millionen seines auf über 18 Milliarden geschätzten Vermögens für den Bau eines Hafens ausgeben wird. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Azzam zukünftig in Monaco oder Antibes liegen wird. Schließlich gibt es keine anderen Häfen, die für Yachten dieser Größe ausgelegt sind. Bleibt abschließend nur noch zu hoffen, dass sich der arabische Prinz auf seiner neuen Yacht nicht verlaufen wird. Denn schließlich ist seine alte, die New Kingdom 5KR, gerade einmal 86 Meter lang. Doch zum Glück werden auf der Azzam ganzjährig 50 Angestellte beschäftigt sein, die dem Prinzen bestimmt gerne behilflich sind.
Text: Sarah Sandmann Foto: Fr. Lürssen Werft GmbH & Co. KG Klaus Jordan Luxuriös
Bremen
Im Vergleich zur neu erbauten Yacht ist die Lady Kathryn, die auch in Bremen gebaut wurde, mit 61 Metern eher kurz geraten.
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Bremen
Samariter in Neon-Orange Bei der Suche nach Vermissten kommen oftmals auch Rettungshunde zum Einsatz. Doch wie werden diese auf den Ernstfall vorbereitet?
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s ist ein kalter Samstagmorgen. Nebel steigt aus dem Boden die Rolle einer Vermissten übernommen hat. Sie erklärt, dass der auf, in der Luft liegt der Geruch von feuchter Erde und KieRettungshund im Einsatz die vermisste Person nicht verließe und fernharz. Ein paar Bäume knarren leise im Wind und in der so lange bellen würde, bis der jeweilige Hundeführer einträfe. Auch Ferne klopft unermüdlich ein Specht, als plötzlich lautes Hundegein der Übung bleibt Maja so lange bellend bei der vermeintlich Verbell zu hören ist. „Das ist Maja. Jetzt hat sie bestimmt gerade meine missten, bis Hundeführer Sven Schnackenberg sie gefunden hat. Kollegin gefunden. Dann kommt sie mit Sicherheit auch gleich zu „Maja musste wegen einer Verletzung mehrere Wochen pausieren; uns“, klärt Angelika Eilts auf. normalerweise hätte sie Angelika noch etwas früher gefunden“, erDie 56-Jährige liegt in neonfarbener Einzählt er stolz und etwas außer Atem. Wähsatzkleidung auf einer Iso-Matte mitten im rend er sich mit einem Taschentuch den Wald. Eigentlich arbeitet sie in der MarSchweiß von der Stirn wischt, fügt er hinzu, ketingabteilung einer großen Buchhanddass sie jetzt wohl auf dem Wege der Beslung, in ihrer Freizeit jedoch ist sie für die serung und in den nächsten Wochen auch Hundestaffel des Arbeiter-Samariter-Bundes wieder voll einsatzfähig sei. (ASB) in Bremen tätig. Gerade möchte sie Das Team aus Hundeführer und Rettungserzählen, wie es dazu kam, als sie wieder von hund hat alle Vermissten gefunden und Majas lautem Bellen unterbrochen wird. kann sein Suchgebiet nun freigeben. Damit Sieben Hundeführerinnen und drei Hunhat Sven Schnackenberg mit seiner Hündin deführer trainieren an diesem Tag auf dem Maja die Übung erfolgreich abgeschlossen Truppenübungsplatz Schwanewede bei Breund macht eine kleine Pause, bis beide wiemen. Sie alle sind Teil des ASB-Rettungsder an der Reihe sind. hundezugs, der sich auf das Auffinden verEr leistet bereits seit sechs Jahren neben seimisster Personen spezialisiert hat. Auf dem ner Arbeit ehrenamtlichen Dienst bei der Trainingsplan steht heute die sogenannte Hundestaffel. „Eigentlich“, erzählt er grinFlächensuche. Dabei suchen Hundeführer send, „ist meine Freundin an dem ganzen mit Rettungshunden, solchen wie Maja, Ding hier Schuld. Sie wollte damals unbein oftmals unwegsamem Gelände oder in dingt einen Hund haben, und weil ich mit großen Waldgebieten nach Vermissten und dem Tier irgendetwas Sinnvolles machen Training für einen Trümmersuchhund müssen diese gegebenenfalls medizinisch wollte, nicht nur Gassi gehen, bin ich dann auf einer Bremer Baustelle. erstversorgen. Ähnliche Szenarien werden bei den Rettungshunden gelandet. Naja, und zur Vorbereitung auch an diesem Samstag im mittlerweile ist sie selber auch mit dabei. Das Training simuliert. Wechselweise übernehmacht die Sache mit dem Privaten halt auch men die Hundeführer auch die Rolle vermisster Personen, die in alles leichter. Manche Kollegen haben damit nicht so viel Glück und einem großflächigen Gebiet auf dem Truppenübungsplatz aufgesind ständig im Konflikt zwischen Dienst und Familie.“ funden werden müssen. Die Bremer Rettungshundestaffel des ASB besteht ausschließlich Aufgrund ihres stark sensibilisierten Geruchssinns können die Retaus ehrenamtlichen Einsatzkräften, die neben ihrem Dienst haupttungshunde die Vermissten je nach Witterung bereits auf mehrere beruflich anderen Tätigkeiten nachgehen. Da die Männer und Frauhundert Meter aufspüren. Das gezielte Suchen nach Personen been nicht wissen, wann sie das nächste Mal ausrücken müssen, sind deutet für Rettungshunde eine enorme Anstrengung, weshalb sie sie in ständiger Alarmbereitschaft und planen in jeder freien Minute in der Regel nicht länger als eine halbe Stunde am Stück im Eindas Vorgehen im Ernstfall. satz sind. In dieser Zeit suchen Hund und Hundeführer jedoch ein An diesem Samstag werden sie insgesamt über sechs Stunden auf Gebiet von bis zu 90.000 Quadratmeter ab. Bis ein Team des ASB dem Truppenübungsplatz mit ihren Hunden das Auffinden vermissjedoch so effektiv arbeiten kann, muss der Hundeführer mit seinem ter Personen trainieren und sich mental und körperlich auf ihren Hund eine zwei- bis dreijährige Ausbildung abschließen und seine nächsten Einsatz vorbereiten. Einsatzfähigkeit zusätzlich alle 18 Monate erneut in einer Prüfung unter Beweis stellen. Die ASB-Rettungshundestaffel aus Bremen besteht derzeit aus neun geprüften Hundeführern und Rettungshunden, von denen Maja einer ist. Wie aus dem Nichts taucht die braune Labradorhündin Text: Jan-Hagen Rath aus dem Unterholz auf und bleibt bellend neben der am Boden lieFotos: ASB Rettungshunde Bremen genden Hundeführerin Angelika Eilts stehen, die in dieser Übung 26
Feuilleton
Anständig abfeiern in der fünften Jahreszeit Jedes Jahr ziehen viele aus dem Norden zur großangelegten Feier gen Süden. Doch häufig gibt es noch keine klare Vorstellung über das Unbekannte: den Karneval. Hier für euch nun eine kleine Einführung.
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us katholischen Wurzeln stammt die Tradition, sich kurz vor Ende der Fastenzeit noch mal eine gute Zeit zu gönnen. Daraus entwickelte sich über die Jahrhunderte eine kostümierte Feierorgie: der Karneval. In vielen Ländern der Welt zelebriert, kommt es in Deutschland gerade in den Metropolen am Rhein jedes Jahr zum bunten Treiben der Matrosen, Clowns, zu Guttenbergs, Affen und anderen herumtollenden Gestalten. Doch nicht nur die Einwohner jener Städte steigern sich in eine fast einwöchige Feier der Extreme; auch viele Party-Touristen strömen an. Auch wenn manche Nordlichter dem Karneval eher mit gerunzelter Stirn begegnen, ziehen viele von uns nach Süden, um mal wieder eine großangelegte Party der etwas anderen Art zu zelebrieren. Was diesen Reiz für viele ausmacht, ist wohl sehr unterschiedlich: das reine Besäufnis in großer Menge, das inkognito Feiern im Kostüm, oder vielleicht das Geschunkel zur Karnevalsmusik. Fest steht, dass viele aus dem Norden kaum eine Vorstellung haben, was sie erwartet. Daher hier nun im Schnelldurchlauf ein paar Fakten, Kniffe und unabdingbare Tipps. Wann soll ich hin? Karneval ist nicht nur einen Tag lang, sondern erstreckt sich über eine Zeitspanne von mehreren Monaten, angefangen mit dem 11.11. um Punkt 11:11 Uhr. Die heiße Phase beginnt jedoch stets mit dem Donnerstag vor Aschermittwoch, der Weiberfastnacht. Diese ist gerade für die Frauen der Schöpfung verlockend, denn es gehört zur Tradition, allen Männern, die sich mit Schlips herauswagen, diesen per Schere zu kürzen. Also ab ins Bankenviertel für all jene, die gerne halbe Schlipse sehen. Medial am meisten in den Mittelpunkt gebracht ist der Rosenmontag mit seinen Umzugswagen und den Millionen Zuschauern am Wegrand und am Fernseher. Hierbei handelt es sich um eine bis zu sieben Kilometer lange Schlange von unterschiedlichsten dekorierten Wagen, auf denen zum einen mit Bonbons werfende Karnevalisten stehen, zum anderen karikierte Personen des öffentlichen Lebens dargestellt werden. Besonders aktuelle politische Debatten mit ihren Akteuren werden gerne satirisch veranschaulicht. Zum eintägigen Kurztrip sollte man zum Rosenmontag anreisen, um das aus dem Fernsehen bekannte Image des Karnevals einmal hautnah zu erleben. Und die Betonung liegt hier auf nah, denn wer nicht auf Körperkontakt steht, der sollte das Menschenmassenbad besser meiden. Karnevalsgefühle durch und durch sind jedoch nur zu gewährleisten, wenn der eigene Trip gen Süden schon zur Weiberfastnacht beginnt. Was soll ich anziehen? Hier ist es wichtig, vorher eine ungefähre Ahnung zu haben, wann und für wie lange es denn gen Süden gehen soll. Denn auch wenn der Alkohol es manche vergessen lässt, es ist mitten im
Winter, und somit ist in der Regel das Klima dementsprechend frostig. Wer bei den Umzügen dabei sein will, sollte sich mit passenden Kleidungsschichten ausstatten. Perfekt hierfür ist also das Ganzkörperkostüm, etwa im Stile des Gorillas, der zu jagenden Banane oder einer eigenen Kreation. Doch nicht jede Fete verläuft auf den Straßen. Gerade zur Weiberfastnacht gibt es Party-Locations überall in geschlossenen Räumlichkeiten, wo knapp bekleidete Piraten oder Häschen ihre Freude haben. Was sollte ich zudem beachten? Es gibt einen - zumindest für die Einwohner jener Städte - gravierenden Fehler, den man unter keinen Umständen machen sollte. Während es in Mainz, Düsseldorf und weiteren Metropolen des Karnevals von allen Seiten „Helau!“ schallt, erntet man in Köln hierfür nicht gerade erfreute Reaktionen. „Alaaf!“ ist der Ruf der fünften Kölner Jahreszeit. Was auch immer gerufen wird, Alkohol wird hier und dort in rauen Mengen zu sich genommen. Doch fremde Stadt und Alkohol führen häufig zu kompletter Orientierungslosigkeit; daher am besten irgendwo niederschreiben, wo man denn bitte landen möchte, irgendwann. Damit den vielen Neu-Karnevalisten eine jecke fünfte Jahreszeit in den rheinischen Metropolen der Republik, mit der Hoffnung, dass es auch für euch zu einer „Party Extrema“ im bunten Treiben wird! Text: Yannik Roscher Foto: Elisabeth Patzal
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Feuilleton
Gesund durch Bio? Wer sich gesund ernähren will, kauft Bio-Lebensmittel. Lohnt sich das? Betrachtung eines gesundheitsbewussten Trends.
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enschen verhalten sich manchmal drollig. Ein Beispiel dafür ist das mediale Entsetzen, das vor Kurzem durch eine Studie ausgelöst wurde. Die legte schonungslos offen, dass eine Karotte, die aus kontrolliert biologischem Anbau stammt, exakt die gleichen Inhaltsstoffe besitzt wie eine solche, die in der konventionellen Landwirtschaft gewachsen ist. Skandalös! Was erlaubt sich die Möhre, und vor allem, was erlaubt sich der Bio-Bauer, die armen Verbraucher so arglistig hinters Licht zu führen? Es bleibt zu hoffen, dass sich die mediale Empörung zum größten Teil auf Sommerlochphantasien gründete. Denn anzunehmen, dass eine Pflanze je nach den Rahmenbedingungen ihres Anbaus qualitativ anders zusammengesetzt sei als andere Artgenossen, klingt nach kruder Pflanzen-Rassentheorie. Ein paar Dinge sind schon seit Großmutters Zeiten klar: Wer in seiner Ernährung auf Obst und Gemüse verzichtet, lebt recht ungesund. Und wer besonders frisches Obst und Gemüse in der Küche verwendet, tut seinem Gaumen einen Gefallen. Bio für alle Während der achtziger Jahre war ökologische Landwirtschaft in den Augen der Öffentlichkeit eine Sache von ‚alternativen Hippies und verrückten Esoterikern‘. Also nicht gerade Bevölkerungsgruppen, die man gemeinhin der Mitte der Gesellschaft zuordnen würde. Das änderte sich im Laufe der neunziger Jahre. Die gesellschaftliche Mitte wurde liberaler und umweltbewusster. Die Gründe dafür waren vielfältig: Angst vor Atomkraft, Angst vor Fettleibigkeit (Helmut Kohls Leibesfülle als mahnendes Vorbild), Joschka Fischers Bundestag-Turnschuhe und dergleichen. Fit und gesund wollte man sein. Und um das zu werden, musste man sich entsprechend ernähren. Als die Mitte sich für Bio-Lebensmittel zu interessieren begann, wurde auch die Lebensmittelindustrie tätig. Nun zerbrachen sich Marketingexperten ihre kreativen Köpfe darüber, wie man den Menschen derlei Art von Lebensmitteln verkauft. Ein Image musste her, eine Art „Corporate Identity“ für Bio-Ware. Und da Menschen im Allgemeinen nicht nur gerne schön, reich, wohlriechend und außerordentlich clever sind, sondern auch gesund, nutzte man den Punkt Gesundheit identitätsstiftend
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a u s . Zwe i f e l l o s hat das außerordentlich gut funktioniert. Es gibt keine Supermarktkette mehr ohne hauseigene Bio-Marke, und vielleicht nehmen die beiden großen Garanten für SchweinkramEssen auch demnächst einen Bio-Burger auf ihre Speisekarte. Die Vorstellung, seine Gesundheit durch naturbelassene Lebensmittel ohne weiteres Zutun zu fördern, ist schön und bequem. Aber diese Illusion ähnelt eben auch sehr stark derjenigen, sich seine Jugendlichkeit durch Cremes oder besonderes LimonadenTrinkverhalten zu bewahren. Es ist eine Illusion, die einen bei Kaufentscheidungen beeinflussen soll. Nahrung aus ökologischer
Feuilleton
Landwirtschaft ist, je nach Verband und der Strenge seiner Auflagen, umweltschonender und wurde mit größerem Aufwand produziert. Außerdem ist die Belastung mit Pestiziden nicht so hoch wie bei konventionell angebauten Lebensmitteln. Allerdings gibt es auch dort gesetzliche Grenzwerte, die eine Gesundheitsgefährdung ausschließen sollen. Der Glaube an die gesundheitsfördernde Wirkung naturbelassener Lebensmittel entspringt vermutlich einem gewissen Fortschrittsskeptizismus. Dem modernen Menschen ist die moderne Welt immer noch nicht ganz geheuer. Insgeheim sehnt er sich nach der einfachen Jägerund Sammlerzeit, in der man noch wusste, was man aß und
wofür man arbeitete: Mammut und dafür das Mammut zu erlegen. Aber heute fehlen die Zeit und auch das Wissen, sich auf anstrengendem Wege seine Nahrung selbst zu beschaffen. Ganz zu schweigen davon, dass die Mammutpopulation nach der letzten Eiszeit rapide abgenommen hat. Der direkte Bezug zu den Lebensmitteln ist verloren gegangen. Man weiß nicht mehr, wo und wie die Kartoffeln gewachsen sind, die man aus dem Supermarktregal mit nach Hause nimmt. Das schlechte Gewissen wegkonsumieren? Zu glauben, dass bei industriell hergestellten Lebensmitteln der Respekt vor der Natur oder irgendein anderer edler Gedanke im Vordergrund stünde, ist reichlich naiv. Große Firmen wirtschaften profitorientiert. Wenn der Verbraucher gerne Bio-Lebensmittel kauft, dann wird man sie ihm anbieten. Weil es sich lohnt, und nicht, weil man die Welt verbessern möchte. Unbestritten gibt es Menschen, die kleine Firmen mit ideellen Vorstellungen gründen und diesen auch treu bleiben. Diese Unternehmen können und wollen aber nicht das gesamte Land mit Nahrung versorgen. Das machen die großen Supermarktketten und Discounter, die sich das Geschäft mit den BioLebensmitteln nicht entgehen lassen. Für die Verbraucher ist eine Fair-Trade und Bio-Siegel orientierte Konsumhaltung eine Art Ablasshandel für das eigene Gewissen geworden. Es ist aber auch wirklich schwierig, sich in der heutigen Welt zu bewegen, ohne Gewissensbisse zu bekommen. Der Wohlstand der westlichen Welt gründet sich auf dem Elend der DritteWelt-Länder; Fleischprodukte zu essen fördert Tierquälerei und beschleunigt dazu noch den Klimawandel; es existieren alle möglichen Schadstoffe, die alle möglichen Arten von Krebs auslösen können. Da ist es schön und beruhigend, wenn einem ein kleines Siegel auf einem Produkt sagt: „Ich bin in Ordnung, für mich wurde niemand gequält, und gesund bin ich obendrein.“ Letzten Endes gilt für Bio-Produkte dasselbe, was auch für andere Produkte gilt: Kriterien für Qualität sind vielfältig und lassen sich nicht an einem Siegel ablesen. Man sollte daher die Wahl seiner Lebensmittel nicht zu einer Lifestyle-Ideologie werden lassen.
Text: Kjell Blank Foto: Katrin Pleus
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Russland - Aufbruch in den Umbruch Die Frage nach der Definition des politischen Systems in Russland erscheint als verbraucht. Ist Russland eine Demokratie? Die autoritäre Politik ist oft unvereinbar mit der Idee der Meinungsfreiheit. Doch der politische Widerstand gegen die reaktionären Herrschaftsverhältnisse regt sich.
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er sogenannte Sonderweg Russlands ist in den Artikel von Journalisten, Politikern und Experten ein beliebtes, sich wiederholendes Motiv. Es könne nicht erwartet werden, dass das politische System Russlands in wenigen Jahren eine Entwicklung nachholt, für die die westliche Staatenwelt mehrere Dekaden brauchte. Die Spitze des Eisbergs sind jene Berichte, die einen gesonderten Anspruch an die Entwicklung des Landes erheben. Eben eine „russische“ Definition von Demokratie. Russland sei ein besonderes Land, das „seinen eigenen Weg“ gehen müsse. Geschichtsphilosophisch betrachtet erscheinen diese Argumente zunächst sogar plausibel. Im internationalen Vergleich gibt es viele verschiedene Formen des diffusen Begriffs Demokratie. Es steht außer Frage, dass die Entwicklung einer intakten Demokratie und eines funktionierenden gesellschaftlichen Pluralismus ein langwieriger und komplexer Prozess ist. Bei einer Analyse der jungen russischen Zeitgeschichte fällt allerdings auf, dass Russland am Ende des 20. Jahrhunderts bereits einige Stadien hinsichtlich der Liberalisierung von Politik und Gesellschaft absolviert hatte. Der obigen Argumentation entsprechend könnte man also sagen, die politischen Herrschaftsverhältnisse waren eben in einem spezifisch russischen Sinn „demokratisch“. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR privatisierte der damalige Präsident Boris Jelzin nach 1993 mit Hilfe von westlichen Beratern Teile der russischen Volkswirtschaft. Er initiierte liberaldemokratische Reformen, da zivilgesellschaftliche Erfahrung und jegliche institutionelle Grundlagen eines funktionierenden Staatsapparates fehlten. Vladimir Putin trat sein Amt als Präsident im Jahr 2000 an: Ein einigermaßen stabiles Institutionengefüge war weitgehend
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geschaffen, die Grundlagen für eine offene Medienlandschaft waren gelegt. Die Modernisierung verkrusteter Strukturen im politischen Prozess war im Laufen. Putin und seine Partei „Einiges Russland“ standen vor der historischen Aufgabe, diese geschaffenen Grundlagen zu konsolidieren beziehungsweise zu korrigieren. Durch hohe Rohstoffpreise, Kapitalrückfluss und Steuerreformen waren die ökonomischen Rahmenbedingungen zu Putins Amtsantritt äußerst günstig. Er war der gewählte Garant für Wachstum und Stabilität. Was folgte, war jedoch die Revision der ohnehin nur partiell erfolgreichen Demokratisierungsbemühungen Jelzins. Die Wiedererlangung der Rolle einer globalen Großmacht war das Hauptziel der präsidentiellen Agenda Putins. Die wirtschaftliche Modernisierung des Landes war die Voraussetzung dafür. Dennoch wurde sie immer wieder dem politischen Machterhalt untergeordnet. Die Reaktion auf alle Krisen war ein Abbau von Beteiligungsrechten und der Ausbau autoritärer Strukturen. Die Periode der Herrschaft Putins kann somit als nicht genutzte Chance in der Schaffung eines langfristig stabilen Staates gesehen werden. Das Zauberwort Stabilität Der Begriff Stabilität bleibt, besonders in Russland, ambivalent besetzt. Rein wirtschaftlich betrachtet scheint es außer Frage zu stehen, dass Putin eine stabile und wachstumsorientierte Staatlichkeit geschaffen hat. Diese Meinung teilen nationale Bevölkerung und internationale Investoren. Während die TAZ im März 2012 Putin noch als „Totengräber Russlands“ darstellte, wissen Vertreter aus der internationalen Wirtschaft die autoritär geführte Politik zu schätzen. Besonders deutsche Unternehmen
nutzen die neu geschaffenen Verhältnisse zu ihrem Vorteil. Im Jahr 2011 erreichte die deutsch-russische Handelsbilanz einen neuen Rekordwert von 51,7 Milliarden Euro. Die Zahl der Firmen im Land mit deutscher Kapitalbeteiligung beläuft sich auf mehr als 6200 - Tendenz steigend. Vorausgesetzt natürlich, dass die wirtschaftliche Lage in Russland „stabil“ bleibt. Der politische Analyst Alexander Rahr fasst die Situation passend zusammen mit den Worten: „Die deutsche Wirtschaft hofft auf Stabilität in Russland“. Wer diese Umstände zumindest auf russischer Seite weiterhin gewährleistet, steht wohl außer Frage. Die andere Seite der Medaille ist, dass eben jene Stabilität in vielerlei Hinsicht eine Blockade für einen gesellschaftlichen Wandel im Inneren darstellt. Stillstand statt Beständigkeit. Die Armut der frühen Neunziger Jahre ist bei vielen Russen noch präsent. Nach wie vor herrscht deshalb eine beständige Angst vor einer erneuten Zeit der Unruhen. Warum sollte man jemand anderen wählen, der den errungenen Status quo gefährden könnte? Die Adaption des Sprichworts „Beiß nicht in die Hand, die dich füttert“ spiegelt den gegenwärtigen demokratischen Prozess in Russland wider. Eine derartige Attitüde im Wahlverhalten der Bürger ist ein Totschlagargument für jegliche politische Veränderung im System. Wandel im Inneren Trotz aller Bemühungen sinken Putins Umfragewerte in den letzten Jahren weiter. Grund hierfür sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die Turbulenzen in der Globalökonomie. Russlands wirtschaftliche Entwicklung, abhängiger vom Ölpreis denn je, steigt und fällt mit diesem. Putins möglicher Einfluss auf diese Veränderungen ist minimal. Die Wachstumsrate der russischen Volkswirtschaft sank 2012 auf unter drei Prozent. Die Inflation hingegen stieg. Das Resultat zeigt sich in den Umfragen des Lewada-Zentrums, eine der größten russischen Meinungsforschungsagenturen: Seit Putins Machtantritt vor zwölf Jahren sind erstmals mehr Menschen der Meinung, das Land bewege sich in die falsche Richtung (44 Prozent), als dass es auf dem richtigen Weg sei (40 Prozent). Somit erscheinen Ideen, die nicht unbedingt vom staatstragenden Fernsehen diktiert werden, erstmals attraktiv. Der Widerstand reicht von verdeckter Kritik bis hin zum offenen Protest gegen Putin. Die sogenannte russische „liberale Opposition“ ist eine lose Gemeinschaft. Sie definiert sich ohne eindeutige Ziele und Forderungen. Der gemeinsame Nenner ist ihre allgemeine Ablehnung gegen den politischen Status quo. Anfang vergangenen Jahres versammelte sich diese Opposition unter der losen Forderung „Russland ohne Putin“ zu Massendemonstrationen. Die große Bandbreite an Interessen erscheint oft als unvereinbar miteinander: von nationalistischen Populisten und wirtschaftsliberalen Kräften bis hin zu antifaschistischen Gruppierungen von Studenten und Künstlern.
Russland als auch in der europäischen Presse werden solche provokanten Protestaktionen von Vojna kontrovers diskutiert: die monumentale Erektion auf der Zugbrücke, die Projektion eines riesigen Totenkopfes auf ein Regierungsgebäude im Jahr 2009. Oder auch die Aktion „Ficken für Medwedew“: Teile des Künstlerkollektivs versammelten sich in einem Moskauer Biologiemuseum und hatten dort Gruppensex vor laufender Kamera. Im Hintergrund wurde dazu ein Banner mit der Aufschrift „Fick dich, du Erbe von Medwedewchen“ hochgehalten. Die Inszenierung war eine absurde Antwort auf Medwedews Kampagne “Mehr Kinder braucht das Land”. Gegen diese Arten des Protests wurde oft mit äußerster Härte und Repressionen vorgegangen. Wenn das Kriterium für den Erfolg der Opposition eine Veränderung der Machtverhältnisse ist, dann hat Putin eindeutig gewonnen. Allerdings wurden in den letzten Jahren gesellschaftliche Prozesse in Gang gesetzt, die nicht umkehrbar sind. Der Wunsch nach Freiheit steht nun omnipräsent im öffentlichen Raum. „Wir sind freier als jene, die uns gegenüber auf der Anklageseite sitzen, da wir alles sagen können, was wir wollen“, konstatierte Nadja Tolokonnikowa, Sängerin der Band Pussy Riot und Gründungsmitglied von Vojna, bei ihrem Gerichtsprozess. Das Zitat ist beispielhaft für den Samen im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Auch wenn ein Großteil der russischen Bevölkerung Vojna und Pussy Riot ablehnend gegenübersteht, zeigen sich ihre Wirkungen. Der Wunsch nach Freiheit kann auch durch die reaktionäre Politik von Putin und seiner Partei „Einiges Russland“ nicht ungeschehen gemacht werden.
Künstler im Widerstand Es ist nämlich gerade die radikale und künstlerische Kritik, die derzeit hohe Wellen schlägt. Eines der populärsten Beispiele der aktuellen Protestbewegung war der riesige Penis auf einer der St. Petersburger Zugbrücken. Im Zuge des International Economic Forum im Juni 2010 malten Mitglieder des Künstlerkollektiv Vojna (deutsch „Krieg“) einen 65 Meter großen Phallus auf eine Zugbrücke. Der Clou der Aktion war, dass die Brücke mit dem Penis sich direkt vor dem FSB-Geheimdienstgebäude in der Innenstadt von St. Petersburg befindet. Sowohl in
Text: Florian Flöter – Der Autor verbrachte ein Semester in Sibirien und konnte sich auf diese Weise ein Bild von der russischen Politik und Gesellschaft machen. Foto: Enno Strudthoff – Der Fotograf schoss diese Fotos während der Anti-Putin-Demo im September 2012.
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Feuilleton
Ich packe meinen Rucksack…
Backpacking ist ein Abenteuer, vor allem wenn man alleine unterwegs ist. Es ist beinahe schon ein Lebensstil, eine Leidenschaft, geprägt von zahlreichen Erfahrungen, Persönlichkeiten und Herausforderungen. Wer noch nie Backpacken war, sollte nicht nur wissen, was man dabei haben sollte, sondern sich auch emotional auf eine Reise mit Suchtpotenzial einstimmen.
… und nehme mit: alles, was ich für die nächsten sechs Monate zum Leben brauche. Das klingt nicht nur nach einer Herausforderung, es ist auch eine. Da beim Backpacking die Aufenthaltsorte genauso oft gewechselt werden wie die Aktivitäten, sollte man natürlich für jede mögliche Situation gerüstet sein. Es kann schon einmal passieren, dass man heute noch feuchtwarme Regenwälder durchstreift, morgen einen Tangokurs macht und übermorgen mit Haien schnorchelt. Als Kind der Sonne wähle ich meist Reiseziele in tropischwarmen Regionen; da kann ich zumindest auf die schweren Winterklamotten verzichten. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, Ballast abzuwerfen beziehungsweise einfach Unnötiges zuhause zu lassen. Inzwischen bin ich Profi und habe mein Gepäck von 19 Kilo plus Handgepäck auf 12,5 Kilo reduziert. Dennoch bemerke ich jedes Mal wieder, dass ich den dritten Rock und die Ersatzsonnenbrille auch zuhause hätte lassen können. Richtiges Packen will geübt sein. Hier gilt die goldene Regel: weniger ist mehr. Der Rucksack muss nicht nur den Gewichtsbestimmungen der Airline entsprechen, sondern noch dazu muss man das Ungetüm ja auch die ganze Zeit mit sich herumschleppen. Schon beim Rucksack-Kauf sollte man deshalb die richtige Größe wählen. Die Richtwerte sind hierbei 60 Liter für Frauen, 80 Liter für Männer. Der Preis für einen guten Rucksack aus solidem Material, mit verstellbaren Trägern und Regenschutz (kann auch als Schutz vor Dreck oder Langfingern genutzt werden), liegt bei etwa 100 bis 150 Euro. Ihr solltet beim Packen unbedingt darauf achten, dass ihr euer Handgepäck im Rucksack verstauen könnt; das erspart euch, in der Hitze wie ein Packesel herumzulaufen. Außerdem werdet ihr euch das eine oder andere Kleidungsstück oder Souvenir kaufen. So bleibt die Möglichkeit, euch eine günstige Tasche zuzulegen, in der ihr die Sachen als Handgepäck nach Hause 32
transportieren könnt. In einer kleinen Bauchtasche könnt ihr Geld, Kreditkarten und euren Reisepass griffbereit und sicher am Körper aufbewahren. Von allen wichtigen Dokumenten solltet ihr mehrere Kopien anfertigen und diese getrennt vom Original sowie auch zuhause aufbewahren. Bestenfalls schickt ihr die eingescannten Dokumente an eure eigene Email-Adresse, dann könnt ihr weltweit darauf zugreifen. Was sich neben Flip-Flops und Bikini unbedingt im Gepäck befinden muss, ist eine Reiseapotheke, die je nach Region mit speziellen Medikamenten (zum Beispiel Malaria-Prophylaxe) ausgestattet ist. Länderspezifische Infos zu notwendigen Impfungen gibt es beim Tropenmediziner eures Vertrauens oder unter www.tropenmedizin.de. Wichtig ist, dass ihr euch rechtzeitig darum kümmert, da einige Impfungen mehrfach und über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt werden müssen. Sehr wichtig, vor allem in tropischen Regionen, sind ein Moskitonetz und Mückenspray, um sich auch im Schlaf vor den lästigen kleinen Biestern zu schützen. Die bessere Variante zu sperrigen Frotteehandtüchern: Travel Towels. Diese geniale Erfindung aus Mikrofasern lässt sich ganz klein zusammenfalten, ist sehr saugfähig und trocknet innerhalb einer halben Stunde. Zugegebenermaßen ist das Abtrocken-Gefühl zuerst gewöhnungsbedürftig. Doch spätestens, wenn man kurz vor der Weiterreise noch einmal duschen möchte und das klitschnasse schwere Frotteehandtuch mitsamt der trockenen Kleidung in den Rucksack stopfen muss, wo es dann langsam vor sich hin modert, lernt man die Vorzüge des etwas kostspieligeren Travel Towels zu schätzen (Outdoor Shop, ca. 20€). Lasst den Fön zuhause! Lasst warme Socken zuhause! Lasst den Regenschirm zuhause! Und wenn man doch einmal so gar nichts mehr zum Anziehen hat? Man kann überall auf der Welt günstig Kleidung kaufen und die meisten Hostels haben einen „Laundry Service“.
Die Wahl des Reiseziels ist jedes Mal mit furchtbaren Entscheidungsschwierigkeiten verbunden. An den Traumstränden von Thailand entspannen, Surfen in Südafrika, geschichtsträchtige Tempel in Kambodscha, beeindruckende Wasserfälle in Argentinien oder Hollywoodfeeling in Los Angeles – es gibt so viel zu entdecken. Sobald ich mich entschieden habe, in welche Gegend es als nächstes gehen soll, beginnt erst einmal die große Flugsuche. Auch hier bin ich inzwischen Schnäppchen-Expertin und verbringe manchmal Stunden vor dem PC, um das günstigste Angebot zu finden. Lasst euch beim Durchforsten der Flugsuchmaschinen wie statravel.de oder flug. idealo.de nicht unterkriegen. Eine Änderung des Abflughafens oder des Reisedatums kann möglicherweise einen erheblichen Preisunterschied ausmachen. Ein einziger Tag früher oder später kann manchmal auch 100 Euro mehr oder weniger bedeuten! Habe ich dann endlich den günstigsten Preis gefunden, buche ich Hin- und Rückflug. Nicht mehr. Keine Zwischenflüge, keine Unterkünfte. Auch das musste ich erst im Laufe der Zeit lernen: von der typisch deutschen Planungswut abzukommen und der Spontaneität freien Lauf zu lassen. Zeit habe ich meistens genug, und vorher weiß ich sowieso nicht, wo es mir hinterher am besten gefällt, wo ich die interessantesten Menschen treffe und wohin diese mich mitziehen werden. Lediglich die erste Übernachtung wird schon einmal gebucht, damit ich mich nach dem Langstrecken-Flug nicht noch mit der Hostelsuche beschäftigen muss. Aus der Fülle an Unterkünften die richtige auszuwählen, ist oft gar nicht so einfach. Eine gute Anlaufadresse, um das perfekte Hostel zu finden, ist die Homepage www.hostelworld.com. Hier sind alle Hostels der Region eingetragen und man kann sich seine Herberge nach den eigenen Bedürfnissen heraussuchen. Dabei empfiehlt es sich besonders, die Kommentare der anderen Backpacker zu lesen, die das Hostel nach Backpacking-Maßstäben bewerten. Dabei wird schnell klar, worauf man achten sollte: erwähnt beispielsweise jemand Bettwanzen („bed bugs“)? - Finger weg! Beschwert sich jemand über die Lautstärke der Zimmergenossen – wahrscheinlich ein geselliges Partyhostel, in dem mehr gefeiert als geschlafen wird. „Best hostel I’ve ever stayed at“ – rein da! Ein Gemeinschaftsraum oder eine Bar bieten immer die Möglichkeit, Leute kennen zu lernen. Auch kostenloser Internetzugang ist meist ein wichtiges Kriterium, da man ja zumindest ab und zu die Lieben zuhause darüber informieren möchte, dass man gerade die beste Zeit seines Lebens hat. Die meisten Hostels stellen Computer zu Verfügung; ein eigenes Netbook kann das Warten auf einen freien PC verkürzen – ich empfinde es jedoch als unnötigen Ballast und ein Ding mehr, auf das man ein Auge haben muss.Eine weitere Methode, ein gutes Hostel zu finden, ist der Blick in den Reiseführer. Ich bin ein Fan von „Lonely Planet“, aber „Dumont“ oder „Reise-KnowHow“ sind auch nicht zu verachten. Der Lonely Planet ist speziell für Backpacker konzipiert und deswegen so etwas wie die Bibel für alle Rucksackreisenden. Für Reiseführer sowie Reiselektüre gilt: ihr müsst hier keine ganze Bibliothek mitschleppen. In fast allen Hostels kann man Bücher tauschen. Das heißt, man gibt sein bereits gelesenes Buch ab und kann sich im Gegenzug ein neues Buch aussuchen, das wiederum davor von einem anderen Reisenden eingetauscht wurde. Am preisgünstigsten sind die Übernachtungen in Mehrbettzimmern. Der Bettenanzahl ist hierbei fast keine Grenze gesetzt. Ich habe in Zimmern mit einem bis hin dreißig anderen Menschen geschlafen, wobei es ganz auf das Hostel ankommt, inwiefern man sich in einem 30-BettZimmer wohl fühlen kann. Privatsphäre gibt es nicht, das Licht wird ständig mitten in der Nacht an- und ausgeschaltet, die Bettnachbarn schnarchen, stinken, haben Sex, kommen nachts
lauthals vom Feiern zurück oder aber sie sind einfach super nett. Wer die Wahl hat, sollte sich bei Stockbetten immer für das untere entscheiden! Da ist man näher bei seinen Sachen und muss nicht immer umständlich über eine fremde Person drüber klettern, wenn man mal nachts aufs Klo muss – allerdings ist man dann selbst die Person, über die drüber geklettert wird. In guten Hostels steht ein Spind zur Verfügung, in dem man Wertsachen und – im Optimalfall – den ganzen Rucksack verstauen kann. Also: Schloss nicht vergessen! Der größte Feind beim Backpacken ist sowieso das eigene Ich. Eine solche Reise ganz auf sich allein gestellt zu starten, kann schon einmal ein mulmiges Gefühl hervorrufen. Doch keine Sorge - alleine zu reisen bedeutet nicht gleich einsam zu sein. Eine weitere Eigenart am Backpacken: auch wenn man die Menschen erst ein paar Minuten kennt und diese aus allen erdenklichen Ecken und Enden der Welt kommen, herrscht ein Urvertrauen vor, das fast schon an Naivität grenzt. Alle sind in der gleichen Situation, viele reisen alleine, einige in Gruppen, aber alle haben eines gemeinsam: jeder will den Ort erkunden, an dem man gerade ist und jeder will dabei so viel Spaß wie möglich haben. Es entstehen die merkwürdigsten Freundschaften. Zack, angekommen, alle nötigen Informationen ausgetauscht „Where are you from? How long are you staying? Where do you want to go next? -, und schon gehts zum wichtigen Teil über: „Wanna grab a beer?”. Klar, natürlich, Bier schadet nie. Und dann verbringt man die verrückteste Nacht in der verrücktesten Stadt mit den verrücktesten Menschen. Man wird in einer Nacht zu seltsam engen Freunden, auch wenn man sich gerade einmal ein paar Stunden kennt und sich möglicherweise am nächsten Morgen nicht wieder sehen wird. Oder man sieht sich wieder und verbringt gleich Tage, Wochen, Monate miteinander, führt philosophische Gespräche, trifft auf Gemeinsamkeiten, die trotz verschiedener Kulturen bestehen, und schließt enge Bünde in den extremsten Extremsituationen… Und das Extremste: der Abschied. Und schon bin ich wieder alleine unterwegs, im Bus zum nächsten aufregenden Reiseziel, wo neue aufregende Menschen darauf warten, kennengelernt zu werden. Unterkunft: Hostelworld.com, Hostelbookers.com (keine Bearbeitungsgebühren), Couchsurfing.com, Hotwire.com, trivago.de Flug: Idealo.flug.de, Billigflieger.de, Flugsupermarkt.de, Statravel.de, Urlaubspiraten.de, Opodo.de, Expedia.com Packen: Reisewaschmittel, „lebensnotwendige“ Kosmetika, Sonnencremes und Tampons - sind gerade im asiatischen Raum meist sündhaft teuer oder erst gar nicht zu bekommen, duschfeste Flip-Flops, ein Paar feste Schuhe (auf dem Flug anziehen), leichte Kleidung (lieber weniger und vor Ort welche kaufen), Moskitonetz und –spray, Reiseapotheke, Travel Towels, Taschenmesser, Ohropax und Schlafmaske, (Zahlen-)Schloss, aufblasbares Nackenkissen für lange Busfahrten, Reiselektüre/Reiseführer, MP3-Player, kleine Bauchtausche Wichtige Dokumente: Reisepass, Kreditkarte (mit der Visa von comdirect kann man weltweit kostenfrei Geld abheben), Auslandskrankenversicherung, Flugtickets, Impfpass alles kopieren und Kopien zuhause hinterlegen Filmtipp: „A Map for Saturday“ – Dokumentation über einen Backpacker, der auf seiner einjährigen Weltreise mit seiner Videokamera Menschen, Orte und Emotionen eindrucksvoll festhält.
Text: Katherine Rydlink Foto: Galyna Andrushko
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Feuilleton
r e h c e r p s t u a L Noel Gallagher ist nicht gerade dafür bekannt, mit Lob um sich zu werfen, zumindest, wenn es nicht gerade um seine eigene Musik geht. Wenn man also gebeten wird, das ehemalige Oasis-Mitglied auf der Welt-Tournee seines neuen Projekts Noel Gallagher‘s High Flying Birds zu begleiten und den Abend zu eröffnen, ist das schon etwas Besonderes. Wenn man dazu gerade einmal 19 Jahre jung ist und noch nicht einmal sein erstes Album veröffentlicht hat, kommt das schon fast einem Ritterschlag gleich. So geschehen im vergangenen Jahr für Jake Bugg aus dem britischen Städtchen Clifton. Der Newcomer darf inzwischen auch Lily Allen und Coldplay zu seinen prominenten Fans zählen. Kein Wunder also, dass sich die britische Musikpresse begeistert auf ihn stürzt. Musikalisch bietet Bugg vor allem klassisches SingerSongwritertum, gemischt mit Folk und einem Schlag Britpop. Der Einfluss Bob Dylans, dem Bugg auch stimmlich ähnelt, kann kaum geleugnet werden. Besonders „Lightning Bolt“ mit seinem einprägsamen Gitarrenriff, oder auch „Fire“, ein Song, den man schon nahezu als Countryballade bezeichnen kann, lassen eine Vorliebe für den Sound der frühen 60er Jahre erkennen. Anderswo zeigt sich, dass Jake Bugg - wie die meisten Jungs in England - mit Oasis und Co aufgewachsen ist. Vor allem die Single „Two Fingers“ weist deutliche Britpop-Referenzen auf und hat mit ihrem eingängigen Refrain wohl das größte Hit-Potenzial. In Großbritannien schaffte es Jake Bugg mit seinem gleichnamigen Album bereits auf Platz 1 der Charts, in Deutschland erscheint die Platte Ende Januar. Am 12. März kommt der Brite auch für ein Konzert nach Hamburg; dann wird sich zeigen, ob der neue Liebling der Engländer auch hierzulande überzeugen kann. Weitere Infos: http://www.jakebugg.com/
Jake Bugg:
Mit den Eltern in einer Band zu spielen ist wahrscheinlich nicht der coolste Weg, eine Musikkarriere zu starten. Für die Schwestern Este, Danielle und Alana aus dem amerikanischen San Fernando Valley war die Familienband „Rockinhaim“ aber sozusagen das Sprungbrett in die eigene Musik. Seit 2009 stehen die drei Kalifornierinnen nun bereits ganz ohne elterliche Aufsicht als Haim auf der Bühne. Trotzdem haben die 19- bis 24-Jährigen ihren musikalischen Background nicht vergessen. So nennen sie auf ihrer Facebook-Seite Mama und Papa Haim als Einflüsse, und auch ihre Musik ist deutlich geprägt vom Aufwachsen mit den Classic Rockbegeisterten Eltern und deren Lieblingsbands, wie den Rolling Stones, den Beatles oder Fleetwood Mac. Hinzu kommt Inspiration aus dem R‘n‘B der 90er Jahre, vor allem von Girlgroups wie TLC oder En Vogue, so dass eine ganz individuelle Mischung aus Folk und R‘n‘B entsteht, die den Sound von Haim so besonders macht. Zu hören ist dies auf der ersten EP der Band, die im vergangenen Jahr erschien. Das Titelstück „Forever“ oder die aktuelle Single „Don‘t Save Me“ zeigen Haims Talent für Songs, die an einen Sommertag in Kalifornien erinnern und vor allem beweisen, dass an den Hip-Hop angelehnte Beats und akustische Gitarren sehr gut zusammenpassen können. Das haben unlängst auch andere erkannt. So durften Haim die momentanen Lieblings-Folker Mumford & Sons auf ihrer US-Tour sowie Florence and the Machine auf ihren Konzerten in Großbritannien supporten. So viel Zuspruch weckt natürlich auch das Interesse der Kritiker, die Haim bereits als eine der Newomer-Bands dieses Jahres sehen. So wurde die Band kürzlich auf den ersten Platz der „Sound of 2013“-Liste der BBC gewählt, mit der alljährlich die vielversprechendsten neuen Künstler gekürt werden und zu deren Gewinnern in der Vergangenheit unter anderem Adele und 50 Cent gehörten. Der ganz große Durchbruch für Haim könnte also kurz bevorstehen, das erste Album der Schwestern soll noch Anfang des Jahres erscheinen und danach wird man sehen, wie ihr Weg weitergeht. Mama und Papa Haim werden aber mit Sicherheit jetzt schon stolz auf ihre Töchter sein. Weiter Infos: http://www.haimtheband.com/
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Feuilleton
„Tumblr Glitch Pop“, „Soul Fuzz“ und „Electroshock“ - so kreativ, wenn auch ein wenig undurchsichtig, beschreiben MS MR ihre Musik auf Facebook. Artikel über die Band werfen mit Adjektiven wie „geheimnisvoll“ und „mysteriös“ um sich, was vor allem daran liegt, dass MS MR seit ihrer Gründung vor knapp eineinhalb Jahren nur wenig über sich preisgegeben haben. 2012 veröffentlichte die Band ihre erste EP mit dem Titel „Candy Bar Creep Show“ und vier Songs, die sich wohl am ehesten als elektronisch unterlegter, melancholisch düsterer Pop à la Lykke Li oder The xx bezeichnen lassen. Vor allem die erste Single „Hurricane“ sorgte für Furore in der Netzwelt und wurde sogar als Untermalung für eine Folge der amerikanischen TV-Show Gossip Girl genutzt. Diese Aufmerksamkeit führt natürlich dazu, dass auch die Band das ein oder andere Interview geben musste. So konnte man inzwischen immerhin erfahren, dass MS MR aus New York kommen und das gemeinsame Projekt von Lizzie Plapinger (die „Miss“ in MS MR und verantwortlich für den Gesang) und Max Hershenow (der „Mister“ der Band und zuständig für die Musik) ist, die sich noch aus ihrer Collegezeit kennen. Lizzie leitet nebenbei auch noch das Plattenlabel Neon Gold Records, das unter anderem die Musik von Künstlern wie Marina & the Diamonds, Passion Pit oder Ellie Goulding veröffentlicht. Die Geheimniskrämerei erklärt das Duo damit, dass nichts von der Musik ablenken sollte; verständlich, wenn man MS MR zuhört. Denn die vier bisher veröffentlichten Songs sind trotz der eher dunklen Lyrics sehr tanzbar, was vor allem an der Kombination aus Lizzies klarer, aber kräftiger Stimme und dem elektronischen Sound aus den Händen von Max liegt. In diesem Jahr erscheint das Debütalbum der New Yorker, produziert von den kreativen Köpfen hinter den Platten von Amy Winehouse und Adele. Ob der Erfolg dadurch vorprogrammiert ist? Abwarten. So wie es aussieht, ist es aber durchaus möglich, dass MS MR bald deutlich öfter im Rampenlicht stehen, als den öffentlichkeitsscheuen Bandmitgliedern vielleicht lieb ist. Weitere Infos: http://www.msmrsounds.com/
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Text: Kira Kettner Foto: Universal Music (Bugg), Bella Lieberberg (Haim)
Die Finsteren kommen!
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iele träumen davon, ihre Gedanken, in Worte geformt und auf mindestens 300 Seiten gedruckt, in den Regalen eines Buchladens zu finden. Mit einem Cover, auf dem der eigene Name prangt und einem Klappentext, in dem die Feuilletonisten bekannter Zeitungen das Werk dem Käufer wärmstens empfehlen. An Fantasie und Lust am Schreiben mangelt es selten. Den Mut, seine Geschichte auszuformulieren und das Ganze einem Verlag zu schicken, haben allerdings nicht viele. Mirco Motzkus, Student an der Uni Bremen, hat dieses Jahr sein erstes eigenes Buch veröffentlicht. Das „Fünf-Seelen-Schwert“, ein zweiteiliger Fantasy-Roman, steht seit Juli in den virtuellen Regalen sowie den Buchläden in Bremen. Es geht um die „Finsteren“, die das Dorf des Romanhelden Flavius angreifen und gegen die er mitsamt seiner Freunde in die Schlacht um das Fünf-Seelen-Schwert zieht. Die ersten Kundenrezensionen bei Amazon ließen nicht lange auf sich warten: „Das war ein aufregendes Gefühl“, berichtet Mirco. Ob die eigene Gedankenwelt auch andere in den Bann ziehen und mitreißen kann, ist schwer vorhersehbar. Umso besser ist es da, dass Mirco sich nicht auf die gängigen Fabelwesen der Fantasy-Welt verlassen hat. Für sein Erstlingswerk hat er eine eigene Spezies ins Leben
gerufen: Die „Finsteren“. Bei der Suche nach einem Verleger bewies Mirco dann die nötige Ausdauer: 50 Verlage schrieb er an, ehe sein Manuskript sich behaupten konnte. „Der AAVAA-Verlag ist zwar klein, aber sie machen viel Werbung für mich und ich bin froh, die Chance bekommen zu haben, mein Buch kostenfrei zu veröffentlichen“, so Autor Mirco. Seit dem Sommer ist Mirco auf Lesereise in Bremen und dem Umland. Am 13.Dezember 2012 wird er sein Buch im Café Erlesenes in Bremen Vegesack vorstellen. Mirco Motzkus: „Das Fünf-Seelen-Schwert“ (AAVAA-Verlag, EUR 11,95). Band 1 und 2 sind als Buch und e-book erhältlich u.a. beim Verlag unter www.aavaa.de, bei Amazon und Thalia.de und in einigen Buchhandlungen in Bremen. Text: Jessica Heidhoff Buchcover: Mirco Motzkus
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