15. Ausgabe, Februar 2015
Bremens freies Unimagazin
„Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen.“ Viele Wege führen nach Rom Studienabbruch und Alternativen
Too big to fail!
Kürzungen
Kultur des Scheiterns
Warum die Bremer Bildungspolitik scheitern könnte
Inhalt
Editorial
Kurzmeldungen Hochschulpolitik
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SR – AS – AStA AStA-Druckerei – vorbei? StugA – Party oder Engagement Affenforschung – Das Urteil ist gefällt Kürzungspläne – Protest und Debatte Campusdebatte: Die Kürzungspläne
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Proteste gegen die Kürzungen
Campusleben Wissenschaft als Beruf Studienabbruch und Alternativen Study trip from Dalian to Bremen Bachelor of Life: Auf der Karriereleiter Studenten ohne Ende Test – Welcher Party-Typ bist du?
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Alternativen zum Studium
Bremen
Drei Dinge in Bremen Ein Spaziergang auf der Pappelstraße Willkommenskultur in Bremen Car-Sharing – Ein Auto für alle Fälle Zwischen Ausbildung und Studium
Feuilleton
36 „And the Oscar goes to ...“
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es war einmal ein kleines Mädchen, das fuhr mit seinen Eltern in den Ski-Urlaub. Am letzten Urlaubstag machte sie bei einem Ski-Rennen mit und gewann. Als der hocherfreute Vater seiner Tochter zum ersten Platz gratulierte, fragte das Mädchen: „Papa, ist es denn gut, Erste zu werden?“ Ja, ist es denn gut, Erste zu werden? Und ist es denn schlimm, mal Zweite, Dritte oder Letzte zu werden? Scheitern gehört zu unserem Leben mindestens ebenso dazu wie der Erfolg, nur lassen wir uns das ungern anmerken. In unserem Artikel „Too big to fail“ wirft unser Autor einen kritischen Blick auf unser Verhältnis zum Scheitern und guckt über den Tellerrand, wie in anderen Ländern gescheitert wird. Wenn eine Tür zufällt, öffnet sich woanders eine Neue. Ein Studienabbruch, eigentlich ein Klassiker des Scheiterns, kann ebenso die Chance sein, nochmal neu und besser anzufangen. „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ heißt unser Artikel, der sich dem Studienabbruch mutig nähert.
Und vielleicht entdeckt man im neuen Studium so viel Begeisterung, dass man sich sogar eine Karriere in der Wissenschaft vorstellen kann. Über befristete Verträge, Drittmittel und spannendes Forschen haben wir uns mit Dr. Laura Seelkopf unterhalten. Die Arbeit als Wissenschaftler*in verliert angesichts der aktuellen Kürzungspläne an unserer Uni immer mehr ihren Glanz. Die Uni gibt zu viel Geld aus und scheitert am Sparen. So der Senat, der vom Akademischen Senat fordert, die Kürzungen endlich zu beschließen. Vielleicht ist es aber auch die Politik, die von Bildung und Innovationen redet und daran scheitert, ausreichend Geld für ebendiese bereitzustellen? Argumente zu den Kürzungen an unsere Uni gibt es auf beiden Seiten und die wollen wir euch nicht vorenthalten. Viel Spaß beim Lesen und erfolgreiches Scheitern wünschen euch,
„And the Oscar goes to ...“ 36 Too big to fail – Kultur des Scheiterns 38 Das Tor zur Welt – Sprachen lernen 40 Lesetipps 42 Lautsprecher 43
Impressum
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Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen!
Lina Schwatz
Yannik Roscher
Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus, unter scheinwerfer@uni-bremen.de oder auf der Facebook-Seite: https://www.facebook.com/scheinwerfer.bremen 3
Kurzmeldungen
Kurzmeldungen
Kurzmeldungen
Kurzmeldungen Bibcard ist auf dem Weg
Studierendenrat bleibt online Der SR wird weiterhin auf Facebook aktiv sein. Ursprünglich hatte das Mitte des vergangenen Jahres neu gewählte Präsidium auf die weitere Verwendung des Accounts verzichten wollen. Die zentrale Begründung: Man wolle keine fragwürdige Unternehmens-ideologie mittragen. Die Hochschulpiraten (Hopis) forderten die dreiköpfige Gremienleitung aber per Antrag dazu auf, das Portal weiterhin zu nutzen. Eine Mehrheit stimmte dafür. In der Diskussion wurde wiederholt auf das niedrigschwellige Angebot hingewiesen, das auf diese Weise möglich sei. Die Opposition kritisierte das Präsidium auch dafür, alternativ bloß an der bisherigen Plattform festhalten zu wollen: Einem wikipediaähnlichen Portal, auf dem Beschlüsse und viele andere Informationen aus der Bremer Hochschulpolitik zu finden sind. Einigkeit herrschte hingegen durchhaus in der grundsätzlichen Kritik am Konzern aus Kalifornien. Die Befürwortenden des Hopi-Antrages sahen aber keine Alternative dazu. Darüber hinaus müsse das Präsidium bloß als Institution präsent sein, eine persönliche Anmeldung könne man umgehen. Obwohl das nicht unbedingt ohne Umwege möglich ist, stimmten neun von siebzehn anwesenden Stimmberechtigten dem Antrag zu. Wiki: sr.uni-bremen.de Facebook: facebook.com/SRUniBremen
Quelle: https://de-de.facebook.com/SRUniBremen
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Die studentische Bibcard ist ihrer Einführung ein stückweit näher gekommen. Das Konzept der neuen Karte sieht es vor, allen Studierenden die Beantragung einer kostenfreien Bibliothekskarte zu ermöglichen. Seit der letzten Sitzung vom 17. Dezember 2014 steht fest, wie der Vertrag aussehen soll, auf den Stadtbibliothek, Studentenwerk und die Studierendenvertretungen mehrerer Bremer Hochschulen sich geeinigt haben. Der Vertragsabschluss dürfte damit greifbar sein. Zuletzt wurde darum gestritten, dass die Studierenden in den kommenden Jahren keine unvorhergesehenen Preiserhöhungen befürchten müssen. Der Plan sieht nun nämlich vor, das Angebot unter anderem aus den Studierendenbeiträgen zu finanzieren. Dementsprechend zurückhaltend gingen die studentischen Vertreterinnen und Vertreter in die Verhandlungen
Preise für Informatik und Integration Doppelte Ehrung: Gleich zwei hochrangige Mitglieder der Uni Bremen wurden im Januar für ihre Leistungen geehrt. Professorin Yasemin Karakaşoğlu, Konrektorin für Interkulturalität und Internationalität an der Universität Bremen, erhielt für ihr langjähriges Engagement im interkulturellen Bereich eine Ehrenurkunde beim Neujahrsempfang des Zentrums für Migranten und interkulturelle Studien e. V. in Bremen. Über die Grenzen der Universität hinaus hat sich Karakaşoğlu einen Namen in Wissenschaft und Politikberatung gemacht. Zur vergangenen Bundestagswahl berief sie der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück in sein damaliges Kompetenzteam und betraute sie mit dem Bereich der Wissenschafts- und Bildungspolitik. Erst im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Deutschen Dialogpreis ausgezeichnet. Für den Bremer Informativprofessor Rolf Drechsler gab es indes die Auszeichnung des „IEEE Fellow“. Bei dieser Auszeichnung handelt es sich um einen besonderen Mitgliederstatus und den höchsten Grad, den ein Mitglied des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) erhalten kann. Die Ehre für Professor Drechsler ergibt sich als Anerkennung „for contributions to test and verification of electronic circuits“. Der weltweit größte Berufsverband von Ingenieurinnen und Ingenieuren der Elektrotechnik und Informatik verleiht diese Würde bloß verhältnismäßig selten. Pro Jahr dürfen nur so viele Personen ausgewählt werden, dass ihre Gesamtzahl nicht 0,1% der stimmberechtigen Mitglieder übersteigt.
In eigener Sache: Der Scheinwerfer sucht Euch! Ihr seid offen, interessiert und arbeitet Euch gern in die verschiedensten Themen ein? Ihr habt Euch schon immer gefragt, ob Journalismus etwas für Euch wäre, und vermittelt Euren Mitmenschen gern ein Bild von Dingen, die sie bisher noch gar nicht kannten? Habt Ihr Spaß daran, auf andere Leute zuzugehen, bringt spannende Fragen mit und habt Lust, die Öffentlichkeit an tollen Interviews teilhaben zu lassen? Oder ist die Kamera Eure stete Begleiterin? Seid Ihr gar Cracks im Layouten? Wenn Ihr auch nur eine der Fragen mit Ja beantwortet, dann schaut bei uns vorbei! Wir treffen uns regelmäßig und wollen eine Plattform sein, auf der Ihr Euch ausprobieren könnt. Ganz gleich, ob es Euch in die uni-politische Berichterstattung oder das Leben von Studierenden zieht, oder ob Ihr Euch für das Stadtleben in Bremen oder für Kunst, Kultur und Buntes interessiert: Bei uns habt Ihr die Möglichkeit, direkt einzusteigen und von Anfang an mitzumachen. Wir freuen uns auf neue Interessierte! Kontakt: https://de-de.facebook.com/scheinwerfer.bremen scheinwerfer@uni-bremen.de
Post it on Facebook! Ihr kennt eine sehenswerte Ausstellung, wisst wo die beste Party steigt oder ein schönes Konzert stattfindet, und möchtet es gerne mit anderen teilen? Dann schreibt es uns doch und wir posten es dann für euch auf Facebook. Entweder ihr meldet euch direkt über unsere Facebookseite, oder ihr schickt euren Tipp an: werberessort.scheinwerfer@gmail.com
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Kurzmeldungen Hochschulpolitik
Hochschulpolitik
Studierendenrat (SR)
Die Gremien der studentischen Selbstverwaltung
In seiner Verpflichtung, den Studierenden das hochschulpolitische Geschehen der Univerität Bremen näher zu bringen, stellt der Scheinwerfer Euch hier die höchsten Gremien der studentischen Selbtverwaltung vor.
Studierendenrat (SR)
Akademischer Senat (AS)
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er Studierendenrat (SR) wird alljährlich gewählt und ist das höchste ständige beschlussfähige Organ der Studierendenschaft. Wahlberechtigt sind alle Studierenden der Universität Bremen. Im Fokus des SR stehen die Wahl und Kontrolle des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), und der Beschluss von Richtlinien und Vorgaben für den AStA.
m AS werden zentrale Entscheidungen getroffen, die die gesamte Universität betreffen. Hierzu zählen vor allem die Entscheidungen bezüglich der Mittelzuweisungen und -beschaffung, des Hochschulentwicklungsplans und die Wahl des Rektors beziehungsweise der Rektorin. Aktuell ist dies Professor Doktor-Ingenieur Bernd Scholz-Reiter, der während der Sitzungen auch den Vorsitz inne hat. Des Weiteren wird hierin beispielsweise auch darüber entschieden, ob bestimmte Studiengänge aufgelöst oder finanziell beschnitten werden. Nicht zuletzt beschließt der AS auch über die Grundordnung und nimmt den jährlichen Rechenschaftsbericht des Rektorats entgegen. Somit sind viele der getroffenen AS-Entscheidungen für uns Studierende unmittelbar bemerkbar. Darum sind in diesem Gremium auch Vertreter der Studierendenschaft repräsentiert, jedoch lediglich mit vier von 22 Plätzen. Insgesamt setzt sich der AS nun wie folgt zusammen: - 7 Professoren & Professorinnen - 5 Dekane & Dekaninnen - 4 Akademische Mitarbeiter & Mitarbeiterinnen - 4 Studierende (AfA, CG, LiSA, PARTEI) - 2 Sonstige Mitarbeiter & Mitarbeiterinnen
Im SR sind derzeit zwölf Listen vertreten. Die 25 zu besetzenden SR-Plätze sind wie folgt verteilt: AStA für Alle 5 Basisdemokratische Linke 1 Campusgrün 3 Die PARTEI 4 Liste der StudiengangsAktiven 2 Hochschulpiraten 2 Queer-Feministische Liste 1 Ring Christlich Demokratischer Studenten 3 Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband 1 Studierendenzusammenschluss der Rechtswissenschaften 1 Vielfalt im Studierendenausschuss 1 Wok & Pfanne 1
Mehr Informationen unter: http://www.uni-bremen.de/as
Mehr Informationen unter: http://sr.uni-bremen.de
Morgens im AS…
Abends im SR… (Die regelmäßige Kurzkolumne)
Wer nicht an den SR-Sitzungen teilnimmt, verpasst die recht vergnügliche Atmosphäre, die dort mitunter herrscht. Wobei die studentische Vertretung eigentlich nicht herrscht. Sie verwaltet. So verwundert es möglicherweise nicht, wenn die unfreiwillige Komik des Augenblicks dort fast immer auch etwas von Amtsstube hat. Das führt dann teilweise zu so spannenden Dialogen wie dem folgenden: „Wir beschließen jetzt diesen Satz.“ „Nur den Satz?“ „Nein, den Satz samt Inhalt!“ So zugetragen und so beschlossen. Verstehe, wer will, dass da von inhaltsleerer Politik die Rede ist. Vielleicht ist es richtiger, vom hermeneutischen Dialog zu sprechen: Erst der bloße Satz, dann der überarbeitete Inhalt, dann vielleicht irgendwann der Beschluss. Nach der nächsten Wahl geht das Ganze natürlich von Neuem los.
Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA)
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er AStA vertritt die Studierendenschaft. Er führt ihre Geschäfte im Rahmen des Haushaltsplans in eigener Verantwortung. Weiterhin verwaltet er die Mittel der Studierendenschaft und stellt die Funktionsfähigkeit ihrer Organe sicher.
Referate Antidiskriminierung (QFL) Sprechzeiten: Montags, 12.00 - 13.00 Uhr (StH A2045) Kontakt: antidiskriminierung@asta.uni-bremen.de Gewerkschaft und Universität (SDS) Sprechzeiten: Mittwochs, 12.00 - 14.00 Uhr (StH A2120) Kontakt: gewerkschaft@asta.uni-bremen.de Hochschulpolitik (LiSA) Sprechzeiten: Montags, 12.00 - 16.00 Uhr (StH A2110) Kontakt: hopo@asta.uni-bremen.de Kritische Wissenschaft (BaLi) Kontakt: kriwi@asta.uni-bremen.de
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(Die regelmäßige Kurzkolumne)
Studium & Lehre (QFL) Kontakt: studium@asta-uni-bremen.de
Wo noch Rechtssatz und Ordnung herrschen, hat das Kabarett wenig zu melden, wenn ein Ereignis bereits selbst zum bloßen Theater wird. Derlei ist am 17. Dezember geschehen, als der AS vom Protest blockiert wurde. Dort hätte es eigentlich zum Gespräch über geplante Kürzungen oder zu deren bejubelnder Empfängnis kommen sollen. Vorweihnachtliche Freuden. Tatsächlich nahmen aber Studierende den Raum in Beschlag. Und weil Recht und Formalität es so wollen, fiel die Sitzung damit ins Wasser. Ein anderer Raum? Unmöglich, da nicht satzungskonform. Eine Sitzung zu späterer Stunde? Die Satzung: Es fehlt dann die ordnungsgemäße Einladung. Kein Wenn. Kein Aber. Da ist die Bürokratie doch gut und hilfreich gewesen: Formalitäten als Werkzeug der Revolte.
Das Referat „Recht, Gesellschaft & Universität“ (StuZuJura) ist vorübergehend über asta@uni-bremen.de zu erreichen.
Text: Zusammengestellt von Björn Knutzen & Yannik Roscher Grafik: Katrin Pleus, Quelle AStA Uni Bremen
Politische Bildung & Soziales (CG) Sprechzeiten: Montags, 12.00 - 16.00 Uhr (StH A2120) Kontakt: pol.bildung@asta.uni-bremen.de / soziales@asta.unibremen.de Kultur und Sport (LiSA) Kontakt: kultur@asta.uni-bremen.de Befreiungsfragen & Soziale Bewegungen (listenlos) Sprechzeiten: Montags, 12.00 - 16.00 Uhr (StH A2120) Kontakt: befreiung@asta.uni-bremen.de
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Hochschulpolitik
Hochschulpolitik
AStA-Druckerei - vorbei? Aufgrund eines Beschlusses des Studierendenrates aus dem vergangenen Jahr steht die weitere Existenz der AStA-Druckerei in Frage. Doch wieso soll sie geschlossen werden und welche Konsequenzen könnten sich hieraus ergeben?
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ie Uni ist gelebte Information. Plakate, Flyer und Broschüren verkünden ihre Inhalte überall und jederzeit im universitären Leben der Studierenden. Jeder und jede von uns kennt die vollgeklebten Mauern, Pfosten, Wände, die von Flyern überbordenden Mensa-Tische, die in der Glashalle ausgeteilten Aufrufe zur nächsten Demo. Doch herrscht an diesen Orten des studentischen Lebens bald Leere? Diese Sorge haben einige, wenn es um eine mögliche Schließung der Druckerei des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) geht. Denn wo soll denn sonst gedruckt werden? Und was heißt hier überhaupt Schließung?! Ins Rollen gebracht hat die erneute Diskussion über die AStADruckerei ein im Studierendenrat (SR) angenommener Antrag der Hochschulpiraten (Hopis) aus dem vergangenen Jahr. In diesem heißt es, dass der AStA bis zur nächsten Sitzung des SRs ein neues Konzept für die AStA-Druckerei vorstellen möge. Geschehe dies nicht oder findet der Minderheits-AStA keine Mehrheit, so werde die Druckerei automatisch und unverzüglich geschlossen. Mittlerweile hat der AStA zwar Zeit bis zur Sitzung im Februar, jedoch ändert dies nichts an der Brisanz dieses Antrages. Gerade auch im Hinblick auf einen Minderheits-AStA, der auf die Unterstützung anderer Listen angewiesen ist, scheint es von zentraler Bedeutung, wie argumentativ fundiert sich die Neukonzipierung gestaltet. Um diese Neugestaltung auf den Weg zu bringen, hat der AStA eine eigene Arbeitsgemeinschaft (AG) hierzu gegründet. Auf Nachfrage des ScheinWerfers hat diese jedoch noch nichts erarbeitet – geschweige denn sich zum ersten Mal getroffen. Daher bleibt noch vollkommen offen, wie sich die eingesetzte AG eine neue Konzipierung vorstellt und ob damit eine mögliche Schließung verhindert werden kann. Die AStA-Druckerei – für wen eigentlich? Laut eigener Darstellung steht die Druckerei allen Studierenden offen und hilft beim Druck vom Flugblatt, von Broschüre und A3 Plakat – doch genau dies stellen die Hopis in Frage. Sie bezweifeln, dass alle Studierenden Nutznießer und Nutznießerinnen von einer eigenen, dem AStA zugehörigen Druckerei seien. So nutzen diese lediglich ein paar Stugen, ein bis zwei Listen und der AStA selbst. Auch deswegen wohl stellen sie des Weiteren die Finanzierung in den Vordergrund. Demnach sei die Druckerei, wie auch der jährliche Wirtschaftsprüfbericht feststelle, aus rein finanzieller Sicht unnötig. Deshalb gebe es berechtigte Zweifel daran, ob sich diese Einrichtung aus finanziellen Gründen überhaupt lohne, und wenn man sie weiterhin betriebe – für wen eigentlich? Auch wird im Antrag darauf verwiesen, dass es deutlich kostengünstigere Angebote gebe, die vom AStA, Stugen und Studierenden genutzt werden könnten. Es ist davon auszugehen, dass der AStA diesen Punkten wider8
Party oder Engagement Was woanders Fachschaft genannt wird, heißt in Bremen meistens StugA. Über die genaue Bedeutung der Abkürzung herrscht Uneinigkeit. Und mitunter gibt es kritische Töne.
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rüher haben schon einmal zu Türmen gestapelte Bierkästen in Uni-Räumen gestanden. Auch hat es schon Platzreservierungen für einen Bierwagen mitten auf dem Campus gegeben, bis dann mittlerweile zur Weihnachtsfeier doch lieber Kinderpunsch ausgeschenkt wird. Seit jüngster Vergangenheit sind die so genannten Stugen mitunter auch negativ beleumundet. Doch dies bei Weitem nicht immer zu Recht. Viele wissen nicht einmal so ganz genau, was sich hinter einem StugA verbirgt. Zumindest wer die Orientierungswoche (O-Woche) des eigenen Studiengangs mitgemacht hat, weiß um die Existenz einer oftmals losen Gruppe von Studierenden, die als StugA bezeichnet wird. Dieser unterstützt, informiert und organisiert. So weit, so klar. Die Abkürzung StugA steht im allgemeinen Sprachgebrauch für Studiengangsaktive oder für Studiengangsausschuss. Formal korrekt ist nur letzteres. So ist es in der Grundordnung der verfassten Studierendenschaft geregelt. Dort sind auch die weiteren Bestimmungen beschrieben: Ein StugA muss aus mindestens drei Mitgliedern eines Studienganges bestehen und es braucht wenigstens eine, von einer einmal jährlich einzuberufenden Vollversammlung (VV) gewählte Person, die sich um die Finanzen kümmert. Ansonsten gibt es kein Geld. Viel mehr gilt es allerdings nicht zu beachten und so ist auch die Namensfrage eine zwar formal geregelte, im Alltag aber häufig unbedeutende. Gemeinschaft und Service
spricht – gerade auch bezüglich der Nutzung durch die Studierenden. Jedoch waren weder der AStA-Druckereibeauftragte Martin Fiebelkorn noch der AStA selbst zu einem Statement hierzu bereit. Dies könnte aber auch an einer bisher nicht umgesetzten AG liegen, welche sich bislang noch nicht ausreichend mit dieser Thematik befasst hat und somit noch keine Antworten zu den Punkten Finanzierung und Nutzung geben kann. Am Ende stellen sich Fragen für alle Listen im SR, deren Beantwortung wohl über die Zukunft der AStA-Druckerei entscheidet. Muss diese universitäre Einrichtung überhaupt wirtschaftlich sein? Welche Nutznießer und Nutznießerinnen hätte das? Wenn nicht die gesamte Studierendenschaft hiervon profitiert, wie legitimiert sie sich aber sonst überhaupt? Es bleibt hierbei nur zu hoffen, dass mit einer Neukonzipierung alle diese Fragen argumentativ und plausibel beantwortet werden können. Denn eines will sicherlich niemand: Dass die Uni ihren lebendigen, informativen Charakter verliert.
Text: Yannik Roscher Bild: Ulrike Bausch
Ein StugA ist eine Einheit der Selbstverwaltung. Weniger bürokratisch ausgedrückt, können sich dort alle Studierenden einbringen, die Lust darauf haben, sich für den eigenen Studiengang zu engagieren. Dabei geht es nicht bloß um Partys, auch wenn das durchaus eine Rolle spielt. Und es kann ohne Weiteres darauf hingewiesen werden, dass es auch Stugen gibt, die im gesamtuniversitären Raum den Anschein erwecken, als sei ihre einzige Existenzberechtigung tatsächlich die traditionelle Semestersause. Ein großes Thema für die Stugen ist die alljährliche O-Woche. Zu dieser Zeit werden die jeweiligen Erstsemester begrüßt und ins universitäre Leben eingeführt. Dazu gehören auch Stadtrundgänge und Kneipenabende. Viele Stugen nehmen jedoch auch einen enormen Arbeitsaufwand auf sich, allen Neuen möglichst gut zu erklären, wie die Uni funktioniert. Dazu gehören Hinweise zu ZPA und PABO, Erläuterungen, wie genau mit Stud.IP zu arbeiten ist und wie der kompliziert erklärte Studienverlaufsplan eigentlich in Einfach übersetzt werden kann. Und weil man im Studium selten allein bleibt, sind die Stadtrundgänge und Kneipenabende am Ende auch ein Teil der studentischen Soziokultur. Mitbestimmung und Selbstverwaltung Die Möglichkeiten eines StugAs beschränken sich aber nicht allein auf Dienstleistungen. Meistens rekrutieren sich aus seinen Reihen auch die studentischen Gremienvertretungen des Instituts- und Fachbereichsrats. Insbesondere wenn Leute schon län-
ger dabei sind, bietet das eine gute Grundlage für innerfachliche Gespräche und gemeinsame Problemlösungen mit den Institutsangehörigen. Davon abgesehen verfügen alle Stugen insgesamt über 15 Prozent der Studierendenschaftsbeiträge – das sind derzeit 76.600 Euro, zu denen weitere 27.000 Euro für die Stugenkonferenz kommen. Davon lassen sich alltägliche Arbeitsmaterialien finanzieren, aber auch Fahrten von Studierenden zu Tagungen und Seminaren. Vorurteile und reale Probleme Ein problematischer Bereich ist das Werben um neue Engagierte. Zwar ist es wohl in einigen Fachbereichen möglich, CPs für die StugA-Arbeit zu erhalten, doch trotzdem wollen viele ihre ohnehin knappe Zeit nicht damit verbringen. Natürlich gibt es auch genügend Studierende, denen ihre Mitstudierenden und auch das Studium über den eigenen Horizont hinaus egal sind. Doch das ist sicher nicht der einzige Grund für die Schwierigkeiten. Häufig fehlt die Information, wozu ein StugA überhaupt gut ist. Andere denken nicht daran, dass auch solches Engagement sich gut im Lebenslauf machen kann. Das ist natürlich nicht die edelste Motivation. So lange sich die Menschen aber einbringen und die Sache einigermaßen ernst nehmen, ist es vielleicht in Ordnung, den eigenen Lebenslauf damit schmücken zu wollen. Wieder andere Stugen kämpfen mit einem Nerd-Image oder dem Nimbus der abgeschlossenen Clique. Es gibt auch Probleme ganz anderer Art. In der jüngsten OWoche soll es Fälle gegeben haben, in denen sich Studierende dazu genötigt fühlten, Alkohol zu konsumieren. Außerdem kam es wohl zu so genannten Kleiderketten-Spielen. Hierbei geht es darum, möglichst viel Kleidung ablegen, um die jeweils längste Kleiderkette zu erreichen. Dass es dabei unter anderem auch zu sexuellen Belästigungen gekommen sein soll, macht es nicht besser. Dass viele Stugen mittlerweile längst über solche Probleme diskutieren, zeigt aber, dass die Selbstverwaltung funktioniert. Die genannten Probleme stehen eben nicht für den StugA an sich. Das sind menschliche Verfehlungen, die kritikabel sind, aber keinesfalls die wichtige Funktion von Stugen an sich infrage stellen. Und es gilt sowieso, dass alle Interessierten sich engagieren und es besser machen können. Wen kümmert es da, ob es StugA oder Fachschaft genannt wird? Text: Björn Knutzen Grafik: Wordle.net
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Hochschulpolitik
Hochschulpolitik
Das Urteil ist gefällt Auch in Zukunft wird trotz großer Kritik an der Universität Bremen weiter an Makaken-Affen geforscht. Schon seit Jahren geht es um einen Streit zwischen der Bremer Bevölkerung und der Forschungfreiheit. Tierschutz gegen Forschungsfreiheit.
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eit 2008 befindet sich die Universität im Rechtsstreit um den Fortgang der Forschung an Makaken (der ScheinWerfer berichtete). Dieser hat nun im Februar 2014 ein Ende erreicht; das Gerichtsurteil nach einem jahrelangen Rechtsstreit ist eindeutig. Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) Leipzig befindet die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bremen, dass diese Forschung legal ist, für rechtskräftig. Die Tierversuche dürfen weitergeführt werden. Grund des Rechtsstreits ist die Forschung an Rhesusaffen, einer Art der Makaken, zu Mechanismen des Gehirns durch Prof. Dr. Andreas Kreiter. Als Neurobiologe und Professor für Zoophysiologie betreibt Kreiter Grundlagenforschung, um Prozesse des Gehirns zu erklären. Dazu führt er Tierversuche mit Affen durch und untersucht an ihnen Abläufe der visuellen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Anhand der Experimente erhoffen sich
Forscher Einblicke in das menschliche Gehirn. Besonders Hirnfunktionsstörungen wie Epilepsie, Parkinson und Alzheimer könnten mit den Erkenntnissen weiter erforscht, möglicherweise erklärt und die Behandlungsmethoden verbessert werden. Auch die Weiterentwicklung sogenannter Neuroprothesen, die Menschen heute schon benutzen, würde von der Grundlagenforschung profitieren. So jedenfalls erklären es die Mitwirkenden an der Universität in einer öffentlichen Broschüre zur Forschung. Der Tierschutzverband und besonders die Ärzte gegen Tierversuche stellen das aber auf ihrer Internetseite in Frage. Seit Beginn der Forschung stößt das Vorhaben auf großen Widerstand der Bremer. Aufgenommen hat Kreiter die Arbeit 1998 im Zentrum für Kognitionswissenschaften der Universität. Seit seinem Ruf an die Universität wurden Kreiter und seine Familie, vor allem sein damals drei Jahre alter Sohn, von Tierschützern und Bürgern bedroht. Auf Plakaten in der Innenstadt wurde 10
er als „Affenfolterer“ bezeichnet und unter dem Aufruf, ihn zu besuchen, auch seine Privatadresse und Telefonnummer veröffentlicht. Eine Zeitlang standen der Professor und seine Familie deswegen unter Polizeischutz. Zwölf Jahre später, 2007, wurden Zweifel an der ethischen Vertretbarkeit der Tierversuche durch die Senatorin für Gesundheit laut. Besonders die Frage nach der Moral, Tiere zu Forschungszwecken zu benutzen, die uns so ähnlich sind, stand im Mittelpunkt der Diskussion. In diesem Jahr hatte sich auch die Bremer Bürgerschaft für ein Ende der Versuche an Makaken ausgesprochen und eine Petition mit etwa 100.000 Unterschriften vorgelegt. Daraus folgte, dass der erneute Forschungsantrag von dem Land Bremen nicht genehmigt wurde. Professor Kreiter reichte mit Unterstützung der Universität eine Klage wegen Einschränkung der Forschungsfreiheit ein. 2010 wurde dieser Klage stattgegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt durften die Versuche nur unter Auflagen weitergeführt werden, allerdings ohne dass eine rechtliche Grundlage dafür bestand. Hier stehen sich zwei im Grundgesetz verankerte Rechte gegenüber: die allgemeine Forschungsfreiheit und seit neun Jahren auch das Tierschutzgesetz als Staatsziel. Laut Tierschutzgesetz sind Tierversuche aber nicht verboten, sondern nur eingeschränkt. Laut Paragraph 7a sind Versuche dann erlaubt, „wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind“ und die Belastung der Tiere nicht zu groß ist. Die Bedeutung eines Forschungszieles entscheidet also darüber, inwieweit die Tiere belastet werden dürfen, und besonders in der Grundlagenforschung steht das Ziel über dem Leid der Tiere, wenn es keine Alternativen gibt. Doch gibt es die wirklich nicht? In der Kosmetikbranche sind Tierversuche seit 2004 schrittweise verboten worden; deswegen wurde zwangsläufig umgestellt. Statt an Mäusen werden neue Kosmetika nun an tierischen oder menschlichen Zellen getestet, die oft als Abfall bei Operationen entstehen. Forscher sehen darin aber ein Problem: Ein ganzer Organismus ist dadurch wohl nicht zu ersetzen. Auch in der Hirnforschung wird versucht, auf andere Verfahren auszuweichen. Bildgebende Verfahren, wie die Computertomographie oder die Magnetresonanztomographie, werden alternativ angewendet, ohne einen Eingriff an Menschen oder Tieren vornehmen zu müssen. Auf den Bildern kann man jedoch nur erkennen, welche Hirnbereiche aktiv sind, aber nicht, welche
grundlegenden Prozesse im Gehirn dahinter stehen. Ein weiterer Streitpunkt liegt in der Tierhaltung während des Versuchs. Die Köpfe der Makaken-Affen werden fixiert und sie müssen stundenlang Aufgaben an einem Computer lösen. Als Belohnung bekommen die Affen einen Schluck Wasser oder Fruchtsaft. Dabei wird die Hirnaktivität gemessen. Befürworter sagen, dass die Affen nicht an den Versuchen teilnehmen würden, wenn sie sich nicht wohlfühlten. Gegner nennen es einfach nur Tierquälerei. 2012 entschied das OVG Bremen endgültig, dass die Forschung rechtskonform und somit keine Tierquälerei ist. Das Gericht verkündete aufgrund der vorgelegten Sachverständigengutachten, dass „die Tiere durch die Versuche allenfalls mäßigen Belastungen ausgesetzt sind“. Außerdem sei „diese Forschung im Bereich der Kognitionswissenschaft von außerordentlicher Bedeutung“ und besitze internationale Anerkennung. Der Beschluss bezieht sich auch auf die Entscheidung von 2007, denn aufgrund der Rechtslage hätten die Tierversuche nicht verboten werden dürfen. Kritisiert wurde, dass bei der Entscheidung nicht die Gesetze im Vordergrund gestanden hätten, sondern individuelle moralische Bedenken. Revision gegen dieses Urteil durfte nicht eingelegt werden. Die Gesundheitsbehörde Bremen sah sich gezwungen, vor das BVG Leipzig als letzte Instanz zu ziehen und Beschwerde gegen das Urteil einzulegen. Im Februar 2014 wurde diese jedoch zurückgewiesen, da keine Verfahrensfehler festgestellt werden
konnten. Damit deckt sich der Beschluss mit dem Urteil des OVG Bremens. Dem neuen Forschungsantrag von Professor Kreiter, der in diesem Jahr noch gestellt werden muss, steht somit nichts mehr im Wege. Tierversuchs-Gegner wie Wolfgang Apel, Ehrenpräsident des Deutschen Tierschutzbundes und Vorsitzender des Bremer Tierschutzvereins, empfindet es als „eine Tragödie, dass die Affen in Bremen nun offenbar auf unabsehbare Zeit schutzlos der Forschungsneugier von Professor Kreiter und seinen Kollegen ausgesetzt werden sollen“, wie er in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) erklärt. Laut Apel ist die Diskussion um die Affenforschung mit dem Gerichtsurteil nicht beendet. Er sieht „diese wissenschaftlichen Experimente an der Universität nach wie vor nicht als legal an“ und wird weiter dafür kämpfen, dass die Tierversuche mit sogenannten höheren Tieren verboten werden. Andere Tierschützer belassen es nicht bei Kritik. Die Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland e.V. beispielsweise führen eine Kampagne gegen Professor Kreiter als Person. Anfang vorigen Jahres schalteten sie eine halbseitige Anzeige in mehreren großen Tageszeitungen wie dem „Weser Kurier“ und der FAZ. Der Überschrift „Kreiter macht eiskalt weiter“ folgt ein Zitat des Gründers von „Ärzte gegen Tierversuche“, Herbert Stiller: „Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen.“ Da stellt sich die Frage, an welchem Punkt die freie Meinungsäußerung aufhört und ein Angriff auf die Persönlichkeitsrechte beginnt. In der öffentlichen Diskussion unter den Studierenden der Universität Bremen stehen die Tierversuche nicht mehr im Mittelpunkt. Im Allgemeinen wird das Urteil akzeptiert, die Studierenden sind aber bei dem Thema an sich eher geteilter Meinung. Im Konflikt stehen grundsätzlich die moralischen Bedenken der Tierhaltung von Affen für Forschungszwecke mit den Möglichkeiten im medizinischen Bereich und der Behandlung von Krankheiten, die eine Forschung erreichen kann. Klar ist, dass der Streit um Tierversuche weitergeht - allerdings nur als moralische Diskussion, denn rechtlich gesehen ist dieser Fall vorerst entschieden. Am Ende kann jetzt nur noch das Bundesverfassungsgericht stehen. Text: Meret Rupprecht Fotos: Universität Bremen Grafiken: Tim Beckmann/PIXELIO, http://michaeldmann.net/ mann16.html (The Nervous System in Action)
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Hochschulpolitik
Hochschulpolitik
Kürzungen – Woran die Bildungspolitik scheitern könnte Hochschulpakt und Exzellenzinitiative täuschen nicht darüber hinweg, dass das Geld im Bildungsbereich partout nicht ausreicht. Überfüllte Säle oder marode Gebäude sind bloße Symptome viel größerer Probleme. Und die Betroffenen fühlen sich häufig übergangen.
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n diesen Tagen erlebt das Bildungssystem erneut eine all zu bekannte Misere. Hier heißt es, die Gelder reichen nicht aus, dort wird erklärt, die Universitäten würden nicht vernünftig wirtschaften. Der Ball wird von Unileitungen zur Politik gespielt und von da ins Aus befördert. Die meisten Uniangehörigen ste-
Studierendenausschuss (AStA) kommentiert worden. Die Unileitung bestreitet das nicht. Der ehemalige studentische Vertreter in der HK des Akademischen Senates (AS), Jannis Ehrlich, verweist zwar auf stellenweise Ungenauigkeiten und falsche Argumentationen des AStAs. Dass Stellen wegfallen und bestimm-
AS am 17. Dezember des vergangenen Jahres scharf. Laut Protestierenden hätten die Kürzungen dort beschlossen werden sollen. Im Interview erklärt er: „Die parlamentarische Verfasstheit der Uni wird damit ad absurdum geführt.“ Der AStA und das Protestbündnis vorneweg halten es indes für undemokratisch, wenn die größte Statusgruppe von Anfang an nicht über die Beteiligung eines gewählten studentischen Vertreters in der HK und vierer gewählter Studierender im AS hinaus in die Diskussion einbezogen wird. „Wir wollen, dass endlich offen diskutiert wird“, erklärt die organisatorische Vertretung des Bündnisses direkt nach der Blockade und sieht in dieser Hinsicht bisher die größten Mängel. Das Rektorat hält es derweil für Offenheit, wenn es eine Woche vor der Diskussion etwaiger Kürzungen auf einer Veranstaltung darüber informiert. Aber viele Studierende können auf dieser Grundlage kein Vertrauen entwickeln. Fehlendes Verständnis
hen zwar auf dem Spielfeld, haben aber das Gefühl, dem Ball bloß hinterherzulaufen. Andere Unimitglieder wiederum stehen teilnahmslos am Spielfeldrand. Ob die Finanzproblematik noch ohne das Problem gedacht werden kann, dass die größten Gruppen nicht angemessen in die Diskussion einbezogen werden, gerät immer mehr unter den Verdacht der Vereinfachung.
te Strukturen abgebaut würden, wie dieser es beklagt, verhehlt aber auch er nicht. Der AStA wiederum hat zu keiner Zeit angezweifelt, dass ein Defizit bestünde. Uneinigkeit herrscht in der Schlussfolgerung.
Das 5,7 Mio.-Euro-Papier
Die breite Diskussion hält sich nur selten bei konkreten Zahlen auf. Möglicherweise spielen sie eine Rolle bei der Auseinandersetzung zwischen Rektorat und Bremer Senat. In Aussagen von Uniangehörigen geht es aber überwiegend und wieder einmal um die ganz großen Themen: Der Rektor kritisiert die Blockade des
Die Existenz der Kürzungspläne ist relativ unbestritten. Ein Vorschlagspapier der Haushaltskommission (HK) ist bekannt, veröffentlicht und dank guter Recherche durch den Allgemeinen
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Keine Finanzdiskussion
Bei der Informationsveranstaltung des Rektorats erklärte Prof. Dr. -Ing. Kurosch Rezwan, Konrektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, dann auch noch sinngemäß, es mangele sämtlichen Kritisierenden an Bescheidenheit. Der Grund: Die Kritik der Studierenden an der geplanten Erhöhung des Verwaltungskostenbeitrages von aktuell 50 auf 90 Euro. Zur Rechtfertigung argumentierte er, dass es anderen viel schlechter ginge. Er
berichtete von einem pakistanischen Studenten, der Deutschland besucht habe und ihm erklärte: Wer sich IPhones und andere Dinge leisten könne, habe doch keine finanziellen Probleme. In den Gesichtern von Anwesenden zeigte sich eine gewisse Ratlosigkeit, bis dann doch einige das Wort ergriffen und feststellten, wie unangebracht dieser Vergleich sei. In der Diskussion um Politikverdrossenheit werden gerne Prototypen gezeichnet. Einer besteht im fachsimpelnden Verwaltungsbeamten mit Dienstwagen und geschneidertem Anzug. Über Kleidung aus Bangladesch und hohe Benzinpreise weiß dieser nicht Bescheid. Die Distanz ist zu groß und woanders ist es sicherlich schlimmer. Wer mag, kann das für Polemik halten. Auf der Veranstaltung war aber spürbar und deutlich zu hören, dass die Entfernung zwischen Unileitung und den übrigen Universitätsangehörigen selten größer war als in diesem Moment. Die Positionen Sämtliche Argumente zu diskutieren, ist in der Kürze schier unmöglich. Natürlich verfolgen alle Beteiligten ihre Interessen; was aber nun geschieht, geht tiefer. Wenn Studierende sich etwa zehn Jahre nach HEP V wieder genötigt fühlen, den AS zu blockieren, ist es zu leicht, das als respektlos abzutun. Was am Ende der Proteste und der Überzeugung des Rektorats, alles richtig zu machen, wohl bleibt, sind zwei konkurrierende bildungspolitische Ideale. Auf der einen Seite steht das Bild einer wirtschaftlichen
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Hochschulpolitik
Hochschulpolitik
Hochschullandschaft. Universitäten und Fachhochschulen hätten demnach ihre Finanzen im Griff zu halten. Beinahe wichtiger noch wäre es, Kosten zu senken und besonders solche Studiengänge zu stützten, die profitabel sind, indem sie unter anderem die Drittmittelquote erhöhen, die universitätsweit derzeit bereits bei einem Drittel des Gesamtetats liegt, was ohnehin kritisch betrachtet wird. Im Geiste dieses Bildungsideals dient die Uni zumindest für die große Masse zuvorderst der Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt.
Hochschule als Ausbildungsstätte. Zu diesem Bild passt die Problematisierung bis hin zur Schließung von Studiengängen wie Sport, Behindertenpädagogik und Kunst. Es ist das Bild einer Uni, deren gesellschaftliche Verantwortung begrenzt ist, in welche Richtung die Schließung des Zentrums für Humangenetik oder auch die Konsolidierung der Landesmessstelle für Radioaktivität weisen können, wobei letzteres eher ein politisches Scharmützel sein dürfte. Auf der anderen Seite steht das Humboldtsche Bildungsideal. Die Gleichung Bildung ist Ausbildung geht darin nicht auf. Hiermit wird Ganzheitlichkeit gefordert und Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen – einst staatliche, heute auch jenen aus der Wirtschaft. Darauf verweisen die andauernden Proteste der Studierenden, die oftmals wertebezogen argumentieren, den freien Menschen postulieren und beklagen, dass beispielsweise Rüstungsforschung oder die direkte Kooperation mit der Armee längst Einzug in die Hochschulen gehalten hätten. Wird dieser Ansatz vertreten, werden Leuchttürme abgelehnt und Forderungen nach einer gerechten Finanzierung aller Hochschulen und Studiengänge laut. Als Leuchttürme gelten intern gern einzelne Studiengänge und extern werden besonders herausragende Unis und FHs derart bezeichnet.
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Und jetzt? Die Fronten sind verhärtet und die bildungspolitische Agenda hier wie dort wird von heimlichen Hardlinern gesetzt. Nach außen zum Dialog bereit, zeigen sich doch beide Seiten unversöhnlich und wer kann es ihnen verübeln, sind doch alle von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt? Wenn aber bei Grundsätzlichem keine Einigung zu erwarten ist, wieso wird dann nicht kleinschrittiger vorgegangen? Muss über die Finanzierung
des ZHGs eine Querfinanzierung medizinischer Untersuchungen stattfinden, wenn private Einrichtungen diesen Bereich ohnehin besser abdecken? Dies fragt zumindest Kanzler Dr. Martin Mertens. Kann die Uni es sich erlauben, ihre Professuren intern nach Köpfen zu verteilen statt nach einem festen Budgetplan? Student Ehrlich kritisiert diese Praxis nachdrücklich. Dass die Uni die in der Folge häufig steigenden Gehälter nicht ohne weiteres tragen kann, ist diskutabel. Und vorausgesetzt, es handelt sich um Tatsachen: Sind Kürzungen nicht dort in Ordnung, wo
es wirklich zu Doppelstrukturen auf der Verwaltungsebene gekommen ist, oder Stellen, die längst hätten auslaufen sollen, ständig neu besetzt wurden? Freilich setzt das nicht die notwendigen Millionen frei. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht und die bildungspolitische Auseinandersetzung wird kommen. Es geht dabei auch nicht allein um die Uni. An der Hochschule sind ebenso Fächer bedroht. Es ist auch kein Problem des klammen Bundeslandes Bremen: Die ZEIT hat vor ziemlich genau einem Jahr darauf hingewiesen, dass drastische Sparpläne auch in den neuen Bundesländern, „von Mecklenburg-Vorpommern bis Sachsen, von Thüringen über Sachsen-Anhalt bis Brandenburg“, drohen. Dazu fließen die voraussichtlich freiwerdenden BAföG-Millionen nicht fest an die Hochschulen sondern wahrscheinlich in einen so genannten Zukunftsfonds. Aus diesem könnte die Uni dann konkrete Summen für bestimmte Projekte beantragen. Dies soll auf Wunsch des Senats geschehen. Ganz nebenbei kann solch ein Fonds aber auch leicht wieder abgeschafft werden und die politische Abhängigkeit ist offensichtlich. Eine solide öffentliche
Finanzierung sieht anders aus. Am Ende scheint alles andere als Kompromiss in den wenigen genannten Bereichen illusorisch. Der bildungspolitische Agendakrieg tritt längst wieder offen zu Tage. Sechs Jahre ist es nun her, dass im Jahre 2009 auch international zum bisher letzten Mal und in Anlehnung an Ereignisse in Wien Studierende und Schülerinnen und Schüler in großer Masse auf die Straße gegangen sind. Dabei erreichten die Protestierenden finanzielle Zugeständnisse der Politik und mitunter kritische Auseinandersetzungen der Verantwortlichen mit Prüfungsordnungen und Studienplänen. Einige Aktionen standen damals unter dem Stichwort „Uni brennt“. Es sind glückliche Zeiten für Hochschulen und Regierungen, in denen es sich dabei bloß um Protestvokabular handelt. Was für zufriedene Zeiten es für die Unileitung erst sind, in denen sie es teilweise nicht mehr für nötig hält, die mehrheitlich stillhaltenden Studierenden ernst zu nehmen. Text: Björn Knutzen Fotos: Marius Barth
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Campusleben
Hochschulpolitik
Die Campusdebatte Für diese Rubrik bittet der ScheinWerfer ausgewählte Personen des Hochschullebens um ihren Kommentar zu den drängenden, den großen und manchmal auch den kuriosen Fragen des Campusalltags. Das Thema diesmal: Die geplanten Kürzungen.
Es wird gespart werden – bringt euch ein!
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Ein Kommentar von Jannis Ehrlich
ie Uni muss sparen – die Geduld ihrer Geldgeberin ist zu Ende. Die Uni hat die Vorgaben aus dem Hochschulentwicklungsplan V nie in vollem Rahmen umgesetzt, die senatorische Behörde bei einem jährlichen Defizit von achteinhalb Millionen Euro stets Sparen angemahnt, aber der Uni nach den Protesten 2013 sogar zusätzliche fünf Millionen aus dem klammen Bremer Haushalt organisiert. Jetzt soll sich die Uni endlich ans Sparen machen, sonst droht eine Besetzungssperre wie 2005. Um Schaden abzuwenden, aber auch um eine stärkere Verhandlungsposition der Senatorin gegenüber zu haben, wird sie sich fügen. Aber wo kann an einer systematisch unterfinanzierten Uni noch gespart werden? Da die Diskussion um eine Zukunftsstrategie im AS versandet ist, wird sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und Studienplätze sichern. Der Haushaltskommission ist es nicht leicht gefallen, Einsparpotenzial zu identifizieren. Als studentisches Mitglied konnte ich begrüßen, dass verwaltungstechnische Maßnahmen den größten und die Forschungseinrichtungen ebenfalls ihren Beitrag leisten. Fragen, die im Hintergrund stehen: Sollen Wahlmöglichkeiten für höhere Semester etwas eingeschränkt oder ein ganzes Fach gestrichen werden?
Sind 20 SWS Lehre besser in einem kleinen Studiengang mit maximal 20 Studierenden pro Jahr - oder einem großen eingesetzt? Welche freiwilligen Aufgaben kann und soll die Uni beibehalten, auch wenn sie WiMi Stellen kosten? Das Vorgehen der Haushaltskommission ist definitiv problematisch, da nicht einmal der AS Erläuterungen zu den Maßnahmen schriftlich erhalten hat. Aber eine Blockade des höchsten demokratisch gewählten Universitätsgremiums ohne Gesprächsbereitschaft führt nur zu einem Rektoratsentscheid wie 2008 zu HEP V. Erfolgversprechender ist das konstruktive Mitwirken an einer Verbesserung der Vorlage im Sinne der Studierenden. Ich habe Änderungswünsche an Mitglieder des AS herangetragen, die diese einbringen wollen. Bevor größerer Schaden entsteht, wird die Uni gewiss sparen - und aus studentischer Sicht könnten die Maßnahmen viel schlimmer sein als die der Vorlage. Sie könnten aber besser werden - und dazu muss auch bei den Professoren Lobbyarbeit gemacht werden. Kommentar: Jannis Ehrlich (ehem. stud. Mitglied der Haushaltskommission)
Ein Zeichen gegen die Alternativlosigkeit
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Ein Kommentar von Jan Romann
em vermeintlich ausweglosen Sparzwang bei der letzten Sitzung des akademischen Senats die Stirn zu bieten, war eindeutig die richtige Entscheidung. Durch die Sitzungsblockade konnte überhaupt erst einer Diskussion über die Zukunft der Universität der Raum eröffnet werden. Wie man aus der Studierendenschaft heraus für den Beschluss der Kürzungen argumentieren kann, ist mir mittlerweile wirklich schleierhaft geworden. Denn mit Sicherheit ist es so, dass die Universität in den letzten Jahren einige Millionen Euro zu viel ausgegeben hat. Aber die gleichen Menschen, die jetzt verlangen, dass die Uni sich „konsolidieren“ soll, sind es doch, die sonst bei jeder Gelegenheit betonen, wie sehr die Investition in Bildung eine Investition in die Zukunft sei. Genau diese Investitionen bleiben aber immer mehr aus. Instrumente wie die Schuldenbremse engen den öffentlichen Spielraum immer mehr ein, scheinbar vollkommen, ohne zu betrachten, dass gerade in Bremen die rechtlichen Rahmenbedingungen die finanzielle Fehlentwicklung stark begünstigt haben. Seit den Siebzigerjahren ist beispielsweise die Einkommenssteuer am Wohnort zu entrichten, was Bremen zugunsten des umliegenden 16
„Speckgürtels“ sehr belastet. Die Blockade des Akademischen Senats im vergangenen Monat war also die vollkommen richtige Entscheidung. Nicht nur wird hierdurch erst eine Diskussion darüber ermöglicht, was und warum eigentlich gekürzt werden soll. Es ist auch ein Zeichen an die Unileitung und an die Politik, dass die Einschätzung, die Einsparungen seien alternativlos, nicht geteilt wird. Zudem wird nicht nur die Verhandlungsposition der Studierendenschaft gestärkt - eigentlich könnte sich das Rektorat freuen, dass es bei Gesprächen mit dem Bremer Senat auf den Widerstand der Studierenden verweisen kann. Ihrem Ziel sind die studentischen Aktiven, die die Proteste organisieren, mit der Blockade einen Schritt näher gekommen: Die Kürzungen sollen bis in den Bürgerschaftswahlkampf aufgeschoben werden, um sie dort zum Thema zu machen. Diesen Monat geht der Protest in die nächste Runde. Und wir sollten auch hier ein Zeichen setzen. Kommentar: Jan Romann (Hochschulpiraten)
Arbeiten im Elfenbeinturm? – Wissenschaft als Beruf Als Studierende begegnen wir täglich Menschen, die ihr Geld mit der Wissenschaft verdienen. Wir fragen uns: Macht das Spaß? Ist es harte Arbeit? Und was bedeuten Drittmittel und befristete Verträge für das eigene Forschen und Wirken? Wir haben uns mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Laura Seelkopf auf einen Kaffee getroffen, um mehr über die Arbeit an der Uni zu erfahren. ScheinWerfer: Hallo Laura! Stell dich doch bitte kurz vor. Dr. Laura Seelkopf: Ich komme aus Würzburg, habe in Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften studiert und in Großbritannien promoviert. Ich interessiere mich u.a. für Umverteilung, internationalen Steuerwettbewerb und Entwicklungspolitik. In Bremen bin ich seit 2011. Bisher war ich an der Jacobs University, aber seit Januar bin ich an der Uni Bremen tätig. Was hat dich dazu motiviert, Wissenschaftlerin zu werden? Im Studium wollte ich nie unbedingt Wissenschaftlerin werden. Mich haben bestimmte Themen einfach sehr interessiert. Als ich über die Entscheidung zur Promotion nachdachte, hat mir ein Prof, von dem ich sehr viel hielt (und halte), zugeraten: Ein Doktortitel brächte mir vor allem als Frau mehr berufliche Akzeptanz und sei eigentlich immer ein Vorteil, auch wenn man nicht unbedingt in der Wissenschaft bleiben möchte. Heute würde ich das nicht ganz so uneingeschränkt sagen; denn für die Promotion geht viel Zeit drauf und für bestimmte Karrierewege in der Wirtschaft ist man dann in der Regel schon zu alt.
Befristete Verträge und regelmäßiger Wohnortwechsel – das klingt nicht besonders verlockend. Haben dich diese unsicheren Bedingungen auf deinem Weg in die Wissenschaft nicht abgeschreckt? Ich bin ein Mensch, der nicht so viel Stabilität und Sicherheit im Leben braucht. Ich wusste, dass ich mit den Arbeitsbedingungen klar kommen würde. Außerdem hatte ich Rückhalt von meinem Freund und der Familie. Mein Freund ist auch Wissenschaftler. Zwischenzeitlich gab es natürlich anstrengende Zeiten, in denen ich viel arbeiten musste, um mich zu finanzieren. Nebenbei habe ich viel unterrichtet und Essays korrigiert. Neben den befristeten Verträgen und der Internationalität spielen Drittmittel eine immer größere Rolle; in Bremen werden ein Drittel der Ausgaben der Universität über solche Mittel finanziert. Ich
Haben sich deiner Meinung nach die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler*innen in den letzten Jahren verändert – und wenn ja, wie? Dass ich hier in Bremen im Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“ arbeiten konnte, war natürlich Luxus. Ein festes Gehalt Dr. Laura und eine vierjährige Stelle ist nicht die Norm in Deutschland, ich kann mich also nicht beschweren. Die meisten Stellen sind deutlich kürzer befristet, manchmal nur ein Jahr. Unbefristet sind eigentlich nur Professuren. Außerdem müssen Wissenschaftler*innen extrem mobil sein, eine stärker werdende Tendenz. Es gibt weniger feste Stellen in Deutschland und Internationalität wird auch allgemein immer wichtiger in der Wissenschaft. Jedes Jahr umzuziehen, ist eine finanzielle Belastung und bedeutet, sich immer wieder an einen neuen Ort zu gewöhnen. In England und der USA ist die Situation etwas anders. Es gibt nur wenige Postdoc-Stellen für die richtig guten Leute. Danach erhalten diese meist einen tenure-track Job und haben auch eine bessere Stellung an der Uni. Sie werden ernster genommen und es gibt nicht das in Deutschland typische Verhältnis von Professor*in und Mitarbeiter*in.
denke, ein bisschen Wettbewerb zwischen Wissenschaftler*innen ist notwendig. Drittmittel spielen mittlerweile aber eine sehr große Rolle. Bei einer Bewerbung zählt, ob jemand Erfahrungen darin hat, Drittmittel einzuwerben. Ein immer größerer Teil der Finanzierung der Wissenschaft läuft über Drittmittel; in Bremen ist der Teil besonders hoch. Das ist nicht die Idee der Drittmittel, sie sollen nicht den normalen Betrieb ersetzen. Wie aufwendig ist es denn, Drittmittel einzuwerben?
Es ist relativ viel Arbeit. Mir gefällt aber dabei, dass ich viel über mein Thema nachdenke und selbst noch etwas lerne. Wichtig ist zum Beispiel, die Bewerbung strategisch zu formulieren. In Bremen ist die Situation relativ gut, seitens der Uni gibt es viel Unterstützung. An anderen Unis sind Forscher*innen bei der Antragstellung vollkommen auf sich allein gestellt, was hinsichtlich der Monate bzw. Jahre, die so eine Antragstellung manchmal dauert, eine enorme Belastung sein kann.
Seelkopf
Karriere ist wichtig, aber bei vielen steht ja ebenfalls die Familiengründung auf dem Lebensplan. Wie gut lässt sich in deinem Beruf beides verbinden? Die Sicherheit eines festen, an einen Ort gebundenen Jobs gibt es in der Wissenschaft nicht. Wer in der Wissenschaft arbeitet, 17
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muss mobil sein. Und nach wie vor ist das für Frauen eine größere Herausforderung als für Männer. Einige meiner Kolleginnen haben deswegen nach der Promotion aufgehört. Sie haben sich für die Familie entschieden, obwohl sie den Job als Wissenschaftlerin generell nicht unattraktiv fanden. Und zum Abschluss würden wir von dir gern eine Zukunftsprognose hören: Wie wird sich die Wissenschaft weiter verändern? Und kannst du heutigen Studierenden diesen Beruf empfehlen? Die Wissenschaft wird auch weiterhin immer internationaler werden: Wissenschaftler*innen, die bereit sind, ins Ausland zu gehen, haben bessere Karriereaussichten. Publikationen auf Englisch sind heute schon der Standard. Es ist ja Quatsch, wenn ich etwas auf Deutsch schreibe, und das keiner lesen kann. Die
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Wissenschaft lebt davon, dass ein internationaler Diskurs stattfindet. Wissenschaft ist sehr spannend; man bekommt die Möglichkeit, sich in ein interessantes Thema zu vertiefen und für Forschungsprojekte an spannende Orte zu reisen. Und auch das Unterrichten macht Spaß und hält jung. Wenn man aber ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit hat, einen Job bevorzugt, bei dem man von 9 bis 5 Uhr im Büro sitzt und mit 30 Jahren ein eigenes Haus mit Garten besitzen möchte, dann ist der Beruf als Wissenschaftler*in nicht das Richtige. Vielen Dank für das Interview! Interview: Diren Senger und Lina Schwarz Foto: Laura Seelkopf
Umwege erhöhen die Ortskenntnis – Alternativen zum Studium Früher oder später gibt es wahrscheinlich in fast jedem Studium Momente, in denen man die Studienwahl in Frage stellt. Doch wann sollte man solche Gedanken ernst nehmen, wo liegen die Gründe für diese Probleme und welche Möglichkeiten zum Umgang mit ihnen gibt es?
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ena hatte sich das Studium irgendwie anders vorgestellt. Anstatt jede Prüfung mit Leichtigkeit zu bestehen und in den Pausen mit ihren KommilitonInnen über die Inhalte zu diskutieren, hat sie immer weniger Lust, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Nicht nur in den Prüfungsphasen fühlt sie sich oft gestresst, schläft schlecht und hat Kopfschmerzen. Außerdem hat sie schon bei mehreren Klausuren den ersten Versuch nicht bestanden und ihr Rückstand wächst stetig. Immer öfter fragt sie sich, ob ihr Studienfach – oder das Studium generell – überhaupt das Richtige für sie ist. Ihre Eltern raten ihr, am Ball zu bleiben und sich mehr anzustrengen. Von einem abgebrochenen Studium hätte sie nichts und ein bisschen Stress gehöre ja auch dazu … Zweifelnde sind nicht allein Wie Lena geht es auch anderen. Im Jahre 2005 lag der Anteil der Hilfesuchenden bei der Psychologisch-Therapeutischen Beratungsstelle (PTB) des Bremer Studentenwerks, die sich aufgrund von Zweifeln an ihrer Studienwahl beraten ließen, noch bei 7,5 Prozent; 2014 waren es schon 12,6 Prozent. Ob es schließlich zum Abbruch kommt, ist eine andere Frage. Anders als vielfach vermutet, hat das nur selten etwas mit persönlichem Versagen zu tun. Das Unvermögen, konkrete Prüfun-
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gen zu bestehen, ist laut einer Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) von 2010 nur in 11 Prozent der Fälle ein Grund. Viel häufiger ist die bewusste Entscheidung. Jedenfalls ist der Abbruch zumeist kein lebensplanerischer Schnellschuss. Bachelorstudierende brechen ihr Studium im Schnitt nach 2,9 Semestern und damit erst nach knapp der Hälfte ihrer Ausbildung ab. Bei den Jurastudierenden erhöht sich dieser Wert gar auf 8,4 Semester. Ob die Fachart eine besondere Rolle für die Abbruchmotivation spielt, lässt sich jedoch nicht eindeutig beantworten. Zwar brechen besonders häufig Studierende der Mathematik sowie angehende Ingenieurinnen und Ingenieure ihr Studium ab – die Quote liegt hier bei etwa 50 Prozent. Viele lassen sich dazu hinreißen, dies mit den vermeintlich komplexeren Inhalten zu erklären. Die Medizinerinnen und Mediziner aber weisen in diesem Bereich bloß eine Quote von 9 Prozent auf. Außerdem stehen auf der anderen Seite sprach- und kulturwissenschaftliche Fächer mit ebenfalls hohen Abbruchquoten – laut einer Untersuchung aus dem Jahre 2008 im Bereich von 30 Prozent. Ein eindeutiges Muster scheint sich also nicht abzuzeichnen. Die Ursachen für Probleme im Studium können vielfältig sein. Vielleicht ist man einfach mit dem Fach überfordert. Oder aber das Studium ist anders als erwartet und der Bereich scheint doch nicht so interessant wie gedacht. Möglicherweise fehlt eine
berufliche Perspektive, oder studienexterne Belastungen – wie zum Beispiel finanzielle oder familiäre Probleme – erschweren das Studieren. Gedanken über einen Abbruch sollte man sich erst machen, wenn mehrere dieser Faktoren zusammenkommen. Dann aber gilt es, nicht zu lange mit der Entscheidung zu warten. Je mehr Zeit und Energie in das Studium investiert wurden, desto mehr schreckt man vor dem Abbrechen zurück. Entscheidend sollte aber nicht die geleistete Arbeit, sondern die Zukunftsperspektive sein.
Das Lernen kann durch Semesterpläne und Lerngruppen besser strukturiert werden. Vielleicht helfen auch Kurse für Schlüsselkompetenzen in der Studierwerkstatt und Unterstützung durch Studienberatung oder psychologische Beratungsstelle weiter. Wenn die Probleme vor allem auf schlechte Betreuung und schlechte Studienbedingungen zurückzuführen sind, stellt vielleicht auch ein Hochschulwechsel eine Alternative dar.
Viele Wege führen nach Rom Grundsätzlich bieten sich drei Möglichkeiten, wenn man mit seinem Studium hadert: Man kann dabei bleiben, das Fach wechseln oder aber ganz mit dem Studieren aufhören und stattdessen zum Beispiel eine Ausbildung machen oder in die Selbstständigkeit gehen. Das Weitermachen lohnt sich vor allem dann, wenn das Hauptproblem nicht die fachlichen, sondern die allgemeinen Anforderungen des Studiums sind (wie beispielsweise die Organisa-
Für viele gilt jedoch, dass der Zweifel am aktuellen Studium nicht unbegründet ist. Darauf weist auch Swantje Wrobel, Leiterin der Psychologisch-Therapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks, hin: „Wenn dieser Gedanke aufkommt, ist in der Regel auch etwas dran.“ Wenn also gar nichts mehr geht, werden Alternativen gesucht. Und bloß, weil einem die Begabung für ein Fach fehlt oder der Studiengang das eigene Interesse doch nicht befriedigt, muss es nicht gleich der komplette Bruch mit dem Studium sein. In Deutschland gibt es je nach Zählung zwischen 11.000 und
tion) oder man aus diversen Gründen den Anschluss verloren hat. Wenn die Leistungen nicht zu schlecht sind, lohnt es sich, berufliche Ziele zu formulieren und zum Beispiel durch Praktika diesen Weg zu konkretisieren. Das motiviert und schafft eine Perspektive.
17.000 Studiengänge. Davon abgesehen, dass es dabei wahrscheinlich auch thematische Überschneidungen oder sogar nahezu identische Fächer gibt: Wenn der Studienalltag also einfach nur nicht mehr zur Fachbeschreibung passt oder sich die eigenen Interessen geändert haben, ist womöglich einfach ein Wechsel geboten.
Wille zum Wechsel
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Study trip from Dalian to Bremen Der 25-jährige Psychologiestudent Jasper beispielsweise, der gerade einem Master-Abschluss in den neuen Bundesländern zustrebt, begann ursprünglich ein Soziologiestudium an der Uni Bremen. Schon damals stand fest, dass dies nicht seine erste Wahl war: „Ich hatte ursprünglich vor, Psychologie zu studieren, mein Abischnitt reichte für eine Zulassung allerdings nicht aus. Soziologie interessierte mich ebenfalls und die Zulassungsvoraussetzungen waren nicht sehr streng.“ Wie das so ist, kam es nach zwei Semestern dann aber doch zum Wechsel: „Ich bewarb mich nicht aus einer Unzufriedenheit heraus, sondern in dem Versuch, vielleicht doch mein ursprünglich intendiertes Fach zu studieren - und hatte Glück. Ansonsten wäre ich bei Soziologie geblieben. Ich bin aber sehr froh über den Wechsel und mit Psychologie als Studienfach.“ Lehramtsstudentin Hanna ging es ganz ähnlich. Ursprünglich studierte sie im Jahre 2008 Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis in Hildesheim. Etwa eineinhalb Jahre später entschied sie sich für den Wechsel. Zwar hat ihr das Studium gefallen, doch teilweise hat es ihr an praktischem Nutzen der kulturtheoretischen Seminare gefehlt. Als sie dann noch innerhalb dieses Studiums ein Seminar zum Thema Stimme besuchte, weckte das ein neues Interesse bei ihr und sie entschied sich für ein Sprachtherapiestudium in Köln. Das klare Ziel: Als von Krankenkassen anerkannte Logopädin zu arbeiten und die Bereiche Pädagogik, Psychologie und Medizin zu verbinden. Dem Wechsel ging relativ langes Überlegen voraus. Letztlich entschied sie sich aber – nicht völlig ohne Naivität, wie sie sagt – dafür: „Etwas Naivität kann helfen, nicht zu lange und zu viel zu überlegen.“ Heute studiert sie nach dem Bachelor in Köln noch einmal auf Lehramt und kann nebenbei als Logopädin arbeiten. Sie sieht ihren wechselhaften Werdegang nicht als Problem und verweist auf den großen Gewinn an Allgemeingewissen, den das Studium in Hildesheim für sie bedeutet hat. Die Studienbedingungen sind in diesem Fall nicht der Grund gewesen, das Fach zu wechseln, sondern eher eine fehlende berufliche Perspektive. Heute erklärt sie überzeugt: „Der Abbruch ist kein Fehler gewesen. Das ist mein Weg.“ Fachwechsler hatten meist im Vorhinein andere Vorstellungen von ihrem Studienfach. Die Universitäten könnten hier vorbeugen, indem auf den Seiten der Fachbereiche noch präziser und realitätsnäher über die Studiengänge informiert wird (zum Beispiel mit Muster-Stundenplänen) und etwa die Möglichkeit geboten wird, Studierende, die aktuell dieses Fach belegt haben, mit Fragen zu kontaktieren.
durch Nebenjobs schon Qualifikationen und Kontakte bestehen, erleichtert das einen direkten Berufseinstieg. Vorsicht ist allerdings bei ungelernten Jobs wie Kellnern oder im Einzelhandel geboten. Es gibt zwar wenige Einstiegshürden und das Einkommen mag zuerst hoch erscheinen, aber dafür bestehen auch kaum Aufstiegschancen. Eine Alternative für die weitere Qualifikation stellt eine Ausbildung dar. Duale Ausbildungen verbinden Theorie und Praxis und oft werden Studienabbrecher umworben und können eine verkürzte Ausbildung machen. Das Ausbildungsjahr beginnt immer im Herbst, dazu sollte man sich natürlich rechtzeitig bewerben. Eine risikoreichere Variante ist der Weg in die Selbstständigkeit. Hierbei sind meistens keine Qualifikationen zwingend erforderlich, aber fast immer sinnvoll. Man sollte sich fragen, ob einem diese Arbeitsweise liegt, und einen genauen Plan entwickeln. Empfehlenswert ist es, in der Anfangsphase den Studierendenstatus zu behalten und sich nebenbei durch Kurse an der Uni weiter zu qualifizieren, zum Beispiel in BWL oder im IT-Bereich. Lena jedenfalls hat inzwischen ihr Studienfach gewechselt und ist damit sehr zufrieden, ein Freund von ihr hat sich mit einem Startup selbstständig gemacht und jobbt nebenbei. Am wichtigsten ist es wahrscheinlich, den eigenen Weg zu finden und dabei auch Umwege in Kauf zu nehmen. Das Gespräch mit anderen ist sinnvoll und kann sehr hilfreich sein, letztlich ist es aber die eigene Entscheidung. Andauernde Zweifel am Studium oder Studienfach haben ihren Grund und sollten ernst genommen werden.
In seinem Buch „Studienabbruch und Alternativen“ (UTB, 2014) gibt Peter Piolot wertvolle Tipps für die Entscheidungsfindung.
From November 16th to November 28th 2014, 20 Chinese students went a on a study trip from Dalian, China to Bremen – and I was one of them. I have amazing associations with my experiences in Bremen and now I‘d like to give you a small impression of our time in Germany.
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am Sunny, my Chinese name is Zhao Yuanling. At present I am a senior student of the Dalian University of Technology (DUT), majoring in Journalism of Broadcast and Television. The city Dalian, which my university is located in, and Bremen are sister cities. What's more, my university is the best university in Dalian and among China's top universities. There is a short-term exchange program offered to us students, called "The cultural trip to Bremen". I was lucky enough to pass the interview and got the precious chance to go to Bremen. The other 19 students come from different academic backgrounds, such as humanities, linguistics, social sciences and engineering sciences. The program is made up of studying different majors including logistics, philosophy and European studies as well as experiencing the different cultural atmosphere of Bremen. I majored in European studies the time days I was here. I have to say, I was deeply impressed by the academic freedom at the University of Bremen and I gained a basic knowledge about studying abroad. Students and teachers are in equal positions. A class is often like a big discussion in which various ideas can be exchanged. In this way, anyone seriously taking part in can learn way more than just reading books. Furthermore I learned that seminars and lectures are both significant forms of a class in Germany and both of them are necessary. When it comes to Bremen I couldn't find perfect words to express my feelings for this romantic and lovely city. Asking me, I would describe Bremen as a town looking like right out of a fairy tale . All the surroundings seemed so clear and pretty. I was amazed by the Gothic cathedrals and the ground made by ancient rocks. Though the streets are not very wide, it gave me an unusual cozy feeling. The place we lived in, was a youth hotel, just beside the Weser. The scenery was fabulous, especially when
we had our breakfast looking out of the French windows. As for Germans, the most impressive thing to me seemed their unconditional trust for acquaintances, even for strangers. For example, it’s quite rare get the tickets checked no matter on bus or tram – even on train. So self-discipline and integrity play a significant role in such a society. By contrast, in China rules do instead. I remember once we went to a restaurant with about 22 people and ordered meal containing so much food, when paying the bills, the waitress didn’t even want to count. Maybe she thought it was not worthwhile to use “great” efforts to count so much money and maybe it was really out of basic trust. I had no idea, but it astonished me. To sum it up,the journey could not have been more wonderful. We experienced so many interesting things, they cannot be said all at once. Expecting to encounter Bremen again! Text: Zhao Yuanling Fotos: Zhao Yuanling
Der ganz andere Weg Ein kompletter Abschied von der Uni ergibt dann Sinn, wenn der Hochschulbetrieb zu praxisfern erscheint und Nebenjobs immer mehr Zeit einnehmen und als erfüllender wahrgenommen werden. Manchmal zwingen aber auch zu viele fehlgeschlagene Prüfungen oder äußere Umstände dazu. Man sollte sich zunächst fragen, ob man auch ohne Studienabschluss in dem gewünschten Berufsfeld arbeiten kann. Wenn
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PTB-Kontakt: www.stw-bremen.de/de/psychologische-beratung
Text: Björn Knutzen und Dunja Rühl Illustration: Jann Blodau
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Bachelor of Life Heute: Auf der Karriereleiter
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radeView. Es gibt jetzt GradeView. Eine Online-Plattform, auf der jede*r Noten aus dem Studium, Abi-Note, Praktika und sonstige Kenntnisse und Fähigkeiten eintragen kann, um sich dann im direkten Vergleich zu anderen Studierenden an der eigenen Uni oder auch deutschlandweit zu sehen. Weil das Prinzip Notenspiegel ja schon in der Schulzeit immer für so unglaublich gute Laune sorgte. Ich stelle mir einen Max Weber, den Gründer des Start-Ups vor, wie er Tag für Tag durch die Gänge seiner Uni läuft, auf der Suche nach dem, was die Studierenden wirklich bewegt. Ihnen in die Augen blickt, aus denen nur ein Bedürfnis spricht: Ich möchte mich endlich mit anderen leistungsbewussten Studierenden in ganz Deutschland vergleichen können! Bitte, hilf mir, Max Weber! Ob sich auch in mir eine große Erleichterung breit machen würde, wenn ich, ganz anonym selbstverständlich, meine Noten eintrage. Dann weiß ich endlich, oh, die anderen haben einen schlechteren Schnitt, ich muss also ganz gut sein. Oder eben auch nicht. Zumindest hat die Unwissenheit ein Ende und ich kenne jetzt die Sprosse meiner Karriereleiter. Die Konkurrenz ist also schon mal unter Kontrolle. Anders als eine Gegnerin, die uns alle gleichermaßen im Karriereleiterklettern stört: die Natur. Ineffizient und ewig gestrig hält sie an längst überholten Konzepten wie der biologischen Uhr fest, ohne das Potenzial für neue Entwicklungsfelder zu erkennen. Scheint schlecht beraten, diese Natur. Denn Familie ist ja gut und schön, aber bitte zu ihrer Zeit. Gut, dass der Mensch da schon einen Schritt weiter ist: Biologische Uhr? Pah, das ist so 20. Jahrhundert. Heute geht das so: Einfach Eizellen einfrieren, 10 bis 20 Jahre ich-liebe-meinen-Job mit einer 60-Stunden-Woche und ab und zu ein Burnout. Karriere machen, Karriere gemacht haben, dann Eizellen auftauen, in Kind umwandeln und tata! Situation optimiert. So sieht’s aus auf der Karriereleiter. Ich steh ja auch drauf. Manchmal weiß ich nicht genau, was ich hier mache. Zu meinen Hauptbeschäftigungen gehört, mich über Wert zu verkaufen.
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Es hat Jahre gebraucht, bis ich die beste Version meiner selbst zusammengebaut hatte, auch jetzt ist sie mir manchmal fremd. Dann guck ich in meinen aktuellen Lebenslauf und mir fällt wieder ein: Ich kann alles. Im Team, interkulturell, organisieren und recherchieren – hab ich schon alles gemacht. Und wenn ich da sitze, bei WG-Castings oder im Bewerbungsgespräch, dann denke ich an die Verkäuferin bei QVC, die einen unförmigen auberginefarbenen Pullover mit Glitzerapplikation so anpreist, dass sogar ich ihn nach 2 Minuten haben will. Und hoffe, ich komme in den Recall. Castings jeglicher Art haben mich in ungeahnte Höhen optimiert. Und das, obwohl mir das Optimieren nicht in die Wiege gelegt wurde: Die ersten 2 Jahre meines Lebens wuchs ich in einem System auf, in dem die Menschen auf ihre Arbeitsplätze zugeteilt wurden und sich nicht darum bewerben mussten. Offenbar hat das nicht besonders gut geklappt, denn dieses System gibt es heute nicht mehr. Vielleicht waren einfach nicht alle überzeugt, dass sie mit ihren Fähigkeiten optimal zu dem ganzen Unternehmen beitragen konnten. Überzeugen, Optimieren, nach oben, und wenn Scheitern, dann als Chance für den nächsten großen Aufstieg. Manchmal träume ich von einer Gegenbewegung, einem Trend, die dämlichste Version seiner selbst salonfähig zu machen. Von dem Zeitpunkt, wenn Karriere gesellschaftlich geächtet wird und als längst überholt gilt. Einer Zeit, in der Menschen um die 30 weder Kinder bekommen noch Karriere machen und es als avantgardistisch gilt, dick auf dem Sofa zu liegen und Chips zu essen. Vielleicht gründe ich auch mal ein Start-Up. CouchView wäre doch ein guter Name.
Text: Lina Schwarz Logo: Hülya Yalcin Illustration: Lea Nitz
Studenten ohne Ende Die Erstsemesterzahlen steigen – Gründe und Auswirkungen
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berakademisierung, freie Ausbildungsplätze und volle Hörsäle. So sieht es im Moment in der deutschen Bildungslandschaft aus. Nicht zuletzt ist diese Entwicklung auch in Bremen zu beobachten. Jedes Wintersemester wird die Uni Bremen von BewerberInnen geradezu überschwemmt. Mit 32.000 Bewerbungen gab es im Wintersemester 2011/2012 einen bis dahin nicht gekannten Ansturm auf Studienplätze an der Uni Bremen. Diese Bewerberlast führt zwangsläufig dazu, dass immer mehr Studienplätze vergeben werden. Einen Sitzplatz in der Mensa zu finden oder einen Korb in der Bibliothek zu erhaschen, gestaltet sich immer schwieriger. Doch wo soll diese Situation auf Dauer hinführen? Immer mehr junge Menschen nehmen ein Studium auf. Waren es vor gen werden von Studenten kritisiert. „Um einen Platz zu erwirund zehn Jahren noch 1,9 Millionen Studenten in Deutschschen, muss man gut 30 Minuten eher da sein“, sagt Garina, land, so sitzen nun 2,7 Millionen Studierende in den Hörsälen. eine BWL-Studentin im ersten Semester. Auch Jessi, ebenfalls Allein im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Studenten um BWL-Studentin beklagt: „Wenn man auf der Treppe sitzen muss, 3,1 Prozent gestiegen. Politik sowie Medien sehen dieser Entlernt man nichts“. wicklung eher kritisch gegenüber und sprechen von einer ÜberEine solche Situation zeigt sich jedoch nicht in jedem Studienakademisierung. Trotz aller negativen Stimmen lässt sich dieser gang. Die Fächer Betriebswirtschaftslehre, Rechtswissenschaften, Entwicklung auch etwas Positives abgewinnen. Die JugendPsychologie und Informatik haben jedes Wintersemester über arbeitslosigkeit ist in keinem anderen Land der Europäischen 150 Erstsemester zu betreuen und stellen damit die Spitzenreiter Union so niedrig wie in Deutschland. Laut einer Studie der der vollen Studiengänge dar. Der Studiengang BWL sticht dabei Organisation OECD stehen die Chancen auf eine Anstellung besonders hervor: 408 Erstsemester (Bachelor und Master) hanach dem Studium somit nicht schlecht. Was nützt jedoch eine ben laut Universität Bremen in diesem Wintersemester angefanHochschulausbildung, wenn das Wesentliche – die Qualität der gen. Das sind fast doppelt so viele Erstsemester im Bereich BWL Bildung – auf der Strecke bleibt? wie noch vor sechs Jahren. Diese Zahl ist jedoch nur eine vorläuJedes Jahr aufs Neue errechnet die Universität Bremen, wie fige, die endgültigen Zahlen werden noch berechnet. Denn obviele Studienanfänger im kommenden Semester aufgenommen wohl der Masterstudiengang BWL nur an die 90 Plätze zur Verwerden können. Diese fügung stellen konnte, Entwicklung der Erstsemester an der Uni Bremen insgesamt Kapazitäten werden studieren hier nun 149 berechnet nach der 7000 Masterstudenten. Diese Anzahl der Stunden, 6000 wurden im Nachhinein die jeder Lehrende angenommen – sie hatzur Verfügung stel- 5000 ten sich eingeklagt. len kann, und welche 4000 Der Artikel 12 des Curricula vorgesehen 3000 Grundgesetzes besagt, sind. Die räumlichen dass jeder Deutsche das Gegebenheiten spie- 2000 Recht hat, seinen Beruf len dabei jedoch keine 1000 und seine AusbildungsRolle. Doch genau die stätte frei zu wählen. 0 räumlichen Bedingun- 2008/2009 2009/2010 2010/2011 2011/2012 2012/2013 2013/2014 2014/2015 Eine Ablehnung für ei23
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Campusleben
Campusleben
Test Test Test – Welcher Party-Typ bis du? Montags bis Freitag ist Schuften, Schuften, Schuften – umso größer ist die Freude aufs Wochenende! Aber was bedeutet das eigentlich für dich? Glitzer oder Jogginghose? Tanzen oder Telefonnummern? Der zweite große ScheinWerfer-Psychotest verrät dir, welcher Party-Typ du bist!
Freitagabend: Du stehst bei Rewe an der Kasse, um schnell noch fürs Wochenende einzukaufen. Was liegt auf dem Band?
Anstieg der Erstsemesterzahlen im Studiengang BWL nen Studienplatz kann deswegen nicht einfach so ausgesprochen werden. Die Universität müsste detailliert begründen, warum eine Aufnahme nicht möglich ist. Zu geringe Kapazitäten reichen da als Begründung nicht aus, und meist gibt es rechtlich gesehen gar keinen Grund, eine Ablehnung auszusprechen. Eine solche drastische Entwicklung ist in ähnlicher Form nur noch im Studiengang Informatik zu beobachten. Auch hier hat sich die Anzahl der Studienanfänger seit sechs Jahren fast verdoppelt. Allerdings ist die Zahl der Anfänger eine weitaus geringere im Vergleich zu BWL; in diesem Wintersemester wurden 265 Erstsemester angenommen. Diese Zahlen sprechen für das hohe Interesse, welches diese Fächer bei den Schulabgängern auslöst. Informatik ist aufgrund des rasanten technischen Fortschritts immer gefragter. Rechtswissenschaften und BWL versprechen seit jeher einen sicheren und guten Arbeitsplatz. Auch der Studiengang Psychologie wird seit Jahren immer beliebter. Am Ende bleiben viele Fragen unbeantwortet: Wohin soll diese Entwicklung führen, wenn insbesondere die Qualität der Bildung aufgrund der engen räumlichen Bedingungen und der Überfüllung leidet? Wenn jeder studiert, verliert ein Studienabschluss
dann nicht irgendwann an Wert? Fest steht, dass auch in Zukunft mehr Studenten an der Universität angenommen werden. Mit dem Hochschulpakt 2020 haben Bund und Länder eine Vereinbarung getroffen, um die hohen Studierendenzahlen zu bewältigen. Doppelte Abiturjahrgänge, Ausfall des Wehrdienstes und das allgemein steigende Interesse an Studienplätzen sorgen für viele Studienanfänger, welche finanziert werden müssen. Die Universitäten erhalten durch das Abkommen finanzielle Mittel, wenn sie die für die jeweilige Uni vereinbarten Zielzahlen an Plätzen erreicht haben. „Es ist keine Frage des Images, eher eine Frage der Gewährung von Studienmöglichkeiten und der von allen Hochschulen gemeinsam getragenen Verantwortung“, sagt Christina Vocke, Leiterin des Dezernates für Studentische Angelegenheiten der Universität Bremen. Die Entwicklung ist jedoch auch hier nicht vorhersehbar. In jedem Jahr wurden die Vorausberechnungen übertroffen, wodurch sich die prognostizierten Zahlen immer wieder erhöhen. Ein Ende des Erstsemesterbooms ist auch weiterhin nicht in Sicht.
400 350 Rechtswissenschaften Psychologie BWL Informatik
300 250 200 150 100 50
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2010/2011
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2013/2014
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Vier Sixer müssten reichen. Wodka ist im Haus.
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Möhren, Zwiebeln, Curry-Gewürz. Ach, und brauchen wir Nudeln oder Reis? Hmm, ich muss schnell nochmal die Anderen anrufen.
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Mein Wochenendkonsum lässt sich mit einem Einkauf bei Rewe nicht decken.
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2014/2015
Text: Annika Papenbrock Grafik: Ulrike Bausch Quelle: Referat 05 Foto: Samira Kleinschmidt
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Das Licht war nie aus, wie hätten wir ohne Licht die letzten fünf Stunden Siedler spielen sollen?
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Was? Warum denn? Na gut, dann ziehen wir weiter ins Heartbreak Hotel. Und dann… Ach, erst mal noch ‘nen Schnaps
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Endlich. Jetzt kann ich meine neue Bekanntschaft bestimmt überzeugen, mit mir nach Hause zu gehen.
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Ein Fuchs im Schnee, die Plätzchen in der Weihnachtszeit, Kürzungen an der Uni: Alles hinterlässt Spuren. Nach dem Wochenende…
Der Einkauf ist getan, du bist zuhause und die Nacht rückt näher. Du gehst also ins Bad, stehst vor dem Spiegel und …
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…. mit meinem Lockenstab zaubere ich mir Volumen ins Haar!
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…. genau der richtige Zeitpunkt, das erste Bier zu öffnen.
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…. wie immer abends putze ich mir die Zähne.
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„Geiles Set! Das hat der doch an der Seebühne auf der letzten Fusion auch aufgelegt!“
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„Da kannst du keine Stadt bauen. Der Magier zeigt in die falsche Richtung.“
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„Und wie heißt du? Ja klar, ich nehm noch ‘ne Piña Colada.“
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2009/2010
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Stell dir ein typisches Wochenende vor. Welcher dieser Sätze könnte von dir stammen?
Entwicklung der Erstsemester im Vergleich
0 2008/2009
noch
Das Licht geht an.
…bin ich auf 20 neuen Fotos auf facebook getaggt, im Album „Mit den Besten“. Jetzt weiß ich auch wieder, wer alles auf der Party am Samstag war. …ist erst mal wieder Sparen angesagt. Das Ticket für den ICE zu meinen Eltern hat wieder so viel gekostet. …Kopf, Rücken, Leber. Bleibt zu hoffen, dass sie mit ihren Aufgaben wachsen.
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Die Woche war hart - du hast Referate gehalten, Prüfungen geschrieben, gelernt und geschuftet. Jetzt stehst du kruz vor dem Burn-Out. Was kann dich noch retten? •
Haake Beck. Oder Hemelinger. Ist eigentlich egal.
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Tanzen im Trance! Dabei lässt sich gut abschalten.
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Ein Wochenende mit dem Internet. Nichts entspannt mich so sehr wie Katzenvideos gucken und lesen, was die Community so schreibt.
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Bremen
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Heute noch nichts vor? 3 Dinge, die man in Bremen getan haben muss
Typ A – Prost!
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Carpe Diem. Das Leben will gefeiert werden und wenn es sich anbietet, gehst du dafür auch auf eine Party. Natürlich mit entsprechender Vorbereitung: Es können schon Stunden vor dem Spiegel vergehen bis zum richtigen Make-up und der perfekten Gel-Verteilung im Haar. Dann gehst du am liebsten zu Freunden auf WG-Partys, da lässt sich der Pegel gut halten, ohne viel Geld auszugeben. Klar, man kann auch ohne Alkohol Spaß haben; wie gut das klappt, sieht man ja von Montag bis Freitag vor 18 Uhr. Musik ist dir egal, wenn du die Songs aus dem Radio kennst, umso besser. Und wenn du nach dem Abend mindestens eine neue Telefonnummer im Handyspeicher hast, hast du eigentlich alles richtig gemacht. Nur eine eiserne Regel hast du: Um vier gehst du nach Hause. Notfalls auch alleine. Typ B – Ganz gemütlich Text: Lina Schwarz
Du freust dich immer sehr aufs Wochenende: Endlich Siedler mit der neuen Erweiterung spielen! Gut, dass man nur zu viert spielen darf; bei mehr als vier Leuten im Raum hast du eh Platzangst und guckst dich nach der nächsten Fluchtmöglichkeit um. Einmal warst du mit auf einer Party deines Studiengangs im Magazinkeller: Die Musik war laut und eintönig, unterhalten unmöglich – nach 20 Minuten hast du es vor Langeweile nicht mehr ausgehalten und bist nach Hause gegangen. Wenn dich Freunde fragen, ob du mit auf eine Party kommst, lächelst du weise und erklärst ihnen, aus dem Alter seist du raus. Hat aber auch schon lange niemand mehr gefragt….
Typ C – Auf geht‘s, ab geht‘s, drei Tage wach. In vielen Städten gibt es Party-Planer im Internet. In Bremen gibt es dich. Du weißt immer, wer wann wo auflegt, und wie zum Beweis bist du dann auch immer live anzutreffen. Schlaf ist was für Anfänger und lässt sich doch unter der Woche prima nachholen. Von Freitag bis Sonntag wird gefeiert. Nur mit Menschen, die das wirklich ernst nehmen, kannst du dir sowas wie Freundschaft vorstellen. Man trifft dich in der Spedition oder auf der Treue und natürlich – ein Muss – im Sommer auf der Fusion. Tinnitus? Normal. Alles hat seinen Preis.
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Text: Lina Schwarz Illustrationen: Jann Blodau
Bremens dunkle Seite
ust auszugehen und keinen Bock auf 08/15 Disco, Club oder Bar? Dann besuch doch mal Bremens schwarze Szene! Wer in Bremen weggehen möchte, entscheidet sich für’s Stubu (wenn es gerade nicht zwangsweise geschlossen ist), geht ins Gleis 9, rockt im Tower mit oder wählt einen der anderen Clubs, die Bremen so zu bieten hat. Doch wer keine Lust verspürt, den üblichen ausgetretenen Trampelpfaden zu den aktuellen Hits zu folgen, sollte sich an bestimmten Terminen Richtung Hemelingen bewegen. Im Veranstaltungshaus Aladin Music Hall und dem Tivoli direkt daneben finden regelmäßig drei große Veranstaltungen statt, die nicht nur Ungewöhnliches für die Ohren, sondern ganz besonders für die Augen bieten. Gemeint sind die M it te l a lter-R o c k und Gothic-Nacht Veitstanz, sowie die Rabenschwarze Nacht (RSN) im Tivoli. Beides findet allerdings nicht sehr regelmäßig statt. Die Veranstaltungen krönen sich in regelmäßigen Abständen in einer der größten Gothic-Club-Nächte Deutschlands: dem sogenannten Gothfest: 4 Areas, 6 DJ’s, Merch- und Schmuckstände, Feuershows und Gaukler warten hier auf die Besucher. Musikalisch erwartet euch neben Mittelalter-Rock, Gothic, Elektro und Alternative auch EBM, Industrial, Punkrock, Indie-Rock, Neue Deutsche Härte und vieles mehr. Neben der unkonventionellen Musik gibt es auch Ungewöhnliches aufs Auge. Vornehmlich schwarz gekleidete Menschen verschiedener Altersklasse kommen, um die Musik zu genießen und sich zu treffen. Korsagen, Lack und Leder, aufwendige Kostüme, schwere Boots und Mittelalterliches treffen auf gemütlich-legere Kleidung – und alle haben Spaß an der Musik und der Atmosphäre!
Text: Pia Zarsteck Illustration: Samira Kleinschmidt
An Bord der MS Treue: Ahoi Matrosen!
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ie MS Treue, das Clubschiff Bremens, begeistert seit einem Jahr unter der neuen Leitung von Robert Woltersdorff mit verschiedensten Partyangeboten: Von Konzerten über Elektronische Tanzmusik bis hin zu IndieRock. Die MS Treue sieht sich als Treffpunkt für Menschen ohne Vorurteile, Rassismus oder Sexismus. Das Betonschiff bietet Raum für Musik und Tanz sowie Spaß und Feiereien. Das Eintrittsalter bei Clubveranstaltungen liegt bei 20 Jahren, bei Konzerten laut den gesetzlichen Vorschriften. Neben dem großen Partyangebot lässt sich die MS Treue auch für Privatveranstaltungen mieten. Kulturveranstaltungen sowie Theateraufführungen, Konzerte oder Lesungen ziehen Besucher auf das Schiff. Insbesondere überzeugt das Schiff durch seine Einzigartigkeit und unvergleichliche Atmosphäre. Auffallend ereignisreich ist die künstlerische Steuerkajüte, die als Raucherraum dient. Im Januar gibt es Livemusik der Band JEDEN TAG SILVESTER auf die Ohren und FREDDY FISCHER & HIS COSMIC ROCKTIME BAND lassen das Publikum lachen. Die eigenen Partyreihen YOU AND SOME PANDAS und MS HAPPY bringen die MS Treue regelmäßig zum Kentern. Das solltet ihr nicht verpassen, ein Besuch lohnt sich!
Text: Katharina Nowak Foto: MS Treue
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Bremen
Bremen
Von Pappeln und Purzelbäumen – Ein Spaziergang auf der Pappelstraße
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Aufgepasst – hier kommt Admiral Nelson!
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enn ihr mal Lust habt auf Pfannkuchen in den verschiedensten Varianten, solltet ihr euch nicht das Pannekoekschip entgehen lassen! Hier vollzieht sich eine Reise in ein anderes Zeitalter. Zurück in die Zeit, wo die Piraten noch die Meere beherrschten. Die Küche hat sich von den sieben Weltmeeren inspirieren lassen. Auf der Admiral Nelson bekommt ihr sowohl klassische Pfannkuchen mit Apfelmus oder herzhaft mit Salami als auch ausgefallenere Variationen wie den karibischen oder indischen Pfannkuchen. Ein kurzer geschichtlicher Exkurs: Das Pannekoekschip trägt den Namen eines großen britischen Seemanns. Admiral Nelson ist zur Zeit Napoleons für die Briten gesegelt und hat eine der wichtigsten Schlachten für Großbritannien gewonnen. Mit dem Sieg in Spanien über die französischen und spanischen Flotten durchkreuzte Nelson die Pläne Napoleons zur Invasion in England. Durch die siegreiche Schlacht, die von Nelson angeführt wurde und in der er sein Leben ließ, ergatterte er für England die vorherrschende Seemacht. Das Schiff ist in Bremen eine beliebte Touristenattraktion. Aber
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als echter Bremer, auch wenn man erst vor Kurzem zugezogen ist, sollte man sich auf die Reise zum Admiral Nelson machen und sich mutig an die Pfannkuchen für Entdecker wagen! Internet: www.admiral-nelson.de Text: Antonia Cohrs Foto: Pannekoekschip Admiral Nelson
ls Bremer Zugezogener hört und liest man eine ganze Menge über die Neustadt: »Die Neustadt mausert sich langsam«, »Das ist der zweitbeliebteste Stadtteil unter Studenten« oder auch »Die Neustadt ist viel besser als das ‚Viertel‘«, lassen sich Alteingesessene wie Wahl-Neustädter zitieren und wer einmal in dem beinahe quadratischen Kleinod zwischen Mitte und Huchting des lakonisch auch »Flüsseviertel« genannten Bezirks flaniert ist, erahnt warum sich so viele Mythen links der Weser säumen. Entlang der Pappelstraße, dem heimlichen Herzen des ehemaligen Arbeitsviertels, herrscht immer reges Treiben. Eingangs, seitens der Langemarckstraße, fällt jedem Besucher gleich der Hochbunker in der abgehenden Moselstraße ins Auge, der mit seinen gut 100 Metern Höhe das gesamte Areal überragt. Zwischen den Altbremer Häusern und der Einkaufsmeile wirkt er wie ein überdimensionaler Legostein und soll einstmals gar zur Tarnung mit einem Fassadenmotiv anliegender Häuser bemalt worden sein. Auch am anderen Ende, wo die Pappelstraße in die Friedrich-Ebert-Straße mündet, befindet sich ein obskurer Körper: Ein sandsteinerner Stuhl der Bremer Bildhauerin Martina Benz, der seit 2002 als Symbol für Rastlosigkeit und Ruhe die Straßenkreuzung schmückt. Kreativität als Antriebs- und Erholungspol. Eine Straße wie ein offenes Buch (oder: Zwischen Wurzeln und Wälzern) Überhaupt ist die Pappelstraße eine bunte Meile. Ausländische Lebensmittel werden hier angeboten, ein Laden für Naturkosmetik steht in direkter Nachbarschaft mit einem Dessousgeschäft und diverse Cafès locken zum Speisen, Verbummeln, Verweilen – hier ist »Vielfalt« kein rudimentärer Polit-Begriff der 2000er-Jahre, sondern ganz normaler Alltag. Doch anders als etwa das berühmte »Viertel« entlang des Ostertorsteinwegs, wohnen hier Künstler, Studenten, Zugezogene und Familien in natürlich-gewachsener Nachbarschaft. Bürgerinitiativen bestimmen die Gestaltung der Nachbarschaft. »Viele ziehen aus Kostengründen in diese Gegend, aber wollen am Ende gar nicht mehr woanders hin.«, beschreibt ein Passant den Charme des beinahe dörflichen Miteinanders. Der Neustadt und ihrer Pappelstraße eilt ein gemeinschaftlicher Ruf voraus.
Dies ist wohl auch ein Grund, weshalb hier vor rund zwei Jahren die erste »Freiluftbibilothek« Bremens eröffnet wurde. Auf dem Delmemarkt in der Mitte der Pappelstraße können diverse Bücher in einem frei zugänglichen Bücherschrank gespendet, gelesen und getauscht werden. Die auffällige Stahlkonstruktion des Bremer Stadtplaners Christian Schilling ist ein fest etablierter Ort der Kommunikation. »Ich kannte solche Bücherschränke aus Bonn und hatte mir schon länger gewünscht, so etwas auch in Bremen zu haben«, kommentiert Initiatorin Sunna Lotz und erzählt, dass bis heute keine Beschädigung des Schrankes stattgefunden hat, wie anfangs vielerorts befürchtet wurde – nur eines von vielen Zeichen, dass die Anwohner und Geschäftsbetreibenden in der Pappelstraße einen familiären Umgang miteinander pflegen. »Hier wohnen auch viele Stundeten«, erzählt eine Anwohnerin. Die vergleichsweise niedrigen Mietpreise, die gute Verkehrsanbindung zu 29
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Der Spagat zwischen Bürokratie und Menschlichkeit Willkommenskultur in Bremen Hauptbahnhof und Flughafen sowie die Nähe zur Hochschule Bremen weisen die Neustadt ohnehin als »klassisches Studentenviertel« aus. So befand sich in der benachbarten Lahnstraße bis vor kurzem auch die »DETE« – eine Art Pop-Up-Store mit freiwilligen Helfern, der für Ausstellungen, Konzerte oder Theateraufführungen genutzt wurde und nun leider einem Mietwohnungsprojekt weichen musste. Gentrifizierung findet eben nicht bloß in Berlin statt. Frischer Wind in den Weiden Ihren Namen bekam die Pappelstraße übrigens durch einen naheliegenden Schützenhof, der von unzähligen Pappeln gesäumt gewesen sein soll. Und auch, wenn rund 110 Jahre später keines dieser Weidengewächse mehr das Straßenbild aufhübscht, bleibt die Pappelstraße ein Ort natürlichen Wachstums. Doch nicht jedem gefällt die vitale Ambition, die manche Neustädter in und um die Pappelstraße an den Tag legen. Ein älterer Passant räuspert im Gespräch: »Das hier war mal ein ruhiges Viertel – jetzt mutiert es langsam zu einem Mekka für Pseudokünstler« und weist auf die angebliche Geldverschwendung am benachbarten Gottfried-Menken-Platz hin, wo eine zweite Bücher-Tauschbörse geplant sei. Vielleicht kann man ihm bei einem »Kalabums« (veraltet für Purzelbaum) – jenem beliebten Ingwer-Schnaps, der ebenfalls in der Neustadt hergestellt wird – die Vorzüge einer autonomen Nachbarschaft nahelegen. Eventuell schlägt er ja Pappel- oder Purzelbäume. Text: Fionn Birr Bilder: Andres Stucke
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urch die vielen Kriege, Katastrophen und Krisen der letzten Jahre ist aktuell eine drastisch hohe Zahl an Flüchtlingen aus zahlreichen Ländern dieser Erde auf der Suche nach einer friedlichen Bleibe. Den größten Anteil der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge machen Menschen aus Syrien, Südosteuropa und Nordafrika aus. Die dadurch aufkommenden Probleme, aber auch die daraus entstehende Thematik einer menschenwürdigen Versorgung und Unterbringung beschäftigen aktuell die Stadt Bremen. In den einzelnen Stadtteilen wird auf ganz unterschiedliche Weise mit der Flüchtlingsthematik umgegangen. Man ist sich zwar unter den Bürgern weitgehend einig, dass den Flüchtlingen sowohl auf materieller Ebene als auch aus sozialer Sichtweise geholfen werden muss, doch die Umsetzung gestaltet sich derzeit zumindest teilweise als schwierig. Debatten gibt es vor allem zur Aufnahme von unbegleiteten, oft noch minderjährigen Jugendlichen, die in Bremen bereits kriminell wurden. Dieser Punkt gibt beispielsweise in den beiden Stadtteilen Farge und Rekum im Bremer Norden aktuell Anlass zum Streit. Auslöser ist das von der Bremer Sozialbehörde eingerichtete Heim für jugendliche Flüchtlinge, die in letzter Zeit durch Straftaten wie Einbrüche, Diebstähle oder Körperverletzungen auffielen. Bereits im Vorfeld gab es viele Stimmen, die sich gegen das Projekt aussprachen. Nun, da das Flüchtlingsheim eingerichtet ist, fühlen sich viele Bewohner des Stadtteils Farge als auch des Stadtteils Rekum von möglicher Kriminalität durch Asylanten bedroht und verschafften sich auf einer Einwohnerversammlung Ende November Gehör. Auch in Borgfeld, einem familienreichen Stadtteil im Nordosten Bremens, machte sich Anfang September Skepsis breit, als klar war, dass dort ein Flüchtlingsheim entstehen sollte. Die Anwohner waren sich weitgehend einig, dass den Flüchtlingen geholfen werden muss. Allerdings sollen in dem Heim keine Flüchtlingsfamilien untergebracht werden, sondern minderjährige Jugendliche, die ohne die Begleitung ihrer Eltern nach Bremen kommen. Diese Tatsache bereitete vielen Anwohnern Probleme, die vor allem ihre Familien und Kinder gefährdet sehen. Der Stadtstaat Bremen wird im Vergleich zu anderen Bundesländern aus unbekannter Ursache von sehr vielen Flüchtlingen aufgesucht. Aufgrund der Tatsache, dass die unbegleiteten Jugendlichen von jenen Behörden versorgt werden müssen, bei denen sie sich zuerst melden, ist die Lage in Bremen besonders prekär. Im Moment hat die Stadt etwa 350 minderjährige Jugendliche aufgenommen. Bis zum Ende des Jahres werden es bis zu 500 Jugendliche sein, die betreut werden müssen. Zum Vergleich: 2012 nahm Bremen etwa 100 minderjährige Flüchtlinge auf. Wie bereits erwähnt, ist die Anzahl der Flüchtlinge in den letzten Jahren drastisch in die Höhe gestiegen. Es werden dringend Unterkünfte gesucht, die für eine menschenwürdige Unterbringung geeignet sind. Aufgrund dieser Dringlichkeit
ist es laut Staatsrat Horst Frehe von den Grünen auch kaum möglich, auf die Wünsche des Ortsbeirats und der Bewohner einzugehen, beispielsweise nur Flüchtlingsfamilien nach Borgfeld zu schicken. Wie es scheint, hat sich der Beirat aber in der Zwischenzeit damit arrangiert und unterstützt nun aktiv die Pläne des Sozialressorts, das in Borgfeld nun 40 Jugendliche in Wohncontainern unterbringen will. Das Sozialressort wird von der Senatorin Anja Stahmann geleitet und beinhaltet unter anderem die Entwicklung und Steuerung der sozialen Hilfen für Flüchtlinge. Die zusätzlichen Finanzmittel für die Integration von Flüchtlingen für die Jahre 2014 und 2015 in Höhe von 350.000 Euro werden dabei zur Hälfte von der Senatorin für Finanzen zur Verfügung gestellt. Im Moment ist noch nicht klar, aus welchen Ländern die Jugendlichen nach Borgfeld kommen werden und ob der von Immobilien Bremen gestellte Bauantrag für die Aufstellung der Container an der Wendeschleife genehmigt wird. Sobald dies feststeht, ist ein runder Tisch geplant, an dem vor allem die Unterstützung von karitativen Einrichtungen, aber auch die Mithilfe von Bürgern organisiert werden soll. Dazu werden bereits jetzt Gespräche mit der Caritas, dem Deutschen Roten Kreuz und dem Bremer Zentrum für Jugendlichen- und Erwachsenenhilfe (KRIZ) geführt. Im Dezember wird sich eine Expertenrunde zusammenfinden, in der es um eine Entgeltvereinbarung sowie um die Erteilung einer Betriebsgenehmigung gehen wird. Dass die Sorgen der Anwohner in den betroffenen Stadtteilen wie Borgfeld oftmals unbegründet sein können, zeigen Beispiele anderer Stadtteile aus der Vergangenheit. Neben den genannten und zurzeit in Planung stehenden Unterbringungen treten die zahlreichen existierenden Wohnprojekte und Hilfseinrichtungen für Flüchtlinge in Bremen in den Hintergrund. Dieser Effekt wird vor allem durch die lokalen Medien verstärkt. Viele Unterkünfte, deren Planung und Umsetzung vor allem im letzten Jahr intensiv diskutiert wurden, sind jedoch seit Ende 2013 (beziehungsweise Anfang 2014) erfolgreich bezogen. Ein Beispiel für eine solche Flüchtlingsunterbringung ist jene auf dem Gelände der Bardowickstraße. Auch im Stadtteil Vahr wurde die Problematik durch Vorbehalte und Ängste der Anwohner im letzten Jahr stark thematisiert; denn auch im östlichen Raum Bremens waren die Anwohner besorgt um ihr Wohnumfeld und äußerten Ängste vor mehr Kriminalität oder dem Wertverlust des Eigenheimes. Zu den Sorgen der Vahrer Bürger stellte ein Vertreter der katholischen Kirche damals fest: „Von Angst dürfen alleine die Flüchtlinge reden, denn die haben Entsetzliches hinter sich.“ Die trotzdem in der Anfangszeit noch nicht abgelegten Vorbehalte scheinen heute nahezu verschwunden. Das Projekt ist noch im November 2013 angelaufen und die Betreuung wie auch das Angebot für Flüchtlinge durch Nachbarn, Kirchen und Schulen inzwischen groß. Ein Vorgänger eines solchen Projekts war zudem das inzwischen 31
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etablierte Asylheim in Schwachhausen. Durch den starken Anstieg der Flüchtlinge in der Hansestadt musste Ende 2012 schnell nach einer zumindest vorübergehenden Lösung gesucht werden. Die neue Unterkunft fand sich schließlich in einer ehemaligen Schule in der Thomas-Mann-Straße. Auch hier gab es Widerstand seitens der Bevölkerung, welcher jedoch seit dem Bestehen der Einrichtung stark abgeflaut ist.Osterholz und Gröpelingen zählen ebenfalls zu den neueren Mitgliedern der mit Flüchtlingsheimen ausgestatteten Stadtteile: Sie bieten seit März 2014 Unterkünfte für jeweils sechzig Flüchtlinge, zu denen in Gröpelingen vor allem Familien mit Kindern, in Osterholz dagegen eher Einzelpersonen gehören. Beispiele wie diese zeigen die bisherigen Erfolge und geben Hoffnung für einen möglichen Fortschritt in der Bremer Flüchtlingsproblematik. Sie machen jedoch auch deutlich, dass vor allem die Jugendlichen unter ihnen noch mehr Hilfe benötigen und dass Projekte wie jenes in Borgfeld nötig sind. Ein bestehendes Heim für Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren bilden die im April 2014 aufgestellten Wohncontainer in Horn. Sie sollen allerdings nur eine Übergangslösung für die vierzig jungen Männer aus Westafrika, Algerien und Afghanistan sein und diese auf ihr neues Leben in Bremen vorbereiten. Sie erhalten Betreuung durch vier bis acht Pädagogen, die mit ihnen kochen, Anträge ausfüllen und sie individuell beraten. Vor allem für minderjährige Flüchtlinge erfordere es gesonderte Einrichtungen, Konzepte und zusätzliche Integrationsangebote, so Sozialsenatorin Stahmann. Da einige der Jugendlichen in ihrer Heimat und auf ihrer Reise Traumatisierendes erlebt haben,
werden sie während der alltäglichen Eingewöhnung im neuen Land zudem von Psychologen unterstützt, um das Geschehene zu verarbeiten. Die auch aktuell noch stark diskutierten und mit viel Skepsis beobachteten kriminellen Vorfälle, die auf einige jugendliche Flüchtlinge zurückzuführen sind, überschatten den erfolgreichen Teil der Arbeit von Initiativen wie dem „Fluchtraum Bre-
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men e.V.“. Diese bieten Jugendlichen, wie denen in Horn, ein Netzwerk und setzen sich mit den Hintergründen und Schicksalen der einzelnen Menschen auseinander, die hinter dem Wort „Flüchtling“ stehen. Klar ist, dass trotz der immer wieder in den Medien thematisierten Probleme um die Entstehung neuer Flüchtlingsunterkünfte auch schon ein großer Schritt in diesem Bereich getan wurde. Doch reicht dieser für eine endgültige Lösung des Problems natürlich nicht aus. Es bleibt zudem die Frage, was in Bremen ansonsten für Flüchtlinge getan wird, außer Wohnraum zu bieten, welcher zumal meist nur als Zwischenlösung dient. Und was sagen betroffene Flüchtlinge, wie zum Beispiel die Jugendlichen in der Horner Unterkunft, selbst dazu? Um eine dauerhafte Verbesserung des Umgangs mit Flüchtlingen, insbesondere auch Minderjährigen ohne Begleitung, zu erzielen, muss weiterhin die Integration im neuen Land – im konkreten Fall Deutschland – das oberste Ziel sein. Es bleibt interessant zu verfolgen, wie mit der Problematik in Zukunft umgegangen wird und wie sich die aktuellen Prozesse in Borgfeld und Co. entwickeln werden.
Text: Veronika Neft, Jannika Liesenberg Illustration: Ulrike Bausch
Ein Auto für alle Fälle! Bremen macht sich besonders stark für das Konzept des Car-Sharings. Die Parkplätze für entsprechende Autos scheinen wie Pilze aus dem Boden zu sprießen. Es gibt mittlerweile mehr als 60 Stationen, an denen man Autos ausleihen kann. Dahinter stehen verschiedene Konzepte, die Fahrzeuge für die Allgemeinheit anbieten. Aber was steckt hinter dem Begriff „Car-Sharing“, das an immer größerer Popularität in den Ballungsräumen erfährt?
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ar-Sharing“ bedeutet, dass sich viele Autofahrer einen Wagen teilen. Das kann beispielsweise privat, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis oder in der Familie geregelt oder über Internet-Netzwerke koordiniert werden. Der Nutzer kann sich eine individuelle Mobilität sichern, ohne die verschiedenen Kosten (Versicherung, Steuern, Verschleißteile, Wartung, Sprit, Stellf lächen o.ä.) für ein Fahrzeug alleine tragen zu müssen. Die Nachteile am privaten Car-Sharing bestehen allerdings darin, dass man sich selbst um Dinge wie Instandhaltung des jeweiligen Fahrzeugs kümmern und sich im Vorfeld mit den Mitnutzern absprechen muss, wann das Auto zur Verfügung steht. Dies hat zur Folge, dass spontane Ausfahrten, wie ein ungeplanter Trip zum nächsten Ikea, nicht ohne Weiteres unternommen werden können. Meist wird Car-Sharing in einem größeren Umfang betrieben, was dann über einen Träger koordiniert wird, der sich um die Wartung, Versicherung und Buchungen der Autos kümmert. Darüber hinaus stehen meist mehrere Fahrzeuge und Fahrzeugtypen zur Auswahl, aus denen man wählen kann. Das Angebot reicht von kleinen zweisitzigen Stadtflitzern über die Familienkutsche bis hin zu kleineren Transportern, die man für Umzüge nutzen kann. Der Autofahrer muss sich im Endeffekt nur darum kümmern, dass der Wagen sauber und möglichst ohne Schäden rechtzeitig an seinem Standort abgestellt wird, damit der nächste Nutzer pünktlich zur vereinbarten Zeit fahren kann. Um einen Wagen buchen zu können, muss man sich bei dem jeweiligen Anbieter oder einem Netzwerk registrieren und kann gegen eine monatliche Gebühr (die bei vielen Trägern für Studis entfällt) zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Fahrzeug mieten. Voraussetzung ist natürlich ein Führerschein, der zur Nutzung der Fahrzeugklasse berechtigt. Das Auto kann dann an einer der unzähligen Stationen abgeholt werden. Die Kosten für die Nutzung des Wagens setzen sich zum einen aus der Nutzungsdauer und zum anderen aus den gefahrenen Kilometern zusammen. Die Abrechnung nach Kilometern soll ein bewussteres Fahren unterstützen und fördern.
Bremen als Vorreiter 2003 wurde das Konzept der mobil.punkte in Bremen als Pilotprojekt ins Leben gerufen. Dahinter steht ein Verkehrsentwicklungsplan, der Bremen zu einem Vorreiter im Car-Sharing gemacht hat. Darüber hinaus werden die Stationen vom Senator für Umwelt, Bau und Verkehr gefördert. Mehr als 9.075 Bremer (Stand September 2014) nutzen bereits Car-Sharing an diesen Stationen. Der Anbieter Cambio gibt an, dass sich in Bremen ca. 45 Bürger ein Auto teilen. Eine Erfassung der Nutzer hat gezeigt, dass ein Car-Sharing-Auto elf Privatwagen ersetzt, da auf das eigene Auto verzichtet wird. Statistisch betrachtet, haben CarSharer bereits 2000 Autos ersetzt, was zu weniger Emissionen, mehr freien Stellplätzen und weniger Kosten für die einzelnen Nutzer geführt hat. Die Stationen sollen den Parkdruck und das Verstellen von kleinen (Zufahrts-) Straßen in Ballungsräumen verhindern, wie beispielsweise im Viertel. Dort wurde ein Standort für eine Station gemeinsam mit der Müllabfuhr, Rettungskräften und der Stadt ausgesucht und umgesetzt. Besonders für Anwohner, die zentral wohnen, bietet dies einen großen Vorteil: Sie brauchen kein eigenes Auto, um eines spontan nutzen zu können. Häufig ist es nämlich der Fall, dass das Auto im städtischen Raum nur als Ergänzung zum Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln gesehen und eher selten bewegt wird. Viele verzichten gar auf ihr eigenes Auto oder auf die Anschaffung eines Wagens, da sie die mobil.punkte direkt vor der Tür haben. Insbesondere diejenigen, die zwar regelmäßig, aber nicht täglich einen Wagen brauchen, sind von dem Konzept begeistert. Die Car-Sharing-Standorte mobil.punkte begrenzen sich nicht nur auf das Standzentrum, sondern sind auch in Stadtteilen wie Vegesack, Walle, Borgfeld, Hemelingen oder Osterholz zu finden.
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Darüber hinaus tragen die mobil.punkte in Bremen das Umweltgütesiegel „Blauer Engel“.
Mit Strom durch die Stadt Markus Spiekermann, Projektleiter bei move about, sieht in dem Siegel des Blauen Engels allerdings auch einen Nachbesserungsbedarf für das Car-Sharing-Angebot in Bremen: An den Stationen, die das Gütesiegel tragen (wie die Bremer mobil.punkte) dürfen nur Fahrzeuge stehen, die mit fossilen Energieträgern fahren. Er sieht darin einen sehr großen Nachteil gegenüber Anbietern, die nur E-Autos zur Verfügung stellen. Besonders neuen Anbietern wird der Einstieg durch die „Ersetzungsquote“ der mobil.punkte schwer gemacht. Diese kann nicht geleistet werden, da noch keine Bestandskunden vorhanden sind. Anbieter von Elektro-Autos müssen auf private Flächen ausweichen, da sie die mobil.punkte nicht nutzen dürfen. Neben der Einsparung von Privatfahrzeugen und dem vermehrten Ausstoß von Abgasen bieten Elektro-Autos im Bereich des CarSharings noch viel umfassendere ökologische Vorteile: Sie sind
lokal emissionsfrei, da sie keinen Auspuff haben, haben weniger Verschleißteile, die nachgebessert werden müssen und sind unabhängig von der Erdölförderung, die politisch immer wieder neue Probleme mit sich bringt. Viele Nutzer haben noch immer Vorurteile gegenüber Elektro-Autos, hauptsächlich gegenüber der Reichweite der Fahrzeuge und deren Ladedauer. Spiekermann hebt hervor, dass neuere Modelle, die im Car-Sharing zum Einsatz kommen, bei einer Ladezeit von einer Stunde eine Mindestreichweite von 100 km haben, die je nach Fahrzeugtyp auch höher sein kann. Mit dieser Reichweite kann man zweimal von Bremen-Nord bis zur Uni und wieder zurück fahren und hat immer noch eine kleine Restladung für den Notfall oder für einen kleinen Umweg. Spiekermann schloss damit, dass „Bremen auf der richtigen Spur“ sei, was das Thema Car Sharing betrifft.
um genügend und vor allem passende Auszubildende zu finden. Nur reicht dies nicht aus, da die qualifizierten Jugendlichen, die ohne Hilfe eine gute Ausbildung absolvieren würden, fehlen. Was wollen die Jugendlichen? Der Trend für Jugendliche mit Abitur geht zum Bachelorabschluss. Woran kann das liegen? Laut Bildungsbericht 2014 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist die Anzahl der Studienanfänger erstmals höher als die der Anfänger im Bereich duale Berufsausbildung. Dies wird mit der steigenden Zahl der hochschulberechtigten Schulabgänger zusammenhängen. In Bremen alleine schließen über 50% der Schüler die Schule mit dem Abitur ab. Wa-
Text: Tanja Koelen Illustration: Hülya Yalcin
Was ist eigentlich mit der Ausbildung passiert? Der Zwiespalt zwischen Ausbildung und Studium
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ie Diskrepanz zwischen den höheren Anforderungen an Jugendliche durch Unternehmen und der Anzahl der unbesetzten Ausbildungsplätze wird immer stärker. Es geht darum, dass die Länder immer mehr neue Ausbildungsplätze schaffen und diese jedoch nicht besetzt werden, da die Unternehmen von den Jugendlichen immer mehr Qualifikationen verlangen, die von vielen Schulabsolventen nicht geleistet werden können. Dieser Fakt löst die Tendenz aus, dass die Ausbildungsrate sinkt. Nur was sagen die Zahlen? In Bremen gibt es laut Bremer Vereinbarung 7.000 Ausbildungsplätze, von denen laut Handelskammer im Jahr 2014 2.655 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden. „Nur“ 378 Plätze waren unbesetzt. Schaut man auf die Zahlen bundesweit, sieht es düster aus. Vom Jahr 2012 zu 2014 sanken die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 3,1%, das heißt 16.300 weniger Plätze wurden besetzt. Laut BIBB werden knapp 40% der angebotenen Ausbildungsplätze in Betrieben nicht besetzt. Die Frage lautet nun: Woran liegt das sinkende Interesse an den Ausbildungen?
Es gibt viele Meinungen und Überlegungen zu diesem Thema. Auf der einen Seite gibt es das große Problem der Überqualifizierungen der Schulabgänger, auf der anderen Seite die zu hohe Anzahl von nicht ausreichender Qualifizierung für eine Ausbildung. Detlef Stüwe von der Agentur für Arbeit in Bremen formuliert die Problematik so, dass die Unternehmen von ihren Auszubildenden mittlerweile deutlich 34
mehr verlangen, höhere Anforderungen stellen und abstraktes Denken fordern, ähnlich den Anforderungen im Studium. Diese Plätze sollen dann mit den Schulabgängern belegt werden, die im besten Fall Abitur gemacht haben. Diese Tendenz macht sich, laut Stüwe, daran bemerkbar, dass der Markt des dualen Studiums boomt: Den Unternehmen reicht es nicht mehr, wenn der Jugendliche eine Lehre absolviert. Das heißt, die Unternehmen wollen immer mehr: Die besten Schulabgänger und einen Auszubildenden, der das Theoriewissen eines Studiums leisten kann. Hierbei bleiben die Jugendlichen ohne Abitur auf der Strecke, denn sie haben keine Chance auf ein duales Studium, und auch für die duale Berufsausbildung werden sie nicht bevorzugt. Die Agentur für Arbeit und Berufsberatungen versuchen zu vermitteln. Sie nehmen viel Geld in die Hand, um Maßnahmen in die Wege zu leiten, damit die Defizite – sowohl die schulischen als auch der Verhaltensweisen der Jugendliche – aufgegriffen und verbessert werden und ihnen so im besten Fall zu einem Ausbildungsplatz verholfen wird, da sie ohne diese Hilfe Schwierigkeiten haben, an Ausbildungsplätze zu kommen. Auch vonseiten der Unternehmen wird viel getan: Große Firmen haben ihre Matchingprozesse revidiert und schauen jetzt nicht mehr nur auf die Schulnoten. Ein Grund dafür ist, laut Stüwe, das selbst in einer Region wie Bremen die Schulen so unterschiedlich benoten, dass eine Fünf in Mathe auf einer anderen Schule eine Zwei plus bedeuten kann. Um solche Fehleinschätzungen zu umgehen, dürfen jetzt die Bewerber in einem Onlinetest ihr Können unter Beweis stellen. Auch die Motivationen eines jeden Einzelnen werden dadurch geprüft und nicht nur aus dem formalen Anschreiben herausgelesen. Vieles wird also getan,
rum sich durch die zwölf Jahre Schule quälen, ein Abi in der Tasche haben, um dann eine weniger qualifizierte Ausbildung zu erhalten? Was die neuen Studenten jedoch nicht betrachten: auch eine Ausbildung hat ihre Vorteile! Nicht jeder Abiturient ist geschaffen für abstraktes Denken und theoretische wissenschaftliche Bezüge. Jemand, dem die Praxis in der Schule schon mehr zugesagt hatte, sollte auch eine praktischere Berufsausbildung in Betracht ziehen. Hat die Ausbildung an sich ein Imageproblem? Auch innerhalb der Ausbildungsbereiche gibt es einen klaren Trend. Ein Beruf wie Veranstaltungskaufmann wird gerne gelernt, wohingegen handwerkliche Berufe weniger beliebt sind. Es gilt, den Jugendlichen bestimmte Berufe schmackhaft zu machen. Detlef Stüwe erklärt zum Beispiel, dass Klempner und Heizungsbauer zu einem Berufsbild zusammengefasst werden und dass man sich in diesem Beruf mittlerweile auf Solarenergie spezialisiert. Solche image-aufbessernden Entwicklungen wollen die meisten Jugendlichen nicht hören und sehen sich im Bereich der kaufmännischen Ausbildungen um. Kann man dieses Problem ausweiten auf die Berufsausbildung? Ein Imageproblem, weswegen die qualifizierten Jugendlichen alle an
die Unis laufen? Gründe, weswegen früher viele Ausbildungen begonnen wurden, waren „erst mal Geld verdienen“, „mit einer Ausbildung habe ich erst einmal was Sicheres in der Tasche“ und „danach kann man immer noch mal schauen, was kommt“. Dieser Weg, über eine Ausbildung zum Studium zu gelangen, wird immer seltener genutzt. Die Generation heute muss erst einmal raus. Weg nach Australien, Neuseeland, oder einfach ein ökologisches oder soziales Jahr machen. Raus aus dem Lernprozess und „sich erst mal finden“ heißt es häufig. Viele, die früher zuerst den Weg der Ausbildung gewählt haben, hatten auch die Intention, sich erst einmal weiter zu entwickeln, selbstständiger und reifer zu werden, um das selbstständige Studium zu packen. Heute wie damals haben die Schulabgänger diesen Wunsch, nur gehen sie dem anders nach. Nur was kann getan werden, damit die Zeit der Ausbildungen wiederkommt? Man hört immer wieder vom drohenden Fachkräftemangel. Zu viele Theoretiker werden ausgebildet und keiner kann mehr richtig anpacken! Bund und Länder versuchen natürlich dem entgegenzuwirken. Bremen hat sich in der neuen Bremer Vereinbarung im März 2014 das Ziel gesetzt, bis 2017 weitere 800 Plätze zu schaffen. Das Ziel lautet: „attraktive Ausbildungsplätze bereitstellen und die notwendige Unterstützung bieten, damit Jugendliche möglichst ohne Umwege zum Ausbildungserfolg kommen". Von allen Seiten wird gefördert und etwas getan. Man muss nun an die Schüler direkt herantreten, ihnen die Vorund Nachteile aufzeigen und ihnen ihre Chancen darlegen! Denn, liebe Studenten, wenn ihr zweifelt und euch im Studium nicht zurechtfindet, öffnet euren Horizont und schaut auch in den Bereich der dualen Berufsausbildung. Vielleicht könnt ihr euch dort finden und verwirklichen!
Text: Antonia Cohrs Illustration: Samira Kleinschmidt
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Feuilleton
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„And the Oscar goes to…“
Am 22. Februar ist es wieder so weit: Die ‚Academy of Motion Picture Arts and Sciences‘ (AMPAS) verleiht zum mittlerweile 87. Mal die Academy Awards. Der Oscar, so der weitaus bekanntere Spitzname, gilt noch immer als begehrtester Preis der Filmbranche. Doch ist wirklich alles Gold, was glänzt?
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chon lange haben sich die Academy Awards ihren Platz als zweitgrößtes TV-Event der USA gesichert. Lediglich der Superbowl übertrifft sie noch an Zuschauerzahlen. 2014 verfolgten alleine in den USA 43 Millionen Menschen, wie Steve McQueens Sklaverei-Drama ‚12 Years a Slave‘ den Oscar als besten Film gewann. Die Vergabe dieses Preises war keine große Überraschung – wie die letztjährige Gastgeberin Ellen DeGeneres so schön feststellte: „Possibility number one, ‚12 Years a Slave‘ could win. Possibility number two, you’re all racists.” Das Gerücht, nicht alleine die schauspielerische Leistung sei ausschlaggebend für die Vergabe der heißbegehrten Trophäen, ist kein neues und hält sich hartnäckig. Schon Wochen vor der eigentlichen Preisverleihung stößt man vielerorts auf Vorhersagen der Gewinner. Zumindest die ‚Big Five‘ Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller und Beste Hauptdarstellerin – die Königskategorien der Oscars – werden nicht selten zu hundert Prozent richtig getippt. Statistik zeigt Präferenzen bei der Preisvergabe Das britische Magazin ‚Delayed Gratification‘ hat auf Grundlage sämtlicher Preisträger der Kategorien ‚Bester Hauptdarsteller‘ und ‚Beste Hauptdarstellerin‘ eine Statistik aufgestellt, wer wann und wie die besten Chancen auf den Gewinn einer der begehrten Trophäen hat. Besonders wahrscheinlich ist der Sieg für männliche Schauspieler demnach, wenn sie einen fiktiven Soldaten, Sheriff, Monarchen oder Politiker nordamerikanischer Abstammung spielen und die verkörperte Figur nicht aus der Vergangenheit stammt. Der Charakter sollte das Ende des Films erleben und ganz im Sinne des Klischees vom prüden Amerika jegliche Sexszenen vermeiden. Diese senken die Wahrscheinlichkeit eines Sieges empfindlich. Ein wenig anders sieht es bei den weiblichen Anwärterinnen aus. Wer als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet werden möchte, sollte eine nicht-reale Nordamerikanerin verkörpern, gerne aus der jüngeren Vergangenheit, die Hausfrau oder Mutter, jedoch keine Karrierefrau ist. Entgegen diesem recht konservativen Frauenbild stellen Sexszenen für Schauspielerinnen kein Risiko dar. Sie gewinnen in diesem Fall viel häufiger als ihre männlichen Kollegen. Glaubt man einem Artikel der Süddeutschen 36
Zeitung, erfüllen sämtliche bisherigen Oscar-Preisträger mindestens eine der aufgezählten Kategorien. Prüdes Amerika – liberales Hollywood? Auffallend ist, dass die genannten Kriterien sich weder auf Hautfarbe noch auf Sexualität der Figuren beziehen. Es scheint fast so, als würde das Image vom liberalen Hollywood – um das man auch in der Academy bemüht sein dürfte – im Falle der OscarVergabe tatsächlich zutreffen. Die Liste der bisherigen Gewinner und Gewinnerinnen spricht hier jedoch eine andere Sprache: Als erste schwarze Schauspielerin wird Hattie McDaniel 1940 für die beste weibliche Nebenrolle als Haushälterin im Filmklassiker ‚Vom Winde verweht‘ ausgezeichnet. 1964 darf Sidney Portier den Oscar als bester Hauptdarsteller in der Komödie ‚Lilien auf dem Felde‘ entgegennehmen und wird 2002 als bisher einziger schwarzer Schauspieler für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Insgesamt gehen in der mittlerweile 85-jährigen Geschichte der Oscars jedoch nicht einmal drei Prozent der Auszeichnungen für die beste Hauptrolle an dunkelhäutige Darsteller. Bei homosexuellen Schauspielern sieht es ähnlich aus. Ein entsprechendes ComingOut scheint in der Filmbranche noch immer ein Karrierekiller zu sein, so auch bei den Academy Awards. Zumindest in den großen Kategorien gehen die Preise nicht an offen homosexuell lebende Schauspieler oder Schauspielerinnen. Ehemalige Gewinner, die sich mittlerweile als homosexuell geoutet haben, taten dies meist erst Jahre nach ihrer Auszeichnung. Schwulenfeindlichkeit und Rassismus – die letzte Oscar-Verleihung scheint hier das genaue Gegenteil zu zeigen: Neben ‚12 Years a Slave‘ zählt auch das Aids-Drama ‚Dallas Buyers Club‘ zu den großen Gewinnern des Abends. Nicht dass die schauspielerische Leistung Matthew McConaugheys nicht zutiefst beeindruckend und von herausragender Qualität gewesen wäre. Seine Auszeichnung als bester Hauptdarsteller für sein Portrait eines aidskranken Schwulenhassers, der sich zum Aktivisten der Schwulen-Szene wandelt, dürfte jedoch schon alleine aufgrund des brisanten Themas die wenigsten überrascht haben. Gleiches gilt für den Sieg von Jared Leto als bester Nebendarsteller für seine Darstellung eines transsexuellen Aidskranken.
Vorwurf: Awards zu politisch Hier zeigt sich nun die andere Seite der Medaille: Der Vorwurf einer zu politischen Preisverleihung wird laut, bei der doch eigentlich die künstlerische Güte der Filme und die Qualität der schauspielerischen Leistungen im Vordergrund stehen sollten. Auch wenn entsprechende Rollen nur selten mit offen homosexuell lebenden Schauspielern besetzt werden, hatten Filme mit hochbrisanten politischen Inhalten gerade in den letzten Jahren Hochkonjunktur bei den Academy Awards: ‚Milk‘, ‚Capote‘, ,Brokeback Mountain‘, ,L.A. Crash‘, ‚Zero Dark Thirty‘, ,The Help‘ – um nur einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zu nennen. Vielleicht ist es ja diesem Umstand geschuldet, dass die Zeremonien der vergangenen Jahre noch mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen haben: Sinkende Einschaltquoten machen den Veranstaltern zu schaffen. Ihnen wird die fehlende Berücksichtigung von Zuschauerzahlen bei der Auswahl der Nominierten vorgeworfen. Gerade 2008 – dem Jahr, in dem die Oscar-Verleihung mit 32 Millionen Zuschauern ihr absolutes Einschalttief verzeichnete – gab es Stürme der Entrüstung. Weder Christopher Nolans gefeierte Batman-Verfilmung ‚The Dark Knight‘ noch der Animationsfilm und Publikumsliebling ‚Wall-E‘ konnten die Hürde zur endgültigen Nominierung nehmen. Die klare Forderung vieler Filmfans: Mehr Blockbuster als Oscar-Kandidaten! Als Reaktion auf diese Forderung und um ein jüngeres Publikum zu erreichen, wurde mit den Academy Awards 2010 eine Änderung eingeführt: Mit bis zu zehn Filmen können von nun an doppelt so viele Kandidaten in der Kategorie ‚Bester Film‘ nominiert werden. Nach dem Einschalttief zwei Jahre zuvor konnte man hier wieder ordentlich an Zuschauern gewinnen. Vermutlich wohl auch, weil mit ‚Avatar – Aufbruch nach Pandora‘ einer der kommerziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten nominiert worden war. Viel Kritik an diesjährigen Nominierten Seit Bekanntgabe der diesjährigen Nominierten am 15.01.2015 hagelt es harsche Kritik an der Auswahl der Academy. Besonders stark wird dabei die fehlende Diversität bemängelt. Zwar ist das Historiendrama ‚Selma‘, das sich mit den Selma-nach-Montgomery-Märschen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung beschäftigt, als Bester Film nominiert. Es fehlt jedoch eine Nominierung sowohl für Hauptdarsteller David Oyelowo mit seiner Darstel-
lung des Martin Luther King Jr., als auch für Ava DuVernay, die mit einer Nominierung die erste schwarze Frau mit der Möglichkeit auf einen Oscar für Beste Regie gewesen wäre. Überhaupt ist in der Kategorie Beste Regie keine einzige weibliche Regisseurin nominiert. Kritisiert wird auch die fehlende Nominierung Ellar Coltranes, der für ‚Boyhood‘ über einen Zeitraum von 12 Jahren – also praktisch seine gesamte Jugend – immer wieder vor der Kamera stand. Es herrscht auch Verwunderung darüber, dass mit ‚American Sniper‘ die Geschichte des „erfolgreichsten“ amerikanischen Scharfschützen für den Oscar als Bester Film nominiert worden ist. Und auch die fehlende Berücksichtigung des äußerst erfolgreichen Lego Movie in der Kategorie Bester animierter Spielfilm sorgt für große Bestürzung – immerhin ist er sogar der erfolgreichste Film in den britischen Kinos 2014 gewesen. Freuen über eine Nominierung als Bester Film dürfen sich neben ‚Selma‘, ‚Boyhood‘ und ‚American Sniper‘ die Tragikomödie ‚Birdman‘ um einen abgehalfterten Schauspieler, der als Superheld „Birdman“ vor zwanzig Jahren große Erfolge feierte, ‚Whiplash‘, das die Geschichte eines jungen Jazz-Schlagzeugers und seines brutalen Mentors erzählt, Wes Andersons herrlich abgedrehte Tragikomödie ‚Grand Budapest Hotel‘ sowie die beiden biographischen Filme ‚The Theory of Everything‘ und ‚The Imitation Game‘, die die Lebensgeschichte Stephen Hawkings bzw. Alan Turings erzählen – letzterer knackte im zweiten Weltkrieg den Nazi-Code für die Alliierten und wurde als Kriegsheld gefeiert, bevor er als homosexuell verfolgt wurde und sich schließlich das Leben nahm. Schwarze Bürgerrechtler, homosexuelle Kriegshelden und ein Physiker, der trotz einer schwerwiegenden Erkrankung bahnbrechende Theorien bezüglich unseres Universums aufstellt – auch diesmal scheinen bei den Oscars vor allem gesellschaftspolitische Themen im Vordergrund zu stehen. Da wundert die fehlende Diversität bezüglich der Nominierungen umso mehr. Obwohl dieses Jahr eine eindeutige Ausweitung in die experimentelleren Nischen des Kinos stattgefunden hat, hätte durchaus eine noch größere Bandbreite an Filmen gezeigt werden können. Mit der Nominierung der britischen Stars Benedict Cumberbatch und Eddie Redmayne als Beste Hauptdarsteller dürfte vor allem ein jüngeres Publikum angesprochen werden. Auch Showmaster Neil Patrick Harris – bekannt für seine Rolle des Barney Stinson in der US-Sitcome ‚How I Met Your Mother‘ – wird hierzu seinen Beitrag leisten. Alles in allem versprechen die diesjährigen Academy Awards sehr unterhaltsam zu werden, einen schalen Beigeschmack werden sie aber wohl trotzdem für viele behalten. Text: Annette Bögelsack Illustration: Ulrike Bausch
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Feuilleton
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Too big to fail –
Gedanken zur Kultur des Scheiterns
Prüfungen sind zu bestehen, der Job darf nicht verloren werden. Und doch kann beispielsweise ein Studienabbruch oder der Jobverlust zu späteren Erfolgen führen. Welches Verhältnis haben wir zum Scheitern?
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cheitern, das ist Angst. Vor Bedeutungs- oder materiellem Verlust, vor unbezahlten Rechnungen und Insolvenz, vor einer ungewissen Zukunft und manchmal vor den eigenen Eltern, sagt der Alltag, und es spricht das gesellschaftlich getriebene Wesen. Manche würden sagen: das deutsche Wesen. In den USA, so die weit verbreitete Ansicht, gilt das Scheitern hingegen zumeist als produktiv. Und doch ist Scheitern auch Quelle schöpferischer Kraft, der Ausgangspunkt für einen Neuanfang. Letzteres sagt die Psychologie und erntet dafür oftmals bestenfalls ein Lächeln, schlimmstenfalls Spott. Es gibt mannigfache Abhandlungen über die Unterschiede verschiedener Gesellschaften und ihrer ganz eigenen Scheiterkultur – beispielsweise zwischen der deutschen und der US-amerikanischen. Wie unzureichend dieser Blick ist, zeigt sich aber schon daran, dass die US-Perspektive, neuerdings verstärkt auch die deutsche, meist ökonomisch fixiert ist. Das Scheitern und Hinfallen, letztlich das Fehlermachen gilt hierbei oft als Grundlage von Marktwirtschaft, sei wichtig für dann später gelingende Unternehmensgründungen und Investitionen. Aus Fehlern lernt man. Somit wird es etwas überraschen, dass eine der wohl bekanntesten Phrasen zum Scheitern aus der Finanzwirtschaft der Vereinigten Staaten stammt. Die Banken, so hieß es zur Finanzkrise im Jahre 2008, seien systemrelevant. Wie gewohnt klingt das auf Englisch beschwingter: too big to fail. Zu groß zum Scheitern. Misserfolg als Tabu. Erfolglosigkeit ist also mindestens ambivalent. In der Soziologie hieße das Kontingenz. Der Volksmund würde vielleicht einfach sagen: „So oder so“. Das Scheitern in der Popkultur Der gleichnamige Song des deutschen Poprock-Künstlers Bosse zeigt, wie breit die Perspektive auch diesseits des Atlantiks sein kann. Kurzerhand beschreibt der Sänger dort das Gespräch eines Vaters mit seiner Tochter. Dessen tiefgründig formulierter Trost: Es muss nicht schlimm sein, wenn Beziehungen scheitern. Lalelalela, “lamentier nicht“, sagt der Vater zu dem Emo-Mädchen, “Unser Herz hängt oft an Dingen, die schrecklich wehtun und nur austeil’n Oder eben so für immer bleiben, weil sie gut tun, passen, heilen und ja so musst du nicht nur weinen nur weil irgendein Idiot gegangen ist.“ Der ebenfalls deutschsprachige Sänger Pohlmann veröffentlichte vor etlichen Jahren einen Song mit dem Titel „Wenn es scheint, dass nichts gelingt“, dessen Refrain nicht minder positiv das
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„Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Samuel Beckett, in Worstward Ho (1983) Scheitern zum Ausgangspunkt eines potenzialgeschwängerten Lebensverlaufes machte. Auch wenn es scheint, dass nichts gelingt, ja wenn es scheint, dass nichts gelingt, ist manchmal das, ganz genau das, was uns weiterbringt. Ähnliche Appelle, nach kleinen Fehlern nicht sofort aufzugeben, gibt es natürlich auch im Cineastischen. Der als Betrüger und Fälscher durch die Welt ziehende Frank Abagnale erklärt im Film „Catch me if you can“ dort einmal seinen persönlichen Wagemut und seine Vehemenz. Anhand einer kleinen Fabel beschreibt er, was für den Erfolg seiner Meinung nach notwendig ist. “Zwei kleine Mäuse fallen in einen Topf voll Sahne. Die erste Maus gibt bald auf und ertrinkt. Die zweite Maus gibt nicht auf – sie strampelt so lange, bis sie die Sahne schließlich in Butter verwandelt hat, und krabbelt raus. Meine Herren, ich stehe heute vor Ihnen als diese zweite Maus.” Scheitern als sozialer Motor Wer jetzt aber meint, das seien zwar schöne Worte, aber fern der Realität, liegt vielleicht nicht ganz richtig. Zur Wahrheit gehört es eben auch, dass Fehler, Zufälle und Misserfolge bildlich gesprochen eine der Säulen unserer Gesellschaft bilden. Es mag Kleinkarierte geben, die das Scheitern vom Kapitulieren unterscheiden, und sicherlich ist das semantisch völlig korrekt. Am Gefühl des Scheiterns aber, das beispielsweise viele beim Studienabbruch quält, ändern solche Wortklaubereien dabei wohl wenig. Vielleicht hilft es jedoch, auf die positiven Beispiele hinzuweisen, die wohl nicht wegen, sondern vielmehr trotz ihres
Scheiterns erfolgreich sind. Günther Jauch, der immerhin mit einer Quizshow erfolgreich ist, gehört ebenso dazu wie Alice Schwarzer, an der sich nun möglicherweise nicht in jeder Hinsicht zu orientieren ist. Auch mit dabei ist die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die ihr Studium abbrach und nach einem Intermezzo als Bandmanagerin von „Ton Steine Scherben“ und vielen anderen Ämtern heute Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages ist. Wie angedeutet: Der Abbruch ist hierbei eher eine bewusste Entscheidung. Und doch ist zumindest der ursprüngliche Plan - in jenem Fall das Studium - nicht mit dem entsprechenden Ziel und Erfolg beendet worden. Im Reich der Erfindungen ist beispielsweise Teflon eher en passant entstanden und bereichert heute unseren Alltag. Ursprünglich versuchte der Chemiker Roy J. Plunkett nämlich, ein neues Kühlmittel zu entwickeln. Er lagerte das dazu notwendige Gas jedoch falsch, was letztlich zum Entstehen des neuen Stoffes führte. Sicherlich auch kein Scheitern in jedem Sinne, aber unerwartet, ungeplant, und man könnte sagen: aus einer Unachtsamkeit entstanden. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Ursprüngliche Ziele wurden teilweise nicht erreicht, Menschen machten Fehler, entschieden sich gegen frühere Vorhaben, und doch führte es letztlich zu Erfolgen. Wenn auch anderen als den angedachten oder erwarteten. Weltthema Scheitern Vor ziemlich genau einem Jahr beklagte Christoph Kucklick, Chefredakteur der GEO, in einem ZEIT-Artikel, dass es keine Philosophie oder Soziologie des Scheiterns gäbe. Seine Erklärung: „Das mag daran liegen, dass Scheitern öde ist, weil allgegenwärtig.“ Ob das überhaupt stimmt und der Misserfolg nicht doch inhärentes Thema vieler Subphilosophien und -soziologien ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Aber er dürfte Recht behalten: Scheitern ist allgegenwärtig. In einem thematisch benachbarten Artikel im Wirtschaftsmagazin brandeins heißt es von Wolf Lotter, einem Mitgründer des Magazins: „Ob jemand das Scheitern als Teil der Normalität versteht, zeigt sich im Umgang mit einer Krise. Das griechische Wort krisis bedeutet nichts weiter als die Zuspitzung einer Entscheidung, einen Wendepunkt also.“ Und damit hätten wir den ganzen Weg zurückgelegt und wären vom individuellen Studienabbruch und missglückten Erfindungen angelangt beim einstmals vielleicht bald nicht mehr oder immer noch vom Staatsbankrott bedrohten EU-Mitglied Griechenland. Und deutlicher ist nun die Frage: Wie häufig wird Scheitern positiv definiert, wo hat es erklärtermaßen einen Lerneffekt? Wo sind die Menschen, die sich ihre Misserfolge einander nicht vorwerfen oder sich an ihnen ergötzen?
Scheitern an der Universität Das Scheitern, das Falschliegen gehört auch zur Universität wie der Protest, die Smartphones der Studierenden und überfüllte Räume. Wo wird Falsifizierbarkeit ernster genommen als hier? Wer wirklich wissenschaftlich tätig zu sein beansprucht, der beansprucht niemals, die letzte Wahrheit zu kennen. Alles wandelt sich, ist im Fluss, kann widerlegt werden – und wird es zumeist auch. Es werden ganze Arbeiten geschrieben, deren Resultat darin besteht, erkannt zu haben und begründen zu können, dass eine anfänglich aufgestellte These Unsinn ist. Das ist die Universität. Wer also das nächste Mal die vermeintliche Inhaltsleere mitstudentischer Arbeiten belächelt, Personen ausgrenzt, die sich zum Abbruch entscheiden, oder in der Forschung Widerspruch erntet, sollte daran denken: Jeder inhaltlich richtige Widerspruch ist ein kleines Scheitern und bringt doch im Resultat alles voran, auch wenn es individuell erst einmal negative Folgen haben kann. Wissenschaftlicher Widerspruch einerseits und persönliches Scheitern andererseits gehören auch nicht erst seit zu Guttenberg zur Wissenschaft dazu. Trotzdem ist der Ex-Minister ein schönes Beispiel ganz anderer Art. Dessen postpolitisches Buch trug ja übrigens und nicht ohne Ironie den Titel: „Vorerst gescheitert“. Er hat wohl auch erkannt, dass Scheitern etwas Positives sein kann. Die Frage bleibt bloß, wer am Ende davon profitiert.
Text: Björn Knutzen Illustrationen: Samira Kleinschmidt
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Das Tor zur Welt Reisen, Studieren, Arbeiten – mit Fremdsprachenkenntnissen steht einem mehr als nur das Heimatland offen. Erste Erfahrungen im Lernen einer Sprache lassen sich bereits in der Schule machen. Doch wie knüpft man an diese an? Sprachkurse sind eine oft teure Möglichkeit – doch es gibt Alternativen.
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ls StudentIn lohnt sich ein Blick in das Angebot des Fremdsprachenzentrums der Uni. Von Arabisch über modernes Hebräisch bis hin zu Schwedisch und Türkisch. Die Auswahl ist groß – und teuer. Sofern Sprachkurse nicht im Curriculum festgeschrieben sind, wird ein Entgelt fällig. Dieses kann sich bei Kursen über mehrere Semester schnell auf einige hundert Euro belaufen. Einziger Ausblick: Folgekurse bieten Ermäßigungen und eine Zusage zu einem Auslandsstipendium, sogar einen kostenlosen Kurs von bis zu vier Semesterwochenstunden. Und: Verschiedene fachspezifische Kurse, wie zum Beispiel akademisches Schreiben für Politik- und Sozialwissenschaften auf Englisch, werden kostenfrei angeboten. Beim Blick auf die Preise wurde auch der 21-jährigen Magdalena schwindelig. Nachdem sie ein Jahr in Costa Rica den internationalen Jugendfreiwilligendienst in einem Kindergarten verbracht hatte, wollte sie ihre erlernten Spanischkenntnisse nicht wieder verlieren. Doch einen Kurs über das Fremdsprachenzentrum zu buchen, kam für die Studentin der Integrierten Europastudien nicht in Frage. Lernt und bezahlt sie doch bereits einen Kurs am Institut Français im Hinblick auf ein Auslandssemester. Stattdessen fand sie über das Selbstlernzentrum Sprachen an der Uni Damián aus Valencia – ihren Tandem-Partner. Einmal in der Woche treffen sich Magdalena und Damián, meist auf einen Kaffee im Viertel. Erst unterhalten sich die beiden auf Deutsch, dann auf Spanisch. Sie sprechen über die Uni, ihren Alltag oder Zukunftspläne – genauso wie mit anderen Freunden auch. So kann Magdalena ihre Sprachkenntnisse, die sie nach zwei Jahren Schulspanisch besonders durch ihren Alltag in Costa Rica auf ein fortgeschrittenes Niveau gebracht hat, regelmäßig auffrischen. „Als Muttersprachler ist Damián nicht nur ein guter Sprachpart-
Fakten: • Informationen, Kurse und weitere Angebote des Fremdsprachenzentrum und des Selbstlernzentrums Sprachen findet ihr unter www.fremdsprachenzentrum-bremen.de und im GW2 im A Turm in der dritten Etage. Über das Instituto Cervantes könnt ihr euch unter www.bremen.cervantes.es informieren und über das Insitut français unter www.institutfrancais.de/bremen/. • Unter www.albu.es/de/ gibt es Auskünfte zum Spanisch Campus Escuela Albufera in Valencia • Angebote zu nachhaltigen Sprachreisen gibt es unter www.lernenundhelfen.de • Informationen zu Online-Angeboten gibt es u.A. unter www.babbel.com, www.rosettastone.de, www.duolingo.de
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ner, sondern kann mir viel über die Kultur und sein Leben erzählen. Außerdem empfinde ich Tandem-Lernen als eine entspannte und flexible Lösung. Wir entscheiden selbst, wann und wie lange wir uns treffen, und die Atmosphäre ist viel persönlicher. Für jemanden, der eine Sprache gerne sprechen möchte, sehe ich absolut keine Nachteile.“ Grundlegende Sprachkenntnisse oder parallel einen Sprachkurs zu absolvieren sind von Vorteil im Tandem-Lernen, denn es findet kein systematisches Erlenen vom Grammatik und Vokabeln statt – außer man findet dort eine Abstimmung mit seinem Partner. Der Fokus liegt aber in der Regel in der Sprachpraxis. Eine weitere Plattform, um einen Tandem-Partner zu finden, ist das soziale Netzwerk Facebook. „Tandem in Bremen“ heißt die Gruppe, der aktuell rund 1.500 Nutzer beigetreten sind. Neben der Suche und dem Angebot von Sprachtandems wird außerdem regelmäßig über verschiedene Stammtische, wie zum Beispiel den „Italienisch-Deutsch Stammtisch Bremen“, informiert. Auch die vorlesungsfreie Zeit lässt sich gut nutzen, um eine neue Sprache zu erlernen. Statt sich bei deutscher RegenwetterTristesse über Grammatik und Vokabelheften in ferne Länder zu träumen, verbindet ein Lernen vor Ort gleich drei Komponenten miteinander: Theorie, die praktische Anwendung und eine große Portion Urlaub. So bietet zum Beispiel die Escuela Albufera nahe Valencia einen Spanisch-Campus an – Leben und Lernen am selben Ort. Ein Aufenthalt zwischen einer und vier Wochen ist möglich; für den blutigen Anfänger bis hin zum Fast-Profi. Ein Einstufungstest vor Anreise gibt erste Anhaltspunkte, vor Ort wird individuell nach den Bedürfnissen der Kleingruppen der Unterricht angelegt. Morgens, mittags und nachmittags finden im Wechsel die clases de español statt. Drei Stunden Lernen der Sprachen und danach zurück an den Strand. Gespickt mit kleineren Hausaufgaben ergibt sich so eine gute Mischung aus Lernen und Urlaub. Daneben bietet die Schule wöchentlich einen Salsa-Kurs, eine Stadtführung in Valencia sowie einen Paella-Abend an, wo allen SchülerInnen das Nationalgericht der Region serviert wird. Zunächst scheint der stolze Preis von rund 500€ pro Woche für Unterricht und Unterkunft in einem der Holzbungalows erschreckend. Doch regelmäßig findet man online Angebote der Escuela Albufera, mit denen man bis zu einem Drittel der Kosten spart. Vor allem um seine Sprachkenntnisse wieder aufzufrischen oder um einen Eindruck der Sprache zu gewinnen, lohnt sich das Angebot. Nach dem Motto „‘fair‘-reisen statt nur verreisen“ arbeiten die „lernen und helfen sprachreisen“. Der hauptsächlich auf Schwellen- und Entwicklungsländer ausgerichtete Reiseveranstalter legt seinen Fokus nicht nur auf die Qualität seines Sprachunterrichts, sondern auch auf eine sozial- und umweltverträgliche Ausgestaltung. So unterstützen zum Beispiel Anteile der Studiengebühren Hilfsprojekte im jeweiligen Zielland. In Südafrika erreicht das Geld beispielsweise einen Förderverein, der unter anderem ein
Care Centre und verschiedene Bildungseinrichtungen unterstützt. Ein weiterer Teil des Geldes geht an Klimaschutz-Projekte, um eine Kompensation für die Flugreisen zu ermöglichen. „lernen und helfen sprachreisen“ bietet neben der Nachhaltigkeit auch noch ein besonderes Extra: Snowboarding in Argentinien, Capoeira in Brasilien oder Yoga in der Dominikanischen Republik – dank eines breitgefächerten Angebots kommt auch die „aktiv“-Komponente nicht zu kurz. Weitere Informationen zu Preisen und Möglichkeiten gibt es online und über eine persönliche Telefonberatung. Das flexibelste Angebot hält wohl immer noch das Internet parat, etwa im Bus, zwischen Vorlesungen oder in der Arbeitspause. Laut eigenen Angaben nutzen rund 20 Millionen Menschen weltweit den Anbieter „Babbel“. Dreizehn Sprachen lassen sich am Computer, per Smartphone oder Tablet erlernen, und je länger man lernt, umso günstiger wird es. Ab fünf Euro pro Monat geht es los. Für Englisch gibt es sogar auch fachspezifische Angebote, wie Business English oder English for Journalists. Mit über zwanzig Sprachen im Repertoire bietet „Rosetta Stone“ den exotisch interessierten Lernern ein gutes Angebot: Neben westeuropäischen Sprachen lassen sich zum Beispiel auch Persisch, Hindi oder Philippinisch finden. Der Schwerpunkt des Programmes liegt auf einem intuitiven Lernprozess, so wie auch Kinder ihre Muttersprache lernen. Über Bilder und Worte werden Bedeutungen erschlossen und über Hör- und Sprechübungen lassen sich die Strukturen einer Sprache aneignen. Das günstigste Angebot liegt bei rund 200 Euro, dafür bekommt man das gesamte Kursmaterial für seinen Computer zur Verfügung
gestellt. Völlig kostenfreies Sprachenlernen ermöglicht „Duolingo“. Nutzt man die Website auf Englisch, lassen sich neun Sprachen lernen, wie zum Beispiel Irisch, Dänisch oder Niederländisch. Russisch, Türkisch und fünf weitere Sprachen finden sich in der Entwicklungsphase. Das deutsche Angebot umfasst derzeit nur Englisch und Französisch, Spanisch folgt als nächstes. Bei „Duolingo“ geht das Sprachenlernen gleich ans Eingemachte: Aufgeteilt in verschiedene Kategorien wie Basics, Kleidung, Fragen oder Verben wird die Sprache über verschiedene Aufgabentypen erlernt: Nachsprechen, Übersetzen oder zum Beispiel Vokabeln über Bilder lernen. Theoretischen Input gibt es keinen, einen Suchtfaktor trotzdem. Die kurzweiligen Aufgaben lassen sich zwischendurch absolvieren und nach ein paar Aufgabenblöcken ist das Tagesziel erreicht. 38 Millionen Nutzer hat „Duolingo“ bereits. Das Angebot lässt sich sowohl über die Website als auch per App für iOS, Android und für Google Phone nutzen. Wie viel Zeit habe ich? Wie viel Geld habe ich? Und wie viel Motivation kann ich aufbringen? Diese drei wichtigen Fragen sollte man sich stellen, um das richtige Angebot zu finden. Dann kann es direkt losgehen – mit dem Lernen und Weltentdecken.
Text: Lisa Urlbauer Illustration: Ulrike Bausch
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in und Ed haben sich getrennt. Die Cineastin und der Basketballstar der Schule hatten fünf Wochen lang eine kurze, aber intensive Beziehung und jetzt gibt Min Ed alles zurück, was sie an ihn erinnern könnte: Kinokarten, eine Schachtel Streichhölzer, eine Zuckerdose, ein Spielzeugauto – insgesamt 43 Dinge. In einem langen Brief rekapituliert sie die Geschichte ihrer Beziehung anhand dieser Gegenstände und erklärt Ed, warum es einfach nicht funktionieren konnte. Der Leser weiß also von Anfang an, dass es kein Happy End gibt, verfolgt aber trotzdem gespannt die Liebesgeschichte des ungleichen Paares vom ersten Date bis zur letzten Begegnung. Die ungewöhnliche Idee, die Erzählung anhand von Objekten aufzurollen, funktioniert besonders gut, weil diese in den klaren, farbenstarken Bildern der Künstlerin Maira Kalman sichtbar werden. Min, die eigentlich Minerva heißt, ist eine sympathische Ich-Erzählerin, die mit ihrer Liebe zu alten Filmen, Kaffee und geistreichen Dialogen ein wenig an Rory Gilmore erinnert. Die unzähligen zitierten Filme – Min findet für jede Lebenssituation ein cineastisches Beispiel – sind frei erfunden, was so manchen Leser enttäuschen dürfte, der bei Google nach weiteren Informationen zur Handlung oder zu den Darstellern sucht. Der Autor Daniel Handler, der unter dem Pseudonym Lemony Snicket die erfolgreiche Kinderbuchreihe A Series of Unfortunate Events geschrieben hat, die teilweise mit Jim Carrey und Meryl Streep verfilmt wurde, beweist hier seine Vielseitigkeit. Auch wenn die beiden Hauptfiguren im Highschool-Alter sind, handelt es sich nicht einfach um ein klischeehaftes Jugendbuch, sondern auch um eine zeitlose Reflexion über das Scheitern von Beziehungen. So mag auch der Trennungsgrund auf den ersten Blick oberflächlich wirken, auf den zweiten aber vielleicht nicht mehr so sehr. Ein kurzweiliges und doch tiefgründiges Buch für alle, die schon einmal eine Trennung leidvoll erlebt haben.
Text: Dunja Rühl Cover: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG / München
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ine erfolgsverwöhnte, junge Journalistin namens Kitty Logan fällt tief, nachdem sie sich beruflich einen Fehler geleistet hat, der kaum wieder gut zu machen scheint. Sie wird nicht nur verklagt, sondern verliert auch noch ihren Job beim Fernsehen, ihr Freund verlässt sie und ihre Wohnungstür wird von Unbekannten mit Hundekot zugekleistert. Und dann stirbt auch noch Constance, ihre Freundin und Mentorin, die zudem Herausgeberin einer Zeitschrift war, für die Kitty geschrieben hat. Was bleibt, ist eine Liste mit hundert Namen. Hundert Namen, von denen Kitty nichts weiter weiß, außer dass sie Grundlage eines Artikels sind, den Constance schon immer mal schreiben wollte. Constance hat ihr die Liste gegeben, aber keine Informationen dazu. Und so muss Kitty selbst herausfinden, was es mit diesen Menschen auf sich hat, was sie verbindet – oder auch nicht? Und nebenbei muss sie immer wieder darum kämpfen, dass sie den Artikel schreiben darf, denn es ist ihr Name, der in der Zeitschrift unter dem Artikel stehen wird. Und ihr schlechter Ruf schadet dem Magazin. Aber das Schlimmste ist: Alle Personen, die Kitty überhaupt erreicht, haben weder je von Constance oder der Zeitschrift gehört, noch haben sie eine besondere Geschichte zu erzählen. Glauben sie jedenfalls… Cecilia Ahern hat sich gleich mit ihrem ersten Roman „P.S. Ich liebe dich“ einen Namen gemacht und ist seitdem eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt. Die Irin hat mit dem 2012 erschienen Buch „Hundert Namen“ einen Roman geschaffen, der mit einer ungemein sympathischen Hauptfigur aufwartet. Trotz aller Krisen – oder auch gerade wegen dieser Krisen? – ist Kitty liebenswert und der Leser fiebert mit, wenn sie versucht, aus der Liste der gesichtslosen Namen schlau zu werden. Federleicht und tiefgründig - ein vielleicht typischer Frauenroman, teilweise mit kitschigen Elementen versehen, aber doch gekonnt, und man kann es ihm durchgehen lassen, denn die Botschaft ist wirklich wunderschön.
Text: Pia Zarsteck Cover: S. FISCHER Verlag GmbH / Frankfurt am Main
Lautsprecher Grim104: Grim104 (EP)
Exclusive: Nachtmensch
Hip-Hop. grim104, seines Zeichens Teil von Zugezogen Mas-
Indietronic. „Exclusive“ gibt es schon seit 2008, anfangs nannten sie sich jedoch noch „The Exclusive“ und artikulierten sich in englischer Sprache. Heute ist das „the“ weggefallen und die verwendete Sprache ist nun Deutsch. Die fünf stammen aus München und beschäftigen sich auf ihrem im August 2012 erschienen Album „Nachtmensch“ mit dem Rausch in der Großstadt (wie man unschwer am Titel erkennen kann), und latent, spielerisch in Nebensätzen verpackt, mit dem Erwachsenwerden – was auch immer man als erwachsen definiert, wenn man im Club mit einem Schnaps in der Hand und seinem Lieblingslied im Ohr an der Bar steht. Als Gegenpol dazu steht auf dem Album das Wasser: Mal beschwört Frontmann Fabian Bottler mit säuselnder Stimme den „leichten Abend am Meer, tadellos türkis“, mal schreit er vom „Wasser, das alles trennt“. Musikalisch untermalt wird das Ganze immer hundertprozentig passend mit Gitarrenklängen und Synthies, die teilweise sogar in dubsteppige Sphären driften. Vom Sound her kommt man an der Referenz Sizarr wohl nicht vorbei. Auch textlich weiß das Album zu überzeugen. Wortneuschöpfungen wie „Mondlichtmilieu“ kommen zwar romantisch-versponnen daher, wirken dabei aber nie peinlich oder pubertär. Vielmehr hat man den Eindruck, dass die transportierte Stimmung mit keinem anderen Wort besser beschrieben werden könnte. Dabei wirkt die kratzige, druckvolle Stimme Bottlers oft verzweifelt, was einen schönen Kontrast zu den meist fordernden, auf Großes hoffenden Texten, wie „Ich will ein Leben wie Licht, ein Leben wie Licht, ein Leben das niemals erlischt“ (aus „Nachtmensch“), ergibt. Dabei ist das Ganze von der Message her durchaus ausbaufähig, da die Aussage der Platte bei einem druckvollen „Free your desires!“ stehen bleibt. Hier bleibt die Frage zu stellen, wie Hedonismus denn zu beurteilen ist, ob die Jugend nicht gerade dazu da ist, maßlos zu sein und ob dieses Streben nach ewig währendem Rausch nicht auch einen Mehrwert bedeuten kann – wobei der eine oder andere geneigte Hörer sich jedoch trotzdem tiefgründigere Aussagen wünschen mag. Eine große Bandbreite an Themen ist auf diesem Album nicht zu erwarten; ist man jedoch auf der Suche nach einem Soundtrack, um betrunken durch die Straßen einer unbekannten Stadt zu tanzen, wird man nichts Besseres finden
kulin, legt mit seinem ersten Solo-Lebenszeichen ein ungewöhnliches Stück Musik vor, das sich weitab von Bekanntem bewegt. Hiermit zeigt er, dass er neben politisch-gesellschaftlichem Bewusstsein über bemerkenswertes Songwriter-Talent verfügt. Wabernde Beats, eine hohe Dichte an düsteren Bildern, wahnsinnig verflochtene Lyrics und grims Stimme, immer hart an der Grenze zum Schrei, nehmen den Hörer schon beim ersten der acht Songs mit in einen bedrohlichen Sumpf, in dem ihm grim104 in Gestalt eines Frosches begegnet. Die sogenannte Realität stellt sich grim104 nicht weniger hoffnungslos dar. Insbesondere szeneintern wird auf alles und jeden geschossen und das nicht nur auf platter Hater-Ebene, sondern durchaus akkurat und durchdacht. Grim gibt sich keinerlei Mühe, sich anzubiedern oder seine teilweise kryptischen Lyrics verständlicher zu machen. Tracks wie „Der kommende Aufstand“ oder „2. Mai“ skizzieren eine Art gesellschaftlicher Dystopie, die in Anbetracht von Zeilen wie „Wo soll das alles enden, haben studiert, haben einen Master / Ende der Karriereleiter: Call Center Berater“ gar nicht so unwahrscheinlich wirkt. Doch genau wie grim104 einer langsam verrottenden Welt den Spiegel vorhält, nimmt er sich selbst keineswegs davon aus. Er behauptet vordergründig zwar, ein Nihilist zu sein, der alle Ideale längst erschlagen und begraben hat und keinerlei Hoffnung auf Besserung hegt. Bei näherer Betrachtung wird aber klar, dass grim den Kampf noch nicht aufgegeben hat. Hätte er sich mit der Schlechtigkeit der Welt abgefunden, würde er sich wohl kaum mittels einer Zeitreise auf die Jagd nach Anders Breivik machen. grim104 selbst trägt einige Ambivalenzen mit sich, da er einerseits die Welt auf einer interpretatorischen Ebene betrachtet, andererseits aber auch Teil derselben ist. Dass er sich über seine eigenen Widersprüchlichkeiten im Klaren ist, machen Zeilen wie „Doch nach jedem 1. Mai, an dem ich Steine auf die Schweine warf / Kam ein 2. Mai – geil, Kindergeld vom Schweinestaat“ deutlich. grim104 überzeugt auf seiner EP besonders durch die Lyrics, die nicht selten ebenso gut aus der Feder eines H.P. Lovecraft stammen könnten. Er präsentiert hier eine Sicht auf die Welt, die sich weitab von gängigen Genre-Elementen verortet und viele außergewöhnliche Gedanken enthält. Wer sich von dem anfangs anstrengendem Schrei-Rap grims nicht abschrecken lässt, wird in dieser EP ein verstörendes, aber genau darum auch ein sehr interessantes Werk finden.
Texte: Alina Klöpper Illustration: Marc Cantarellas-Calvó / Buback Foto: Jonas Funck / Flowerstreet Records
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