Magische Momente 10. Jugendliteraturwettbewerb der Uckermark herausgegeben von der Stadt Prenzlau
Schibri-Verlag • Milow 1
Der 10. Jugendliteraturwettbewerb der Uckermark wurde gefördert vom Landkreis Uckermark und der Sparkasse Uckermark. Weitere Sponsoren: Buchhaus Schulz, Prenzlau Bücher Karger, Templin Ehm-Welk-Buchhandlung, Angermünde ICU Investor Center Uckermark Kino im MCK, Templin NaturTherme Templin GmbH Rotaract Club Prenzlau Schibri-Verlag, Milow Union Filmtheater, Prenzlau Uckermärkische Bühnen, Schwedt
Jurymitglieder: Veronika Döring Thomas Guhlke Thomas J. Hauck Gisela Kinzel Regina Libert Gerda Murke Redaktion: Dr. Stephan Diller Veronika Döring Katrin Kaesler
Für alle Beiträge zeichnen die Verfasserinnen und Verfasser nach Inhalt selbst verantwortlich. Die Texte wurden im originalen Duktus abgedruckt, lediglich Schreibfehler wurden korrigiert.
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Arite Nowak unter Verwendung des Entwurfes der Format Werbe GmbH
Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86863-075-6
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INHALTSVERZEICHNIS Grußworte der Schirmherren 20 Jahre Jugendliteraturwettbewerb der Uckermark
10. JUGENDLITERATURWETTBEWERB 2011
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Preisträger Gruppe bis 11 Jahre
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Preisträger Gruppe 12 bis 16 Jahre
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Preisträger Gruppe 17 bis 21 Jahre
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RÜCKBLICK
9. Jugendliteraturwettbewerb 2009
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8. Jugendliteraturwettbewerb 2007
108
7. Jugendliteraturwettbewerb 2005
123
6. Jugendliteraturwettbewerb 2003
132
5. Jugendliteraturwettbewerb 2001
149
4. Jugendliteraturwettbewerb 1999
161
3. Jugendliteraturwettbewerb 1996/1997
170
2. Jugendliteraturwettbewerb 1994/1995
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1. Jugendliteraturwettbewerb 1991/1992
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Katrin Kaesler
20 JAHRE JUGENDLITERATURWETTBEWERB DER UCKERMARK „Magische Momente, so lautet das Thema des diesjährigen 10. Jugendliteraturwettbewerbs der Uckermark. Der erste war 1991 vom Kulturverein Prenzlau e.V. ausgerufen worden und so blicken wir heute auf eine zwanzigjährige Geschichte dieses Wettbewerbs zurück. Ein Jubiläum wie viele, sicher, aber doch etwas besonderes in seiner Kontinuität, seiner Qualität, seinem Anspruch Kinder und Jugendliche des gesamten Kreises Uckermark anzusprechen, sie zu motivieren, sich mit der Sprache und dem Schreiben zu beschäftigen, sich mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt und mit ihren eigenen Problemen und Gefühlen auseinanderzusetzen. Das dies gelungen ist über so einen langen Zeitraum, in dem es immer wieder gesellschaftliche und politische Änderungen gab, wie z. B. die Keisgebietsreform oder ständig veränderte Schulmodelle, das ist schon beachtlich und verdient hohe Anerkennung. Natürlich hatten viele Mitstreiter ihren Anteil daran. Den Anstoß gab damals als Mitglied des Kulturvereins Brigitte Keil, die es sich bereits vor der Wende in ihrem Zirkel Schreibender Schüler zur Aufgabe gemacht hatte, Kinder und Jugendliche zum Schreiben zu bewegen. In ihrem Anliegen wurde sie sofort unterstützt von anderen Kulturvereinsmitgliedern wie Marcel Brun, Ingrid Brun, Helga Schmidt, Wolfgang und Ursula Mahlow, um nur einige zu nennen. Doch auch in der Politik stieß man auf offene Ohren, so gewährte der damalige Kulturamtsleiter Axel Kempert Unterstützung bei der Organisation des ersten Wettbewerbes, von der Verbreitung des Aufrufes bis zur Preisverleihung in einer Abschlussfeier, eine bis heute noch immer immens aufwendige Aufgabe. Auch die Mecklenburgische Literaturgesellschaft Neubrandenburg e.V. war Mitorganisator und Unterstützer des ersten Wettbewerbs. 7
Vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg gab es zumindestens für die beiden ersten Wettbewerbe finanzielle Unterstützung. So war der erste Preis 1991 ein Computer, zur damaligen Zeit etwas ganz Besonderes, denn wer hatte damals schon einen PC, etwas, was sich die Kinder und Jugendlichen heute gar nicht mehr vorstellen können. Auch die nächsten Wettbewerbe wurden vom Prenzlauer Kulturverein e.V. ausgerufen und organisiert, wobei jeder Wettbewerb ein bestimmtes Thema hatte: 1. JLW 1991/1992 „Auf der Suche nach neuen Lebensqualitäten“, „Reisen …“, „Leben mit Minderheiten und Randgruppen“, „Quellen unseres Lebens“ 2. JLW 1994/1995 „Von den Schwierigkeiten, heute jung zu sein“ 3. JLW 1996/1997 „Haben wir noch Zeit? Zeit wofür und mit wem?“ 4. JLW 1999 „Wie bin ich?“ 5. JWL 2001 „Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern, die Rehe, das Pferd, der große Adler – sind unsere Brüder“ 6. JWL 2003 „Ich und der andere“ 7. JWL 2005 „Augenblicke“ Im Jahr 2006 kam es zur Auflösung des Prenzlauer Kulturvereins e.V. Damit der Jugendliteraturwettbewerb als so wichtiges Literaturprojekt für Kinder und Jugendliche nicht wegbrach, hat sich die Stadt Prenzlau entschlossen, den Wettbewerb 2007 weiterzuführen und diese Aufgabe der Stadtbibliothek Prenzlau zu übertragen. Für mich als Bibliotheksleiterin war das eine neue, reizvolle Aufgabe, die ich gern übernahm, ist doch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein Hauptanliegen einer jeden öffentlichen Bibliothek. Natürlich war die Organisation des Wettbewerbes erst einmal Neuland für mich, aber ich bekam Unterstützung von den ehemaligen Organisatoren, insbesondere wären hier Sylke Völz und Ingrid Brun zu nennen. 8
So konnte der 8. Jugendliteraturwettbewerb der Uckermark mit dem Thema „Geschichten vom Mutigsein“ im Februar 2007 von der Stadt Prenzlau ausgerufen werden. 2009 folgte der 9. Jugendliteraturwettbewerb, der unter dem Motto „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ stand. Und in diesem Jahr hatten Kinder und Jugendliche bereits zum zehnten Mal Gelegenheit sich schriftstellerisch zu betätigen, das Thema lautete: „Magische Momente“. Bei den bisherigen Wettbewerben gab es oft eine Auftaktveranstaltung und immer eine feierliche Abschlussveranstaltung, auf der die Sieger geehrt wurden und sich über tolle Preise freuen konnten. Das war natürlich nur durch die Unterstützung von Sponsoren möglich. Stellvertretend seien hier der Landkreis Uckermark und die Sparkasse Uckermark genannt, die den Wettbewerb kontinuierlich unterstützen. Aber auch viele Unternehmen der Uckermark sponserten immer wieder tolle Preise. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Auch den bisherigen Schirmherren des Wettbewerbes gilt unser Dank: Hans-Peter Moser, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Prenzlau Klemens Schmidt, ehemaliger Landrat des Landkreise Uckermark Uwe Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Uckermark Dietmar Schulze, Landrat des Landkreises Uckermark Sie unterstützten mit großem Engagement und viel Verständnis für die Belange der Kinder und Jugendlichen den Literaturwettbewerb. Unbedingt erwähnen muss man natürlich auch die Unterstützung der letzten Wettbewerbe durch den ehrenamtlichen Beirat, dessen Mitglieder den Organisatoren stets mit Rat und Tat zu Seite standen und mit viel Herzblut zum Erfolg des Projektes beitrugen. Auf die Juroren wartete natürlich auch jedes Mal ein riesiger Berg Arbeit, denn aus den zahlreichen beeindruckenden Einsendungen die Preisträger zu nominieren, war jedes Mal schwer. Wurde die Bewertung am Anfang noch nach Genres vorgenommen, erwies sich später eine 9
Einteilung nach Altersgruppen sinnvoller. Immer wieder gab es auch Sonderpreise für Beiträge, die besonders originell waren oder auf andere Art die Jury beeindruckten. Einige der Jurymitglieder sind schon sehr lange dabei, erwähnt werden sollen hier Ingrid Brun, Thomas Guhlke und Gisela Kinzel. Immer wieder brachten sich auch Schriftsteller mit ihrem Fachwissen in die Jury ein, unter anderem Erna Taege-Röhnisch, Jean Villain (Marcel Brun), Walter Flegel, Waltraud Lewin und in diesem Jahr der Kinderbuchautor Thomas J. Hauck. Noch einmal soll allen gedankt werden, die den Jugendliteraturwettbewerb der Uckermark bisher unterstützt haben. Nur einige Namen konnten stellvertretend genannt werden, alle zu nennen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Ab dem 4. Jugendliteraturwettbewerb wurden die Siegerbeiträge, oft auch mit den Laudationes der Jury, zunächst als Broschüren, ab dem 9. Jugendliteraturwettbewerb als Buch, veröffentlicht. Das Buch zum 10. Jugendliteraturwettbewerb der Uckermark widmet sich nicht nur dem aktuellen Wettbewerb, sondern gibt einen Rückblick über alle bisherigen Wettbewerbe mit vielen Beiträgen der Preisträger. 20 Jahre sind eine lange Zeit und einiges ist doch nicht mehr bekannt oder verloren gegangen. Aber fast alle Einsendungen, bis auf die zum 1. Jugendliteraturwettbewerb, liegen uns vor und sind ein Spiegelbild der Träume. Sorgen, Ängste, Ideen und Freuden der Jugendlichen der letzten zwanzig Jahre. Sie zeigen uns, dass sich unsere Kinder und Jugendliche durchaus Gedanken machen über sich, ihr gesellschaftliches Umwelt, über Werte und die Natur und nicht nur Fernseher und Computer ihren Alltag bestimmen. Auch für die kommenden Jugendliteraturwettbewerbe wünschen wir uns wieder viele interessante Beiträge und den Kindern und Jugendlichen Spaß beim Schreiben, Freude daran, ihre Gedanken auszudrücken und ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und dabei vielleicht neue Welten zu entdecken. 10
PREISTRÄGER GRUPPE BIS 11 JAHRE Elise Scheibner (10 Jahre, Prenzlau)
DIE LEGENDE DER SEEROSEN Weit, weit, weit unter dem Meeresspiegel leben Fische, Quallen und Muscheln, aber auch Meerjungfrauen, Meergeister und Muschelprinzen. Auch im Uckersee leben solche Gestalten. Wenn man weiter auf den See schwimmt und dann 101 Meter tief taucht, kommt man an einen großen Palast. In diesem Palast wohnt Neptun mit seiner ganzen Familie. Das Schloss sieht umwerfend aus. Seine kalkweißen Wände ragen imposant in die Höhe. Das geschwungene Tor ist mit Perlen und Diamanten reich verziert und die Fenster leuchten im Licht der roten Wasserpflanzen. Wie jeden Freitag machte Neptun eine Fahrt mit der Kutsche. Als er einen Markt sah, hielt er an. Er ging zu einem Händler. Mr. Seepferd hatte den König bemerkt. Gleich kam er auf ihn zugeschwommen. Er rief: „Oh Hallo. Wollen sie etwas kaufen? Hier, ich habe den samtigsten Sand, die perligsten Perlen und die muscheligsten Muscheln!“ Neptun sah sich alles an und meinte: „Coole Sachen hast du, aber ich würde gerne wissen, was du da in deinem Beutel hast!“ Der Händler überlegte kurz und sagte: „Vor einiger Zeit habe ich diesen Beutel mit Steinen darin gefunden. Ich ging gerade so am Riff vorbei, da lag er. Sie sind aber wertlos.“ Neptun interessierte sich sehr für diese Steine und kaufte alle. Der Händler staunte, denn er hätte gedacht, der König kauft sich etwas Besseres, als Steine. Aber er gab dem König die Steine und bedankte sich für den Kauf. Doch Neptun sah enttäuscht aus, dass die Steine sehr klein waren und dreckig noch dazu. Da ärgerte er sich und schimpfte: „Ich habe gedacht es sind schöne bunte Steine, die man in den Garten legen kann, aber die sind viel zu klein.“ Da kam ihm eine Idee, er wird die Steine an die Meerjungfrauen in seinem Palast verschenken. Also fuhr er in sein Schloss. 12
Dort wurde er schon von den Meerjungfrauen erwartet. Neptun sagte geheimnisvoll: „Ich habe euch etwas mitgebracht.“ Da schrien alle gleich drauf los: „Etwa die neue Flockenmassagepackung? Oder vielleicht einen Flachbildfernseher?“ Neptun grinst unsicher: „Nein, ganz wundervolle Steine!“ Die Mundwinkel der Meerjungfrauen gingen automatisch nach unten. Neptun drückte jeder einen Stein in die Hand. Eine Meerjungfrau meinte: „Danke, so einen Stein habe ich mir schon immer gewünscht!“ Dabei kreuzte sie die Finger hinter dem Rücken. Neptun erfreut: „Schön, dass sie euch gefallen. Trotzdem muss ich nun weiter zum Algenkongress.“ Bevor sie sich verabschieden konnten war Neptun schon in der Kutsche und fuhr bis zum Kap. Dort quatschte er über Algen. Die Meerjungfrauen überlegten, was sie mit den Steinen machen. Sie einigten sich darauf, dass sie die Steine verstecken. Eine schlug vor: „Unter dem Bett!“ Da meinte die Älteste: „Nein, dass wäre zu leicht. Wir müssen uns ein sehr gutes Versteck ausdenken!“ Da schlug die Kleinste den alten verwucherten Garten vor. Damit waren alle einverstanden. Sie warfen die braunen Steine in den Garten. Danach schwammen sie ins Kino und sahen sich den Film „Spongebob“ an. In der Zeit lagen die Steine noch im Garten auf der Erde. Aber als die Meerjungfrauen aus dem Kino zurück waren, trauten sie ihren Augen nicht. An Stelle der Steine waren nun zierliche kleine Blüten zu sehen. Sie begriffen erst später, dass die Steine keine Steine, sondern Samen waren! Sie entschlossen sich, sich um die Pflanzen zu kümmern. Und in Null-Komma-Nichts hatten sie Harken und Handschuhe geholt. Sie begannen mit der Gartenarbeit. Da sie sich so gut um die Blumen kümmerten, wuchsen sie jeden Tag ganz viel. Sie wurden so groß, dass sie nun oben an der Oberfläche schwimmen. So groß waren sie, dass wir sie sehen können. Und wir kennen diese Blumen unter dem Namen Seerosen!
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PREISTRÄGER GRUPPE 17 BIS 21 JAHRE Luise Strehlow (18 Jahre, Schlepkow)
FLÜGEL IM NEBEL Mystischer Nebel erhob sich von den Feldern, er kroch leise durch Büsche und Baumwipfel und spielte mit den letzten Blättern, die sich noch verzweifelt an schon fast kahlen Ästen festhielten. Eine Windböe packte meine Haare, als wollte sie sie mitnehmen, mit in den Süden. Ich spürte förmlich wie jedes einzelne Haar an meiner Kopfhaut zog und sich Flügel wünschte. Der Wind brachte Stimmen, Stimmen von vielen tausend Vögeln. Wie gerne wären meine Haare mit geflogen. Ich beachtete meine Haare kaum, es war jedes Jahr das Gleiche und manchmal spielte ich mit dem Gedanken sie einfach abzuschneiden. Doch an jenem Morgen fesselte etwas ganz anderes meine Aufmerksamkeit. Der Nebel. Er hatte zu tanzen begonnen. Er lachte mit dem Wind und schien ganz selbstvergessen Geschichten zu erzählen. Es war lange her, dass der Nebel so freizügig seine Gedanken preisgegeben hatte. Hier und da sah ich kleine Gestalten umher hüpfen. Gedankenverloren sann ich über das letzte Jahr nach. Ich war stehen geblieben, ich verstand nicht. Was war heute anders? Wieso in diesem Moment? Wieso nicht gestern oder morgen? Wieso dieses Jahr? Ich war so oft hier gewesen, hatte gelauscht und gesungen, gewispert und getanzt. Ich hatte nie eine Antwort bekommen. Ich spürte wie die Kälte meine Beine hinaufkletterte. Mit scharfen Zähnen biss sie in meine nackten Beine und wollte mich zum Weitergehen zwingen. Doch nichts hätte mich dazu bewegen können, zu gefesselt war ich von jenem Moment. Langsam beugte ich mich herunter und setzte mich auf den glitzernden Eisboden, es war so früh am Morgen, niemand würde be56
merken, dass ich nicht da war. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus. Ich versuchte den Nebel zu berühren. Ich wollte seine Geschichten endlich verstehen. Ich wollte so gerne ein Teil des Nebels werden. Ich war mir sicher, ich hatte nie solche Klänge gehört und nie solche Stimmen vernommen. Ich weiß nicht wie lange ich mit ausgebreiteten Armen in mitten der Nebelwesen lag. Tränen liefen mir übers Gesicht und sie, sie fingen jede einzelne meiner Tränen auf. In ihren Armen sahen sie aus wie flüssiges Silber. Sie schmückten sich damit und tanzten immer schneller um mich herum. Das Glück war so greifbar und doch so weit fort. Ich spürte das Rauschen der Natur in jeder Faser meines Seins und fühlte mich doch so weit weg von allem. Der Boden unter mir, die kalte Luft alles war so unwirklich. Ich hatte immer nur eins gewollt. Fliegen. Schweben, wirbeln, leuchten und fallen. Und Fliegen. Aber dann war es zu kalt geworden, meine Flügel waren nicht mehr gewachsen und der Wind hatte mich nicht mehr beachtet. Er war weiter geflogen. Er hatte mir meinen Traum genommen. Fast hätte er auch meine Erinnerungen hinweg gewirbelt. Aber ich hatte sie wachgehalten, auch wenn es schmerzhaft war, auch wenn es mir jedes Mal das Herz zerriss, auch wenn ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst, Angst davor zu vergessen. Ich hatte Angst davor den Schmerz nicht mehr zu fühlen. Ich hatte Angst davor weiterzugehen. Die Zukunft machte mir Angst. Doch dann, ich spürte es schon bevor ich es sah. Der Gesang wurde schwächer. Ihre Tänze waren schon nicht mehr ausdrucksstark. Die Sonne würde gleich aufgehen. Verzweifelt streckte ich meine Hände nach ihnen aus. Warum nahmen sie mich nicht mit? Es waren so viele im Nebel verschwunden, wieso ließen sie mich zurück? Ein heftiger Stich durchzuckte meinen Körper. 57
Kraftlos sank ich zu Boden. Sie wollten mich nicht. Nicht eine von ihnen hatte sich je für etwas anderes interessiert als meine Tränen. „Aus Tränen machen sie ihre wunderschönen Kleider“ flüsterte eine fast schon vergessene Stimme in mir. „Das macht sie so mystisch und anziehend für uns.“ Schluchzend sprang ich auf meine kaltgefrohrenen Füße und schrie wütend in den Wind: „Wieso habt ihr sie alle verzaubert? Wieso war ich nicht dabei als alle gegangen sind? Und wieso nehmt ihr mich jetzt nicht mit?“ Erschrocken stoben die durchscheinenden Wesen auseinander und zogen sich zurück. Es war zu spät. Traurig wandte ich ihnen den Rücken zu und machte mich auf den Heimweg. Die Sonne kitzelte meine Nase. Es würde ein schöner Tag werden. Doch von alldem merkte ich nichts. Ich hatte sie endgültig verloren, meine Flügel.
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2. JUGENDLITERATURWETTBEWERB 1994/1995 PREISTRÄGER
1. Astrid Quade, 13 Jahre, Prenzlau 1. René Börner, 19 Jahre, Gartz Weitere Preisträger: Marcus Arndt, Prenzlau Franka Huth, Fürstenberg Simone Radau, Prenzlau Carola Winterstein, Schmachtenhagen Mandy Gerhardt, Potsdam Susanne Nauendorf, Prenzlau Sonderpreise gehen an: Jan Berger, Gramzow Sonja Kull, Prenzlau Susanne Schmidt, Schwedt Marcus R. Wiese, Wolgast
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René Börner (19 Jahre, Gartz)
JUNG SEIN – NUN JA … WARUM? Freiwillig ist es wohl keiner und schon gar nicht, weil er sich dazu berufen fühlt. Wir sind es nun einmal, und jetzt müssen wir die Suppe auslöffeln, die uns andere eingebrockt haben; denn wir können verständlicher Weise nichts dafür, dass wir da sind. Zumindest müssen diejenigen die Schuld an uns sind, mit uns fertig werden – ob sie wollen oder nicht. Finden wir uns also damit ab und sind jung. Und jetzt? Nun, um der Geschichte des Lebens gerecht zu werden, haben wir wild, ungestüm und besonnen zu sein – das sind wir unseren Schöpfern schuldig, denn es wäre unfair, sie des Spaßes der Erziehung zu berauben. Aber nicht nur das – genau das Gegenteil wird auch verlangt, denn irgendjemand muss für neue Ideen sorgen, wenn die selbigen von dazomal schon ergraut sind oder, vergessen – von Zeitgeist überrannt oder abgeurteilt, nicht mehr existieren. Dann ran!! Es sein ein jeder, wie er will, Hauptsache er kommt keinem in die Quere. Es werden Mauern sein, die die Köpfe stoppen. Mauern jeglicher Art. Das Problem ist, dass das Ende vom Lied schon fest steht. Entweder sich mit dem Feind verbünden und sich lustig einmauern lassen oder früher oder später an einem Stein zerschellen. Das Ziel derer, die die Jugend zu sein haben, ist klar: möglichst viele Risse sind zu schaffen – nicht in dem Boden auf dem die Mauern stehen, sondern in denselbigen, um ein Gangsystem aus Rissen zu schaffen in denen Platz für die eigene Identität ist. Wem das nicht passt, der sollte Beamter oder bezahlter Söldner auf Lebenszeit werden. 191
Also – jedem sein „Ich“, „denn nur der verdient sich Freiheit wie das Leben der täglich sie erobern muss.“ Viel Spaß und guten Knall.
DAS LICHT Eine Weltkarte an der Wand. Eine Wespe über ihr. Setzt sich von Zeit zu Zeit nieder. Verlässt die Karte, für die Welt; und knallt der Sonne entgegen an die Fensterscheibe
AUSBRUCH In der Dunkelheit erwacht der Zorn. Er quillt. Er brennt und zersprengt – Mauern aus Granit – den Verstand. Die Trümmer schmelzen in ihm und wogen in gleißendem Tod über das Land der Vergangenheit – verbrannt. Hinter den Wolken kichert der Wahnsinn. Schizophrenie wird zur Religion – es ist schon. Kein Schrei, kein Laut – und doch besteht das Ohr im Getöse. Das Land ist weit, das Auge klein, die Zukunft allein … Es wird sein. Reifen rollen in die Morgenröte. 192
IM NETZ Dein Tag voller Mauern, dein Leben voll Schein. Der Tote im Grabe letztendlich allein Vision der Freiheit. Doch fette, feiste Würmer sind immer bereit.
FÜHLE, ABER KOMM’ ZURÜCK Blicke Dich genau um und sauge jede Kontur Deiner Umgebung auf. Schließe Deine Augen. Werde gewahr, dass alles um Dich her aus kleinsten Teilchen besteht. Diese bewegen sich. Alle Konturen verschwinden. Du befindest Dich in einer Umgebung, die sich bewegt, nichts festes hat, aber dynamisch ist. Keine Dir bekannte feste Größe hätte einen Fixpunkt, um nicht auch selber zu zerfließen. Jetzt löse Deinen Körper als festes Ding auf – lasse ihn mit einfließen. Mische auch Deinen Geist in die Menge – lasse ihn dort treiben, aber halte in zusammen!!! „Fühle es.“ Find den Weg zurück. Was hast Du erlebt? Was war das? Dies ist die 4. Dimension, welche alle anderen Dimensionen sprengt. Sie ist der Anfang und das Ende. 193