Doppelt verlassen?

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Berliner Beiträge zu Bildung, Gesundheit und Sozialer Arbeit3

Inhaltsverzeichnis

Band XIII

DOPPELT VERLASSEN? MENSCHEN MIT MIGRATIONSERFAHRUNG UND DEMENZ

Herausgegeben von Christa Matter • Gudrun Piechotta-Henze

Schibri-Verlag Berlin • Milow • Strasburg


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Inhaltsverzeichnis

Die Schriftenreihe der Alice-Salomon-Hochschule Berlin thematisiert aktuelle Erkenntnisse und wichtige Positionen. Ziel ist es, fruchtbare Diskussionen auf den Weg zu bringen und den wechselseitigen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich zu initiieren und zu intensivieren. Der wissenschaftliche Beirat Prof. Dr. Friederike Baeumer Prof. Dr. Hedwig Rosa Griesehop Prof. Dr. Nils Lehmann-Franßen Dipl. Pol. Sieglinde Machocki M. A. Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann Prof. Dr. Gudrun Piechotta-Henze

© 2013 by Schibri-Verlag Meininger Straße 4 10823 Berlin E-Mail: info@schibri.de Homepage: www.schibri.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ISBN 978-3-86863-104-3


Inhaltsverzeichnis

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INHALTSVERZEICHNIS Theda Borde Vorwort

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Christa Matter/Gudrun Piechotta-Henze Einleitung

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I. Demenz: Ein grenzenloses, aber kulturell definiertes Phänomen

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Marion C. Aichberger Epidemiologie der Demenz weltweit

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Olivia Dibelius Demenz und Migration: Ethische, psychosoziale und gesellschaftliche Herausforderungen

22

Gabriele Kreutzner Kulturelle Dimensionen von Demenz

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II. Im Fokus: Demenziell erkrankte Menschen türkischer Herkunft Angelika Thiel Türkische Migranten und Migrantinnen und Demenz – Zugangsmöglichkeiten

47 48

Nazan Ulusoy/Elmar Gräßel Pflegesituation und Pflegebedarf bei türkischen Migranten in Deutschland 56

Nare Yesilyurt „Wenn er will, versteht er alles!“ Deutung der Demenzsymptomatik bei der türkischen „Gastarbeitergeneration“

67

III. Einblicke: Die Situationen demenzerkrankter Migranten/-innen und ihrer Angehörigen

79

Semra Altınışık Versorgungsprobleme von älteren Migrantinnen und Migranten am Beispiel der Demenzdiagnostik

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Inhaltsverzeichnis

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Derya Dietrich-Wrobel Beratung von Angehörigen – Beispiele aus der Praxis

84

Filiz Küçük Die Situation pflegender Familienangehöriger von an Demenz erkrankten türkischen MigrantInnen in Berlin. Eine qualitative Studie zur Versorgung im häuslichen Umfeld

99

IV. Persönliche Wahrnehmungen: Demenz, Angehörige und Pflegepersonal

117

Barbara Adameit „Pablo Cañas Dias zum Gedenken“

118

Judith Daniel „Naja, vergesse tut se ja alles.“ Familie Boni aus Sibirien und Familie Windeker aus dem Kaukasus

126

Gudrun Piechotta-Henze/Patrizia Rivoli-Oliverio „Er hat sich immer mehr zurückgezogen.“ Herr Rivoli, ein „Gastarbeiter“ aus Sizilien in Wolfsburg

134

Laura Grimm/Sabahudin Pepić „Es gibt keine Demenz in meiner Heimat. Der Mensch ist dann einfach alt und ein bisschen verwirrt.“

142

Gudrun Piechotta-Henze Leben in der Wohngemeinschaft

152

Hilfreiche Adressen

158

Autorinnen und Autoren

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Christa Matter/Gudrun Piechotta-Henze: Einleitung

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Christa Matter/Gudrun Piechotta-Henze

EINLEITUNG Wie kam es zu diesem Buch? Im Rahmen verschiedener studentischer Projekte zu den Themen „Beratung“ und „Demenz“ an der Alice Salomon Hochschule (ASH) in Kooperation mit der Alzheimer-Gesellschaft Berlin e. V. (AGB) sind wir immer wieder auf Lücken bzw. unzulängliche Informations-, Beratungs-, Diagnostik- und Versorgungsangebote für Migranten/-innen mit einer (potentiellen) Demenz gestoßen. Gleichzeitig stellten wir fest, dass die offenen und kostenlosen Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten bei der Alzheimer-Gesellschaft in Berlin-Kreuzberg, einem Stadtbezirk mit vielen Migranten/-innen, kaum von Betroffenen mit Migrationshintergrund und deren Angehörigen in Anspruch genommen werden. Mit Studierenden des Gesundheits- und Pflegemanagementstudiengangs an der ASH haben wir nach den Gründen einer offensichtlich kultursensiblen Unterversorgung für demenzkranke Migranten/-innen und ihre Angehörigen sowie nach den Barrieren der Inanspruchnahme von Regelangeboten und -leistungen gesucht. Dafür wurden ausgiebig Literaturrechen (Berlin und bundesweit) betrieben, Interviews mit Experten/-innen in Berlin geführt und die Ergebnisse schließlich in verschiedenen Artikeln publiziert (Piechotta/Matter 2008). Zudem schrieben einige Studenten/innen ihre Abschlussarbeiten zu den Themen „Demenz“, „Beratung“, „Migration“, auch Filiz Küçük, deren Ergebnisse ihrer empirischen Abschlussarbeit als Artikel im vorliegenden Buch dargestellt werden. Nach Projektende gründeten wir das Berliner Netzwerk „Türkischsprachig und Demenz“ mit dem Ziel Vertreter/-innen von Beratungs- und Migrationseinrichtungen in Berlin miteinander zu vernetzen, um dann gemeinsam zunächst die türkische, und somit größte Migrationsgruppe in Berlin, über Demenzerkrankungen und Versorgungsmöglichkeiten aufsuchend und sehr niedrigschwellig (in Nachbarschaftsheimen, Moscheen etc.) zu informieren. Die von uns durchgeführten deutsch-türkischen Informationsveranstaltungen waren konstant mit etwa 30 Personen gut besucht und es haben sich viele Gespräche und Diskussionen während und nach den Veranstaltungen entwickelt. Allerdings reichten die zeitlichen Kapazitäten der Netzwerkmitglieder langfristig nicht aus, da sich fast alle „neben“ ihrer hauptberuflichen Tätigkeit ehrenamtlich hierfür engagierten. Eine hauptamtliche Mitarbeiterin oder einen hauptamtlichen Mitarbeiter konnte das Netzwerk nicht finanzieren, so dass wir die Netzwerkarbeit nach ca. fünf Jahren vorläufig beendeten (Matter/Piechotta 2008; Matter/Piechotta 2009).


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Einleitung

Da uns das Thema jedoch nach wie vor wichtig ist, wurde an der ASH, wiederum in Kooperation mit der Berliner Alzheimer-Gesellschaft, im Sommersemester 2011 eine öffentliche Vorlesung zum Thema „Migrationserfahrung und Demenz“ veranstaltet. Die Referentinnen sind bereits im Vorfeld darüber informiert worden, dass die Herausgabe eines Buches zu diesem Thema geplant ist und wurden gebeten, ihre Vorträge zu einem Artikel für das Buch zu überarbeiten. Alle Referentinnen, namentlich Dr. Marion Aichberger, Semra Altınışık, Prof. Dr. Olivia Dibelius, Filiz Küçük, Angelika Thiel, Nare Yesilyurt und Derya Wrobel, sind dieser Bitte nachgekommen. Ihnen allen sei an dieser Stelle nochmals gedankt. Die öffentliche Vorlesung war gleichzeitig ein Wahlmodul für den Bachelor- und Masterstudiengang an der ASH im Gesundheits- und Pflegebereich. Insofern haben auch Studierende an der Vorlesung mitgewirkt. Einige von ihnen haben ebenfalls Artikel für dieses Buch verfasst oder Grundlagen für einen Artikel in Form einer Hausarbeit geschrieben. Auch ihnen, Bianca Fischer, Judith Daniel, Laura Grimm, Katharina König und Tanja Splettstößer, sei an dieser Stelle gedankt. Damit das Buch „rund“ wird, haben wir weitere Autorinnen und Autoren für unser Vorhaben gewinnen können. Gabriele Kreutzner, Nazan Ulusoy und Elmar Gräßel sind unserer Bitte um einen Artikel nachgekommen. Vielen Dank. Erfreulicherweise waren auch Angehörige demenzerkrankter Ehepartner/-innen sowie die Tochter eines demenzkranken Vaters bereit zu einem Interview und deren Veröffentlichung. Eine Angehörige verfasste einen eigenen Artikel, in dem sie von der Erkrankung und dem gemeinsamen Lebensweg berichtete. So gilt unser Dank Barbara Adameit, Selma Alkan, Patrizia Rivoli-Oliverio sowie den Ehepaaren Boni und Windeker. Im nun vorliegenden Buch sollten auch die Menschen zu Wort gekommen, die mit demenzkranken Migranten/-innen beruflich in engem Kontakt stehen, womöglich auch selber einen Migrationshintergrund haben. An dieser Stelle sei deshalb Sabahudin Pepić gedankt, der Laura Grimm für ein Interview zur Verfügung stand. Der Artikel über eine interkulturelle Wohngemeinschaft und die Wohngemeinschaften für Bewohner türkischer Herkunft basiert auf den Aussagen von Gisela Eck, Danila Zingu und Selviye Spriewald. Vielen Dank für ihr freundliches Entgegenkommen und die Zeit, die sie uns schenkten. Dank an Anne Lepper und Katrin Barth, die Korrektur gelesen haben. Nicht zuletzt danken wir der Alice Salomon Hochschule, die diese Buchreihe finanziert und es uns ermöglicht hat, das Buch „Doppelt verlassen? Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz“ in der ASH-Buchreihe zu veröffentlichen. Das Buch ist in vier Themengebiete unterteilt: I. Demenz: Ein grenzenloses, aber kulturell definiertes Phänomen In diesem ersten Themenabschnitt gibt Marion Aichberger einen differenzierten Überblick über die „Epidemiologie der Demenz weltweit“.


Christa Matter/Gudrun Piechotta-Henze: Einleitung

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Der anschließende Artikel von Olivia Dibelius widmet sich der Thematik Demenz und Migration im Sinne einer ethischen, psychosozialen und gesellschaftlichen Herausforderung. Gabriele Kreutzner betrachtet unter historischen und aktuellen Gesichtspunkten die Kulturellen Dimensionen von Demenz. II. Im Fokus: Demenziell erkrankte Menschen türkischer Herkunft Der zweite Themenschwerpunkt nimmt ausschließlich die Situation von demenziell erkrankten Menschen mit türkischen Wurzeln und ihren Familien in den Blick. So berichtet Angelika Thiel über das Projekt Netzwerk Demenz Nürnberg der Angehörigenberatung e. V. Nürnberg, das Migranten/-innen für das Thema Demenz sensibilisieren und mit Hilfe von Kooperationspartnern Betreuungs- und Entlastungsangebote sowie Angehörigengruppen initiieren bzw. ausbauen wollte. Nazan Ulusoy und Elmar Gräßel beschreiben Pflegesituation und Pflegebedarf bei türkischen Migranten in Deutschland und verweisen darauf, dass hier noch ein großer Forschungsbedarf besteht. Ihre Praxiserfahrung und die Ergebnisse einer eigenen Befragung im interkulturellen ambulanten Pflegedienst zur Wahrnehmung und zum Umgang mit dem „Vergessen“ stellt Nare Yesilyurt dar. In ihrem Artikel „Wenn er will, versteht er alles.“ Deutung der Demenzsymptomatik bei der türkischen „Gastarbeitergeneration“ zeigt sie die psychosoziale und religiöse Bedeutung der Demenzsymptomatik auf. III. Einblicke: Die Situationen demenzerkrankter Migranten/-innen und ihrer Angehörigen Semra Altınışık beschreibt am Beispiel der Demenzdiagnostik die Versorgungsprobleme von älteren Migrantinnen und Migranten. Einen intensiven Einblick in ihren Arbeitsalltag gibt Derya Dietrich-Wrobel in dem Artikel Beratung von Angehörigen mit Migrationshintergrund – Beispiele aus der Praxis. Die Ergebnisse einer qualitativen Studie zur Versorgung im häuslichen Umfeld stellt Filiz Küçük vor. Sie untersuchte die Situation pflegender Angehöriger von an Demenz erkrankten türkischen MigrantInnen in Berlin. IV. Persönliche Wahrnehmungen: Menschen mit Demenz, Angehörige und Pflegepersonal Barbara Adameit beschreibt sehr bewegend wie sie Pablo Cañas Dias, der einst von Spanien nach Deutschland emigrierte, kennenlernte und wie sie ihn über viele Jahre – mit Alzheimer-Demenz im Gepäck – begleitete („Pablo Cañas Dias zum Gedenken“).


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Einleitung

In der Volkswagenstadt Wolfsburg führten wir, Gudrun Piechotta-Henze und Patrizia Rivoli-Oliverio, Tochter eines ehemaligen „Gastarbeiters“ aus Sizilien, intensive Gespräche und Telefonate über die Ankunft und das Einleben in Deutschland und die Demenzerkrankung des Vaters („Er hat sich immer mehr zurückgezogen.“). Mit dem Ehepaar Boni aus Sibirien und dem Ehepaar Windeker aus dem Kaukasus hat Judith Daniel gesprochen („Naja, vergesse tut se ja alles.“). Sie war von der Bescheidenheit und Dankbarkeit, die trotz der Belastungen durch die Krankheitssymptomatik bei dem Ehemann bzw. der Ehefrau vorlagen, zutiefst berührt. Laura Grimm hatte ein langes Gespräch mit Sabahudin Pepić, der im ehemaligen Jugoslawien geboren ist, dort ein Biologiestudium erfolgreich abschloss, in Berlin eine Altenpflegeausbildung absolvierte, als Pfleger in einer interkulturellen Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenzerkrankung arbeitete und sich vor kurzer Zeit mit einem ambulanten Pflegedienst selbständig machte („Es gibt keine Demenz in meiner Heimat. Der Mensch ist dann einfach alt und ein bisschen verwirrt.“). Wie das Leben in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz verläuft, wird von Gudrun Piechotta-Henze am Beispiel einer interkulturellen WG und zwei Wohngemeinschaften mit Bewohnern/-innen türkischer Herkunft dargestellt.

Im Anhang folgt eine kleine Auswahl an hilfreichen Adressen in verschiedenen Bundesländern, die primär im Internet recherchiert wurden oder persönlich bekannt waren. Diese Zusammenstellung gibt lediglich einen kleinen Überblick, die Nennung oder Nicht-Nennung von Institutionen, Projekten, Aktivitäten ist keinesfalls mit einer Wertung verbunden. Namen und kurze Angaben zu den Autoren/-innen finden sich am Schluss des Buches. Die einzelnen Artikel sind zum Teil und in unterschiedlicher Art und Weise gegendert. Wir haben diese heterogene Verwendung von männlicher und weiblicher Schreibweise den Autoren/-innen überlassen und nicht vereinheitlicht. In der zu Beginn erwähnten Vorlesung haben wir die Referentinnen zu Beginn oder am Schluss der Diskussion und im Rahmen der Gespräche für die einzelnen Artikel auch die Interviewpartner/-innen gefragt, was sie sich wünschen würden, wenn sie drei Wünsche frei hätten. Wir möchten dieser „Gesprächstradition“ folgen und mit den drei Wünschen von uns, den Herausgeberinnen, die Einleitung beenden:


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