RUPERT GOTTFRIED FRIEBERGER
GERECHT AUS DEM GLAUBEN AUSGEWÄHLTE PREDIGTEN ZUR BETRACHTUNG UND ANREGUNG
FABIAN
EDITION
RUPERT GOTTFRIED FRIEBERGER
GERECHT AUS DEM GLAUBEN
FABIAN
EDITION
Für meine ökumenischen Freunde Elna Baekdorf und Hansjörg Eichmeyer
RUPERT GOTTFRIED FRIEBERGER
GERECHT AUS DEM GLAUBEN
AUSGEWÄHLTE PREDIGTEN ZUR BETRACHTUNG UND ZUR ANREGUNG IM LICHT DER ÖKUMENE
FABIAN
EDITION
ISBN 3-902143-02-9
Verleger, Herausgeber und Medieninhaber: FABIAN EDITION A-4954 Steinbach a. d. Steyr
Alle Rechte vorbehalten
copyright 2001
Herstellung: OFFSETDRUCK MAX HIMSL A-4780 Sch채rding
Gedruckt mit Unterst체tzung des Bundesministeriums f체r Bildung, Wissenschaft und Kultur
INHALT
Vorwort...................................................................... 7 Prolog: Gerecht durch Glauben............................ 9 Haltung.................................................................... 19 Gottes Bürde........................................................ 109 Letzte Dinge......................................................... 241 Elna Baekdorf: Magnificat.................................. 266 Hansjörg Eichmeyer: Der Geist hilft unser Schwachheit auf.................................................. 275
VORWORT Nach Gottesdiensten haben mich manchmal Mitfeiernde angesprochen, ob sie meine Predigten in schriftlicher Form haben könnten. Manchmal habe ich in Einzelfällen das auch getan, weil ich mir – nach einem unliebsamen Erlebnis in Wien als Diakon – es zur Gewohnheit gemacht hatte, Predigten schriftlich abzufassen. Die weitere Nachfrage hat mich dazu bewogen, drei Predigtzyklen nun in Taschenbuchform vorzulegen, und nicht unabsichtlich mit Gedanken über das dritte Kapitel des Römerbriefes einzuleiten. Der sensible Leser wird bemerken, dass ich damit meine ökumenische Haltung signalisieren möchte. Dieser dient auch der Abdruck zweier Predigten mir sehr lieb gewordener Freunde aus der evangelisch-lutherischen Kirche, die zu meinem 25-jährigen Priesterjubiläum in Schlägl 2000 gehalten wurden: Frau Søgnepraest Elna Baekdorf aus Dänemark und dem Superintendenten der Evangelischen Kirche Oberösterreichs will ich damit auch ein Zeichen der Sympathie 7
und meiner Verehrung entgegenbringen. Ich habe viel gelernt vom ernsthaften Umgang mit dem Bibelwort aus der evangelischen Literatur und bewunder stets den korrekten Umgang mit Verkündigung und Musik in vielen evangelischen Kirchen Europas. Das Büchlein will mithelfen, Gottes Wort ernst zu nehmen und täglich neu zu meditieren. Es soll auch ein kleiner Beitrag sein, in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung ein Stück gemeinsamen ökumenischen Weges zu gehen. Dass der Glaube an den EINEN HERRN JESUS CHRISTUS erstarke – Ut omnes unum sint! Rupert Gottfried Frieberger Schlägl, am Reformationsfest 2001
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PROLOG GERECHT DURCH GLAUBEN
GERECHT DURCH GLAUBEN Röm 3, 21 - 28
Es war für mich – und wie ich weiß, Gott sei Dank, für viele andere auch – mehr als wohltuend, als am 31. Oktober 1999 Vertreter beider Konfessionen, der Evangelischen und der Katholischen Kirche, an historisch bedeutsamer Stätte zu Augsburg die Unterzeichnung einer (fast) gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vornahmen. Die Kirchenzeitung jener Diözese, in der mein Kloster liegt, hat es offenbar nicht wert genug gefunden, dies größer zu kommentieren. Dafür hatte die „Süddeutsche“, die „Frankfurter Allgemeine“, sogar die österreichischen „Kronenzeitung“, und viele andere bedeutsame Tageszeitungen des deutschen Sprachraumes mehrere Seiten dafür verwendet, dem Ereignis gerecht zu werden. Zum ersten Mal seit der Reformationszeit ist es gelungen, dass die getrennten Kirchen gemeinsame Aussagen zu jenem Teil der christlichen Lehre machen, der damals Ausgangspunkt für das Zerbrechen der 10
Einheit gewesen ist. Die zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Vatikan erzielte Einigung hat enorme Bedeutung. Freilich haben evangelische wie katholische Professoren und Kirchenmänner Protest erhoben und teils auch zurecht auf verbleibende Unschärfen hingewiesen. Das Ergebnis mit dem Abschluss eines Tarifvertrages zu vergleichen, ist abwegig, denn der Vergleich verkennt die Absicht, den Charakter und die Bedeutung der Gemeinsamen Erklärung. Ökumenische Fortschritte erzielt man nur, wenn man sich auf einen Lernprozess einlässt. Die katholische und die reformatorische Tradition füllen einstweilen – und vermutlich für absehbare Zeit noch – weiterhin wichtige Lehrbegriffe mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt. Wenn man das Ziel einer neuen Verständigung über Lehrfragen auf der gemeinsamen Grundlage der Heiligen Schrift nicht überhaupt abschreiben will, muss jede Seite der anderen Raum geben für die Vergewisserung in der je eigenen Tradition. 11
Die in Augsburg unterschriebene Formel ist kein Kompromiss. Sie bezeichnet aber die Spannbreite, innerhalb derer man sich gegenseitig akzeptiert. Die Spannbreite des Kanons der Heiligen Schrift ist so weit, dass wir uns gegenseitig nicht mehr zu verketzern brauchen. Das jetzt Erreichte bedeutet nicht, dass damit die Kirchengemeinschaft verwirklicht ist. Kontrovers diskutiert werden zum Beispiel das Verhältnis von Heiliger Schrift und kirchlicher Lehre, innerhalb der Lehre von der Kirche (Ekklesiologie) der Fragen ihrer Einheit, des Verständnisses von den Sakramenten, vom kirchlichen Amt, von der Lehrautorität in der Kirche und vor allem von der Bedeutung des Papsttums. Schon jetzt ist aus evangelischer Sicht möglich, einander zur Teilnahme am Heiligen Abendmahl einzuladen. Schon vor 20 Jahren haben die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands diese Einladung ausgesprochen. Ich hoffe inständig, dass in der Katholischen Kirche die Bereitschaft wächst, diese Einladung bald zu er12
widern. Liest man Texte Evangelischer Aussagen zum Abendmahl (z.B. aus der Leuenburger Konkordie) und des 2. Vaticanischen Konzils zur Eucharistie, so gibt es verbüffende Gemeinsamkeiten, die wohl noch kaum jemandem aufgefallen sind. Der weitere Dialog zwischen unseren beiden Kirchen muss danach streben, dass sich die beteiligten Kirchen gegenseitig als Kirche Jesu Christi anerkennen. Dafür ist neben dem akademischen Gespräch der Dialog in den Gemeinden eine der Grundvoraussetzungen. Die Rechtfertigung des Gottlosen ist ja keine theoretische, sondern eine lebenspraktische Angelegenheit. Dass viele Menschen durch die öffentliche Diskussion dies neu entdeckt haben, dafür bin ich dankbar. DIE EIGENTLICH ENTSCHEIDENDE FRAGE FÜR UNSERE KIRCHEN IST DIE, WIE DIESE BOTSCHAFT DEN MENSCHEN HEUTE SACHGEMÄSS UND VERSTÄNDLICH BEZEUGT WIRD.
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Der junge Martin Luther hatte sich am o.a. Text des Römerbriefes entzündet. In ihm hat er in einer Sternstunde der Erkenntnis die Antwort gefunden auf die quälende Frage: „Wie kann ich vor Gott bestehen, wenn ich doch immer wieder sündige?“ Nicht der Kauf von Ablassbriefen, sondern Gottes Gnade und Christi Tod allein können den Menschen rechtfertigen. Nicht die „Werke“, sondern allein der „Glaube“ ist ausschlaggebend. Als ich den Text meditiere vor einem Konzert in Norddeutschland mit abschließender Improvisation über „Ein feste Burg ist unser Gott“, läuft in der Hotelbar das Radio mit Nachrichten über die Parlamentsdebatte in Bonn, ob die Verjährungsfrist von 30 Jahren für Mord aufgehoben werden soll. Für jeden Mord? Nur für Völkermord? Oder soll es bei den geltenden Bestimmungen bleiben? Die Meinungen gehen quer durch die Parteien. Ein Ringen um das, was „Gerechtigkeit“ ist oder sein soll.
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Nach dem Konzert schenkt mir ein evangelischer Mitbruder das Buch eines poliogeschädigten Pfarrers, der – in einer Anstalt für Körperbehinderte als Seelsorger tätig – sich mit der Partnerschaft zwischen Behinderten und Nichtbehinderten auseinandersetzt. Und in mir hämmert der Text: „Denn es ist kein Unterschied, wir sind allemal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen. [...] So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde, ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben... .“ Da ist also das Buch des Pfarrers mit dem eindrucksvollen Ruf: „Tu etwas, um Menschen in ihrem schweren Schicksal besser zu verstehen und als Partner anzunehmen!“ – Gute Werke als Auftrag Gottes. Und andererseits die Unmöglichkeit, mit irdischen Maßstäben der Gerechtigkeit genüge zu tun. Da ist der Behinderte unter uns mit dem Angebot und der Forderung nach Partnerschaft: „Tragen Sie mich ins Auto!“, fordert der Rollstuhlfahrer einen jungen Mann 15
auf. Und der unsichere Gesunde bedankt sich nachher, als er es geschafft hatte. Er hat ein Werk der Hilfsbereitschaft getan, und fühlt sich bereichert und gerechtfertigt. Unser Denken in Leistung und Lohn können wir nicht verleugnen. Gottes Maßstäbe sind anders. Im Auferlegen und im Freisprechen geht es nicht um Ursache und Wirkung, um Leistung und Gegenleistung. Es gibt ein ergreifendes Gedicht des erblindeten englischen Dichters John Milton auf seine Blindheit. Da sorgt er sich, dass seine Behinderung es ihm versagt, seine ihm verliehenen Talente so für die Menschen zu nutzen, wie es ihm als Auftrag Gottes geboten scheint, und er fragt, wie Gott Leistung fordern kann, wenn er selbst die Verwirklichung versagt, warum er Talente gibt, die im Menschen unausgenutzt vergraben bleiben. Und dann gibt sich der Dichter die Antwort: Gott braucht die Werke nicht. Wenn er ruft, jagen Tausende rastlos über Meer und Kontinente. „Doch auch die dienen ihm, die nur stille stehn und warten.“ 16
Allein durch den Glauben. Es bedarf nicht des Leistungsergebnisses, das eher der Selbstbestätigung dient, es bedarf eher der aufgehaltenen denn der gebenden Hand. Aber was ist Gerechtigkeit? Im Parlament war viel die Rede davon. Sühne! Politische Rechtfertigung! Vergebung nicht ohne Schuldaufdeckung! Rechtsstaatliche Verlässlichkeit! Schlagworte, die mir in den Ohren klingen. Sinn der Strafe? Selten so spürbar, wie weit der Abstand zwischen Maßstäben hier und dort. Der einzelne vor dem weltlichen Richter und vor dem Weltenrichter. Der weltliche Richter in der Unfähigkeit, die Wahrheit zu erkennen und danach zu urteilen. Der Weltenrichter, der die Wahrheit kennt und doch „durch Gnade“ gerecht machen kann. Sola fide – allein durch Glauben! „Denn hier ist kein Unterschied: Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist...“ 17
Keine Werke? Da schreibt der behinderte Pfarrer: „Wenn ich einst in die Grube fahre und fünf Menschen sagen: Ich bin froh, dass es ihn gab, dann schaufelt in Ruhe die Grube zu.“ Lösen Werke die Rechtfertigung vor Gott aus, oder schafft Gottes Gnade die Liebe, die zu den Werken ermutigt? „Allein durch den Glauben!“
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HALTUNG PREDIGTEN ZUR HALTUNG DES CHRISTEN
Sich selber annehmen [ 30. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
Um im heutigen Alltag bestehen zu können, braucht es Haltung. Und je mehr Menschen und Christen rund um uns herum haltlos werden, desto mehr braucht es Haltung. Denn sie wollen und müssen sich irgendwo anklammern können, damit sie nicht fortgerissen werden von Torheiten und Modeströmungen. Wir brauchen Haltung. Deshalb will ich Ihnen in den folgenden Predigten einige Grundhaltungen darstellen, die einfach zum Christen gehören. In einem kostbaren Brief heißt es: „Wir haben von Gott mit vollkommener Unterwerfung auch uns selbst anzunehmen, all unsere eingefleischte Schwachheit, unsere Unfähigkeit und den ärmlichen Betrag von Heiligkeit, den wir in uns finden.“ Ein wirklich befreiendes Wort!
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Vielleicht ist eine gütige Weisheit mit im Spiel, dass eine sehr große Anzahl von Menschen nicht dazukommt, in sich selber zu leider – sei es, weil sie so harmonisch konstituiert sind, sei es, weil sie so flüchtig leben. Wer immer wieder an einen Anlauf gemacht hat, mit sich selbst fertig zu werden, wer den Anlauf gemacht hat, sich zu ändern, wer durch Jahre im Kampf liegt mit seinen Charakterschwächen, wer psychische Belastungen trägt und erträgt, und einsehen muss, dass sich an seiner Persönlichkeit nichts Wesentliches geändert hat, der verfällt leicht der Versuchung, müde zu werden und alles gehen zu lassen, ja sich selber mehr oder weniger aufzugeben. Wer jedoch nicht mehr gegen sich selbst zum Kampfe antritt: Welche Leistung, welche Zufriedenheit, welches christliche Selbstbewusstsein? Ist er nicht bereits aus dem christlichen Dienste ausgebrochen? 21
Das andere Extrem: Man weiß um seine menschlichen Schwächen; um seine Unbeherrschtheit, seine Süchte, seine Bequemlichkeit, seine moralische Schwäche. Mit zäher Verbissenheit wird gekämpft, über jeden neuen Misserfolg gerät man in eine neue Verzweiflung – und gelingt einmal ein Sieg über sich selbst, dann glaubt man, den dunklen Menschen in sich bereits geschlagen zu haben – um schließlich doch wieder durch eine neue Enttäuschung eines anderen belehrt zu werden. Wer in seinem inner-christlichen Leben nur Erfolge sehen will, bzw. ohne Erfolge zur Kapitulierung versucht ist, der hätte noch nicht gelernt, sich selber anzunehmen und seine eigene Last zu tragen. Es ist kein Christ, der nicht bemüht wäre, ein besserer Christ zu werden. Aber sind es tatsächlich wir selber, die uns ändern? Wäre die Lehre von der wirkenden Gnade Gottes nicht so ernst gemeint? Und ob uns Gott ändern oder bessern will – in dem, dass wir weniger Last mit uns 22
selber haben, dass wir weniger versagen und mit größerer Leichtigkeit das Gute an uns wirken und das Ungute beseitigen – hängt es nicht im letzten von Gott selber ab? Ist unser Urteil über uns selbst unbedingt mit dem Urteil Gottes über uns gleichzusetzen – oder gilt nicht gerade in diesem Belange das Gotteswort: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“? Wir besitzen nicht die Fähigkeit, uns mit Gottes Augen zu sehen. Deshalb sagt auch der Apostel Paulus: „Ich beurteile mich nicht selber. Der mich beurteilt, ist der Herr.“ Das Maß der Liebe lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Der Grad der Frömmigkeit hängt nicht ab von der Menge der religiösen Übungen! Ähnliches gilt umgekehrt von der Sündhaftigkeit eines Menschen: Wer Ausdauer hat trotz vieler Versagen, wer sich immer wieder aufrafft trotz Enttäuschungen, der macht tatsächlich Fortschritte, selbst wenn er keinerlei Beweismaterial zusammenbrächte – außer seinem erbärmlichen Quäntchen von guten Willen. 23
Wie einer sich fühlt: ob erhoben oder erhaben über seine Menschlichkeiten oder gänzlich zerschlagen und gänzlich hinuntergetaucht in seine Erbärmlichkeit was für eine Beweiskraft hat ein solches Gefühl? Es wäre auch gar nicht zu wünschen, wenn wir unser seelisches Land gleichsam mit einem Motorpflug umwenden könnten. Aber der sündhafte Mensch, der seine Last täglich neu zu schleppen hat, der meint, keinen Schritt vorwärts – hin zu Gott und zum vollkommeneren Christen zu kommen – wie nahe ist er verwandt dem Zöllner, der gerechtfertigt wird, dem Armen, den Christus selig preist, dem verlorenen Sohne, dem der Vater ein Fest bereitet – wirklich nicht auf Grund seiner Leistungen und seines feinen Benehmens, sondern darum, weil er zerschlagen, beschämt und doch voll Vertrauen an der Tür Gottes erscheint. Nicht der Nachweis von Erfolgen ist vor Gott wichtig, sondern die Erkenntnis, vor Gott nichtig zu sein. Wichtig ist es, ja wichtiger ist es, sich von der Barmherzigkeit Gottes immer neu überwältigen zu lassen, 24
als Gott vordemonstrieren zu wollen, wie tüchtig man ist. Zu wissen, dass Gott, der Allwissende, die Macht hätte, alles an uns zum Besseren zu ändern, und dass es darum in seinem Plane gelegen sein muss, wenn sich nicht allzu viel bei uns ändert. Da braucht es Geduld mit Gott und noch mehr Geduld mit sich selbst. Wenn Gott uns nicht gestattet, große Schritte zu machen auf dem Wege zu ihm hin, wenn er uns vielleicht nicht einmal allzu viele kleine Schritte erlaubt, so gestattet er uns wenigstens eines: uns selber anzunehmen. Und das ist das Richtige. Sich selber annehmen! Mit seinem ganzen menschlichen Unvermögen, mit seinen Niederlagen, mit seiner Kraftlosigkeit und Inkonsequenz, mit seiner Trägheit und Schlampigkeit – und dennoch auf dem Wege zu Gott zu bleiben, ja diesen Gott vor sich und sehr sehr nahe zu wissen – nahe zu wissen mit einem grenzenlosen Erbarmen: das ist das Richtige. 25
Sich selber annehmen: es ist eine fundamentale Haltung f端r unsere christliche Existenz im Alltag.
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Lebensbejahung [ 31. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
Eine Grundhaltung des Christen muss die Lebensbejahung sein. Dennoch ist sie nicht selbstverständlich. Die Natur und das Tier besitzen sie, selbst das windvertragene Sämlein in der nackten Betonwand behauptet sich. Doch der Mensch kann in Zeiten kommen, wo er es satt hat, wo er das Leben hasst, wo er aus dem Leben fliehen möchte. Die größte Daseinsfreude müsste eigentlich der Mensch haben, er ist die höchste Schöpfung Gottes. Der Mensch, dessen Leben in die Klarheit des Erkennens, in die Wachheit des Bewußtseins, in die Freiheit der Entscheidung gehoben wurde. Schönheit in Licht und Farben, Sinn im geheimnisvollen Walten und Wirken der Kräfte sind ihm erschlossen, ihm ganz allein. Doch der Herr über alle Schöpfung hat allein das Vorrecht, unglücklich zu sein. Während alles um ihn herum in Wonne 27
grünt und blüht, singt und summt, vermag er mit finsteren Gedanken und dunklen Gedanken durch das Leben, durch seine Tage zu trotten. Er allein ist fähig das Dasein zu verneinen und sogar zu verfluchen. 1. Der Christ soll sein Leben bejahen – und die erste Voraussetzung dazu ist: das Erstarken im Geiste. Der Mensch blüht nicht wie ein Strauch. Wir besitzen Geist – und Geist haben, bedeutet neben großer Vollkommenheit und vielseitiger, unglaublicher Genussfähigkeit auch schwere Bedrängnis. Die meisten Leiden des Menschen kommen vom Geist. Was nützt blühende körperliche Gesundheit, wenn ein Kummer die Seele zernagt? Was nützt Wohnung, Geld und Wagen, wenn die Sehnsucht nach Liebe unerfüllt bleibt? Vom Geist her kommt die Sorge, die enttäuschte Erwartung, Weh und Ärger um unerfüllte Wünsche, Niedergeschlagenheit, Schmerz um den Verlust. 28
Der Mensch ist Geist, und alles Dunkle, Widrige, Schwere, Schicksalhafte, alles Sündige und Ungerechte, das die eigene Persönlichkeit umbrandet und die gesamt Welt erfüllt, wird im Geiste bewusstes Leben. Ist der Geist im Menschen nicht bejahend, so findet auch die größte Fülle von Schönheit in der Seele keine Resonanz. Der Erstarkung im Geiste soll unsere wirkliche Sorge gelten. Und das hat man in der Hand, bzw. man hat es im Geiste. 2. Die zweite Voraussetzung: die Gelöstheit der Seele. Der Geist wird vom Widrigen und Armseligen des Lebens gebunden: Ich bin müde, ich bin krank, ich vermisse die Liebe, ich finde keine Anerkennung. Jede Widrigkeit hat die verhängnisvolle Kraft, übermächtig unser Bewusstsein auszufüllen. Dann ist unser Blick gebannt auf das, was fehlt, und er übersieht alles, was tatsächlich da ist und ihm gehört. Dieses Dunkle 29
vermag die ganze Fülle des Lichtes zu löschen, das auch noch da ist. Ein einziger Unwert im Leben entwertet den ganzen übrigen Reichtum – und man ist unglücklich. Will man solche Phasen überwinden, so braucht es die Gelöstheit der Seele. Nicht das Freisein von einem Übel, sondere eine Überwindung. Man soll auch glücklich sein mit Schwierigkeiten. Wer ohne Schwierigkeiten sein will und erst glücklich ist, wenn er nichts mehr zu ertragen hat, wartet vergebens, vergeblich. 3. Die dritte Voraussetzung: der weite Horizont. Der Mensch ist in Größe hineingestellt und sollte auch in dieser Größe schwingen. Unsere innerste und allein wesentliche Aufgabe lautet immer noch: Gott verherrlichen durch sein Leben. Hier wird kein Ausweg und kein Ersatz, sondern der wesentliche Zweck des Christenlebens aufgezeigt. 30
Und darin können alle mit: a) Gott aber wird verherrlicht in der Anbetung des Geistes, in der lobenden und dankenden Erhebung des ganzen inneren Menschen zu ihm. b) Gott wird verherrlicht in der Liebe des Herzens: je mehr ich imstande bin, ihn in sich selber aus meiner Seele zu lieben und alle seine Geschöpfe mit hereinnehme in diese Liebe, umso mehr verherrliche ich ihn. c) Gott wird verherrlicht im Dienste des Lebens: Was ich zum leiblichen und seelischen Wohl meiner Mitmenschen wirke, was ich in Familie, Geschäft, Büro, in Staat und Kirche leiste, ist Verherrlichung Gottes. An der Erfüllung dieser Lebensaufgabe vermag uns gar nichts zu hindern, keine einzige Widrigkeit, keine Krankheit, kein Verlust, keine Beeinträchtigung. Ich kann unter allen Umständen und in allen Verhältnissen lieben und gütig sein und so Gott verherrlichen. 31
In der vollen und tätigen Hingabe an diese unsere wesentliche Lebensaufgabe liegt allein das Geheimnis der Lebensbejahung. Diese Einstellung gibt Weltüberlegenheit, die den Fügungen und Schicksalen gewachsen ist. Sie schenkt die innere Freiheit. Der Mensch ist Geist, nur vom Geist her ist er dem Leben gewachsen, nur vom Geist her kann er bejahend im Leben stehen. Keinen Tag dürften wir beginnen, ohne uns vom Willen zur Ehre Gottes neue durchdringen zu lassen. Dann erstarkt der Geist, dann wächst die innere Gelöstheit, dann sind wir fähig, mitten in allen Widrigkeiten in der Freude zu bleiben. Dann erschließt sich uns die Fülle der natürlichen Wertwelt mit der Beglückung menschlicher Begegnungen, mit dem Genuss der Schönheit der Natur, der übernatürlichen Wertwelt mit dem ungeahnten Reichtum Gottes. Eigentlich kann nur der Christ wirklich bejahend im Leben stehen, denn nur ihm ist 32
der weltüberwindende Geist Christi geschenkt – und die Verheißung einer unvorstellbaren Beseligung im Jenseits.
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Leben aus der Seele [ 2. Adventsonntag – Lesejahr A ]
Wir können uns heute kaum eine Vorstellung machen, wie elektrisierend die zunächst schlechte Botschaft Johannes des Täufers auf seine Zuhörer wirken musste. Die Menschen warteten seit vielen Jahrhunderten auf den Messias. Alle ihre Hoffnungen konzentrierten sich auf ihn. Und nun verkündet Johannes: er ist nahe vor der Tür. Aber seine Worte sind wie Axtschläge: sie treffen bis in die Seele. Seine Taufe ist Wasser, das bis in die Seele reinigt. Er wollte die Seele der Menschen freilegen. Das deutsche Fernsehen brachte in kurzer Zeit drei Mal eine Parabel von Karl Wittlinger: Die „Seelenwanderung“. Ihr Inhalt: Ein Mann namens Bum irrt auf eine Müllhalde herum. Er sucht einen Pappkarton. Der Inhalt: Seine Seele. Er hat sie vor Jahren für fünf Mark an seinen Freund Axel 34
verkauft. Nun seelenlos lebend – es wird im Film erschütternd dargestellt – wird er mit diesem Grundkapital ein reicher Mann. Er wird herzlos und geht über Leichen. Als Axel einmal sein Geld brauchte und Bum seine Seele zum Rückkauf anbot, hat Bum sich geweigert, seine Seele zurückzukaufen. Nun stirbt Bum, doch sein Geist findet keine Ruhe. Er sucht seine Seele. Er irrt auf einer Müllhalde, wohin nach den Weisungen seines Freundes der Pappkarton mit seiner Seele auf abenteuerlichen Wegen gewandert war. Ein Kritiker schrieb: „Die Parabel von den Licht- und Schattenseiten des Wirtschaftswunders ist eines der besten Fernsehspiele, die es je gab.“ Nun, die Seele des modernen Menschen wird zwar weniger verkauft, als vielmehr verschüttet: Die moderne Stadt ist Unruhe, Ausgeleertheit, Oberfläche, Ruf und Appell an die Sinne. Die Plakate schreien: Kümmere dich um das Außen! Um Schuh, Strumpf, Un35
terwäsche, Kleid, Uhr und Sportartikel! Schweigen und Innerlichkeit weht nur noch um die Kirche und in der Nebengasse. Gesucht wird die Seele. Sie ist in vielen Straßen: Frivolität, Versuchung und Lust – ohne Seele. Und die Häuslichkeit: wie oft ist sie noch Asyl, Insel der Besinnlichkeit inmitten der hetzenden Umwelt? Das unbeherrschte Fernsehen erschlägt sie, der starre Blick vor dem Bildschirm des Internets verdrängt die gemütliche Unterhaltung, das heilende Gespräch, die erbauende Lesung des Abends, Spiel und Studium der Kinder. Gesucht wird die Seele der Wohnung. Alles tiefere Leben steigt aus der Seele. Die größten Ereignisse sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden. Meine glücklichsten Stunden – es waren nicht rauschende Feste und lärmende Geselligkeit, immer waren es Stunden, die aus der Seele gelebt wurden. Eine Stunde Stille vor Gott, vielleicht in der Nacht: wann war das Herz gesättigter? Eine Stunde stillen Beisammenseins mit einem ge36
liebten Menschen, mit seinem Zusammenschwingen von Geist und Herz – in der Tiefe. Stunden ergriffenen Naturerlebens – bei der Gipfelrast im beglückenden Verspüren der Höhe, Weite, Wucht und Schönheit der Schöpfung. Stunden stiller Lektüre, die uns ins Reich des Geistes führen, uns erhellen mit den Weisheiten der Denker und der großen christlichen Gestalten, uns im Forschen und Wissen der Gelehrten das Weltall erschließen, uns in Geschichte, Dichtung, Kunst den Menschen und seine Zeit enthüllen. Stunden des Geistes, die uns selbst vergessen lassen. Stunden der Muße nach getaner Arbeit und Pflicht, die sättigend den Menschen mit Genugtuung erfüllen. Alles tiefere Leben steigt aus der Seele. Kann es anders sein? 37
Die Sinne geben uns das Äußere der Dinge, ihre Formen, Farben und Düfte. Die Seele aber durchdringt ihr Innerstes, erschaut ihr Wesen, ihre Ursache, ihren Sinn. Die Berührung mit Gott kann nicht durch die Sinne, sondern nur durch die Seele geschehen. Die ganz große Heimsuchung Gottes kommt dann, wenn die Sinne schweigen, wenn der Mensch den Herrn seiner Seele mit seiner Seele sucht. Das sind die Stunden tiefer innerer Beseligung, wo die Seele den Herrn verkostet. Dazu muss man keine Mystiker sein. Der Mensch ragt durch den Geist über alles Ungeistige in Gott hinein. Er handelt in allem umso menschlicher, je mehr Seele dabei ist, er wird in gleichem Maße seliger.
Deshalb ist unsere grundsätzliche Haltung: aus der Seele leben. Den Vorrang hat die Seele. Die Seele mit ihrem Eigenleben, das nur genährt wird von Gott. Ohne die innere und häufige Erhe38
bung der Seele zu Gott wäre es um die Frische, Kraft, ja um das eigentliche Leben der Seele geschehen. Das verlangt oft letzte Treue und die Erinnerung an das durchaus nicht drohende Wort Jesus: „Was nützte es dem Menschen, wenn er... aber an seiner Seele Schaden litte.“ Das muss also unsere Verhaltungsweise sein:
praktische
In der Arbeit: sie beseelen lassen von dem Gedanken des echten Gottesdienstes, der Mitschöpfung an Gottes Schöpfung und der Verherrlichung Gottes. Sie beseelen lassen vom Wohlwollen für die Mitmenschen, vom Erkennen, nicht nur für die eigene Familie, für die Stadtfamilie und die Menschheitsfamilie arbeiten zu wollen. In Ehe und Familie: Alle Liebe und alle Betätigung der Liebe beseelen lassen von der inneren Hochschätzung des anderen, der Unsterbliches und Göttliches in seinem Innern trägt. Beseelen lassen vom Gedanken, für das Ewige des anderen zu sorgen – und für seine Bestimmung, einmal mit seiner Seele zu Gott zu kommen. 39
In der Natur: durch alle sichtbare Schönheit die Weisheit, Allmacht und Güte des Schöpfers zu sehen. Seine Seele durch die Natur zu ihm führen und tragen lassen – und in ihm zu ruhen. Gefragt ist Transparenz. Unsere Zeit verschüttet die Seele. Sie macht die Oberfläche zur Mitte, das Unwesentliche zum Wesentlichen. Sie überfährt mit ihrem Tempo alle Besinnlichkeit, weil sie die Seele verlor. Der Christ lebt in der Welt, mit seiner Zeit, aber im christlichen Stil. Er weiß um das Wichtigste, dem alle Errungenschaften dienen müssen. Die Seele. Der Christ lebt aus der Seele.
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Unbefleckte Empfängnis – der erfüllte Mensch [ Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria – Lesejahr A ]
Wir feiern die Frau, die von Urbeginn der Welt, von Gott geplant, rein und unbefleckt den Erlöser der Welt geboren hat. Wir freuen uns, dass es sie gibt, dass es sie in der heutigen Kirche gibt, ja dass sie inmitten der heutigen Welt steht und in dieser Welt bleiben wird. Wir begrüßen sie als die Frau, die erfüllt wurde von der Huld und Gnade Gottes, als das aus dem Wunder Gottes geschaffene Exemplar des Menschen. Wir brauchen sie, weil die Welt so profan geworden ist, und der Mensch so unerfüllt und leer. Und das ist nicht das Wollen Gottes. So steht Maria gegen viele moderne Menschen. Das Leben des Menschen ist von Fülle und Leere bestimmt. Je erfüllter der Mensch ist, desto zufriedener, stärker, glücklicher ist er, und attraktiver und effektiver. 41
Ist der Mensch unerfüllt an Geist, Herz und Gefühl – und Gott, leer an Werten und Leistungen, dann wachsen Unwerte, und die Leere wird zur Qual. Wie sollte auch der innerlich leere Mensch einen guten Tag und ein reiches Leben verbringen können, wenn echtes Wohltun das Überfließen aus innerer Fülle ist? Gilt das von der Erfüllung durch eine tiefe menschliche Liebe, wie erst von der Erfüllung durch Gott. Allen Heiligen unserer Kirche voran war Maria im Sinne der sogenannten Welt ein durchaus armer und verzichtender Mensch. Sie war es und war es gern, weil der innere Reichtum sie nach nichts anderem verlangen ließ. Maria sagt es heute so laut, dass es auf den inneren Reichtum ankommt, durch die Beziehung zu Gott. Das Leben des Menschen wird von Fülle und Leere bestimmt. Wie doch alles zusammenhängt: die Ursünde hat den Menschen leer gemacht, leer von göttlichen Kräften und göttlichem Glück. 42
Christus hat den Menschen in seiner Erlösungstat wieder erfüllt und als erster seiner einzigartigen Mutter mitgeteilt. Er wird es allen Zeiten sagen: „Dazu bin ich in die Welt gekommen, dass sie das Leben haben und es in Überfülle haben.“ Und sein Jünger Johannes ruft es in seinem Prolog zum Troste aller guten Menschen: „Von seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade.“ Welche Fülle des Lebens in Christus! Fülle der Erkenntnis, dass Gott unvorstellbar väterliche Liebe ist, dass Gott das Heil aller Menschen will, dass er uns in Christus die Entsühnung, die Kraft der Heiligung und das Menschenbild geschenkt hat. Fülle der Liebe – die in uns immer neu entzündet und genährt wird durch den Aufblick zu Jesus in der Großartigkeit seines sittlich hohen und göttlich verklärten Lebens. Fülle der Hoffnung, die weiß: über unserem armen und sterblichen Dasein steht als letzte Sinnerfüllung das unwahrscheinliche Einswerden mit Gott selbst. 43
Diese Fülle hat Maria empfangen und angenommen; aus dieser Fülle hat sie das Leben, wie es jede Frau und Mutter lebt, bezwungen, mit dieser Fülle hat sie alle schweren Schicksale standhaft ertragen, um mit der vollen Fülle Gottes gekrönt zu werden. Das Leben des Menschen ist von Fülle und Leere bestimmt. Wir sind Christen und leiden so oft unter den christlichen Pflichten. Aber das Christsein kann nie ein musshaftes Ableisten von Pflichten sein. Wer die Fülle Christi in sich trägt, dem ist sie die gestaltende und zentrale Kraft seines Daseins bis in die kleinen Entscheidungen des Alltags hinein. Das Traditionschristentum ist längst dahingegangen, es war ein leeres, dürftiges und entstelltes Christentum, eines Christen, der Maria verehrt, unwürdig. Ist unser Christsein Leere oder Fülle? Es gibt für uns keine andere Möglichkeit als Christus und sein Reichtum. Reichtum an 44
Sinn und Erkenntnis, an Liebe, Kraft und Gnade. So hätten wir nur dafür zu sorgen, dass der Fülle Christi kein Hindernis entgegensteht. Sie fließt tatsächlich ein, wenn der Mensch in Sehnsucht nach der Gnade geöffnet ist. Im praktischen Leben sind wir besorgt, dass uns das Geld und das Salz, das Brot, die Arbeit und das Benzin nicht ausgeht. Ist der Behälter leer, dann steht der Wagen. Deshalb stehen heute so viele Menschenwagen, weil ihnen die Fülle Christi nichts mehr bedeutet. Und deshalb geschehen mit diesen Menschenwagen so viele Unglücke, und kostet es so viele Tote, weil die Fülle Christi nicht mehr erkannt und nicht mehr angenommen wird. Auch das ist ein marianisches Vermächtnis, dass der Christ darauf bedacht sein soll, seine Seele erfüllt zu halten. Und weil jeder Tag uns innere Energien kostet, uns von der inneren Fülle wegnimmt, so muss an jedem Tage die Fülle Christi aufgenommen werden.
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Wir können mit einem leeren Geist, einem leeren Herzen, mit einer leeren Seele keine erfüllten Tage zustandebringen. Warum die religiöse Welt oft so wenig beglückt und begeistert? Maria würde uns sagen: Es ist zu wenig von Christus in euch, zu wenig von seiner Gestalt, zu wenig von seinem Wort, zu wenig von seinem Sterben, und vor allem: zu wenig von seiner Gnade, zu wenig von seinem göttlichen Leben. Und er will doch, dass ihr das Leben habt und es in Überfülle habt. Und wir beten: Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnade. Wie deine Seele die Fülle Christi empfing und in deinem Schoße die Fülle Christi wuchs, wie in deinem Leben die Fülle Christi dein innerstes Glück bedeutete, so lass uns in einer Welt der Unerfülltheit und Leere immer mehr erkennen, dass die Fülle deines Sohnes allein der Reichtum unseres Lebens ist.
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Fest in sich selber stehen [ 3. Adventsonntag – Lesejahr A ]
Die Größe des Menschen zeigt sich, wenn er in Unglück und Leid gerät. Not und Tod holen das Innerste aus dem Menschen heraus. Will man bestehen, dann muss man fest in sich selber stehen. Es gibt viele verhärmte und unglückliche Menschen. a) Frauen, die vernachlässigt werden, die des Mannes überdrüssig geworden, keine Liebe mehr, keine Aufmerksamkeiten, kein Dank. Das Heim ist kalt geworden; die Frau ist doppelt einsam, wenn keine Kinder da sind. Sie hat nicht die Ablenkung des Berufes, nicht die vielfache Möglichkeit der Gesellschaft wie der Mann. Das kann sich schwer aufs Gemüt legen. b) Es können Männer sein, die durch Veranlagung, Schuld oder ohne Schuld verzweifelt und erfolglos nach ihren beruflichen oder materiellen Zielen streben. Vielleicht reicht das Können nicht, vielleicht fehlt die Gesundheit oder die Kraft, sich 47
durchzusetzen, oder der schwierige Charakter führt immer wieder zum Bruch. Da kann die schwere Stunde auch einen Mann aufweinen lassen. c) Es kann der junge Mensch sein, der sich nach Zweisamkeit, Heim, Familie und Kind sehnt, nach dem Menschen, dem man etwas bedeutet. Einmal weg von Schreibmaschine und Ladentisch. Auch hier kann die Enttäuschung das Herz schwer machen. d) Wir alle können es einmal sein. Zu jedem kann die Vereinsamung durch Krankheit, Alter, Treulosigkeit und Tod kommen. Jedem kann die Arbeitskraft genommen, die Berufsfreude verleidet werden. Jedem kann die persönliche Welt zusammenbrechen, in der er vital gelebt hat. Jedem können die natürlichen Stützen brechen, die sein Dasein gehalten haben. Über alle können jene Stunden kommen, wo die Umwelt nichts mehr zu schenken und alles feindlich zu verweigern scheint, wo sich der Mensch auf sich selber zurückgeworfen fühlt.
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Die einzige Lösung ist hier nur: Fest in sich selber stehen. Sein Leben, seinen Seelenfrieden, sein Glück nicht abhängig sein lassen von der Umwelt, weder von Menschen, noch von Dingen noch von Lebensumständen. Soviel Werte, soviel Fülle, soviel Festigkeit in sich tragen, dass man sich selber genügen kann. Wie ist das möglich? a) Dem Apostel Paulus fehlte ist oft am Allernötigsten. Hunger, Durst, Müdigkeit bedrängen seinen Leib, schwere Misserfolge seine Seele. Ständig wird sein Schaffen durch feindliche Menschen durchkreuzt. Aber Paulus wird nicht wehleidig. Seine starke Seele lebt ihr reiches, mutiges Leben überlegen, unabhängig von allen Widrigkeiten. Er denkt nur an das Evangelium Jesu. b) Thomas Morus. Alles zerbricht: die Freundschaft des Königs, die äußere Stellung, das Glück des Heimes, die Freiheit und schließlich das Leben. Nur sein innerer Friede und sogar sein Humor sind un49
zerbrechlich. Er denkt nur an die Wahrheit seines Glaubens. c) Johannes der Täufer. Als blutjunger Mensch bleibt er viele Jahre in der Wüste. Dort gibt es keine Frauen, kein Vergnügen, keine Delikatessen und kein Brot. In der Wüste wird man entweder reif für das Irrenhaus oder man verhungert oder man findet Gott. Allein steht er als der letzte Prophet des Alten Testamentes am Jordan und weckt mit seinen harten Rufen eine ungeheure Taufbewegung ins Leben. Allein liegt er im Kerker wegen einer unvorsichtigen Bemerkung und wartet auf den Tod. Aber er denkt nicht an sich, sondern nur an den, den er vorherverkünden durfte: an Jesus von Nazareth. Ist uns mit diesen drei Männern nicht ein Modell gegeben? Fest in sich selber stehen. Das setzt voraus: Das Ja zu seiner Lage, ohne auszuschlagen gegen das versagende Leben – es heißt: die innerliche Annahme einer harten Wegstrecke. Es kann vielleicht noch an50
ders werden, aber das neue Leben kommt nur über den Verzicht. Die vernachlässigte Frau neben dem lieblosen Mann. Sie müsste still werden, sie müsste beginnen, jeden Vorwurf, jede Klage über die verweigerte Freundlichkeit zu lassen. Sie müsste anfangen, nichts mehr zu erwarten. Sie müsste das „Trotzdem“ der entsagenden Liebe sprechen, gewillt sein, selber den Weg des liebenden Schenkens zu gehen. Bald stünde der Mann vor einer starken Frau und aus neuer Achtung erstünde vielleicht eine neue Liebe. Und änderte sich nichts, die Frau wäre bald unendlich gewachsen. So wäre es also: nicht warten auf das große Geschenk, sondern ich verschenke mich liebend und dienend, wo ich lieben und dienen kann. Das bewahrt Geist und Herz gesund. Vitalität in sich selber haben: Reichtum, Aufgaben, Ziele. Das heißt: sich von Gott erfüllen lassen. Nicht ewig in seiner Bedrücktheit verharren und nicht Gott immer 51
nur als Nothelfer für die Abwendung seines Leids betrachten. Von Gottes Güte, Weisheit und Führung ausgehen. Dann weiß man sich in guter Hut. Darf ein gläubiger Mensch sagen: ich habe niemanden? Gott ist nicht niemand. Wie kärglich ist oft unsere Religiosität, dass sie Gott nicht täglich als die große Urfreude erlebt. Jeder Aufblick zu ihm, jede noch so schnelle, vorübergehende Begegnung mit Christus, wenn auch nur mit traurigen Augen, ist eine Kraft, die weiterträgt. Wäre es nicht eine dankbare Aufgabe für jeden, der am Menschen und am Leben leidet, in treuer Liebe und Freundlichkeit um ihre Seelen zu ringen? Gott hat immer Aufgaben und Ziele bereit und Gott gibt damit den neuen Sinn und den festen Halt. 1. Sich vor allem Schönen, was uns vor die Hände und vor die Augen kommt, erfreuen lassen. Allein die Blume ist eine gute 52
Freundin. Dem geöffneten Menschen bieten die kleinen schönen Dinge des Alltags immer eine Gabe, die beruhigt, weitet, erfüllt und sonniger macht. 2. Die Freundschaft pflegen, Teilnahme, Aufmunterung und Aufmerksamkeit zu den Menschen tragen. Kein Mensch darf vor dem anderen stehen und ihn zwingen wollen: du musst mich glücklich machen. Wir müssen reich sein, um andere beschenken zu können – mit dem Herzen. Zuletzt ist es aber immer Gott selber, zuletzt ist es immer Christus, der uns die Festigkeit des Lebens gibt. Leben wir tief in ihm, so stehen wir fest in uns selbst.
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Über sich hinauskommen [ 4. Adventsonntag – Lesejahr A ]
Das Leben spart nicht mit Schicksalen! Wie tapfer ist schon manche Mutter wieder oder zum ersten Male ins Berufsleben gegangen, um den Kindern eine Zukunft zu schaffen, nachdem der Vater gestorben, die Sicherheit der Existenz und das sorglose Leben vorüber war. Wie auch manche Schwester mit der Ehe zugewartet hat oder gar verzichtet, um ihren unerwachsenen Geschwistern stellvertretend Mutter zu sein und sie ausbilden zu lassen. Solche Menschen bewundern wir. Wir achten sie, weil sie sich nicht vom Schicksal zermalmen ließen, wohl aber über ihr Schicksal hinausgewachsen sind – unter vielen Tränen, unter Verzicht und mancher seelischen Qual. Von einem Priester, der tüchtig, aber eigenwillig arbeitete, sagte sein Vorgesetzter humorvoll: „Er ist eine gute Lokomotive, aber sie legt ihre Gleise selber.“ Das Bild ist prachtvoll und könnte viele Lebensschwierigkeiten lösen helfen. 54
Immer wieder versuchen wir, unsere Schienen selber zu legen. Und zwar legen wir sie großartig, dass die Fahrt durch bleibende Gesundheit und ständiges Wohlergehen, durch Erfolge im Berufs- und Geschäftsleben und durch das Glück einer harmonischen Ehe geht, in der die Kinder alle wunderbar gedeihen und nur Freude machen. Plötzlich werden wir umrangiert. Wir müssen auf einem anderen Gleis fahren, das wir nicht selbst gelegt haben, und sind nun mehr oder weniger unglücklich. Wäre das nicht die falsche Einstellung zum Leben? Gott lässt uns viel Initiative, er will sie und fordert sie sogar. Vieles gelingt uns auch nach unserem Wunsch. Aber schließlich ist Gott der Herr des Menschen und seine Wege sind nicht unsere. So sollten wir grundsätzlich elastisch sein gegenüber dem Willen und der Fügung Gottes, wir müssten in uns die Bereitschaft pflegen, unter Umständen auf allen Gleisen zu fahren, auf die uns Gott stellt. Wir müssten mit Hochfrequenz auf den Gleisen Gottes fahren, auch wenn wir die Schiene anders gelegt hätten. 55
Sind wir Heutigen nicht sehr anspruchsvoll geworden? Möchten wir es nicht z.B. im Urlaub mindestens ebenso bequem haben wie daheim in unserer Wohnung? Das Kind ist von Natur aus anspruchsvoll. Das kleine Ich ist die Bezugmitte seiner Wünsche. Hat es die warme, liebevolle Atmosphäre der Eltern und wird sein Eß- und Spieltrieb befriedigt, so ist es glücklich. Das Kind ist von Natur aus egoistisch. Es sieht noch wenig über sich hinaus, es weiß noch nichts vom wirklichen Leben. Seine Welt ist noch seine eigene kleine Persönlichkeit. Allmähliche mühsame Erziehung wird es erfordern, das Heranreifende mehr und mehr aus seiner naiven Ichbezogenheit zu lösen, es langsam über sich hinauszubringen. Die Ichbezogenheit des Kindes ist Natur. Bleibt aber der Erwachsene darin stecken, so ist es Infantilismus. Und wie viele sind im kindlichen Egoismus stecken geblieben. Immer neu wiegen sie sich in der Meinung, das Leben müsse sich um sie drehen, sie 56
kämen zu kurz. Sie stehen dem Dasein unzufrieden gegenüber, oft genug bitter und vergrämt, weil es nicht alle ihre Wünsche erfüllt. Sie merken oft gar nicht, dass ihre eigene Beschränktheit und Begrenzung manche ihrer Wünsche unmöglich macht. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass ihnen ihre Empfindlichkeit, ihre undiplomatische Schroffheit zu viele Gegner schafft, dass mangelnder Weitblick oder fehlende Entschlusskraft sie für ihre Ziele ungeeignet erscheinen lassen. Sie rechnen nicht mit den Zufälligkeiten, mit den Härten und Ungerechtigkeiten des Lebens, die den einen fördern und den anderen zurückhalten; Fügungen, hinter denen aber doch auch eine Vorsehung steht! Sie müssten einen gehätschelten Lebenswunsch mutig und endgültig begraben, sie müssten die inneren, gefühlsmäßigen Fesseln, die ihnen unerfüllte und unerreichbare Wünsche angelegt haben, sprengen, und sich ohne sentimentale Trauer dort ganz und voll einsetzen, wo ihr Platz ist. Sie müssten nicht so vieles wollen, sie 57
müssten bescheidener sein in ihren Wünschen. Ansonsten ist zwar die Fülle der Wünsche gewachsen, sie selbst aber sind über die Kindlichkeit ihres ersten Jahrzehnts nicht hinausgekommen. Dem gereiften Menschen gilt die Sache, die Arbeit, das Werk und das Wohl des Mitmenschen. Es wird nicht mehr seine erste Frage sein: Komme ich auf meine Rechnung, finde ich meine volle Befriedigung, gewinne ich meinen Vorteil, Ansehen, Einfluss, Erfolg? Die Hauptsorge des Christen wird immer sein: Tue ich genug Gutes? Ob das Leben alle Wünsche erfüllt – was tut‘s? Jeder hat in seinen Lebensbereichen so viele Möglichkeiten, Gutes zu wirken und andere zu beglücken und zufriedener zu machen. Aber das kann nur geschehen, wenn man in innerer Freiheit ist, wenn man über sich selbst hinausgekommen ist, wenn die Sache gilt, der Mitmensch und Gott. Auch der Heilige Josef hat sich seine Ehe mit Maria von Nazareth anders vorgestellt. Er wurde von Gott auf ein anderes Gleis 58
geschoben und ist auf diesem Gleis mit Hochfrequenz gefahren. Er musste über sich hinauskommen. Über sich hinauskommen wird man: wenn man offen ist für Gottes Vorsehung, wenn man bescheiden ist in seinen Lebenswünschen, wenn man das Gute um des Guten willen tun will. Zu Weihnachten hat mancher manche Wünsche. Ich wünschte, dass sie Ihnen in Erfüllung gehen. Aber die Sache von Weihnachten ist die Geburt Gottes in Bethlehem! Und soviel wir die Sache von Weihnachten sehen, soviel werden wir Weihnachten feiern.
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Sich selber als Christ in Frage stellen [ 2. Sonntag nach Weihnachten – Lesejahr A ]
Es wäre gewiss eine gute Tat an uns selbst gewesen, hätten wir als gläubige Christen in einer Zeit, in der der Glaube immer mehr schwindet, die Person Christi total in Frage gestellt vor uns selber. Das Ziel einer solchen radikalen Frage wäre gewesen: aus dem Weihnachtsgeheimnis des Christentums mit einer selbstverständlicheren Sicherheit wegzugehen, sein Christentum kräftiger zu bejahen und mit innerer Freiheit von all dem Wust der heutigen Meinungen sich zum vollen Evangelium Jesu zu bekennen. Eine ebenso gute Tat wäre aber auch, sich selber als Mensch und Christ in Frage zu stellen, am Anfang des neuen Jahres, den Mut zu haben, sich selber bis in den Grund seiner Existenz zu stellen. Wir kritisieren vieles an uns, aber nicht uns. Und sind nicht unsere kritischen Vorbehalte gegenüber anderen nur die Weise, in der wir uns in allen Dimensionen unseres Daseins unkritisch selbst bejahen? 60
Oder haben wir einmal ernsthaft damit gerechnet, dass wir nicht nur in dieser oder jener Einzelmeinung irren könnten, sondern zutiefst in der Unwahrheit selber sein könnten, aus dem Grunde unserer Existenz? In der Unwahrheit der Lieblosigkeit, des Hochmuts und des Eigensinns? Sind wir in der Wahrheit, in der man sich auf das unbegreifliche, namenlose Geheimnis, das Gott ist, einlässt? Wir geben gewiss zu, dass wir keine vollkommenen Menschen sind und dass wir Fehler haben. Aber nehmen wir diese Fehler nicht einfach hin, muten wir nicht den Mitmenschen zu, dass sie sich mit unseren Unzulänglichkeiten abfinden müssen? Sind wir nicht manchmal sogar in unsere Fehler verliebt? Oder haben wir einmal jene Bedrohtheit unserer Existenz erfahren, in der wir keine Entschuldigung mehr wagen, in der wir verstummen und nur noch eines wissen: dass uns vergeben werden muss, ohne dass wir uns selber vergeben können? Ist es uns schon passiert, dass wir mit Er61
schrecken feststellten, dass wir uns selbst dem anderen schulden, nicht nur dies und das, was wir ihm schuldig geblieben sind, dass wir uns ihm schuldig geblieben sind, sosehr, dass wir es nicht mehr gut machen können? Haben wir uns gefragt, ob unsere Liebe, die wir zu haben meinen, nicht etwa nur die vernünftige und lebenskluge Form unseres Egoismus sein könnte? Haben wir schon einmal unser eigenes inneres Sein radikal und bis ins letzte in Frage gestellt? Wir halten uns für vernünftige, vielleicht einigermaßen gescheite und ausgeglichene Menschen, anständig, strebsam, hilfsbereit, für nette Menschen, gegen die im Ernste niemand etwas haben könnte. Und das mag sogar stimmen. Aber es ist doch nicht die Wahrheit jener Haltung, die wir immer neu tun und besitzen müssten, um zu verstehen, welches Unmögliche uns im Christentum, in der Predigt Jesu zugemutet wird: die radikale Infragestellung dessen, was wir sind, ohne das wir meinen, gar nicht existieren zu können, die Kapitulation, die erst frei macht von sich selbst, die totale Kapitulation vor Gott. 62
Diese Kapitulation ist schwer und man wird sie nicht bei jeder Gelegenheit erzeugen können. Doch kann es nicht die Stunde in unserem Leben geben, wo sie für unser Heil entscheidend ist? Und was ist dann mit unserem Selbstbewusstsein, mit unserem Selbstvertrauen mit dem Zutrauen zu sich und seiner eigenen Kraft? Sind es nicht selbstverständliche, sinnvolle, lebensnotwendige Haltungen, die unsere Kapitulation vor uns selber fast absurd und unvollziehbar erscheinen lassen? Wo jene Kapitulation diese Haltung eines unbefangenen, sich dem Leben stellenden Menschen voll Kraft und Selbstvertrauen einfach verdrängen würde, wäre ein gestörter Mensch gegeben, aber nicht der Mensch, der radikal hinter sich selbst gekommen wäre. Denn dieser Mensch ist nicht weniger Mensch, sondern in seiner Kapitulation mehr als der Mensch, der fraglos mit sich selbst glaubt, identisch sein zu dürfen. Mehr, weil alles solches Mit-sichselbst-Einverstandensein nochmals unterfangen ist durch die Aufgabe einer letzten Selbstverteidigung vor dem schweigenden Geheimnis Gottes, der Selbstverteidigung 63
seiner eigenen Güte und Sicherheit vor der absoluten Forderung, die Gott selber ist, die uns der Unmöglichkeit überführt, vor uns selbst gerecht sein zu wollen. Erst in einer solchen Kapitulation erfahren wir, wer eigentlich mit dem gemeint ist, wenn wir ‚Gott‘ sagen: jener, der das wirkliche Geheimnis ist, die absolute Forderung in Person, der Abgrund, in den der Mensch hineinspringt, ohne ihn je ausgelotet zu haben – freilich aber als Christ mit dem Glauben, mit der Hoffnung, mit der Liebe. Erst jetzt geht uns auf, indem wir uns selber als Menschen aufgegeben, dass wir angenommen sind, aufgenommen und geliebt von Gott. Und das ist eine der wesentlichen Aussagen des weihnachtlichen Geheimnisses: Wir werden von Gott geliebt, alle und jeder. Diese Aussage ist so unsagbar groß und so unsagbar belebend, dass wir eigentlich keine lange Zeit brauchen, um den nur wieder anbrechenden Alltag zu bestehen: Wir sollen uns so geliebt wissen, wie uns kein Mensch lieben kann. Und sich geliebt zu 64
wissen, macht doch jedes Leben lebenswert, denn dann ist Licht im Leben, Sinn und Gl端ck.
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Lebensverbunden mit Christus I [ Fest der Taufe Christi – Lesjahr A ]
Das größte aller Ereignisse der Geschichte ist die Menschwerdung Gottes. Nicht nur Gott in einem Menschen, sondern Gott als Mensch unter uns! Von diesem Ereignis muss man wirklich sagen: es ist noch unterwegs, es ist noch weit entfernt, auch nur in das Verständnis jener eingegangen zu sein, die sich Christen nennen und Christen sind. Seitdem steht Christus alle überschattend und alle überleuchtend in der Welt als die Mitte und das Herz der Menschheit, als der erste Mensch, als der Erste aller Menschen. Durch die Menschwerdung Gottes in Christus muss nun alle Religion und Religiosität personal werden. Das Frommsein der Heiden wurde von ihrer Gottesvorstellung geformt, das der Juden vom Gesetz, die christliche Frömmigkeit muss von der Persönlichkeit Christi geformt werden. Ist in Christus Gott gekommen, dann ist in Christus die ganze Fülle der Wahrheit, der Heiligkeit und der Liebe Gottes erschienen. 66
Außer ihm kann es also kein höheres Vorbild der Vollkommenheit geben. Neben ihm können keine Wege mehr zum Vater führen. In ihm als dem Göttlichen sind alle Kräfte und Antriebe zur Vergöttlichung. Er musste von sich sagen: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Seitdem Christus, der Sohn Gottes erschienen ist, gibt es kein Heil mehr außer ihm; nur an ihm, nur in ihm können die Völker und Menschen ihrer Bestimmung entgegenwachsen. Die möglichst tiefe Lebensverbundenheit mit Christus ist das Alles- und Letztentscheidende für unser ganzes Menschenleben und Menschsein. So erhebt sich die Frage: Steht die Person Christi in der Mitte meines Lebens? Lebe ich ein Christenleben in innerer Verbundenheit mit Christus? Ist mein Christsein ein bloßes unpersönliches Ableisten von einigen äußeren Verpflichtungen? Verbindet mich im eigentlichen Sinne eine richtige Freundschaft mit Christus? Ist er die Bewunderung meines Geistes und die Liebe meiner Seele? Ist das innere Verweilen bei Christus mir ein Bedürfnis? Lebe ich meinen Alltag zusammen mit Christus? Hole 67
ich in vielen Fragen bei ihm Rat und Kraft? Trage ich Christus in mir? Er selber will, dass wir mit ihm aufs engste verbunden seien. Er selber hat häufig und eindringlich gewünscht, dass wir in ihm bleiben und in ihm leben sollen: „Bleibt in mir, und ich bleibe in euch; Bleibt in meiner Liebe!“ „Wer in mir bleibt und in dem ich bleibe, der bringt viele Frucht“. Dieses „Bleiben in ihm“ fasst Christus ganz vital und organisch auf. Wir sollen so innig mit ihm verbunden, so völlig in ihn hineingewachsen sein wie der Rebzweig in den Weinstock. „Ich bin der Weinstock, ihr die Reben. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.“ Kann man Dichte und Notwendigkeit der lebensmäßigen Verbundenheit mit Christus stärker, zwingender zum Ausdruck bringen, als es Christus mit diesem Vergleich getan hat? Ist eine größere Einheit denkbar als das Innesein von Zweig und Stock? Bekommt der Zweig nicht alles Leben, alle 68
Kraft zum Blühen und Früchtebringen vom Baum? So, sagt Christus, muß die Verbundenheit jedes Jüngers mit mir sein, denn „ohne mich könnt ihr nichts tun“. Die gleiche Dichte des Inneseins in Christus meint auch Johannes, wenn er schreibt: „Und nun, Kinder, bleibt in ihm!“ Das meint auch Paulus, wenn er mahnt: „Zieht den Herrn Jesus an“, oder wenn er spricht vom „Wohnen Christi in uns“ oder vom „Gestaltwerden Christi in uns.“ Echtes Christsein ist nur da, wo Christus wirklich innerlich aufgenommen wurde, wo Christus tatsächlich in einem Menschen lebt, wo liebende Vereinigung mit ihm ist, wo Christus zum Gestalter wird, dem sämtliche Befugnisse von uns erteilt worden sind. Das wunderbare Vorbild eines solchen Jüngers Christi ist Paulus, der auch die klassische Formel für dieses Innesein in Christus geprägt hat: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir.“ Ich lasse ihn in mir walten: er atmet mich, er lebt mich, er redet durch mich, er arbeitet durch mich. 69
Wie dürftig nimmt sich vor diesem Wunsche Christi unser Christsein aus, wie kümmerlich sitzen wir oft in der Mitte unseres Daseins und lassen gelegentlich auch Christus zu Worte kommen. Und diese Kümmerlichkeit darf uns schon ein wenig auf unsere Seele fallen. Denn es ist einfach unausdenkbar, war wir sein und wirken könnten, wenn diese geistig-innerliche Verbindung mit Christus in mir einigermaßen ausgebildet wäre. Die Wahrheit ist so einleuchtend, dass es so sein muss: dass unsere menschliche Natur in die gottmenschliche Natur, in die Übernatur Christi eingepflanzt werden muss. Dann wird allerdings unser persönlicher Taufakt eine Bedeutung bekommen, die außerhalb jeder Debatte steht. Sagten wir zu Beginn: Das größte aller Ereignisse der Geschichte ist die Menschwerdung Gottes, dann müssen wir uns sagen: das größte aller Ereignisse der Geschichte eines Christen ist seine Taufe. Wir sind auf Jesus Christus getauft, wir sind in Jesus Christus eingepflanzt, wir le70
ben von Christus – und außerhalb Christi gibt es keine christliche Existenz. Hier geht es um keine Koexistenz, sondern um ein inneres Zusammenleben, um ein Zusammenleben mit Christus. Wir dürfen uns das nicht zu schwer vorstellen, dann auch das Kind bringt das ausgezeichnet zustande. Das Kind, das im Leibe der Mutter so wunderbar mit der Mutter zusammenlebt, weiß am ehesten, wie man mit Christus zusammenleben kann. „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch!“: Das ist ein wunderbares Versprechen Christi, das viel Alltag sichert.
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Lebensverbunden mit Christus II [ 2. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A ]
Jesus Christus hat eine Daseinsweise und damit eine Nähe zu uns, die ihm allein zukommt. „Ich werde bei euch allen bleiben bis ans Ende der Welt“ – das konnte er allein sagen. Alle anderen Großen, die über die Erde gingen, sind für uns nur noch geschichtliche Gestalten. Sie leben, aber doch gebunden, im Jenseits. Sie wirken noch durch ihre zurückgelassenen Werke und durch die Erinnerung an ihre Persönlichkeit. Doch nur Christus, obwohl beim Vater, steht in einer einzigartigen göttlichen Bewegungsfreiheit. Nur Christus ist auf die Erde gekommen, ist nach seiner Auferstehung wieder auf der Erde erschienen und hat sogar so noch den vertrauten Umgang mit seinen Aposteln gehabt. (Welches Erlebnis muss es für Paulus gewesen sein, als ihm Christus persönlich erschien und ihn persönlich zum Weltapostel bestimmte!)
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Auch uns, jedem von uns, könnte Christus jederzeit erscheinen. Und finden nicht tatsächlich täglich auf dem Altare bei der heiligen Handlung und Wandlung Begegnungen mit Christus statt? Und gerade auch diese Daseinsweise schafft die Möglichkeiten engster und innigster freundschaftlicher Verbundenheit mit Jesus Christus. Wie können wir die praktische Christusverbundenheit pflegen? Vielleicht klingt es banal und kindlich – aber alle Liebe spricht: Ein Bild ist mir ins Herz gegraben. Wer liebt, trägt den Geliebten immer bei sich, er trägt sein Bild in Geist und Herz. Trage ich das Bild Christi in mir? Dann muss er mich irgendeinmal in meiner innersten Tiefe angerührt haben. Dann muss er mich an irgendeiner Stelle meines Herzens getroffen oder ergriffen habe. Dann muss er mir so begegnet sein, wie mir noch nie ein Mensch begegnet ist. Dann muss er mich mit seinem Wesen an sich gebunden haben. 73
Dann muss der Gedanke an ihn meine Seele in Wallung bringen. Trage ich ein solches Bild Christi in mir? Ein Bild, das Gewalt über mich hat? Ja, ein Bild Christi, das Gewalt über mich hat, wäre für einen Christen etwas Selbstverständliches. Für gewöhnlich malt man sich ein solches Bild selbst, aber ohne ein solches Bild: Wie will man Christus lieben, wie soll uns Christus prägen, wie will man christlich leben? Sorgend kreist die Liebe um das geliebte Du. Sie möchte schenken, was sie hat und ist. Liebe lebt im Geliebten und für das Geliebte. Sie ist in ständiger und wacher Bereitschaft, Freude zu bringen. Und niemand schämt sich zu lieben und aus dieser Liebe zu erfreuen. Wäre ein solcher Ausdruck der Liebe zu Christus etwas Beschämendes? Ob dieser Impuls Christus gegenüber in uns lebt, zeigt uns, wie weit wir zu unserem großen Meister ein persönliches Verhältnis haben. Und dieses persönliche Ver74
hältnis wird dann auch entscheiden über die Art unserer Liebe: die Liebe zu Christus wird das bevorzugen, was Christus liebt. Hier geht es vorerst um keine Zärtlichkeiten. Nicht als ob sie Christus nicht vertrüge oder nicht annähme, aber Liebe zu Christus ist dort, wo das getan wird, was dieser Christus braucht für den Menschen, der liebt, und für die Menschen, die Liebe brauchen und lieben sollen, und für Gott selbst, der sie nicht braucht, dem sie jedoch gebührt. Und Gott zu erfreuen, wie man einen Menschen erfreuen will – was soll daran Beschämendes sein? Dem gerade gewachsenen und Gott nahegekommenen Christen wird es ein sehr vernünftiges Bedürfnis sein, seiner persönlichen Beziehung zu Gott auch durch sehr persönliche Geschenke seiner Liebe Ausdruck zu geben. Diese Liebe sind dann Gefälligkeiten, Aufmerksamkeiten, Treue und all das, was über das „Geschäftliche“ Gott gegenüber hinausgeht, über das, was notwendig ist, um seine Beziehung zu Gott 75
aufrechtzuerhalten. Die weihnachtliche Geschenkpraxis wäre keine schlechte Praxis gegenüber Christus. Der innere Mensch, wie er im Alltag steht, steht in der Spannung zwischen Welt und Gott. Er soll sich nicht entsakralisieren, aber verchristlichen lassen. Das ist nur möglich, wenn er ständig Christus gegenüber offen ist und mit ihm Kontakt hält. Wenn sein Verhalten maßgebend wird für unser Verhalten. Deshalb: Vor Christus gehören unsere Gefühle, unsere Verärgerungen und Enttäuschungen, unsere Mutlosigkeit und unsere Bequemlichkeit, unsere Sorgen, unser Lieben, unser Anlehnen, unser Verweigern. Vor Christus gehören unsere Entscheidungen, wo immer sie getroffen werden müssen, unsere Auseinandersetzungen und Konflikte, wo immer sie ausgetragen werden müssen, um in seiner Gesinnung zu bleiben und zu verharren.
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Vor Christus gehört unsere Arbeit – und die, die mit uns im gleichen Dienste stehen und werken –, unsere Pünktlichkeit, unsere Tiefe, unsere Ordnung, unser Ziel und unser Plan, ja, nicht selten der Plan auch für den Nachmittag oder Abend. Vor Christus gehören unsere Gedanken. Sie sollen Antwort geben, woher sie kommen und wohin sie eilen möchten, ob sie schaden oder nützen, ob sie helfen oder hindern, ob sie guter oder böser Geist sind. Christus ins ganze volle Leben einlassen, ihn mitreden und mitbestimmen lassen, seinen Rat einholen und sein Urteil annehmen! So bleiben wir praktisch mit Christus lebensverbunden: Christus im Herzen tragen, Christus Freude machen wollen, Christus ins ganze Leben einlassen. So pflegen wir die fruchtbare Freundschaft mit Jesus Christus.
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Der bürgerliche Christ? [ 3. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A ]
Soll Christus, der Herr, unser Herr, in seiner vollen Größe vor uns stehen, so muss die Schau seines Lebens und Wirkens befreit werden von allem, was als selbstverständlich gedankenlos hingenommen wird. Als selbstverständlich wird gedankenlos hingenommen, dass Jesus Christus als die zweite göttliche Person ein Daheim bei seinem himmlischen Vater besaß, wo er im eigentlich Seinen war, dieses Daheim aber verließ, um sich auf der Erde niederzulassen. Wir können ganz richtig sagen: Christus gibt seine bürgerliche Existenz auf. Er verlässt den Himmel, verlässt seine Herrlichkeit, verlässt seine sichtbare Gottheit und erscheint im Gewande eines gewöhnlichen Menschen. Als selbstverständlich wird gedankenlos hingenommen, dass Christus auf der Erde ein Daheim hatte – bis etwa zu seinem dreissigsten Lebensjahre. Das Haus war
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dürftig, aber es war ein Haus. Es brannte abends ein Licht darin. Nach der getanen Arbeit führte eine liebe Mutter ihn an den gedeckten Tisch. Es waren keine Delikatessen darauf, aber man durfte essen. Es gab liebendes Beisammensein und ein fröhlich plauderndes Gespräch. Geregelte Arbeit trug den Tag und Liebe wärmte die Geselligkeit. Nun zieht Christus in die öffentliche Wirksamkeit. Das will meinen, dass er wieder mit der bürgerlichen Existenz bricht. Er verlässt seine Stadt, sein Heim, sagt seiner Mutter und seinen Verwandten Lebewohl. Für immer stellt er die Werkzeuge seiner Arbeit weg. Die Zeit des stillen Daseins ist vorbei. Vorbei die Ordnung, Helle, Wärme und der Duft freundlicher und gesicherter Häuslichkeit. Mit dem, was er auf dem Leib trägt, zieht Jesus ins Land. Er hat keinen Beruf mehr, ist angewiesen auf die Güter und die Gaben seiner Freunde und Zuhörer. Der Künder des Gottesreiches hat kein Heim mehr. Wieviele Nächte wird er im 79
Freien verbringen, unter Ölbäumen, auf Bergen und in den Höhlen, wenn Wohlwollen und Freundschaft ihm kein Lager bieten oder bieten können. Er wird die Natur bitten und an einem Sabbat Ähren pflükken, weil Menschen ihm nichts zu essen gaben. Christus hat ein bürgerliches Leben aufgegeben, hat sich der Unsicherheit und Ungeschütztheit einer armen, entbehrungsvollen Wanderexistenz preisgegeben. Nur ein ganz groß Liebender vermag eine solche Lebensform zu wählen; nur sie erlaubt ihm, heimatlos die Botschaft von der Heimat des Himmels zu verkünden. Sehen wir Christus nicht erst, wo er sich helfend, heilend, umsorgend, aufrichtend zum einzelnen Menschen niederbeugt! Nicht erst, wo er den Massen das neue Gottesbild und seine eigene Kindesgesinnung gegen den Vatergott beibringt! Sehen wir bereits jene Größe, die alle bürgerliche Behaglichkeit auf die Seite schiebt und die Unstetigkeit und Schutzlosigkeit 80
eines Wanderlebens auf sich nimmt! Wie ein Symbol, wie ein letzter Höhepunkt dieses Lebens ist sein Tod, da ihm die Erde, seine Erde, ein Plätzchen zum Sterben und das eigene Grab verweigert. Zweimal hat Christus ein Heim und zweimal verlässt er es. Alles im Leben Jesu will etwas für uns. Was will er hier? Er hat sein Heim jahrelang genossen. Deshalb ist es gottgewollt und gesegnet. Die einen haben ihr Heim, sie sollen und müssen es haben. Jenen, die es nicht haben sollen, gibt er es in einer eigenen Berufung zu wissen. Denen nun, die es haben und haben müssen, ist es dennoch angezeigt kundzutun, dass sie ihr Heim besitzen und noch verlassen müssen, ja zugleich verlassen müssen. Sie sollen es daheim schön haben und dabei alle moderne Behaglichkeit genießen dürfen, aber dazu ist ihnen ihr Haus gegeben, ihr kleines Haus, dass sie das große Haus der Menschheit erkennen. Und dazu hat es Fenster, damit nicht nur die Sonne herein81
scheine, sondern sie selbst hinausschauen könnten mit den Augen, mit dem Herzen und mit dem Verstand. Jetzt erst wurde Christus groß, da ihn sein Ziel prägte. Wie gleichnishaft ist da wiederum das Kreuz Christi: Erhaben über die Erde, mit den Armen, die weit ausgespannt die ganze Menschheit zu umfassen scheinen, mit einem geöffneten Herzen, das allen offen steht, so scheidet Christus aus der Welt. So wollte uns Christus erziehen: er wollte uns zu unabhängigen Menschen machen. So unabhängig, dass wir uns, frei von aller Sach-, Zeit- und sogar Menschengebundenheit, umso froher und glücklicher, dem, was wir besitzen, unserem Leben, unserer Zeit und unseren Mitmenschen zuwenden. Er will uns nichts wegnehmen von dem, was wir gern haben. Wir sind heute froh über jeden Menschen, der es gut mit uns meint. Wir sind so froh über alle Erleichterungen, die uns Arbeit und Mühe ersparen. Wir sind so froh über 82
die Unterhaltung, die Musik und das Bild, die uns manche Einsamkeit verscheuchen und von manchen kleinen und großen Sorgen ablenken lassen. Wir sind so froh über manche kleine Genüsse, die die schlechte Laune vertreiben und ein bisschen Heiterkeit auf das Gesicht zaubern. Wir sind so froh über die Verkehrsmittel, die uns so schnell einmal wegtragen vom Gewohnten, die es gestatten einmal ganz abzuschalten von allem Kram einer Woche. Nichts davon will uns Christus wegnehmen, aber wir sollen uns unsere Unabhängigkeit bewahren. Denn die Unabhängigkeit schenkt den größeren Genuss, sie lässt uns weniger sorgen und ängstigen. Wo wir aber die Abhängigkeit verspüren, schadet es nicht, dass wir wieder einmal in die rauhere Luft der christlichen Askese übersiedeln, in das Land der freiwilligen Armut wandern und eine etwas blutigere Nachfolge Christi wählen. Bürgerlich war Christus nicht, aber er war ein Menschenfreund! 83
Der Name Jesus [ 5. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A ]
Lebenshilfe im Alltag Der deutsche Jesuitenpater Alfred Delp schreibt es mit gefesselter Hand aus dem Gefängnis am 1.1.1945, dem Jahr, in dem er hingerichtet wurde: „JESUS! Diesen Namen des Herrn will ich froh an den Anfang dieses neuen Jahres setzen. Er besagt, was ich erbete, glaube und hoffe: die innere und äußere Erlösung. Die Lösung der egoistischen Krämpfe und Engen in den freien Dialog mit Gott, die freie Partnerschaft, die vorbehaltlose Hingabe. Und die baldige Erlösung aus diesem elenden Eisen. Die Situation ist lügenhaft. Das, was ich weder getan, noch gewusst habe, hält mich fest. Dieser Name besagt, was ich in der Welt und bei den Menschen noch will: Erlösend, helfend, beistehend. Den Menschen gut sein und Gutes tun. Ich bin manchen vieles schuldig geblieben. Ich will mich Jesus zugesellen als ein Treugeselle und Liebender.“ 84
Der evangelische Theologe Karl Barth schreibt: „Jetzt komme ich auf das, was ich eigentlich daheim bin – oder auf den, bei dem ich eigentlich daheim bin. Gnade ist auch nur ein vorläufiges Wort, das ich als Theologe zu sagen habe. Das letzte Wort ist nicht ein Begriff wie Gnade, sondern ist ein Name. Er ist die Gnade und er ist das Letzte. Jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn nicht einfangen, aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmendem Maße, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: Dort. Es ist in keinem anderen Namen Heil, als in diesem. Dort ist denn auch die Gnade. Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und Torheit probiert habe. Aber dort ist’s.“ Zwei großartige Bekenntnisse zum Namen Jesus. Dieser Name war ihnen nicht nur Ziel, sondern Lebenshilfe. 85
Ein Mönch der Ostkirche schreibt: „Wenn wir die Hilfe unseres Herrn suchen, sollten wir seinen Namen in Glaube und Liebe aussprechen. Jesus selbst ist die Antwort auf alle Nöte der Menschen. Und dies ist er, da wir zu ihm beten. Er ist zugleich Geber und Gabe, der in sich alle guten Dinge vereinigt. Wenn ich hungere, ist er meine Speise, wenn ich friere, ist er meine Wärme, wenn ich krank bin, ist er meine Gesundheit, wenn ich verfolgt werde, ist er meine Befreiung. Wenn wir versucht werden, bringt uns der Name Jesus Erfolg und Frieden. Ein Herz, das bereits mit dem Namen Jesus und der Gegenwart unseres Herrn erfüllt ist, verweilt in keinem sündhaften Gedanken oder Bild.“ Wir sind aber schwach und oft bricht unsere Verteidigung zusammen, und dann ist in uns die Versuchung wie reißendes Wasser. In einem solchen Falle schaue nicht auf die Versuchung, schlage dich nicht mit deinem eigenen Verlangen herum: schaue auf den Herrn, halte dich an ihm fest, an seinem heiligen Namen! Schrei ihn nicht laut! Sein Name muß in Frieden aufgeru86
fen werden, und dann wird er uns Frieden bringen, ja er wird unser Friede sein. Und wenn wir schwer gesündigt haben, umso mehr, wenn wir leicht gesündigt haben, können wir uns in einem Augenblick in Reue und Liebe an den heiligen Namen wenden – und der so gebrauchte Name wird bereits ein Zeichen der Vergebung sein. Wir finden durch die Anrufung des Namens wieder von neuem den Herrn. In diesem Augenblick kommt er auf uns zu, so wie wir sind. Er beginnt von neuem dort, wo er uns ließ, vielmehr, wo wir ihn verlassen haben. JESUS! Es ist der heiligste Name des Christen, der rettende Name des Menschen und der häufigste Name der Bibel. Jesus! Das ist das kürzeste Gebet, aber auch das kräftigste und das spürbarste. Tatsächlich wird mit diesem Namen unser Geist hell und alle Verdunkelung unserer Gedanken lichtet sich auf. Tatsächlich wird uns mit diesem Namen Jesus gegenwärtig und wir treten mit ihm ein in das tiefere Verständnis der göttlichen Geheimnisse. Tatsächlich wachsen wir mit diesem Na87
men über das konkrete Leben hinaus und schauen mit göttlichem Sinn unser menschliches Dasein. In welcher Verfassung wir uns auch befinden, in welche Situation wir hineingeraten wären: Das Jesusgebet passt immer und hilft immer. Nicht umsonst heißt Jesus: Gott rettet. Und wenn auch eine einzige Anrufung nicht genügt und nicht genügen kann: diesem Namen hält keine Mauer stand und keine Finsternis, keine Furcht und keine Ratlosigkeit, keine Zerrissenheit und keine Ohnmacht, keine Leidenschaft und keine Hölle. Er wird immer siegreich sein, er wird uns immer halten, er ist nie vergeblich ausgesprochen – gar erst in unserer Todesstunde. Die Anrufung des Namens Jesu kann ein Weg für unser geistliches Leben sein. Sie wird unser inneres Leben vereinfachen und vereinheitlichen, sie ist ein Weg der Verwandlung und der Verklärung, sie ist eine unermüdliche Kraft, die am Ende eine Freude gebiert, sie lässt uns erkennen, dass alle Menschen nur einen Namen haben: JESUS! 88
Karl Barth: „Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und Torheit probiert habe.“ Probieren wir es doch wieder einmal!
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Humor [ 6. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A ]
In den Faschingstagen will man lachen, und man darf lachen. Lachen gehört so sehr in den menschlichen und christlichen Alltag. Eine kleine Prise Salz – und das Essen ist wohlschmeckender, ein klein wenig Humor – und das Leben geht leichter. Der Mensch ist ein Wesen, das lachen kann. Eine wunderbare Fähigkeit. Das hebt ihn über die ganze Schöpfung hinaus. Auch die Tiere stehen vor komischen Situationen, aber lachen können sie nicht. Sie schauen verständnislos mit tierisch ernsten Augen in alle Komik hinein. Die Engel – ob sie lachen? Sie schauen immerfort das Antlitz Gottes. Das ist unsagbare Freude – aber lachen? Lacht Gott? Die Heilige Schrift erzählt manchmal davon, und es wäre einiger Grund vorhanden, dass Gott lacht. Aber diese Lachen Gottes ist eine Metapher, ein Bild. 90
Lachen, herzhaft lachen, das kann nur der Mensch allein. Welt, Leben und Mitmenschen können oft so komisch sein, dass wir nur unter Tränen lachen können. So ist es eine richtige Definition des Menschen: ein Wesen, das einzige, das lachen kann. Ein Vorrecht, von dem wir viel Gebrauch machen sollten. Welches Lachen ist gemeint? Es wird in allen Schattierungen gelacht: vom stillen, feinen, überlegenen Lächeln zum schallenden, dröhnenden und höllischen Gelächter. Das Lachen ist so oberflächlich und so tief, so edel und so gemein wie der Mensch selbst – in seinem Lachen verrät sich der Mensch wie in seinem Weinen. Wir meinen das natürliche, herzliche Lachen des innerlich frohen Menschen, wir meinen echten Humor als grundsätzliche, überlegene, heitere Lebenshaltung. Leider haben nicht alle Menschen Humor. Es gibt Menschen, denen das Lachen nahezu angeboren ist, es gibt andere, die immer ernst sind und sogar sauer. Arme Menschen, denn Humor ist fürs Leben so unendlich wichtig! 91
Wichtig, um zuerst einmal über sich selbst zu lachen. Im Theater, im Lustspiel lachen wir über die Schwächen und Verwicklungen der Menschen, die wir doch selber sind. Als unbeteiligte Dritte können wir uns am bärenhaften Ernst der menschlichen Zusammenstöße herzlich ergötzen. Aber mitten in diesen Szenen, selber als Beteiligte, würden wir uns vielleicht noch mehr ereifern als die Spieler im Theater. Die Komik des Allzumenschlichen, in dem wir doch alle stehen, enthüllt uns erst die Distanz. Haben wir einmal Abstand von uns selbst, dann nehmen wir uns nicht mehr so blutig ernst. Und es ist eine Befreiung, wenn man über sich selbst, seine Fehler und seine Dummheiten lachen kann. Wertvoll ist der Humor, wenn wir über die Menschen eher lachen können, als uns zu ärgern. Ein bisschen drollig soll ja zu gewissen Zeiten jeder Mensch sein. Warum soll man dann gleich mit Säbel und Keule fechten wollen, wenn es mit der leichten Rute überlegenen Witzes besser und auch geht? In das Geplänkel des Alltags soll man nicht mit Panzerwagen fahren. 92
Humorvolle Heiterkeit lichtet vieles viel schneller auf. Humor ist das Öl der Reibungslosigkeit für den Alltag. Warum müssten aus einem Verletztwerden gleich Ströme von Vorwürfen quellen? Warum wegen einer Kleinigkeit sofort eine todernste Aussprache? Eine scherzhafte Bemerkung – und schon wären die Waffen aus der Hand geschlagen. Wertvoll ist es, wenn man mit Humor über die großen und kleinen Unfälle des Lebens hinwegkommt. Haben nicht oft die ärgerlichsten Missgeschicke noch einen Stich ins Komische? Wer Sinn hat für Situationskomik des Daseins, ist ein Lebenskünstler. Nichts ist befreiender als das Lachen. Dafür, dass wir ungeschorener und leichter über diese bucklige Welt kommen, hat uns Menschen, und zwar uns Menschen allein, der Gott der Freude diese herrliche Gabe des Lachens gegeben. Humor ist nicht billige Spaßmacherei, nicht Leichtsinn und Oberflächlichkeit, die nichts 93
mehr ernst nimmt. Im Gegenteil! Echter, warmer, sonniger Humor als bewusst heitere Lebenshaltung ist eine Frucht tiefer Weltkenntnis und Lebenserfahrung. Humor ist ein Geschenk der Reife und Weisheit. Ja, eine ganz starke Religiosität wird vielleicht sogar im Humor eine liebenswürdige Vollendung finden. Wer sehr religiös ist, müsste auch sehr heiter sein. Denn Heiterkeit wächst aus dem Ernst. Es gibt kaum eine strahlendere Verkörperung des echten Humors als Thomas Morus, der Humanist, Schatzkanzler, Weltmann, Heiliger und Martyrer war. Gerade deshalb, weil er sich allabendlich aufs Sterben vorbereitete, konnte er noch mit einem Witz aufs Schafott steigen. Oder im 20. Jahrhundert: Papst Johannes XXIII. Solchen Humor kann in der Welt nur haben, wer die Welt innerlich überwunden hat. Humor ist Weisheit, die über das eigene Ich hinaufsteigt in die Überlegenheit höherer, gereifter Weltschau, die nur noch ernst 94
nimmt, was sich lohnt. Vielleicht verstehen wir von daher leichter, dass eben das meiste im Leben nichts anderes wert ist, als dass man darüber lacht oder lächelt. Und deshalb dürften es nur wenige Tage im Jahre sein, wo wir wirklich nicht lachen können. Wenn wir Christen an jedem Morgen wiederum in die Schlacht der Menschen ziehen, sollen wir es gewiss nicht anders machen als gewappnet mit religiösen Werten. Aber auch die positiven, menschlichen, natürlichen Werte dürfen wir mitnehmen, um damit die Menschen zu besiegen, indem wir sie ausgeglichen, unbeleidigt, versöhnt, mutig und froh machen. Mit Humor an Mensch und Arbeit!
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Der wesentliche Mensch [ 1. Fastensonntag – Lesejahr A ]
Wenn ein Schüler das Thema eines Aufsatzes verfehlt, wird die Arbeit mit „Nichtgenügend“ klassifiziert. Das Wesentliche ist nicht getroffen. Auch das Leben hat sein Wesentliches. Und die kirchliche Fastenzeit stößt uns recht massiv auf dieses Wesentliche. Wie selten geht die Besinnung auf das Ganze des Daseins. Perfektion wird in einzelnen Bereichen angestrebt. Im Beruf, im Sport, im Hobby. Aber nur wenige bemühen sich um die Lebensweisheit über das Ganze. Bevor wir etwas anderes sind, sind wir Menschen. Und das erste, das wir sind, haben wir als Erstes ins Auge zu fassen: Das Thema Mensch muss getroffen werden. 1. Die Menschen werden nach christlicher Sicht von Gott in die Natur gesetzt, nicht in ein künstliches Steinmeer und enge Büroräume. Sie waren sicher beglückt, als sie am Morgen ihrer Erkenntnis schauten und staunten, über die Berge und Täler, Pflan96
zen und Bäume, Wasser und Meere, Tiere, Sonne und Sterne. Das alles war für sie geschaffen. Es gehörte ihnen, sie sollten es besitzen, verwenden, verwerten, und sich daran erfreuen. Wir Heutigen leben allzu viel im Geviert: Zu wenig Licht, zu wenig Luft, zu wenig Sonne, zu wenig Grün. Die Zivilisation betrügt uns um das gesunde, naturhafte Menschsein. Vom Menschen bleibt oft nur der Angestellte übrig, von der Großräumigkeit des Alls nur die Stubenenge. In dieser Verkümmerung unseres Lebensraumes leidet sowohl Leib und Seele. Rousseau war nicht in allem übel beraten: Zurück zur Natur! Das Wort hat einen guten Sinn. Der Lebensraum des Menschen ist die Natur! Dort lebt und singt, blüht und grünt, strömt und glänzt alles für ihn. Wird der Mensch aus der Natur gerissen – bestünde nicht die Gefahr, dass er unnatürlich wird? Kann er nicht doch nur in der Natur natürlich bleiben? Ich meine: wir sollten die Natur mehr beachten und mehr beobachten, wir sollten 97
schauen, ja meditieren. Z.B.: eine kleine Blume im Krankenzimmer erzählt dem Menschen viel und gibt ihm manchen guten Rat für sein Menschsein. Der Mensch, der sich in der Zivilisation so oft verloren hat, wird in der Natur sich wieder besser finden können. In der Natur, in die ihn Gott gesetzt hat. 2. Die meisten Christen sind nicht zuerst christlich geprägte Menschen. Sie sind zuerst Berufstätige, Geschäftsleute, Arbeiter, Beamte. Als solche wollen sie gelten, vorwärtskommen, aufsteigen, bedeuten, angesehen sein, eine Rolle spielen und Einfluss haben. Irgendwie – und Gott sei Dank! – will jeder gelten. Aber wesentlich ist das alles nicht. Unsere wesentliche christliche Aufgabe hat Christus in der Schilderung des Jüngsten Gerichts aufgezeigt. Das Kriterium, nach dem er einen Menschen beurteilt, lautet: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Geht ein in die Freude meines Herrn!“ Das ist wesentlich, das ist die Sendung, sie ist uns aufgegeben, ich soll sie froh in 98
innerer Freiheit und mit Hingabe zu erfüllen suchen. Wie viele Menschen legen ihr „Glücklichsein“ in die Erfüllung unwesentlicher Wünsche. Und man kann – so wissen wir Christen – ein Glücklichsein nur im Leben für dieses göttliche Prinzip erwarten. Deshalb soll sich dieses Prinzip, dieser wesentliche Satz Christi, tief in unserer Seele verankern. Ohne diese Einprägung lebt ein Christ daneben. Das Gute hat die Eigenschaft der Selbstausbreitung. Das heisst: Gott kann nicht anders, als seine Fülle an Güte, Schönheit und Kraft den Menschen mitzuteilen aus innerstem Drang. Dann aber kann auch der Mensch nicht seine Güte, seine Erkenntnis, seine Kraft, sein Herz mehr oder weniger für sich behalten. Das Gute hat die Eigenschaft der Selbstausbreitung. An den Menschen wird der Mensch: denn wenn ich gütig bin, bin ich menschlich. Und mit seiner Menschlichkeit bleibt er und wird er menschlich. 3. Das Wesentliche vom Wesentlichen muss der Gedanke sein. Wir Menschen 99
gehen auf Gott zu, weil wir von Gott stammen. Wir gehen auf Gott zu – in unserer Wanderung über die Erde. Und da begegnet man nicht nur den Menschen der Erde, sondern auch den Herrlichkeiten der Erde. Manchen, die es tatsächlich sind, manchen, die so scheinen. Und wer möchte leugnen, dass die wirklichen Herrlichkeiten der Erde weitaus zahlreicher sind? Nach dem Plan Gottes wäre es so: Der Mensch soll durch diese Herrlichkeiten der Erde hindurchgehen; sie benützend, wo er sie nur braucht, und auch nicht braucht. Denn zum Menschen der Erde gehört nicht nur das Notwendige. Alles Schöne und Edle der Erde darf der Mensch lieben und erstreben, wenn nur dadurch und damit der Mensch selber veredelt wird. Die Herrlichkeiten der Erde sind für den je einzelnen Menschen soviel wert, als sie ihn als Menschen veredeln. Und dazu, gewiss auch zur äußeren Zufriedenheit, aber vor allem dazu sind sie uns von Gott gegeben. In einem neuen Kirchengebet der Heiligen Messe heißt es: „Lass uns so durch die 100
irdischen Dinge hindurchgehen, dass wir die himmlischen nicht verlieren.“ Sie haben ihren Zauber und Charme, ihren Bann und ihre Faszination. Sie tragen manchesmal sogar das unheimliche Mal der Dämonie an sich, das Mal der Versuchung und der Verführung. Das klare Kriterium für den Menschen ist dieses eine: veredeln sie mich als Mensch? Daran scheitern sie oder werden angenommen und mitgenommen. Das kann sehr konkret in den Alltag hineinschneiden: was mich nicht veredelt oder nicht jene tragende Freude bringt, auf der ich wieder neu mein Schicksal bezwinge, jene tragende Freude, die Gott als wirkliche Freude auch anerkennt, liegt weder im Sinne Gottes noch im Sinne der Menschwerdung des Menschen. So wird das Thema Mensch getroffen: Die Natur lieben, um natürlich zu bleiben. Die Menschen lieben, um menschlich zu bleiben. Gott lieben – durch die Herrlichkeiten der Erde hindurch – um göttlich zu werden. 101
Grundton des menschlichen Herzens [ 2. Fastensonntag – Lesejahr A ]
Petrus hat bei der Verklärung des Herrn ausgesprochen, was uns alle bewegt: Hier, in der Herrlichkeit Gottes, möchte er eine Hütte bauen und wohnen bleiben. Paulus drückt es im 2. Korintherbrief so aus: „Wir wissen, wenn unser irdisches Haus abgebrochen wird, erhalten wir einen festen Bau von Gott, ein ewiges Haus, das nicht von Menschenhand erbaut ist. Darum seufzen wir voll Sehnsucht, mit unserer himmlischen Behausung überkleidet zu werden.“ Im Getöse des Alltags werden diese geheimen Grundtöne des menschlichen Herzens im allgemeinen nicht hörbar. Der Mensch ist sich dieser Sehnsüchte seines eigenen Innersten nicht bewusst. Und doch weiß er im geheimen, in stillen Stunden, um diesen Abbruch des Lebens, um dieses Entblößtsein, Seufzen und Fernesein. Der Mensch weiß, dass er nur in einem Zelt wohnt und noch nicht in einem festen Haus. Er weiß, dass dieses feste Haus ferne ist, dass er erst unterwegs ist. Und deswegen wohnt am Grunde jedes Men102
schen die Sehnsucht nach dem eigentlichen, bleibenden, wirklichen Leben. Auch wenn diese Sehnsucht durch die grellen Farben der augenblicklichen Freude, Erfolge, Hoffnungen überdeckt wird. Wer ist religiös? Wer diese Grundsehnsucht des Menschen noch zu Worte kommen lässt. Diese geheime Sehnsucht und Hoffnung nach dem Endgültigen, Bleibenden, Festen. Nach dem, was nicht von dieser Welt ist, weil diese Welt eben anders ist. Wer diese Hoffnungen abgeschrieben hat, hat mit Religion gebrochen. Wer nur mehr dem Augenblick lebt und diese geheime Grundsehnsucht des Menschen eine Lüge nennt, der weiß nicht mehr, was Religion ist. Er wird diese Welt auszupressen versuchen, so weit er nur kann. Aber ich meine: er hat das Menschsein verraten. Denn der Mensch besteht aus dieser Sehnsucht nach dem Größeren, Ganzen, Vollen: wo sich Hoffnung erfüllt hat, wo aller Sinn offenbar wird, wo alle Werte dieser Welt glänzen, und wo alles 103
Fade, Taube, Leere und Öde weit hinter uns liegt. Worin besteht eigentlich die frohe Botschaft Christi? Er hat von der Erfüllung dieser Sehnsucht gesprochen, dieser Sehnsucht, die in allen Menschen wach ist. Auch in den Dummen und Schwachen, Verwachsenen und Missratenen, auch in den Sündern und Egoisten, Gesetzesbrechern und Verkommenen. Die frohe Botschaft Christi lautet: In allen Menschenherzen kann diese reife Sehnsucht Erfüllung finden. Und diese Erfüllung ist für alle möglich: für die Lebenden und Toten, für die Verstorbenen von gestern und morgen, für mich und dich – obwohl wir beide diese Grundsehnsucht unseres Herzens für nahezu unerfüllbar halten. Seine frohe Botschaft hat gelautet: Dieses Haus, in dem sich alle Sehnsucht erfüllt, kann nicht wirklich durch Menschenhände gebaut werden, sondern kommt aus Gottes Hand. 104
Und deswegen wird es mit Gewissheit kommen: weil wir Menschen diesen Bau Gottes nicht verhindern können, nicht bauen können, sondern nur empfangen werden. Und zwar gewiss. Das ist seine frohe Botschaft. Vielen erscheint es heute als altmodisch, diesen Bau Gottes von Gott zu erwarten. Sie meinen: wir sollten uns doch lieber an Führergestalten halten wie Mao und Lenin, an die Politiker und Sozialwissenschaftler, an die Erfinder und Manager der Wirtschaft. Denn die haben ein realistisches Programm entworfen, keine so blasse Illusion, wie Christus gebracht hat. Aber ich frage: Kann diese „bessere Gesellschaft eines kommenden Industriezeitalters“ wirklich diese Sehnsucht bis zum Grunde des Menschenherzens erfüllen? Es sind Hoffnungen, und deswegen hängt der Mensch sein Herz daran. Aber es sind keine Hoffnungen, welche die Grundsehnsucht des menschlichen Herzens erfüllen können.
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Denn in jeder Gesellschaft wird es die Mächtigen und die Ohnmächtigen geben, die Gescheiteren und die Dümmeren, die Leistungstypen und die von der Natur Benachteiligten, die Erfolgsmenschen und die Trauernden, die Konkurrenz, den Lebenskampf. Und in jeder Gesellschaft wir es die Krüppel geben, das Spital, den Kerker, Unrecht und menschliche Einsamkeit. Blinde und Lahme, Weinende und Arme. Wer wird die Sehnsucht dieser Menschen erfüllen? Und werden es nicht immer viele und allzu viele sein, die sich sagen müssen: die anderen sind besser, stärker, erfolgreicher, fröhlicher, umgeben von Freunden – aber ich bin allein, nicht anerkannt, unfähig, traurig. Die Vision von der großen Gesellschaft morgiger Tage ist mehr die Vision von Geld und Macht, von Technik und Reichtum. Aber all das kann die innere Öde nicht verhindern, die zum Rauschgift greift, zum Übermut verleitet, zur Freiheit des Verbrechens herausfordert, zu Rücksichtslosigkeit, Resignation und Depression. 106
Die Sehnsucht des menschlichen Herzens ist größer als Geld, technische Macht, Komfort und Luxus. Und vor allem: Wer gibt den Menschen von gestern Hoffnung, den Toten? Wer schafft ihnen Erfüllung, Gerechtigkeit, Freude? Und werden nicht wir Heutigen schon morgen von gestern sein? Werden nicht dann auch wir zu jenen gehören, deren Sehnsucht sich nicht mehr erfüllt hat, weil sie eben von gestern waren und nicht von morgen? Wer schafft den Toten die Erfüllung ihrer Sehnsucht? Wer schafft ihnen Endgültiges, Gültiges, Vollendung? Religiös sein heißt: diese Grundtöne des menschlichen Herzens vernehmen, Sehnsucht haben nach einem Leben, das kein Nomaden-Dasein in Zelten ist, die immer neu abgebrochen werden, die bedroht sind, die verlassen werden. Religiös sein heißt: an die Erfüllung dieser Grundsehnsucht des Menschen glauben. Und noch mehr: es erfahren haben, dass die Erfüllung dieser Grundsehnsucht mög107
lich ist. „Denn er hat uns den Geist als Angeld gegeben“, sagt Paulus, und: „Wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“ Religiös sein heißt: an der Erfüllung dieser Sehnsucht arbeiten, hineinschreiten in das Land, in dem sich diese Sehnsucht immer tiefer erfüllt – in ein Leben voll Sinn, voll Liebe, voll Wert, voll Hingabe. Je mehr wir dieser Sehnsucht nachgehen, nachgeben und nachleben, umso leuchtender wird jenes „feste Haus“, das vor unseren geistigen Augen auftaucht – wie ein heller Schimmer am Horizont, und oft wie ein leuchtendes Licht – schon in dieser Welt. In diesem Licht wird auch alles Leid des Lebens ertragen und verklärt. Das ist dann kein billiger Trost. Gott ist der Gott der Wahrheit und der Treue. Er hat uns einen festen Bau versprochen. Wir werden nicht enttäuscht werden.
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GOTTES BÜRDE PREDIGTEN ZUR THEMATIK, WELCHE LASTEN GOTT DEM CHRISTEN ZUMUTET
Gott belastet uns mit dem Kinde [ 27. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
Über all dem großen Weltgeschehen, über allem politischen Wirrwarr, über allen geistigen Strömungen, aller Gewalt des Bösen, allen Spannungen in der Kirche geht unser kleines Leben weiter, Tag für Tag. Tag für Tag gilt es, eine Last zu tragen, einmal kleiner, einmal wuchtiger. Und mir will scheinen, als ob wir Christen in der heutigen Zeit schwerer zu tragen hätten an all den Lasten, die Gott uns auferlegt. Ja, offensichtlich zerbrechen heute mehr Christen an ihren Lasten als früher. Deshalb habe ich zum Thema der nächsten Zeit den Titel gewählt: „Gottes Bürde.“ Es geht um jene Lasten, die wir persönlich zu tragen haben, als Menschen, als Christen, als Berufstätige, als Mitmenschen. Gottes Bürden sind niemals reine Lasten: sie enthalten entweder eine Bitte oder eine Verheißung, einen Auftrag oder einen Befehl – aber immer steht etwas Gutes in Aussicht. Ich will hinweisen auf die Lasten, die 110
klar stellen, ihren Wert sichtbar machen, und zeigen, wie man sie nutzvoll tragen kann. Ich berufe mich lediglich auf das Wort Christi: „Wer nicht täglich sein Kreuz auf sich nimmt, ist meiner nicht wert.“ Ich will nicht systematisch vorgehen, weil es mir leid täte um manche selten vorgetragenen und gehörten Evangelien, die sonst völlig untergingen. Die heutige Stelle des Evangeliums ist ein richtiger, guter Beginn. Gott kann nur Kinder brauchen. Das Himmelreich beginnt mit dem Kinde. Gott belastet uns mit dem Kinde. Christus fordert unausweichlich und unerbittlich von jedem von uns das Kind. Das Kind ist die Bedingung für den Himmel. Nein, da kann man nicht sagen: „Kennen wir schon, schon oft gehört, das ist nicht tragisch.“: Liegt aber nicht gerade darin der Krampf unseres persönlichen Christentums, dass wir eben vieles im Evangelium Christi gar nicht tragisch nehmen? Aber das Kind ist tragisch. Christus fordert von uns das Kind. 111
In diesen Tagen ist das Fest der sogenannten „Kleinen“ heiligen Theresia. Eine schiefe Auslegung dieses 24-jährigen Mädchens, dessen Leben eine strahlende und zutreffende Illustration dessen war, was Christus wollte, hat Theorien über „Geistliches Kindsein“ in Umlauf gebracht, die in der Anwendung eher einen gefährlichen Infantilismus hervorbringen. So wuchsen Christen heran, die ohne scharfe geistliche Führung nicht aufrecht stehen können. Sie berufen sich auf Autorität, um durch sie geschützt zu werden. Sie leisten Gehorsam, um so aus der eigenen Verantwortung entlassen zu werden. Sie fühlen sich von eigener Wahl und Entscheidung und von deren Konsequenzen dispensiert. Unschlüssig, nicht bereit, Stöße auszuhalten, leben sie ein sehr gekünsteltes Christentum. Infantilismus ist ein lächerlicher Ersatz für den Geist des Kindseins, und der Ersatz ist wie immer der gefährlichste Gegner des Echten. Mit Infantilismus haben wir nicht zu tun. 112
Michel Quoist lässt Gott sprechen: „Ich liebe Kinder, weil mein Antlitz in ihnen noch nicht verdunkelt ist. Sie haben die Ähnlichkeit mit mir noch nicht sabotiert, sie sind frisch und rein. Sie haben noch nichts durchgestrichen oder noch nichts ausradiert.“ Christus sieht im Kind, das er meint, das Vollmaß der Reife. Es geht nicht darum, ein Kind zu bleiben, sondern eines zu werden. Das bedeutet Fortschritt und Erwerb. Nur dann ist einer wirklich erwachsen, wenn es ihm gelingt, sich den Geist des Kindseins zu erwerben. Nach Christus bringt nur das Kind die Voraussetzungen zum Glauben mit, der eigentlichen Bedingung für den Himmel, Voraussetzungen, die Christus bei den Erwachsenen oft vergeblich sucht. Das ist: Demut gegen den Stolz, Schlichtheit gegenüber allem Komplizierten, Aufgeschlossenheit gegenüber Blasiertheit und Eingebildetsein, Bereitschaft gegenüber Verweigerung, Vertrauen gegenüber Selbstsicherheit, Zweifel und Verzweiflung. 113
Sie wissen alle, wie schwer und wie schwerer heute der Glaube geworden ist, und wie viele den Glauben wie einen alten Fetzen wegwerfen. Gott scheint für viele höchstens noch eine psychologische aber keine metaphysische Notwendigkeit mehr zu sein. In dieser Situation will das Wort Christi: „Werdet wie ein Kind!“ durchaus kein Vorwurf sein. Aber er sagt ganz eindeutig gerade dem modernen Menschen: „Ihr seid hochmütig. Und Hochmut kommt vor dem Fall. Geht erst einmal hin und werdet wie die Kinder. Mit unheimlicher Zielstrebigkeit macht ihr euch daran, Gottes Antlitz in euch zu entstellten. Jeder von euch trägt ein ruiniertes Meisterwerk in seinem Innern. Ihr Menschen seid Bilderstürmer geworden!“ Und die furchtbarste Bilderstürmerei vollzieht sich im geheimen. Deshalb ist Christus gegen den Erwachsenen, der anspruchsvoll, voll Reserve zu ungenierten Kompromissen bereit, sich wehrt, das Reich Gottes anzunehmen. Deshalb ist Christus gegen die Weisheit 114
der Alten, die ihm ein fertiges, in allen Einzelheiten ausgearbeitetes Programm vorlegen, das Gott nur zu unterschreiben hat. Religion ist für sie die Summe ihrer eigenen Anstrengungen. Opfer und gute Werke sind in gleicher Weise die Sprossen ihrer Leiter zum Himmel. Mit viel Mühe klettern sie hoch und sind ganz sicher, dass sie bei ihm ankommen werden. Es ist ihnen nicht bewusst, dass Religion darin besteht, Gott zu ermöglichen, zu uns zu kommen, ihn nicht zu hindern, zu uns zu kommen. Wir müssen Gott – natürlich auch mit unserer Hände Arbeit – schaffen lassen an uns. Gott will uns formen – bis zum letzten Tag unseres Lebens –, aber hin bis zum vollendeten Kind, dem er die Hände nicht nur auflegt, sondern das er auch liebevoll an der Hand in seinen Himmel führt. Kinder sind jene, welche die Ähnlichkeit mit Gott nicht sabotieren, die noch nichts durchgestrichen und ausradiert haben.
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F端r Christus ist das Kind die Bedingung f端r den Himmel. F端r uns ist das Kind eine Last. Doch gerade das Kind ist froh und macht froh.
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Die Last der Torheit [ 28. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
„Der heutige Mensch will strapaziert werden.“ So las ich es bei einem italienischen Schriftsteller. Er sagt: Uns Menschen von heute reizt an der Wirklichkeit gerade das Harte, Erbarmungslose und Unerbittliche. Die rauen und die bitteren Seiten des Lebens finden unser besonderes Interesse. Wir möchten gerne „harte Menschen“ sein. Beim Evangelium hingegen ist es anders. Das Wort Gottes soll uns das Leben versüßen. Wir erwarten, dass es uns in einen angenehmen Schlummer wiegt, wie eine melodische Weise. Wir wollen die bleiben, die wir sind. Wir sind mit uns selbst sehr zufrieden. Daran soll und darf Gottes Wort nichts ändern. Mit dieser Haltung haben wir den Geist des Evangeliums ausgelöscht. „Das Licht wurde abgeschirmt, damit es uns nicht verwirre, das Salz durch sogenannten Menschenverstand seiner Kraft beraubt, das Schießpulver mit Wasser 117
übergossen, das Wort Gottes unschädlich gemacht, die erregenden Sätze des Evangeliums werden neutralisiert. Der Sauerteig ist zur Vanillesauce geworden. Da ist nichts mehr da vom Christentum in seiner Schlag- und Durchbruchskraft. An uns liegt es, die glühende Masse wiederzufinden, selbst wenn wir uns dabei die Finger verbrennen. Wir müssen das Gegensätzliche an der christlichen Botschaft wieder hereinnehmen in unser Leben: verlieren um zu gewinnen, mit Freude zu leiden, auf Besitz verzichten, um zum eigentlichen Sein zu kommen. Wir müssen den Mut zur christlichen Torheit wieder gewinnen. Anstatt das Unsrige beizutragen, damit das Wort Gottes zum Durchbruch komme, halten wir schon die Gewürze und Zugaben bereit, die es durchtränken, unschädlich machen, leichter verdaulich für unseren empfindlichen Magen.“ Soweit dieser Schriftsteller. Aber er kommt an. Der heutige Mensch will strapaziert werden? Nun, da fange man doch gleich einmal bei seinem Reichtum an! 118
Die Menschen haben sich nicht damit begnügt, der Warnung des Evangeliums vor dem Reichtum mit dem Hinweis auf das große Glück zu begegnen, indem sie dem reichen Jüngling die Maske des Glücks aufsetzten. Sie sind noch viel weiter gegangen. Sie fanden den Weg zum Himmel versperrt durch das schreckliche Gleichnis vom reichen Prasser, der den armen Lazarus nicht mehr sehen konnte. Sie fanden die Himmelstür verrammelt und daran ein off limits, ausgedrückt durch die Worte Jesu: „Wahrlich ich sage euch: ein Reicher wird schwer eingehen ins Himmelreich. Abermals sage ich euch: leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich.“ Daraufhin haben sie versucht, die Tür mit Hilfe wohlwollender Exegeten aufzubrechen. Chesterton würde sagen, sie haben die Hilfe von Industriellen und Zoologen in Anspruch genommen: Die Industrie hat sich bemüht, eine passende Nadel zu entwickeln, durch deren Öhr durchaus ein Kamel durch kann – wie durch einen Triumphbogen. Die Zoologen haben sich den 119
Kopf erbrochen, wie man wohl eine ganz kleine Art von Kamelen züchten kann, der es ohne jede Schwierigkeit gelingen müsste, das Öhr dieser Supernadel zu passieren. Diese Versuche konnten aber nicht die beunruhigenden Worte Jesu: „Abermals sage ich euch – ich sage euch“ aus der Welt schaffen. So hat man den großspurigen Exegeten zugerufen: Beschneidet doch endlich den in Frage kommenden Stellen der Heiligen Schrift die Krallen, rupft ihnen die Federn aus! Es ist nicht gelungen. Mit den Worten: „Christus sagt zwar, aber......“, geht es nicht. Nun sind die Christen gefragt. Sollten, müssten sie diesen Leuten nicht zurufen: „Wir brauchen eure Schlafmittel und Narkosen nicht. Lasst uns doch endlich allein mit diesen schrecklichen Worten Jesu! Lasst uns allein mit dem Evangelium, mildert es nicht mit euren Kommentaren, versüßt es nicht mit euren Absicherungen! Lasst uns allein mit dem: ‚Weh euch, Ihr Reichen‘ und mit dem ‚Ich sage euch, aber120
mals sage ich euch!‘ Wir wollen nämlich gerettet werden. Und es schadet uns nicht, wenn wir über mancher Stelle der Heiligen Schrift keinen Schlaf finden.“ Und nun müsste ich Ihnen ein Konterfei des Reichen zeichnen. Ich sage Ihnen aber nur drei Sätze: 1. Der Reiche ist gleichbedeutend mit einem Menschen, dem nichts Widerstand leistet. 2. Der Reiche glaubt, die Welt zu besitzen. 3. Es gibt für den Reichen nur eine Art menschlicher Beziehung, einschließlich der Liebe: die Berechnung. Das Lied vom Geld muss ich Ihnen nicht singen. Das hören Sie viel lauter an jedem Tag. Jedenfalls eine Regierung, einschließlich einer österreichischen, die kein Geld bringt und nicht mehr Geld, wird das nächste Mal nicht mehr gewählt. Heute sind die Menschen voll von der Hoffnung auf Geld. Bereits die Wünsche der Kinder gehen nicht mehr wie früher dahin, etwa Lokomotivführer zu werden oder Konditor, sondern nach viel Geld. 121
Wir sollen ganz ehrlich sein: das alles wirkt sich auf unser christliches Leben aus. Das spüren wir in der Kirche. Das reißt ein in die Seelen unserer Menschen. Das macht besorgt. Das gefährdet den Himmel. Wir sind alle keine reichen Leute. Mit zehn- bis fünfzehntausend Schillingen Gehalt ist man kein reicher Mensch. Aber wir leben mitten unter den Reichen, auch wenn diese nur knapp Zehntausend monatlich in die Hand gedrückt bekommen. Es gibt sehr viel Reiche – mindestens neben uns. Es gibt sehr viele, die dem Geld alles andere unterordnen. Wir stehen mindestens oft in der Versuchung des Reichen. Christus nennt den Reichen einen Tor. Im Gleichnis vom Manne, der Reichtum über Reichtum häuft, heißt es: „Du Tor, noch in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern!“ Camus, dem man keine großen Annäherungsversuche an das Christliche nachsagen kann, schreibt: „Es ist etwas Schändliches, allein glücklich zu sein: denn der Reiche ist ein Egoist. Das Leben, das sich nur ums Geld dreht, ist tot.“ 122
„Wer kann da noch gerettet werden?“ Der kann gerettet werden, der um Jesu willen, der um seines Himmelreiches willen ein Tor sein will, wie den Jünger Christi heute die sogenannte Welt nennt. Bin ich ein Reicher? Der ist ein Reicher, der sich selbst nicht lassen kann. Die Kunst des Lassens kann man lernen, und muss jeder wohl lernen. Und das ist die Bürde der Torheit.
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Aussöhnung mit dem Leben [ 29. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
Gott hat uns unser Leben mit Charakter, Geist, Körper auferlegt. Wir sollen damit fertig werden. Wir sollen uns mit ihm versöhnen. Denn ein unausgesöhntes Leben ist ein Schlachtfeld. Wie viele Menschen sind tatsächlich mit ihrem eigenen Leben ausgesöhnt? Wohl die allerwenigsten. Wem fehlte nichts zum vollen Glück? Etwas ist fast immer. Und über dieses Etwas kommt man nicht hinweg. „Wenn das nicht wäre, wenn ich jenes hätte, ja dann, ja aber....“ Ein kleiner schwarzer Punkt verdunkelt alles, ein kleiner schwarzer Punkt kann ein Leben versauern. 1. Da gibt es die harmlos Unausgesöhnten. Es fehlt ihnen nichts Wesentliches, nichts Substantielles. Die Gesundheit ist da, das gute Auskommen, die Familie, die Freude macht. Aber z.B. der Titel. Man ist nur Vizedirektor und dieses „Vize“ würgt am Hals. Professor, aber nicht Universitätspro124
fessor, Angestellter, aber nicht Abteilungsleiter, Arbeiter, aber nicht Vorarbeiter, Kellner, aber nicht Oberkellner. So sehr man das auch anstrebt, immer wieder bricht die letzte Sprosse zum Ziel. Solange man das aber nicht hat, kann man nicht glücklich sein. 2. Es gibt eine Unausgesöhntheit mit dem Leben, die freilich aus ernsterem Zerworfensein stammt. Bedrücktsein im Beruf. Die Wahl war verfehlt. Geldknappheit, Arbeitslosigkeit, Krieg, Dünkel oder Schicksal zwangen in eine Arbeit, zu der Eignung oder Neigung fehlt. Den Beruf, den man wollte, konnte man nicht ergreifen. Und nun hängt man. Bedrücktsein in Ehe oder Ehelosigkeit. Ich hätte nicht heiraten sollen. Die Ehe ist nicht mein Weg. Oder – ich hätte nie diesen Partner heiraten sollen. Wir sind zu verschieden. Oder – ich hätte heiraten sollen. Unreifes Zaudern oder falscher Rat und falsche Führung ließen mich die Gelegenheiten 125
verpassen. Das Kind fehlt, das schöne Glück der Familie. Oder anderswo hat ein Unfall oder die Scheidung alles Wohlsein auf der Welt zerstört. Die Existenzbasis ist geschmälert. – Und man kommt nicht los von diesem Gedanken. 3. Die Aussöhnung mit dem Leben wird jedoch sehr schwer, wenn nicht nur Wünsche der äußeren Lebensgestaltung, des Besitzes, des Berufes, des Standes, der Stellung, der Ehe unerfüllt blieben, wenn nicht nur Gaben und Geschenke des Lebens vorenthalten worden sind, sondern wenn die Substanz des Lebens getroffen ist. Wenn schon das Werkzeug, mit dem man das Leben bauen sollte, wenig tauglich oder untauglich ist. Wenn das Instrument, mit dem man sich überhaupt nur froh und glücklich fühlen kann, verstimmt, angeschlagen oder zersprungen ist: Angeborene Nervenschwäche mit ständigen Depressionen, ewige Müdigkeit, krankhafte Überempfindlichkeit, die sich mit allen Mit126
menschen überwirft, menschenscheue Melancholie, düstere Schwermut mit den dunklen Zuständen der Freudlosigkeit, körperliche Krankheit, Siechtum, Invalidität. Die Lebenssubstanz ist angegriffen. Es fehlt von innen her die Möglichkeit, ein glückliches äußeres Leben aufzubauen. Da wird die Aussöhnung mit dem Leben ganz besonders schwer. Und doch muss sie sein. Selbst hier. Und auch hier ist sie möglich, immer ist sie möglich, unter allen Umständen. Oder wären wirklich nur die Umstände schuld, dass wir zu keinem ganzen Glück kommen? In vielen Fällen ist nicht das Leben am Unglücklichsein schuld, sondern die schiefe Einstellung zum Leben. Wo gibt es denn den Menschen, dem nichts fehlte? Wie viele Tausende würden auf den Knien danken, wenn sie hätten, was ich habe, wenn sie einmal in ihrem Leben nur einen Spaziergang machen könnten. Fühlen wir den Versehrten, den Blinden, der sich im Dunkel durch die Stadt tastet, sooft als Beschämung und Vorwurf und Mahnung? Wir, die unzufriedenen Gesunden? 127
Wie kann sich doch unser Blick verengen! Dass wir auf andere schielen und die Fülle des uns Geschenkten völlig übersehen. Warum starren wir auf den schwarzen Punkt, auf den unerfüllten Wunsch, auf das, was uns fehlt? Die Unzufriedenheit mit dem wenigen, das fehlt, verdirbt die gesamte glückliche Zufriedenheit mit dem vielen, das man hat. Damit wird alles innere Reifen im Menschlichen und alle Vervollkommnung im Christlichen an der Wurzel verhindert. Was sich ändern lässt, dürfen, sollen, müssen wir ändern. Wir sind keine Fatalisten. Unser Gott ist ein Gott der Initiative. Wo sich aber in den Umständen, in der Unmöglichkeit ein höherer Wille zeigt: kann es dort einen Ausweg geben? Als Christus dem Petrus voraussagte, auch er würde am Kreuze sterben, da fragte er den Meister: „Und was geschieht mit Johannes?“ Die Antwort des Herrn: „Was kümmert dich das? Du folge mir nach!“ Jeder hat seinen ganz eigenen Lebensweg und der ist ganz sicher mit von der Vorsehung ausgewählt. Diesen meinen Weg 128
habe ich zu gehen. Dieses mein ganz persönliches Leben gilt es zu erfüllen. Und was sollen wir den HarmlosUnausgesöhnten sagen? Rang und Stellung entscheiden nicht über deinen inneren Wert. Tu deine Pflicht, wirke das Gute, soviel es möglich ist! Das entscheidet vor Gott und allen vernünftigen Leuten. Was sich sagen, wo Wesentliches in Beruf, Ehe und Gesundheit fehlt? Ist dieses Gebet zu kühn? Vater im Himmel, wie du mich geschaffen und geführt hast, genau so nehme ich mein Leben an. Die Verhältnisse, die du mir bestimmt hast, sind die, an denen und in denen ich mich zu dem Menschen, der ich bin, entwickeln soll. Mit dem Werkzeug will ich wirken, das du mir in die Hand gegeben. Aus dem Gebrechlichen, dem Unvollkommenen kann deine Gnade und meine Ausdauer das Vollkommene schaffen. Lass mich mein Schicksal lieben. Ich weiß, es ist der Gang meines Gottes mit meiner Seele. Christus sagt es zu jedem: „Du folge mir nach!“ 129
Wille Gottes I [ 30. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
Es wäre ein interessanter Test, könnte man feststellen, was für Gedanken durch das Sprichwort „Wille Gottes“ in den Menschen ausgelöst werden. Besonders aufschlussreich wären die Untertöne, die damit zum Klingen kommen. Ein guter Test dient ja gerade dazu, die tieferen Schichten zu heben und zu erhellen. Unterscheiden wir einmal die Stimmungen, die auftreten können, ganz grob in helle und dunkle, so steht in unserem Falle zu vermuten, dass wohl sehr wenige helle ausgelöst würden. Dagegen gibt es mehrere Gründe, den Willen Gottes mit etwas Dunklem zu verbinden. Einmal schon deshalb, weil er vielfach in der Zukunft liegt, aber auch deshalb, weil Wille Gottes sehr oft das „Unabänderliche“ darstellt. Nun sollte man bei Christen ein solches Ergebnis nicht erwarten dürfen. Bei Christen, die doch von selber Christen sein wollen und denen Christus alles ist. Denn was wäre mehr dem Geist Christi entge130
gen, als so vom Willen seines Vaters zu denken. Für Christus ist der Wille des Vaters in keiner Form etwas Dunkles, sondern sogar das Licht seines Lebens. Er ist für ihn nicht das, dem man möglichst wenig und selten zu begegnen hofft, vielmehr die Quelle, aus der man schöpft und lebt. „Meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun“. Aus dieser Kraft lebt Christus, in diesem Lichtschein lebt er seine einzigartigen Tage. Es gibt natürlich den Fall, in dem man nichts anderes vermag, als sich in den Willen Gottes zu ergeben. Aber wir wollen doch nicht übersehen, dass es zum Glück sehr viel mehr Möglichkeit gibt, ihn zu tun, als nur die Notwendigkeit, sich zu ergeben. Und dann soll das Tun nicht eine Last sein als vielmehr eine echte Freude. Denn man darf den Willen Gottes selber tun. Was die ganze Leidenschaft Jesu ausmacht, und in das hinein er seine Jünger einweisen will, ist dieses den Willen Gottes tun. „Wer den Willen meines Vaters tut, der ist mir Mutter, Bruder, Schwester.“ Das sind also die Menschen, die von Christus in den höch131
sten Grad seiner Verwandtschaft erhoben werden. Will man den Willen Gottes tun, dann muss man nach dem Willen Gottes fragen. Warum wagen wir diese Frage so selten? Sind wir uns wirklich so sicher, dass das, was wir als richtig empfinden immer auch der Wille Gottes sein muss? Warum haben wir so wenig gern mit dem Willen Gottes zu tun? a. Einerseits ist es auch die Sorge um unsere Freiheit, die wir nicht gerne antasten lassen. Und was ist Freiheit? Die Selbstentscheidung zum Guten. Weil nun im Vollsinn gut nur Gott ist, ist wahre Freiheit immer Entscheidung für Gott und deshalb Einfügung in seinen Willen. Alles andere ist Missbrauch der Freiheit und ist Irrweg, auf den der Mensch sich durch den Schein des Guten locken lässt. b. Andererseits: sooft glauben wir auch, unsere Kraft zu beweisen, wenn wir uns in Gegensatz zum Willen Gottes stellen. Aber es braucht für gewöhnlich nicht lange, um 132
gerade durch diese Erfahrungen zu beweisen, wie rein menschliches Wollen oft genug nur Selbsttäuschung, Selbstsucht und Torheit ist. Wir bieten dann so viele Energien auf, um uns durchzusetzen, die alle nichts nützen, weil diese Energien nicht auf der Straße Gottes laufen, und nur Gottes Wille immer auch höchste Weisheit ist. Klug wäre es also, weder um seine Freiheit besorgt zu sein noch auf eigene Faust seinen Weg bahnen zu wollen. Beides sind altkluge Vorurteile. Ja, gerade das ist das Eigenartige beim Willen Gottes, dass ja eigentlich unter ihm „nichts passieren kann“, dass unter dem Willen Gottes kein Unglück geschieht, sicher nicht ein Unglück im Sinne Gottes. Ja, es hört sich grausam an: Gott will, dass wir unter seinem Willen, unter seinem Gehorsam stehen – von der Wiege bis zum Grabe. Was für geradlinige Menschen müssten unter dieser höchsten Weisheit und in diesem totalen menschlichen Gehorsam, der allmählich zu Liebe wird, wachsen! Wenn Gott ein Leben anführt, dann gibt es keine Verkrüppelung, keine 133
Versehrtheit, keine Hemmung und keine Ruine des Lebens, dann wird das Leben ein gerader, im Sinne Gottes unverwundeter Lauf. Aber man muss sich einreihen lassen in dieses starke und siegreiche Heer – und man muss nach dem Willen Gottes immer wieder fragen. Auch in der Gestaltung der Ehe, auch in der Planung und Entfaltung der gesamten Kultur. Ohne die Frage nach dem Willen Gottes fehlt der Mittelpunkt des Geschehens. Dann wirbeln die einzelnen und die Kollektivgebilde um das eigene Ich, sie stoßen aufeinander und zerstoßen sich schließlich. Mit der Ausrichtung auf den Willen Gottes kommt Ordnung in manches Chaos, Aufbau und Gliederung ins Durcheinander, Linienführung in den Wirrwarr, Architektur in den Steinhaufen. Die Freiheit ist der Ansatzpunkt zum Chaos, aber auch der Ansatz zur Verherrlichung Gottes und zum Aufbau seines Reiches. Das Rebellische gegen den Willen Gottes in uns und in der Welt ist ein Nein, das zerstört. Nur das Ja hat die Gewalt zu bauen und höher zu bauen, je höher, als es gelingt, den Willen Gottes 134
zu tun, nachdem wir ihn erfragt haben. Von hier aus werden weite Ausblicke geboten in unsere heutige Welt. Aber auch alle Furcht vor dem Willen Gottes sollte uns vergehen. Furcht müssen wir nur vor unserem eigenen Willen haben. Der ist zum Fürchten, wenn er störrisch wird und sich nicht beugen will. Der kluge Christ wird immer horchend sein – an der Tür Gottes. Hier ist der Horcher an der Wand erlaubt. Je mehr es gelingt, von Gott zu erfahren, desto gelassener und ruhiger wird sein Leben, desto geschützter und behüteter ist es. Aber wie erfahren wir den Willen Gottes? Das Thema der nächsten Predigt. Das geradlinige und gesicherte Leben wird nur unter dem Willen Gottes.
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Wille Gottes II [ 31. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
Den Willen Gottes erkennen Die Heiligen Gottes waren jene Menschen und Mitmenschen, denen der Wille Gottes das höchste Gesetz ihres Lebens bedeutete. Sie haben nach diesem Willen gefragt und ihn getan – in der möglichst vollkommenen Weise. Sie sind die Gesegneten Gottes. Wir stehen unter keinem anderen Gesetz. Es ist das wohltuendste des Menschen. Unsere Frage: Wie kann ich erkennen, was Gott von mir verlangt? Eine Frage von höchstem Gewicht, und schwer, ja sehr schwer zu lösen. Von der Kanzel der Kirche wohl überhaupt nicht zu lösen. Wenn wir betonen, der Wille Gottes sei erkennbar in den Geboten Gottes, aus den Gesetzen der Kirche, aus den Forderungen der Vorgesetzten, soweit diese Forderungen gerecht und moralisch einwandfrei sind, ferner aus den Verpflichtungen des Berufes, so ist natürlich in ihnen etwas vom Willen Gottes ausgedrückt. Aber sozusa136
gen nur jeweils der äußerste Rand, die Schranke, der Zaun. Bestünde er nur darin, und der Mensch wäre im übrigen sich selbst überlassen, so würde er ja behandelt wie die Tiere einer Herde, die man innerhalb eines Weidezaunes frei treiben läßt. Der Wille Gottes erstreckt sich aber sicher auch auf den ganzen Bereich innerhalb des Zaunes. Und deshalb wird es schwer, eine glatte Lösung zu geben. Überdies ist zu beachten, dass gerade die 10 Gebote Gottes nur aussagen, was ich nicht tun soll, sie sagen nicht, was ich tun soll. Was soll ich aber tun? Was soll ich in dieser oder jener Angelegenheit tun? Soll ich jetzt dieses Buch lesen, diesen Mantel verschenken, diesen Film anschauen, diesen Ausflug mitmachen, auf diesen Menschen eingehen? Aber was soll das alles mit dem Willen Gottes zu tun haben? Solche Kleinigkeiten? Kann das nicht für Gott völlig belanglos sein?
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Wer etwas vom lebendigen Kontakt mit Gott versteht und nicht nur die ganz massiven Fälle kennt, der weiß, dass auch diese Dinge in den Willen Gottes hereingenommen werden sollen, nicht nur jene, in denen die Verbotstafel weithin schon zu lesen ist. Wenn Jesus bezeugt, dass kein Sperling vom Dach fällt ohne den Willen Gottes, so hat es also mit diesem Willen etwas zu tun, wie ich mit Sperlingen und noch kleineren Dingen umgehe. Wie soll man aber den Willen Gottes in solchen alltäglichen Dingen erkennen? Im Grunde kann das jeder nur jeweils selber erkennen, freilich nicht ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, dass man sich nur vormacht, den Willen Gottes zu tun, in Wirklichkeit doch nur von sich selbst bestimmt ist. Lassen sich keine Regeln für dafür aufstellen, die immerhin gewisse Markierungen in dieses unbeschränkte Gelände der Möglichkeiten legen? Einige Hinweise lassen sich aufstellen: 1. Gehen wir davon aus, dass Gott uns in eine konkrete Situation gestellt hat, weil er uns brauchen kann. 138
Das dürfte eine brauchbare Regel sein. Der Wille Gottes kann nicht außerhalb der Situation liegen. Situation nenne wir das Gesamt der Gegebenheiten, in denen wir uns jeweils befinden und aus denen sich unsere Pflichten ergeben. Die Situation ist jeweils neu. Sie kann geringfügig oder auch entscheidend verändert werden durch das Hinzutreten eines einzigen neuen Faktors. Dadurch können sich meine Pflichten und meine Freiheiten völlig verändern, z.B. wenn zu einem Gespräch unter vier Augen ein Dritter hinzukommt. Die Situation zu erfassen, gehört zum Wichtigsten, was der Mensch zu lernen hat. Die sogenannten Kinder der Welt verstehen das auf ihre Weise oft ganz vorzüglich. Sie erfassen blitzschnell eine Möglichkeit, sich hervorzutun oder materiellen Gewinn einzustreichen. Ebenso muss einer, der sein Leben als gottgehörig versteht, schnell die Situation als eine Chance, ihm zu dienen, erfassen. Sie wird zum Anruf Gottes, in dem enthalten ist, dass er gerade hier mich braucht, mich persönlich. So findet man den Willen Gottes. 139
2. Gehen wir davon aus, dass Gott zu allem, was er will, auch die Kräfte und Fähigkeiten gibt. Es wird uns oft scheinen, als würden wir durch die Situation überfordert. Es kann ein langjähriges Krankenbett sein wie die nervliche Belastung eines Menschen unserer täglichen Nähe. Wie werde ich das können? Es kann einem bange werden. Aber das ist so falsch, wie es falsch war, dass Petrus auf das Wasser zu seinen Füßen schaute, anstatt dass er Gott auf den Wellen ins Auge geschaut hätte. Hat er mich in diese Situation gerufen, dann stehen mir auch alle Hilfen bereit, die ich brauche, ob nun Geduld oder Weisheit oder Energie. 3. Gehen wir davon aus, dass man immer das Nächste tun muss, nicht das Übernächste. Es gehört zum Leben aus dem Glauben, dass ich mir nicht erlaube, mich um Dinge zu ängstigen, die, wenn überhaupt, dann erst übermorgen oder in einigen Jahren an mich herankommen. Wenn überhaupt! 140
Wie oft haben wir es erlebt, dass solches Ängstigen umsonst war. Umsonst, aber nicht ohne Folgen. Was sich dann als Nichts enthüllte, hat mein Tun heute und vielleicht während langer Zeit ausgehöhlt. Man soll das Nächste tun. Es soll mir genügen, dass ich weiß, was ich soll. Ich kann es immer nur für jetzt wissen. Markierungen sind es, nicht mehr. Ich weiß nicht, ob Sie daraus klug geworden sind. Ich glaube, nein. Es bleibt eben jedem einzelnen vorbehalten, selber seine Situation zu überprüfen und sich zu beraten, um dann in Freiheit zu entscheiden. Gewiss nicht wegen jedem Kaffee, den man trinken will. Der soll Ihnen schmekken. Aber doch in ernsteren Belangen. Der wird am besten den Willen Gottes erkennen und erfüllen, der viel mit ihm zu verkehren und auf ihn zu horchen pflegt, was seine Stimme sagt, bald leise, bald laut. Der sein Leben und in diesem Leben seinen Gott am meisten leibt. Die Liebe erfährt am ehesten den Willen Gottes.
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An den Menschen glauben [ 32. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
Jedes Volk in jeder Zeit, jeder Mensch hat sein Wunschjuwel, seine Trauminsel, wo er glaubt, fast wunschlos glücklich zu sein, mühelos zu leben, das zu leben, was er sein wirkliches Leben nennt. Denn häufig empfinden wir unser gegenwärtiges Leben als uneigentlich, aber auch das der Mitmenschen unserer Umgebung. Uneigentlich ist ziemlich alles, was wir erfahren. Aber mit dieser Ansicht lässt sich nicht leben. Will man das durchstehen, dann wird man den Glauben an den Menschen, an das Leben, wie man es so nennt, nicht verlieren dürfen. Was aber ist das: Der Glaube an den Menschen? Jedenfalls nicht dies, dass ich jedem Menschen alles abnehme. Der Glaube an den Menschen meint nicht nur eine Tätigkeit, eine Sicherheit meines Existenzwillens, ein sich durchhaltendes Selbstvertrauen. Er meint aber auch nicht nur, dass ich der Überzeugung bin, es werde sich 142
alles, auch das Undurchsichtigste, einmal klären. Glauben an den Menschen hat den wirklichen Menschen im Blick und doch auch wieder nicht! Er schaut aus, auf das, was über den Menschen hinausweist. Auf einen Idealmenschen keineswegs! Wir sind im allgemeinen heute sehr nüchtern geworden und rational, und gestatten uns kaum mehr den Lebensluxus eines Ideales. Aber was macht den Glauben an das Leben aus? Die Hoffnung, die dem Glauben beigemischt ist. Die Hoffnung ist die Gegenwart des Unbegrenzten und Unendlichen im Menschen. Hoffnung ist das Fenster, das der Mensch sich offen hält, um auszublikken in die unendliche Landschaft eines möglichen Daseins. Im ersten Buch der Könige des Alten Testamentes (1Kön 17,8 – 16), bei der Erzählung aus dem Alten Israel, ergeht das Wort Gottes an den Propheten Elias: „Mache dich auf nach Sarepta! Ich habe dort einer Witwe den Auftrag gegeben, dich zu versorgen.“ Auf diesen Ruf machte sich Elias auf. Als er an das Stadttor kam, fand 143
er eine Frau beim Holzsammeln. Er rief sie an und bat sie, ihm ein Wasser zu geben. Und er rief ihr nach: „Bringe mir auch Brot mit!“ Sie dreht sich um und sagt: „So wahr Gott lebt, ich habe kein Brot mehr, nur mehr eine Hand voll Mehl und ein wenig Öl. Ich sammle eben Holz, um daraus Brot machen zu können, für mich und meinen Sohn, auf dass wir essen und dann sterben.“ Da sprach Elias: „Fürchte nichts und sorge dich nicht! Tu, was du willst, aber zuerst bereite mir ein Brot davon und bring es mir! Dann backe für dich und deinen Sohn. Denn so spricht Gott: Das Mehl im Topf soll nicht ausgehen, das Öl im Krug nicht versiegen, bis zu dem Tag, dass Gott Regen sendet auf diese Erde.“ Diese Erzählung ist mit den Goldfäden des Märchens durchwirkt. Und doch haben wir es nicht mit einer naiven Erzählung zu tun. Diese wunderbare Behebung der materiellen Not ist kein Zauber. Auf ihr liegt auch nicht der Akzent. Die Mitte der Erzählung ist der Glaube an das Wort Gottes, der dem Menschen auch das Letzte abverlangt, was er hat. Unsere Geschichte redet vom Glauben eines Menschen in äußerster Not. Er 144
vertraut sich dem Wort Gottes an, gibt auch das Letzte weg, was er hat, was sein Leben auch nur für einen Tag verlängern könnte. Wem die Schrift vertraut ist, der wird sich an ein ähnliches Wort erinnern: man müsse zuerst auch das Letzte drangeben, dann erst – nach dem Durchgang durch den tiefsten Punkt – schwingt das Leben ein in Fülle. Die Stelle von der Sorge in der Bergpredigt (Mt 6, 25 – 34) beginnt mit der Weisung: „Sorgt euch also zuerst um die Herrschaft Gottes! Alles andere wird euch dazugegeben werden.“ Hier wie dort bedeutet es nicht: Ihr müsst das, was Gott gehört, zuerst besorgen; und dann auch nebenbei, aber eben doch, das tun, was das Leben von einem verlangt. Nein. Es ist wirklich so gemeint: zuerst und ausschließlich besorgen, was Gott gehört. Aber wer kann das erfüllen? Es mag bezeichnend sein für unsere Neigungen, hier nicht genau hinzuhören, wenn fast alle Bibelübersetzungen, mindest in den Fußnoten, hier das eindeutige Wort 145
Jesu erklären wollen ins Vernünftige hin: „Sorge dich nicht ängstlich – nicht zu viel!“ Wir verstehen solche Grenzworte Jesu nicht und können sie nicht mehr leben, oder behaupten das zumindest. Aber versuchen wir sie wirklich nicht? Irgendwie begreifen wir, das Leben ist zu radikal. Und irgendwie erfassen wir es, dass wir uns restlos im Vertrauen überlassen müssen, dass wirklich verlangt wird von uns, uns von einer Hand erfassen zu lassen, die ins Unendliche führt, auf dem Pfade der Hoffnung. Eine Wochenzeitschrift brachte folgende Berichterstattung unter den Schlagzeilen „Hochzeit einmal anders“: die zwei Menschen haben sich versprochen und planten Heirat, die Braut 23 Jahre alt, hübsch, lebendig, der Bräutigam tüchtig, brav. Beim Hantieren mit einer Pistole wurde er von einem Lehrling angeschossen und blieb nach vielen Operationen querschnittgelähmt. Das junge Mädchen stand vor einer großen Entscheidung. Denn wer heiratet schon einen Querschnittgelähmten, der 146
vielleicht immer an den Rollstuhl gefesselt ist? Sie hat sich ihr Leben anders vorgestellt – mit Familie, mit Kindern; und nun soll sie nur die Pflegerin ihres Mannes werden? Das soll nun ihr Leben und ihre Zukunft sein? Sie sagt: „Ich heirate nicht aus Mitleid, sondern, weil ich ihn einfach liebe, weil ich weiß, dass es der einzige richtige Mann für mich ist. Mein Glaube und meine Erziehung haben mir viel Mut gegeben.“ So fand die Hochzeit des Jahres statt. Wer hätte an ihrer Stelle einen Querschnittgelähmten geheiratet? Man darf wohl sagen, hier ist ein Mensch mit Größe. Hier ist ein Mensch, der an den Menschen glaubt, ein Mensch, der weiß, dass er Opfer bringen muss, ein Mensch, der aus dem Glauben hoffen kann für sein ganzes Leben. Das Leben ist radikal. Umso mehr braucht es den Menschen, an den man glauben kann. Wohl dem, der ihn gefunden hat! Es ist aber auch die Frage notwendig: Bin ich ein Mensch, an den ein anderer Mensch glauben kann? Dann wäre ich ein Mensch. 147
Wenn der Herr kommt – Gewalt? [ 33. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B ]
Der Gedanke an die Wiederkunft Christi hat sich schwer auf die Seele der Christen gelegt. Ob er nun die Wiederkunft Christi am Ende der Geschichte oder am Tage des persönlichen Todes meint. Wir stehen unter dem Druck des Dies irae, des Tages des Zornes, wie es die hunderte Male vertonte Totensequenz von Allerseelen ausspricht. Welch ein Graus wird sein und Zagen, wenn der Richter kommt mit Fragen, streng zu prüfen alle Klagen. Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen, jede Schuld aus Erdentagen. Die Wiederkunft Christi wurde zum Tag des Gerichtes, zum Tag der großen Abrechnung reduziert. Das war zweifellos eine Fehlentwicklung – gemessen an der Auffassung des Urchristentums, das mit seinem Gebetsruf Maranatha: Unser Herr, 148
komm! die Wiederkunft Jesu als ein Ereignis voll Hoffnung und Freude ausgelegt hat, verlangend nach ihm als dem Augenblick der großen Erfüllung. Die heutige Theologie – auch beeindruckt durch die Belehrungen Teilhard de Chardins – weiß es wieder viel deutlicher: Mensch und Kosmos haben ihre je eigene Geschichte, Mensch und Kosmos bilden eine Einheit, sodass weder weltloses Menschsein noch eine menschenlose Welt denkbar ist. Natur und Geist vereinigen sich, das Ende der Welt ist gewiss etwas ganz anderes als der totale Sieg der Technik, sondern: Mensch und Kosmos drängen vorwärts – hin zum Punkt Omega, hin zu einem Antlitz, hin zu einem Geist, in den sie aufgenommen werden und einmünden, in den Geist Gottes, der Mensch und Welt vollendet und verklärt. „Siehe, ich mache alles neu!“: Gott wird sein Wort wahr machen. Der neue Mensch, 149
die neue Welt werden erstehen und geschaffen aus der Herrlichkeit Gottes. Gott wird an Mensch und Kosmos göttlich handeln. Freilich bleibt aufrecht, dass „das Endstadium der Welt nicht Ergebnis einer naturalen Strömung ist, sondern Ergebnis von Verantwortung, die in Freiheit gründet“, „dass das endgültige Geschick des Menschen ihm nicht an seiner Lebensentscheidung vorbei aufgedrängt wird.“ Der in der katholischen Welt einst gehörte Theologe Joseph Ratzinger schrieb 1970 in seiner „Einführung in das Christentum“: Der Christ weiß, dass er auf Gott hin antworten muss, dass er als Verwalter von Anvertrautem Rechenschaft schuldig ist. Verantwortung gibt es nur da, wo einer ist, der fragt. Dieses Befragtsein unseres Lebens richtet der Gerichtsartikel unüberhörbar über uns auf... Nichts und niemand ermächtigt uns, den ungeheuren Ernst zu verharmlosen, der über einem solchen Wissen liegt. Es weist 150
unser Leben als Ernstfall aus und gibt ihm gerade seinen Sinn darin. Mein Leben, unser Leben als Ernstfall! Wo es Ernst wird, dort besteht Gefahr. Und wo eine Gefahr besteht, dort braucht es eine Gewalt. Und Christus will die Gewalt, er will die Christliche Gewalt. Er spricht: „Nur die Gewalt anwenden, reißen das Himmelreich an sich.“ So ist auch neben den Forderungen zum Armen, zur Aussöhnung, zum Werden wie ein Kind, zum Glauben eben auch die Gewalt eine nicht dispensierbare Forderung an den Christen. Ich weiß gut, wie viel Gewalt uns heutzutage ein Tag Leben kostet: ein Tag Beruf, ein Tag Kinder, ein Tag Lärm, ein Tag Verpflichtungen, ein Tag Ehe, ein Tag Beziehungsleben. Und das ist für einen Christen auch Gottesdienst. Deshalb frage ich in keiner Weise vorwurfsvoll: 151
Wie viel Gewalt bleibt für unser religiöses Leben? Wie viel tatsächliche Gewalt lasse ich mir mein Christ-Sein kosten? Wie viel Gewalt zum Gebet, wie viel Gewalt zur Besinnung, wie viel Gewalt zur Versöhnung, wie viel Gewalt zur Charakterbildung, wie viel Gewalt zur Weiterbildung? Sehe ich darin den tragenden Faktor meines Glaubens und meines Christ-Seins? Oder suche ich mir in der sogenannten neuen Sicht des christlichen Lebens ein Alibi für mein religiöses Tun? Tatsache ist, dass wir bequemer geworden sind. Damit ist Christus sicher nicht einverstanden. Denn heute ist unser Glaube und unsere Kirche ein Ernstfall geworden. Wir helfen uns und der Kirche nur mit unserer religiösen Gewalt. Ich sehe heute eine dreifache Gewalt für wesentlich an: 1. Die Gewalt zur Beständigkeit. Zur Beständigkeit im Gebet, im Sonntagsgottesdienst, in der Teilnahme an der Feier der 152
Versöhnung und der Eucharistie. 2. Die Gewalt zum Erkennen. Die Unterscheidung der Geister ist sehr schwierig geworden. Die Frage müssen wir mit Mühe klären: Wer hat uns heute für unser christliches Leben und für unseren Glauben tatsächlich etwas zu sagen? Normalerweise nicht der, der selber kaum betet und kaum glaubt. 3. Die Gewalt zur Weite. Die eigentlichen Anliegen in der Kirche sind heute: die Einheit der Kirche und die Priester. „Schlagt die Hirten und die Herde wird sich zerstreuen.“ Vor diesen Anliegen müssen zuweilen eigene zurückstehen. „Wenn der Herr kommt, wird er die Ernte einholen.“ Die Gewalt muss vorher geschehen. Heute. Wir überschauen unser ganzes Leben: Wie viel religiöse Gewalt steht tatsächlich in meinem Leben?
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Wenn man nüchtern denkt, dann ist die Gewalt das Logischste des Christen, dass man nicht mit Verdrießlichkeit handelt, sondern mit Dank, mit Dank für die Verheißung: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört, was Gott denen bereitet hat, welche ihn lieben!“ Gott wird an uns göttlich handeln!
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Wenn ich erhöht bin [ Christkönig ]
Im Alten Testament wird vom jungen Daniel erzählt, der aus vornehmem Geschlechte stammte und an den königlichen Hof von Babylon deportiert wurde. Er hatte ein eigenartiges Traumgesicht: Während der Nacht sieht er, wie die vier Winde des Himmels das große Meer aufwühlen. Und dem großen Meer entsteigen vor seinem Auge vier Tiere, die die Gestalt von seltsamen und gespensterhaften Wesen haben. Sie sind halb Tier, halb Mensch. Das erste Tier ist ein Löwe, dem ein menschliches Herz gegeben wurde. Das zweite Tier ist ein Bär, der stand auf und fraß viel Fleisch. Das dritte Tier ist ein Panther, und es ward ihm Herrschaft gegeben. Das vierte Tier, ein überaus schreckliches und starkes, hat Zähne aus Eisen und Klauen aus Stahl. Es hat Augen wie Menschenaugen und ein großes Maul. Alles zertritt es unter seinen Füßen. Da löst plötzlich ein wunderbar helles Bild die Vision dieser schrecklichen Tiermen155
schen ab: Es öffnet sich dem Seher der innerste Himmel. Er sieht einen Thron und auf dem Thron nimmt ein Hochbetagter Platz, dessen Gewand weiß wie Schnee ist. Von seinem Thron geht ein Feuerstrom aus. Zehntausend mal zehntausend stehen vor ihm und dienen ihm. Diese Schar stellt den Gerichtshof des unnennbaren Gottes dar. Die Bücher werden aufgetan. Gott hält die letzte Abrechnung über die Reiche der Erde. Ein drittes Bild zeigt sich dem Propheten: Da kommt einer auf den Wolken des Himmels, der wie ein Menschensohn aussieht. Und er gelangt bis zum Hochbetagten. Und es wurden ihm Herrschaft und Reich übergeben. Alle Völker, Nationen und Zungen sollten ihm dienen. Aber zum Unterschied zu allen Reichen der Erde wird sein Reich keine Episode innerhalb der Geschichte sein. Während die politischen Mächte dieser Erde kommen und gehen, ist sein Reich ein unzerstörbares. Doch bis dahin werden die TiermenschenReiche Krieg führen mit den Auserwählten Gottes, sie werden sie misshandeln und 156
überwältigen, sie werden Zeiten und Grenzen zu ändern trachten. Erst wenn das Gericht sich niedersetzt, wie Daniel geschaut, werden die Reiche der Tiermenschen zerstört. Erst dann wird das Reich des Menschen, das wirkliche Reich des Menschen, erscheinen. Das Bild ist gewaltig und bestürzend. Man kann an ihm in ungefähren Umrissen die ganze Geschichte des Kampfes ablesen, der sich zwischen den fleischfressenden und großmauligen Tiermenschen und dem Reiche Gottes abspielt. Daniel fragt: „Wer ist dieser geheimnisvolle Mensch? Wer ist der, der verborgen ist bei Gott, bis zu seinem Erscheinen auf Erden? Wer ist der, der den Sieg der göttlichen Macht und des göttlichen Rechts herbeiführt?“ Daniel konnte das Bild nicht in letzter Klarheit schauen. Wir erkennen das Geheimnis: Als Jesus Christus vor dem höchsten Religionsgericht seines Landes stand und befragt wurde, ob er der Messias sei, ant157
wortete er: „Du hast es gesagt. Aber ich sage euch: von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen sehen und kommen auf den Wolken des Himmels.“ Seit diesem Abend, seit diesem Todesleiden, seit diesem Ostern ist Jesus Christus eingesetzt zum Herrn der Welt, zum Herrn aller Reiche und Völker. Von diesem Abend, von diesem Todesleiden und von dieser Auferstehung sagt Christus in seiner letzten Tempelrede wenige Tage vor seinem Sterben: „Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen!“ Gott hat Jesus von Nazareth, dem Menschensohne, alle Macht übergeben. Es ist eine doppelte Macht, mit der er alle Menschen an sich ziehen und in sich hinein retten will: 1. Die Macht über den sündigen Menschen. Die Sünde ist die schwerste Last des Menschen und die tiefste Qual des Lebens. Aus der Sünde gibt es keine menschliche Erlösung. Christus bietet seine Macht jedem, der auf seine Stimme hört.
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2. Die Macht über den sterblichen Menschen. Der Tod ist die größte Furcht des Menschen, und seine größte Enttäuschung das Nichts. Christus bietet mit seiner Macht jedem den unsterblichen Menschen an, jedem, der auf seine Stimme hört. Ja, dann ist das Menschenleben gerettet. Dann findet auch der leidende, benachteiligte und ungetröstete Mensch seine Hoffnung und seine Kraft. Dann wird der Kleinglaube ausgelöscht sein und alle Gefühle der Unterlegenheit gegenüber einer überlegenen Welt überwunden. Dann haben wir keine Angst, auch wenn die Tiermenschen viel Fleisch fressen und ein großes Maul haben, auch wenn wir eine kleine Herde bleiben und die Kirche in großer Sorge ist. Dann gehen wir in Treue den Weg Christi durch unsere Zeit in die ewige Heimat und in das ewige Beisammensein.
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Denn wir sehen den Menschensohn zur Rechten Gottes, wie einst Stephanus ihn sah und wie ihn jeder sterbende Christ wirklich sieht. Das Christkönigsfest verkündet die beglükkende Verheißung Christi: „Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen, alle, die auf meine Stimme hören.“
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Gott belastet uns mit seiner Ewigkeit [ 1. Adventsonntag – Lesejahr C ]
Für die allermeisten Menschen ist der Gedanke an die Ewigkeit eine drückende Sorge, ja sogar eine störende und zerstörende Last. Es kommt wohl daher, dass wir Menschen Ewigkeit nicht denken können, dass wir unfähig sind, den Begriff „unendlich“ auszudenken. Immer müssen wir im Weltgeschehen einen Anfang und ein Ende setzen. Wir denken von der Wiege bis zum Grab, wir schauen vom Fuß bis zum Gipfel. Nahezu mit Neid blicken wir auf jene, von denen wir sicher wissen, dass sie in der Ewigkeit Gottes geborgen sind, die ihnen nie mehr genommen werden kann, auf jene, die den guten Kampf gekämpft, den Glauben bewahrt und die Krone der Herrlichkeit empfangen haben. Auf uns lastet die Ewigkeit. Wir wissen nie, wie nahe oder wie weit wir von ihr entfernt sind, nur, dass wir auf sie unaufhaltsam zugehen, und fühlen dabei das Unheimli-
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che, das sich unserer Seele mitteilt. Ewigkeit ist für uns ein Geheimnis wie Gott selbst. Denn Ewigkeit ist – im ewigen Sinne – nur ein anderes Wort für Gott. Ja, es ist wirklich nur Gott, der sich mit seiner ganzen Schwere auf uns legt. Es ist die Stimme Gottes, die so oft unseren Geist mit erschreckenden Bildern erfüllt. Es ist das Geschöpf Gottes, der Augenblicksmensch, der von dem ewigen und heiligen Gott so oft erstarren möchte. Wir sind Augenblick, Gott ist Ewigkeit. Das treffendste Abbild der Ewigkeit stellt unser Gedächtnis dar, das in einem Augenblick intensivsten geistigen Bewusstseins Jahrzehnte umspannen kann, wie so mancher Sterbende, vor dessen innerstem Blick das gesamte vergangene, gelebte Leben mit Blitzesschnelle abrollt. Diesen letzten Blick unseres Auges, wenn er uns vergönnt ist, und der erste Blick Gottes an der Schwelle der Ewigkeit, den fürchten wir. Wir fürchten den Augenblick, wo die Ewigkeit den Augenblick anschauen wird. 162
Habe ich wahr geredet: Gott belastet uns mit der Ewigkeit? Unsere Seele ist unzerstörbar, weil ein Geist nicht teilbar ist. Deshalb ist sie ewig. Sie ist ewig, weil der geatmete Atem Gottes im Dunste der Welt nicht vergehen kann. Doch das wäre noch keine Last, es wäre eher Vorzug und Herrlichkeit. Bald jedoch entdeckt er, dass er ein bereits für ihn ganz persönlich konstruiertes Bild in seinem Leben und durch sein Leben verwirklichen und erfüllen soll. So entsteht die Last. Und weil die Seele ewig ist, wird die Ewigkeit belastet. Gott belastet uns mit der Ewigkeit? Oder – der Mensch belastet seine Ewigkeit? Gott sagt doch: „Ich will, dass alle Menschen ewig selig sind.“ Er sagte nie: „Ich will bestimmte Menschen verdammen – in Ewigkeit.“ Man kann Plakate beschmieren und Denkmäler besudeln und Grabsteine schänden, doch Gott ist unberührbare Güte und von ausschließlicher Güte, dass selbst die 163
Hölle im letzten noch ein Ort der Barmherzigkeit ist. Doch der Mensch belastet seine Ewigkeit, wenn er nur im geringsten an den Abfall seines Lebens denkt, wenn wir uns unseres schäbigen Lebens schämen müssen, wenn es uns leid tut um so viel vergeudete und vertane Zeit, wenn uns unsere Versagen quälen, wenn wir uns an den Kopf greifen über so viel Unvernunft unseres Geistes und so viel Torheit unseres Leibes. Der Mensch belastet seine Ewigkeit, wenn er vergisst, dass ihm Christus einmal erzählen will, wie viel er verziehen hat, wie viel er geschenkt hat, wie viel er gebetet hat, wie viel er geduldig war. Aber welcher Mensch ist ohne Abfall? Und hätte dieser Abfall den Zweck, uns fertig zu machen? Wenn man nur und immer wieder auf den Abfall seines Lebens starrt – 164
dann ist die Last der Ewigkeit unerträglich, dann tut man seinem Leben aber ganz gewiss Unrecht, dann ist erst recht der Augenblick – von Gott – gegeben, wo man auf diesen Haufen Abfall hinaufsteigt, um in die barmherzigen Arme Gottes zu enteilen, um aufs neue und mit größerem Verstand und vernünftigerer Vernunft mitten in diesen Abfall Werte zu pflanzen, die die Ehre Gottes verkünden und die unverständliche Liebe Gottes zu preisen. So kann auch der größte Abfallhaufen zu einem Katapult werden, von dem man aus erst recht in die Tiefe Gottes geschleudert wird. Das soll freilich nicht hindern, dass uns bisweilen die Schauer der Ewigkeit befallen und erzittern lassen. Zittern wir nicht auch um ein teures Leben, das in schwerer Krankheit liegt? Zittern wir nicht um die gute Heimkehr eines guten Menschen, den wir nie missen möchten und der unser Leben erfüllt? Warum sollten wir nicht auch um den Himmel zittern, das ewige Leben? Ja, um den 165
Himmel, um das ewige Leben zittern wir ja viel zu wenig oft, das beweist der ständige Abfall unseres Lebens, auch und gerade dort, wo wir trotz aller Treue und gütiger Erfahrung Gottes für Augenblicke und Stunden und Monate tatsächlich von Gott abfallen. Was kann uns denn eigentlich die Ewigkeit belasten? Wenn wir uns in der Zeit so vergraben, dass wir uns keine Aussicht in die Ewigkeit freihalten. Eine Luke soll immer offen sein. So viele Möglichkeiten lassen uns den Blick auf die Ewigkeit richten: Jeder Turm, jedes Hochhaus und jeder Gipfel, der zur Höhe ragt, jedes Rettungsauto, das durch die Stadt rast, jedes Unglück, von dem wir hören, jedes Kind, das eben aus der Hand Gottes gekommen ist, jeder alte Mensch, der mit der Ewigkeit gezeichnet ist, jede Straßenbahnhaltestelle, bei der wir aussteigen, jeder Bach, der in den Fluss mündet, jedes Flugzeug, das unserem Auge entschwindet. 166
Die Ewigkeit wird einmal unsere Heimat sein. Sie soll und soll freundlich in unserer Lebenszeit stehen.
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Gnadenwahl und Vorherbestimmung [ 2. Adventsonntag – Lesejahr C ]
Hat Gott Lieblinge? Johannes der Täufer wurde mit der Frucht des Leibes der Jungfrau von Nazareth im Mutterschoße geheiligt. Er war bestimmt zum letzten Propheten des Alten Testamentes. Er ist – nach Christus – der Größte der von einer Frau Geborenen. Berufung, Gnadenwahl, Vorherbestimmung, Vorherwissen und ähnliche Themen werden unter Christen gerne debattiert. Hat Gott Lieblinge? Auch Gott? Lässt er von vornherein andere Menschen fallen? So selten geschieht es nicht, dass sich ein Christ aus der Liebe Gottes herausgefallen weiß. Eine der grausamsten Versuchungen. Das Konzil von Trient verkündet – entsprechend der damaligen religiösen Situation: „Wenn jemand sagt, die Gnade der Rechtfertigung, gereiche nur den Prädestinierten, den Vorherbestimmten, zum Leben, alle anderen aber, die berufen würden, seien 168
zwar berufen, empfingen aber keine Gnade, da sie durch göttliche Macht zum Bösen vorherbestimmt seien: der sei im Banne.“ Der Heilswille Gottes ist universal. Er erstreckt sich auf alle Menschen. Gott hat niemanden zur Verdammung vorherbestimmt. Kein Mensch ist ausgenommen von der Zuteilung jener Gnaden, die ihm das ewige Heil sichern können. Alle Menschen sind berufen, keiner, der nicht berufen wäre. Und doch gibt es eine Auserwählung. Alle Auserwählten sind ohne Zweifel berufen, aber nicht alle Berufenen sind deshalb schon auserwählt. Nun kann uns die Frage schon zu schaffen machen: Ich bin berufen, aber gehöre ich zu den Auserwählten? Auf diese Frage antwortet dasselbe Konzil: „Niemand darf, solange er in diesem sterblichen Leben weilt, bei dem verborgenen Geheimnis der göttlichen Vorherbestimmung sich soweit erkühnen, dass er mit Gewissheit einfachhin sagt: ich gehöre zur Zahl der Vorherbestimmten. Das wür169
de voraussetzen, dass der einmal Gerechtfertigte entweder nicht mehr sündigen kann, oder, wenn er sündigt, sich bestimmt die Bekehrung versprechen darf. Außer durch eine besondere Offenbarung kann kein Mensch wissen, wen Gott für sich erwählt hat.“ Es gibt eine zweifache Auserwählung. Jene, die der Gottesmutter zuteil wurde, die ohne ihr Zutun sogar von der Erbschuld freigehalten wurde – oder bei Heiligen, denen nicht selten in der frühesten Kindheit außerordentliche Gnade geschenkt wurde, sodass sie vor manchem sündigen Erleben von vornherein bewahrt wurden. Wir stehen wirklich vor einem Geheimnis, dem wir in keiner Weise beikommen können. Es ruht einzig in Gott. Gott hat Menschen bevorzugt. Wir möchten es ihm manchmal übel nehmen. Aber Christus selbst schneidet uns jeden Vorwurf ab: „Darf ich mit dem Meinigen nicht tun, was ich will?“ Darauf können wir nichts sagen. Schließlich würden wir uns wehren, wollte uns jemand hindern, unser 170
Eigentum so zu vergeben oder anzulegen, wie wir es wünschen. Niemand kann uns abhalten zu schenken, wem und wie viel wir wollen, wenn nur der verpflichtete und gerechte Anteil jedem andern abgegeben wird! Bei der zweiten Art der Auserwählung geht es gerade um diesen gerechten Anteil, den Gott jedem einzelnen Menschen zukommen lassen will, zu dem er sich jedem gegenüber sozusagen verpflichtet hat. Er stellt den notwendigen Anteil dar, ohne den der Mensch sein eigenes Heil nicht erreichen kann. Würde Gott hier vorenthalten, dann wäre er ungerecht, und die Verdammnis des Menschen ginge zu Lasten Gottes. Das ist bei Gott nicht möglich. Thomas von Aquin lehrt: „Zwei Dinge sind zum ewigen Leben notwendig: die Gnade Gottes und der Wille des Menschen“. Die Gnade Gottes ist sichergestellt, aber was ist mit dem Willen des Menschen? Wir rufen das Konzil von Valence zu Hilfe, wenn es auch in manchem Ausdruck nicht ganz gefällt: 171
„Nach unserem Glauben wird niemand aus einem vorangehenden Verwerfungsurteil verworfen, sondern weil er es durch eigene Ungerechtigkeit verdient hat. Und nicht deshalb gehen die Bösen zugrunde, weil sie nicht haben gut sein können, sondern weil sie nicht gut sein wollten und durch eigene Bosheit in der Menge der Verworfenen geblieben sind. Keinem einzigen Sünder hat das Vorherwissen Gottes die Notwendigkeit auferlegt, dass er nicht anders sein konnte. Sondern was der Sünder aus seinem eigenen Willen tun würde, hat Gott vorher gewusst, wie alles, bevor es geschieht, vorher weiß kraft seiner allmächtigen, unveränderlichen Majestät.“ Das Vorauswissen Gottes bringt also niemandem einen Nachteil, aber auch keinen Vorteil. Aber Gott steht das Recht zu, manche Menschen ohne Verdienste zu erlösen, denn er ist gut. Er kann jedoch niemanden ohne Missverdienste verdammen, denn er ist gerecht.
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Und was wissen wir von unserer eigenen Auserwählung? Nichts – und doch viel. Wir selber haben es in der Hand, auserwählt zu sein oder nicht. Niemand kann uns den Himmel rauben, wenn wir selber nicht einverstanden sind. Allerdings: die Sorge um unser ewiges Schicksal lässt sich nicht vermeiden! Sicherheit ist gerne die Mutter der Fahrlässigkeit. Wir können in diesem Leben keine Heilssicherheit haben. Und niemand soll sich – nach Papst Gregor I. – bemühen, den Grund zu erforschen, warum der eine auserwählt wird und der andere verstoßen. Damit streife man bereits den Rand des Abgrunds. Der bekannte Astronom Newton pflegte zu sagen: „Über dreierlei werden wir uns wundern, wenn wir in den Himmel kommen: dass so viele dort sein werden, von denen wir es nicht erwartet hätten, dass viele nicht dort sein werden, die wir erwartet haben, dass wir selber dort sein werden.“ 173
Das Schicksal unserer Ewigkeit wird uns nicht gezeigt. Und doch wird es unmöglich sein, ein Leben lang Gott immer wieder anzupeilen, um dann nicht bei ihm einzutreffen. Also haben wir doch eine Heilssicherheit? Ich lasse Christus selber sprechen: „Wer anklopft, dem wird aufgetan.“ „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“ „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ „Kommt ihr gesegneten meines Vaters!“
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Das Heil [ 3. Adventsonntag – Lesejahr C ]
Die christliche Frohbotschaft ist die Botschaft vom Heil. Vom Heil des Menschen und vom Heil der Welt. Heil und Heilwerden sind heute keine unbekannten Vokabeln. Man spricht vom Heilwerden der Welt. Manche blicken dabei sehnsüchtig in vergangene Jahrhunderte zurück. Aber es hat nie eine heile Welt gegeben. Die Geschichte der Menschheit ist im Grunde nichts anderes als eine einzige Suche nach dem Heil. In der jüngsten Vergangenheit haben Millionen Menschen allein schon mit ihrem Gruß alles Heil auf die Karte eines Menschen gesetzt. Das Ende war ein Chaos, wie es die Welt noch nie gesehen hat. In den vergangenen Jahren haben wir uns das Heil von höheren Löhnen, kürzerer Arbeitszeit, größerem Wohlstand und größter moralischer Freizügigkeit erwartet.
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Die Welt ist nicht heil geworden. An den Straßen dieses Heils liegen viele Verwundete und Tote. Allenthalben haben wir wenig Glück mit dem Heil. Aber es gibt das Heil, und es bleibt die Heilssuche. Nur sollten die Menschen allmählich reif geworden sein für die Erkenntnis, dass das Heilwerden der Welt nur zu einem bescheidenen Prozentsatz aus dem Materiellen kommt, dass das Heil der Welt in keiner Fabrik, auch in keiner politischen Fabrik der Welt gemacht werden kann. Harvey Cox schreibt in seinem Büchlein „Der Christ als Rebell“: Es gibt ein Wort, das gewissermaßen alles zusammenfasst, was Gott mit Jesus von Nazareth sagt: es ist der hebräische Ausdruck Schalom. Sowohl zur Zeit des Alten Testamentes wie im modernen Israel ist es einer der gebräuchlichsten Grüße zwischen den Juden. Schalom ist ein außerordentlich reiches Wort. In all den Jahrhunderten der Folter und Bedrängnis, all die Jahre hindurch, in 176
denen Christen die Juden mitverfolgt haben und mitgequält, sagten sie einander zum Gruß und Abschied das Wort Schalom. Mütter, die man von ihren Kindern trennte und zu medizinischen Experimenten in die KZ’s schickte, flüsterten als letztes Wort ihren Kleinen Schalom zu. Familien, die in Haifa oder Tel Aviv nach dem Krieg wieder zueinander fanden, schauten einander an und brachen dann das Schweigen mit Schalom. Für den Juden bedeutet dieses Wort nicht einfach Frieden, sondern einen Zustand persönlichen und gemeinsamen Lebens. Er ist ein positiver Zustand des Friedens, der Freude, der menschlichen Gemeinschaft, gesellschaftlicher Harmonie und lebendiger Gerechtigkeit. Er bedeutet Fülle, Gesundheit, Mitmenschlichkeit. Aber nur Gott konnte Schalom geben, denn er macht das Wesen des neuen Zeitalters aus, das der Messias bringt. Er ist der Schalom-Bringer. Er ist der Heiland der Welt. Wir beten: „Um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen“. 177
Seit diesem Datum hat sich funktionell manches geändert. Die medizinische Seite in Christus – wenn wir so sagen dürfen, haben wir in sehr vollendeter Weise unsere Ärzte übernommen. Wiewohl auch Christus nicht alle Kranken seines Landes geheilt hat. Und erst recht nicht hat er aus seinem Volke die Armut weggenommen. Und Schalom – das heißt also: Friede, Freude, menschliche Gemeinschaft, gesellschaftliche Harmonie, lebendige Gerechtigkeit: das hat Christus den Aposteln zur Verkündigung übergeben und den Christen zur Verwirklichung. Insofern könnte man zu einem grausamen Schluss gelangen: Die Christen Christi entscheiden sehr viel in der Welt, sie entscheiden über sehr viel Heil und sehr viel Unheil in der Welt. Ein sehr eherner Satz. Man kann nichts davon wegbeißen. Ich sagte: eine heile Welt hat es nie gegeben. Sie wird auch nicht sein. Wie viele Stunden war in unserer Generation die Welt heil? Der Prozentsatz – darauf kommt es an. Er kann steigen und sinken. Es gibt 178
auch kaum mehr eine heile Gemeinde, geschweige eine heile Stadt. Aber der heile Mensch ist möglich, die heile Familie ist möglich, die heile Berufsgemeinschaft ist möglich, die heile Nachbarschaft ist möglich. Es ist uns viel Heil in die Hand gegeben. Deshalb spüren wir in der Adventszeit die Last des Heiles viel deutlicher. Deshalb ist Schalom zu überprüfen – auch im Hinblick auf eine weihnachtliche Beichte. Wir selbst sind gefragt – und wir stellen uns unserer Familie, unserer Nachbarschaft, unserer Kollegenschaft. Schalom heißt: 1. Friede – und Verträglichkeit ist der mindeste Friede. 2. Freude – ich würde sagen: Freude sehen, wo sie ist, und annehmen – so wie das gelöste Gesicht gegenüber dem tierisch ernsten. 3. Menschliche Gemeinschaft: sie ist Feind der Abkapselung, des Alleinganges, des Menschenfeindes, und sie sucht den Mitmenschen. 179
4. Gesellschaftliche Harmonie: ich meine Atmosphäre, Verständnis – und Stille. 5. Lebendige Gerechtigkeit: eine Gerechtigkeit mit Herz, und mit Auge. Es ist uns viel Heil in die Hand gegeben: es ist zum Heilen da. Die Drohpredigt Johannes des Täufers würde man heute – mit Schlangengericht, Zorngericht, Axt an der Wurzel, Wurfschaufel, unauslöschliches Feuer – nicht mehr vertragen. Aber die so verdonnerten Leute fragten damals zerknirscht: „ Was sollen wir tun?“ Wenn wir einmal so weit sind, dass wir diese ganz konkrete Frage in bezug auf unseren Mitmenschen stellen: „Was soll ich tun, was kann ich tun?“ – dann ist das Heil immer sehr nahe! Aber es bleibt eine Last. Jede nur horizontale Predigt ist unvollendet. Johannes der Täufer verlangt als Voraussetzung zum kommenden Heil tätige Nächstenliebe, Zufriedenheit, Gerechtigkeit. Dann aber weist er auf den, der das Heil ist. 180
Die heute so proklamierte Mitmenschlichkeit ist sehr gut. Es nimmt einen nur Wunder, dass man erst jetzt darauf kommt. Sie bleibt aber sehr zerbrechlich, wenn die Vertikale ausgeschaltet wird und die Frömmigkeit sich im Mitmenschlichen genügt. Ich will sagen: Das menschliche Heil, das wir Christen geben können und geben sollen, hat seinen garantierten Grund in der lebendigen Gemeinschaft des Christen mit Christus. Hinter allem menschlichen Heil steht der Heiland der Welt.
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Von einer Krippe [ 4. Adventsonntag – Lesejahr C ]
Weihnachten eine Last? Briefe, Karten, Besuche, niemanden vergessen, die richtigen Geschenke... Ja, eine Last. Ich erzähle Ihnen lediglich, was ein Priester von seiner Weihnachtskrippe erzählt. Er sagt: Meine eigene Weihnachtskrippe bereitet mir einige Sorge. Etwas stimmt da nicht. Etwas ist da kaputt. Seit Jahren mühe ich mich darum. Jedes Jahr kommt etwas Neues hinzu. Ich scheue keine Kosten: Lichter, Bäume, Schafe, Figuren. Modernstes Zubehör führt zu großartigen Wirkungen. Meinen Freunden bleibt der Mund offen stehen. Trotzdem ist die Krippe nicht in Ordnung. Irgendwo sitzt ein Schaden. Ich habe zusätzliche Licht- und Toneffekte ausgedacht, die wirklich verblüffend sind. Mit Ochs und Esel, mit den Schafen und Kamelen ist alles in Ordnung. Nur mit dem Kind stimmt etwas nicht. Es verschwindet ganz aus dem Blick, es 182
scheint immer kleiner zu werden. Er schaut sich die Sache noch einmal genau an. Da muss er plötzlich eine beunruhigende Tatsache zu Kenntnis nehmen: Der Schaden kommt von außen. Ochs, Esel, Schafe, Kamele wachsen ins Riesige, während das Kind immer kleiner zu werden scheint, weil etwas außerhalb der Krippe nicht in Ordnung ist. Offensichtlich kommt der Schaden von außen. Dort ist also anzusetzen. Das war eine schmerzliche Erfahrung. Aber jetzt war alles klar. Und er erzählt: Da kommt jemand zu mir, der in Not ist. Ich fertige ihn in Eile ab, gebe ihm ein paar fromme Ratschläge, ein paar nette Bemerkungen mit auf den Weg. – Dieser Mensch hätte einen Freund gebraucht. Ich hatte nur einen kühlen Ratschlag. Ich hatte keine Zeit. Während ich auf dem Weg zu meiner Messe bin, begegnet mir ein armer Bettler, in schmutzigem, abgerissenem Aufzug. Ich drücke ihm ein paar Groschen in die Hand. Er soll sich etwas zu essen kaufen. Dann haste ich weiter zu meiner Kirche, denn 183
ich will ja zu „meiner“ Messe. Mein gutes Werk habe ich ja schließlich getan. Ich mache von Zeit zu Zeit ein Paket zurecht für eine Frau, die am Rande der Stadt in einer Notunterkunft wohnt. Kürzlich war ich wieder dort. Als sie anfing, zum tausendsten Male die Litanei ihrer Sorgen herunterzuleiern, habe ich mich schnell verabschiedet. Ich hatte so viele Verpflichtungen an diesem Tag. Vielleicht ein anderes Mal. – Ich habe diese Frau stehen gelassen. Sie hat mir nachgeschaut, mein Paket in den Händen. Ihr Gesicht zeigte grenzenlose Enttäuschung. Eine andere Frau: „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Mein Mann lässt sich überhaupt nicht mehr blicken, die Miete, dann der Hausbesitzer, dann der älteste Sohn...“ – Was konnte ich schon machen? „Geduld, liebe Frau, vertrauen Sie auf Gott. Sie werden sehen, er wird sich um sie kümmern. Schon Franz von Sales sagt: ‚Ein Christenmensch muss seine Leiden tragen’, das ist nicht zu ändern. Gut nur, dass man an der Not der anderen nicht schwer trägt.“ 184
Schon von weitem habe ich den Dummkopf erkannt, mit dem ich kürzlich eine heftige Auseinadersetzung hatte. Ich habe einen großen Bogen um ihn gemacht, um ihn nicht grüßen zu müssen. Ich war Zeuge, wie jemandem schweres Unrecht geschah. Der Betroffene war am Boden zerstört. Ich hätte etwas sagen sollen, etwas tun – ich habe geschwiegen. In solchen Dingen ist ja Vorsicht am Platze. Auch muss man sich fragen, ob so etwas opportun ist. Am Ende würde man sich noch über mich lustig machen. Vor kurzem lief mir eine Zigeunerin über den Weg. Sie hatte langes, schwarzes, glänzendes Haar. Im Arm hielt sie ein Kind, offensichtlich krank. Sie streckte die Hand aus. Ich war beladen mit Paketen und Päckchen, ich hatte die Hände nicht frei, außerdem hatte ich kein Kleingeld eingesteckt. Und ging weiter. Zuhause machte ich mich wieder an meine Krippe, mit der etwas nicht stimmte. Nun schien mir, als wäre das Kind noch kleiner geworden, es was schon fast nicht mehr zu sehen. 185
Der Mann, der mit seiner Not zu mir gekommen und mit meinen billigen Ratschlägen fortgegangen ist, der arme Bettler auf der Straße, die Frau, die nicht mehr von mir wollte als ein bisschen Zeit, die andere, der ich Geduld gepredigt habe, ohne mich weiter zu kümmern, der Unsympathische, dem ich den Gruß verweigerte, mein feiges Schweigen, die Zigeunerin, die mit leeren Händen weitergehen musste: das alles hat meine Weihnachtskrippe kaputt gemacht. Deshalb wurde das Kind immer kleiner. Ich bin weitergegangen. Ich habe nicht erkannt, wer mir da begegnete. Ich habe das Kind nicht erkannt. Nur dann, wenn ich es auf der Straße erkannt hätte, nur dann hätte ich ein Recht, es in der Krippe wachsen zu sehen. Gott hat über drei Milliarden Gesichter. In jedem von ihnen schaut mich das Kind der Krippe an. Der Weg zu Gott führt über die Welt. Nur, wer bei den Menschen Zeit „verliert“, darf sicher sein, pünktlich bei Gott einzutreffen. 186
Bleibt mir Gottes Antlitz verborgen in jenen drei Milliarden Gesichtern, werde ich trotzdem eine „schöne“ Weihnachtskrippe haben. Sie wird aber nie in Ordnung sein. Weihnachten – eine Last? Wenn wir das Kind wachsen sehen dürfen, dann ist alle Zeit, alle Hasterei, alle Packerei, die wir an die Menschen verloren haben, doch zu einem Segen geworden, der uns nicht reuen darf. Das Kind ist gewachsen.
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Er kam in sein Eigentum [ 1. Sonntag nach Weihnachten – Lesejahr C ]
Wir sollten nicht aus Weihnachten fortgehen, ohne noch einmal seinen Kern zu erfassen. Er kam in sein Eigentum. Er kam in unsere Zeit, die seine Zeit ist. Und unsere Zeitgenossen stehen vor der Weihnachtsbotschaft ratlos. Sie kennen natürlich die alten Geschichten und lassen sich davon auch beeindrucken und verzaubern, aber sie sind zu ehrlich und zu nüchtern, um die schöne Geschichte von der Geburt Jesu als bare Münze zu akzeptieren. Sollen sie dieses Fest mitfeiern und so tun „als ob“? Sollen sie sich der Konvention unterordnen? Aber es stimmt gar nicht, dass viele Menschen sich kritisch fragen, ob sie Weihnachten noch ehrlich feiern können. Sie feiern es einfach und fragen nicht viel, ob sie das Festgeheimnis noch verstehen. Sie glauben nicht mehr an die Botschaft von Bethlehem, aber sie brauchen das Idyll. Ja, sie fliehen aus der Wirklichkeit auch ein188
mal ins Idyll. Aber wenn die Übersetzung der Weihnachtsgeschichte in die Sprache des Idylls nicht mehr glaubwürdig gelingt, welche Übersetzung finden wir dann? Schließlich wollen wir verstehen, was Lukas aufgezeichnet hat. Armin Juhre übersetzt die Weihnachtsbotschaft in die heutige Zeit so: „Es begab sich aber zu der Zeit, da die Bibel ein Bestseller war, übersetzt in 197 Sprachen und das Neue Testament noch 60 Mal mehr, dass alle Welt sich fürchtete: vor selbstgemachten Katastrophen, Inflationen, Kriegen, Ideologien, vor Regenwolken, radioaktiv, und Raumschiff-Flottillen, die spurlos verglühen.“ Die Christen habe ihre Botschaft in alle Welt getragen. Das Evangelium kann in den meisten Sprachen gelesen werden. Bei den Eskimos und den Australnegern werden Gottesdienste gefeiert. Aber es bleiben Fragen:
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Sehen die Völker, die in der Finsternis sitzen, wirklich ein großes Licht? Oder ist es bloß der todkündende Atomblitz, den wir ihnen zeigen? Machen wir uns und anderen etwas vor, wenn wir sagen, zu Weihnachten habe das Heil begonnen? Ist es eine tröstliche Lüge, wenn wir ein Geheimnis feiern, das vielleicht nur der Ausdruck unserer Sehnsüchte und Träume ist? Wenn aber die Weihnachtsgeschichte kein zauberhaftes Märchen ist, und wenn sie auch nicht historisch nachweisbare Geschichte wäre, dann haben wir uns zu fragen: Was ist nun ihre eigentliche Intention? Was ist ihre Absicht? Die weihnachtliche Botschaft lautet: Gott wird Mensch! Aber gerade darüber schütteln unsere Zeitgenossen den Kopf. Gewiss, Gott wird nicht geboren und Gott stirbt nicht. Aber ein Wort kann geboren werden, ein neues Verständnis menschlicher Existenz. 190
Ein Mensch kann geboren werden, der anderen einen neuen Zugang zur Wirklichkeit erschließt und sie ganz in die Nähe Gottes führt. Ein Mensch kann geboren werden, in dem dieses neue Wort über den Menschen ausgesprochen wird. Jesus ist „das neue Wort“ gewesen. Er hat etwas in Gang gesetzt, das nie mehr aufhört. Jesus ist Mensch, das ist eine Niedrigkeitsaussage. Er ist unscheinbar geboren, er hatte ein Schicksal wie viele andere auch, er wurde verkannt und verleumdet, er wurde beiseitegeräumt wie meinetwegen Kennedy und Martin Luther King. Jesus ist Mensch, das ist eine Hoheitsaussage, das geht uns an. Er zeigte, wie man sein Menschsein verstehen und verwirklichen kann. In Ihm wurde erkennbar, was der Mensch sein könnte. Er wurde zu einem Zeichen für die Überwindung des Todes. Die Menschen alle können Hoffnung haben, wenn sie sich mit ihm einlassen, wenn sie es mit ihm versuchen. Das geht uns an. 191
Deshalb geht die Sache Jesu weiter, weil das Wort weitergegeben werden kann und weil die christliche Botschaft aussagt: Jesus lebt, er lebt heute – in seinem Wort, in seinen Zeugen, in der Verwirklichung seiner Liebe. Werner Bergengruen erzählt in seinen Erinnerungen: „Auf meiner Flucht kam ich, nach Lebensmitteln suchend in ein Dorf bei Minsk. Eine alte Bäuerin sagte zu mir: ,Ich habe einen Sohn in deutscher Gefangenschaft, von dem ich nichts weiß. Ich werde jetzt denken, du bist dieser Sohn.’ Und sie umarmte mich und beschenkte mich reichlich.“ Wenn Menschen aus solchen Motiven handeln können, wenn sie bereit sind, aus der brutalen Welt oder der sinnlosen Welt eine Welt der gegenseitigen Verantwortung zu machen und sich gegenseitig Vertrauen schenken, dann wird man auch erkennen: die Sache Jesu geht weiter. Deshalb ist es wirklich wichtig, dass wir zu Weihnachten auf ein Kind schauen dür192
fen. Ein Kind steht am Anfang, es hat einen Weg vor sich. Auf einem Kind ruhen Hoffnungen und Erwartungen: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.“ Das heißt, die Geschichte geht weiter, Gott hat mit seiner Menschheit noch etwas vor. Wenn es wirklich Gottes Wille ist, dass es den Menschen gibt, dass er sich entfaltet und immer mehr er selbst wird, dann ist es gut, auf ein Kind zu schauen und darauf zu vertrauen, dass es die Welt einen Schritt weiterbringt. Die Weihnachtsbotschaft besagt: Gott ist nicht einer, der wie heutige Machthaber droht und ängstigt, sondern einer, der neues Leben will, der Mut macht und die Welt nach vorne führt. Vielleicht ist es eine heilsame Ratlosigkeit, die der Gegenwartsmensch gegenüber dem Weihnachtsfest empfindet. Wenn es ihm aufgeht, dass es bei diesem Fest um unsere Welt geht, ist schon viel gewonnen. Es geht nicht um eine ferne Vergangenheit, sondern um unsere Gegenwart und Zukunft.
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Er kam in sein Eigentum: Er kam in unsere Zeit, die seine Zeit ist. Er kam zu uns heutigen Menschen, die seine Menschen sind. Er kam zu mir, der ihm als Eigentum gehört. Und nun könnte es doch noch tragisch werden, wenn wir uns rücksichtslos fragen: Was ist aus diesem Menschen, der ich bin und der Gott gehört als Eigentum, in dem Christus schon so oft geboren wurde, tatsächlich geworden? Was habe ich von Christus aufgenommen, wie viel? Hat das heurige Weihnachten dafür gestanden? Was habe ich von Weihnachten mitgenommen? Es hat dafürgestanden, wenn wir nur eines mitnehmen: den Willen zur Selbstentfaltung als Mensch. Das beinhaltet: den Willen zur Einfachheit – sprich Armut, den Willen zur Menschenfreundlichkeit, den Willen zum Worte und zum Kinde. Das Wort und das Kind wollen wachsen! 194
Einsprechungen Gottes [ Dreifaltigkeitssonntag ]
Mein Jahresthema bleibt immer noch „Gottes Bürde“. Ich möchte in den folgenden Predigten noch manche menschliche Dinge und Menschlichkeiten besprechen. Heute über die Einsprechungen Gottes. Die Geistsendung war am Pfingstfest morgens um 10 Uhr mit dem Pontifikalamt nicht vollendet. Christus spricht: „Der Geist der Wahrheit wird euch in alle Wahrheit, in die volle Wahrheit einführen.“ Das geht die Kirche an, das geht jeden Christen an – sein Leben lang. Der Christ erfährt das Einführen in die volle Wahrheit auch durch die Einsprechungen des allmächtigen Vaters, des eingeborenen Gottessohnes, der unter uns Menschen lebte, und des Heiligen Geistes. Stimmt es nicht? Der Gott, der reine Aktion ist, ist pausenlos am Werk. Pausenlos gehen seine Wünsche und seine Einladun-
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gen und sogar seine Befehle in diese Welt und an uns Menschen. Wie oft hören wir im Laufe eines Tages die Stimme in uns: Diesen Blick sollst du dir nicht gestatten. Jetzt sollst du schweigen. Jener Brief hat Eile. Diesen Kranken sollst du besuchen. Hier sollst du großherzig sein. Jetzt sollst du ein Gebet sprechen. Gebiete deiner Phantasie! Dieser Film ist nichts für dich! Zu dieser Party gehst du nicht! Du hättest Zeit für die Werktagsmesse. Es wäre Zeit zu beichten. Arbeite gewissenhafter! Rede nicht soviel! Nun könntest du dich einmal überwinden. Solche Stimmen hören wir jeden Tag, wirklich an die hundert Male. Wir meinen oft, es sei bloß unser Gedanke, unser Einfall: manchmal kümmern wir uns darum, andere Male gehen wir darüber hinweg und raffen uns nicht auf. Dann haben wir kein gutes Gefühl. Wir haben eine gute Tat unterlassen, sind einer Einsprechung nicht gefolgt. Denn hier handelt es sich nicht nur um unseren Einfall und unseren Gedanken. 196
Wer hören kann, der weiß genau zu unterscheiden, was von uns kommt und was von weit her kommt. Oftmals scheint es, als beobachte Gott nur und registriere in seinem Kalender. Nur manchmal, an den Kreuzungen und Scheidewegen des Lebens, trete er deutlicher in Erscheinung und schicke seine Engel, um uns vor einem Unglück zu bewahren, des Leibes oder der Seele. Nein, Gottes Stimme ist an jedem Tage unterwegs, immer spricht er auf uns ein, immer mahnt er zum Guten. Ein alter Ruf der Kirche ist es: „Von der Vernachlässigung deiner Einsprechungen erlöse uns, Herr!“ Wir können uns leicht ausmachen, welchen Reichtum ein Mensch sich in seinem Leben schafft, der oftmals tut, was Gottes Stimme flüstert. Wir können uns aber auch ein Bild davon machen, wie leer es in einer Seele aussieht, die dieser Stimme trotzt oder widerspricht. Und nicht nur leer. Alle diese vielen kleinen guten Gedanken sind, wenn sie von Gott kommen, auch 197
Gnaden Gottes. Werden sie angenommen, dann breiten sie manches Glück und manchen Frieden über die Seele. Werden sie abgewiesen, dann können sie auch gefährlich werden: denn entweder sind sie eine Einladung Gottes, dann ist die Verweigerung ein Stehenlassen Gottes, oder sie sind ein verpflichtender Anruf des Herrn, dann ist das Neinsagen eine eigentliche Abkehr von Gott, kleiner oder größer. Freilich wird Gott wiederkommen durch einen Gedanken, durch ein gedrucktes Wort, durch eine allzu vertraute und alltägliche Menschenstimme, bei Tag oder Nacht, einmal leise, einmal schrill, einmal lockend, einmal drängend – vor allem dort, wo etwas in der Seele in Ordnung gebracht werden muss, und wo ein falscher Weg begangen wird. Gott lässt es sich nicht verdrießen, wieder und wieder zu kommen, ergebnislos. Er wird die Psychologie des Menschen berücksichtigen, er wird immer warten können – bis zum Tode des Menschen, aber ob der Mensch seinen Tod und die Gnade Gottes wahrnehmen kann? 198
Ein Wort des Pfarrers von Ars: „Wenn man die Verdammten in der Hölle fragte, warum seid ihr in der Hölle, so antworten sie: weil wir dem Heiligen Geist widerstanden haben. Und fragte man die Heiligen des Himmels, warum sie die Seligkeit besitzen, so würden sie antworten: weil wir auf den Heiligen Geist gehört haben.“ Auf das Hörenlernen und Gehorchenkönnen kommt es an! Aber auch dann kann die Gnade gefährlich sein. Ein Leben, das sich – mit vollem Hausverstand – den Weisungen Gottes überlässt, wird gewiss zu einem großen und inhaltsreichen Leben. Nun sind Gebirgswanderungen gefährlicher als Wanderungen über die Ebene und durch sanfte Hügellandschaft. Die Berichte über die Versuchungen von Heiligen sind nicht immer bloße Übertreibung. Jede Art geistiger Überhebung, jede Spur von Verachtung widerspricht dem innersten Wesen der Hingabe an Gott und kann rasch zu einem Absturz führen. Das darf man nicht übersehen. 199
Darüber hinaus ist es ein überaus liebenswertes Mysterium, dass uns Gott in unserem Alltag begleitet und uns an Leib und Seele behüten will, weil für den Menschen viel auf dem Spiele steht. Mögen die Gnaden Gottes gefährlich sein: wer weiß, was Gnade ist, wird sich vor der Gnade nicht fürchten. Im Tiefsten ist sie Liebe. Und erst mit der Liebe wird das Leben nicht fad und leer. Liebe ist das, was von Gott kommt, und Liebe soll das nicht sein, was auf diese Liebe Gottes vom Menschen her antwortet. Dann begibt sich der Mensch sicherlich in ein Abenteuer, immer dann, wenn er liebt – und doch nur dann, wenn er die angebotene Liebe wegschleudert und veruntreut. Wo sie angenommen wird, dort ist sie es gerade, die viele Gefahren des Menschen bannt, dort ist sie es, die dem Menschen zu seinem echten Lebensreichtum, zur Fülle und zum Gottesfrieden verhilft. Eine beglückende Lehre der Kirche: Gott, der gute und treue Ratgeber des Menschen, bis in die Stunden und Kleinigkei200
ten des Alltags, das Wirken des dreifaltigen Gottes an uns. Die Geistsendung war am Pfingstfest morgens um 10 Uhr nicht vollendet. Der Geist der Wahrheit will uns in alle Wahrheit eines guten und vollen Lebens einfĂźhren. Es ist eine hohe Kunst, horchen und gehorchen zu kĂśnnen.
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Süchte im Menschen [ 11. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
„In der Stadt lebte eine Sünderin!“ Ein lapidarer Satz. Er steht für viele, für Männer und Frauen, Menschen, die sich verloren haben, die ihren Gelüsten verfallen sind. „In der Stadt lebt eine Sünderin!“ Wie es zu ihrer entarteten Liebe kam, die sie hieß, wahllos nach Männern zu greifen? Gott hat es so eingerichtet, dass der Mensch an jedem Tage Hunger hat, nicht nur Hunger nach Brot. Gott hat es so eingerichtet, dass der Mensch an jedem Tag Sehnsucht hat. Ein ganzes Bündel von Neigungen, Gewohnheiten, Sachen und Menschen, nach denen der Mensch hungert, und Triebe im Menschen, die nie zu hungern und zu dürsten aufhören wollen. Wenn man sich dann von diesen Dingen, die so harmlos sein können wie Wasser, so abhängig machen lässt, dass man glaubt, 202
ohne sie nicht mehr leben zu können, obgleich sie objektiv nicht in diesem Maße oder in gar keiner Weise notwendig sind, wenn man ihnen freien Lauf gibt und sie sich hinbegeben können, wohin sie ziehen, dann spricht man von Sucht. Wir alle kennen die Süchte. Sie mögen im Vergleich zu anderen Menschen bescheiden und harmlos sein, aber wir haben sie. Die vielen Menschen, die an ihrem eintönigen Leben leiden, hoffen im Vergnügen eine Erfüllung zu finden. Die ungelösten Spannungen des Gefühlsgehemmten werfen sich auf den Krimi. Wir kennen den leichten Auftrieb, der von einem Lungenzug oder von einem Glas Wein ausgeht, die Spannung des Spiels oder des Kreuzworträtsels, die ganz andere Welt, die uns im Theater überfällt. Der Mann mit Sorgen und Schulden, der zu Hause wenig Halt und Verständnis findet, sucht seinen Trost in Alkohol und Kartenspiel. Wir alle kennen diese und viele andere Süchte, die auch uns von Zeit zu Zeit überfallen oder auch ständig da sind, wäre es allein die Lesesucht, die Putzsucht, die 203
Fernsehsucht, Medikamentensucht, Arbeitssucht, Redesucht, Autosucht, Nörgelsucht, Wandersucht....... Wie diese Süchte entstehen? Sie weisen hin auf ein Vakuum im Menschen, sie treten fast immer bei Menschen auf, die sich irgendwie unbefriedigt wissen, verlassen oder leer, und deshalb nach einer Geborgenheit und Sättigung suchen. Das Kind, das zu wenig Zärtlichkeit verspürt, lutscht am Daumen. Der einsame Mensch, auch wenn er gar nicht einsam ist, greift nach etwas außerhalb seiner Person, das ihn mit einem neuen Gefühl überflutet, das seine Einsamkeit und Ungeborgenheit vergessen lässt oder lindert. Der Psychologe Peter Szondi sagt: „Die Sucht ist eine permanente Prothese für die veruntreute Mutter.“ Die Sucht gibt wenigstens Antwort auf unsere Not, sie gibt wenigstens wieder ein Gefühl in uns hinein, sie ersetzt irgendwie eine Person, sie ist ein Roboter, der uns die Illusion des Nichtalleinseins gibt. 204
Liegt nicht gerade hierin die Gefahr? Nicht die chemische Giftwirkung, nicht die Gefäßstörung oder gar der Lungenkrebs machen die Sucht gefährlich, sondern dass man sich durch ihre Illusion an eine unpersönliche Macht ausliefert, dass man mehr und mehr von seiner eigenen Persönlichkeit verliert und die eigene Freiheit. Wir reden vom Alkoholteufel, Geldteufel, Spielteufel – und es sind heute eine Reihe neuer Teufel hinzu gekommen. Die InternetSucht ist nur eine von ihnen. Der Süchtige ist wie von einem Dämon besessen und wird von ihm in seinem Willen überwältigt. Mit der Zeit wird er unfähig zu echten, persönlichen Beziehungen. Der einsame, leere Mensch wollte gerade durch die Sucht seiner Einsamkeit und Leere entgehen, ist aber durch sie erst recht leer geworden und unfähig, Gemeinschaft mit Menschen zu haben. In den Märchen kommt immer wieder das Motiv des Menschen vor, der wegen eines Vorteils seine Seele dem Teufel verschreibt. 205
Das ist haargenau die Situation der Sucht. Um Geborgenheit vorzutäuschen, ist der Mensch immer wieder in Gefahr, seine Seele dem Teufel zu verschreiben, und mag dieser Teufel auch nur ein kleines Teufelchen sein: auch bei einem Teufelchen ist man nicht geborgen. Wir leben heute in einer Welt, die ganz von der Sucht nach Geld, Ehre, Macht, Sicherheit, Erfolg, sexueller Hörigkeit entbrannt ist. So wundern wir uns nicht, dass damit auch keine Beziehung zu Gott mehr gefunden wird, dass die menschliche und göttliche Gemeinschaft unmöglich wird. Von Zeit zu Zeit sind wir alle süchtig, weil wir mehr oder weniger alle von Einsamkeit und Leere befallen werden. Allein wie schnell befinden wir uns im Teufelskreis der Selbstgerechtigkeit des Pharisäers, die über Mitmenschen zu Gericht sitzt und feststellt, dass es sich bei vielen Zeitgenossen doch um recht verwerfliche Lebewesen handelt, von denen wir uns auffallend abheben!
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Es gehört ein feines Beobachtungsvermögen dazu und viel Selbstkontrolle, will man nicht oder nicht weit entfernt einem der vielen Teufelskreise verfallen. Dort, wo wir es verstehen, unseren verschiedenen, verständlichen menschlichen Sehnsüchten eine feste Grenze zu setzen, wo wir mit Erlaubnis des eigenen Ich vom Erlaubten manchen kleinen Abtrag tun, dort wird es gelingen, dem Mitmenschen in seinem Recht an uns keine Grenzen zu setzen und ihn zu keinem „Blutvergießen“ zu zwingen, dort wird auch unsere Gottesbeziehung nicht zu leiden haben. In der Stadt lebte eine Sünderin. Ihre entartete Liebe griff solange wahllos nach Männern, bis sie die Füße Jesu geküsst hat; dann war ihre Sucht geheilt, auf immer. Ein gutes Rezept für unsere menschlichen Verlangen und Sehnsüchte.
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Lob der Schwierigkeiten [ 12. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
Das Leben ist sehr freigebig mit Schwierigkeiten. Bis die Berufsausbildung vollendet, ein Lebensposten errungen, ein Geschäft floriert, bis eine Organisation gegründet, ein Haus gebaut, bis ein Kind erzogen, ein Buch geschrieben und ein Kunstwerk gelungen ist. Bis dorthin immer Schwierigkeiten. Vor jedem Gelingen, vor jedem Erfolg, vor jedem Werk. Goethe hat gemeint, das Leben sei das ewige Wälzen eines Steines, der immer wieder von neuem gehoben werden will. Leider, so sagt man – Gott sei Dank, so sollte man sagen. Alles lässt sich von zwei Seiten betrachten. Auch die Schwierigkeiten. Man kann dabei stöhnen, die Hände ringen, die Augen verdrehen, kleinlaut zusammensinken und mutlos kapitulieren, aber man kann sich auch straffen, sich aufrecken, ein mutiges „Trotzdem“ sagen. Es ist gut für uns, dass wir Schwierigkeiten haben, dass uns nicht zu viel geschenkt
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wird. Schwierigkeiten machen stark, das ist die tägliche Erfahrung. Völker in Reichtum und Luxus verweichlicht werden dekadent, sinken ab, der Barbar aus dem Urwald übernimmt die Führung, baut eine neue Kultur. Es ist dem Menschen nicht gut, ohne Schwierigkeiten zu sein, weil Schwierigkeiten beschenken. Was schenkt uns die Schwierigkeit? 1. Sie gibt Kraft und Energie, wenn man sie nicht scheut. „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“: es liegt eine Wahrheit in diesem Spruch. Wer ringen muss, wer nach geringeren Schwierigkeiten immer größere überwindet, der bekommt das kräftigende Bewusstsein: es geht, ich bin fertig geworden. Schließlich kann man mit allem fertig werden, wären es auch schwere Schicksalsschläge. Habe ich die kleinen Hindernisse genommen, werde ich auch die größeren und großen nehmen. Aus diesem Bewusstsein wächst das so notwendige Selbstbewusstsein.
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2. Schwierigkeiten geben Härte. Im Leben geht es nicht ohne Härte ab. Alles will erkämpft sein. Aber jeder Mensch beginnt als Romantiker, baut Luftschlösser, lebt in Träumen. Die Zukunft scheint auf ihn zuzuschreiten. Doch da kommt die Schwierigkeit, spannt ihn in die Pflicht, zwingt ihn zur Anstrengung. Jetzt wird ein Charakter gehärtet, ein fester Wille geschmiedet. Die Züge werden straffer. Aus dem Kinde wird der Mann, die Frau, sie stehen mit dem gehörigen Lebenstrotz im Dasein. 3. Wie sollen wir unsere Schwierigkeiten sehen? Jedenfalls ohne naive Verwunderung. Uns als selbstverständlich. Ohne viel Aufhebens davon zu machen. Es wundert sich niemand über die tägliche morgendliche Prozedur. Der Sportler wundert sich nicht, dass er täglich auf die Piste oder in die Arena muss. Berufliches, künstlerisches Können ohne Widerstände? Leistung, Erfolg ohne Widerstände?
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Wer jammert, macht es sich schwerer. Die Selbstverständlichkeit, ist selbstverständlich. So bleibt man ruhig. 4. Wie werden wir mit den Schwierigkeiten fertig? Die Zielergriffenheit ist wichtig. Ich muss lebhaft von der Überzeugung erfüllt sein: Was ich tue, was ich will, was ich muss, ist wertvoll, es ist zum Wohle anderer Menschen, es ist zu meinen Gunsten. Es ist einfach Pflicht, gebieterische Notwendigkeit der Stunde, also lohnt sich auch der Einsatz. Ein Werk, eine Leistung, die mein vorauseilender Blick in der Vollendung schaut, überströmt schon jetzt meine Seele mit Genugtuung, mobilisiert meine Initiative und Tatkraft. Die schlummernden Energien werden zur Angriffsfähigkeit und Zähigkeit geweckt. Im Anfang war das Wort, der Geist. Das gilt auch für die Bewältigung jeder schwierigen Aufgabe.
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Zielergriffenheit ist die Initialzündung, die ankurbelnde Kraft des Willens. Wo ein zäher Wille, dort ist auch ein Weg. Waren nicht alle großen Könner Zielbesessene? Vor dem Forscher, vor einem Robert Koch, ist die Möglichkeit der Entdeckung eines todbringenden Bazillus aufgeblitzt. Vor seinem geistigen Auge steht eine Tat, die der leidenden Menschheit zu unermesslichem Segen werden wird. Doch vor der Verwirklichung türmen sich Berge von Schwierigkeiten, zahllose durchwachte Nächte unablässiger Forschungstätigkeit. Aber das große Werk trägt, lässt durchhalten und bringt tatsächlich durch alle Enttäuschungen hindurch den großen Erfolg. Vor der großen Theresia von Avila steht die Reform des Ordens. Sie fühlt sich als schwache Frau, mittellos, unfähig für die endlosen Verhandlungen. Aber der Gedanke, Klöster entstehen zu lassen, in denen nach aller Verwilderung wieder das reine Lob Gottes erklingt, lässt sie alle Schwierigkeiten überwinden. 212
Im großen Werk von geschichtlicher und menschheitlicher Bedeutung wie in der bescheidensten geschwisterlichen Tat des Alltags ist diese Zielergriffenheit der Grundquell der die Schwierigkeiten meisternden Kraft. Wir sollen die Schwierigkeiten loben. Allzu mildes Klima erschlafft. Die südliche Weichheit Afrikas wurde den Goten zum Verhängnis. Auch der innere Mensch braucht das raue Klima der Schwierigkeiten, er braucht Berge und Gipfel, die letzten Mut und verbissene Anstrengung herausfordern. In der Windstille der Mühelosigkeit liegen auch unsere Schiffe untätig und regungslos. Wir sollen die Schwierigkeiten loben. Wir brauchen sie. Sie sind immer wieder Erweckung. Sie wecken Kampfgeist und Trotz zum Durchhalten. Ob wir auch stöhnen, wir wachsen an den Schwierigkeiten in die Tiefe des Willens, in die Fruchtbarkeit der Werke.
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Ich habe bei dieser Predigt auch an unsere privaten, religiösen und charakterlichen Schwierigkeiten gedacht – und an die allgemein kirchlichen. Es ist keine Kunst, den Trend zur christlichen Bequemlichkeit und zur Auflösung des Christentums mitzumachen. Richtig christlich ist nur eines: in der Treue zu Christus an den Schwierigkeiten erst recht zu wachsen – zum Christen, zum Charakter, zum Menschen.
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Beruf [ 13. Sonntag im Jahreskreis – Lesjahr C ]
Was den Menschen in seinem Glücklichsein oder Unglücklichsein bestimmt, sind Werte. Ein werterfüllter Mensch ist glücklich, ein Mensch, der nicht mehr von Werten ergriffen ist, ist unglücklich. Wo keine Werte mehr im Leben gesehen werden, da beginnt die Wüste. Die Welt ist voller Dinge, die wertvoll sind. Aber es gibt echte Werte und Scheinwerte. Die Werte der Jugend sind nicht mehr die des Alters. Unechte werden von echten abgelöst, so muss es sein. Der Mensch sollte in immer tiefere Werte hineinwachsen. Die Frage nach den Werten, nach den wahren Lebenswerten ist deshalb überaus bedeutungsvoll. Haben wir Kennzeichen, um größere von kleineren und wirkliche von scheinenden Werten zu unterscheiden? 1. Die großen, echten Werte können nur Werte der Seele sein. Denn der Mensch ist zutiefst Seele. Werte, die nicht hinab bis 215
ins Innerste dringen, ihn dort ergreifen, sättigen und beglücken, sind oberflächliche Werte. Nie wird ein Mensch auf die Dauer mit Befriedigung aus nicht-seelischen Werten leben können. Denn der Wert bleibt ja draußen. 2. Die großen, echten Werte können nicht außerhalb des Naturgesetzlichen, außerhalb der Ordnung Gottes liegen. Gott hat die Welt so eingerichtet, dass nur das Bleiben in seiner Lebens- und Weltordnung Harmonie, Ruhe und Glück bringen kann. Auch das Verbotene, auch der sündige Genuss und Besitz haben ihre Werte, aber weil sie außerhalb der Ordnung Gottes liegen, kranken sie am Fluch der Unordnung, sie führen den Menschen zwangsläufig in Unruhe, Zerrissenheit und Chaos. Der Beruf sollte einer der echten und beglückenden Lebenswerte sein. Er ist jener Wert, der ein Leben am umfassendsten trägt, der Erfüllung und Beglückung nicht nur am Rande des Daseins ist, sondern aus der eigentlichen Mitte schenkt. Wo er fehlt, ist Leere und innerstes Unbefriedigtsein. Wo er Hingabe aus innerster Lust ist, 216
gibt er Freude, die kaum je an Tiefe alltäglicher und stündlicher Befriedigung von einer anderen Freude erreicht wird. Schauen wir den Bauer, der mit der Seele in seinem Beruf arbeitet. Das Leben seiner Saaten, Bäume, Tiere, ist ein Stück seines eigenen Lebens. Was er arbeitet, ist wirklich Kultur im ursprünglichen Sinne. Er pflegt und hegt ein Stück Natur, damit sie unter seinen Händen sich veredle und Früchte bringe. In diesem Bemühen lebt er und sein Beruf ist sein Glück! Die Krankenschwester, die mit Leib und Seele in der Pflege steht, die restlos ‚Helfen-Wollen‘ ist, die sich im Dienst an den Kranken verausgabt und den Genesenden aus dem Krankenhaus begleitet, als ob sie selber gesund geworden wäre: ihr Beruf ist ihr Glück! Wer immer in seelischer Verbundenheit mit seinem Beruf steht, ihn als die Aufgabe seines Lebens ansieht, mag er sein, was er will, der wirkt in einem der größten Lebenswerte, der Grundwert ist, der ihn stän217
dig und bleibend überall trägt. Er tut ein Werk der Liebe im Dienste der Mitmenschen. Und dieses Bewusstsein gibt seinem Dasein die Mitte, die feste Gehaltenheit im schwankenden Auf und Ab des fließenden Lebens. Aber seinen Beruf soll man als Beruf lieben! Man soll die seinem Beruf eigentümlichen Möglichkeiten des Wertschaffens und Dienenkönnens lieben. Was für Werte geschaffen werden, ist an und für sich gleichgültig. Im großen Haushalt der Menschheit ist jede gute Leistung und jeder nützliche Dienst notwendig. Ob einer Häuser oder Maschinen baut, Kohlen fördert, oder Traktoren produziert, dienend wirkt in Geschäft, Handwerk, Haus, Büro, Straße oder Kirche: das Lied der Arbeit und des Berufes ist und muss bleiben das Hohelied des Menschen. Seinen Beruf sollte man als Beruf lieben! Schrecklich, wenn das Büro nur der Wartesaal ist, wo man verdrossen die Zeit absitzt – bis zur nächsten Gehaltserhöhung, 218
Beförderung oder Pensionierung oder auch nur Dienstschluss, wo im Parteienverkehr, am Schalter der persönliche Mensch nicht mehr interessiert! Als Lebenswerte müssen Arbeit und Beruf erscheinen. Hier seine ganze Kraft und freudige Hingabe einsetzen. Mit Initiative und Erfindungsgeist an der Vervollkommnung seines Könnens arbeiten. Gediegenes herausbringen wollen, Bestes zu leisten sich bemühen. Der Könner – und wäre es auf dem einfachsten Gebiet – wird immer geschätzt. Der freundliche Könner noch viel mehr. Und kann nicht ein einfacher Seelsorgspriester in seiner priesterlichen Hingabe an seinen Beruf oft in größere Tiefen wirken als sein Bischof? Gilt nicht das Gleiche von allen Berufen? Die Hingabe an seinen Beruf ist einer der größten Lebenswerte. Da wird Vergnügen, Zerstreuung und Urlaub wirklich als Erholung und schöpferische Pause gesucht und
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nicht als Selbstzweck. Aber der Beruf soll gekonnt sein und geliebt. Wo er jedoch nicht geliebt werden kann, weil er zu unpersönlich und langweilig ist, dort ginge es darum, Geist in ihn hineinzugießen, Geist, der auch zwischen den Zeilen eines Aktenstückes Platz hat oder am Fließband. Geist, der sich zumindest in die Atmosphäre des Arbeitsplatzes ergießt, eine herzliche und bekömmliche Atmosphäre schafft. Mit Musik geht alles leichter – heißt es – und die Musik des Herzens darf immer spielen, diese frohen, optimistischen, ermutigenden Weisen, die aus einer erhabenen Seele quellen und das tote Material einer noch so trockenen Arbeit zum Klingen bringen. Schließlich darf und muss man den Beruf nicht so sehen: Beruf ist Sendung Gottes? Die Sendung zum Schaffen, zum Freuen, zum Heilen und zum Helfen.
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Sorgen [ 14. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
Der Apostel Paulus schreibt: „Wir wissen ja, dass alle Geschöpfe seufzen und in Wehen liegen bis auf den heutigen Tag.“ Deshalb hat der Mensch seine Sorgen. Niemand ist, der keine Sorgen hat. Am hellen blauen Jugendhimmel steht schon das Schülerbangen um Platz und Leistung. Mit den steigenden Jahren reiht sich Ring an Ring an der nicht mehr abbrechenden Sorgenkette des Lebens. Berufswahl, Stellungssuche, die Sorgen der beginnenden Liebe, Bekanntschaft, Ehe, Elternsorgen und Sorgenkinder. Und über all den persönlichen Sorgen die Sorge um ein geliebtes Werk, um Heimat, Politik, Kirche und Kultur. 1. Die Sorge ist eine große Lebenswirklichkeit, eine große Daseinsmacht. Niemand kann ihr entrinnen. Denn die Sorge entsteigt dem innersten Wesen unserer Existenz. Die Natur des Lebens und der Welt ist ein ewiges Gefährdetsein, ein stän-
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diges Bedrohtwerden durch Krankheit, Tod, Armut, Not, Krieg, durch die Unsicherheiten des Lebens und die Härten des Daseinskampfes – und das in einer Welt, die immer kleiner und enger wird. 2. Die Sorge ist eine Schicksalsmacht, die wie kaum eine andere das innere Sein des Menschen gestaltet und prägt, sein geistiges und geistliches Antlitz formt. Das innerste Gefühlsleben, das eigentliche Glück oder Unglück, das verborgene Schicksal jedes Menschen hängt doch zu einem großen Teil davon ab, wie er zu seinen Sorgen steht. Seine Haltung zur Sorge lässt oder gibt ihm Freiheit oder versklavt ihn. Ob einer Frische des Geistes oder Spannkraft des Herzens bewahrt: die Art seines Sorgens entscheidet darüber. „Die Sorge führt vor der Zeit das Alter herbei“, sagt schon das Buch Jesus Sirach. Zeigt uns das Leben nicht immer sorgengebleichte Menschen? Menschengesichter, die die verzehrende Sorge eigentlich gemeißelt hat?
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Die Sorge ist unentrinnbar. Es gilt, sie zu meistern aus christlicher Sicht und christlicher Kraft, aus der Gnade des Glaubens. Der Herr selber hat dazu Stellung genommen, der doch uns als der Meister des Lebens gelten muss. Welche ist die reife, christliche Haltung zur Sorge? 1. Bleiben wir bei der Wirklichkeit! Wir wollen keine Illusionisten sein. Erstreben wir uns kein völlig sorgenfreies Leben. Erträumen wir uns auf der Erde keine Insel der Seligen, die keine Sorge mehr betreten darf! Die Sorge bleibt. Finden wir uns damit ab. Die Sorge darf bleiben, oft ist es für uns gut. Sie hält uns vor manchem Übermut und mancher Übertretung zurück. Sie hält uns nüchtern. 2. Machen wir uns keine unnötigen Sorgen! Ein Geisteslehrer pflegte zu sagen: „Drei Viertel Einbildung!“ Jeder Mensch, der auf sein Leben zurückblicht, wird sich eingestehen müssen: wie oft habe ich mich grundlos gesorgt, wie lange Zeit mir das 223
Leben verdüstert, wie oft mich um etwas abgesorgt – und es ist doch etwas Gutes, ja wider Erwarten etwas Gutes herausgekommen dabei. Unnütz sind auch die Sorgen, die nicht in unserer Hand und Kraft gelegen sind: ob wir lange leben, ob wir einen geruhsamen, heiteren Lebensabend verbringen dürfen, was die Zukunft bringt. Diesen Sorgen gilt das weise Wort Christi: „Wer von euch kann mit seinen Sorgen seinem Leben auch nur eine Elle hinzufügen?“ 3. Halten wir eine richtige Rangordnung in unseren Sorgen ein: „Suchet zuerst das Reicht Gottes, und alles andere wird euch nachgeworfen werden!“ Wirklich ein sorgenbrechendes, befreiendes Wort Christi! Wie viel kleines, kleinliches, selbstsicheres Sorgen fällt in sich zusammen, wo die Seele durchstößt zu der ersten und gewichtigen Sorge um das Reich Gottes in uns und in anderen. Wer sich selbst zu vergessen vermag, wer über sich hinausschreiten kann, wer die 224
Interessen Gottes, das Wohl seiner Mitmenschen, die größere Liebe und größere Gerechtigkeit zu seiner Hauptsorge machen kann, wer sich an Werke und Aufgaben verschenkt, die sich der Hingabe lohnen, der schreitet aus viel unnützem Sorgen in eine beglückende Freiheit der Seele hinein. Was vom Leide gilt, gilt auch von der Sorge. Die wirklich großen, echten Sorgen um menschlich und göttlich Großes erziehen und lassen den inneren Menschen reifen. Die selbstgemachten Sorgen ums kleinliche Ich bedrücken und verdüstern. Aber die wirklich schweren irdischen Sorgen? Die Gatten-, Ehe-, Eltern-, Existenzsorgen? Es scheint billig, aber von ihnen gilt das Wort des Psalmisten: „Wirf deine Sorgen auf den Herrn, er wird dich erhalten!“ Stehen wir vor großen Schwierigkeiten und Bedrohungen, dann wenden wir alle Klugheit, Umsicht, alle Kräfte der Liebe und Güte, der Langmut und Tatkraft auf, um den 225
Schwierigkeiten zu Leibe zu rücken. Was sich aber nicht lösen lässt, das sollen Christen vor den Herrn tragen und es vertrauensvoll in seine Hände übergeben. Auch von der Sorge heißt es: nur keine Isolierung! Nach der Aussprache mit dem erprobten Freund soll die Sorge vor Gott getragen werden. Er nimmt uns nicht alle Sorgen ab, aber er hilft sie tragen. Wo das Vertrauen die Sorgen der Allmacht Gottes übergibt und gläubig seiner väterlichen Vorsehung überlässt, da ist die Sorge aus Einsamkeit, Verlassenheit, aus Zermürbung und Verdüsterung, aus der Rast- und Ausweglosigkeit herausgetreten – und es zieht jene großartige Ruhe, jener göttliche Friede in die Seele ein, von dem der Glaube weiß: der Herr sorgt für dich. Vier kleine Imperative: 1. Bleiben wir bei der Wirklichkeit! 2. Machen wir uns keine unnützen Sorgen! 3. Halten wir die richtige Rangordnung ein! 4. Werfen wir die Sorgen auf den Herrn!
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Die Last des Bruders [ 15. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
Die Botschaft ist uns allzu bekannt. Aber sie ergreift uns. Auch deshalb, weil es heute und immer die Räuber des Lebens und die Mörder des Menschen gibt, die Unverantwortlichen am Lenker, die mit Fahrerflucht Gezeichneten. Die Frage ist heute sehr dringlich zu beantworten und zwar von jedem: Wer ist mein Nächster? Das Evangelium bedeutet, dass für Gott der Mensch mehr ist als ein kleines Geldstück oder ein Schaf aus der Herde. Für Gott ist der Mensch ein Geschöpf. Geschöpf – ein hässliches Wort mit einem herrlichen Sinn. Geschöpf – man kann da hinein alle Verachtung legen, um dieses Geschöpf hinweg- und hinauszuschleudern wie einen Stein oder wie ein Glas, das man im Zorn an die Wand wirft, und das in hundert Scherben zerstiebt. „Geschöpf Gottes“ aber hat einen ehrfürchtigen Klang.
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Das ist mit viel Geist, mit viel Liebe und mit viel Kunst gebastelt – wäre es nur ein kleiner Käfer. Da hat ein Geist gedacht, eine Liebe geküsst und eine Kunst geformt. Das ist von der Erde genommen und vom Himmel gearbeitet. Auch das Ewige ist darin, der Hauch Gottes, die Seele, die bleiben soll und bleiben muss wie Gott selbst. Die Herrlichkeit Gottes ist in einem Geschöpf wie der Mensch, und seine Macht, seine Heiligkeit und seine Güte, sein Geist wie sein Herz, seine Augen wie sein Mund. Der Mensch: Tempel des Heiligen Geistes. Der ihn geschaffen, ist der Vater, und deshalb sind alle, die von ihm geschaffen, Brüder und Schwestern. Denn er ist der Vater aller. Brüder und Schwestern – sind sie es? Zwei Bilder: Das erste aus dem Alten Testament: Kain und Abel waren gleiche Brüder. Sie legten das gleiche Opfer auf ihren Altar. Da erwachte in Kain die Eifersucht und der Neid. Und der Hass erschlug den Bruder.
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Das zweite Bild aus dem Neuen Testament: Der verlorene Sohn und sein Bruder waren gleiche Brüder und erhielten das gleiche Erbteil, das ihnen ein gesichertes Leben geben sollte. Aber der eine forderte sein Erbteil vom Vater, zog in die Fremde und verprasste es mit Freunden und Dirnen, bis er froh darum war, das Futter der Schweine zu essen. Wäre es zu derb, diese beiden Skizzen auf die heutige Situation anzuwenden? Die blutige Tat Kains wiederholt sich an fast jedem Tage im eigenen Lande, sei es mit Keulen oder Hacken, mit Messern oder chirurgischen Instrumenten, und durch moderne Verkehrsmittel. Weit häufiger noch die geistigen Brudermorde: der Mord am Konkurrenten, die Morde der Zeitungsschreiber an Politikern und Mitbürgern, der Rufmord, der geistige Kindermord durch eine falsche, gottmissachtende Erziehung – bis zu den bösen Gedanken, die, wenn sie töten könnten, keinen von uns am Leben gelassen hätten.
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Neben diesen unzähligen toten Brüdern und Schwestern schauen wir die Unmasse aller jener, die – sei es aus Unverstand oder bösem Willen – aus dem Vaterhause Gottes ausgezogen sind, ihr seelisches Erbteil im wahrsten Sinne mit Freunden, Buhlern und Dirnen verprassen in geistiger Fremde, die sich fern von ihren Brüdern und Schwestern aufhalten und nicht gewillt sind, zum gemeinsamen Vater und zu ihren Brüdern und Schwestern heimzukehren. Ungleiche Brüder sind wir geworden, jedes Mal, wenn Brüder sich von uns trennten und eigene Wege gingen. Und sie bleiben doch unsere Brüder, solange wir mit ihnen auf der Erde leben. Die Last des Bruders, die Last der Schwester lastet heute viel schwerer auf uns, weil die geistige Auswanderung so starke Ausmaße angenommen hat. Wir wohnen und leben mit Menschen zusammen, von denen uns Welten trennen – oft in der eigenen Familie. Wir sind im Hause des Vaters geblieben und es geht uns nicht schlecht! Wir sitzen 230
am Tisch des Vaters und genießen seine Gunst und seine Gnaden im vollsten Maße. Wir haben alle Mittel, die nötig sind, auch in die ewige Wohnung beim Vater einzuziehen. Der ganze Reichtum Christi umgibt uns. Aber der Bruder in unserer leiblichen Nähe und zugleich in der geistigen Ferne: Wie leicht ersteht in uns die Verachtung, weil der Bruder heute wild-modern ausschaut, weil er so widerspenstig und frech sein kann, so stolz und so niederträchtig, so frivol und so rücksichtslos. Würden wir dann nicht ein Geschöpf Gottes verachten – mit seinen Augen und mit seinem Herzen? Als Charles de Foucauld Mode wurde in den Sechziger Jahren, hat man die Präsenz hochgepriesen. Foucauld hat da nicht gepredigt, nicht evangelisiert, er wollte nur da sein und sein Leben mitten unter den anderen und mitten in der Wüste in voller Armut leben, um so das Leben Christi offenbar machen. Ob heute unsere Präsenz genügt gegenüber unseren Brüdern und Schwestern, die uns als Last aufgegeben 231
sind? Welche Wirkung hat es, wenn heute ein Priester in Collar und in Schwarz durch die Straßen geht, wenn eine Ordensfrau in ihrem Kleid erscheint? Genügt Präsenz? Der Samariter von einst hat den Verwundeten von einst nicht nur verbunden, sondern ihn auch in die Herberge gebracht und ihn gepflegt. Ob wir an unseren Brüdern und Schwestern genug tun, das ist die Frage. Ob wir nicht mehr tun müssten? Sich einfach abfinden: das ist nun heute so, so sind die Menschen, das ist die Zeit – so können wir sicher nicht argumentieren. Sich annehmen, sich des Geschöpfes Gottes annehmen, ich meine, das brauchen wir. Die Kirche gibt heute viel Dispensen und der Vater im Himmel gibt sicher noch viel mehr als die Kirche! Aber von der ganzen Strenge und dem großen Glück der christlichen Liebesverpflichtung gibt es keine Dispens und entbindet nichts. Denn dahinter steht die wunderbare Verheißung: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan, das habt ihr mir getan.“ 232
Die Last des Bruders – die Last des Geschöpfes: sich annehmen – mit Geduld. Der Bruder, die Schwester, sie sind es wert. Sich neuerlich annehmen.
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Grenzen der Liebe [ 16. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C ]
Wir kommen nicht selten in Verlegenheit: Wenn mit der Morgenpost die bettelnden Erlagscheine für die verschiedensten, sicher ernsten Anliegen und Werke ankommen; wenn wir angegangen werden, bei Menschen, denen man nicht ganz traut, eine Hilfe oder eine Vermittlung zu leisten; wenn Nachbarn etwas geliehen haben möchten und man weiß, dass man es schwer wieder zurückbekommt; wenn wir in Zeitmangel sind und eingeladen werden; wenn wir in unserer Freizeit bei Bekannten einen Dienst übernehmen sollen....... Wir möchten das Hauptgebot des Christentums loyal erfüllen, aber wie oft stehen wir unserer helfenden Liebe ratlos gegenüber. Wir kommen nahezu in Gewissenskonflikte. Wie weit kann und darf unsere Liebe gehen? 234
1. Scheint es nicht, als ob Christus in erschreckender Unbedingtheit die Nächstenliebe verlangt? Sie von keinen Rücksichten beschränkt wissen will? Liest man die Bergpredigt, so hat man den Eindruck, als ob Christus der Liebe tatsächlich keine Grenzen setzt: a) nicht der helfenden Liebe: „Wer dich bittet, dem gib! Wer von dir borgen will, den weise nicht ab!“ b) nicht der versöhnenden Liebe: „Jeder, der seinem Bruder zürnt, soll den Gerichten verfallen. Nicht sieben Mal, sondern 70 Mal sieben Mal musst du deinem Bruder vergeben.“ c) nicht der Feindesliebe: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die linke hin. Will dir jemand den Rock nehmen, lass ihm auch den Mantel. Nötigt dich jemand, eine Meile zu gehen, so geh zwei mit ihm!“ 2. Wir kommen mit unserer Nächstenliebe manchmal in Konflikt und in Verlegenheit: 235
„Wer seinem Bruder zürnt.....“ Wie weit geht dieses Gebot? Ist aufflammender Zorn über Niedertracht ein Unrecht? Darf ich einen Faulpelz nicht Faulpelz nennen und einen Gauner nicht Gauner? Ist jede Verweigerung des Grußes, jeder Abbruch gesellschaftlicher Beziehungen, jede Ablehnung einer Bitte bereits ein Verstoß gegen die Liebe? Die Aussprüche Christi wollen nicht geistlos nach dem Buchstaben genommen werden. Ihr wirklicher Sinn leuchtet aus dem Ganzen seiner Lehre und aus der Verdeutlichung seines gelebten Beispiels. Dann steht ein sehr vernünftiger Christus mit einer sehr vernünftigen Liebe vor uns. Christus kennt Grenzen der Liebe: 1. Grenzen hat bei Christus die Versöhnlichkeit: „Wenn dein Bruder gegen dich gefehlt hat, so geh hin und halte es ihm unter vier Augen vor. Gibt er dir kein Gehör, nimm noch einen anderen oder zwei dazu. Hört er auch auf diese nicht, dann sage es der Kirche. Hört er auch sie nicht, so ist er dir wie ein Heide.“ Man muss also um den Frieden mit dem anderen Menschen zwei236
fellos ringen. Prallt aber alles Zureden an seinem Eigensinn ab, dann überlässt man ihn sich selbst. Vielleicht wird das Leben oder die Zeit ihn zur Besinnung bringen. Der Pflicht der Versöhnung ist vorläufig genüge getan. 2. Grenzen hat bei Christus die Feindesliebe: es ist ein Schauspiel von erschütternder Mahnung, mit welch geduldiger Langmut und göttlicher Beherrschtheit Christus die Rücksichtslosigkeiten und Intrigen seiner Gegner ertrug. Aber einmal ist das Maß voll! Wie ein furchtbares Gewitter entlädt sich der Zorn des Herrn über die sogenannten Volksführer: „Ihr Heuchler, ihr übertünchten Gräber, ihr Schlagen- und Otternbrut!“ Schonungslos wird ihnen die Maske heruntergerissen und in beklemmenden Ausdrücken ihre innerste Verdorbenheit enthüllt. 3. Grenzen hat bei Christus die Freundesliebe: Petrus, der den Herrn aus falschem Mitleid von der Erlöserlaufbahn abzubiegen versucht, schleudert er das entsetzliche Wort ins Gesicht: „Geh weg von mir, Sa237
tan, du hast nicht Gottesgedanken, sondern Menschengedanken!“ 4. Grenzen hat bei Christus die geschwisterliche Liebe: Martha beklagt sich über ihre Schwester, weil sie ihr im Haushalt nicht hilft. Sie bekommt zur Antwort: „Nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt.“ Wo sind die Grenzen der Liebe? Was bestimmt Richtung, Form und Maß unserer Liebe? Nach Christus muss die Liebe von drei sittlichen Grundhaltungen geleitet sein: 1. Von der Gerechtigkeit. Das gilt von der Zuwendung der Liebe. Das erste Anrecht auf Liebe haben die Angehörigen, die Gatten, die Eltern, die Kinder. Gewiss soll aus der Familie viel Liebe und Herzlichkeit hinausgetragen werden, aber sie soll nicht weggetragen werden. Von Zeit zu Zeit ist die Frage immer aktuell, ob ein Glied der Familie in der Liebe, Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit vernachlässigt wird. 238
2. Von der Klugheit, die von Gott aus wertend das wirkliche Wohl des anderen im Auge behält. Das gilt von der Erziehung, welche Rücksichtslosigkeit, Egoismus und den falschen Weg nicht dulden kann. Das gilt von der von Christus auch gebotenen Eigenliebe – „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“: Liebe, die die eigene Gesundheit schützen muss, die sich auf die Dauer auch nicht ausnützen lassen darf, und die sich zur Wehr setzt, sobald Ungerechtigkeit und Intrigen die eigene Stellung, den guten Ruf gefährden. 3. Von der Verantwortung für das Gemeinwohl. Einer Gemeinschaft, eines Volkes und der Kirche. Das gilt von allen, die ihre Pflicht, in Liebe stark zu sein aus Gutmütigkeit und Schwäche versäumen. Das gilt von allen, die zu wachen und zu bewahren haben, die zur rechten Zeit das offene Wort sprechen müssen, um Schlimmes zu verhüten. Grenzen der Liebe – wo Christus sie gesetzt hat, müssen auch wir sie setzen. Und doch: die Liebe kennt keine Grenzen! 239
DIE „LETZTEN DINGE“ DREI PREDIGTEN ZU THEMEN DER ESCHATOLOGIE
Themen der Eschatologie wie Endzeit, Gericht, Tod sind nicht leicht. Sie sind vielleicht deshalb auch in der Predigt aus der Mode gekommen, wiewohl die neuere Theologie – und das mit auch recht lesenswerten Ergebnissen – durchaus sich damit beschäftigt. Ich hatte vor einigen Jahren diese drei Predigten gehalten, weil ich immer wieder mit Fragen aus meinem Hörerkreis konfrontiert wurde – und nach wie vor der Meinung bin, dass man diese Themen in der Verkündigung nicht ausschließen darf.
Tod ist Geburt Die Frage nach den Letzten Dingen ist die Frage aller nüchternen Christen. Vor und nach und am Todestage Christi wurde in aller Welt gestorben. Aber der Todestag Christi war das Ereignis der Welt ! Denn seitdem sind alle Tode auf diesen Todestag bezogen. Und wenn schon Berthold Brecht es so genau weiß: „Lasst euch nicht verführen zu Fron und Ausgezehr! Was kann euch Angst noch rühren? Ihr sterbt mit allen Tieren. Und es kommt nichts nachher!“. – Wer ist schon Berthold Brecht? Und seine Antwort weni242
ge Zeilen darauf: „Und wenn doch etwas käme?“ Die ganze Lehre über die Letzten Dinge müsste neu überdacht werden in neuester Zeit. Die katholische Theologie erlebte eine revolutionäre Wandlung. Die Frage „Was geschieht im Augenblick des Todes?“ hat geradezu gleichzeitig von verschiedenen Theologen folgende Antwort erhalten: Im Tode öffnet sich die Möglichkeit zum ersten vollpersonalen Akt des ganzen Menschen. Der Tod ist der bevorzugte Ort des Bewusstwerdens, der Freiheit, der Gottbegegnung und der Entscheidung über das ewige Schicksal! Im Moment des Todes hätten wir nach dieser Theorie noch eine Möglichkeit der Entscheidung, die Möglichkeit einer ganz menschlichen Stellungnahme – zu unserem Leben zu Gott. Es geht um den Moment des Todes! 243
Wie sieht dieser Moment des Todes nach dieser Theorie aus? Wenn die Seele den Leib verlässt, erwacht sie plötzlich zu ihrer reinen Geistigkeit und alles in ihr wird hell. Sie versteht augenblicklich alles, was ein geschaffener Geist verstehen kann. Sie sieht ihr ganzes Leben zu einer Einheit zusammengefasst, entdeckt darin den Ruf Christi und seine Führung, steht vor der Ganzheit der Welt und sieht, wie darin der Herr als das letzte Geheimnis der Welt aufleuchtet. Im Tod wird der Mensch ganz frei, ganz wissend und ganz fähig, eine endgültige Entscheidung zu treffen. In dieser Entscheidung vollzieht er die klarste Christusbegegnung seines Lebens. Und was im Tod entschieden wird, bleibt endgültig, weil der Mensch sein volles Wissen in diese Entscheidung wirft. Als so Entschiedener lebt er für immer. Die Theologen appellieren an eine tief menschliche Erfahrung:
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Der Mensch besitzt sich selbst noch nicht. Er vermag sich selbst nirgends zu fassen und sich eine endgültige Gestalt zu geben, er stürzt in die Zeit hinein, er streift nur sein eigenes Leben, aber lebt es nicht wirklich. Erst im Moment des Todes geht es nicht mehr weiter. Erst im Tod erreicht der Mensch die totale Einheit seines Wesens. Er entkommt der allseitigen Beengung und tritt in die Tiefendimension der Welt, in das Herz des Universums. Will man nach dieser Hypothese den Vorgang des Todes bildhaft beschreiben, so drängt sich das uralte Symbol für den Tod, das Bild der Geburt auf. In der Geburt wird das Kind gleichsam gewaltsam aus der Enge des Mutterschoßes gedrängt und muss das Schützende und Geborgene verlassen. Zugleich öffnet sich ihm eine andere, ganz neue Welt: die Welt des Lichtes, der Farben, der Bedeutungen, des Mitleides und der Liebe. Im Tod geschieht ähnliches mit dem Menschen:
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Gewaltsam wird er aus der Enge seiner Welt herausgenommen und gelangt in die Weite eines ganz neuen Alls. Im Tode schaut der Mensch auf den Grund allen Seins. Er wird im Tod all dem gegenübergestellt, was er in all seinen Erkenntnissen vermutet, wohin er in seinem Wollen unbewusst strebt, alles, was er in seinem Lieben umarmt. Tod ist Geburt! Der Mensch geht in eine total christusdurchsichtige Welt. Mit seinem ganzen Wesen steht er vor dem Herrn. Er muss durch den Tod hindurch, um ganz als Mensch Gott nahe zu kommen: Während unseres irdischen Lebens werden wir beherrscht von Dingen, Menschen, Ereignissen, von unseren Sehnsüchten und Träumen. All das nimmt den Menschen in seine Gewalt. Diese Vielheit der Dinge lässt Gott in unserem Bewusstsein fast keinen Platz mehr. Der Mensch, wenn er den Himmel betreten will, muss die Möglichkeit haben, ein246
mal ganz unabhängig und völlig frei vor seinem Gott zu stehen. Gerechtigkeit Gottes! Dazu muss dem Menschen alles genommen werden, woran er mit allen Fasern seiner Wirklichkeit hängt: seine Dinge, seine Kraft, sein Besitz, seine Freunde, seine Hoffnungen und Träume, alles, was er in seinem Leben aufgebaut und errungen hat. Alle Masken müssen einmal fallen, alle Rollen müssen ein Ende nehmen, die der Mensch vor der Welt und vor sich selbst gespielt hat. Alles muss weg, was ihn bis jetzt hinderte, Gott ins Angesicht zu schauen. Der Tod ist Befreiung zur Freiheit. Der Mensch vermag sich nicht mehr zu verstecken. Er erlebt die volle Freiheit der Entscheidung. Im Tode hat Gott den Menschen eingeholt, und der Mensch wird unweigerlich Christus begegnen. Im Tode nimmt das schrecklich Abenteuer der Gottesfinsternis ein Ende. Vor dem 247
Menschen steht Christus, aber der Christus mit seiner erlösenden Liebe. Tod ist Geburt! Als Jesus Christus am Kreuze starb und in die Enge des Grabes gelegt wurde, da wurde der auferstandene Christus geboren. Wenn ein Mensch stirbt, dann geschieht – nach dem Willen des allmächtigen Gottes – die Geburt des auferstandenen Menschen. Vor der Geburt bangt man und freut sich zugleich. Darf die Angst größer sein als die Freude? Diese Freude soll nicht zu kurz kommen. Soll sie im Tode zu kurz kommen? Im Augenblick des Todes werden wir in einer völlig christusdurchsichtigen Welt ankommen. Wir werden vor den Beherrscher des Weltalls gestellt sein, wir werden mit der freiesten Freiheit ausgestattet sein, wir werden die letzte Entscheidung und die Endgülti248
ge unseres Menschseins treffen, aber wir werden sie treffen vor dem liebevollsten Antlitz des Himmels und der Erde: Vor der Liebe des ewigen Gottes. Tod ist Geburt!
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Vor den ewigen Christus Besonderes Gericht Wer vor dem ewigen Christus steht – und das ist jedermann – hat nur die Möglichkeit, Ja oder Nein zu diesem Christus des gesamten Kosmos zu sagen. Mit dem Ja rettet er sich, mit dem Nein verurteilt er sich selbst. Demnach wird niemand verurteilt: weil der Zufall es so wollte, weil der Mensch plötzlich durch einen Unfall abberufen wurde, weil er in eine Familie hineingeboren wurde, in der er die Liebe nie erfuhr und deshalb auch nicht verstehen konnte, was das Wesen Gottes ist, weil er sich gegen einen Gott, den er nur als Gesetzesgott sah, gewandt hat, weil er von den Menschen verkannt und verworfen wurde und so gegen alles in Auflehnung geriet – auch gegen Gott. Das ergibt folgenschwere Konsequenzen: Niemand erreicht das ewige Heil, 250
weil er fromme Eltern hatte, weil ihn seine bürgerlichen Vorurteile davor bewahrt haben, das Böse, das er so gerne getan hätte, zu tun, weil er die Chance hatte, die Milliarden Menschen – vielleicht bessere Menschen als er – nicht haben, in einem Erdteil aufzuwachsen, wo man immerhin von Christus etwas hören kann, weil er zufällig ein angenehmes Wesen besaß und so auch erfuhr, was geliebt werden heißt, – und es ihm dann auch nicht schwer fiel, daran zu glauben, dass auch Gott ihn liebt. Wer anders denkt, wüsste nicht, was ewige Vergöttlichung bedeutet. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, wenigstens einmal, Christus, dem Auferstanden zu begegnen und ihn persönlich kennenzulernen: selbst die Heiden, jene Milliarden, die noch nie etwas von Christus gehört haben, selbst die zu Heiden gewordenen Christen, denen wir vielleicht einen langweiligen und wirklichkeitsfremden Gott gepredigt haben, den sie nie lieben lernen konnten. 251
Selbst jene Menschen, die religiös und moralisch einfach Kleinkinder geblieben sind, obwohl sie sich in der komplizierten Struktur des heutigen Lebens mit Erfolg zurechtfinden, selbst jene, die Gott hassen, weil sie in ihm ein Mittel kapitalistischer Ausbeutung sehen. Selbst die Schwachsinnigen und Unterentwickelten, die nie etwas verstehen konnten, selbst die Ungeborenen und ohne Taufe verstorbenen Kinder, und schließlich wir selbst, die zu schwach sind, das Gute zu tun, und deren Herz so kalt und leer bleiben kann. Alle hätten nach dieser Theorie die Möglichkeit, ihr Heil in einer total-personalen Begegnung mit Christus zu erlangen. Wir alle müssen wachsam bleiben! Wer und was gibt uns die Sicherheit, dass wir im Tod die richtige Entscheidung treffen? Der Ausgang dieser Entscheidung wird von uns abhängen, und es gibt keinen anderen Maßstab, die Aufrichtigkeit unserer Hinkehr zu Christus zu messen, als die 252
Hinkehr, jetzt und heute. Was wir in Zukunft sein möchten, müssen wir in der Gegenwart anfangen. Wir müssen uns durch die vielen kleinen Einzelentscheidungen unseres Lebens auf die große und letzte Entscheidung vorbereiten. Das Leben ist Einübung in das Gericht. Wir müssen uns selbst vor das Gericht stellen. Jedes Aufschieben dieser Vorentscheidung ist existenzielle Lüge. Man kann nicht einfach gedankenlos dahinleben und alles der letzten Entscheidung vorbehalten. Wer kann dafür bürgen, dass wir am Ende noch die ganze Orientierung unseres Lebens umstürzen können? Nur wir selbst! Uns selbst und uns allein ist es anheimgestellt, uns vor dem ewigen Christus zu verurteilen oder zu retten. Aber die freieste Entscheidung unseres Lebens und die allerletzte will gelernt sein – jetzt und heute! Wir selbst werden uns richten – vor dem ewigen göttlichen Richter. Müssen wir dann nicht mit allen grotesken Vorstellungen über das Fegefeuer aufräumen – als wäre das 253
eine riesige Folterstadt mit klagenden und jammernden Kreaturen? Gottes Gedanken haben einen ganz andere Größe: Ließe sich das Fegefeuer nicht als ein augenblicklicher Vorgang denken? Als ein Augenblick, in dem unsere endgültige Läuterung geschieht? Wenn der Mensch vor den ewigen Christus tritt, dann tritt er vor die unendliche Liebe Gottes. Und kann nicht sogar menschliche Liebe brennen, verbrennen und wegbrennen? Die unendliche Liebe Gottes blickt auf den vor ihm stehenden Menschen und dringt bis ins Innerste, Verborgenste, Wesentliche des Menschendaseins. Gott im Feuerblick Christi zu begegnen ist einerseits die höchste Erfüllung unserer Liebesfähigkeit, es ist aber andererseits auch das schrecklichste Leiden unseres Wesens. Unsere Liebe zu Gott ist gleichsam noch verschüttet mit den schichten und Ablagerungen unserer Selbstsucht, mit den Überresten unserer Sünden. 254
Sie muss reingebrannt werden bis alle Schichten abgebrochen sind und die reine und volle Liebe zu Gott im Menschen aufgebrannt ist. Je härter und mächtiger diese Ablagerungen sind, desto schmerzhafter wird der Durchbruch zu Christus sein. Läuterung muss sein – wohl bei jedem Menschen. Und warum sollte der je einzelne Mensch nicht einen verschieden intensiven Läuterungsvorgang im Augenblick des Todes durchmachen müssen? Gottes Gedanken haben eine ganz andere Größe. Der Feuerblick Christi vermag das Wunder unseres ewigen Glücks. Wenn aber die Läuterung im Fegefeuer ein augenblicklicher Vorgang sein sollte, warum sollen wir dann für unsere Verstorbenen beten? Unser Gebet käme ja auf alle Fälle zu spät an, oder? Bei Gott gibt es keine Zeit. Für ihn ist alles Gegenwart.
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Der Tod jenes Menschen, für den wir beten, und unser Gebet fallen für ihn zusammen. Für ihn stirbt der von uns geliebte Mensch in dem Augenblick, in dem wir für ihn beten. Unsere Fürbitten können nicht zu spät kommen, weil Gott in seinem Wesen kein Vorher oder Nachher kennt. Unsere Hilfe kommt beim Verstorbenen immer im richtigen Augenblick an, selbst wenn wir Jahrzehnte nach seinem Tod für ihn beten. Sein Augenblick ist immer zugleich unser Augenblick. Seine Entscheidung geschieht immer jetzt – selbst wenn er schon lange die Seligkeit erreicht hat. Wir können in jedem Augenblick unserer Zeit ihm bei der größten Entscheidung seines Lebens beistehen. Welche Haltung zu Christus nehme ich heute ein? 1. Christus verurteilt nur den, der sich selbst vorher verurteilt hat. 2. Jeder Mensch hat wenigstens einmal die Möglichkeit, Christus kennenzulernen. 256
3. Das Leben ist Einübung in das Gericht. 4. Der Mensch wird im Feuerblick Christi reingebrannt. 5. Jede Fürbitte für die Toten kommt zurecht. 6. Gottes Gedanken habe eine ganz andere Größe.
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Hölle und Himmel Könnte man im Ernst annehmen, dass in einer von Gott geschaffenen Welt jeder seine Spielchen bis ins Uferlose treiben darf? Wir sind nicht in einen ewig sinnlosen Kreislauf von Werden und Vergehen eingespannt. Das Evangelium lehrt: Es läuft alles auf eine Endlösung hinaus, auf eine Endabrechnung, auf die Aussonderung der Guten und der Bösen. So wissen wir auch, dass die Möglichkeit der Hölle besteht. Jesus Christus spricht nicht weniger als 25 Mal von der Hölle und 15 Mal vom Feuer der Hölle. Lässt sich die Hölle verstehen? Er ist der Christus der Liebe, dem der Mensch auf der Schwelle der Ewigkeit begegnen wird. Im Angesicht dieser Liebe hat der Mensch über sich selbst zu urteilen. Wer das Ja seines Lebens im Tod ausspricht, wird nicht verurteilt. Jedes Urteil von Seite Christi erübrigt sich also. Wer in der höchsten Freiheit seines Lebens vor der klarsten Liebe Christi Nein zur Liebe Chri258
sti sagt, der sagt es mit seinem ganzen Menschenwesen – und er wird selber zu einem radikalen Nein. Er wählt für immer nur sich selbst, muss also in Ewigkeit sich selber aushalten und in der finsteren Leere seines eigenen Daseins umherirren. Die Hölle ist nicht eine äußere Strafe. Sie ist die endgültige Zurückweisung der Liebe Christi – und damit ein unaufhörliches Sich-Hineinbegeben in die Gottesferne. So versteht man die Qualen der Hölle, die sich der Nein-Mensch selber zugezogen hat: Trennung von Gott: Wenn man Gott verliert, werden die Augen blind für die Schönheit, für die Lebendigkeit, für die Fülle, für das Eigentlichste. Trennung von sich selbst: Das Wesen des geschöpflichen Geistes besteht darin, daß er sich mit seiner ganzen Wirklichkeit nach Gott sehnt. – Der Mensch der Hölle hasst das Eigentlichste seines Wesens, das ihn nach Gott verlangen lässt. 259
Trennung vom Gesamt der Welt: Die Schöpfung trägt überall das Bild dessen, den der Verdammte radikal verneint. So lebt der Verdammte in einer Welt, die er als feindlich empfindet und die ihn überall brennt, weil er überall der Liebe Gottes begegnen muss. Und diese Liebe brennt ihn immer. Gott hat die Hölle nicht geschaffen, denn er kann keinen schlechten Ort schaffen. Gott bleibt über all die Liebe. Der Verdammte ist aber fehl am Platz in dieser Welt – wie ein Fisch, den man aus dem Wasser nimmt, um ihm die Sonne und den blauen Himmel zu zeigen, die Pracht der Berge und die singenden Vögel – für den Fisch wäre es die Hölle. So lebt auch der Verdammte in einer restlos Gottes-durchsichtigen Welt zutiefst unglücklich und bleibt es. Die Hölle ist das zum ewigen Zustand entfaltete Nein, das der Mensch im Augenblick der höchsten Freiheit und in der vollsten Erkenntnis der Liebe Christi zu ihm ewig und endgültig spricht. Gott hat keine Schuld an der Hölle eines Menschen! 260
Der Mensch der Hölle steht unter dem entsetzlichsten Druck: dem Druck der immerwährenden Gottverlassenheit, der immerwährenden absoluten Einsamkeit, des immerwährenden Vorwurfs, sein irdisches Leben verfehlt zu haben, das er mit einem einzigen guten Wort zu Gott, mit einem einzigen Ja hätte retten können. So sehr wir hoffen möchten, dass die Hölle nicht bevölkert ist, so sehr wünschen wir uns und allen Menschen den Himmel. Jetzt ist uns Christus, dem wir unser Leben geschenkt haben, noch unzugänglich und sehr verborgen. Diese Verborgenheit wird im Himmel aufhören. Gott wird alles in allem sein, wie das Neue Testament sagt. Christus selber wird der Ort unseres Himmels sein, die Herrlichkeit und das unvorstellbare Glück des ewig herrlichen Gottes. Wie Christus voraussagt: „Im Himmel werdet ihr wie die Engel sein!“ Wir werden in Gott sein – in Christus, wir werden in die Gottheit Gottes hineinragen 261
– bis in das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit. Da aber von einer Erstarrung im Himmel zu reden, wäre arg vermessen, da Gott die Unermesslichkeit ist. Christus verspricht im Himmel jedem sein eigenes Glück, das, wonach er am meisten verlangt: der Samariterin ewiges Wasser, den Leuten in Kapharnaum ewiges Brot, den Fischern das überfüllte Netz, uns allen immer wieder ewiges Gastmahl und ständige Hochzeit. Das Unvorstellbare ereignet sich und wir müssen es glauben, weil der Herr es selbst gesagt hat: „Selig, die der Herr bei seiner Ankunft wach findet. Er wird sich gürten, sie Platz nehmen lassen und sie bedienen.“ Das Unaussprechliche wird geschehen: „Das Licht Gottes wird uns strahlend durchleuchten und in all unsren Sinnen aufleuchten: wir werden Gott sehen, tasten und schmecken. Ja, erst im Himmel wird der Mensch erst er selbst werden. 262
Unser Leib wird zum vollendeten Ausdruck unseres inneren Seins. Ein Leib von einer neuen Mächtigkeit, ganz aus dem Göttlichen herkommend wie der Leib des auferstandenen Christus. Was Menschenleib wirklich bedeutet, wird erst im Himmel, im Zustand der Verklärung deutlich werden. In einer unbedingten Hingabe an Christus werden wir also im Himmel ganz wir selbst. Und das ist das Grundgesetz geistiger Schöpfung: Für jeden werden die besten Früchte von einer Hand gepflückt, die nicht die seine ist. Daraus resultiert, dass wir in erster Linie unseren Himmel in Christus finden werden, dann aber sicherer und vor allem in den geliebten Personen unseres irdischen Lebens. Unsere verklärte Liebe zueinander schafft einen neuen Seinsraum. Überall spielt ja jetzt schon die Liebe ihre Verzauberung. Die Straße oder Stadt, worin der geliebte Mensch wohnt, vergoldet sich und wird 263
zum Fest. Im Himmel wird alles zur seinsschaffenden Wirklichkeit. Gott wäre nicht die Liebe, wenn die Liebe aufhören könnte. Wir werden als ewig Liebende beisammen sein in der Liebe und im Glück Gottes. Wer es fassen kann, der fasse es – und es ist nicht schwer zu erfassen – die ganze Schöpfung, das ganze Evangelium, der ganze Christus und der ganze Mensch – alles, alles ist hingezielt auf den Himmel Gottes. Was wissen wir von den Letzten Dingen? Viel und gar nicht viel, aber genug, dass es wert ist, sein Leben auf die Letzten Dinge hin zu leben. Eines wissen wir sicher: Die Letzten Dinge sind!
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ANHANG
Elna Baekdorf Predigt zu Bach’s Magnificat [ gehalten am 14. 8. 2000 im Rahmen des Festivals „Bach 2000“ in der Stiftskirche Schlägl ]
„Glück ist vollkommen, wenn man mit Sicherheit weiß, dass man Gottes Wille durchführt“, so schrieb eine dänische Dichterin. Die Jungfrau Maria wusste, dass sie Gottes Wille durchführte, während sie ihr Loblied sang. Als der Engel der Jungfrau Maria ankündigte, dass sie auserwählt war, Jesus zu gebären, fing sie nicht an, Bedingungen zu stellen, oder Vorteile und Nachteile zu diskutieren. Sie sagte nur einfach und demütig: „Siehe, ich bin des Herren Magd – mir geschehe wie Du gesagt hast.“ Als Maria „Ja“ sagte, Jesus zu gebären, war es ein beherztes „Ja“ zum Leben, mit dessen Freuden, Kummer und Unsicherheit. Die Freude, das Aufwachsen und die Entwicklung ihres Kindes zu erleben, konnte Maria erwarten. Dass sie aber auch den Kummer erleben musste, eines Tages am
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Fuße des Kreuzes zu stehen – um zu sehen, wie ihr Sohn einen peinvollen und demütigenden Tod wie ein Verbrecher sterben musste –, hat sie kaum voraussehen können. Andererseits konnte sie doch nicht im Zweifel sein, dass ihr „Ja“, Jesus zu gebären, sie in eine ausserordentlich schwierige soziale Lage setzte. Bald zischte der Klatsch durch die Gassen von Nazareth: „Habt Ihr das mit Maria gehört ?“ – und wie wollte ihr Verlobter, Joseph, reagieren? Wäre es nicht wahrscheinlich, dass er sie mit dem Gesetz in der Hand verstoße? Und es gab weder Sozialamt noch Mütterberatung zur damaligen Zeit in Nazareth! Trotz ihrer Probleme und Unsicherheit hatten Glauben, Gehorsam und Dankbarkeit Dominanz in Marias Herz, und hier sollen wir alle in unserem täglichen Leben vom Beispiel der Mutter Gottes lernen. Ein deutscher Widerstandskämpfer, namens Wilhelm Busch, saß in einer von Hitlers Einzelzellen. Einmal fühlte er, dass er 267
ein Stadium erreicht hatte, wo seine Verzweiflung stark geworden war, dass er sich gegen einen dunklen Wahnsinn bewegte, aus dem er nie herauskommen wurde. Da lautete irgendwo in ihm eine Stimme: „Sage Gott immer Dank!“ Busch hat später erzählt, wie er in seiner Zelle anfing, Gott zu danken. Er fing an zu danken für das Leben, das er gehabt hatte – für den Schlaf, den er trotz allem die vorige Nacht bekommen hatte, für seine Gesundheit, die trotz allem noch leidlich war, für die, die ihn noch liebten. Und als die Tage gingen, entdeckte er, dass nichts so erleichtert, wie Gott zu danken. Trotz aller Turbulenz, die plötzlich in Marias Leben gekommen war, blieben – uns ein ewiges Beispiel – Demut, Dankbarkeit und Glauben immer in ihrem Herzen. Deshalb konnte sie ein Loblied singen, während sie auf ihrer Reise durch den blühenden israelischen Frühling von Nazareth nach Jerusalem ging und dort den Gruß ihrer Verwandten Elisabeth empfing.
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Vielleicht hat sie aus Dankbarkeit, die Erwählte zu sein, folgendes Loblied auf ihrer Reise gedichtet: „Meine Seele lobt den Herrn, und mein Geist erfreut sich an Gott, meinen Heiland, denn er gießt Gnade über seine arme Dienerin. Siehe, von nun an werden mich alle Kindeskinder selig preisen, denn ER hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist, und dessen Name heilig ist!“ Viele lange Dissertationen und gelehrte Kommentare sind darüber geschrieben worden, ob das Loblied Marias glaubhaft und original sei. „Typische theologische Sprache!“ hat man gesagt – „Das kann unmöglich von einem ungebildeten Dorfmädchen gedichtet stammen“. Die einzige poetische Dichtung, die Maria bekannt war, sind wahrscheinlich die uralten Psalmen ihres Volkes gewesen. Sie mag aus dieser poetischen Sprache, die jeder Jude immer und immer wieder gehört hatte, inspiriert worden sein um ihren Glauben und Gefühle auszudrücken.
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Ungeachtet, wer dieses Loblied gedichtet habe, ist dessen Botschaft klar, belehrend und verpflichtend als Beispiel für uns, und wir müssen in dieser Verbindung die Worte des großen dänischen Philosophen Søren Kierkegaard festhalten: Gottes Worte sind Dir gegeben, dass Du danach handeln sollst, nicht dass Du Dich üben sollst, dunkle Stellen auszulegen. Eines der Hauptwerke von Søren Kierkegaard heißt „Die Werke der Liebe“; und die Werke der Liebe definiert er als die, worin der Mensch gleichzeitig sich selbst treu bleibt und sich selbst vergisst zum Vorteil für den anderen. Im Loblied bleibt Maria sich selbst treu und vergießt gleichzeitig sich selbst im Verhältnis zu einem anderen – nämlich Gott. Die Jungfrau Maria huldigt der Souveränität und Barmherzigkeit Gottes. Die Niedrigen hat Er aus dem Staube gehoben – das heißt, Er hat den bereuenden Menschen vergeben, zumal er von seinen Sünden im Staube niedergedrückt lag. 270
Den Hungrigen hat Er gesättigt mit vielen Geschenken, denn die Menschen hungern nach Meinung, und Meinung hat Gott uns in Jesus Christus, dem Erlöser, gegeben. Und die Reichen, das heißt die Selbstzufriedenen und Hochmütigen, die hat Er leer ausgehen lassen. Besonders einer der Aspekte, die Gottes Größe und Barmherzigkeit zeigen, ist der, dass Er durch die Schwachen handelt, so wie es Maria geschah, als sie ausgewählt wurde Gottes Mutter zu sein. Im Evangelium von Jesus Christus begegnen sich Himmel und Erde, weil uns Gott im Gottmenschen eine Gemeinschaft anbietet, die sich weit darüber hinaus erstreckt, was Menschen einander – des begrenzten Vermögens und der begrenzten Möglichkeiten wegen – geben können. Diese Gemeinschaft brauchen wir immer – nicht am wenigsten in unserer Zeit, wo mein „Ich“ so oft steht vor einem „Es“ statt vor einem „Du“. 271
Wir erleben täglich die Abwesenheit von Menschen. In den Einkaufszentren müssen wir selber die Waren finden. Geld und Fahrkarten werden in Automaten gezogen. Die Abende werden oft vor der Einwegkommunikation des Bildschirms zugebracht statt im Dialog und Gedankenaustausch mit anderen Menschen. In einer solchen Glasglocke menschlicher Abwesenheit wird man leicht von Lebensangst und Lebensüberdruss überwältigt, falls man nicht horcht, was das Evangelium von Gottes Nähe und Gemeinschaft in Gottmenschen Jesus Christus spricht. Ein zentraler Begriff in den Schriften von Papst Gregor dem Großen ist der Begriff „Compunctio“ – der Stich, durch den Gott uns an seine Anwesenheit erinnert. „Gottes Stimme ruft das blinde Herz an“, schrieb Gregor. „Compunctio“, oder Gottes Stich, zeigt uns nicht nur, wie heimatlos und verloren wir in der Welt ohne Gott sind, sondern auch, dass Gott anwesend ist und uns aus unserer eigenen Einsamkeit führt.
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Wie die Physik beschreibt, dass Millionen von Neutronen der Sonne uns während unseres ganzen Lebens durchfahren, können wir uns auch vorstellen, dass Gott Blitze von seiner Liebe und Gemeinschaft durch unsere einsamen Seelen schickt, und uns dadurch etwas gibt, das trotz aller Unsicherheit des Lebens uns Gründe gibt, uns zu freuen und zu loben, wie die Jungfrau Maria es getan hat. So lernen wir von Gottes Mutter demütige Freude und Dankbarkeit: Das Leben versteinert und wird steif ohne Freude. Mitmenschlichkeit wird zu Misanthropie, und ohne Mitmenschlichkeit hat das Leben keinen Wert. Wir verlieren das Leben, wenn wir die Freude von uns selbst und anderen stehlen. Je mehr wir uns freuen, desto mehr vergessen wir, den anderen Böses zu tun. Wenn wir bedenken, was Gott uns in Jesus Christus, dem Erlöser, gab, haben wir
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allen Grund zur Freude und können – gewiss auf einem anderen Niveau als Maria – ihr Lob mitsingen: Meine Seele hochpreiset den Herrn, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Heiland, da Er meine Geringfügigkeit mit Gnade überschüttet.
Frau Elna Baekdorf ist Søgnepraest an der Abteikirche Sorø in Dänemark
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Hansjörg Eichmeyer Predigt zur Bach-Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“, BWV 226 ( Röm 8, 26 – 27 )
[ gehalten zum 25-jährigen Priesterjubiläum von Rupert Gottfried Frieberger am 13. 8. 2001, im 250. Todesjahr von Johann Sebastian Bach ]
Über diesen Bibeltext, der dieser Predigt zugrunde gelegt ist, hat Johann Sebastian Bach eine Motette komponiert, die wir hören werden. „Der Geist hilft unser Schwachheit auf, denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich‘s gebühret; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen forschet, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem das Gott gefället.“ Lieber Priesterjubilar, lieber Abt Martin Felhofer, liebe Schwestern und Brüder, liebe festliche Gemeinde! An einem Festtag wie diesem erwartet man eigentlich einen festlichen, jubelnden Predigttext und eine entsprechend fröhliche, festliche Musik. 25 Jahre Priesterwei275
he von Mag. Dr. Rupert Gottfried Frieberger und zehn Mal so viel, nämlich 250 Jahre Abschluss eines Lebens, des für die gesamte Musikwelt bedeutsamen Mannes Johann Sebastian Bach, das sind die Anlässe für diesen besonderen Gottesdienst. Bach war Musiker, nicht Theologe. Aber eine seiner kompositorischen Maxime hieß: „Aus lutherischer Theologie gute Musik zu machen“, wie es der Musikwissenschaftler Martin Geck formulierte. Heute gehört Bach nicht nur einer christlichen Kirche, in allen wird er geschätzt und in der ganzen Welt gehört. Diesem Komponisten gehört auch die besondere Liebe und Zuneigung des Jubilars, und aus dieser ökumenischen Haltung heraus bat er mich als evangelischen Superintendenten, heute die Predigt zu halten. Bachs Musik kommt auch heute zu Gehör, ihm sind die Schlägler Musikveranstaltungen im Bachfestival von April bis Dezember an diesem Ort gewidmet. „Der Geist hilft unser Schwachheit auf!“ Das klingt nun freilich gar nicht festlich. Wer 276
wagt es heute schon einzugestehen, dass er schwach sei? Welche Partei vor dem Volk, welcher Schüler vor seinem Lehrer, welcher Arbeitnehmer vor seinem Chef? Das ist riskant. Der andere könnte Konsequenzen daraus ziehen und aus dem Geständnis eine Anklage formulieren. Und so spielen wir oft bis zum Umfallen den Starken. „Der Geist hilft unser Schwachheit auf!“ – Ich glaube, die erste Hilfe dieses Geistes besteht darin, dass wir uns es leisten können, selbstkritisch zu sein, das was schwach ist, einzugestehen und so zu benennen, so dass wir nicht mehr die schwache Rolle des Starken spielen müssen. Christus hat unsere Schuld auf sich genommen und uns mit Gott versöhnt. Wenn wir dies annehmen und glauben, müssen wir nicht aus eigener Leistung leben, um vor Gott zu bestehen. Auch dort, wo sich einer und eine ganz am Boden fühlt, zu ausgepumpt und zu verzweifelt und unfähig, ein schönes Gebet zu formulieren, wo einer nur noch sagen kann: 277
„Ach Gott!“, und „Warum nur?“, da macht dieser Heilige Geist daraus ein Gebet, das vor Gott gilt, womit er uns vor ihm vertritt. Hat mich Gott ganz vergessen, hat er mich fallen lassen? Solche Fragen treiben manche um und begegnen mir in der Seelsorge. Auf solche Besorgnis antwortet Paulus hier mit der Zusicherung: Du bist nicht abgeschrieben und vergessen, du musst nicht deine Aufgaben hier in dieser Welt vernachlässigen, um die himmlische Option nicht zu verlieren. Dieser Heilige Geist selbst vertritt dich aufs beste! Das wird in dieser Motette besungen. Braucht selbst ein Bach, braucht auch ein Priester einen, der für ihn vor Gott eintritt? Wittgenstein stellte fest: „Bachs Fleiß setzt Demut und eine ungeheure Leidensfähigkeit voraus.“ Er wusste bei aller Genialität auch um Schwachheit. Es ging ihm wahrlich nicht immer gut: Er musste schuften und Geld verdienen, schreiende Kinder hüten, sich mit lausigen Schülern und unverständigen Vorgesetzten herumärgern, aber was noch schlimmer ist: seine erste Frau 278
zu Grabe tragen und erleben, dass innerhalb von sieben Jahren sechs seiner Kinder starben. „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“, das waren für ihn nicht nur dem Pfingstereignis liturgisch zugeordnete, zu vertonende Bibelworte, sondern auch ganz persönlicher Trost, Hilfe und Kraft.... Erneut stellt sich mir die Frage, passen alle diese Gedanken über dieses Schriftwort zu diesem Festtag, wie sie der Jubilar zur Auslegung gewünscht hat. Nicht bei jedem Priesterjubiläum gibt es so viel Außerordentliches und Auszeichnendes über den Jubilar zu sagen wie heute, und ich könnte nun lang und ausführlich über all die Leistungen, Kompositionen, die erhaltenen Auszeichnungen und gewonnenen Wettbewerbspreise reden. Aber das ist wohl nicht im Sinne des Jubilars. Die Handschriften Bachs tragen in der Regel die Initialen J.J. (Jesu juva! ) oder S.D.G. (Soli Deo Gloria). Allein Gott zur Ehre wollte er sein kirchenmusikalisches Wirken verstanden wissen. 279
Rupert Gottfried Frieberger ist neben seinen Aufgaben als Künstler und Wissenschafter auch "tätiger" Theologe und Liturge. Nicht nur die Musik ist für ihn ein Boden und Mittel der Verkündigung, auch das gepredigte Wort. Dabei ist Ökumene für ihn nicht nur ein Schlagwort, sondern ein gelebtes Thema. Auf Anregung von Gottesdienstbesuchern, Freunden und Kollegen legt er hiemit das vorliegende Büchlein vor.
ISBN 3-902143-02-9
In diesem Sinne, allein Gott zur Ehre soll auch dieser Gottesdienst sein. Gerade weil er ein Gott ist, der sich nicht nur um die Starken kümmert, wie dies in unserer Leistungsgesellschaft der Fall ist, sondern das Kleine und das Schwache liebt, der die Herzen erforscht, wie Paulus sagt und vor den dennoch jeder treten darf, weil sein Heiliger Geist unserer Schwachheit aufhilft und uns vor Gott vertritt. Dies alles führt dann zum Lob Gottes, zum großen Halleluja, wie dies in dem Schlusschoral der Motette laut wird. Gerade dieser Choral hat eine besonders ökumenische Note. In dem Pfingstlied „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ greift Dr. Martin Luther altkirchliches musikalisches Gut aus dem 11. Jahrhundert auf, die Pfingstantiphon „Veni sancte spiritus“ – „Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen... der du die Völker der ganzen Welt versammelt hast in Einigkeit des Glaubens. Halleluja.“ Dieser Antiphon fügt Martin Luther zwei weitere Strophen an, deren dritte den 280