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DER KÜNSTLER ANTON KOLIG & ROBIN CHRISTIAN ANDERSEN

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GENIE UND VISION

GENIE UND VISION

Die Salzburger Festspiele haben sich als das führende internationale Festival für Oper, Schauspiel und Konzerte etabliert. Seit ihrer Gründung im Jahr 1920 verfolgen sie das Credo des Festspielmitbegründers Hugo von Hofmannsthal: „Oper und Schauspiel – von beiden das Höchste.“ So versammeln sich während des sechswöchigen Sommerfestivals hier jedes Jahr die weltbesten Dirigenten, Regisseure, Sänger, Schauspieler und Musiker. Dieser Anspruch der Gründerväter erstreckte sich auch auf den Bau des ersten Festspielhauses, zu dem die Elite der österreichischen Künstler eingeladen wurde, sich zu beteiligen. Viele dieser Kunstwerke sind bis heute erhalten geblieben, darunter die einzigartigen Tapisserien aus dem Jahr 1926.

DAS ERSTE FESTSPIELHAUS: BAU – UMBAU – KÜNSTLERISCHE GESTALTUNG

„Gott hat die Welt erschaffen, aber der Mensch, den er nach seinem Ebenbild schuf, hat sich eine zweite Welt erschaffen: die Kunst.“

Max Reinhardt (1873–1943), eigentlich Maximilian Goldmann, österreichischer Theaterregisseur, begründete 1920 mit seiner „Jedermann“-Inszenierung die Salzburger Festspiele

Dass Max Reinhardt im Jahr 1920 die ganze Stadt zur Bühne erklärte, das Stück „Jedermann“ vor dem

Salzburger Dom inszenierte, die Kollegienkirche und die Sommerreitschule bespielte und in Schloss Leopoldskron Aufführungen stattfanden, ist nicht nur seiner Freude an außergewöhnlichen Spielstätten zuzuschreiben. Salzburg verfügte in den ersten Jahren der Festspiele über keinen geeigneten überdachten Spielort. Mit dem zunehmenden Erfolg und den steigenden Besucherzahlen wuchs auch die Notwendigkeit für einen adäquaten und regensicheren Theaterraum. Nachdem Pläne zur Errichtung eines Festspielhauses am Arenberg, auf dem Gelände der Trabrennbahn oder in Salzburger Parks verworfen wurden, einigte man sich auf den Standort Hellbrunn. 1922 wurde in Anwesenheit des österreichischen Bundespräsidenten

Salzburger Festspielhaus nach 1925

Michael Hainisch der Grundstein des von Architekt Hans Poelzig entworfenen Festspielkomplexes gelegt. Symbolisch führte der Komponist Richard Strauss drei Hammerschläge aus – und das war es auch schon, zumal die Inflation das vormals nicht unbeträchtliche Vermögen der Festspielhaus-Gemeinde aufgelöst hatte.

Auf Anregung Max Reinhardts und nach Plänen des Landeskonservators Eduard Hütter wurde in Salzburgs Altstadt die „Neue Winterreitschule“ im ehemaligen Hofmarstall der Fürsterzbischöfe, der mehr als 150 Pferden Platz geboten hatte, umgebaut. Diese war 1841 an die alte, von Fürsterzbischof Graf von Thun und Hohenstein (1654–1668) errichtete „Winterreitschule“ angebaut wurden und diente bis 1918 als Reithalle der k. u. k. Kavallerie. Zur Eröffnung des ersten Festspielsaales 1925 wurden Hofmannsthals „Großes Welttheater“, Vollmoellers „Das Mirakel“, Max Mells „Apostelspiel“ sowie drei Orchesterkonzerte aufgeführt.

Sowohl die schlechte Akustik als auch die ungünstige Anordnung der Zuschauergalerien erforderten bereits 1926 weitere Umbaumaßnahmen. Den Auftrag zur Behebung der Mängel, zur Erweiterung des Zuschauerraumes auf 1200 Plätze sowie zur architektonischen und künstlerischen Neu- und Ausgestaltung erhielt der Tiroler Architekt Clemens Holzmeister (1886–1983).

Der Umbau erfolgte in nur 85 Arbeitstagen. Als Erstes verlegte Holzmeister den Eingang zum Festspielhaus in die Hofstallgasse und ließ eine marmorne Maskengruppe des Bildhauers Jakob Adlhart (1898–1985) in einer Nische über dem Portal platzieren. Durch den neuen, repräsentativen Eingangsraum mit einem freigelegten Tonnengewölbe und dem Marstall-Wandbrunnen, eine Arbeit des Salzburger Barockbildhauers Andreas Götzinger (um 1643–1711), gelangte man in das Foyer, für dessen Wandfresken der Salzburger Anton Faistauer (1887–1930) beauftragt wurde. 40 Tage arbeitete Faistauer mit Gehilfen an den in Secco-Technik ausgeführten Fresken, die eine Fläche von rund 350 m² bedecken und über 200 Figuren zeigen.

Im sogenannten Stadtsaal (heute Karl-Böhm-Saal) mit dem 670 m² großen Deckengemälde des Salzburger Hofmalers Johann Rottmayr aus dem Jahr 1690 wurden die Fenster bis zum Konglomerat-Sockel verlängert und hölzerne Täfelungen sowie Balkone eingebaut. Neben den schmiedeeisernen Lustern entwarf Holzmeister das Gitter für den Kamin am Fuße der Marmortreppe, die zu den Felsenarkaden der Sommerreitschule führt. Dieses charakterisiert die Geschichte und Bestimmung des Saales mit Bischofshut und Landeswappen, Hufeisen, Theatermasken und Lyra. Eine Seite des 52 m langen Saales schmückten niederländische Tapisserien des 16. Jahrhunderts aus dem Salzburger Domschatz.

Für eine bessere Akustik ließ Holzmeister im Festsaal eine hölzerne Kassettendecke einziehen und eine Galerie einbauen. Diese wird von 21 Konsolen mit geschnitz- ten Eichenholzfiguren getragen, Arbeiten des Tiroler Bildhauers Hans Pontiller sowie der jungen Künstler Karl Bodingbauer und Roland von Bohr (beide waren Schüler des Bildhauers Anton Hanak). Um nicht nur die Klangbeschaffenheit zu optimieren, sondern auch künstlerische und farbige Akzente in dem von dunklem Holz dominierten Raum zu setzen, griff Clemens Holzmeister auf eine wieder in Mode gekommene Kunstform zurück: die Tapisserie.

Um nicht nur die Klangbeschaffenheit zu optimieren, sondern auch künstlerische und farbige Akzente in dem von dunklem Holz dominierten Raum zu setzen, griff Clemens Holzmeister auf eine wieder in Mode gekommene Kunstform zurück: die Tapisserie.

Von der Gotik bis zum Barock hatten Tapisserien als Statussymbol neben der repräsentativen, dekorativen und unterhaltenden Bedeutung auch sehr praktische Funktionen zu erfüllen: So dienten sie zur Isolation der Wände, als Mittel der Erzählung von historischen Begebenheiten, mythologischen Geschichten und religiösen Ereignissen sowie zur Verbesserung der Akustik in großen Hallen. Im 18. Jahrhundert geriet die Tapisseriekunst in eine Krise, im 19. Jahrhundert verlor sie ganz ihre Bedeutung, bis die Künstler des Jugendstils den Wandteppich als Ausdrucksmittel für die ästhetischen Ideale und die Naturverbundenheit entdecken.

Und so hingen im Sommer 1926 bei der Eröffnung des umgebauten Festspielhauses mit dem Schauspiel „Turandot“ von Carlo Gozzi unter der Regie von Max Reinhardt im Festsaal 11 prachtvolle farbige Wandteppiche der Künstler Robin Christian Andersen und Anton Kolig von der Brüstung der Galerien.

„Für sich frei und ausgeprägt und doch untergeordnet dem architektonischen Rhythmus fügen sich Malerei und Plastik in voller Einheitlichkeit einer Gesamtwirkung im Baue Holzmeisters, die richtunggebend für die neue österreichische Kunst sein wird.“

Zitat aus „Das Salzburger Festspielhaus“, Salzburger Festspielhaus-Gemeinde 1926

DIE MANUFAKTUR – DIE KÜNSTLER

1921 hatte Dr. August Mader (1888–1962) zusammen mit dem Maler Robin Christian Andersen die Wiener Gobelinmanufaktur gegründet sowie Weberinnen und Restauratorinnen der ehemaligen kaiserlichen Restaurierwerkstätten in der Hofburg übernommen. Entwürfe lieferten unter anderen Albert Paris Gütersloh, Franz von Zülow, Rudolf Hermann Eisenmenger, Oskar Kokoschka und Anton Faistauer. Auch Anton Koligs Tapisserien wurden in der Manufaktur angefertigt.

Der Wiener Robin Christian Andersen (1890–1969), Sohn dänischer Eltern, war Studienkollege und Schwager von Anton Faistauer. Gemeinsam mit Schiele war er 1909 Mitbegründer der „Neukunstgruppe" und stellte mit Albert Faistauer, Albert Paris Gütersloh, Oskar Kokoschka und Anton Kolig aus. 1918 nahm Andersen an der von Egon Schiele organisierten 49. Se cessionsausstellung teil, im September 1918 wurde er Mitbegründer des von Schiele initiierten Sonderbundes österreichischer Künstler Wien und übte dort von 1919 bis 1921 die Funktion des Sekretärs und Geschäftsführers aus. 1919 und 1920 wurden seine Werke im Salzburger Künstlerhaus ausgestellt.

dings keine „Tapisserien“ im eigentlichen Sinne, sondern bemalte Stoffe waren, denn die Produktion von gewebten Tapisserien dauert oft Jahre. Als Vorlage für die Weber dient ein Entwurf in Originalgröße.

„Robin Andersen geht scheinbar auf die Gobelintechnik der alten Meister zurück. Er wählt einen beschaulichen oder erzählenden Vorwurf, verflicht ihn ins Ornament und entwickelt aus Blumenmotiven die Bordüren.“ –„Kolig liefert den Beweis, dass ein Gobelin seinem Inhalt nach auch problematischer Natur sein kann, ohne dass seiner dekorativen Wirkung Abbruch getan wird.“

Zitate aus „Das Salzburger Festspielhaus“, Salzburger Festspielhaus-Gemeinde 1926

„Jungfrau mit dem Einhorn“, Robin Christian Andersen, 1926, Salzburger Festspiele, Kulisse

Anton Kolig (1886–1950) gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter des österreichischen Farbexpressionismus. Er wurde im heutigen Tschechien geboren und studierte gemeinsam mit Oskar Kokoschka an der Wiener Kunstgewerbeschule, später an der Akademie der bildenden Künste. 1911 stellte er das erste Mal aus und erhielt 1912 auf Empfehlung der Maler Gustav Klimt und Carl Moll ein Stipendium in Paris. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete er als Kriegsmaler an der Kärtner Front. Bei einer gemeinsamen Ausstellung mit Egon Schiele 1918 in Klagenfurt fanden seine Porträts von Generälen und Gefangenen großen Zuspruch.

Innerhalb von nur 6 Wochen fertigten Kolig und Andersen die 11 Tapisserien für den Festsaal an, die aller-

Da man dem Ziel, einen perfekten Theatersaal zu errichten, nach wie vor nicht näher gekommen war, erfolgte 1936 ein weiterer Umbau des Festspielsaales durch Clemens Holzmeister. Aus politischen Gründen wurde nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 der deutsche Architekt und Reichsbühnenbildner Benno von Arent (1898–1956) mit der Neugestaltung beauftragt. Arent ließ die Werke von Kolig, Faistauer und Adlhart, die unter den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ galten, entfernen. Koligs monumentales Mosaik an der Wand des Marstall-Brunnens wurde zerstört; Faistauers Fresken rettete dessen Schüler Alberto Susat, indem er diese abnahm und auf Leinwand kaschierte. Auch die Tapisserien wurden entfernt.

Nachdem im Jahr 1960 der Neubau des „Großen Festspielhauses“ nach den Plänen von Clemens Holzmeister fertiggestellt worden war, bauten die Salzburger Architekten Hans Hofmann und Erich Engels 1963 das alte Festspielhaus zum „Kleinen Festspielhaus“ um; allerdings führte auch dieser Versuch zu keinem befriedigenden Ergebnis.

„Kartenspieler“, Anton Kolig, 1926, Salzburger Festspiele, Kulisse „Kain und Abel“, Anton Kolig, 1926, Salzburger Festspiele, Kulisse

Anlässlich des nahenden 250. Geburtstages von Wolfgang Amadeus Mozart gelang es der Präsidentin der Festspiele Helga Rabl-Stadler und ihrem Führungsteam, den damaligen Landeshauptmann Franz Schausberger sowie den Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden davon zu überzeugen, dass Salzburg das Jubiläumsjahr 2005/2006 mit einem neuen Haus für Mozart begehen müsse. Sie schaffte es zudem, 40 Prozent der Bausumme durch private Sponsoren zu lukrieren.

Der Wiener Wilhelm Holzbauer (1930–2019), ein Schüler Clemens Holzmeisters, und der Luxemburger Architekt François Jean Victor Valentiny (1950*) erstellten die Pläne für den Neubau. Als sie vorschlugen, den Dachboden des neuen Hauses zu einem Raum für kleinere Empfänge und Symposien auszubauen, war sich die Politik einig, dass dies nur durch eine weitere private Finanzierung möglich sei, worauf sich RablStadler an den austro-amerikanischen Unternehmer und Milliardär Gerhard „Gerry“ Andlinger wandte.

Helga Rabl-Stadler: „Im Rohbau kletterten wir über eine schwindelerregende Holztreppe in den vierten Stock. Es schneite, und wir genossen den majestätischen Anblick der Stadt mit ihren gotischen und barocken Kirchtürmen, während die Salzburger Hausberge im Hintergrund aufragten. Überwältigt von dieser Aussicht sicherte Gerry mir spontan die erforderlichen Mittel in Höhe von 1,8 Millionen für den Raum zu, den wir heute als ,SalzburgKulisse‘ bezeichnen.“

Gemeinsam mit den Architekten überlegten Andlinger und Rabl-Stadler die künstlerische Gestaltung des Raumes, der den Charakter der Festspiele widerspiegeln sollte. Sie erinnerten sich an drei in den Kartenbüros der Festspiele hängende Wandteppiche aus dem Jahr 1926 und machten sich auf die Suche. In einem Holzverschlag unter der Stiege des Karl-Böhm-Saales wurden 7 zusammengerollte und verstaubte Tapisserien gefunden.

Heute sind 9 der ursprünglich 11 Tapisserien in der „SalzburgKulisse“ im fünften Stock des „Hauses für Mozart“ ausgestellt, eine Tapisserie hängt im „Schüttkasten“ der Festspiele. Teppich Nr. 11 ist bis heute verschollen.

Helga Rabl-Stadler: „Durch den Neubau sowie durch die Renovierungsarbeiten in der Felsenreitschule und im Großen Haus lernten wir die Arbeit von Clemens Holzmeister, dem Schöpfer des Festspielbezirkes, erst richtig zu schätzen. Wie die Meister der Wiener Schule strebte auch er ein Gesamtkunstwerk bis ins Detail an. Und so, wie in den Zwanzigerjahren große Künstler die Festspielstätten gestalteten, sammelten auch wir weiter Kunstwerke. Die Skulptur von Andreas Urteil im Großen Festspielhaus, ein Bild von Eva Schlegel beim Zugang in die Felsenreitschule, ein großes Werk in Marmor von Not Vital im Haus für Mozart und andere. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in den Gängen sollten und sollen Kunstwerke die Besucherinnen und Besucher inspirieren.“

Text: Eva von Schilgen

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