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Patrícia Melo Gestapelte Frauen Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita Unionsverlag, 22,– Euro

Kyra Wilder Das brennende Haus Aus dem Englischen von Eva Kemper S. Fischer Verlag, 22,– Euro

Ian McGuire Der Abstinent Aus dem Englischen von Jan Schönherr dtv Verlag, 23,– Euro

Joyce Carol Oates Cardiff am Meer Aus dem Englischen von Ilka Schlüchtermann Osburg Verlag, 24,– Euro

Megan Hunter Die Harpyie Aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen C.H. Beck Verlag, 22,– Euro

Patrícia Melo erhebt in diesem Roman ihre Stimme stellvertretend für eine Vielzahl anderer. Anklagend, beklemmend und eindringlich schildert sie die Geschichte einer jungen Anwältin, die als Beobachterin an Gerichtsverhandlungen teilnimmt, die sich mit brutalen Verbrechen an Frauen befassen. Auch sie selbst wurde bereits Opfer von Gewalt, und während sie immer tiefer in die Lebens- und Leidensgeschichten der fremden Opfer eindringt, erwachen in ihrem Gedächtnis Bilder aus ihrer Vergangenheit. Sie kann diese erdrückenden Erinnerungen und auch die gegenwärtige Gewalt kaum ertragen und flüchtet sich daraufhin in eine Art Parallelwelt. Darin verfolgt sie an der Seite von rachedurstigen Amazonen die Täter. Melos fiktive Geschichte basiert auf realen Fällen, die sie den Kapiteln jeweils voranstellt und die zeigen, dass Gewalt gegen Frauen keiner bestimmten sozialen Schicht oder Gruppe zuzuordnen ist. Erdrückend, brutal, obszön und poetisch zugleich, wird der Gesellschaft hier ein anklagender Spiegel vorgehalten und mit uralten Mythen verknüpft. Die Geschichte liest sich wie ein Rausch und zeigt dabei die dunkelsten Seiten der Menschen vor der magischen Kulisse Brasiliens.

In diesem Roman ist Kyra Wilder das außergewöhnliche Psychogramm einer Frau und Mutter gelungen, die stets auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Wahnsinn balanciert. Zusammen mit ihrem Mann und den Kindern zieht sie in die Schweiz, wo sie die meiste Zeit allein mit den Kleinen verbringt, da ihr Mann rund um die Uhr zu arbeiten scheint. Die Kinder erfordern all ihre Aufmerksamkeit, denn schließlich ist sie eine liebende, fürsorgliche und vor allem aufopferungsvolle Mutter, die vollständig in dieser Rolle aufgeht und sich dabei möglicherweise selbst vergisst. So verbringt sie die Tage mit den verschiedensten Spielen und die Stunden verschwimmen nur so ineinander. Einmal sind sie eine kleine Familie Bären, die ihren Tag in der dunklen Höhle verbringen. Oder hat sie doch einfach nur alle Fenster und Türen verriegelt, die Jalousien verrammelt, so dass kein Tageslicht in die Wohnung dringen kann? Was zunächst wie ein Spiel erscheint, kippt schnell in bitteren Ernst – und den Lesenden wird bald klar, dass hier nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.

Ian McGuire versteht es wie kein anderer, geschichtliche Zusammenhänge und mitreißende Spannungsbögen zu verbinden. In »Der Abstinent« katapultiert er die Lesenden nach Manchester in das Jahr 1867. Die englische Polizei hat eine Gruppe Rebellen am Galgen aufgeknüpft. Der Vorwurf lautet Verrat – sie sollen die Fenians, die irischen Unabhängigkeitskämpfer, unterstützt haben. Constable James O’Connor hält diesen Zug für wenig klug, denn er fürchtet, dass es zu brutalen Gegenreaktionen und Ausschreitungen kommen wird. Stephen Doyle, ein kampfbesessener amerikanischer Ire, heftet sich an O’Connors Fersen und zieht ihn zwischen die verfeindeten Fronten. Diese Geschichte entwickelt schnell einen düsteren Sog und auch die Lesenden finden sich plötzlich inmitten alter Kneipen, dreckiger Straßen und umgeben von Terror und Revolution wieder. Spannend, mitreißend und absolut düster!

In diesem Band werden den Lesenden vier bisher unveröffentlichte Erzählungen präsentiert, die junge Frauen in den Fokus rücken und sie mit Erlebnissen aus der Vergangenheit konfrontieren. Hier wird vor allem das zu einem zentralen Thema, was Joyce Carol Oates besonders wichtig zu sein scheint: aufzuzeigen, wie Frauen bewusst oder unbewusst in einer – häufig psychisch und körperlich brutalen – Männerwelt bestehen können. Auslöser sind dabei scheinbar zufällige, alltägliche Situationen. So kann schon ein kurzer Anruf ein ganzes Leben ins Wanken bringen. Die Geschichten haben alle einen bedrohlichen Unterton und erzählen gleichzeitig von großer Verletzlichkeit und vom Aufbegehren. Die Spannung, die sich dabei aufbaut, und der rote Faden, der sich durch die Geschichten zieht, erwecken das Gefühl, als würde man einen Kriminalroman lesen. Absolut fesselnd und mehr als einmal äußerst überraschend!

Aus der griechischen Mythologie ist die Harpyie als geflügeltes Hybridwesen bekannt, eine Vogelgestalt mit einem Frauenkopf. Die Aufgabe dieser Mischwesen war es, Menschen zu töten und ihre Seelen in die Unterwelt zu tragen. Megan Hunter hat sich diese antike Tradition zum Vorbild für ihren wortgewaltigen Roman genommen. Sie erzählt die Geschichte von Lucy, die von ihrem Mann betrogen wurde und ihn nun dreimal bestrafen darf, damit er ihre Vergebung erlangt. Durch dieses grauenhafte Spiel erwacht eine Seite in Lucy, die sie bisher so nicht kannte. Der verhängnisvolle Pakt führt dazu, dass sich Lucys Körper und Geist allmählich verändern: Wahn durchflutet ihr Bewusstsein und lässt sie immer weiter abdriften. Megan Hunter verwebt hier eloquent Themen wie Mutterschaft, Frausein, Wut und Erlösung und verbindet dabei Mythologie und Moderne zu einer stimmigen Einheit. Ein äußerst lesenswerter Roman, der mehr als einmal Gänsehaut bereiten wird.

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