Marianne Philips Die Beichte einer Nacht Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart Diogenes Verlag, 23,– Euro
Natsu Miyashita Der Klang der Wälder Aus dem Japanischen von Sabine Mangold Insel Verlag, 20,– Euro
Marianne Philips, geboren 1886 in Amsterdam, war Politikerin, Schriftstellerin und Mutter von drei Kindern. Sie war aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und wurde 1919 als eines der ersten weiblichen Ratsmitglieder der Niederlande gewählt. Sie schrieb mehrere Romane und ab 1940 war ihr als Jüdin das Publizieren untersagt. »Ich setze mich zu Ihnen, Schwester. Das ist nicht erlaubt, ich weiß. Aber ich mache es trotzdem, ich habe so lange nicht mehr auf einen Stuhl gesessen, an einem Tisch mit einer Lampe drauf. Verstehen Sie, warum man Verrückte ins Bett steckt, als wären sie krank?« Mit diesen Worten beginnt der Roman und ich war sofort neugierig. Heleen ist seit Monaten in einer Nervenklinik und vertraut nachts einer Nachtschwester ihre Lebensgeschichte an. Sie wurde in einer kinderreichen, protestantischen und nicht sehr wohlhabenden Familie geboren. Aufgrund ihrer Schönheit konnte Heleen ganz eigene Wege gehen. Nach dem frühen Tod der Eltern kümmert sie sich um ihre jüngere Schwester Lientje, zu der sie immer ein sehr enges Verhältnis hatte. Zunächst verläuft alles völlig normal. Doch dann verändert sich die Situation, Lientje wird erwachsen und Heleen kann sich ihrer Eifersucht nicht entziehen. In dieser Nacht erfahren wir Leser die ungeahnten Folgen dieser Eifersucht und das Lesetempo nimmt rasant Fahrt auf. Bitte unbedingt lesen!
»Ein Klavier will gespielt werden. Es steht immer bereit. Bereit, uns die Schönheit der Welt zu eröffnen.« Tomura ist noch Schüler, aufgewachsen in einem kleinen Dorf in den Bergen. Durch eine zufällige Begegnung mit einem Klavierstimmer hört er zum ersten Mal den Klang eines Klaviers und empfindet eine ganz eigene Verbindung zwischen Natur und Musik. Er möchte diesen Beruf erlernen und bekommt die große Chance, bei diesem Mann eine Ausbildung zu machen. Tomuras Leben verändert sich, die Leidenschaft für die Musik prägt sein Leben. Er erlernt das Handwerk, aber bei aller Hingabe kommen ihm immer wieder Zweifel an seinen Fähigkeiten. Unterdessen lernt er die Schwestern Kazune und Yuni kennen, als er ihr Klavier stimmen soll. Bald findet er heraus, dass die technische Versiertheit zwar wichtig ist, sie allein aber nicht zum perfekten Klang führt. Erst als er Kazune spielen hört, erkennt er seine Bestimmung: Tomura möchte ihr Spiel zum Leuchten bringen. Und so beginnt er mit seiner ganz eigenen Art, den Beruf auszuüben. Für diesen Roman muss man sich Zeit nehmen, es ist ein Leseerlebnis, bei dem man völlig in die Welt der Musik abtaucht.
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Tove Ditlevsen Kindheit Jugend Abhängigkeit Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein Aufbau Verlag, jeweils 18,– Euro Tove Ditlevsen erzählt von einem Frauenleben, nämlich ihrem eigenen, und das so offen und ehrlich, wie man es sich kaum vorstellen kann. Es beginnt mit ihrer Kindheit im Kopenhagen der 1920er Jahre. Sie wächst in einfachen Verhältnissen auf. Die Mutter ist unnahbar, der Vater arbeitet als Heizer und verliert schon sehr früh seine Arbeit. Tove ist ein kluges Mädchen und wird von ihrer Lehrerin gefördert. Ihr größter Wunsch ist es, Schriftstellerin zu werden. In »Jugend« beschreibt Tove Ditlevsen ihr Erwachsenwerden. Sie lernt einen Antiquar kennen, der ihre Liebe zur Literatur weckt. Tove beginnt zu schreiben und ein eigenes Buch zu veröffentlichen rückt in immer greifbarere Nähe. »Abhängigkeit« ist der abschließende Band, in dem die mittlerweile junge Frau, verheiratet mit einem wesentlich älteren Mann, privat und als Schriftstellerin viele Höhen und Tiefen erleben muss. Tove Ditlevsen schreibt in einer absolut gegenwärtigen Art über ihr Leben als Frau, Mutter und Schriftstellerin, deren größter Wunsch es immer war, nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben.
Mely Kiyak Frausein Hanser Verlag, 18,– Euro Mely Kiyak ist bekannt geworden als politische Kolumnistin, sie veröffentlichte mehrere Bücher und Essays, Theaterstücke und andere Texte. Bei ihrem neuen Werk erwartet man vielleicht feministische Studien, tatsächlich aber erzählt Mely Kiyak von ihrem Aufwachsen als Tochter einer kurdischen Familie in Deutschland. Dabei haben sie die Gespräche mit dem Vater besonders geprägt. Der arbeitete in einer Fabrik, ließ es sich aber nicht nehmen, nach der Arbeit mit seiner Tochter lange, tiefgründige Gespräche zu führen. Es gibt zahlreiche Aspekte aus ihrem Leben, die für sie bedeutsam sind: die Familie an erster Stelle, aber auch das Leben als sogenannte Gastarbeitertochter. Mely Kiyak stellt das Werden ihres weiblichen Ichs und die Neugier auf unbekannte Erfahrungen in den Mittelpunkt. Es ist ein so kluges wie unterhaltsames Buch und gibt viele Denkanstöße.
John Boyne Die Geschichte eines Lügners Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg Piper Verlag 24,– Euro Maurice Swift ist ein junger Mann, sieht blendend aus, kann Menschen durch seine Art einnehmen und sein größter Wunsch ist es, Schriftsteller zu werden. Was ihm dazu fehlt, sind aber die Geschichten. Bei einer großen Literaturveranstaltung lernt er den alternden Schriftsteller Erich Ackermann kennen. Dieser fühlt sich zu dem gutaussehenden Mann hingezogen, die beiden kommen schnell ins Gespräch. Der bekannte Schriftsteller steht vor einer Lesereise durch Europa und lädt Maurice ein, ihn als sein Assistent zu begleiten. Erich Ackermann vertraut ihm sein großes Lebensgeheimnis an: ein Kriegserlebnis. Mit dieser unglaublichen Geschichte sieht Maurice seine Chance, in der Literaturwelt durchzustarten. Der Roman wird ein Erfolg, beendet allerdings auch Ackermanns schriftstellerische Laufbahn. Nach diesem gefeierten Erstlingswerk kann Maurice keine weiteren Erfolge erzielen und so wird er sich in den kommenden Jahren immer wieder die Ideen von anderen Schriftstellern ausleihen. Ich kann diesen Roman wärmstens empfehlen, er ist vielschichtig, hat verschiedene Erzählebenen und man kann nicht aufhören zu lesen. Ein Krimi könnte nicht spannender sein.