musikschule_DIREKT_03_2018

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3.2018 Musikalische Aktivität und Herkunft

Inhalt

Jugendliche in Deutschland werden musikalisch aktiver. Dennoch hängt die musikalische Aktivität weiterhin deutlich von Bildung und Einkommen der Eltern sowie von der besuchten Schulform der Jugendlichen ab, wie die Studie „Jugend und Musik“ der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit dem Deutschen Musikrat zeigt (www.bertelsmann-stiftung.de > Suchbegriff: Studie Jugend und Musik). Auf Grundlage des Jugendfragebogens des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) wurden die Antworten von 6 256 Siebzehnjährigen zwischen 2001 und 2015 zur musikalischen Aktivität einer Sekundäranalyse unterzogen.

2 Bühne als Ziel

Während 97,3 % aller Befragten angeben, mindestens wöchentlich Musik zu hören, geben 24,4 % an, aktiv zu singen oder ein Instrument zu spielen. Nur 16,9 % aller aktiv Musizierenden erhalten oder erhielten dazu bezahlten Musikunterricht. Das Alter des Beginns liegt im Mittel bei 9,34 Jahren. Fast die Hälfte der aktiv Musizierenden spielen alleine oder mit einer Lehrkraft (46,6 %), 21,6 % sind im Chor oder Orchester, 20,8 % in einer Musikgruppe bzw. Band und 11,1 % in einer anderen Zusammensetzung. Seit der Jahrtausendwende ist jedoch ein deutlicher Aufwärtstrend bei den aktiv Musizierenden (2015: 28,7 %) sowie beim bezahlten Musikunterricht (2015: 19,7 %) zu beobachten. Insgesamt zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Hintergrund und der musikalischen Aktivität. Beispielsweise verdoppelt ein gymnasialer Abschluss des Vaters die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder musikalisch aktiv sind. Aufgrund der vorliegenden Daten ist es zudem dreimal wahrscheinlicher, dass Jugendliche ohne Migrationshintergrund musikalisch aktiv sind. Das Einkommen der Eltern ist hingegen kein signifikanter Faktor für musikalische Aktivitäten im Allgemeinen, sehr wohl aber signifikant in Bezug auf bezahlten Musikunterricht. Hier kommen auf jeden Hauptschüler mit bezahltem Musikunterricht neun Gymnasiasten, die bezahlten Musikunterricht erhalten. Auch wenn auf Grundlage der Ergebnisse bereits positive Auswirkungen musikalischer Bildungsprogramme in den Grundschulen zu vermuten sind, zeigt sich, dass musikalische Praxen für Jugendliche in ungleicher Weise zugänglich sind. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Studie „Eltern/Kinder/Kulturelle Bildung. Horizont 2017“ des Rats für Kulturelle Bildung (www.rat-kulturelle-bildung.de > Publikationen > Studien). Es gibt also noch viel zu tun: flexible und bedarfsgerechte Verteilung der Fördermittel für benachteiligte Jugendliche, Kooperationen von Musikschulen mit Ganztagsschulen und Kitas, Verringerung des bürokratischen Aufwands auf allen Seiten, Abbau von Sprachbarrieren … Sebastian Herbst

Auftrittserlebnisse an Musikschulen in Österreich

6 Analoge Digitalisierung Klavierpädagogische Ausbildung mit Disklavier

8 Ausflug mit dem Tandem Co-Teaching im JeKits-Unterricht

12 Aktuelles Urteil Bundessozialgericht: keine Sozialversicherungspflicht trotz Beachtung eines Lehrplanwerks

Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de


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3.2018

Bühne als Ziel

Magdalena Bork und Michaela Hahn

An vielen Musikschulen in Österreich gehören Auftrittserlebnisse zum festen Bestandteil des Unterrichts

Gelungene Auftritte auf großen Bühnen oder in spannenden Konzertformaten prägen die Entwicklung junger musikalischer Talente. Intensive Vorbereitung, Kontaktaufnahme mit einem aufmerksamen und begeisterten Publikum und schließlich positive Rückmeldungen nach dem Auftritt sind die Hauptingredienzen im Leben junger MusikerInnen.

Szene 1: Vorspielstunde Im Vorspielraum der Musikschule ist es heute besonders heiß und eng, die Stimmung spürbar angeregt: Das monatliche Klassenvorspiel steht an! Der zwölfjährige Max übt an seinem Programm schon länger, heute fühlt er sich vorbereitet genug, um mit sich selbst die Wette abzuschließen, ganz ohne Fehler vorzuspielen. Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, teilt er seiner Mutter noch im Auto stolz mit, dass er sich melden wird, um als Erster dranzukommen: Mit kalten Händen drauflos spielen – das sei doch eine gute Übung, und eingespielt sei er eh schon. Max hebt die Geige ans Kinn, schaut ein letztes Mal in die Runde der vielen Augen, die ihn ganz nah anschauen (er wird später sagen: anstarren) und legt los … Das Musizieren macht ihm heute sichtlich Spaß, der erste Satz ist ihm völlig mühelos gelungen und selbstbewusst erklungen. Im innigen zweiten Satz macht er die Augen zu und spielt ruhig und berührend seine Melodien, im dritten Satz kann er seine ganze Virtuosität unter Beweis stellen – Max legt heute viel schneller los, als er ei-

gentlich geplant hat, bleibt aber dabei: Hier kann er was riskieren und schauen, was aus seiner Geige und seinen Fingern alles so rauszuholen ist. Nach dem letzten Ton, den er mit einer großen Geste hinfetzt, jubeln seine KollegInnen auf – der Spaß hat sich übertragen, die Lehrerin und Korrepetitorin wechseln erleichterte und zufriedene Blicke. – –

Szene 2: Der große Auftritt Die 17-jährige Julia, heute in einem wunderschönen bodenlangen Kleid, betritt betont langsam und stolz die Bühne – gerade vor drei Wochen hat sie einen Workshop besucht in ihrer Musikschule, in dem die TeilnehmerInnen ihre Auftritte auf Video bewerten durften – als ein Modul des Talenteförderprogramms, für das sich Julia vor einem Jahr qualifiziert hat. Auch wenn die Situation jetzt ganz anders ist, ihr Herz nun wirklich aufgeregt schnell schlägt und sie an ihren kalten Händen einen leichten Schweißfilm spürt, weiß sie noch, was sie sich damals vorgenommen hat – langsam bewegen und lächeln: Es sieht besser aus nach außen und soll sie vor allem im Inneren beruhigen … Das Bühnenlicht des Brucknerhauses Linz blendet sie. „Gar nicht schlecht“, denkt sie sich, „dann muss ich all die vielen Menschen nicht sehen, die so erwartungsvoll dasitzen.“ Julia, Bundessiegerin in ihrer Altersklasse, hat sich gegen die besten PianistInnen ihres Landes durchgesetzt, und darf sich heute mit einem großen Solokonzert präsentieren. Die Probe ist sehr gut gegangen, das Orchester – lauter Erwachsene –

hat sie warm begrüßt. Und trotzdem: Die Aufregung wird immer größer, Julia versucht, noch langsamer zu gehen, lässt sich viel Zeit, den Hocker auf ihre Höhe zu drehen, wischt sich den kalten Schweiß mehrmals von den Händen, am Ende wischt sie mit dem Tuch über die Tastatur des einladend glänzenden Bösendorfers. Julia spürt ihre Freunde, Verwandten, den Lehrer und all ihre MitschülerInnen im Publikum, die extra gekommen sind – sie muss sehr gut spielen, ihr Bestes geben! Diesen Druck kennt sie nur zu gut, aber sie weiß, was zu tun ist: „Einfach nur Spielen“ denken … Dort im Brucknerhaus gelingt es ihr tatsächlich wieder, die Aufregung zu überwinden, in die Musik reinzukommen und mit den Tönen, die sie mit ihren trainierten Fingern dem Instrument entlockt, zu verschmelzen. Beim Runtergehen von der Bühne denkt sie, dass sie wiederkommen will, und sie spürt, dass sie es auch wird. – –

Bühne als intensive Begegnung mit Kunst und mit sich selbst Liest man diese fiktiven Geschichten, die aus authentischen Gesprächen mit jungen MusikerInnen entstanden sind, fällt die Intensität des Erlebens und die Vielfältigkeit der Themen, die ein Bühnenerlebnis bietet, besonders auf. Und so ist der Bühnenauftritt einer jungen Musikerin oder eines jungen Musikers vor allem das: die Möglichkeit, sich unter diesen besonderen Umständen zu erleben und zu erfahren. Oder in den Worten von Konrad Paul Liessmann ausgedrückt: durch Kunst eine existenzielle Erfahrung zu machen.1


© Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya

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Zur Entwicklung junger InstrumentalistInnen gehören Bühnenerlebnisse von Anfang an dazu, die neben der täglichen Beschäftigung mit dem Instrument und den Werken einen weiteren Boden bieten, um sich als MusikerIn zu erproben – und dadurch Wesentliches zu lernen. Ist dieser Boden vielfältig und lernen die Talente möglichst viele unterschiedliche Bühnen kennen, erweitern diese Erfahrungen ihr künstlerisches und persönliches Potenzial. Jene jungen MusikerInnen, die in ihrer Entwicklung als besonders schnell und motiviert wahrgenommen werden und deren „Talent“ als Potenzial identifiziert wird, das durch Förderung zur Entfaltung gebracht werden soll, scheinen tatsächlich alle Arten von Bühne zu suchen, zu wollen und – das vielleicht auffälligste Merkmal hochbegabter MusikerInnen – zu genießen. Diese MusikerInnen erleben die Bühne als weiteren Lernort ihrer musikalischen Biografie, als Ort, an dem sie ihr individuelles musikalisches Ich vielfältig und in Verbindung mit echtem Publikum erleben können. Sie nutzen die Bühne als einen weiteren und durch den Live-Charakter auch erweiterten Begegnungsort mit Kunst.

Bühnenerfahrungen von Anfang an Regelmäßige Auftritte sind von Anfang an in den Musikschulunterricht zu integrieren. Im Unterschied zur Pflichtschule zielt der Unterricht an der Musikschule auf die öffentliche Aufführung. Am Ende des Lernens steht in der Regel die publikumswirksame Präsentation der Lernergebnisse. So

Ungewöhnliche Orte für musikalische Auftritte lassen sich überall finden

fordert es der Lehrplan für österreichische Musikschulen.2 Damit aber junge MusikerInnen auf der Bühne stehen und das Publikum begeistern können, bedarf es sehr viel an Vorbereitung und Unterstützung. Zunächst bereiten die Lehrenden die jungen MusikerInnen gezielt auf den Auftritt vor. Nicht nur musikalisch-künstlerische, auch mentale und psychologische Aspekte sind wesentliche Bestandteile im Unterricht. Der persönliche Umgang mit Lampenfieber, Konzentrationsübungen, Entspannungstechniken sowie das Bewusstsein für körperliche Ausgleichsbewegung sind hilfreiche Mittel in diesem Prozess. Die SchülerInnen profitieren hier insbesondere von der Erfahrung der Lehrenden, die selbst als MusikerInnen damit umzugehen gelernt haben. Die jeweils individuell passende und optimale Vorbereitung herauszufinden, bedarf viel Zeit und (Selbst-)Erfahrung von beiden Seiten. In kleineren Vorspielen an der Musikschule kann der Ernstfall aber von Anfang an erprobt und erste Erfahrungen können gesammelt werden. Neben dem Musikschulunterricht unterstützen und begleiten auch Eltern und Familien den kommenden Auftritt: vom Zuhören beim Üben bis hin zu privat organisierten Hauskonzerten. Beim Auftritt selbst sind fast immer Familienmitglieder anwesend – zur praktischen (Fahrdienst) und ideellen (Mitfiebern) Unterstützung.

Bühnen als Orte der Selbstevaluation Die Bühne als Ort, an dem live musiziert wird, wo die Werke von vorne bis hinten durchgespielt werden und wo der geschützte Klassenraum gegen einen öffentlichen Raum ausgetauscht wird, bietet die Möglichkeit, das Erlernte in einem anderen Setting, in der „Ernstsituation“ eines Live-Auftritts auszuprobieren. Der Lerneffekt wird hier merklich verdichtet – die Frage nach dem „Wo stehe ich“ quasi öffentlich ausgetragen. Mit einer positiven, wertschätzenden Haltung der ZuhörerInnen ermöglicht dieser öffentliche Raum dem Schüler oder der Schülerin eine persönliche Evaluation: Was ist mir gelungen, wo will ich noch weiterkommen, was habe ich mit meinem Spiel erreicht? Junge MusikerInnen scheinen oft kaum von Bühnenängsten oder Auftrittsstress betroffen zu sein. Ja, auch sie spüren den Druck, nehmen die Aufmerksamkeit und den Fokus des ganzen Saals auf sich wahr und sind aufgeregt, wenn sie die Bühne betreten. Jedoch scheint ihr Vertrauen in das eigene Spiel, in die Musik, in das Gelingen ihres Auftritts größer zu sein als die Aufregung. Bühne bedeutet in ihrem Verständnis keine Endstation, und so ist auch ein gelegentliches „Versagen“ vor allem eins: die Möglichkeit, es nächstes Mal besser zu machen. Das erinnert an das Phänomen


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Auch in Geschäften gibt es Gelegenheiten zu Auftritten: Schülerinnen der Musikschule Mistelbach

der Resilienz und wird von den MusikerInnen selbst als Fähigkeit benannt, auch mit gelegentlichen Misserfolgen umgehen zu können und aus ihren Fehlern so selbstkritisch wie kenntnisreich zu lernen und sich vor allen Dingen nicht von ihnen fertigmachen oder gar abhalten zu lassen.

Rollen und Aufgaben der Institutionen Neben der intensiven fachlichen und persönlichen Vorbereitung der jungen MusikerInnen sind auch Bühne und Publikum wesentliche Faktoren für den Erfolg eines Auftritts – und diese müssen bereitgestellt werden. Hier kommen die Institutionen ins Spiel, an erster Stelle natürlich das jeweilige Ausbildungsinstitut. Musikschulen bieten den jungen Talenten zahlreiche Möglichkeiten, ihre erarbeiteten Werke zu präsentieren. Je nach Standort gibt es für junge MusikerInnen viele verschiedene kleinere und größere Konzerte zu spielen: solistisch, vor allem aber auch kammermusikalisch und in verschiedenen Ensembles. Zu den besonderen Erlebnissen zählen Orchesterauftritte, die die Erfahrung bieten, sich als Teil eines Ganzen zu erleben und in einer großen Gemeinschaft mit Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit zu arbeiten. Durchschnittlich 55 Veranstaltungen veranstaltet eine österreichische Musikschule pro Jahr. Damit bekommen junge MusikerInnen wöchentlich eine Auftrittsgelegenheit. Immer häufiger werden auch ungewöhnliche Orte für musikalische Auftritte genutzt: in der Innenstadt, in Geschäften oder auf Burgen und Schlössern.

© Walter Paminger

© Musikschulmanagement Niederösterreich

3.2018

Neujahrskonzert des Franz Schmidt-Sinfonieorchesters mit dem zehnjährigen Leonhard als Solisten

Auch die österreichischen Musikschulwerke der Bundesländer – also die Dachorganisationen, die alle Musikschulen des jeweiligen Bundeslandes verwalten – sehen es als ihre Aufgabe, herausragende Talente durch landesweite Auftritte zu fördern. Sie veranstalten eigene Konzerte und suchen neue Wege, um die jungen Talente an den professionellen Konzert- und Veranstaltungsbetrieb heranzuführen. Kooperationen mit Kulturbetrieben bieten dem Nachwuchs Bühnen und stärken zugleich das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Talente, die so viel Arbeit in den Ausbau ihrer Fertigkeiten stecken. Neue Wege werden teilweise auch im professionellen Veranstaltungsbetrieb eingeschlagen. Nicht nur spannende Aufführungsorte, auch innovative Formate sind im Kommen. Hier ist insbesondere der recht junge Bereich der Musikvermittlung zu nennen, der für eine Brücke zwischen Musik, KünstlerInnen und Publikum sorgt.

Zu Besuch in der Franz SchmidtMusikschule in Perchtoldsdorf Ein kalter Samstagabend in der Marktgemeinde unweit von Wien, die trotz der Einwohnerzahl von 14 000 ihren dörflichen Charakter bewahrt hat. Dutzende Menschen, warm eingepackt in ihre Mäntel, stehen vor dem Eingang zur „Burg“, deren Ursprünge bis ins Jahr 1000 zurückgehen. Der neu renovierte Burgsaal beherbergt mehr als 400 ZuschauerInnen. Im Foyer bemerkt man sofort, dass es sich um einen besonderen Termin handelt: Festliche Kleidung dominiert das Bild. Dass viele schon

vor einer Woche hier waren, erfährt man aus den Bemerkungen: Das TonkünstlerOrchester Niederösterreich hat die Woche zuvor sein traditionelles Neujahrskonzert hier gespielt. Heute ist die Musikschule dran: Es spielt das Franz Schmidt-Sinfonieorchester, bestehend aus Lehrenden der Musikschule, fortgeschrittenen SchülerInnen und einigen professionellen MusikerInnen aus der Gemeinde, die der Musikschule verbunden sind. Ein buntes Bild bietet sich dar: Von der 14-jährigen Querflötistin bis zum 60-jährigen Geiger sind alle Generationen vertreten und wirken routiniert oder auch ein wenig aufgeregt. Beim einen oder anderen Pult kann man aufmunternde Blicke der Lehrenden zu ihren SchülerInnen bemerken. Mit dem berühmten Walzer Hereinspaziert von Carl Michael Ziehrer beginnt das Neujahrskonzert 2018, und schon nach den ersten Takten ist man wie gebannt von der Energie, der Spannung, aber auch der Qualität dieses Schulorchesters. Nach dem Walzer folgt das erste Stück mit Solisten – wie jedes Jahr singen eine Sopranistin und ein Bariton. Oft sind es Musikschullehrende oder Freunde, die durch ihr Mitwirken die Wichtigkeit des Events noch unterstreichen. In der Pause wird der erste Konzertteil bei Wein und Brötchen ausgiebig besprochen. Einige der jungen MusikerInnen verlassen die Garderobe, um schon erstes Lob der zuhörenden Eltern und Verwandten abzustauben. Ein junger Trompeter ist gar nicht zufrieden mit seiner Leistung. „Das gibt’s ja nicht, bei der Probe hat’s immer geklappt! Im zweiten Teil muss es einfach gehen“,


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„Die Kunst erfordert, heute mehr denn je, das Eintauchen in eine andere Welt, eine Welt, in der es um Genauigkeit, Aufmerksamkeit, Konzentration, Hingabe, Anstrengung und Selbstvergessenheit geht, um Haltungen also, die querstehen zu jener Mischung aus Bequemlichkeit und Egomanie, zu der wir ansonsten angehalten sind.“ 3

spricht er sich selbst Mut zu. Die Oma beteuert, dass sie gar nichts vom Fehler gehört habe und bewundert den neuen, extra fürs Konzert gekauften Anzug. Musikschulleiterin Maria Jenner steht trotz Stress – schließlich spielt sie selbst auch mit – für ein Interview zur Verfügung. Uns interessiert die Zielsetzung der Musikschule mit diesem doch sehr aufwändigen Konzert. „Dieses Orchester bietet unseren fortgeschrittenen Schülern die Möglichkeit, professionelle Orchestererfahrung zu sammeln. Für viele ist es eine große Ehre, hier erstmals aufzutreten. Für andere ist es ein Pflichttermin, auch wenn sie die Musikschule schon vor einigen Jahren verlassen haben. Wichtig ist mir, unseren Schülern durch das Miteinander trotz unterschiedlicher Erfahrungslevels herausfordernde und dennoch geschützte Auftrittserlebnisse zu ermöglichen. Nicht nur die Lehrenden, auch die Schüler untereinander unterstützen die ,Frischlinge‘. Bei allen pädagogischen und sozialen Zielsetzungen steht trotzdem das Event selbst im Zentrum. Es ist eine große Chance, aber jedes Jahr auch eine Herausforderung, dass unser Neujahrskonzert ein musikalischer Höhepunkt im Kulturprogramm der Gemeinde wird.“ Maria Jenner berichtet weiter von den zahlreichen Klassenabenden und Vorspielstunden, bei denen sich jeder selbst eintragen kann, und auch von fächerübergreifenden Projekten bis hin zu Themenkonzerten. Den Lehrenden sei es wichtig, nicht nur solistische Möglichkeiten zu bieten, sondern allen SchülerInnen auch das gemeinsame Musizieren näher zu bringen –

einerseits in den Musikschulensembles und -orchestern, andererseits in den Kulturvereinen vor Ort, z. B. in einer der drei Blasmusiken. So gibt es zahlreiche Ensembles, von der Volksmusik, die beim Adventsmarkt oder bei den Heurigen spielen, bis zu Bandauftritten, die von MusikschülerInnen dann auch schon selbst „an Land gezogen“ werden. Die Musikschule wird nicht nur von ihrer Trägerin, der Gemeinde, angefragt. Auch Private oder Firmen finden den Kontakt. So öffnet die Musikschule ihren SchülerInnen Türen und bietet ihnen die Möglichkeit, mit ihrer Musik schon außerhalb der Musikschule erstes Geld mit einem „Gig“ zu verdienen und sich damit in der Rolle eines Profis auszuprobieren. Die Mutter des Kontrabassisten, die zum Gespräch dazukommt, erzählt lachend, dass ihr Sohn die beim Weihnachtsmarkt ersten selbstverdienten 20 Euro in einem Bilderrahmen über seinen Schreibtisch gehängt habe. Ein Vater berichtet, dass sein Sohn, ursprünglich Schlagzeuger, mit seinen Freunden eine Band gegründet habe und kurzerhand auf Gesang gewechselt sei, da sein bester Freund auch Schlagzeuger sei. Nun organisiere er die Auftritte und verhandele auch das Honorar für alle. Als der Schlagzeuger einmal krankheitshalber ausgefallen sei, habe er die jüngere Schwester engagiert, die bei dieser Gelegenheit „um einen halben Kopf gewachsen ist“. Doch zurück zum zweiten Teil des Neujahrskonzerts. Er startet ganz virtuos mit dem jüngsten Solisten des Abends: Leonhard, ein hochbegabter zehnjähriger Geiger, spielt mit dem Orchester den Bolero aus der Scène de Ballet von Charles-Auguste

de Bériot. Beim tosenden Applaus fällt das Orchester spontan mit ein – man spürt, dass hier einer von ihnen vor den Vorhang geholt wird. Nach dem offiziellen Programm spielt das Orchester noch zwei mitreißende Zugaben und man spürt die Freude, dass alles gutgegangen ist. Bürgermeister und Kulturreferatsleiterin überreichen symbolisch Geschenke an Dirigent, Konzertmeister und die SolistInnen. Dieser Termin sei ein Pflichttermin, allerdings ein angenehmer, wie sie lächelnd anmerken. Der Stolz in ihren Worten ist nicht zu überhören: „Wir sind glücklich, dass wir die Musikschule haben.“ ((

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vgl. Konrad Paul Liessmann: „Und mehr bedarfs nicht – Über Kunst in bewegten Zeiten“, Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2016, www.salzburgerfestspiele.at/blog/entryid/691 (Stand: 12.3.2018). 2 Konferenz der österreichischen Musikschulwerke (KOMU): Lehrplan für Musikschulen. Allgemein pädagogisch-didaktisch-psychologischer Teil, Punkt 7, 2009. 3 Liessmann, a. a. O.

Dr. Magdalena Bork ist Leiterin der Begabtenförderung der Universität für Musik und dastellende Kunst Wien. Dr. Michaela Hahn ist Geschäftsführerin im Musikschulmanagement Niederösterreich.


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3.2018

Zum praktischen Einsatz des Disklaviers in der klavierpädagogischen Ausbildung

Analoge Digitalisierung Das Disklavier findet zunehmend Einzug in die Klavierpädagogik und großen Anklang bei jugendlichen KlavierschülerInnen: ein positives Beispiel für die gelungene Kombination von „analog“ und „digital“ im Zeitalter der Digitalisierung.

)) Das Disklavier – eine Wortschöpfung der Firma Yamaha, die vor ca. 30 Jahren aus „Floppy-Disk“ und „Klavier“ entstand – entspricht einem akustischen Klavier bzw. Flügel mit herkömmlicher Anschlagsmechanik. Die mechanischen Vorgänge des Anschlags werden mittels Lichtschranken abgetastet. So können die Bewegungen aller 88 Tasten und Klavierhämmer äußerst präzise gemessen und aufgezeichnet werden. Da kein Kontakt zwischen den Abtastsensoren und der Anschlagsmechanik besteht, wird das Klavierspiel nicht beeinflusst. Die Daten werden in ein digitales Format (achtfach genauer als normale MIDI-Daten) umgewandelt und können mit Hilfe entsprechender Software visualisiert und weiterverarbeitet werden. Umgekehrt kann die Anschlagsmechanik elektromagnetisch angesteuert werden. So kann man digitale Daten akustisch wiedergeben und aufgezeichnete oder digital komponierte Stücke abspielen. Das Disklavier ist somit in der Lage, die Spielerfahrung an einem akustischen Klavier mit der Informationsverarbeitung eines digitalen Mediums zu verbinden.

Einsatzmöglichkeiten des Disklaviers Das Disklavier bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten sowohl in der Klavierpädagogik als auch in der angewandten Forschung.1 Die Verwendung dieses Instruments erfuhr in den vergangenen Jahren

Christoph Sischka, Manfred Nusseck und Claudia Spahn

eine starke Verbreitung und findet zunehmend Eingang in die pädagogische Praxis und Forschung. In der Klavierdidaktik zeigte der Einsatz des Disklaviers durch Visualisierung des eigenen Spiels im Sinne eines Feedbacks positive Wirkungen.2 So konnten z. B. Tonhalteüberlappungen zwischen den Fingern bei bestimmten Läufen verdeutlicht werden.

konnten wir die Fehlerquote sowie die durchschnittliche Anschlagsdynamik und Tonhaltedauer für verschiedene Abschnitte bestimmen. Die Auswertungen wurden den SchülerInnen gezeigt und mit ihnen gemeinsam besprochen.

Das Disklavier beim Vom-Blatt-Lese-Training

Das Feedback anhand der Visualisierung der vom Disklavier aufgenommenen Daten traf auf hohes Interesse bei den Schülerinnen und Schülern. Sie begrüßten es, auf diese Weise eine direkte Hilfestellung und eine objektive Rückmeldung zu ihrem Spiel zu erhalten. Das Disklavier konnte dabei das individuelle Spielverhalten unmittelbar aufzeigen. So zeigte sich beispielsweise bei „Der Nachbar“ (siehe Abbildung), dass sich viele SchülerInnen – obwohl es ausschließlich auf dem eingestrichenen c zu spielen ist – schwer taten, dem musikalischen Verlauf auf Anhieb zu folgen. Dies konnte das Auswertungsprogramm auf einfache Weise und objektiv verdeutlichen. An unserem Beispiel ist erkennbar, dass der Spieler alle Töne richtig gespielt hatte. Mit Hilfe der differenzierten Auswertung konnte allerdings zusätzlich gezeigt werden, dass er die Tendenz hatte, die Töne deutlich zu kurz auszuhalten. Die Viertelnoten wurden im Durchschnitt nur halb so lange gedrückt gehalten wie diejenigen in der Secondostimme. Dagegen wurden die ganzen Noten am Ende der Phrasen entsprechend lang gespielt. Die Anschlagsdynamik war bei allen Tönen nahezu gleich. Bei der Treffgenauigkeit zeigte sich, dass der Spieler auf der Zählzeit 4 – trotz Orientierungsmöglichkeit an der Secondostimme – durchschnittlich 30 Millisekunden zu früh spielte. Die Einbeziehung die-

An der Hochschule für Musik Freiburg beschäftigt sich Christoph Sischka schon seit den Anfängen dieses Instruments mit der klavierpädagogischen Anwendung und technischen Weiterentwicklung des YamahaDisklaviers. Beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2014 in Braunschweig setzte er das Disklavier in einem Workshop mit jugendlichen PianistInnen beim Vom-BlattLese-Training ein. Zusammen mit Manfred Nusseck und Claudia Spahn vom Freiburger Institut für Musikermedizin an der Hochschule für Musik Freiburg wurden diese Anwendungen weiterentwickelt. So konnte beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2017 in Paderborn in einem Workshop mit Christoph Sischka das Disklavier erneut mit pädagogischem Gewinn genutzt werden. Für die Workshops haben wir leichte vierhändige Stücke ausgesucht, die vom Blatt gespielt und direkt vom Disklavier aufgenommen wurden. Es handelte sich um die Stücke „Der Nachbar“ und „Trillala“ aus Kla-vier-händig von Hans-Jürgen Neuring (Noetzel Edition, Wilhelmshaven 1997). Die Secondostimme wurde dabei immer vom Klavierpädagogen gespielt. Die Daten des Disklaviers wurden in ein selbstentwickeltes Auswertungsprogramm eingelesen (siehe Abbildung). Mit diesem Programm

Positiver Anklang bei den Schülerinnen und Schülern


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ser digital-medialen Technik brachte nicht nur einen objektiven Erkenntnisgewinn und hohe Zufriedenheit, sondern zeigte im Rahmen des Workshops auch deutliche Lernzuwächse bei den Schülerinnen und Schülern. Der Wunsch nach Hilfestellungen beim Vom-Blatt-Spiel ist sowohl bei SchülerInnen als auch bei Lehrkräften sehr groß. Das Disklavier kann dabei analytisch eingesetzt werden und vermittelt als Feedback genauere Ansatzpunkte für das individuelle Spiel. Für die klavierpädagogische Lehrkraft eröffnet es das schnelle Erkennen wiederkehrender Probleme und bietet zusätzlich einen Zugang, Schülerinnen und Schülern systematische Probleme visuell zu vermitteln. Auf diese Weise ermöglicht das Disklavier im Gegensatz zu gängigen digitalen Notenlernprogrammen oder Apps eine Darstellung des direkten Spielverhaltens am Instrument und bietet in der Verknüpfung mit der Instrumentallehrkraft eine didaktisch-methodische Unterstützung.

Ausblick Die Erfahrungen zeigen vielversprechende Möglichkeiten für den praktischen Einsatz des Disklaviers in der klavierpädagogischen Ausbildung. Dessen differenzierte Anwendung setzt bisher allerdings ein umfangreiches technisches Know-how in der Datenanalyse und -auswertung voraus. Weitere Forschung zum Einsatz des Disklaviers beispielsweise in der Didaktik des VomBlatt-Spiels ist an der Hochschule für Musik Freiburg bereits geplant. In Zusammenarbeit mit der Klavierdidaktik und -methodik können Ansätze zur individuellen Herangehensweise in der pädagogischen Praxis formuliert werden, welche wiederum als Grundlage für neue klavierdidaktische Unterrichtswerke dienen können.

Beispiel einer Einspielung und Auswertung des Stücks „Der Nachbar“. Oben rechts zeigt das Auswertungsprogramm einzelne Parameter aus den MIDI-Daten der Einspielung. Unten ist die sogenannte „Piano-Roll“ (aus Cubase) abgebildet. Die Balken stellen jeden einzelnen Ton dar. Am linken Rand ist eine Klaviatur zu sehen, die die Tonhöhe anzeigt, auf der waagerechten Achse wird von links nach rechts der Zeitverlauf dargestellt. Die Länge der Balken repräsentiert die Tonhaltedauer. In der untersten Zeile ist die Anschlagsdynamik für jeden Ton abgebildet.

Gerade für professionelle Pianistinnen und Pianisten können mithilfe des Disklaviers darüber hinaus wichtige Fragen der Übestrategien bei spezifischen pianistischen Problemen untersucht werden. Für das neue Freiburger Forschungs- und Lehrzentrum Musik an der Hochschule für Musik Freiburg liegen hier mannigfaltige wissenschaftliche Herausforderungen in Kooperation von Klavierpädagogik, Klavierdidaktik, Musikphysiologie und Musikermedizin. ((

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Zum Überblick über die Einsatzmöglichkeiten des Disklaviers siehe Christoph Sischka: „Von ,Welte-Mignon‘ zu virtuellem Musizieren. Das Yamaha Disklavier in der Klavierdidaktik, bei der Interpretationsanalyse und als musikalisches Kommunikationsmedium“, in: European Piano Teachers Association – Sektion der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Im Mittelpunkt: Das Instrument, Staccato, Düsseldorf 2016, S. 70-78. 2 vgl. Kathleen Riley/Edgar E. Coons/David Marcarian: „The Use of Multimodal Feedback in Retraining of complex Technical Skills of Piano Performance“, in: Medical Problems in Performing Artists, 20, 2005, S. 82-88.

Christoph Sischka ist Professor für Klavier und Klaviermethodik und Prorektor für Lehre an der Hochschule für Musik Freiburg sowie Leiter der Freiburger Akademie zur Begabtenförderung. Dr. Manfred Nusseck ist Musikpädagoge und Physiker und arbeitet als akademischer Mitarbeiter im Bereich Musikphysiologie am Freiburger Institut für Musikermedizin sowie am Forschungs- und Lehrzentrum Musik der Hochschule für Musik Freiburg. Dr. Claudia Spahn ist Professorin für Musikermedizin, Instrumentalpädagogin, Ärztin und Prorektorin für Forschung an der Hochschule für Musik Freiburg. Sie ist Leiterin des Freiburger Instituts für Musikermedizin.


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3.2018

Co-Teaching im JeKits-Unterricht

Ausflug mit dem Tandem

„Unterrichten im Team – Rollenverständnis, Chancen und Gelingensbedingungen“ war der Titel eines Workshops im Rahmen des JeKits-Praxistags 2017 in der Universität Bielefeld. Die Referenten Markus Büring (Universität Bielefeld) und Martin Theile (JeKits-Stiftung) diskutierten dort mit TeilnehmerInnen Modelle von Co-Teaching in multiprofessionellen Teams. Im JeKits-Programm spielt das Unterrichten im Team insbesondere im ersten JeKitsJahr eine wichtige Rolle.

Aufs Tandem steigen und in die gleiche Richtung blicken Wenn vom Tandem die Rede ist, dann denken Instrumentallehrkräfte im JeKitsProgramm an die Kooperation mit Grundschullehrkräften. Das Tandem steht als sprachliches Bild im pädagogischen Kontext für gemeinsame Anstrengungen, gleiche Ziele und effektive Fortbewegung. Man verspricht sich Synergieeffekte, nicht allein durch die prognostizierte Kompetenzergänzung der Lehrkräfte. Aber wie kann diese Kooperation gelingen und so der gemeinsame Ausflug zu einem Erlebnis für alle Beteiligten werden? Für den Anfang der Reise einer gelungenen Lehrkräfte-Kooperation kann das Tandem für zwei gleichstarke Partner stehen, die unterwegs in eine idealisierte (Bildungs-) Landschaft sind, in der Lernorte miteinander vernetzt sind und so Kindern und Jugendlichen ganzheitliches und lebensweltliches Lernen ermöglicht wird.1 Ist das

Markus Büring und Martin Theile

Tandem gut in Schuss, dann wird es leichtgängig und beide PartnerInnen treten beherzt in die Pedale. Die Person am Lenker behält den Weg im Blick, die andere hat Zeit, um sich umzuschauen und die Lenkende auf Interessantes am Wegrand hinzuweisen. Sprachliche Bilder wie diese prägen unser Denken und Handeln. Natürlich sollten beide PartnerInnen vor Beginn der Reise das Fahrradgetriebe geölt, das Ziel bestimmt und die Sitzposition geklärt haben. Anderenfalls wird die Reise zumindest beschwerlich, wenn nicht gar unmöglich. Doch was vermeintlich nach außen hin wie ein gelungener Ausflug erscheint, kann auch zum Symbolbild für erstarrte Rollenbilder werden: Einer lenkt, einer tritt in die Pedale. Denn das Tandem sicher im Griff zu haben, kostet nicht selten Zeit, Mühen und manchmal auch Rückschläge. Verständigung über gemeinsame pädagogische Ziele, eine wirkliche und umfassende Verknüpfung der Lehr- und Lernangebote sowie eine gezielte Auswahl von PartnerInnen2 gehören unter anderem dazu. Hier sind Mut und Experimentierfreude gefragt, die Art der Kooperation zu überdenken bzw. andere Kooperationsmuster zu nutzen und dabei – um im Bild zu bleiben – in andere Gänge zu kommen.

Der Blick auf sich selbst und auf den Tandem-Partner Der „Ausflug mit dem Tandem“ beginnt für Lehrkräfte im JeKits-Programm mit einer selbstkritischen Frage nach den eigenen Kompetenzen, nach Stärken und nach

Schwächen. Darum ist es sinnvoll, zu Beginn der Zusammenarbeit die Art und den Umfang dieser Reise gemeinsam in den Blick zu nehmen. Doch wie sollten Lehrkräfte mit unterschiedlichen Professionen einander begegnen? Wendy W. Murawski empfiehlt zum Einstieg ein Gedankenexperiment zur Perspektivübernahme:3 ) Wie kann die Tandem-Partnerin oder der -partner unterstützt werden? ) Was wünscht man sich selbst an Unterstützung für den eigenen Bereich? Auf der Ebene der Teamentwicklung der beiden PartnerInnen erscheint vor allem eine respektvolle Beziehung notwendig, die durch Akzeptanz, Anerkennung, Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist.4 Aus diesem Grund sollten Kommunikationsstrukturen unter anderem zur Entwicklung einer gemeinsamen Unterrichtskultur geschaffen und festgelegt werden. Daneben haben Absprachen von Zuständigkeiten und klare Aufgabendifferenzierungen Auswirkungen auf die unterschiedlichen Rollen der beiden Lehrkräfte.5 Besonders gut gelingt der Einstieg in die Teambildung, wenn zwischen den beiden Lehrkräften deutlich wird, wo es gemeinsame Schnittstellen bei der musik- bzw. tanzbezogenen Profession gibt oder wo auf eine bestehende Unterrichtskultur aufgebaut werden kann. Das können bereits eingeführte Regeln, Rituale oder Arbeitsweisen sein, die für den JeKits-Unterricht übernommen werden können. Andererseits erleichtert es den Einstieg in ein Team, wenn zum Beispiel Unterrichtsinhalte aus JeKits in anderem Unterricht Verwendung finden oder wenn es kurze Informationswege


Illustration: Maren Blaschke

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gibt, die einen Austausch über Lernvoraussetzungen der Kinder und einen gemeinsamen Kontakt zu den Eltern ermöglichen. Wenn das Tandem Fahrt aufnehmen soll, dann geht es nur über ein paritätisches Verhältnis der beiden Lehrkräfte. Das heißt unter anderem, die unterschiedliche „Professionalität bei einem Mindestmaß an gemeinsamen Vorstellungen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und der Schule sowie interprofessionelle Kollegialität“ anzuerkennen.6 Kollegialität wird erst dann offensichtlich, wenn beiden deutlich wird, dass es trotz unterschiedlicher Professionen und Expertise eine pädagogische Basis gibt. Nur dann schauen beide Tandem-PartnerInnen wirklich in die gleiche Richtung. Dafür muss es Vertrauen geben: Vertrauen, dass die Tandem-Partnerin oder der -partner fähig ist, pädagogische, didaktische und methodische Entscheidungen zu treffen bzw. dazu beizutragen, Entscheidungen für die Gruppe zu modifizieren. Aus diesem Grund kommt der gemeinsamen Planung eine besondere Bedeutung zu.

Co-Planungen Tandem-PartnerInnen sollten sich die Zeit nehmen, um gemeinsam zu planen und die gemeinsamen Planungsentscheidungen mitzutragen. Denn nur dann, wenn die gegenseitigen Abstimmungen proaktiv sind, sie also nicht erst in der akuten Unter-

richtssituation gefällt werden müssen, sind sie als gemeinsame Haltung für Kinder in der Unterrichtssituation erfahrbar. Fortführende Co-Planung stärkt das Tandem, lässt Freiräume individueller Weiterentwicklung der PartnerInnen offen und schafft eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Zeit für Kritik und Wünsche aller Beteiligten Platz hat. Das Tandem ist dann erfolgreich, wenn die Aufgaben und Verantwortlichkeiten so verteilt sind, dass beide gleichermaßen Qualitätszeit in den Unterricht mit den Kindern investieren können.

Manchmal kann es sinnvoll sein, das Tandem zu erweitern, um in andere Gänge schalten zu können. Im Gegensatz dazu erhält das Tandem eine „Unwucht“ bei zu wenig gemeinsamer Planungszeit, weil es meistens zulasten eines Tandem-Partners geht. So sagten beispielsweise 98 Prozent der befragten Musikschullehrkräfte in einer Untersuchung der JeKi-Begleitforschung,7 sie bereiteten

den Unterricht alleine vor. Und 74 Prozent gaben an, sie führten den Unterricht alleine durch, obwohl eine Grundschullehrkraft anwesend sei. Diesem Befund hat das JeKits-Programm Rechnung getragen, indem es den Lehrkräften mit der sogenannten Koordinationspauschale zusätzliche zeitliche und somit auch finanzielle Ressourcen für strukturierte Planungsbesprechungen zur Verfügung stellt. Tandem-PartnerInnen sollten also gemeinsame Anstrengungen in die Schaffung von Freiräumen investieren, die gemeinsame Absprachen ermöglichen. Das müssen nicht nur Zeiten außerhalb des Unterrichts sein, denn auch während des Unterrichts können kurze Phasen zur Planung, Reflexion oder Evaluation genutzt werden, damit die SchülerInnen sich – bildlich gesprochen – nicht im Leerlauf befinden.

Tandem-Erweiterung: in andere Gänge kommen Ein Befund von Studien im Ganztagsschulbetrieb war, dass „es mit zunehmender professioneller Heterogenität zu einer Polarisierung der alltäglichen Zuständigkeiten und Einsatzzeiten kommt“.8 Diese Polarisierung zeigte sich im häufig von der JeKi-Begleitforschung beobachteten Unterrichtsmodus „Assistieren“.9 Dabei kommt es auf die Qualität und die Richtung des Assistierens an. Ist es so, dass – bildlich ge-


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3.2018

Unsere JeKits-Serie in Peter Röbke: Mehr als nur ein Nachfolgeprogramm. Was JeKits von JeKi unterscheidet, 4/2017, S. 7-9 Franz Kasper Krönig: Euphorievorsprung. Was passiert eigentlich in der JeKitsAkademie? Und wem soll sie nützen?, 5/2017, S. 8-9 Johanna Schie und Stefan Prophet: „Wir verlieren die Kinder …“ Die Kontinuität nach dem zweiten JeKits-Jahr ist gefährdet, 6/2017, S. 10-11

sprochen – einer strampelt und sich der andere zurücklehnt?10 Das wäre für die gemeinsame Reise ineffektiv und zumindest für einen der beiden Partner ermüdend. Damit das Tandem Fahrt aufnehmen kann, tun die PartnerInnen gut daran, sich besser aufeinander einzustellen. Im übertragenen Sinn bedeutet das: Wenn jeder der beiden bei seiner Expertise und seinen isolierten Aufgabenzuschreibungen bleibt, dann wird es möglicherweise einen nur geringen Lernerfolg für die Gruppe geben. In dieser Situation kann es sinnvoll sein, das Tandem zu erweitern, um in andere Gänge schalten zu können. Dazu sollten sich die Tandem-PartnerInnen fragen, welche Kooperationsmuster des gemeinsamen Unterrichtens sie in den Blick nehmen und ausprobieren wollen. Lynne Cook und Marilyn Friend11 geben mehrere solcher Muster vor (siehe Tabelle auf Seite 11). Die Muster wurden zwar für die Zusammenarbeit von Regelschul- und Sonderschullehrkraft entwickelt, lassen sich aber auch auf den JeKits-Unterricht übertragen. Obwohl die Autorinnen keine gewichtete Abstufung vornehmen, kann eine Zunahme der paritätischen Aufgabenverteilung beobachtet werden.

Vom Tandemzum Gruppenausflug Zu Beginn des Ausflugs mit dem Lehrkräfte-Tandem bestand die Aufgabe zunächst darin, überhaupt miteinander Fahrt aufzunehmen und in die gleiche Richtung zu blicken. Oder einfach gesprochen: das Rad in Gang zu setzen. Doch schnell werden

Sebastian Herbst: Kommentar – JeKits an Förderschulen, 1/2018, S. 1 Thomas Grosse: Lauern statt versauern. Optionen pädagogischer Haltungen im JeKits-Unterricht, 2/2018, S. 4-6 Silvia Müller: Rezension – Vom Lauern auf den Moment. Praxisimpulse, Reflexionen und Schlüsselfragen aus der Arbeit der JeKits-Akademie, 2/2018, S. 7

die Ansprüche höher. Man möchte schneller sein, mehr sehen, mehr erleben. Durch geeignete Wahl von Kooperationsmustern kann dieser Anspruch umgesetzt werden. Und man stellt während der Fahrt fest: Man ist nicht allein bei diesem Ausflug. Aus dem Tandem kann schnell eine Gruppe, ein Konvoi werden, wenn weitere Akteure zu berücksichtigen sind, wie zum Beispiel SchulbegleiterInnen eines Integrationskindes. Denn in multiprofessionellen Teams benötigen vermutlich alle einen eigenen fahrbaren Untersatz für die gemeinsame Reise. (( 1 vgl. Maren Wichmann: „Vom Einzelkämpfertum zur Kooperationskultur. Multiprofessionelle Teamarbeit an Ganztagsschulen“, in: Ute Erdsiek-Rave und Marei John-Ohnesorg (Hg.): Individuell fördern mit multiprofessionellen Teams (= Schriftenreihe des Netzwerks Bildung), Friedrich-EbertStiftung, Berlin 2014, S. 60-65, hier: S. 65. 2 vgl. Wichmann, a. a. O., S. 64. 3 Wendy W. Murawski: Collaborative Teaching in Elementary Schools. Making the Co-Teaching Marriage Work!, Corwin, Thousand Oaks 2010. 4 Ursula Carle: „Gelingende Zusammenarbeit multiprofessioneller Teams an Ganztagsschulen“, in: Ute Erdsiek-Rave und Marei John-Ohnesorg (Hg.): Individuell fördern mit multiprofessionellen Teams (= Schriftenreihe des Netzwerks Bildung), Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2014, S. 66-72, hier: S. 69. 5 vgl. Michelle Jutzi/Marianne Schüpbach/Kathrion Thomann: „Bedingungen multiprofessioneller Kooperation in zehn Schweizer Tagesschulen“, in: Marianne Schüpbach/Ana Slokar/Wim Nieuwenboom (Hg.): Kooperation als Herausforderung in Schule und Tagesschule, Haupt, Bern 2013, S. 95110, hier: S. 99. 6 Wichmann, a. a. O., S. 63. 7 Sabrina Kulin/Melanie Özdemir: Lehrer-Kooperation im JeKi-Kontext: Erwartungen und Umsetzungen, 2011, www.b-em.info/index.php?journal=ojs&page=article&op=view&path%5B%5D=6 1&path%5B%5D=151 (Stand: 30.4.2018); vgl.

Ulrike Kranefeld: „Assistieren. Rekonstruktion eines Kooperationsmusters im Lehrenden-Tandem im Programm ,Jedem Kind ein Instrument‘“, in: Ulrich Riegel/ Klaas Macha (Hg.): Videobasierte Kompetenzforschung in den Fachdidaktiken (= Fachdidaktische Forschungen, Bd. 4), Waxmann, Münster 2013, S. 232-247. 8 Heinz Günter Holtappels /Karin Lossen/Lea Spillebeen/Katja Tillmann: „Schulentwicklung und Lehrerkooperation in Ganztagsschulen. Konzeption und Entwicklungsprozess als förderliche Faktoren der Kooperationsentwicklung?“, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Thema: Ganztagsschule – neue Schule? (= Sonderheft 15/ 2011); zit. nach Carle, a. a. O., S. 67. 9 Kranefeld, a. a. O. 10 vgl. Stefanie Dues /Gilla Eibeck /Christine Hartman-Hilter: JeKi elementar – Grundlagen, Materialien, Ideen, Schott, Mainz 2011. 11 Lynne Cook /Marilyn Friend: Co-Teaching: Principles, Practices, and Pragmatics (= quaterly meeting of the New Mexico Public Education Department Special Education Meeting), Albuquerque 2004; dt. Übers. Markus Büring.

Dr. Markus Büring bildet Grundschullehrkräfte in Musikpädagogik an der Universität Bielefeld aus. Er war als Gymnasiallehrer für Musik und Deutsch in Hannover Bläserklassenleiter im Musikzweig und in der Musikschule als Instrumentalpädagoge im Fach Oboe und Keyboard tätig. Martin Theile ist Fachberater im Team der JeKits-Stiftung. Er ist Instrumentalpädagoge im Fach Klarinette, Dirigent und war zuvor Leiter der Musikschule Lennetal.


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1

Eine Lehrkraft unterrichtet, eine beobachtet.

Dieses Kooperationsmuster eignet sich für den Beginn eines neuen Tandems, bei dem sich die Tandem-PartnerInnen noch nicht gut kennen. Es kann dann genutzt werden, wenn genauere Eindrücke über einzelne SchülerInnen gesammelt oder deren Lernfortschritt kontrolliert werden soll. Lynne Cook und Marilyn Friend schlagen auch vor, dieses Muster zu verwenden, um Einzellernende und Lerngruppe besser miteinander vergleichen zu können.

Lehrkräfte im JeKits-Programm können auf diese Weise Besonderheiten des schulischen Alltags kennenlernen: Umgang mit großen Gruppen, Gruppenregeln, Organisationsformen in der Klasse usw. Grundschullehrkräfte können wiederum fachliche und inhaltliche Perspektiven des Tandem-Partners beobachten und in ihren alltäglichen Unterricht mit aufnehmen, beispielsweise ein Lied, das Spiel von Instrumenten oder kleine Tanzchoreografien.

Niedriger Planungsaufwand.

2

Eine Lehrkraft unterrichtet, eine geht herum und hilft Einzelnen.

Ein typisches Kooperationsmuster, bei dem die Einzelexpertise einer Lehrkraft gefragt ist; oder wenn Gruppen besondere Beobachtung bzw. Lernkontrolle benötigen.

Dieses Muster kann für das Einstudieren von Liedern oder Bewegungsübungen sehr hilfreich sein, aber auch für das Einführen in eine Spieltechnik auf einem Instrument.

Niedriger Planungsaufwand.

3

Die Gruppe wird geteilt, beide Lehrkräfte unterrichten gleichzeitig eine Hälfte der Gruppe.

In diesem Muster können sich die Lehrkräfte auf kleinere Schülergruppen fokussieren und einzelne SchülerInnen besser wahrnehmen. Auch das arbeitsgleiche Vorgehen mit wenigen Kindern ist sinnvoll.

Im Anschluss an eine präsentierte musikalische Erfindungs- oder Bewegungsaufgabe eignet sich das Muster, um den Gruppen Rückmeldungen zum Prozess und zum Ergebnis der Aufgabe zu geben.

Höherer Planungsaufwand als bei 1 und 2.

4

Die Lehrkräfte teilen sich und den Lerninhalt auf.

Wie beim Stationenlernen muss die Gruppe von einer zur anderen Lehrkraft gehen, um den gesamten Lerninhalt einmal erfahren zu haben. Sinnvoll ist diese Aufteilung dann, wenn die Lerninhalte gleichwertig sind und nicht aufeinander aufbauen.

Das ist zum Beispiel bei einem mehrstimmigen Musikstück der Fall, bei dem eine Lehrkraft die Melodiestimme, die andere eine Begleitung einstudiert. Oder wenn eine Lehrkraft eine musikalische und die andere eine visuelle Gestaltung mit der jeweiligen Gruppe erarbeitet. Auch für das zeitgleiche Vorstellen von verschiedenen Instrumenten kann dieses Muster hilfreich sein.

Die Muster 5a und 5b können für unterschiedliche Zugänge verwendet werden. Nach Absprache der Lehrkräfte sind die Unterrichtsinhalte stärker miteinander verbunden als bei den Mustern 2 und 3. Voraussetzungen sind jedoch, dass sich die Tandem-PartnerInnen in ihren Kompetenzen und ihrer Expertise ähneln und die Rollen klar verteilt sind.

Diese Muster bieten sich an, wenn gleichzeitig vokale, instrumentale und /oder tänzerische Zugänge unterrichtet werden.

Hoher Planungsaufwand, da sich beide Lehrkräfte gut abgestimmt haben müssen. Eventuell höhere Anforderungen an Ressourcen, unter anderem an Räume und Platzbedarf.

Anweisungen, Aufgaben, Abfolgen etc. wechseln wie in einem Gespräch ab. Der besondere Anspruch an dieses Muster ist, dass die Lehrkräfte sich ständig in Bezug auf den Lernfortschritt und die weiter zu ergreifenden Lernschritte abgleichen. Die beiden Lehrkräfte sollten sich gut kennen, damit sie sich nicht gegenseitig ins Wort fallen oder gar behindern.

Um dieses Muster im JeKits-Kontext zu realisieren, wäre ein über Jahre fest bestehendes Team ideal. Beide Lehrkräfte können so ihre Fachkenntnisse aus ihrem Blickwinkel einbringen. Sie konstruieren Unterricht synchron und wechselseitig („Co-Konstruktion“).

Zu Beginn sehr hoher Planungsaufwand: Beide Lehrkräfte müssen sich gut abgestimmt haben und die Profession des anderen sinnvoll einbinden können. Planungsaufwand nimmt beim Fortbestand desselben Teams wieder ab.

5a Beide Lehrkräfte stehen für unterschiedliche (alternative) Lernwege oder Perspektiven. 5b Beide Lehrkräfte stehen für unterschiedliche (sich ergänzende) Lernwege oder Perspektiven. 6

Beide planen und unterrichten aktiv im gegenseitigen Wechsel, ohne erkennbare Abstimmung für die Gruppe.

Höherer Planungsaufwand als bei 1 und 2.


12

3.2018

Aktuelles Urteil Bundessozialgericht: Beachtung eines Lehrplanwerks führt nicht zur Sozialversicherungspflicht

)) Musiklehrkräfte, die mit kommunalen Musikschulen Vereinbarungen über Unterrichtsleistungen in freier Mitarbeit abschließen, werden nicht deshalb zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten der Musikschule, weil sie das Lehrplanwerk des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) zu beachten haben. Das Bundessozialgericht hat einer Stadt als Trägerin einer Musikschule recht gegeben und anderslautende Entscheidungen der Vorinstanzen sowie der Deutschen Rentenversicherung Bund aufgehoben. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts am 14. März 2018 entschieden (B 12 R 3/17 R). Neben einer weiteren Tätigkeit als Musiklehrer war der Beigeladene für die von der klagenden Stadt betriebene kommunale Musikschule auf der Basis von wiederholten Honorarverträgen im Umfang von acht bis zwölf Stunden pro Woche tätig. Geregelt war unter anderem, dass er beim Unterricht das Lehrplanwerk des VdM zu beachten habe. Anders als die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht dieser Pflicht keine Bedeutung beigemessen, die zur Annahme von Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung gezwungen hätte. Entscheidend sei in erster Linie, dass die Beteiligten

erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren

ein freies Dienstverhältnis vereinbart und gelebt hätten. Dem Lehrplanwerk konnten allenfalls Rahmenvorgaben entnommen werden. Auch weitere Aspekte, zum Beispiel die Pflicht, die Räumlichkeiten der Musikschule zu nutzen, führten bei einer Gesamtwürdigung nicht dazu, dass entgegen den Vereinbarungen der Beteiligten Sozialversicherungspflicht aufgrund Beschäftigung hätte angenommen werden müssen. (( Pressemitteilung 16/2018 des Bundessozialgerichts vom 15. März 2018

Stellungnahme des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) Im Revisionsverfahren am 14. März 2018 hat das Bundessozialgericht (BSG) Kassel das Berufungsurteil des Landessozialgerichts NRW vom 6. Juli 2016 im Fall der Stadt Ahaus (wonach bei einer Honorarlehrkraft an einer Musikschule unter Bezugnahme auf Rahmenlehrpläne und Mitgliedschaftsrichtlinien des Verbands deutscher Musikschulen ein Anstellungsverhältnis vorlag und die Stadt als Musikschulträger Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten muss)

aufgehoben. Damit sind auch das erstinstanzliche Urteil des Sozialgerichts Münster und ebenso der diesem Fall zugrunde liegende Bescheid der Deutschen Rentenversicherung aufgehoben. Der Verband deutscher Musikschulen sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass die Urteile der Vorinstanzen keinen geeigneten Argumentationen gefolgt sind und somit die Urteilsbegründungen unzureichend ausgefallen waren. Dies ist unabhängig von der Haltung des VdM zu sehen, dass zur Erfüllung der Aufgaben von Musikschulen angestelltes Personal erforderlich ist. Diese Ansicht hat der VdM in seinem „Stuttgarter Appell“ 2017 noch einmal begründet. Zur Verfolgung dieses Ziels sind jedoch politische Entscheidungen zu suchen – der Weg über die Gerichte erscheint aus der Perspektive des VdM als Fachverband der Träger von Musikschulen wenig zielführend. Eine Veröffentlichung des BSG zu seinem Urteil wird bald zu erwarten sein. Über die Urteilsbegründung des BSG wird der VdM zu gegebener Zeit berichten. Matthias Pannes Bundesgeschäftsführer des Verbands deutscher Musikschulen

Redaktion: Sebastian Herbst und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Anja Bossen und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler


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