musikschule )) DIREKT 04 2017

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(K)einer für alle – das Einzelkämpfer-„Team“ Bei Statusklagen geht es immer wieder um die Frage der Einbindung in die Musikschule, die sich auf juristischer Ebene vor allem am Merkmal der Weisungsgebundenheit und an der Freiwilligkeit aller über den eigentlichen Unterricht hinaus zu erbringenden Leistungen festmacht. Doch aus pädagogischer Sicht bedeutet „Einbindung“, Teil eines Organismus und einer gemeinsamen Idee mit einem gemeinsamen Ziel zu sein, die von mehreren Menschen an einer Musikschule verwirklicht wird, nämlich im Team. Der aus der Wirtschaft und dem Sport stammende Teamgedanke in Unternehmen besagt, dass mehrere Menschen gemeinsam an der Umsetzung des Ziels arbeiten, wobei sich die Kompetenzen unterschiedlich verteilen können und arbeitsteilig gearbeitet werden kann. Das gemeinsame Ziel der Musikschule heißt „musikalische Bildung“, der Weg führt über die Musikerziehung. Lange schon ist auch an Musikschulen die Rede von „Musikschulteams“. Diese sind, wie oft auch in der Wirtschaft, interdisziplinär aufgestellt, haben jedoch alle ihren jeweils spezifischen Anteil am Gesamtziel der musikalischen Bildung. Nicht wenige Kommunen sehen den Teamgedanken jedoch offenbar anders: Für sie kann auch ein „Team“ sein, was in Wirklichkeit eine Ansammlung von Einzelkämpfern ist. So lassen sich auch auf Internetseiten von Musikschulen, die nahezu ausschließlich Honorarkräfte beschäftigen, reihenweise „Musikschulteams“ finden. Doch für eine echte Teamarbeit sind der interdisziplinäre und pädagogische Austausch und die Kooperation zwischen einzelnen Lehrkräften von immenser Bedeutung. Ein Einzelkämpfer-„Team“, das nicht kommuniziert und kooperiert, kann kein wirklich gemeinsames Bildungsziel verfolgen und noch weniger gemeinsame Erziehungsarbeit leisten. In der Zeitschrift Grundschule erschienen unlängst mehrere kritische Stellungnahmen dazu, dass die Ganztagsschule nur dann zur Bildungsteilhabe und Chancengerechtigkeit beitragen könne, wenn alle pädagogischen MitarbeiterInnen sich als Team verstehen dürften. Doch der Status als Honorarkraft hindere sie daran. Frank Post, einer der Urheber der kritischen Stellungnahmen, bemängelt das staatlicherseits verhängte neoliberale Outsourcing von PädagogInnen an Ganztagsschulen und schreibt dazu weiter: „Jedoch lehrt die historische Erfahrung, dass gerade diejenigen Systeme untergehen, die eine Kooperation bzw. den Austausch der Menschen unterdrücken.“ Untergehen werden allerdings wohl weder Musikschulen noch Ganztagsschulen, egal, ob drin ist, was draufsteht. Sie werden einfach nur nicht das bewirken, was sie sollen und vor allem auch – könnten. Anja Bossen

Inhalt 2 Plädoyer für selbstbewusste Quotenfrauen Warten und Freiwilligkeit reichen nicht

4 Stuttgarter Appell Der VdM fordert mehr festangestellte Lehrkräfte

7 Mehr als nur ein Nachfolgeprogramm Was JeKits von JeKi unterscheidet

10 Alle(s) unter einem Dach Über 150 Jahre alt: der DTKV

12 Meine App „Orphion“ – digitales Musikinstrument Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de


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Warten und Freiwilligkeit reichen nicht

Plädoyer für selbstbewusste Quotenfrauen Dörte Schmidt

Eine Quotenfrau zu sein, die Beförderung nicht redlich verdient zu haben – von diesem herabwürdigenden Komplex müssen sich Frauen distanzieren. Natürlich geht es auch bei Frauen um ihr Können – sonst wären sie nicht „im Spiel“! Dörte Schmidt plädiert für mehr selbstbewusste Quotenfrauen in Kultur und Medien.

)) In Kultur und Medien scheinen Frauen durchaus präsent, dürfen wir doch mittlerweile sogar Intendantenposten bekleiden oder Fußballspiele kommentieren. In der Regel findet man uns aber vor allem dort, wo weniger Einfluss zu nehmen oder weniger Ruhm zu erlangen ist – und weniger gut bezahlt wird. Gleichwohl sind wir nicht selten Vorzeigefiguren, das heißt eigentlich Quotenfrauen – auch ohne, dass es formelle Quoten gibt. Wir Frauen in solchen Positionen geben das allerdings ungern zu, weil wir befürchten, dadurch unsere so mühsam verteidigte Reputation zu beschädigen, die erarbeitete Qualifikation zu schwächen, derentwegen wir natürlich geschätzt und engagiert sein wollen. Aber: So kann man uns nach vorne schieben, ohne dass klar würde, wie die Verhältnisse wirklich sind – und auch noch stolz drauf sein, als wäre Gleichstellung (das heißt die Wahrung des Grundgesetzes) in jedem Einzelfall eine besondere Leistung.

Gleichberechtigung unter Beweispflicht Das sollten wir nicht erlauben. Denn: Es steht nicht sehr gut mit der Geschlechter-

gerechtigkeit in Kunst, Kultur und Medien. Das zeigen die Zahlen, die in der jüngst vom Deutschen Kulturrat publizierten Studie* ermittelt wurden. Dies ist nicht die erste und einzige aktuelle Studie, die auf das Problem hinweist. Noch mehr als Studien jedoch haben mich die Reaktionen von Studentinnen und Kolleginnen davon überzeugt, wie nötig die öffentliche Debatte ist. Die Sorge, dass gezielte Maßnahmen zur Gleichstellung sie – die es doch schon so weit gebracht hatten – fachlich wie menschlich diskreditieren könnten, war allgegenwärtig. Es ist zwar nicht mehr opportun, Frauen explizit auszuschließen, aber eben auch noch lange nicht selbstverständlich, sie gleichberechtigt zu beteiligen. Und wenn wir uns weiterhin dauernd selbst auf den Prüfstand stellen, wird sich nichts ändern: Wir werden uns weiterhin nicht einfach nur in der Sache bewähren müssen, sondern sind gleichzeitig damit dauernd auch in der Pflicht zu beweisen, ob wir diese – uns anscheinend so freiwillig gewährte – Beteiligung auch verdienen.

Der Begabungsvorbehalt Auf die Frage des Onlinemagazins Edge.org – gestellt an insgesamt 197 Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler –, welche Nachricht für sie in diesem Jahr wichtig war, antwortete die Schriftstellerin und Philosophieprofessorin Rebecca Newberger Goldstein mit einem ebenso scharfsinnigen wie eindringlichen Hinweis auf eine weitere Studie von Andrei Cimpian und Sarah-Jane Leslie und anderen, die in der Zeitschrift Science veröffentlicht worden

war. Dort geht es darum, wie der Begabungsvorbehalt, das heißt das Stereotyp des Genies, die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen untergräbt. Frauen, so kam dabei heraus, haben dort schlechte Karten, wo ein Potenzial, eine Begabung, also Option auf Zukünftiges in Anschlag gebracht werden kann und schwerer wiegt als das bisher Geleistete. Das Frappierende an diesem Ergebnis ist, dass dies in MINT-, aber eben auch in vielen Nicht-MINTFächern und besonders in den Künsten (ausdrücklich nennt Newberger Goldstein Komposition und Musiktheorie) und der Philosophie zur Benachteiligung von Frauen führt. Wenn man dies weiß, muss man auch bei den aktuellen Debatten über die Verfassungsmäßigkeit der Frauenförderung im nordrhein-westfälischen Landesbeamtengesetz mehr als skeptisch werden, wenn das Oberlandesgericht NRW in der Pressemitteilung zu seinem Urteil vorschlägt, statt einer Quotenregelung den Qualifikationsnachteil von Frauen durch die Berücksichtigung von „Befähigungs- und Eignungsmerkmalen“ wie Begabung, Persönlichkeit, Charakter oder Allgemeinwissen auszugleichen – gerade solche Optionen auf persönliche Potenziale, so haben Cimpian und Leslie zeigen können, wenden sich nicht selten gegen Frauen.

Der gute Wille hilft nicht Quoten helfen, die Lage zu entemotionalisieren – und das vor allem scheint dringend nötig. Wenn sich die Geschlechterverhältnisse in den Entscheidungsebenen


© Gerhard Seybert_fotolia

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„Auch wenn wir es alle nicht gern hören: Ohne Quoten wird es nicht gehen, wenn wir die Verhältnisse ausgleichen wollen. “

ändern, wird sich überdies zeigen, welche Auswahlmechanismen gender-indiziert sind und welche für Minderheiten insgesamt gelten. Intelligente Quoten-Regelungen können hier helfen. Mehr Sorgen als die mögliche Bevorzugung der Falschen, wie sie in allen Gremien aus den unterschiedlichsten Gründen vorkommen können, macht mir dabei, dass sich Maßnahmen zuweilen gegen die richten, deren Gleichberechtigung sie fördern sollen: So kann der Zwang zu paritätischer Besetzung von Gremien dazu führen, dass Frauen überproportional viel administrative Arbeit leisten müssen, was dann tatsächlich ihrer fachlichen Reputation schaden kann. Schon jetzt sind Frauen vor allem in Gremien vertreten, die viel Arbeit machen, während die besonders einflussreichen Gremien einen Männer-Überschuss aufweisen. Auch supplementäre Förderungen wie Bewerbungs- und Verhandlungscoachings etc., so gut sie auch in vielen Fällen gemeint sind, bergen zunehmend die Gefahr, Frauen von dem abzuhalten, was sie eigentlich in der Sache qualifiziert, und vermittelt ihnen überdies, das Ganze ließe sich auf der individuellen Ebene lösen: Sie müssten sich nur den herrschenden Verhältnissen besser anpassen, dann wird das schon. Auf diesen Fehlschluss wies kürzlich auch die Verhaltensökonomin Iris Bohnert (Harvard University) in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hin: „Es geht darum, die Bedingungen zu verändern, nicht die Personen.“ Das gilt für beide Seiten, die der Bewerberinnen wie die der Personalent-

scheider. Auf die Frage: „Der gute Wille hilft nicht?“, antwortete Bohnert denkbar knapp: „Überhaupt nicht.“ Auch wenn wir es alle nicht gern hören: Ohne Quoten wird es nicht gehen, wenn wir die Verhältnisse ausgleichen wollen. Wir sollten uns nicht weigern, Quotenfrauen zu sein und an der Gestaltung von intelligenten Quotenregelungen mitzuwirken, gerade weil wir um unseres Könnens willen geschätzt werden – das werden wir, denn sonst wären wir gar nicht „im Spiel“. ((

* Gabriele Schulz, Carolin Ries und Olaf Zimmermann: Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge, www.kulturrat.de/publikationen/frauen-in-kultur-und-medien

Zuerst erschienen in Musikforum 1/2017: „Frauen und Musik“. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Schott Music.

Dörte Schmidt ist Professorin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Musikforschung und Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrats.

Frauen und Musik „Auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit?“ Dieser Frage widmet sich Ausgabe 1/17 der Zeitschrift „Musikforum“. Außer dem hier wiedergegebenen Plädoyer von Dörte Schmidt liest man dort Beiträge von Eva Rieger (Zur Musikkultur seit Entstehung der Frauenbewegung), Susanne Rode-Breymann (Gleichstellung und Genderforschung in der Musik), Olaf Zimmermann (Sechs Vorschläge, um mehr Geschlechtergerechtigkeit im Musikbereich zu erreichen), Gabriele Schulz (Musikbereich als Schlusslicht), Gaja von Sychowski (Rollenspiele und Selbstinszenierungen im Popbusiness), Monika Bloss (Über Frauen und Popmusik), Alenka Barber-Kersovan (Musikalische Aufführungspraxen der „Electric String Ladies“) und Lars Reichow (Was wäre Musik ohne Frauen?).


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Stuttgarter Appell Der Verband deutscher Musikschulen verabschiedet auf dem Musikschulkongress in Stuttgart weitgehende Forderungen nach festangestellten Lehrkräften

Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) fordert die Träger seiner Mitgliedsschulen auf, den Anteil angestellter Lehrkräfte kontinuierlich zu erhöhen, um die im Positionspapier der Kommunalen Spitzenverbände geforderte Qualität der öffentlichen Musikschulen zu gewährleisten. Nur über qualitätssichernde Rahmenbedingungen für öffentliche Musikschulen, deren Grundlage die Perspektive einer Festanstellung ist, bleibt das Berufsbild Musikschulpädagoge auch für zukünftige Studienbewerber attraktiv.

)) Für Musikschulen, die das Ziel einer Vollausstattung mit angestellten Lehrkräften noch nicht erreicht haben, empfiehlt der VdM im Sinne des im Positionspapier der Kommunalen Spitzenverbände (KSV) und im KGSt-Gutachten geforderten „bedarfsgerechten“ Verhältnisses von angestelltem Personal zu Honorarkräften eine stufenweise, in Tempo und Grad an den jeweiligen Rahmenbedingungen orientierte Erhöhung des durch angestellte Lehrkräfte erteilten Unterrichts. Eine öffentliche Musikschule, wie sie vom VdM in seinem Strukturplan aufgestellt ist, von den Kommunalen Spitzenverbänden in ihrem gemeinsamen Positionspapier gefordert und im KGSt-Gutachten beschrieben wird, ist grundsätzlich nur mit angestellten, weisungsgebundenen und angemessen vergüteten Lehrkräften zu realisieren. Musikschulen, deren Träger von ihren Honorarkräften mehr verlangen als die vertraglich vereinbarten Unterrichtsstun-

den, um eine Qualität zu erreichen, wie sie grundsätzlich nur mit angestellten Lehrkräften zu erreichen ist, vertrauen bisher darauf, dass es keine Kläger bei den Gerichten gibt. Vieles hat sich in letzter Zeit – oft zunächst leise und kaum wahrgenommen – so geändert und so zugespitzt, dass sich die Musikschulen im VdM in ihrer fachlichen Verantwortung für die Träger jetzt zu Wort melden müssen. 1. Die zunächst zur Ergänzung des im Kern durch angestellte Lehrkräfte gesicherten Unterrichtsangebotes eingesetzte „freie Mitarbeit“ hat so zugenommen, dass die vom VdM und den kommunalen Spitzenverbänden eingeforderte Qualität musikalischer Bildung in der Substanz gefährdet ist. 2. Die Sozialgerichte wie auch die Statusfeststellungsprüfungen der Deutschen Rentenversicherungen stellen den Einsatz von Honorarkräften aktuell grundsätzlicher in Frage als jemals zuvor, erhöhen für die Träger das Risiko, einstellen und/oder nachzahlen zu müssen (zusätzlich auch für den Arbeitnehmeranteil) und verunsichern dadurch die Träger öffentlicher Musikschulen. 3. Die gerade in den Kooperationsprojekten mit allgemeinbildenden Schulen und auch Kindertageseinrichtungen unverzichtbare Einbindung in Abstimmungsprozesse mit den PädagogInnen und ErzieherInnen dort sowie die Orientierung der Tätigkeit an inhaltlichen, zeitlichen und räumlichen Vorgaben erfordert Weisungsbindung ebenso wie der „klassische“ Elementar-, Instrumental- und Vokalunterricht.

4. Die Attraktivität des Berufsbildes einer Musikschulpädagogin oder eines Musikschulpädagogen hat durch die mangelnde Perspektive einer Festanstellung so gelitten, dass die Zahl der Bewerbungen für musikpädagogische Studiengänge dramatisch zurückgeht und die konkrete Gefahr besteht, dass es in zehn Jahren keinen ausreichenden qualifizierten Nachwuchs mehr gibt. 5. Darüber hinaus gefährdet eine Fluktuation freiberuflichen Personals hin zu Festanstellungen bei anderen Musikschulen, in andere Länder wie auch in andere Arbeitsbereiche die Kontinuität des Unterrichts. Nur angestellte Lehrkräfte, die auf das Leistungspaket der „Zusammenhangstätigkeiten“ verpflichtet sind, können das vollständige, aufeinander abgestimmte, vielfältige und qualitativ hochwertige Angebot der öffentlichen Musikschulen garantieren. Dadurch gewährleisten sie nachhaltige, auf Vertrauen, Verlässlichkeit und auf längere Zeiträume angelegte Bildungsprozesse. ) Nur sie ermöglichen ein für alle Lehrkräfte verpflichtendes Fortbildungsprogramm, eine intensive beratende Zusammenarbeit mit den Eltern, ) nur sie garantieren eine Begabtenförderung, die sich an den Bedürfnissen und Chancen der Schülerinnen und Schüler orientiert, ) nur sie erlauben notwendige zusätzliche Aktivitäten für gelingende Inklusion, ) nur sie eröffnen einen flexiblen Einsatz für kurzfristige notwendige Vertretungen, für Aktionen und Projekte der Musikschule an Wochenenden und in den Ferien,


© VdM / Heiderich

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Bundesgeschäftsführer Matthias Pannes (links) und der neu gewählte Bundesvorstand des VdM mit Jörg Freese, Wolfgang Greth, Friedrich-Koh Dolge, Sigrid NeugebauerSchettler, Ulrich Rademacher, Friedrun Vollmer, Volker Gerland und Klaus-Dieter Anders

) nur sie gewährleisten die regelmäßige Teilnahme an Konferenzen der Fachbereiche, der Stadtteilzentren oder im Rahmen von Projektplanung und -begleitung, ) nur sie stellen damit eine fachlich-inhaltliche Weiterentwicklung der Musikschularbeit sicher. Gerade die Zusammenarbeit mit den allgemeinbildenden Schulen verlangt – heute mehr denn je – nach einer vertieften Abstimmung, die einen deutlich über den „Netto“-Unterricht hinausgehenden Zeitaufwand erfordert und die Einbindung in schulische Abläufe nach sich zieht. Auch die künstlerisch-pädagogische Abstimmung zwischen Elementarer Musikpädagogik, Instrumental-/Vokalunterricht und Ensemblearbeit braucht Zeit und Flexibilität. All dies müsste bei einem fairen und Rechtssicherheit bietenden Einsatz von Honorarkräften noch zusätzlich vereinbart und honoriert werden. Erst ein solcher Bildungsorganismus rechtfertigt – neben den Zugangsmöglichkeiten für alle Bevölkerungsschichten und der garantierten Qualität examinierter Lehrkräfte – den Einsatz öffentlicher Mittel für eine öffentliche Musikschule. Die öffentlichen Mittel, die den Einsatz von weisungsgebundenen, angestellten Lehrkräften ermöglichen, gewährleisten damit genau das pädagogische Plus und den bildungspolitischen Mehrwert, womit sich eine öffentliche Musikschule von anderen Angeboten unterscheidet. Dies ist auch die Erwartung der Träger an ihre öffentlichen Musikschulen. Hierzu bedarf es neben einer professionellen Führung, die diese Leistungen einfordert und sinn-

„Nur angestellte Lehrkräfte, die auf das Leistungspaket der ,Zusammenhangstätigkeiten‘ verpflichtet sind, können das vollständige, aufeinander abgestimmte, vielfältige und qualitativ hochwertige Angebot der öffentlichen Musikschulen garantieren.“ voll einsetzt, einer entsprechenden finanziellen Ausstattung der Musikschulen durch die Kommunen als Träger und ebenso durch die Länder, die hier gleichermaßen verantwortlich für das Bildungsgeschehen sind. Denn Musikschulen ermöglichen eine Berufs-/Studienvorbereitung, die im staatlichen Schulsystem nicht geleistet werden kann. Es gibt allerdings Rahmenbedingungen und Anlässe vor Ort, die den Einsatz von Honorarkräften in einzelnen Fällen sinnvoll erscheinen lassen, sofern eine Weisungsbindung vermieden werden kann. Zum Beispiel, um Lehrkräfte verpflichten zu können, die anderweitig vollbeschäftigt – etwa an anderen Musikschulen, an Musikhochschulen, an Universitäten, in Orchestern etc. – sind, um Lehrkräfte im Rahmen von zeitlich begrenzten Projekten flexibel einsetzen zu können, um Musikstudierende einsetzen zu können.

Die unverzichtbare Weisungsbindung rechtfertigt und erfordert aus Sicht des VdM klar eine Entscheidung zugunsten von Anstellungsverhältnissen. Dies gilt sowohl für den qualitätsorientierten Unterricht in den Bereichen Elementare Musikerziehung, Instrumental-/Vokalausbildung und Ensemblearbeit als auch im Zusammenhang mit musikschulspezifischen Aufgabenstellungen wie Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen und Kindertageseinrichtungen, Inklusion, Ensemblearbeit, Stadtteilarbeit und Projektarbeit. Bei der in den Papieren von KSV und KGSt geforderten Qualität liegen die Personalkosten für angestellte Lehrkräfte zudem nicht wesentlich über den Kosten für Honorarkräfte, die für die vergleichbaren Leistungen entsprechend zusätzlich vergütet werden müssen. (( Kommentar auf der folgenden Seite >


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Sandra Scheeres erhält Musik-Gordi 2017 Seit 2013 wird der „Musik-Gordi“ von den Redaktionen des „Musikforums“ und der „neuen musikzeitung“ verliehen. In diesem Jahr erhält Sandra Scheeres, Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft, den gordischen Knoten des Musiklebens. Sie ist maßgeblich für die seit Jahren bestehenden Missstände an den Berliner Musikschulen sowie für das Verschwinden der künstlerischen Schulfächer an den allgemeinbildenden Schulen verantwortlich. Christian Höppner, Chefredakteur des „Musikforums“: „Als ‚Verwalterin‘ statt ‚Gestalterin‘ zeigt Senatorin Scheeres ein offenkundiges Desinteresse an der kulturellen Bildung, insbesondere an den künstlerischen Schulfächern und der Musikschularbeit. Die katastrophale soziale Situation der Berliner Musikschullehrer(innen) und die desaströse Weichenstellung für die künstlerischen Ausbildungsgänge, die Senatorin Scheeres zu verantworten hat, werden das Fach Musik schneller als vorhergesagt verschwinden lassen.“

Wann, wenn nicht jetzt? – Kommentar zum Stuttgarter Appell Mit dem im Mai 2017 verabschiedeten „Stuttgarter Appell“ hat sich – nach langen Jahren teils heftig geführter Diskussionen mit der Gewerkschaft ver.di – nun endlich auch beim VdM, dem wichtigsten Musikschulverband, die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ein „Weiter so!“ nicht länger geben kann. Wenn auch der Anlass möglicherweise nicht in erster Linie das soziale und finanzielle Wohlergehen der MusikschullehrerInnen war, hat offenbar die Qualität der Musikschularbeit in den vergangenen Jahren gelitten. So stellt der Stuttgarter Appell denn auch nochmals den bereits von Ulrich Rademacher in der neuen musikzeitung Anfang Mai geäußerten Grundgedanken heraus: was nämlich eine Musikschule ausmacht und dass es dazu festangestellter Lehrkräfte bedarf. Besonders hervorzuheben und ein neuer Gedanke in der Diskussion: die Auffassung des VdM, dass öffentliche Gelder nicht zur Förderung prekärer Arbeitsverhältnisse einzusetzen sind und sich die Qualität musikalischer Bildung, für die der VdM als Vertreter staatlichen Interesses steht, nur mit fair behandelten, aber auch weisungsgebundenen Lehrkräften erzielen lässt. Damit könnte sich die Honorarbeschäftigung wieder zu dem entwickeln, wofür sie eigentlich gedacht war, bevor sie an vielen öffentlichen Musikschulen dauerhaft missbraucht wurde: eine Ausnahme für bestimmte Situationen bzw. bestimmte Personengruppen wie z. B. (angestellte!) HochschuldozentInnen, (angestellte!) OrchestermusikerInnen oder Studierende. Die von einigen KollegInnen geäußerte Befürchtung, es bestehe die Gefahr, dass nun

vermehrt Studierende als Lehrkräfte eingesetzt werden, scheint dabei eher gering. In Regionen, in denen Festanstellungen die Ausnahme darstellen wie im Land Berlin, erhalten Studierende aufgrund ihrer noch nicht abgeschlossenen Ausbildung seit Jahrzehnten generell weniger Honorar als Lehrkräfte mit abgeschlossenem Studium. Dennoch hat dies nicht dazu geführt, dass an Musikschulen nur noch Musikstudierende unterrichten, denn die Anzahl von Musikstudierenden reicht bei Weitem nicht aus, um die Nachfrage abzudecken, zumal Musikstudierende sich hauptsächlich ihrem Studium widmen müssen und nicht vorrangig dem Unterrichten nachgehen können. Doch spiegelt der Stuttgarter Appell mit seiner Forderung nach Festanstellung als Normalarbeitsverhältnis an Musikschulen auch die Wünsche der Musiklehrkräfte wider? Greift man auf die Ergebnisse der ver.di-Umfrage von 2012 zurück, so lässt sich in diesem Punkt eine hohe Übereinstimmung zwischen der Aufforderung zu mehr Festanstellung und dem Wunsch der Befragten ausmachen: Knapp 77 Prozent der befragten Honorarkräfte wünschten sich eine Festanstellung, was bedeutet, dass sie sich als Teil des Organismus „Musikschule“ betrachten und eingebunden sein wollen. Und: Wer dies nicht möchte, dem stehen sowohl private Musikschulen als auch die Tätigkeit als Privatmusiklehrkraft offen. Als solche kann schließlich jeder unterrichten, wie und was er will, ohne sich nach irgendwelchen Vorgaben und Lehrplänen richten zu müssen; in einem staatlichen Bildungsinteresse kann dies allerdings nicht liegen.

Bleibt bei allem Positiven die Feststellung, dass der Stuttgarter Appell eben nur ein „Appell“ ist. Niemand kann zu seiner Umsetzung verpflichtet werden und der zeitliche Rahmen sowie die Rahmenbedingungen, die den Einsatz von Honorarbeschäftigten legitimieren, bleiben prinzipiell verhandelbar. Und wenn mancherorts wie kürzlich an einer VdM-Musikschule im Land Brandenburg, an der bis auf die Fachbereichsleiter niemand fest angestellt ist, eine Honorarerhöhung von ca. 17 Euro auf ca. 19 Euro pro Stunde von den verantwortlichen Kommunalpolitikern als Erfolg gefeiert wird, zeigt dies, wie weit die Realität von den Forderungen des VdM entfernt sein kann. Und auch das Beispiel einiger Theater, die aktuell eine Mindestgage für Schauspieler einführen, dafür jedoch ein bis zwei Produktionen pro Spielzeit weniger auf die Bühne bringen können, zeigt, dass ein derartiger „Selbstverzehr“ nicht die Lösung sein kann. Der Kuchen wird nicht davon größer, dass man ihn in größere Stücke schneidet. Für die Umsetzung der Forderungen bedarf es daher weiterhin großer Anstrengungen mit vereinten Kräften über Verbands- und Organisationsgrenzen hinweg. Doch wann, wenn nicht jetzt, da die Steuereinnahmen sprudeln, wäre der Zeitpunkt gekommen, diese für eine faire Behandlung von Lehrkräften, eine qualitativ hochwertige musikalische Bildung und damit zum Allgemeinwohl einzusetzen? Anja Bossen und Sebastian Herbst


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Was JeKits von JeKi unterscheidet

Mehr als nur ein Nachfolgeprogramm

)) „Das wird jetzt nicht JeKi 2.0 sein – was das neue JeKi sein wird, werden wir erst in einigen Jahren wissen!“ Mit dieser Bemerkung über das neue JeKits hatte Manfred Grunenberg, der „Vater“ von JeKi 1.0, ins Schwarze getroffen: Bei aller notwendigen Verbindlichkeit der neuen Programmstandards, bei aller Klarheit in der Definition der neuen Rahmenbedingungen scheint der fundamentale Unterschied zwischen JeKi und JeKits darin zu liegen, dass tatsächlich nur Rahmenbedingungen definiert sind. Und das heißt: Innerhalb dieses Rahmens tun sich insbesondere für das zweite Jahr von JeKits (und dieser Beitrag handelt vor allem davon) große Spielräume auf. Und nur wenn diese Spielräume vor Ort genutzt werden, unter den konkreten Bedingungen der jeweiligen Grundschule und Musikschule, von den konkret beteiligten Lehrkräften beider Institutionen, wird das neue JeKits eine vielfarbige und vielfältige Wirklichkeit werden können.

Programmatische Mitverantwortung Wie aber kann JeKits so auf den Weg kommen, dass vor Ort die programmatische Mitverantwortung, die didaktische und methodische Fantasie, die Bereitschaft zum musikalischen Experiment oder die Lust auf Zusammenarbeit in großem Ausmaß mobilisiert werden? Einige Vorschläge: ) Wir müssen den Diskurs über die Philosophie von JeKits führen und jene instrumentalpädagogischen Beispiele betrachten, in denen das Ineinander von Musizieren und spieltechnischer Entwicklung schon

zu gelingen scheint – und dabei den eminenten Beitrag der SängerInnen und TänzerInnen, die ja neu im Programm sind, nutzen. Zu erwarten ist, dass sich in diesem Diskurs auch Widerspruch artikulieren wird, rüttelt doch die musikpädagogische Kernidee (siehe unten) durchaus an den Grundfesten ästhetischer wie pädagogischer Überzeugungen in Bezug auf Musik und Unterricht. ) Seitens der JeKits-Stiftung müssen die Vorgaben so gestaltet werden, dass ohne Abstriche an den grundlegenden musikpädagogischen und ästhetischen Zielen genügend Freiraum für didaktisch-methodische Entscheidungen ist: also für die konkrete Zeitgestaltung, für die Entwicklung einer speziellen Ensemblepraxis, für die Wahl der angemessenen Unterrichtsformen, für die reale Ausgestaltung der Lehrerrolle usw. Die ersten Schritte in diese Richtung sind getan: Teamteaching ist möglich, Ensemble und Instrumentalunterricht können auf einen Termin gelegt werden und anderes mehr. ) JeKits muss die Teams vor Ort ermuntern, nicht nur musikpädagogische Vorstellungen umzusetzen, sondern diese standortbezogen überhaupt erst einmal zu entwickeln: Dazu dienen die speziellen Weiterbildungsformate der Stiftung wie die Praxistage oder die JeKits-Akademie, dazu müssen mehr als bisher Coaching- und Mentoring-Angebote gemacht werden. Auch hier gibt es bereits konkrete Überlegungen und erste Erfahrungen mit der Rolle von MultiplikatorInnen. ) Zur Standortbezogenheit gehört auch, die Einbettung der JeKits-Aktivitäten in

Peter Röbke

das Schulleben zu betreiben, denn aus der Notwendigkeit von JeKits für die allgemeinbildenden Schule heraus, aus der Dringlichkeit für die Entwicklung von Schule als „Lebensraum“, erwachsen auch wieder Ideen etwa für die Arbeit im Ensemble, gilt es doch vielleicht Feiern zu gestalten, im Schulalltag musikalisch zu intervenieren, den täglichen Unterricht musikalisch zu beleben usw. Dabei vermute ich: Die Basis für die echte Einbindung von JeKits in die Grundschule wird wohl eine inhaltliche Klärung des Verhältnisses von JeKits und allgemeinbildendem Musikunterricht sein. ) Schließlich braucht es einen breiten Austauschprozess zwischen den vielen JeKits„Blumen“: Plattformen für gute Praxis, Material- und Ideenaustausch, Foren für die musikpädagogische Debatte – hier ist etwa der Materialpool auf der JeKits-Website auf einem guten Weg. Unterrichtsvideos mit guter Praxis und Video-Tutorials wären ein sinnvoller nächster Schritt. Am Ende aber geht es immer wieder um die eine Botschaft: Alle, die an JeKits beteiligt sind, ob Musikschullehrkraft oder Musikschulleitung, ob Instrumental-, Gesangs-, Tanzpädagogin oder Lehrkraft für Elementare Musikpädagogik, ob primär Ensembleleiter oder Instrumentallehrer, ob mit Musikschul- oder Grundschulhintergrund: Ihr seid nicht dazu da, die Programmstandards nur umzusetzen oder anzuwenden, sondern ihr könnt euch massiv in die Entwicklung des Programms einbringen; ihr seid nicht als ausführende Organe, sondern als kreative Köpfe, als „Reflective Practitioners“ gefordert.


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© JeKits -Stiftung

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Musikpädagogische Kernidee Einige Worte zur bereits angesprochenen musikpädagogischen Kernidee: Ich nehme dafür ein Gesangsbeispiel, denn dort sind „Chor“ und „Stimmbildung“ von Haus aus nicht getrennt, anders als in der Instrumentalpädagogik, wo durchaus die Neigung besteht, Technikvermittlung im Unterricht und Musizieren im Ensemble als getrennte Welten zu sehen. Also erzähle ich von einem vorbildlichen Gesangsbeispiel außerhalb von JeKits, hatte ich doch vor Jahren das Glück, Inga Mareile Reuther vom Münsteraner JEKISS (Jedem Kind seine Stimme) bei der Arbeit erleben zu dürfen. Die Kollegin arbeitete ein- und mehrstimmig mit inspirierenden Liedern, hielt die Gruppe immer auch in der ganzkörperlichen Bewegung und agierte vom Klavier aus, das Geschehen über eine pulsierende Begleitung unaufhörlich im Fluss haltend. Alle „Anweisungen“ wurden im Call and Response von der Leiterin gegeben und vom Chor beantwortet, alle durchaus erkennbaren Stimmbildungsübungen waren in den musikalischen Ablauf eingebettet. Nie, wirklich in keinem Moment, riss der Faden. Die Schülerinnen und Schüler empfanden vor allem, dass sie auf eine erfüllte Weise gesungen und getanzt hatten, die Lehrkraft aber hatte nicht nur dieses Singen angeleitet, sondern zugleich eine umfangreiche gesangspädagogische Agenda abgearbeitet. Somit können wir von einer Differenz zwischen einem strukturierten und aufbauend gedachten Unterrichtsgeschehen im Kopf von Inga Mareile Reuther und der Realität eines erfüllten und nicht enden wollenden Singens in den Schülerköpfen sprechen: Da sind zwei Wirklichkeiten von Unterricht in einer einzigen Stunde

anzutreffen (ich rede hier noch nicht vom Verhältnis Unterricht/Ensemble), und der Unterricht selbst kann zwischen diesen Wirklichkeiten hin- und herpendeln. Es kann aber auch sein, dass sich der Fokus von Woche zu Woche verschiebt oder aber, wie soeben berichtet, die eine Wirklichkeit eines herrlich fließenden Singens und Musizierens in der Wahrnehmung der Schüler bestand und die andere einer systematischen und aufbauenden Arbeit in jener der Lehrkraft. Was sich hier auch andeutet, ist ein zirkuläres Verhältnis von Musizieren bzw. Singen und der Vermittlung der dafür notwendigen Technik: Keine Lehrkraft im Bereich Singen würde auf die Idee kommen, dass man erst ein Jahr lang Stimmbildung betreiben muss, bevor die Kinder im Chor singen dürfen (ich vermute, die meisten TanzpädagogInnen sehen das ähnlich und kämen nicht auf den Gedanken, die Körperschulung vom tänzerischen Ausdruck in der Gruppe sequenziell zu trennen). Von Hause aus ist nun die Instrumentalpädagogik viel stärker einem sequenziellen Verhältnis von Technikaufbau und Musikmachen verpflichtet, einem „Erst Üben und dann Musizieren“; denn wir wissen ja, was alles passieren kann, wenn Querflötenansatz, pianistische Handhaltung oder geigerische Strichbewegungen am Anfang nicht ordentlich entwickelt werden … Auf der anderen Seite müssen wir uns zugleich eingestehen, dass wir uns mit dieser Sorge um die richtig vermittelte Technik ein großes Problem mit der Motivation einhandeln. Wie soll jemand geduldig in musikfernen Übungen auf langen Tönen oder auf leeren Saiten spieltechnische Basics entwickeln, wenn ihm oder ihr überhaupt nicht erfahrbar und anschaulich wird, wie und warum diese im wirklichen Musizieren gebraucht werden? Instrumen-

talpädagogik hat dann etwas Kafkaeskes, weil die Botschaft lautet: Mühe dich redlich, strebe eifrig dem Ziel zu, aber ob du je zum Musizieren kommst, liegt im Verborgenen, so wie Kafkas Schloss …

Raus aus dem Dilemma Glücklicherweise deuten sich verschiedene Möglichkeiten an, diesem Dilemma zu entkommen: ) Wir sehen in nicht-klassischen musikalischen Szenen, wie sich die Beteiligten überhaupt keine Gedanken über dieses Dilemma machen: Da werden Bands gegründet und Stücke bewunderter Vorbilder gecovert, und gleichzeitig wächst die Technik irgendwie mit (vor allem durch das Nachspielen von Aufnahmen); da werden dem Geigenanfänger am Musikantenstammtisch die Geigen- und Bogenhaltung sowie die notwendigen Griffe für den Nachschlag auf der ersten und fünften Stufe vermittelt, und schon steigt er in das Geschehen im Wirtshaus ein. ) Da gibt es El Sistema, das man in vielerlei Hinsicht sehr kritisch betrachten kann, das aber instrumentalpädagogisch eine heilsame Provokation darstellt: Das Orchester ist von Anfang an der Ausgangspunkt, und zwar das große, richtige Orchester. Die instrumentale Spieltechnik wird durch unterstützenden Instrumentalunterricht sowie durch Beobachtung und Nachahmung der LehrerInnen und der gleichaltrigen Peers in der Registerprobe oder am gleichen Pult erworben. ) Und in der Musikschularbeit selbst können wir schließlich beobachten, dass gerade die besonders erfolgreichen Lehrkräfte sehr darauf achten, dass das am Instrument Gelernte möglichst schnell im Ensemblemusizieren Anwendung und Weiterentwicklung findet!


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© JeKits -Stiftung

„Die Grenzen zwischen Orchester und instrumentalem Gruppenunterricht sind fließend.“ Wie schon gesagt: Bei solchen Gedanken geht es vor allem bei „KlassikerInnen“ gewissermaßen ans Eingemachte. Kann man das überhaupt Musik nennen, was im Elementaren Musizieren entsteht? Kann man das überhaupt Unterricht nennen, wenn die Lehrkraft einfach nur vormacht oder nur mitmusiziert? Und ist das überhaupt Flöten- oder Geigenunterricht, wenn das Instrument nicht im Mittelpunkt steht? Hier geht es um Habitus, um tiefsitzende Einstellungen; ein ganzer Kosmos kultureller Werte, der uns „in den Knochen steckt“ und unser Verhalten vor allem dann beeinflusst, wenn er gar nicht zu Bewusstsein kommt … Was Lehrkräfte in JeKits dennoch versuchen sollten, ist, an diesem zirkulären Verhältnis von technischem Lernen und erfülltem Musizieren zu arbeiten, sozusagen an einem „Lernenden Musizieren“ oder „Musizierenden Lernen“. Daraus folgt aber zwangsläufig, dass die Grenzen zwischen dem Orchester und dem instrumentalen Gruppenunterricht fließend sind. Der Unterschied ist in Wahrheit kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller: Natürlich ist das Orchester in Bezug auf die vertretenen Instrumente heterogen und der Unterricht instrumentenhomogen, aber in beiden Formen geht es um das gemeinsame Musizieren und das instrumentale Lernen. Der Fokus wird im Orchester eher auf das Musizieren gerichtet sein, ohne dass aber dem Leiter oder der Leiterin die instrumentale Ausführung gleichgültig wäre – umgekehrt hat die Instrumentallehrkraft primär die richtige spieltechnische Ausführung im Auge, ohne dass sie aber darauf verzichten würde, mit ihrer Geigen- oder Flötengruppe auch richtig Musik zu machen! Und ob Orchester oder instrumentaler Gruppenunterricht: So oder so kann das Geschehen zwischen strukturiertem Ar-

beiten und losgelassenem Musizieren oszillieren. Und somit sind auch die Rollen der beteiligten Lehrkräfte nicht eindeutig festgelegt, sie schwanken beständig zwischen Lehrer und musikalischem Gruppenleiter.

Erfindung des Orchesters Der Anspruch eines „Lernenden Musizierens“ wird jedoch nur eingelöst werden können, wenn in didaktisch-methodischer Hinsicht große Freiheiten bestehen – und damit sind wir bei der „Erfindung des Orchesters“ und bei dem Gedanken einer Flexibilisierung von JeKits aufgrund der unterschiedlichen regionalen Bedingungen angelangt. Hierzu hat eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Musikschulen, der Stiftung und des Kuratoriums ein Papier „Gedanken zum JeKits-Orchester“ vorgelegt, dessen Studium nur empfohlen werden kann (www.jekits.de/app/uploads/2017/06/ Gedanken-zum-JeKits-Orchester.pdf). Ausgangspunkt der Orchestererfindung ist das Lehrerteam vor Ort, das sich um eine oder mehrere bestimmte Ideen von Musizieren herum gruppiert, was zunächst Folgen für die Besetzung und den äußeren Charakter des Orchesters hat: Dieses kann streicher- oder bläserlastig sein, Melodieund Schlaginstrumente zusammenführen, das Instrumentalspiel mit Gesang und Bodypercussion kombinieren, eher eine PopBand oder eher ein Ethnoensemble sein oder gar eine Experimentalgruppe, die auch das Spiel mit Materialien nutzt. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Das ist aber zunächst nur die Außenseite: Welche musikalische Praxis wird denn dann konkret entwickelt – unter den Bedingungen des absoluten Beginnens, bei dem aber auch mit wenigen Tönen schon einiges geht?

Ich würde mir wünschen, ) dass in dieser Praxis nicht nur notierte Musik eine Rolle spielt, somit dem Erfinden von Musik großer Raum eingeräumt wird. Und dabei meint „Erfinden“ nicht nur das frei Improvisierte, sondern auch das ganz selbstverständliche Finden von Begleitstimmen, von Basslinien, von perkussiver Unterstützung, das Entwickeln einer Mehrstimmigkeit, für die man dann wahrlich keine Noten braucht; ) dass die Beteiligten das Gefühl haben, nicht nur Ausführende, sondern musikalische Subjekte zu sein; ) dass diese Arbeit vor allem als etwas Künstlerisches wahrgenommen wird und nicht als eine musikpädagogische Propädeutik für den späteren Umgang mit der Kunst; ) dass es um musikalisch erfüllte Momente, um Sinnlichkeit, um ein wirkliches Erscheinen des Klangs, kurz: um ästhetische Erfahrungen geht; ) dass immer wieder etwas Überraschendes oder Ereignishaftes passieren kann, also ein Zusammenspiel, das plötzlich wunderbar funktioniert, ein Klang, der wirklich schön ist, ein Rhythmus, der auf einmal zu grooven beginnt. Das wird aber nur stattfinden, wenn alle an JeKits Beteiligten dieser Idee verpflichtet sind, die Haltung also nicht sein darf: „Ich unterrichte Geige, der Kollege unterrichtet Orchester.“ Das gemeinsame Commitment aller Beteiligten zum Herzstück „Musizieren“ ist jedenfalls die notwendige und unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung der JeKits-Kernidee. ((

Dr. Peter Röbke ist Professor für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.


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4.2017

Alle(s) unter einem Dach

Edmund Wächter

Mit über 150 Jahren die älteste deutsche Musikervereinigung: der Deutsche Tonkünstlerverband e. V. (DTKV) )) Bereits in seiner Gründungsphase Mitte des 19. Jahrhunderts verstand sich der Tonkünstlerverband als Selbsthilfegruppe von Musikerinnen und Musikern, um deren schwierige Lage solidarisch zu verbessern. Von Beginn an war klar, dass die Medaille zwei Seiten hat: Auf der einen Seite galt es, den Wert der komponierenden und ausübenden Musiker in der bürgerlichen Gesellschaft zu verdeutlichen und damit die Arbeitsbedingungen und sozialen Verhältnisse anzuheben. Hierzu gehörte schon damals die angemessene Bezahlung, die Sicherung im Krankheitsfall und im Alter wie auch der Hinterbliebenen und – nahezu revolutionär – der Schutz geistigen Eigentums. Selbstverständlich war auch der „Vater“ der GEMA, Richard Strauss, Mitglied im Tonkünstlerverband. Auf der anderen Seite galt es, Musik – besonders der Zeitgenossen – aufzuführen, denn ohne Arbeit sind die besten Arbeitsbedingungen nutzlos. So gehörte zu den Gründungsinitiativen des „Berliner Tonkünstlervereins“ (gegr. 1844) ein Orchester der Mitglieder, das als Keimzelle der Berliner Philharmoniker gelten kann. Tonkünstlerfeste, Konzertreihen mit neuer Musik und musikalische Veranstaltungen außerhalb des Mainstreams gehören bis heute zu den Aktivitäten des DTKV. Der Musikfonds des Bundes zur Förderung zeitgenössischer Musik (www.musikfonds.de), der dieses Jahr erstmalig Fördergelder bereitstellt, entspricht einer langjährigen Forderung des DTKV, der zu den Gründungsmitgliedern gehört und auch im Kuratorium vertreten ist. Nach dem Berliner Vorbild etablierten sich in kurzer Folge ähnliche Zusammenschlüsse von Musikern in München, Köln, Leipzig, Dresden und Hamburg. Ein „Allgemeiner Deutscher Musikverein“ wurde 1861 von Musikern um Franz Liszt ins Le-

ben gerufen. 1874 schlossen sich die Organisationen aus Berlin, Hamburg, Leipzig und München zum „Verband Deutscher Tonkünstlervereine“ zusammen, der seither unter variierenden Namen – mit Ausnahme der Jahre 1933 bis 1945 – das deutsche Musikleben mitgestaltet. 1920 trat der „Musikpädagogische Verband“ (gegr. 1903) dem „Zentralverband deutscher Tonkünstler“ bei, womit auch die musikalische Nachwuchsförderung zu einer Hauptaufgabe des Tonkünstlerverbands wurde, die sich z. B. im 1964 ins Leben gerufenen Wettbewerb „Jugend musiziert“ manifestiert.

Schon einiges erreicht Die geringe Wertschätzung und die damit einhergehende geringe Honorierung von Instrumental- und VokalpädagogInnen wie auch von ausübenden Musikerinnen und Musikern ist bis heute ein leidiges Thema: von unzureichend dotierten Honorarverträgen an Musikschulen und künstlerischen Lehraufträgen an Hochschulen und Universitäten bis zu freiberuflichen MusikpädagogInnen, die sich gegen die Dumpingpreise einer häufig unqualifizierten Konkurrenz erwehren müssen. Der Beruf des Musikers und Musikpädagogen ist trotz vieler politischer und juristischer Vorstöße leider nicht geschützt. Dennoch wurde schon einiges erreicht: die Befreiung von der Umsatzsteuer für qualifizierte PädagogInnen und konzertierende Künstlerinnen und Künstler sowie die Einrichtung der Künstlersozialkasse, bei der der DTKV mitgewirkt und deren Fortbestand durch eine Petition gesichert hat. Eine staatliche Förderung für private Musikinstitute und freiberufliche MusikpädagogInnen, wie sie in Bayern erwirkt wurde, könnte als Modell für die anderen Bundesländer dienen. Honorarmindeststandards,

nach Vorschlag der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) für ausübende Musiker, sollten als Untergrenze bei Honorarvereinbarungen dienen und auch für Veranstalter selbstverständlich sein. Besonders eine öffentliche oder gemeinnützige Förderung müsste grundsätzlich an eine angemessene Honorarzahlung gekoppelt sein.

9 000 Einzelmitglieder Bereits in den ersten Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs formierten sich wieder Tonkünstler, um Konzerte zu veranstalten und Musikunterricht zu organisieren. Orts- und Landesverbände wurden in der Bundesrepublik (wieder-)gegründet und schließlich 1951 die „Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer“, ab 1964 „Verband deutscher Tonkünstler und Musikerzieher“, 1993 umbenannt in „Deutscher Tonkünstlerverband“. 1991 kamen die neuen Bundesländer hinzu. Damit war die heutige Struktur des DTKV geschaffen, der knapp 9 000 Einzelmitglieder aus allen Musikberufen vertritt: vor allem Komponistinnen und Komponisten, ausübende Musikerinnen und Musiker verschiedener Sparten sowie MusikpädagogInnen, aber auch Musikwissenschaftler, Musikalienhändler, Instrumentenbauer, Tontechniker und Veranstalter. Unter dem Dach des DTKV agieren in den 16 Bundesländern eigenständige Landesverbände. Die größeren sind regional in selbstständige Vereine oder Dependancen des jeweiligen Landesverbands untergliedert.

Aufgaben und Ziele des DTKV Die Aufgaben des Bundesverbands liegen in der kultur- und arbeitspolitischen Interessenvertretung gegenüber parlamentarischen Gremien, Ministerien und anderen


© DTKV

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DTKV-Präsidium (von links): Wilhelm Mixa, Edmund Wächter, Adelheid Krause-Pichler, Ekkehard Hessenbruch und Cornelius Hauptmann

Institutionen. Durch die Mitarbeit in den Ausschüssen des Deutschen Musikrats und des Deutschen Kulturrats, durch einen Sitz im Beirat der Künstlersozialkasse (KSK) und durch Schulterschluss mit andern Interessen- und Berufsverbänden konnten schon grundlegende Verbesserungen vor allem für freiberufliche MusikerInnen und MusikpädagogInnen erzielt werden, auch wenn es noch viel zu tun gibt. Beispielsweise müsste sich die Rente, die sich aus der KSK-Mitgliedschaft ergibt, an den Bruttoeinnahmen orientieren, um nicht in die Altersarmut zu führen. Die Unwägbarkeiten, die sich aus Freihandelsabkommen ergeben, müssen eingeschätzt und Nachteile vermieden werden. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen verbessert werden, jedoch mit Augenmaß, um sie nicht überhaupt zu gefährden. Scheinselbstständigkeit hängt als Damoklesschwert über vielen dieser Tätigkeiten. Honorare für qualifizierten privaten Musikunterricht oder für ausübende Musiker müssen ein angemessenes Auskommen ermöglichen und auch den Mehrbedarf von MusikerInnen (Noten, Instrumente, Übeund Unterrichtsraum etc.) abdecken. Als Abgrenzung gegenüber einer nicht qualifizierten Billiglohn-Konkurrenz können regionale Honorarspiegel helfen, aber auch die ab 2021 nach EU-Recht verpflichtende Zertifizierung als Voraussetzung für öffentliche Förderung. Bei der Ausgestaltung der Zertifikate wird sich der DTKV einbringen. Für Weiterbildungs- oder Umschulungsprämien durch die Agentur für Arbeit auch für KSK-Versicherte gibt es derzeit einen erfolgversprechenden Anlauf.

Leistungen für Mitglieder Als Serviceangebot stehen den Mitgliedern Fachanwälte in Rechts- oder Steuerfragen zur Verfügung. Pauschalverträge mit der GEMA kommen Tonkünstlerveranstaltungen und Einzelmitgliedern zugute. KomponistInnen können ihre nicht verlegten Kammermusikwerke im Manuskriptarchiv der Öffentlichkeit zugänglich machen. Für freiberufliche MusikpädagogInnen stellt der DTKV Unterrichtsverträge zur Verfügung, um im Rahmen des rechtlich Möglichen soziale Sicherheit zu gewährleisten. Der DTKV berät in Fachfragen, vertritt seine Mitglieder gegenüber Behörden und Institutionen und erstellt Gutachten für Versicherungen, Gerichtsprozesse oder Existenzgründungsdarlehen. Eine Berufshaftpflichtversicherung ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Den sich rasant wandelnden beruflichen Anforderungen trägt der DTKV mit Fortbildungsveranstaltungen Rechnung: Meisterkurse, pädagogische Fortbildung, allgemeine Kurse zu Musikmedizin, Körperarbeit, Rechtsfragen, Vermittlung, Management… Auf Bundesebene gibt es eine Kooperation mit der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen und seit 1969 findet jährlich die D-A-CHTagung statt, bei der der DTKV mit „Schwesterverbänden“ aus Österreich und der Schweiz zu ausgewählten Themen die Situation von MusikerInnen und MusikpädagogInnen im deutschsprachigen Raum diskutiert und Erfahrungen austauscht. Kulturpolitik ist Ländersache. Hier sind vor allem die Landesverbände gefragt, die

Mitgliederinteressen länderspezifisch zu vertreten durch Mitarbeit in den Landesmusikräten, Kontakt zu den Ministerien und Zusammenwirken mit anderen Musikverbänden auf Landesebene. Selbstverständlich bietet der Bundesverband auch hier seine Hilfen an und bemüht sich um einen Interessenausgleich. Aus gewachsenen Traditionen und regionalen Notwendigkeiten ergeben sich ganz natürlich unterschiedliche Gewichtungen und Arbeitsschwerpunkte. Die Delegiertenversammlungen und Länderkonferenzen dienen der verbandsinternen Kommunikation. In den größeren Landesverbänden übernehmen die regionalen Organisationen Aufgaben vor Ort wie Schülervermittlung, Schüler- und Lehrerkonzerte, Studiokonzerte für aktuelle Musik, in einigen Fällen die Durchführung des Regionalwettbewerbs „Jugend musiziert“, Öffentlichkeitsarbeit, Mitgliederberatung oder Akquise von Zuschüssen. Gerade hier gibt es spezielle Aktionen, die stark von den handelnden Personen geprägt sind. In über 150 Jahren konnte die älteste deutsche Musikervereinigung viel erreichen. Dennoch bleibt genügend Luft nach oben. Die Probleme und ihre Lösungen werden komplexer, neue Baustellen tun sich auf: Die Zukunft des DTKV ist gesichert. (( Weitere Informationen über die Arbeit des DTKV unter www.dtkv.org

Edmund Wächter ist freiberuflicher Flötist, Flötenpädagoge, Autor und Herausgeber, Vorsitzender der Tonkünstler München e. V. sowie Präsidiumsmitglied des DTKV.


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4.2017

„Orphion“ – digitales Musikinstrument mit einzigartigem Klang

Meine App

Rainer Kotzian

)) App-Instrumente, die konventionelle Instrumente nachahmen, gibt es in schier unüberschaubarer Menge. Doch so einfach man meistens damit umgehen kann, so schnell ist dann in der Regel auch die Spiellust wieder verflogen, da die Möglichkeiten und vor allem die Klangergebnisse im Vergleich zum „echten“ Instrument eben doch immer nur eine Kompromisslösung darstellen. Das Orphion für das iPad und der kleine Bruder Orphinio für das iPhone hingegen sind Musikinstrumente mit einem neu- und einzigartigen Klang zwischen Saiteninstrument und Percussion. Vergleichbar sind die Apps mit dem in der Schweiz erfundenen „Hang“, einer nach außen gestülpten, mit Händen gespielten Steel Drum. Die große Anziehungskraft, die diese beiden Apps haben, liegen in der Einzigartigkeit von Spielweise und Klangspektrum: Das Interface wurde speziell für Touchscreens entwickelt und ermöglicht sehr ausdrucksstarkes, aber auch virtuoses Spielen. Man kann verschiedene Anordnungen von tonal gestimmten kreisrunden Flächen, sogenannte Pads (Pad-Layouts) auswählen, die je nach Fingerposition beim Anspielen unterschiedlich klingen und durch weitere Bewegung moduliert werden können. Hier zeigt sich auch das Alleinstellungsmerkmal dieser App: Je nachdem, wie man drückt, wischt oder klopft entsteht ein anderer Klang – und zwar sowohl ein- als auch mehrstimmig. Eine schnelle, federnde Berührung löst einen eher perkussiven

Klang aus, Wischbewegungen erzeugen hingegen Klänge, die an den weichen flötenhaften Klang eines Theremins erinnern. Durch kreisende Bewegungen auf den einzelnen Flächen entsteht ein Vibrato, eine Bewegung von der Kreismitte nach außen sorgt für eine leichte Verstimmung, die mit dem Ziehen einer Gitarrensaite verglichen werden kann. Je nach Pad-Layout stehen entweder nur wenige Töne (z. B. Pentatonik) zur Verfügung oder aber auch ganz komplexe Intervallmuster, die zum Entdecken neuer musikalische Strukturen einladen. Durch ein kostenpflichtiges Upgrade (0,99 Euro) auf den Orphion Editor kann man zusätzlich zu den umfangreichen Presets auch selbst Pad-Layouts bearbeiten oder neu erstellen, was besonders für den Unterricht hilfreich ist. So können passgenau für einzelne Songs oder Arrangements, bei denen das Orphion als Begleit- oder Soloinstrument eingesetzt werden soll, Layouts erstellt werden, die entweder intuitiv zum Improvisieren einladen oder aber auch klar und übersichtlich geordnete Begleitakkorde bzw. harmonische Strukturen einfach spielbar darstellen. Bedienung und Menüführung sind minimalistisch und einfach gehalten. Man kann sofort intuitiv loslegen, um erste Klangkreationen entstehen zu lassen. Kein störendes Menü oder Knöpfe lenken vom Musizieren ab. Ein kleiner, dezenter Button im unteren Teil des Bildschirms blendet eine Leiste ein, in der man Audiopara-

erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren

Redaktion: Anja Bossen und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Jürgen Simon und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler

meter, Effekte und MIDI-Optionen einstellen kann. Im Menü wird auch der Unterschied zwischen den beiden Apps deutlich: während Orphion das Editieren von Pad-Layouts erlaubt, besitzt Orphinio eine „Shaker“-Funktion, bei der selbst ausgewählte Töne den Hin- und Her-Bewegungen des Smartphones zugeordnet werden können. Orphion und Orphinio sind schlicht, ohne aufwändiges und ablenkendes Design, stecken aber voller Musik. Beide sind hervorragend geeignet für den Live-Einsatz als elektronisches, aber dennoch körpernahes und intuitiv handhabbares Solo- oder Begleitinstrument, bergen aber auch großes Potenzial für den kreativen Einsatz im Studio- und Recording-Bereich, da durch die MIDI-Anbindung einerseits und eine Aufnahmefunktion andererseits alle Möglichkeiten der Integration in diverse Softwareumgebungen offen stehen. Orphion (für iPad) ist in der Grundausstattung für 5,49 Euro im App Store erhältlich, der kleine Bruder Orphinio (für iPhone) ist schon für 1,99 Euro zu haben. ((

Kennen Sie eine App, die Sie anderen Lehrkräften empfehlen möchten? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de


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