6.2018 Inhalt Gute Vorsätze In den vergangenen Ausgaben dieses Jahres haben wir über eine Vielzahl erfreulicher wie unerfreulicher Themen aus der musikpädagogischen Praxis berichtet, wir haben diskutiert, uns erzürnt, gestritten und nachgedacht. Es läuft schon vieles gut, Leuchtturmprojekte sind beeindruckend und laden zum Nachahmen ein – und über andere Dinge müssen wir uns ärgern. Am Jahresende bietet sich jedoch die Gelegenheit, nach vorn zu blicken und vor allem aus dem Ärger heraus mit Optimismus gute Vorsätze für das Musikschuljahr 2019 zu entwickeln. Hier wird jeder – sei es als Lehrkraft, Schülerin, Elternteil, Musikschulleiterin, Student, Politikerin, Hochschullehrer, Forscherin, Hausmeister oder Verwaltungsangestellte – ganz unterschiedliche Vorsätze entwickeln. Möglicherweise wird sich die Stadt St. Ingbert nun doch eine fachlich kompetente, festangestellte Musikschulleitung wünschen; die Musikschule Düsseldorf vielleicht die Besetzung der offenen Stellen sowie die Realisierung des Erweiterungsbaus; und die Stadt München sicher, dass ihr Computersystem nun endlich wieder funktioniert und die seit dem Schuljahr 2016/17 nicht in Rechnung gestellten 3,8 Millionen Euro Gebühren für Musikunterricht nun doch noch in die Kasse kommen. Weitere gute Vorsätze lassen sich in vielfacher Hinsicht formulieren: der Ausbau von Kooperationen, die Weiterentwicklung der Musikschulen und des Unterrichts in Bezug auf Digitalisierung, die Entwicklung weiterer inter- und transkultureller Angebote, eine Verstärkung empirischer Forschung instrumentalpädagogischer Praxis, das Zur-Verfügung-Stellen von Deputaten für den kollegialen Austausch und Hospitationen (hier sei auf das Fortbildungsangebot „rent-a-colleague“ der JeKits-Stiftung verwiesen), die Weiterentwicklung inklusiven Instrumental- und Gesangsunterrichts und vieles mehr. Allen Musikschulakteuren sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt für alles, was schon gut läuft, für ihr Engagement, ihre Begeisterung, ihre Ideen und ebenfalls für ihre Leidensfähigkeit. Aber wie wir sehen: Es gibt immer viel zu tun! Und was sind Ihre guten Vorsätze? Ich freue mich sehr, wenn Sie mir davon anonym berichten unter: https://www.soscisurvey.de/GuteVorsaetze2019_Musikschule (Ihre Teilnahme an der Umfrage ist bis zum 15. Januar 2019 möglich). Ich bin gespannt auf Ihre Antworten und wünsche Ihnen einen guten Start in ein erfolgreiches neues (Musikschul-)Jahr! Sebastian Herbst
2 Angst vor Abmahnungen Was haben Musikschulen bei Verstößen gegen die DSGVO zu befürchten?
4 Schwieriger zu erreichen Gespräch über die neue Zertifizierung für Mitgliedsschulen des bdfm
6 Bildungschancen fördern Das Programm MusikLeben 2 des VdM
8 Bewegung in die richtige Richtung Wie JeKits eine nachhaltige Wirkung erzielen kann (2)
12 Meine App „Acapella“ – ganz alleine mehrstimmig musizieren Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de
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6.2018
Angst vor Abmahnungen
Frank Bauchrowitz
Was haben Musikschulen bei Verstößen gegen die DSGVO zu befürchten? Im Mai ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten und sorgt auch in Musikschulen für Wirbel. Viele Musikschulen sind unsicher, welche Maßnahmen sie konkret ergreifen müssen.1 Unklar ist zudem, mit welchen Folgen bei Verstößen gegen die DSGVO zu rechnen ist.
Abmahnung Eine kostspielige Abmahnung von einem Rechtsanwalt zu bekommen, ist für Musikschulen und private Musiklehrkräfte das Horrorszenario schlechthin. Immer wieder hört man von Menschen und Unternehmen, die durch anwaltliche Abmahnungen in den Ruin getrieben wurden. Auch mit dem Geltungsbeginn der DSGVO wuchsen die Befürchtungen, bei Fehlern, z. B. in der Datenschutzerklärung auf der eigenen Website, habe man mit Abmahnungen zu rechnen. Aber stimmt das? Nach aktuellem Stand (September 2018) ist die befürchtete Abmahnwelle ausgeblieben. Ich habe lediglich von vereinzelten Abmahnungen Kenntnis. Das deckt sich mit Berichten in den Medien.2 Dass bisher eher zurückhaltend abgemahnt wird, könnte daran liegen, dass unter Juristen nach wie vor stark umstritten ist, ob bei Verstößen gegen die DSGVO eine Abmahnung überhaupt möglich ist. Die Rechtsprechung hierzu ist bisher rar und uneinheitlich. Der Mandant eines abmahnenden Rechtsanwalts geht also ein erhöhtes Risiko ein, selbst auf den Kosten der Abmahnung sitzen zu bleiben. Voraussetzung für die Abmahnung von Verstößen gegen die DSGVO wäre zunächst, dass es sich bei diesen Vorschriften um sogenannte Marktverhaltensregeln handelt (vgl. § 3 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG). Das Ziel der
DSGVO ist allerdings meiner Auffassung nach, Datenmissbrauch zu verhindern und so die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen zu schützen. Um die Regulierung eines unlauteren Verhaltens des Wettbewerbs geht es bei der DSGVO hingegen nicht. Die Gegenmeinung ist der Auffassung, dass die Verarbeitung der Daten zu geschäftlichen Zwecken erfolgt. Damit sei eine Abmahnung statthaftes Mittel, um beispielsweise fehlerhafte Datenschutzerklärungen anzugehen. Zweifelhaft bleibt bei dieser Rechtsauffassung allerdings, ob die weiteren Voraussetzungen für eine Abmahnung nach dem UWG gegeben sind. Ein Verstoß gegen die DSGVO müsste demnach geeignet sein, „die Interessen von Verbrauchern, Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen“. Abmahnungen erfordern allerdings (gleichgültig, ob sie zurecht erfolgen oder nicht) immer ein schnelles Handeln des Abgemahnten. Eine Zahlung oder die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung sollten aber in keinem Fall ohne juristische Beratung erfolgen. Die gute Nachricht in Sachen Abmahnung ist, dass der Gesetzgeber die Problematik erkannt hat und an einer Entschärfung der Situation arbeitet. Im September hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Die Hürden für Abmahnungen sollen hiernach generell erhöht und kleine Unternehmen, Vereine und Selbstständige entlastet werden. Dies soll beispielsweise dadurch geschehen, dass der Streitwert bei unerheblichen Verstößen auf maximal 1 000 Euro gesenkt wird. Damit sinkt auch der Kostenersatzanspruch, den Anwälte geltend machen können. Ein weiterer Gesetzesentwurf liegt aus Bayern vor. Dieser sieht vor, dass die DSGVO generell von Abmahnungen nach dem UWG ausgenommen wird.
Fazit: Bisher wird im Zusammenhang mit
Verstößen gegen die DSGVO wegen der juristisch unklaren Situation eher zurückhaltend abgemahnt. Der Gesetzgeber arbeitet zudem an einer Entschärfung bzw. Aufhebung der Möglichkeiten zur Abmahnung im Zusammenhang mit der DSGVO.
Bußgeld Ein weiterer Bereich, der Musikschulen Sorgen macht, sind die möglichen Bußgelder, die bei Verstößen von den Datenschutzaufsichtsbehörden verhängt werden können. Diese können sich auf maximal zwei bis vier Prozent des weltweiten Unternehmensumsatzes bzw. 10 bis 20 Millionen Euro belaufen. Solche Zahlen sind beeindruckend, geben allerdings nur die höchstmöglichen Bußgelder wieder. Die in der Praxis von den Datenschutzaufsichtsbehörden verhängten Bußgelder werden deutlich geringer ausfallen. Diese müssen eine für den Einzelfall verhältnismäßige Bußgeldhöhe ermitteln, die angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Musikschulbetreibers oder Privatlehrers eine effektive, aber keine unverhältnismäßige Wirkung entfaltet. Nach Art. 83 DSGVO sind bei der Bestimmung der Höhe des Bußgelds folgende Kriterien heranzuziehen: Art, Schwere, Dauer des Verstoßes, Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des den betroffenen Personen entstandenen Schadens, frühere einschlägige Verstöße, Umfang der Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden zur Abhilfe oder Minderung von nachteiligen Auswirkungen sowie die Kategorien der betroffenen personenbezogenen Daten. Zu den Aufgaben der Aufsichtsbehörden gehört aber neben der Durchführung von Bußverfahren auch die aktive Behebung
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„Medienberichten zufolge ist seit Inkrafttreten der DSGVO kein einziges Bußgeld verhängt worden.“ von Mängeln in der Datenverarbeitung. Wird also in einer Musikschule ein Verstoß gegen die DSGVO festgestellt, kann die Aufsichtsbehörde zunächst einmal konkrete Maßnahmen anordnen, die nötig sind, um eine rechtskonforme Datennutzung herzustellen. Ob daneben oder darüber hinaus überhaupt ein Bußgeld für die fehlerhafte Datenverarbeitung angemessen ist, hängt vom Einzelfall ab. Möglich wäre statt eines Bußgelds ein milderes, aber ebenso effektives Mittel: die Erteilung einer Verwarnung nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO. Medienberichten zufolge ist zumindest seit Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2018 kein einziges Bußgeld verhängt worden. Eher unwahrscheinlich ist allerdings, dass niemand einen Verstoß begangen hat, der mit einem Bußgeld belegt werden könnte. Eventuell sind die Datenschutzaufsichtsbehörden zurzeit noch überfordert. Es muss zumindest damit gerechnet werden, dass die Datenschutzaufsichtsbehörden zukünftig aktiver agieren werden, als sie dies derzeit tun. Fazit: Bußgelder müssen sich am Einzelfall orientieren. Den Datenschutzaufsichtsbehörden stehen auch mildere Mittel als Bußgelder zur Verfügung, um Verstöße zu ahnden. Wie die Datenschutzaufsichtsbehörden diese beiden Mittel in der Praxis anwenden werden, bleibt abzuwarten.
Schadenersatz Wenig Beachtung findet zurzeit noch die Tatsache, dass Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften auch Schadenersatzansprüche auslösen können. Die DSGVO enthält umfangreiche Vorgaben für die rechtskonforme Verarbeitung von Daten. Hierzu gehören z. B. Dokumentations- und Nachweispflichten, Lösch- und Berichtigungspflichten, Melde- und Benachrichti-
gungspflichten bei Datenschutzverletzungen und die Gewährleistung der gesetzlich vorgeschriebenen Datensicherheit. Außerdem sieht die DSGVO Informationspflichten vor. Diese Pflicht zur unaufgeforderten Information umfasst auch Aussagen dazu, ob Daten an Dritte weitergegeben werden, wie lange Daten gespeichert werden und welche Rechte die betroffenen Personen nach der DSGVO haben. Unternehmen müssen daher stets in der Lage sein, die ihnen obliegenden Informationspflichten und Auskunftsrechte betroffener Personen zu erfüllen. Ein Schadenersatzanspruch nach Art. 82 I DSGVO kann jeder Person, der wegen eines Datenschutzverstoßes ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, gegen ein Unternehmen oder einen Auftragsverarbeiter zustehen. Verstöße gegen den Datenschutz haben überwiegend immaterielle Schäden zur Folge. Sie bedeuten Einschränkungen der informationellen Selbstbestimmung, die sich auf die Persönlichkeit der Betroffenen und nicht auf deren Vermögen auswirken. Als Nichtvermögensschäden kommen beispielsweise die öffentliche Bloßstellung durch Zugänglichmachen personenbezogener Daten für Dritte,3 soziale Diskriminierung, Hemmung in der freien Persönlichkeitsentfaltung, psychische Auswirkungen oder Identitätsdiebstahl bzw. -betrug in Betracht.4 Wie hoch ein Schadenersatzanspruch anzusetzen sein könnte, ist zurzeit unklar. Die oben genannten Kriterien zu Bußgeldern können aber zur Orientierung dienen.5 Um Schadenersatzforderungen zu vermeiden, ist die konforme Verarbeitung der Daten die beste Prävention. Eine genaue Kenntnis davon, welche personenbezogenen Daten einzelner Personen oder Personengruppen das Unternehmen auf welche Weise und für welche Zwecke verarbeitet,
ist daher unerlässlich. Hierfür ist ein gut geführtes Verarbeitungsverzeichnis notwendig. Ein solches anzufertigen und aktuell zu halten, ist für viele Musikschulen eine nicht unerhebliche organisatorische und technische Herausforderung.6 Die Wahrscheinlichkeit, dass Daten nicht DSGVOkonform verarbeitet werden und die Musikschule Schadenersatzforderungen wegen der falschen Verarbeitung von Daten ausgesetzt ist, sinkt jedoch enorm. Fazit: Ein Schadenersatzanspruch gegen ein Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO kann Personen zustehen, wenn ihnen daraus ein Schaden entstanden ist. Wie hoch hier die Spanne möglicher Forderungen sein kann, ist zurzeit noch nicht klar. Zur Vermeidung von Schadenersatzforderungen sollte ein Verarbeitungsverzeichnis geführt werden. ((
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vgl. Jürgen Simon: „Datenschutz kontra Musikunterricht? Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung ist eine Herausforderung für Musikschulen und Privatmusiklehrkräfte“, in: musikschule )) DIREKT 4/2018, S. 2 ff. 2 z. B. www.zeit.de/2018/30/dsgvo-hamburgentruempler-abmahnung (Stand: 9.10.2018). 3 Paul Nemitz in: Eugen Ehmann/Martin Selmayr (Hg.): Datenschutz-Grundverordnung, C. H. Beck, München 2018, Art. 82 Rn. 13; BAG, NJW 2015, NJW 2015, S. 2749. 4 Philip Laue/Judith Nink/Sascha Kremer: Das neue Datenschutzrecht in der betrieblichen Praxis, Nomos, Baden-Baden 2016, § 11 Rn. 6. 5 Tim Wybitul/Detlef Haß/Jan Philipp Albrecht: „Abwehr von Schadensersatzansprüchen nach der Datenschutz-Grundverordnung“, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2018, S. 113. 6 Ein Leitfaden für die Erstellung eines Verarbeitungsverzeichnisses findet sich hier: www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Das-Verarbeitungsverzeichnis.html (Stand: 9.10.2018).
Frank Bauchrowitz berät als Rechtsanwalt in den Bereichen Urheberrecht und Musikvertragsrecht. www.musikerkanzlei.de
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Der Vorsitzende des bdfm im Gespräch über das neue Zertifizierungsverfahren für seine Mitgliedsschulen
„Die neuen Kriterien sind schwieriger zu erreichen“
rung fragen wir nach der Ausbildung der Lehrkräfte, vorhandenen erweiterten Führungszeugnissen und Haftpflichtversicherungen aller Dozenten, nach der Ausstattung der Unterrichtsräume und erwarten eine gute Verwaltung mit festen Telefonzeiten.2
Es ist richtig, dass der bdfm eine bundesweite Zertifizierung für freie Musikschulen eingeführt hat. Uns war dieser Schritt wichtig, um in der Öffentlichkeit die Qualität der freien Musikschulen besser darstellen zu können. Sowohl für Schüler, Eltern als auch die Politik ist die Transparenz über den Zustand einer Musikschule ein entscheidender Faktor. In der Zertifizie-
Bislang mussten Musikschulen, um Mitglied im bdfm zu werden, bereits diese Kriterien erfüllen. Nach den neuen Richtlinien werden auch Schulen aufgenommen, die die Kriterien noch nicht erfüllen, um dann nachträglich zertifiziert zu werden. Ist das denn nicht ein qualitativer Rückschritt?
© bdfm_Frank Korte
Lieber Mario Müller, im Herbst 2017 hat der Bundesverband der freien Musikschulen (bdfm) für seine Mitgliedsschulen ein neues Zertifizierungssystem eingeführt, was zum Teil für heftige Kritik sorgte.1 Was hat den bdfm zu diesem Schritt bewogen und wie sieht das neue System konkret aus?
Mario Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der freien Musikschulen
Nein, ist es nicht. Die alten Aufnahmebedingungen des bdfm haben lange nicht diesen hohen Standard wie die neue Zertifizierung. Außerdem wurden die Kriterien nach Eintritt in den Verband nicht mehr überprüft. Mit dem neuen Zertifizierungsverfahren wird jede Musikschule mit Zertifizierung alle drei Jahre erneut überprüft, sodass in diesen Schulen der Qualitätsstandard immer neu garantiert werden kann. Der bdfm sieht sich nicht nur als Verband für Musikschulen mit hohem Qualitätsniveau, sondern auch als Entwickler der freien Musikschullandschaft in Deutschland. Viele Musikschulen benötigen Hilfe auf dem Weg zur Zertifizierung. Genau diese Hilfe können wir den Schulen am besten geben, wenn sie dem großen Netzwerk des bdfm angehören. Für Schüler und Eltern einer freien Musikschule ist es durch das bdfm-Label klar ersichtlich, welche Schule zertifiziert ist und welche nicht.
Mario Müller
Diese Schulen sind auch online in unserem Musikschul-Finder 3 entsprechend dargestellt. Wie läuft so eine Zertifizierung denn konkret ab und welches Gremium entscheidet darüber?
Sämtliche erforderlichen Unterlagen werden von der Musikschule an die bdfmGeschäftsstelle nach Berlin geschickt. Dort wird sowohl der Inhalt als auch die Vollständigkeit überprüft. Wenn alle Dokumente komplett sind, wird ein Prüfer ausgesucht. Ihm werden alle Unterlagen zur Verfügung gestellt. Dieser Prüfer besucht anschließend die Musikschule, füllt ein Besichtigungsprotokoll aus und fertigt eine Fotodokumentation der Musikschule an. Die Empfehlung des Prüfers ist dann ein weiterer wichtiger Schritt zur Zertifizierung. Wenn dies geschehen ist, entscheidet der „Vorstand Qualitätsmanagement“ mit seinem Team anhand der eingereichten Unterlagen und dem Bericht des Prüfers über die Zertifizierung der Musikschule. Auch im bdfm wird es viele Musikschulen geben, die fast alle formalen Voraussetzungen erfüllen, aber z. B. Lehrkräfte beschäftigen, deren formale Qualifikation nicht den Richtlinien des bdfm entspricht. Wie geht Ihre Zertifizierung damit um?
Für Lehrer, deren Ausbildung formal nicht ausreicht, hat der bdfm die bdfm-Lehrbefähigung. Diese Lehrbefähigung erhält ein Lehrer durch eine Art Lehrprobe. Der Dozent muss seinen musikalischen Werdegang,
© Di Studio_stock.adobe.com
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Lehrkräfte, deren Ausbildung formal nicht ausreicht, können eine bdfm-Lehrbefähigung erhalten. Neben dem Nachweis der Teilnahme an musikalischen und pädagogischen Seminaren muss dafür unter anderem eine Videolehrprobe von zweimal 30 Minuten eingereicht werden.
den Nachweis musikalischer und pädagogischer Seminare, seinen pädagogischen Ansatz und eine Videolehrprobe von zweimal 30 Minuten einreichen. Diese Unterlagen werden dann von einer Fachjury gesichtet. Hier könnte der Eindruck einer EigenZertifizierung entstehen. Wer sitzt in dieser Fachjury? Und ist eine Beurteilung der Lehrqualität anhand von Videoaufzeichnungen überhaupt möglich und seriös?
Es ist derzeit eine Eigen-Zertifizierung, da sich derzeit kein Verband dem Thema Nachqualifikation für Quereinsteiger im Musikunterricht annimmt.4 Im Bereich Schulmusik gibt es für Quereinsteiger die Möglichkeit, in den Schuldienst einzusteigen, jedoch ist dies bei Instrumentalpädagogen bisher nicht geregelt. Der bdfm hat bei der Besetzung der Fachjury darauf geachtet, dass sie nicht nur aus eigenen Reihen kommt. Somit sind dort Hochschulprofessoren, freie Musikpädagogen und ein Leiter einer bdfm-Musikschule. Durch diese Besetzung ist sichergestellt, dass das Urteil dieses Gremiums neutral ist. In unserer Beurteilung der Lehrbefähigung ist die Sichtung des Videomaterials nur die eine Hälfte. Die andere ist der eingereichte Lebenslauf mit zugefügten Zertifikaten und Weiterbildungsmaßnahmen der Person, die diese Lehrbefähigung erhalten möchte. Eine Beurteilung nach 60 Minuten Videomaterial und den anderen Unterlagen ist unseres Erachtens ausreichend, wenn man bedenkt, dass eine herkömmliche Lehrprobe 45 Minuten dauert.
Die alte Zertifizierung Ihrer langjährigen Mitgliedsschulen läuft demnächst aus. Alle müssen sich nun neu zertifizieren lassen. Wie ist denn die Reaktion Ihrer Mitglieder? Und gibt es nach den bisherigen Zertifizierungsverfahren schon Erkenntnisse, wie hoch der Prozentsatz der Mitgliedsschulen ist, welche die neue Zertifizierung nicht schaffen?
Es ist richtig, dass die alte Zertifizierung zum Ende des Jahres 2019 auslaufen wird. Bis dahin müssen sich die Musikschulen neu zertifiziert haben. Dass dies nicht überall auf Zustimmung stößt, war uns bei der Vorbereitung der neuen Zertifizierung bereits klar. Die neuen Kriterien sind einfach schwieriger zu erreichen. Um jedoch das Vertrauen auf eine gute Qualität in den freien Musikschulen zu stärken, ist dies in meinen Augen der einzige vernünftige Weg. Die Musikschulen, die das Ziel Zertifizierung erst einmal nicht erreichen, werden wir auf dem Weg zur neuen Zertifizierung selbstverständlich unterstützen, sodass wir in ein paar Jahren hoffentlich einen sehr hohen Anteil an zertifizierten Musikschulen im bdfm haben werden. Da viele Schulen gerade bei der Antragstellung sind, kann ich noch keine Prognose abgeben, wie hoch der Anteil der zertifizierten Musikschulen im bdfm sein wird. Was passiert mit Lehrenden, die der Zertifizierung nicht standhalten und auch in einem möglichen zweiten Prüfungsverfahren nicht bestehen? Müssen diese Lehrkräfte dann die Musikschule verlassen bzw. dürfen sie zunächst nicht mehr
unterrichten, wenn die Musikschule zertifiziert werden will? Das wäre doch konsequent …
Genau das passiert! In unseren Zertifizierungsrichtlinien haben wir dies genau definiert. Selbstverständlich kann die Musikschule weiterhin als Musikschule ohne Zertifikat im bdfm bleiben, dies ist jedoch die Entscheidung der Musikschule. (( Interview: Rüdiger Behschnitt
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vgl. Anja Bossen/Petra Stalz: „Jeder ist irgendwie Musikpädagoge. Freie Musikschulen vergeben an freie Musiklehrer luftige Zertifikate“, in: neue musikzeitung 10/2017, online: www.nmz.de/artikel/jeder-ist-irgendwie-musikpaedagoge (Stand: 10.10.2018). 2 Eine genaue Aufstellung aller Zertifizierungskriterien findet man unter www.freie-musikschulen.de/zertifizierung (Stand:10.10.2018). 3 www.musikschul-finder.de (Stand:10.10.2018). 4 Die Landesmusikakademie NRW bietet einen Zertifizierungslehrgang an für MusikerInnen verschiedener Kulturen: www.landesmusikakademie-nrw.de/termindaten/536/zertifikatslehrgangmusikpaedagogik-fuer-musiker-innen-verschiedener-kulturenfizierungen (Stand:10.10.2018). „Im Lehrgang sollen in Deutschland lebende fortgeschrittene MusikerInnen aus dem afrikanischsubsaharischen, asiatischen, lateinamerikanischen und vorderorientalischen Kulturraum (ggf. auch weiteren Regionen), unabhängig von dem jeweiligen Instrument ausgebildet werden. Ziel ist es, instrumentalpädagogisch tätig sein zu können, sowohl in Musikschulen als auch in anderen Zusammenhängen wie Soziokulturellen Zentren, Jugendzentren, auf dem privaten Markt oder in Schulprojekten.“
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6.2018
Bildungschancen fördern Juliane und Volker Gerland
Das Programm MusikLeben 2 des Verbands deutscher Musikschulen Das Programm MusikLeben 2 soll lokale Bündnisse für Bildung anregen, damit bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Potenziale und Ressourcen unterstützt werden. Die Musikschulen vor Ort können so mit erheblichen Fördermitteln des Bundes in Bereichen wirksam werden, wo musikalische Bildung zwar sehr sinnvoll, ohne zusätzliche Hilfe aber schwer finanzierbar ist.
)) Beispiel Dortmund: Dort ist ein besonderes Bündnis entstanden, das ein dringliches Problem aufgreift und die Musikschule damit in einem bildungs- und gesellschaftspolitisch hochrelevanten Arbeitsfeld positioniert.
Das Problem Der Übergang von der Kita zur Grundschule stellt für jedes Kind und seine Familie einen bedeutsamen Einschnitt dar. Wege, Zeitabläufe, Rituale, Bezugspersonen, Peergroup: Alles kann einer mehr oder weniger starken Veränderung unterzogen sein. Das unterschiedliche Selbstverständnis von Kita und Schule führt zu unterschiedlichen Welten, in denen sich Kinder und Eltern neu orientieren und zurechtfinden müssen. „Lernen“ bedeutet in der Kita die Förderung von individuellen Aneigungsprozessen in einer schrittweise zu erobernden (Um-)Welt, während die Schule stärker durch Lehrpläne und Kompetenzerwartungen geprägt ist. Das bestimmt die unterschiedlichen Spielregeln, ebenso wie Ziele und Erwartungen, mit denen die Kinder konfrontiert werden. Die Bewältigung dieses Übergangs kann durchaus positiv als Entwicklungsaufgabe begriffen werden, an der Kinder wachsen;
aber eben nur, wenn sie erfolgreich bewältigt wird. Die unterstützende Begleitung der Transition, also des Übergangs von der Kita zur Grundschule, ist deshalb bereits Gegenstand vielfältiger, häufig auch gemeinsamer Bemühungen beider Seiten. Aktuelle Studien zeigen, dass die Bildungschancen von Kindern durch die soziale Lage und Bildung der Eltern bestimmt werden. Auch die mit der Transition von Kita zu Grundschule verbundene Entwicklungsleistung hängt stark davon ab, ob die Eltern diesen Prozess sinnvoll unterstützen können. Besonders schwierig ist die Lage für Familien, die noch nicht lange in Deutschland leben. Sprachschwierigkeiten und blockierte Zugänge zu Bildung in den Heimatländern erschweren die Orientierung in unserem Bildungssystem und stehen gleichzeitig einer wirksamen familiären Unterstützung der Kinder auf ihrem Weg durch die Bildungsinstitutionen entgegen. Hier setzt das Projekt Transition und Musik (TRANSI MUS) an und versucht, zusätzliche musikbezogene Brücken zwischen Kita und Grundschule zu bauen, die insbesondere bildungsbenachteiligten Kindern ihren Weg erleichtern sollen.
Der Sozialraum Das Projekt ist im Dortmunder Stadtbezirk Innenstadt-Nord verortet. Dort ist auch das zentrale Gebäude der Musikschule. Die Innenstadt-Nord ist mit ca. 60 000 EinwohnerInnen der bevölkerungsreichste Stadtbezirk Dortmunds. Zuwanderungen aus dem Ausland, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, haben entscheidend zum Zuwachs beigetragen. Der Stadtbezirk weist die höchste Zahl an SGB-II-LeistungsempfängerInnen (über 30 Prozent) und mit 24,1 Prozent die höchste Arbeitslosenquote auf. Der Ausländer-
anteil (48,5 Prozent) übersteigt den der Gesamtstadt (16,3 Prozent) um das Dreifache. 70,4 Prozent der dort lebenden Personen haben eine Zuwanderungsgeschichte.
Das Projekt Initiiert wurde das Projekt durch die Professur für Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern an der Fachhochschule Bielefeld. Für Kinder, die aufgrund ihrer persönlichen oder familiärstrukturellen Voraussetzungen besondere Unterstützung zur Entwicklung erfolgreicher Bildungsbiografien benötigen, können Brüche an der Nahtstelle Kita/Grundschule besonders gravierende negative Auswirkungen haben. Das Projekt vernetzt deshalb Kitas und Grundschulen, die im gleichen Sozialraum liegen, um gezielt Übergänge zu erleichtern. Die Musikschule Dortmund nutzt mit ihren BündnispartnerInnen die Möglichkeiten musikalisch-künstlerischen Handelns bzw. künstlerisch-ästhetischer Bildung, um mit musikalischen Mitteln eine gelungene Transition zwischen Kita und Grundschule zu unterstützen. Gerade musikalisches Handeln ist in besonderer Weise geeignet, auf gender- und kultursensibler Grundlage in Sozialräumen mit besonderen Herausforderungen soziale, kulturelle und ethnische Differenzen zu überbrücken. Konkret sollen Inhalte und Methoden der musikalischen Angebote für die Vorschulkinder in der Kita mit denen im Betreuungsbereich des Ganztags und dem ersten JeKits-Jahr so abgestimmt werden, dass die Kinder nach dem Wechsel in die Grundschule die Kontinuität ihrer musikalischen Erfahrung als Ressource und Konstante erleben können. In einem ersten Schritt wurden von den beteiligten Fachkräften Lieder, Tänze, Rituale, Spiele und Arbeits-
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Anträge für Förderung
© Tanja M. Marotzke
Der VdM hat als einer von 30 bundesweit agierenden Verbänden und Initiativen für sein Programm MusikLeben 2 einen Zuschlag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderprogramms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ erhalten. Bis 2022 können bis zu 16 Millionen Euro an Projekte weitergeleitet werden.
methoden abgestimmt, die die zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben möglichst auch inhaltlich flankieren. Ab dem Schuljahr 2018/19 werden zwei Grundschulen und die entsprechenden Kitas, deren Kinder vornehmlich dorthin wechseln, beteiligt sein. Dabei wird angestrebt, dass die Musikschullehrkräfte, die das Angebot in den Kitas durchführen, auch in den Grundschulen tätig werden. Da das Thema Transition an vielen Orten auf der Agenda steht, könnte sich aus diesem Projekt auch – über den konkreten Nutzen für die beteiligten Kinder hinaus – ein übertragbares Modell entwickeln lassen.
Das lokale Bündnis ) Das Lehrgebiet Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld koordiniert die inhaltliche Arbeit zur Entwicklung der konkreten Inhalte von TRANSI MUS und unterstützt die weitere Konzeptionsentwicklung. Damit wird sichergestellt, dass die Ergebnisse entsprechend gesichtet und gesichert werden. ) Die Musikschule Dortmund stellt die Lehrkräfte für die Arbeit in den Kitas und im Betreuungsbereich des Ganztags der beteiligten Grundschulen. Sie koordiniert das Projekt auf inhaltlicher, finanzieller und administrativer Ebene. ) Die beteiligten Kitas und Familienzentren nehmen mit ihrem pädagogischen Personal an der Entwicklung der konkreten Inhalte für TRANSI MUS teil. Sie sorgen dafür, dass die musikalischen Veranstaltungen für die 4- bis 6-jährigen Kinder in ihren Räumlichkeiten stattfinden können oder organisieren den Weg zur Musikschule. Sie greifen die Inhalte zur Vertiefung während der Woche auf.
) Die beteiligten Grundschulen nehmen mit Lehrkräften und/oder pädagogischen Fachkräften des Betreuungsbereichs am Prozess der inhaltlichen Abstimmung teil. Sie organisieren das musikalische Angebot zur Bildung einer Brücke Kita/Grundschule im Betreuungsbereich des Ganztags. Gemeinsam mit den Lehrkräften der Musikschule greifen sie die Inhalte von TRANSI MUS in JeKits auf. ) Die Technische Universität Dortmund, Fachgebiet Musik und Bewegung in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung, rekrutiert aus dem Kreis der angehenden Reha-PädagogInnen InteressentInnen für eine Mitarbeit im Projekt als HelferInnen und betreut diese. ) Der Förderverein der Musikschule Dortmund unterstützt die Übergänge zum Angebot der Musikschule durch Beratung über Ermäßigungsmöglichkeiten und die Gewährung von Stipendien. Als von Ehrenamtlichen getragener Verein schafft er eine zusätzliche Brücke zu den Eltern der teilnehmenden Kinder.
Mitmachen lohnt sich – für alle Die bei MusikLeben 2 geförderten Bündnisse und Projekte haben bezüglich Ausrichtung, Dauer und Aufwand sehr unterschiedliche Ausprägung. Es muss also nicht immer so aufwändig sein wie in Dortmund. Die Projektideen sind vielfältig, orientieren sich teilweise an bewährten Konzepten, erweitern aber häufig auch den bisherigen konzeptionellen und organisatorischen Rahmen. Musikalische Ferienfreizeiten, Angebote in Flüchtlingsunterkünften, multikulturelle Orchester, Musicals in Förderschulen, Bands für straffällige Jugendliche: Die Vielfalt der Ideen, die der VdM-Jury vorgelegt werden, zeugt von der konzeptionellen Vitalität der Musik-
Wenn auch Ihre Musikschule ein Kooperationsprojekt für benachteiligte Kinder oder Jugendliche mit mindestens zwei weiteren lokalen Kooperationspartnern plant, kann sie sich um eine Förderung im Rahmen des Programms MusikLeben 2 bewerben. Antragsfristen: Januar 2019 für Projekte, die im April 2019 beginnen bzw. Freizeiten in den Osterferien März 2019 für Projekte, die mit dem neuen Schuljahr 2019/20 starten bzw. Freizeiten in den Sommerferien Informationen, Praxisbeispiele und Hilfe bei der Antragstellung unter www.musikschulen.de/projekte/ kultur-macht-stark/musikleben/ index.html
schulen. Besonderer Anreiz: Es sind keine Eigenmittel erforderlich. Leider können aus strukturellen Gründen nur Honorarmittel und nicht anteilige Personalkosten von angestellten Lehrkräften bezuschusst werden. Die Höhe der möglichen Honorarsätze bewegt sich aber auf einem durchaus akzeptablen Niveau. Jede Musikschule, die sich beteiligt, zeigt, wie sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird, denn jedes Kind, das durch MusikLeben 2 seine Bildungschancen verbessern kann, gewinnt – für sich persönlich und als Teil unserer gesellschaftlichen Zukunft. ((
Dr. Juliane Gerland ist Professorin für Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern am Fachbereich Sozialwesen der FH Bielefeld. Volker Gerland ist Mitglied im Bundesvorstand des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) und Direktor der Musikschule Dortmund.
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Bewegung in die richtige Richtung
Natalia Ardila-Mantilla
Wie JeKits eine nachhaltige Wirkung erzielen kann (Teil 2)
Wie kann JeKits bleibende Eindrücke hinterlassen? Setzen wir die Gedanken der vergangenen Ausgabe fort und gehen auf zwei weitere Dimensionen der Nachhaltigkeit ein.1
3. Bleiben und Wandel – Wie JeKits Lehrkräfte, Schulen und Musikschulen verändert Dieser Abschnitt steht unter der Heraklit zugeschriebenen Formel: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“ Ich sage es mal so: JeKi und JeKits haben bereits bleibende Eindrücke hinterlassen, sichtbare Spuren, mancherorts sogar Narben. JeKi war ein Erdbeben in der Musikschulwelt; JeKits ein starkes Nachbeben. Wie tief JeKi und JeKits die Musikschulen erschüttert haben, wie sehr sie die Fachwelt gespalten haben, lässt sich anhand der Schlagzeilen zu JeKi und JeKits in üben & musizieren gut beobachten: „Fröhliche Stimmung, (zu) viele Instrumente“, „JeKi kann Methode haben“, „Ich bin äußerst pessimistisch“, „Euphorievorsprung“, „Musizieren im kunterbunten Dschungelorchester“, „Vom Funkenflug zum Strohfeuer?“, „Positives Potenzial im Tandem“, „Ernüchternde Ergebnisse“… Wir müssen uns das vergegenwärtigen: JeKits ist das größte Bildungsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen, ein Programm, das etwa jedes dritte Grundschulkind in NRW erreicht.2 JeKits hat die Grundschulen verändert. Es ist üblich geworden, Grundschülerinnen vormittags mit Cello, Flöte und Gitarre
am Rücken auf dem Schulweg zu sehen. Und obwohl die Akzeptanz nicht allerorts gegeben ist, haben Musikschullehrkräfte in Grundschulen keinen Seltenheitswert mehr. Außerdem: Jedes dritte Grundschulkind in Nordrhein-Westfalen hat heute zumindest zwei Jahre lang Musikunterricht bei einer musikpädagogisch qualifizierten Lehrkraft in der Grundschule. Natürlich ist es ein Armutszeugnis, dass das erwähnt werden muss. Trotzdem: Es ist eine Veränderung, von der viele Schülerinnen und Schüler, aber auch viele Lehrkräfte profitieren. JeKits hat aber auch die Musikschulen verändert. Ein dafür symptomatisches Beispiel ist die Entwicklung des Gruppenunterrichts an Musikschulen. Noch 2008 stellte Thomas Grosse in einer Untersuchung fest, dass der Gruppenunterricht in Musikschulen – allen Beteuerungen zur Bedeutung des gemeinsamen Musizierens zum Trotz – auf dem Rückzug sei: „Der Trend geht zur Einergruppe!“, schrieb er.3 Wie sieht das heute aus? Juliane Gerland hat die Daten der Musikschule Dortmund dazu ausgewertet und festgestellt, dass zwischen 2005 und 2012 die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die in einer Gruppe von vier oder mehr unterrichtet werden, enorm gestiegen ist: im Fach Gitarre z. B. um über 2 200 Prozent, im Fach Violine um 14 200 Prozent!4 Natürlich gab es auch vor JeKi Gruppenunterricht, Ansätze des gemeinsamen Musizierens von Anfang an und einen Inklusionsdiskurs in Musikschulen. Aber die Wucht, mit der JeKi eingeschlagen hat, die Dynamik, die es ausgelöst hat: Sie waren und sind gewaltig.
Auch auf der politischen Ebene haben JeKi und JeKits Spuren hinterlassen. Wolfhagen Sobirey beschrieb JeKi im Jahr 2012 als „eine Kehrtwende der Politik“.5 Und Bernd Smalla, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen, schreibt im Vorwort zur Publikation der JeKits-Akademie: „Der Schritt von JeKi zu JeKits war ein großer für die Landesregierung, für die JeKits-Stiftung und auch für die Musikschulen in NRW. Eine wenigstens ebensolche Tragweite hat er aber für die Lehrkräfte in Bezug auf das gemeinsame Musizieren […] Welch radikaler Paradigmenwechsel: Konnten wir uns bei JeKi noch auf unsere traditionelle Vorstellung stützen, die ersten Schritte der SchülerInnen auf dem Instrument im geschützten Raum des weitgehend instrumentenhomogenen Instrumentalunterrichts zu begleiten, erfordert das gemeinsame Musizieren von Anfang an nun eine völlige Neuorientierung von allen beteiligten Lehrkräften.“6 JeKi und JeKits haben uns alle herausgefordert, uns aus unserer Komfortzone herausgebracht: an erster Stelle die Lehrkräfte, aber auch die Schulen und Musikschulen; und auch – wenngleich etwas langsamer – die Politik und die Ausbildungsinstitutionen. JeKi und JeKits sind zu einem Stein im Schuh der Institutionen geworden: Sie haben sie mit ihren strukturellen und inhaltlichen Mängeln konfrontiert. Und genau damit macht uns JeKits zukunftsfähiger und letztlich nachhaltiger. Viele dieser Themen standen schon lange auf der Agenda. Ohne JeKi und JeKits – glaube ich – hätten wir uns viel langsamer,
© Inken Kuntze-Osterwind
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JeKits hat die Grundschulen verändert. Es ist üblich geworden, Grundschülerinnen vormittags mit Cello, Flöte und Gitarre am Rücken auf dem Schulweg zu sehen.
womöglich auch zu spät bewegt. Es ist gut, dass wir einen intensiven Diskurs über Teilhabegerechtigkeit in der musikalischen Bildung führen (müssen); es ist gut, dass sich Lehrkräfte weiterbilden (müssen); es ist gut, dass Grundschulen überlegen (müssen), in welchem Raum ein Schülerensemble vormittags musizieren kann. Natürlich sind wir weit vom Idealzustand entfernt, aber: Wir bewegen uns! Meiner Meinung nach sogar in die richtige Richtung. Ein Beispiel dafür ist die JeKits-Akademie. Noch einmal Bernd Smalla: „[Es] war und ist […] uns als Landesverband gemeinsam mit der JeKits-Stiftung ein wichtiges Anliegen, die Kompetenzen der Lehrkräfte und deren Entwicklungs- und Innovationspotenzial zu bündeln und weiter herauszufordern […] Zu diesem Zweck ist mit der JeKits-Akademie ein völlig neues Format entstanden, das Entwicklung und Fortbildung vereint und diese Aufgabe den im Prozess stehenden Lehrkräften anvertraut. […] Die TeilnehmerInnen aus bislang zwei Akademie-Jahrgängen gehen jetzt in die Multiplikation vor Ort und vertreten dort ihre jeweils gewonnenen Überzeugungen. Ihre Impulse werden sich über kurz oder lang im ganzen Land verbreiten.“7 Ich finde es beispielsweise bemerkenswert, welche Bedeutung dem Teamgeist und der kollegialen Zusammenarbeit in den in Teil 1 genannten Ratschlägen für JeKits-Orchesterleiterinnen beigemessen wird.8 Mir erscheint das bahnbrechend für die Institution Musikschule – eine Institution, die in der Vergangenheit vom Einzelkämpfertum und kollegialem Wettbewerb geprägt war und vielerorts noch ist.
Allerdings: Viele Institutionen könnten sich deutlich stärker und viel radikaler verändern, und wenn wir uns eine nachhaltige, zukunftsfähige musikalische Bildungslandschaft wünschen, dann müssen wir viel mehr tun. Zu Beginn des ersten Teils meines Beitrags in der vergangenen Ausgabe habe ich ausführlich Anja Bossen zitiert.9 Und bei aller Kritik an ihren Aussagen – mit einer Sache hat sie recht: Natürlich muss es möglich sein, dass Kinder, die in JeKits die Lust am Musizieren entdeckt, ihr Wunschinstrument gefunden und für ihr Ausdrucksbedürfnis ein Ventil gefunden haben, diese Erfahrung fortsetzen können, und zwar so lange und so intensiv, wie sie sich das wünschen. Es muss möglich sein, dass sie Instrumentalunterricht weiter in Anspruch nehmen und sich musikalisch – sogar bis zum Niveau einer Hochschuleignungsprüfung – weiterentwickeln, in einem Ensemble weiterspielen, als Erwachsene wieder einsteigen und in ihrer Region Konzerte, Festivals und Workshops besuchen können. Davon sind wir leider weit entfernt. In einem kürzlich erschienenen Artikel schildern Johanna Schie und Stefan Prophet – MusikschulleiterInnen in Nordrhein-Westfalen – die strukturellen Veränderungen, die der Wechsel vom vierjährigen JeKi zum zweijährigen JeKits mit sich gebracht hat. Sie berichten vom Einbruch der JeKitsAnmeldungen trotz Einrichtung von gezielten Folgeangeboten und machen auf die Vielschichtigkeit der Faktoren aufmerksam, die dabei eine Rolle spielen wie etwa Unterrichtsbeiträge, enge Zeitfenster, Rückzug der Grundschulen, die sich ab dem
dritten Jahr nicht mehr in der Mitverantwortung sehen, für manche Familien unüberbrückbare bürokratische Hürden und unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten der Kommunen, die ab dem dritten Jahr für solche Programme eigenverantwortlich zuständig sind.10 Es gäbe also viele zu beseitigende strukturelle Barrieren, auch solche, die über die Grundschulzeit hinausgehen. JeKits kann also meines Erachtens nur dann nachhaltige Wirkung erzielen, wenn es in einen Gesamtplan der musikalischen Bildung eingebettet ist, in welchem TopDown- und Bottom-Up-Ansätze ineinandergreifen. In Bezug auf Bottom-Up-Ansätze möchte ich an dieser Stelle auf die zukunftsweisende Arbeit des Projekts „Eine Musikschule für alle“ (EMSA) aufmerksam machen: ein Kooperationsprojekt des Landesverbands der Musikschulen in NRW mit der Kölner Musikhochschule unter der Leitung von Stephanie BuykenHölker, Ursula Schmidt-Laukamp und Christine Stöger, in dem sowohl die Entwicklungsprozesse als auch die Ergebnisse von Kooperationen zwischen Musikschulen und Schulen in den Blick genommen und eine „dichte Verzahnung“ beider Institutionen mit dem Ziel der Ermöglichung individueller Bildungswege angestrebt werden.11 Ich fände es großartig, wenn JeKits-Musikschulen und -Grundschulen auch solche Wege gehen und gemeinsam, mit genug Zeit und mit einer professionellen Begleitung Konzepte für die Zeit nach JeKits entwickeln würden. Was die Top-Down-Ebene betrifft, würde ich mir eine Landkarte musikalischer Bil-
10
6.2018
Vollzeit
2017
6,4
2012
9,5
2008
10,7
Teilzeit
32,1
frei
61,5
40,1
50,4
54,7
34,6
Beschäftigungsstatus von Musikschullehrkräften in Nordhein-Westfalen (aus: Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen von Musikschullehrkräften und Privatmusiklehrern 2017. Ergebnisse der Umfrage der Fachgruppe Musik der ver.di von Juli 2017 – September 2017)
dung in Nordrhein-Westfalen wünschen, die gemeinsam von vielen Akteuren entwickelt und mit Leben gefüllt wird: eine Karte, die alle Übergänge und Schnittstellen gezielt in den Blick nimmt und Rahmungen dafür schafft. Es wäre z. B. wichtig, dass es Info-Stellen für JeKits-Schulen gäbe, die beratend Kindern und Eltern zur Seite stehen, wenn Kinder sich weiter musikalisch betätigen wollen. Fazit: JeKits hat uns – Lehrkräfte, Grundschulen, Musikschulen und Musikhochschulen – bereits verändert und uns damit wahrscheinlich nachhaltiger gemacht. Wir werden uns aber weiter verändern müssen, und diese Veränderung muss weit über die Implementierung von JeKits hinausgehen.
4. Bleiben oder gehen? – Umgang mit JeKits-Ressourcen Ich habe in diesem Beitrag die Forderungen formuliert, dass Lehrende ) einen ästhetisch ansprechenden Unterricht gestalten, ) im Unterricht stets körperlich präsent und fantasievoll bleiben, ) einen empfänglichen und anschlussfähigen Unterricht gestalten, ) ihren Unterricht gemeinsam mit Tandemlehrkräften und Schülerinnen planen, ) sich offen auf einen zieloffenen Veränderungsprozess einlassen und ) mit Bottom-Up-Initiativen vor Ort lokale Landkarten musikalischer Bildung entwickeln. Und dann muss ich denken: im Ernst? Mit einem befristeten Honorarvertrag und Niedriglohn, ohne irgendeine Form insti-
tutioneller Unterstützung? Wie kann man das von Lehrkräften verlangen? Ist das nicht schlichtweg unverantwortlich? JeKi kam sehr schnell. Die Schritte, die manche Lehrkräfte in den vergangenen Jahren machen mussten, waren gewaltig: Die Anforderungen an Berufseinsteiger sind gestiegen, die soziale Absicherung ist enorm gesunken. Ist es nicht wahrscheinlicher – und auch nachvollziehbar –, dass sich aktive und angehende Musikschullehrkräfte die Frage stellen: Soll ich bleiben oder gehen? Ist das überhaupt ein Job für mich? Nachhaltigkeit hat auch mit dem schonenden Umgang mit Ressourcen zu tun. Wenn wir davon ausgehen, dass Lehrkräfte – ihre Kompetenzen, ihre Kreativität, ihr Engagement – eine zentrale Ressource des musikalischen Bildungssystems darstellen, sollten wir uns dann nicht die Frage stellen, wie schonend JeKits-, Grundschul- und Musikschulverantwortliche mit dieser Ressource umgehen? Der Musikpädagoge und Coach Bernd Dahlhaus schreibt in üben & musizieren: „Die Situation ist insofern paradox, weil sich einerseits die JeKi-Honorarkräfte (berechtigt) Sorgen um ihre langfristige finanzielle Existenz machen […], gleichzeitig aber die Teilnahme der Musikschulen an JeKits das Überleben der Musikschulen sichern oder zumindest wahrscheinlicher machen wird: Musikschulen müssen bei JeKits mitmachen und es ist zu befürchten, dass sie dadurch gleichzeitig dem ‚Musikschullehrer-Prekariat‘ Vorschub leisten.“12 JeKits kann nur nachhaltig sein, wenn die Bedürfnisse aller Beteiligten – auch der beteiligten Lehrkräfte – ernst genommen wer-
den. Das ist momentan nicht der Fall. Nach den Erhebungen der Fachgruppe Musik in ver.di arbeiteten im Jahr 2017 61,5 Prozent der Musikschullehrkräfte in Nordrhein-Westfalen als freie Mitarbeiter, mit steigender Tendenz (siehe Abbildung).13 All diese Menschen arbeiten unter prekären Verhältnissen und sind von Armut – besonders von Altersarmut – bedroht. Thomas Wagner fragt in einem auf der ver.diWebsite veröffentlichten Text: „[Ist] die Arbeit an einer Musikschule nur ein schönes Hobby?“14 Und obwohl der Verband deutscher Musikschulen immer wieder auf die Relevanz von stabilen Arbeitsverhältnissen im Musikschulbereich hinweist15 und die Politik darauf pocht, dass Musikschulen wichtig seien, bleiben die Verhältnisse für Lehrkräfte seit Jahren untragbar und werden sogar schlechter. Ich möchte aber nicht nur über ökonomische und soziale Bedürfnisse sprechen, sondern auch über emotionale. In zwei bemerkenswerten Artikeln in üben & musizieren hat Bernd Dahlhaus dies sehr gut auf den Punkt gebracht. Ich zitiere aus einem davon: „Der zweifellos notwendige Austausch über Sach- und Qualitätsfragen erscheint mir mehr als eine Art Oberflächenphänomen, bei dem das, was die beteiligten Menschen […] eigentlich bewegt, nur andeutungsweise zur Sprache kommt. [...] Ich möchte anbieten, die Wortmeldungen der (JeKi-)Lehrer statt als Ausdruck von Berufsbequemlichkeit, Veränderungswiderwillen, als Unzufriedenheit per se oder gar als Inkompetenz als wertvolle Informationen über berechtigte und anerkennenswerte Bedürfnisse zu beschreiben.“16
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Unsere JeKits-Serie in Peter Röbke: Mehr als nur ein Nachfolgeprogramm. Was JeKits von JeKi unterscheidet, 4/2017, S. 7-9
Thomas Grosse: Lauern statt versauern. Optionen pädagogischer Haltungen im JeKits-Unterricht, 2/2018, S. 4-6
Franz Kasper Krönig: Euphorievorsprung. Was passiert eigentlich in der JeKitsAkademie? Und wem soll sie nützen?, 5/2017, S. 8-9
Silvia Müller: Rezension – Vom Lauern auf den Moment. Praxisimpulse, Reflexionen und Schlüsselfragen aus der Arbeit der JeKits-Akademie, 2/2018, S. 7
Johanna Schie und Stefan Prophet: „Wir verlieren die Kinder …“ Die Kontinuität nach dem zweiten JeKits-Jahr ist gefährdet, 6/2017, S. 10-11
Markus Büring und Martin Theile: Ausflug mit dem Tandem. Co-Teaching im JeKits-Unterricht, 3/2018, S. 8-11
Natalia Ardila-Mantilla: Bleibende Eindrücke hinterlassen. Wie JeKits eine nachhaltige Wirkung erzielen kann (Teil 1), 5/2018, S. 6-9 Natalia Ardila-Mantilla: Bewegung in die richtige Richtung. Wie JeKits eine nachhaltige Wirkung erzielen kann (Teil 2), 6/2018, S. 8-11
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Welche Bedürfnisse sind damit gemeint? Lehrende in JeKits haben dieselben Bedürfnisse, die auch Schülerinnen und Schüler haben, wenn sie sich auf eine neue Situation einstellen und sich etwas Neues aneignen sollen: stabile (Arbeits-)Beziehungen, Wertschätzung und Anerkennung und die Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele. Aber auch die Leitungen haben Bedürfnisse, wie etwa dass die Mitarbeiter sich proaktiv mit kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen und, anstatt einem alten Berufsbild nachzutrauern, ein neues, zeitgemäßes mit entwickeln.17 Also: Wenn JeKits nachhaltige Wirkung erzielen soll, wenn Musikschullehrkräfte bei JeKits engagiert, konstruktiv und zukunftsorientiert bleiben und eine solche Nachhaltigkeit möglich machen sollen, wenn Hochschulabsolventinnen den Weg in die Musikschule einschlagen und noch frischeren Wind mitbringen sollen, dann müssen alle Verantwortlichen – ohne sich gegenseitig die Verantwortung hin und her zu schieben – dafür sorgen, dass sie abgesichert sind und in einer lernfördernden Umgebung arbeiten können. Und mit dieser Forderung und der Erinnerung daran, dass diese vier „Dimensionen des Bleibens“ in einem engen Zusammenhang stehen, möchte ich diesen Beitrag schließen. (( 1 Dieser Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den ich am 8. März 2018 im Rahmen des JeKits-Praxistags in der Kölner Musikhochschule gehalten habe. Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe von musikschule )) DIREKT (Heft 5/2018). Ein Transkript des Vortrags ist im JeKits-Ma-
terialpool zu finden, https://materialpool.jekits.de/ category/inhaltliche-impulse (Stand: 12.7.2018). 2 vgl. www.jekits.de/informationsfilm (Stand: 12.7.2018). 3 Thomas Grosse: „Kompetenzmangel Gruppenunterricht? Neues vom Gruppenunterricht: Der Trend geht zur Einergruppe!“, in: üben & musizieren 5/2008, S. 6-11. 4 vgl. Juliane Gerland: „Inklusive Regel statt exklusiver Ausnahme?! Inklusive Entwicklung von Musikschulen und Professionalisierung der Lehrkräfte“, in: üben & musizieren 1/2016, S. 13. 5 Wolfhagen Sobirey: „Rein und raus. Welche Voraussetzungen braucht JeKi zum Gelingen?“, in: üben & musizieren 2/2012, S. 23. 6 Bernd Smalla: „Vorwort des stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbands der Musikschulen in NRW“, in: JeKits-Stiftung (Hg.): Vom Lauern auf den Moment. Praxisimpulse, Reflexionen und Schlüsselfragen aus der Arbeit der JeKits-Akademie. Unter Mitarbeit von Sara Schneider und Martin Theile, Bochum 2017, S. 7. 7 ebd., S. 8. 8 vgl. JeKits-Stiftung: Ratschläge für angehende JeKits-OrchesterleiterInnen, 2015, https://materialpool.jekits.de/ratschlaege-fuer-angehende-jekitsorchesterleiterinnen (Stand: 28.2.2018). 9 siehe Natalia Ardila-Mantilla: „Bleibende Eindrücke hinterlassen. Wie JeKits eine nachhaltige Wirkung erzielen kann (Teil 1)“, in: musikschule )) DIREKT 5/2018, S. 6. 10 vgl. Johanna Schie/Stefan Prophet: „,Wir verlieren die Kinder …‘. Die Kontinuität nach dem zweiten JeKits-Jahr ist gefährdet“, in: musikschule )) DIREKT 6/2017, S. 10 f. 11 vgl. www.lvdm-nrw.de/arbeitsbereiche/einemusikschule-fuer-alle (Stand: 11.10.2018). Siehe auch Stephanie Buyken-Hölker/Ursula SchmidtLaukamp/Christine Stöger: „Eine (Musik)Schule für alle. Ein Projekt der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit dem Landesverband der Musikschulen NRW“, in: üben & musizieren 4/2018, S. 48-50. 12 Bernd Dahlhaus: „Gemeinsam, gerecht, gebildet? Von JeKi zu JeKits: ein Programmwechsel mit der Lupe betrachtet, Teil 2“, in: üben & musizieren 3/2015, S. 42 f. 13 Jürgen Simon: Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen von Musikschullehrkräften und Privatmusiklehrern 2017. Ergebnisse der Umfrage der Fachgruppe Musik der ver.di von Juli 2017 – September 2017, hg. von Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), S. 16, https://musik.verdi.de
> Musikschulen > Umfrage > Umfrage 2017 | Ergebnisse (Stand: 11.10.2018). 14 Thomas Wagner: „Eigentlich? Musikhonorarkräfte sollten sich wehren“, 2015, https://musik. verdi.de/themen/nachrichten/++co++bb1d6bec7955-11e5-a9d2-525400248a66 (Stand: 4.3.2018). 15 2011 schrieb z. B. Winfried Richter, damaliger Bundesvorsitzender des VdM: „[Die Arbeit von Musikschullehrkräften setzt] ein hohes Maß an künstlerischem und pädagogischem Können und Engagement voraus. Da diese Qualitäten in einem kontinuierlichen Unterricht zielführend genutzt werden müssen, bedarf es sozialversicherungspflichtiger Angestelltenverhältnisse. Das ist aus der Sache heraus für mich und den VdM ein Credo“. In: Christoph Schulte im Walde: „Musikschullehrkräfte sind keine Lückenbüßer. Im Gespräch mit Winfried Richter, Bundesvorsitzender des Verbands deutscher Musikschulen“, in: üben & musizieren 4/2011, S. 47. 16 Bernd Dahlhaus: „JEgliche Kompetenz Integrieren. Zum Stand der Diskussion über das Projekt ‚Jedem Kind ein Instrument‘ und zur (zukünftigen) Musikschularbeit“, in: üben & musizieren 3/2010, S. 50. 17 vgl. ebd., S. 50-52.
Dr. Natalia Ardila-Mantilla ist Professorin für Instrumental- und Vokalpädagogik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln.
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6.2018
„Acapella“ – ganz alleine mehrstimmig musizieren
Meine App
Kristin Thielemann
)) Unter den zahlreichen Musik-Apps findet sich auch für InstrumentalpädagogInnen immer wieder interessantes „Spielzeug“ für den Praxiseinsatz im Unterricht. Manche der kleinen Programme sind Eintagsfliegen, andere können von wirklichem Nutzen sein und dauerhaft eine motivierende Ergänzung darstellen. Seit 2015 sorgt Acapella im Netz für Furore: Die knapp 128 MB große Software bietet die Möglichkeit, sich selbst zu filmen und anschließend zu diesem Video bis zu acht weitere Aufnahmen hinzuzufügen, die gleichzeitig auf dem Bildschirm abgespielt werden. So kann man wahlweise mit sich selbst eine Jam-Session machen, Kammermusik spielen oder weitere SpielerInnen mit ins Boot holen. Im Internet lassen sich unter dem Stichwort „Acapella App“ zahlreiche Clips finden, bei denen die Nutzer die vielfältigen Ergebnisse präsentieren. Ob Kinderlieder, gespielt von einem Geigenanfänger, von dem auf dem Video kaum mehr als der Geigenbogen zu sehen ist, über lustige, aber auch künstlerisch wertvolle Gesangseinlagen aller Art bis zu einem jungen Musiker, der mit sich selbst einen Ausschnitt aus Mozarts Sinfonia concertante musiziert: Diese App macht Spaß und regt zum kreativen Umgang mit Musik an – vom Anfänger bis zum Profi. Nach einer kurzen Registrierung kann das selbstproduzierte Kunstwerk auf verschiedenen Wegen geteilt werden: Im privaten Modus, sodass das Ergebnis nur mittels
Link angesehen werden kann, per E-mail, auf populären Messengern wie WhatsApp, Line oder SMS, via YouTube oder auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, Tumblr oder Instagram. Ebenfalls besteht die Option, ein begonnenes Projekt einem anderen Benutzer zu senden und diesen zu bitten, eine Aufnahme hinzuzufügen. So kann selbst über weite Entfernung hinweg „gemeinsam“ musiziert werden. Eine großartige Chance! Nützliche Features wie das Erkennen des Songtitels sind bereits in die App integriert und arbeiten bei aktueller Musik recht zuverlässig. Ebenfalls bietet sich die Option, den Videoclip optisch zu bearbeiten: Neben verschiedenen Filtern (Sepia, Schwarzweiß, Vintage usw.) lassen sich Hintergründe auswählen und Schriften, Logos oder Fotos hinzufügen. Auch die klangliche Bearbeitung ist Bestandteil der übersichtlichen Benutzeroberfläche: Zwar sollte man hier nicht die Möglichkeiten eines Tonstudios erwarten, aber Grundsätzliches wie Lautstärke, Balance, Klangfarbe, Hall oder das Unterdrücken von Nebengeräuschen lässt sich auch als Acapella-Neuling leicht realisieren – selbst das Anpassen der Tonhöhe ist problemlos möglich. Zum Arbeiten mit der Acapella-App sind neben dem iPhone oder iPad Kopfhörer unabdingbar, durch die man während einer Aufnahme das in die App integrierte Metronom und die bereits eingespielten Videos hört.
erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
Redaktion: Sebastian Herbst und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Anja Bossen und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler
Ob mit SchülerInnen im Einzel- oder Gruppenunterricht, mit einem Ensemble oder beim Musizieren daheim: Acapella erfordert neben der Lust zum Experimentieren und einer kurzen Einführung eine Diskussion mit den Lernenden über die Chancen und Risiken der Veröffentlichung eigener Clips; aber das sollte heute im Musik- und Instrumentalunterricht ohnehin selbstverständlich zum Curriculum gehören. Ebenfalls empfiehlt sich bei Minderjährigen ein Hinweis für die Eltern, worum es beim Musizieren mit Acapella geht. Für iOS ist Acapella im Basic-Format gratis erhältlich, allerdings ist bisher nur eine Beta-Version für Android-Geräte verfügbar. Mit der kostenpflichtigen Premiumversion lässt sich unter anderem die Playlist des eigenen Acapella-Profils erweitern und produzierte Videos können bei Streaming-Diensten wie Apple Music und Spotify in einer mit CDs vergleichbaren Audioqualität geteilt werden. So bietet die sehr benutzerfreundliche App Acapella eine grandiose Möglichkeit zum vielfältigen und fantasievollen Musizieren auf jedem Niveau – nicht nur für Handyjunkies! (( Beispiel: www.youtube.com/watch?v=xuQ_18O45v8
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