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Unterrichtsverträge sinnvoll gestalten Die Musikschule als Dealer Pädagogik von der Stange
musikschule )) DIREKT Immer mehr musikalische Projekte und Fördermaßnahmen werden unter dem Stichwort „Chancengerechtigkeit“ speziell zur Förderung von bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen oder aktuell auch speziell für Flüchtlinge implementiert. Das ist begrüßenswert und sollte nicht anders sein. Allerdings stellt sich allmählich auch die Frage, was eigentlich aus der musikalischen Förderung nicht von Hause aus bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher wird. So positiv es auch ist, wenn staatlich geförderte Musikschulen Kapazitäten für Projekte im Sinne von Chancengerechtigkeit erweitern: Was wird aus den von sich aus an musikalischer Bildung interessierten oder aus musikalisch hochbegabten Kindern und Jugendlichen? Noch immer existieren an staatlichen Musikschulen gigantische Wartelisten – und das, obwohl es auch immer mehr private Anbieter gibt. Offenbar ist es ein Wunsch vieler Eltern, dass ihre Kinder an staatlichen Musikschulen unterrichtet werden. Wird es also nicht Zeit, sich wieder auch mehr um diejenigen zu kümmern, die den dringenden Wunsch verspüren, Unterricht zu nehmen? Vor allem, nachdem sich an Projekten wie „JeKi“ gezeigt hat, dass das musikalische Angebot, sobald es freiwillig und/oder kostenpflichtig wird, weit weniger gut angenommen wird als erhofft (was allerdings niemanden, der kultursoziologische Forschungsergebnisse kennt, wirklich überraschen kann)… Kann es zu mehr Chancengerechtigkeit führen, wenn Musikschulen von der Politik den Auftrag erhalten, neue und vor allem bildungsferne Zielgruppen zu erschließen, ohne dass sie für diese neuen Aufgaben zusätzlich mit finanziellen Mitteln ausreichend ausgestattet werden? Wenn, mit anderen Worten, stattdessen eine nicht offen ausgesprochene Umverteilung vorgenommen wird? Sicher: Man kann auf der bildungspolitischen Ebene entscheiden, nur noch unterprivilegierte Kinder und Jugendliche zu fördern. Doch dann sollte es eine bewusst gefällte und begründete Entscheidung sein. Und so positiv es ist, sich der Herausforderung der Inklusion zu stellen, ist auch hierbei zu bedenken, dass ein weit gefasster Inklusionsbegriff auch die Förderung talentierter und interessierter Kinder und Jugendlicher meint, nämlich die Förderung aller im Rahmen ihrer Begabung und unabhängig von ihrer ökonomischen Situation. Das ist Chancengerechtigkeit! Eine Gesellschaft sollte die Schwächsten fördern, dabei aber auch die Interessen der an musikalischer Bildung stark Interessierten im Blick haben. Anja Bossen
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Die Chancen der anderen
Instrumente ohne Tropenholz Robert König, Professor für Technologie des Musikinstrumentenbaus an der Westsächsischen Hochschule Zwickau, hat eine Alternative zum Tropenholz im Instrumentenbau gefunden. Aus recyceltem Papier, Naturharzen und Fichtenholz entwickelte er ein Material, das anstelle seltener Tropenhölzer – vor allem Ebenholz – zur Herstellung von Griffbrettern verwendet werden kann. Für seine Arbeit erhielt König Anfang Juni den Umweltpreis der Handwerkskammer Chemnitz. Er hatte 2006 in Zwickau sein Diplom als Musikinstrumentenbauer gemacht und die Meisterprüfung im Geigenbauerhandwerk abgelegt. www.fh-zwickau.de
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Unterrichtsverträge sinnvoll und sicher gestalten
Konflikten vorbeugen Unterrichtsverträge bilden die juristische Basis, auf der Musikschulen und Privatlehrkräfte mit ihren Schülern und Schülerinnen verbunden sind. Sie sollen der Musikschule kontinuierlich das Unterrichtsentgelt sichern und Konflikte vermeiden. Frank Bauchrowitz gibt Tipps zur sinnvollen und sicheren Gestaltung von Unterrichtsverträgen.
)) Zur vertraglichen Regelung von Instrumental- oder Gesangsunterricht werden sogenannte Direktunterrichtsverträge abgeschlossen, die wiederum als Dienstverträge einzustufen sind. Es können Unterrichtsverträge mit sehr unterschiedlichen Bedingungen gestaltet werden. Nachfolgend stellen wir typische Regelungspunkte und Lösungen für häufig auftauchende Probleme vor.
den, ist diese Person als Vertragspartner anzugeben und nicht nur der Name der Musikschule. Korrekt ist also z. B. „Musikschule XY, Inhaberin Julia Meier“. Auf der anderen Seite sind die Vertragspartner meistens die Eltern des zu unterrichtenden Kindes. Hier sollten möglichst beide Erziehungsberechtigte als Vertragspartner aufgenommen werden und auch darauf geachtet werden, dass beide den Vertrag unterschreiben. So haben die Musikschule oder die Privatmusiklehrerin bei Zahlungsverzug zwei Schuldner, von denen sie das Unterrichtsentgelt fordern können. Dies kann auch, sofern der schlimmste Fall eintritt, die Zwangsvollstreckung vereinfachen, da auf das Vermögen beider Vertragspartner zugegriffen werden kann, wenn eine gesamtschuldnerische Haftung vorliegt. Der leicht erhöhte administrative Aufwand kann sich also lohnen.
Vertragsbeginn und Laufzeit Vertragsparteien Zunächst sollten im Vertrag die Parteien so genau wie möglich bezeichnet werden. Auf der einen Seite ist dies der Privatmusiklehrer/die Privatmusiklehrerin oder die Musikschule bzw. deren Träger. Bei Letzterer ist eine genaue Parteibezeichnung wichtig. Ist die Musikschule beispielsweise als eingetragener Verein organisiert, lautet die korrekte Bezeichnung in aller Regel „Musikschule XY e. V., vertreten durch ihren Vorstand, dieser wiederum vertreten durch die erste Vorstandsvorsitzende Z“. Hier ist darauf zu achten, dass die Satzung eventuell andere Vertretungsregelungen vorsieht, z. B. dass der Vorstand durch den 1. und den 2. Vorstandsvorsitzenden gemeinsam vertreten wird. Dann ist die Formulierung entsprechend anzupassen. Bei Musikschulen, die von Einzelpersonen geführt wer-
Weiterhin sollte festgelegt werden, wann die erste Unterrichtseinheit stattfinden soll. Dies ist deshalb wichtig, da ab diesem Datum der Anspruch auf das Unterrichtsentgelt entsteht. Darüber hinaus sollte geregelt werden, ob der Vertrag befristet (also für eine bestimmte Zeit) oder unbefristet laufen soll. Befristete Verträge laufen grundsätzlich bis zum Ende der festgelegten Vertragslaufzeit. Wurde eine automatische Verlängerung vereinbart, so tritt diese in Kraft, sofern der Vertrag nicht rechtzeitig gekündigt wurde. Die Erstlaufzeit des Vertrags sollte nicht mehr als sechs Monate betragen. Musikunterrichtsverträge greifen relativ stark in die Freizeitgestaltung des Schülers bzw. der Schülerin ein. Zudem ist Musikunterricht in der Regel mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden. Eine übermäßig lange
Frank Bauchrowitz
Bindung könnte daher mit § 307 Abs. 1 BGB kollidieren. Dort heißt es: „Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.“ Der Zeitraum von sechs Monaten ist für die Vertragsparteien überschaubar und stellt einen guten Kompromiss zwischen den Interessen des Schülers hinsichtlich einer annehmbaren Bindung an den Unterrichtsvertrag und der Planungssicherheit sowie den wirtschaftlichen Interessen der Musikschule bzw. der Privatlehrkraft dar. Die automatische Verlängerung der Laufzeit im Fall einer nicht rechtzeitigen Kündigung kann schon im Vertrag vereinbart werden (Verlängerungsklausel). Der Verlängerungszeitraum sollte sechs Monate ebenfalls nicht überschreiten, um die Benachteiligung der Vertragspartner auch hier zu vermeiden. Für unbefristete Verträge ist in der Regel eine fristgerechte Kündigung (siehe unten) notwendig, damit das Vertragsverhältnis endet.
Unterrichtsmodalitäten Auch die Modalitäten des Unterrichts sollten genau festgeschrieben werden. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte: ) Was wird unterrichtet (welches Instrument und welche Stilrichtung)? ) Wo findet der Unterricht statt? ) In welcher organisatorischen Form findet der Unterricht statt, als Einzel- oder Gruppenunterricht mit maximal bis zu wie vielen Schülerinnen bzw. Schülern? ) Wie lange dauert eine Unterrichtseinheit? ) In welchem Rhythmus findet der Unterricht statt, z. B. wöchentlich, mehrmals wöchentlich, vierzehntägig?
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) Wann findet der Unterricht statt und wie wird der Unterrichtstermin bei Bedarf angeglichen? Für den Unterrichtsort und die Unterrichtszeit sollte ausdrücklich geregelt werden, dass diese im zumutbaren Rahmen auch dauerhaft durch die Musikschule bzw. die Privatmusiklehrkraft geändert werden können. Eine Regelung sollte auch für den Fall vereinbart werden, dass sich die Zeitgestaltung des Schülers, z. B. durch Wechsel des Schulstundenplans, verändert und wie dann eine Terminabstimmung erfolgen kann. Der Privatmusiklehrer bzw. die Musikschule gehen ansonsten das Risiko ein, dass ihre Vertragspartner ein außerordentliches Kündigungsrecht erlangen, da diese auf den Schulstundenplan keinen Einfluss haben und Schulpflicht besteht.
Unterrichtsvergütung Ausgangspunkt für die im Vertrag zu nennende Unterrichtsvergütung sollte bei befristeten Verträgen immer die Vertragslaufzeit bzw. der Verlängerungszeitraum (bei unbefristeten Verträgen: das Unterrichtshalbjahr) unter Einschluss der gesetzlichen Schulferien und Feiertage sein. Dem Vertragspartner sollte aber die Möglichkeit eingeräumt werden, dass er das genannte Honorar in monatlich gleichen Raten zahlt. Dies hat folgenden Vorteil gegenüber der Monatsvergütung: Durch die Rechtsprechung ist entschieden (z. B. OLG Frankfurt, 6 U 209/90 oder LG Nürnberg-Fürth vom 23.02.2000; Az.: 3 O 540/99), dass Vertragspartner von Unterrichtsverträgen nicht verpflichtet sind, in den Schulferien und an den gesetzlichen Feiertagen das Unterrichtsentgelt zu entrichten, wenn kein Unterricht stattfindet. Diese Unterbrechungen hätten bereits in der Kalkulation des Unterrichtsentgelts be-
rücksichtigt werden müssen, so die Rechtsprechung. Wird das Honorar allerdings für die gesamte Vertragslaufzeit genannt und darauf hingewiesen, dass an den gesetzlichen Feiertagen und Schulferien kein Unterricht stattfindet, dann wurde dem Schüler der Preis für den gesamten Zeitraum bekanntgegeben und die Voraussetzung der Einkalkulierung der Unterbrechungen ins Gesamthonorar sind erfüllt. Auch sollte angegeben werden, auf welches Konto die Zahlungen zu leisten sind. Es kann auch ein SEPA-Lastschriftmandat vereinbart werden. Kommt die Musiklehrerin zum Unterrichten ins Haus, dann sollte sie sich die Fahrtkosten erstatten lassen und dies mit in den Vertrag aufnehmen. Da die Anfahrtszeit der Lehrerin ebenfalls zumindest teilweise vergütet werden muss, sind 0,50 Euro bis 1,00 Euro pro gefahrenem Kilometer entsprechend angemessen. Auch sollte vereinbart werden, wann das Honorar fällig wird. Dann ist gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB klar, wann die Vertragspartner der Musikschule in Zahlungsverzug geraten – sogar ohne weitere Mahnung. Ab diesem Zeitpunkt haben die Vertragspartner der Musikschule bzw. des Privatlehrers auch Zinsen und Rechtsverfolgungskosten zu zahlen. Dies bedeutet: Schaltet die Musikschule für die Geltendmachung ihrer Forderungen einen Rechtsanwalt ein, so müssen die Vertragspartner in der Regel die anfallenden Rechtsanwaltsgebühren als Verzugsschaden bezahlen.
Erhöhung des Unterrichtsentgelts Die Musikschule oder die Privatmusiklehrkraft kann das Honorar nach „billigem Ermessen“ erhöhen. Preiserhöhungen dür-
fen im Rahmen eines Unterrichtsvertrags aber nicht zur Erzielung eines höheren Gewinns dienen. Die Vertragspartner müssen den Grund der Erhöhung, das Ausmaß und die Berechtigung nachprüfen können. Ebenso muss bei Vertragsabschluss die Honorarerhöhung unvorhersehbar gewesen sein. Ist hingegen schon bei Vertragsabschluss absehbar, dass ein Grund für eine Entgelterhöhung zukünftig gegeben ist, so sollte ein Staffelhonorar vereinbart werden. Den Vertragspartnern muss außerdem ein Sonderkündigungsrecht zugestanden werden, wenn die Preiserhöhung wesentlich über den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten hinausgeht.
Regelungen bei Ausfallstunden und im Krankheitsfall Unterrichtsstunden, die ausfallen, sind des Öfteren Anlass für Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Musikschule bzw. Privatlehrkraft. Irrigerweise meinen Eltern oft, sie hätten einen grundsätzlichen Anspruch auf das Nachholen einer ausgefallenen Unterrichtsstunde. Dem ist nicht so, die Gesetzeslage sieht anders aus. Grundsätzlich müssen zwei Fälle unterschieden werden, nämlich der, dass die Schülerin absagt, von dem, dass der Lehrer absagt. Kommt eine Schülerin nicht zum Unterricht und kann in dieser Zeit kein anderer Schüler unterrichtet werden, ist das Honorar trotzdem an die Musikschule zu zahlen (vgl. § 615 BGB). Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Schülerin krank ist oder aus anderen Gründen nicht kommt. Der Vergütungsanspruch bleibt ebenfalls bestehen, wenn der Ausfall durch einen nicht in der Musikschule oder der Lehrkraft begründeten Ausfallgrund bedingt
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„Unterrichtsverträge sollen der Musikschule kontinuierlich das Unterrichtsentgelt sichern und Konflikte vermeiden.“ ist: Fälle höherer Gewalt, etwa plötzlich eintretende Unwetter, Überschwemmungen oder nicht vorhersehbare Streiks bei Dritten. Wenn die Lehrkraft wegen pädagogischkünstlerischer Aktivitäten oder Fortbildungen den Unterricht ausfallen lässt, muss die Stunde hingegen nachgeholt oder das Unterrichtsentgelt erlassen werden, weil dann der Grund für den Ausfall in der Person der Lehrkraft liegt und sie den Ausfall zu verschulden hat. Der Vergütungsanspruch bleibt allerdings auch in diesen Fällen bestehen, ohne dass die Stunde nachgeholt werden muss, wenn die Lehrkraft für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in ihrer Person liegenden Grund ohne ihr Verschulden“ am Unterricht gehindert wird (§ 616 Satz 1 BGB). Bekommt der Lehrer beispielsweise eine Grippe und muss deshalb den vereinbarten Unterricht einmal absagen, müssen die Vertragspartner gleichwohl zahlen, ohne dass die Stunde nachgeholt werden müsste, obwohl Krankheit ein in der Person des Lehrers liegender Grund ist. Aus Gründen der Kulanz kann man aber selbstverständlich von der Regelung des § 616 Satz 1 BGB keinen Gebrauch machen oder ihn sogar vertraglich ausschließen. Im Vertrag können diese vom Gesetz vorgesehenen Regelungen nochmals ausdrücklich mit aufgenommen werden. Es kann aber auch angegeben werden, wie viele Unterrichtsstunden die Lehrkraft unter welchen Umständen pro Jahr als Serviceleistung nachunterrichtet, wenn Unterricht ausgefallen ist. Kundenfreundlich für den Krankheitsfall des Schülers sind Regelungen dazu, ab welcher Krankheitsdauer das Unterrichtsentgelt wieder gutgeschrieben wird.
Kündigungsfristen Zu den Kündigungsfristen beider Vertragsparteien sollte ebenfalls eine Regelung getroffen werden. Wird dies nicht getan, gelten zwar die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 621 BGB. Diese entsprechen aber oft nicht der Interessenlage der Parteien. Denn die Fristen müssen einerseits auf die Verlängerungszeiträume von befristeten Verträgen abgestimmt sein. Andererseits müssen sie auch zu den Kündigungsfristen der (Honorar-)Verträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter passen, damit eine effektive Personalplanung möglich ist. Die Fristen sollten aber nicht zu kurz gewählt werden, damit die Musikschule eine gewisse Planungssicherheit erlangt. Bei unbefristeten Verträgen kann beispielsweise eine Frist von sechs bis acht Wochen zum Unterrichtshalbjahr vereinbart werden. Bei befristeten Verträgen mit Verlängerungsklausel sind in der Regel ebenfalls sechs bis acht Wochen zum Ende der Vertragserstlaufzeit bzw. Vertragsfolgelaufzeit angemessen. Wird nicht gekündigt, verlängert sich der Vertrag dann automatisch um die Folgelaufzeit. Fristlos kann von beiden Seiten „aus wichtigem Grund“ gekündigt werden (§ 626 BGB). Zu den anerkannten Gründen gehören zum Beispiel langfristige Krankheiten oder zu häufige Ausfälle bzw. zu häufige Terminverlegungen durch die Musikschule. Fehleinschätzungen der eigenen Lernbereitschaft und Lernfähigkeit, der persönlichen Belastbarkeit und der intellektuellen Fähigkeiten hat dagegen der Schüler oder die Schülerin zu verantworten. Hier ist in der Regel kein Kündigungsgrund gegeben (BGH NJW 1984, 1531). Der BGH hat zudem jüngst für Verträge von Fitnessstudios entschieden, dass auch
ein Umzug nicht zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt (Az.: XII ZR 62/15). Diese Rechtsprechung ist sehr wahrscheinlich auf Unterrichtsverträge übertragbar. Die Privatmusiklehrkraft bzw. die Musikschule kann z. B. aus wichtigem Grund kündigen, wenn die anderen Vertragsparteien im Zahlungsverzug sind oder der Schüler oder die Schülerin den Lehrbetrieb nachhaltig stört. Dies sollte auch nochmals ausdrücklich im Vertrag festgehalten werden. Für jede Art der Kündigung sollte Schriftform vereinbart werden.
Fazit Die angesprochenen Punkte stellen das Minimum dessen dar, das in einem Unterrichtsvertrag geregelt werden sollte. Daneben gibt es aber die Möglichkeit, zahlreiche weitere individuelle Abreden zu treffen. Um einen konsistenten und konfliktentschärfenden Vertrag zu erhalten, können sich Musikschulen und Privatlehrkräfter bei der Erstellung ihres Vertrags beraten lassen oder ihren bestehenden Vertrag überprüfen lassen. ))
Frank Bauchrowitz ist Rechtsanwalt in den Bereichen Urheberrecht und Musikvertragsrecht. Er ist Dozent für Musikrecht und Karriereentwicklung an verschiedenen Musikhochschulen und für andere Anbieter aus dem Musikbereich. www.musikerkanzlei.de
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Feedback für eine gute Zukunft
Bernd Dahlhaus
Mitmachen und gewinnen: Ihre Erfahrungen sind uns wichtig )) InstrumentalpädagogInnen äußern sich zu aktuellen berufspraktischen und -politischen Themen überwiegend eher kritisch und hinsichtlich der Zukunftsaussichten des Instrumentalpädagogikberufs pessimistisch. Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen ist diese Haltung nachvollziehbar. Wünschenswert wäre jedoch, dass der Fokus in den Gesprächen vor Ort wieder (mehr) auf institutionelle und vor allem persönliche Gestaltungsmöglichkeiten ausgerichtet würde. Darauf, „wie es (trotzdem) gehen kann“, auch und besonders jenseits des üblicherweise Gedachten. Damit Diskussionen proaktiv ausgerichtet und überraschend-positive Ideen entstehen können, ist es notwendig, sich zunächst über das eigene berufliche Selbstverständnis klar zu werden und die Rolle unseres Berufs in der Gesellschaft differenziert zu reflektieren. Hierzu geben aus übergeordneter Perspektive die Bundesvorsitzenden der drei musikpädagogischen Dachverbände VdM, bdfm und DTKV einen Einblick in ihr Denken und in die Arbeit ihres Verbandes (siehe Artikel „Führen und verbinden“ in üben & musizieren auf den Seiten 46 bis 53). Wir möchten auch Ihre Erfahrungen, Meinungen und Vorschläge, liebe Leserinnen und Leser, als wertvolle Ressourcen für den Fachdiskurs nutzbar machen. Deshalb stellen wir Ihnen die zwölf Fragen, die wir an die drei Bundesvorsitzenden gerichtet haben, in abgewandelter Form. Indem Sie die Redaktion von musikschule )) DIREKT und die Berufsgemeinschaft der InstrumentalpädagogInnen an Ihrem Denken über den Beruf teilhaben lassen, tragen Sie zur
Weiterentwicklung desselben bei und helfen dadurch auch unserem Nachwuchs, den zukünftigen Instrumentalpädagoginnen und -pädagogen.
Zwölf Fragen an Instrumentalpädagogen 1. Was würden Sie im weiteren Sinne als Erfolg in Ihrer Berufstätigkeit bzw. in Ihrem Unterrichten in jüngster Zeit bezeichnen? 2. In welchen Momenten Ihrer Berufstätigkeit empfinden Sie ganz konkret lebendige, ehrliche Freude? 3. Was nervt oder frustriert Sie in Ihrem Beruf am meisten (bitte nur ein Thema schildern)? 4. Bei welchen Themen vertreten Sie in Ihrem beruflichen Selbstverständnis eher eine konservativ-bewahrende, in welchen eher eine progressiv-verändernde Ausrichtung? 5. Nennen Sie einige widersprüchliche Anforderungen (Dilemmata, Zwickmühlen), die Sie in Ihrer Berufstätigkeit bzw. in Ihrem Unterrichten bewältigen (müssen). 6. In welchen Bereichen oder bei welchen Themen könnten Sie (noch mehr) mit KollegInnen der (Musik-)Schule oder mit externen Kooperationspartnern zusammenarbeiten? 7. In welcher Weise betreiben Sie in Ihrer Berufstätigkeit kritische Selbstbeobachtung und Selbstreflexion und wer oder was hilft Ihnen „von außen“ dabei? 8. Was könnte Ihrer Meinung nach in konzeptioneller Hinsicht in Zukunft das „nächste JeKi“ werden?
9. Was müsste konkret geschehen, damit der Wert des aktiven Musizierens und dementsprechend der Wert des Musiklehrens in der Gesellschaft deutlich höher eingeschätzt werden? 10. Wie sehen Sie die Zukunft der Instrumental- und Vokalpädagogik? Wie stellen Sie sich Musikschularbeit bzw. den freiberuflichen Musikunterricht in 15 Jahren vor? 11. Was könnten Instrumental- und VokallehrerInnen (noch mehr) tun, um ihre Berufssituation ganz allgemein zu verbessern und den Beruf weiterzuentwickeln? Was könnten Sie selbst ganz konkret und unmittelbar tun? 12. Welche Frage hätten Sie sonst noch gerne beantwortet? ))
Schicken Sie uns Ihre Antworten auf die zwölf Fragen und/oder Ihre Ansichten zum Interview mit den Bundesvorsitzenden bis zum 31. Dezember 2016 per e-mail an: info@musikschule-direkt.de Unter allen Einsendern verlosen wir 3 x 2 Bücher aus der Reihe „texte zur instrumentalpädagogik“ nach Wahl.*
* www.schott-musikpädagogik.de > instrumentalunterricht > texte zur instrumentalpädagogik
Bernd Dahlhaus ist Musikpädagoge und Coach. Er leitet die Agentur für Musikpädagogik musikbäume. www.musikbaeume.de
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Die Musikschule als Dealer Michael Herrmann
Umsatz erhöhen durch Verkauf von Musikinstrumenten und Zubehör, Teil 1 Es hört sich so gut an: Wenn ich einen eigenen Laden hätte, könnte ich Instrumente günstiger einkaufen – zum EK („Einkaufspreis“) sozusagen. Was ich da sparen könnte! Und wenn ich dann meinen Schülern auch noch Instrumente und Noten verkaufe, kann ich noch mehr Geld verdienen. Doch was ist dran an diesen Überlegungen? Lohnt es sich wirklich, als Musikpädagoge unter die Einzelhändler zu gehen? Und wie genau stellt man das an? Michael Herrmann gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
)) Viele meinen, eine Gitarre, die im Verkauf 1 000 Euro kostet, sei im Einkauf für etwa 200 Euro zu haben. Tatsächlich ist z. B. bei Kleidung eine Marge von 70 bis 80 Prozent üblich. Das heißt, eine Hose, die im Verkauf 100 Euro kostet, liegt im Einkauf bei etwa 20 bis 30 Euro. Wenn eine Boutique also 5 000 Euro Umsatz im Monat macht, so bleiben etwa 3 500 Euro für den Inhaber übrig. Ein ganz ordentlicher Schnitt. Ganz anders sieht es bei Instrumenten aus: Eine Gitarre, die für 1 000 Euro verkauft wird, kostet im Einkauf meist zwischen 850 und 950 Euro. Um ähnlich wie in der Bekleidungsbranche 3 500 Euro Gewinn zu erzielen, müsste der Betreiber eines Musikgeschäfts also einen Umsatz von etwa 25 000 Euro erwirtschaften. Die Geschäftslage der Branche ist schwierig. Das war nicht immer so. In Zeiten vor den großen Internet-Shops war der Verkauf von Musikinstrumenten, Noten und Zubehör durchaus rentabel. In den vergangenen 30 Jahren jedoch hat sich die Zahl der Musikfachgeschäfte in Deutschland dramatisch reduziert: Waren es im Jahr 2004 noch 2 342 Läden, so gab es 2013 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor)
gerade mal 1 922 Fachhändler, von denen die meisten zäh ums Überleben kämpfen. Der Grund ist einfach: Durch die zahlreichen Internet-Shops werden die Verkaufspreise immer weiter gedrückt, bis die Gewinnmargen nahe null liegen. Die Gewinne werden dann über Masse erzielt.
Ein Musikgeschäft eröffnen Es gibt dennoch Wege, wie eine Musikschule oder eine Musiklehrkraft ihren Gewinn durch den Verkauf von Musikinstrumenten, Zubehör und Noten erhöhen kann. Wie Sie aus den bisherigen Zeilen entnehmen können, ist es momentan wirtschaftlich nicht sinnvoll, ein Musikgeschäft im klassischen Sinne aufzubauen – ganz abgesehen davon, dass viele Musikschulen bereits an einfachsten Hürden scheitern werden. In der Regel ist es nämlich so, dass Großhändler nicht jeden X-beliebigen, der einen Gewerbeschein vorlegen kann, beliefern. Branchenüblich ist folgendes Vorgehen: Nachdem ein potenzieller Betreiber eines Musikgeschäfts auf dem Gewerbeamt war und dort seinen Gewerbeschein beantragt hat, kontaktiert er die größten Großhändler und bittet darum, dass sie ihn beliefern. Nachdem er bei den jeweiligen Großhändlern zahlreiche Formulare (sogenannte „Selbst-Auskünfte“) ausgefüllt hat, schicken diese nach eingehender Prüfung einen Außendienstmitarbeiter vorbei, der den neuen Laden begutachten soll. Hier tut sich die größte Hürde für Musikschulen und Instrumentallehrkräfte auf: Die meisten Großhändler bestehen darauf, dass Sie Ihre Waren in einem „typischen Ladengeschäft“ verkaufen. Unter einem typischen Ladengeschäft verstehen die Großhändler üblicherweise einen von der Straße aus zugänglichen
Raum, der über ein Schaufenster verfügt und ausschließlich für den Verkauf von Musikalien gedacht ist. Außerdem sind feste, branchenübliche Öffnungszeiten Pflicht. Wer also nur wenige Stunden pro Woche seinen Laden öffnen möchte, hat schlechte Karten. Zu guter Letzt fordern die Großhändler, dass nur qualifiziertes Personal im Verkauf tätig ist. Schließlich soll jemand, der eine Gitarre verkaufen will, diese auch adäquat vorführen können. Die meisten Musikschulen werden sich schwer tun, bereits die erste Voraussetzung zu erfüllen, nämlich den Verkaufsraum mit Schaufenster. Keine Sorge – Sie müssen jetzt nicht aufhören zu lesen. Später beschreibe ich auch alternative Wege. Wer hingegen über einen Verkaufsraum verfügt, kann sich der letzten Hürde auf dem Weg zum Musikgeschäft annehmen: der Erstbestellung.
Erstbestellung Viele Großhändler haben ein Interesse daran, dass aus ihrem Sortiment ein bestimmter Mindestbestand an Waren in Ihrem Geschäft vorhanden ist. Ein Großhändler für Gitarren beispielsweise erwartet, dass mindestens zwei oder drei Gitarren jeder Marke seines Verkaufsprogramms im Ausstellungsraum vorhanden sind. Somit wird die Erstbestellung gut und gerne 2 500 Euro pro Großhändler ausmachen – eine Größenordnung, die man sich angesichts der unzähligen Großhändler verdeutlichen sollte. Den Großhändler auszutricksen, indem man einmal für seine Freunde günstig einkauft, um danach nur noch gelegentlich für Schülerinnen und Schüler einzelne Instrumente zu bestellen, funktioniert übrigens nicht: Ein Musikgeschäft erhält regelmäßig (alle paar Wochen) Besuch von
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Großhändler für Instrumente und Zubehör
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GEWA Meinl Musik Meyer Yamaha Knauer EMD Music
einem Außendienstmitarbeiter, der zum einen über neue Produkte informiert, neue Techniken schult und Spezialwissen vermittelt, zum anderen aber auch kontrolliert, ob jederzeit genügend Vorführmodelle im Ausstellungsraum vorhanden sind und gegebenenfalls zu einer Nachbestellung drängt unter Androhung der Auflösung des Liefervertrags.
Die richtigen Großhändler finden In der Branche gibt es nicht viele große Großhändler, die meisten liefern bestimmte Marken exklusiv aus. Die Branchenführer, um die man nicht herumkommt, sind GEWA, Meinl, Musik Meyer, Yamaha, Knauer sowie EMD Music (siehe Kasten). Diese Großhändler sind wählerisch, wen sie beliefern, haben alle ein Netz an Außendienstmitarbeitern und bedienen zusammengerechnet etwa 80 Prozent des Markts. Die meisten kleineren Großhändler, die keine eigenen Außendienstler haben, verlangen in der Regel Nachweise, dass Sie bei den „Großen“ einkaufen, damit sie Sie beliefern. Wer von den größten Großhändlern beliefert wird, kann auch von den kleinen beliefert werden. Andersherum funktioniert es leider nicht. Die Strategie sollte also immer sein: Versuchen Sie zuerst, bei den Branchenführern gelistet zu werden und wenden Sie sich an die kleinen erst im Anschluss.
Und ohne Ladengeschäft? Viele Lehrkräfte und Musikschulen werden vermutlich gar nicht beabsichtigen, ein Ladenlokal anzumieten, sondern sie würden gerne für ihre Schülerinnen und Schüler ein geeignetes Instrument besorgen und dafür eine kleine Provision erhalten. Für
www.gewamusic.com www.meinldistribution.eu www.musik-meyer.de www.yamaha.de www.gknauer.de www.emdmusic.com
diesen Fall gibt es elegante Lösungen über sogenannte „Partner-Shops“. Angebote gibt es nicht viele, aber eines mit interessanten Konditionen stammt vom Musikhaus Müller in Daun – das ich stellvertretend nennen möchte. Bevor ich näher auf dieses Angebot eingehe, möchte ich kurz zusammenfassen, warum es in den meisten Fällen für Musiklehrkräfte oder eine Musikschule keinen Sinn macht, einen eigenen Laden zu eröffnen. Das aus betriebswirtschaftlicher Sicht schwerwiegendste Argument sind die extrem kleinen Margen, die beim Verkauf von Musikinstrumenten vorherrschen. Wer sich in Unkosten gestürzt hat und eine Auswahl der gängigsten Gitarren in seinem Laden anbietet, wird in der Regel Monate benötigen, um diese wieder abzuverkaufen. Um – sagen wir mal – 1 000 Euro Gewinn mit dem Verkauf von typischen EinsteigerGitarren im Verkaufspreis-Bereich von etwa 200 bis 250 Euro zu erwirtschaften, müssen Sie ca. 25 bis 30 Gitarren verkaufen, wobei Sie immer Gitarren im Gegenwert von besagten 1 000 Euro in Ihrem Laden hängen haben müssen. Selbst wenn Sie an Ihre Schülerinnen und Schüler im Monat etwa ein bis zwei Gitarren verkaufen, haben Sie frühestens nach zwei Jahren Ihre Investition von 1 000 Euro wieder drin. Während dieser Zeit ist Ihr Kapital allerdings an die Gitarren gebunden. Und was die meisten nicht bedenken: Sie haben mit Sicherheit genau die Gitarren für Ihre Ausstellung gekauft, die Ihre Kunden eben nicht wollen, und müssen die Modelle für Ihre Kunden gesondert bestellen. Die Gefahr, dass Sie einen Ladenhüter haben, ist leider groß. Praktischer ist da schon das „DurchreicheGeschäft“ mit Partner-Shops. Das erwähnte Musikhaus Müller bietet beispielsweise
03 74 23 / 778-0 0 91 61 / 788-0 0 64 21 / 989-0 0 41 01 / 303-0 07 11 / 5 78 87 50 03 61 / 6 54 88 30
Ihrer Musikschule Einkaufskonditionen, die durchaus interessant sind: Angenommen, Sie möchten für einen Schüler ein Instrument besorgen, so können Sie dies über einen speziell für Sie eingerichteten Zugang bestellen (Infos zum Partner-ShopSystem erhalten Sie unter dieser e-mailAdresse: hk@musikhaus-mueller.de). Das Instrument kommt in den nächsten Tagen zu Ihnen ins Haus und Sie verkaufen das Instrument weiter an Ihren Schüler. Die kleine Provision, die Sie dazurechnen sollten, ist in diesem Fall gerechtfertigt: Immerhin haben Sie sich als Vermittler des Geschäfts umfassend über das Instrument und seine Konkurrenz-Produkte informiert und den Schüler entsprechend beraten. Sollte einmal ein Garantiefall eintreten, funktioniert dies einfach rückwärts: Der Schüler reklamiert den Garantiefall bei Ihnen, Sie wiederum reklamieren beim Internet-Shop. ))
In der kommenden Ausgabe beleuchtet Michael Herrmann die rechtliche und die moralische Seite der Instrumentenbesorgung für Schüler, warnt vor Steuer-Fallen und gibt Tipps, wie Sie mit einem Reparaturservice Geld verdienen können.
Michael Herrmann besitzt eine Musikschule mit angeschlossenem Musikgeschäft in Pfaffenhofen. www.intakt-musikinstitut.de
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Pädagogik von der Stange
Jörg Sommerfeld
Unterrichtskonzepte in der Musikschuldidaktik In unterschiedlicher Weise formulieren Unterrichtskonzepte Lernziele und vor allem Lehrmethoden, definieren erwünschtes Lehrerhandeln und verstärken dieses durch Unterrichtsmaterial, Fortbildung und Austausch. Manche von ihnen erzeugen sogar eine Art Markenbewusstsein bei den anwendenden Lehrkräften.
)) Etablierte Konzepte sind vielen Lehrkräften zumindest dem Namen nach bekannt, etwa die von Shinichi Suzuki (musikalisches Imitationslernen, Analogie zum Spracherwerb), Zoltan Kodály (Chorgesang und Solmisation), Carl Orff (leicht spielbare Instrumente und „elementares“ Musizieren), Paul Rolland (Streicherklassen) oder von David Baker (Oktatoniken und Kontrapunktik für Jazz-Lines). Unterrichtskonzepte entwickeln eine eigenständige Unterrichtskultur und haben neben einer Anwendergemeinde manchmal auch entschiedene Gegner. In der Instrumentalpädagogik haben sie in der Regel nicht dieselbe didaktische Fundierung, wie das bei Konzepten der Schulpädagogik der Fall ist. Die dortige Fachdiskussion führt zu wesentlich differenzierteren Begründungen und einer Einordnung in die allgemeine Didaktik, zum Beispiel beim „Handlungsorientierten Unterricht“.1 Musikschulpädagogische Konzepte sind dagegen durch eine starke Methodenorientierung geprägt. Es sind meistens von Praktikern entwickelte Modelle zunächst des Unterrichtshandelns, die nach und nach zu stimmigen Gesamtkonzepten ausgebaut wurden.
Typische Merkmale von musikschulpädagogischen Unterrichtskonzepten sind ) ein oder mehrere klare Anwendungsfelder. Eine bestimmte Altersgruppe, ein bestimmtes Unterrichtssetting und ein bestimmtes organisatorisches Umfeld sind in der Regel Voraussetzung für ihre Anwendung. ) Unterrichtsmaterialien, die konkret für dieses Konzept entworfen wurden. Im günstigsten Fall gibt es sogar konkurrierende Autoren, sodass Lehrkräfte Wahlmöglichkeiten haben. ) ein Fortbildungssystem, das für die Verbreitung des Konzepts sorgt. ) eine Anhängerschaft: Viele Adepten eines bestimmten, für sie funktionierenden Konzepts bleiben diesem sehr lange unreflektiert treu, denn sie haben sich dessen Grundlagen mit hohem Aufwand aneignen müssen.2 Typische Unterscheidungsmerkmale zwischen Unterrichtskonzepten in der Musikschulpädagogik sind ) ihre Unterschiede in der Darstellung der didaktischen Grundlagen, etwa Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen. Das ist problematisch für die Anschlussfähigkeit an anderen Unterricht. Auch ein Vergleich mit anderen Konzepten fehlt oft. Dieser Umstand verhindert eine gegenseitige Befruchtung durch Konkurrenz. In der wissenschaftlichen Begleitung (fachdidaktisch, fachwissenschaftlich, allgemeindidaktisch, empirisch) gibt es ebenso große Unterschiede. ) die geografische Reichweite: Instrumentalpädagogische Unterrichtkonzepte gehören manchmal in ein bestimmtes Bil-
dungssystem oder passen nur in einer bestimmten kulturellen Umgebung. Andere kommen weltweit zum Einsatz, was durch den viel größeren fachlichen Austausch auch zu einer höheren Qualität führen kann. ) die Zahl der betroffenen Unterrichtsfächer: Da instrumentalpädagogische Unterrichtskonzepte in der Regel mehrere Instrumentalfächer einschließen, wie etwa alle Streichinstrumente bei Paul Rolland, befördern sie einen Austausch über die meist enge Sichtweise einzelner Fachdidaktiken hinweg. „Unterrichtskonzepte liefern eine griffige Orientierung unterrichtspraktischen Handelns“,3 und es gibt neben den Klassikern auch einige neuere Entwicklungen.
El Sistema Dass Instrumentalunterricht auch ganz anders aufgebaut werden kann als in deutschen Musikschulen, demonstriert das venezolanische Modell.4 Methodisches Grundprinzip ist hier das gemeinsame Lernen, die Kinder kommen täglich mehrere Stunden zum Üben und Proben in die „Nukleos“, die lokalen Musikschulen. Es gilt der Grundsatz „Passion first, refinement second“, alle Orchestermitglieder wirken direkt bei schwierigen Stücken mit, auch wenn sie ihr Instrument noch nicht vollständig beherrschen. Ein gemeinsames Repertoire von Orchesterstücken bildet die didaktische Leitlinie, und ein mehrstufiges System von Auswahlorchestern bietet Herausforderungen. Die PädagogInnen lernen genauso wie die Kinder
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vor Ort nach dem Prinzip „learning by doing“, begleitet durch die Leidenschaft („passion“) zu lehren. Das jedenfalls legen die Beschreibungen europäischer InstrumentalpädagogInnen nahe, die selbst vor Ort gearbeitet haben.
Bläser- und Streicherklassen Ein instrumentalpädagogisch5 geprägtes Klassenmuszieren gibt es als Wahlangebot in immer mehr allgemeinbildenden Schulen, man kann von einem regelrechten Boom sprechen.6 Die entsprechende Pädagogik hat ihren Ursprung in den USA, wo die Instrumentalausbildung Bestandteil des allgemeinbildenden Schulsystems ist. Eine gesamte Schulklasse probt statt Regelunterricht ein- oder mehrmals pro Woche als Klassenorchester. Meistens unterrichten mehrere Lehrkräfte, etwa ein Instrumentalpädagoge und eine Schulmusikerin gemeinsam alle Kinder, die auf unterschiedlichen Instrumenten einer Familie (Bläser, Streicher, andere seltener) spielen. Begleitet wird das häufig von instrumentalem Gruppenunterricht oder Registerproben in den einzelnen Instrumentalfächern.
Associated Board of the Royal Schools of Music Ähnlich wie das deutsche Musikschulsystem ist das angelsächsische „ABRSM“7 geprägt durch Einzelunterricht. Jedoch wird mit sehr viel konkreteren Lehrplänen gearbeitet, die in acht „Grades“ aufgeteilt sind. Um den nächsten Grade zu erreichen, müssen SchülerInnen einem externen, speziell geschulten Prüfer vorspielen und einen Theorietest bestehen. Auswahllisten definieren die Stücke der Prüfungen. Die Lehrpläne sind eine Fundgrube guter
und aufeinander abgestimmter Materialien, und neben den Ausgaben des ABRSMeigenen Verlags bieten auch viele andere Verlage auf das System abgestimmte Unterrichtswerke und Literatursammlungen an. Es gibt im ABRSM auch fünf JazzGrades und ein spezielles Grading für einen Anfängerunterricht in Gruppen.
Grundschulprogramme In Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Kooperation von Musikschulen und Grundschulen ausgeprägt entwickelt. Erste Ansätze für konkurrierende Unterrichtskonzepte sind erkennbar, deren didaktische Grundlagen allerdings nicht immer nachvollziehbar beschrieben sind. Das betrifft insbesondere das Ruhrgebiet: weder JeKi-Ruhr noch das Nachfolgeprogramm JeKits haben irgendeinen Lehrplan oder Kompetenzbeschreibungen veröffentlicht.8 Andere Programme legen sie deutlicher fest: JeKi-Hamburg (aufbauender Instrumentalunterricht in Kleingruppen, Lernzielbeschreibungen, große Jahreskonzerte), das Monheimer Modell MoMo (Musikalische Grundausbildung und Orchestermaterial publiziert, Kompetenzstufen im Instrumentalunterricht), JEKISS (Schulsingen mit Multiplikatorenprinzip, Gesangsfortbildung der Grundschullehrkräfte und Schulchor durch Fachlehrkraft, Repertoire als verbindendes Element), JeKiHessen (enge Verbindung mit der Schulmusik) und viele weitere Ansätze zeigen, dass Ziele, Inhalte und Methoden in diesem Feld durchaus unterschiedlich definiert werden. Unterrichtskonzepte sind in der Musikschulpädagogik sehr wirkmächtig. Die flächendeckende Einführung des Fachs Musikalische Früherziehung in den 1970er Jah-
ren als Reaktion des VdM auf die YamahaPädagogik oder der aktuelle Boom der Bläserklassen sind Beispiele dafür, dass ein gut gemachtes Unterrichtskonzept zu einem Selbstläufer werden und sich gegen andere durchsetzen kann. Auch ein Vergleich mit bestehenden Konzepten aus anderen Bildungsbereichen ist hochinteressant, wie etwa mit dem schon erwähnten „Handlungsorientierten Unterricht“ in der Schule. Denn das ist der große Vorteil einer Denkweise in Unterrichtskonzepten: Konkurrenz belebt das Geschäft! ))
1 siehe Werner Jank/Hilbert Meyer: Didaktische Modelle, Berlin 102011, S. 314. 2 Die Konzepte verstärken daher „subjektive Theorien“ von Lehrkräften, wie sie von der Unterrichtsforschung beschrieben werden (zum Beispiel in Andreas Helmke: Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität, Seelze/Velber 52014, S. 115). Sie verhindern somit auch Innovation, indem Lehrkräfte sich zu sehr auf einen einzelnen Ansatz beschränken. Neben den vielen Vorteilen ist dies einer der gravierendsten Nachteile solcher Konzepte. 3 Jank/Meyer, S. 305. 4 siehe http://fundamusical.org.ve 5 In der Schulmusik wird der Begriff „Klassenmusizieren“ auch für eine Arbeitsform des regulären Schulmusikunterrichts verwendet, daher hier der Zusatz; siehe Jörg Sommerfeld: Instrumentalunterricht in der Grundschule, Wiesbaden 2014, S. 28. 6 Deutschlandweit könnte es bereits mehr InstrumentalschülerInnen in Bläserklassen geben als in allen JeKi-Derivaten zusammen; siehe Jörg Sommerfeld: „Kompetenzstufenmodelle“, in: üben & musizieren 2/2016, S. 39. 7 siehe www.abrsm.org 8 Selbst das bisherige Unterrichtsmaterial hat kein Lehrerhandbuch, nicht einmal Partituren der gemeinsamen Stücke der Schülerausgaben.
Jörg Sommerfeld ist Instrumentalpädagoge, Jazzsaxofonist, Autor und stellvertretender Schulleiter der Musikschule Monheim am Rhein. www.saxlehrer.de
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musikschule )) DIREKT 5.2016
Assoziationen in der Vermittlung elementarer instrumentaler Fertigkeiten
Hexenfingernägel
„Als hättest du so ganz lange Hexenfingernägel – und dann stichst du immer irgendwo rein, so bäh bäh bäh.“ Haben Sie erkannt, was die Klavierlehrerin der Schülerin erklären möchte?
)) Die hier zugrundeliegende und videografierte Klavierunterrichtsstunde (Abb. 1) beschäftigt sich mit einer Einführung in die Staccato-Spielweise, eine der elementaren instrumentalen Fertigkeiten, deren Ausführung SchülerInnen nicht so ganz einfach zu vermitteln ist. „Der Punkt sagt dir, mach den Ton so kurz, dass du wirklich nur einen Punkt auf die Taste machst“, so „als wenn das alles ganz heiß wär. Dann fasst du an und ‚hoa!‘, ich hab mich verbrannt.“ Das sind Assoziationen, die die Lehrerin nutzt, um die neue technische Herausforderung und die damit erforderliche Spielbewegung zu verdeutlichen und verständlicher zu machen. Vielleicht kommen Ihnen diese Bilder aus Ihrem Unterricht bekannt vor!?
Sprache als Methode „Unterrichten ist ohne die Verwendung der Sprache nicht möglich.“1 „Die gekonnte Verwendung der Sprache ist Teil des pädagogischen Handwerks“,2 und so ist auch der Instrumentalunterricht „auf die Sprache als dem wahrscheinlich wichtigsten Kommunikationsmedium zwischen Menschen angewiesen“3 und als grundsätzliches „methodisches Hilfsmittel im Instrumentalunterricht“4 bzw. Vokalunterricht anzusehen. „Sprache ist das zentrale Unter-
Sebastian Herbst
richtsmedium“5 und ein wichtiger Bestandteil vieler Methoden wie der des Nachahmungslernens. „Vormachen und sprachliches Vermitteln bilden keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich.“6 Sprache selbst kann dabei zum Medium des Vormachens werden, wenn durch die Verwendung von Assoziationen Vorstellungen im Kopf der SchülerInnen initiiert werden oder musikalische Parameter, sprachlich betrachtet prosodische Merkmale, auf verbale Erläuterungen übertragen werden, die beispielhaft für das zu erlernende Element stehen. Der zweite Fall zeigt sich in dieser Unterrichtsstunde zum Beispiel durch eine sehr deutlich betonte und kurze Aussprache des Staccato-Begriffs mit gleichzeitiger Stechbewegung in Richtung Klaviatur: „Staccato! – Das klingt schon so. – Staccato!“ (Abb. 2)
nachvollziehen bzw. auf das Instrument übertragen können. Sicher bieten sich insbesondere Bilder an, die an die Erfahrungswelt der SchülerInnen anknüpfen,9 aber dennoch bleibt der Weg von der verbalen Erläuterung bis zur Übertragung auf das Instrument ein sehr komplexer Prozess. Dieser erfordert von Seiten der SchülerInnen ein intensives Voraushören und eine Vermutung über die dazugehörigen motorischen Bewegungsabläufe, die immer wieder mit dem produzierten Klangergebnis abzugleichen sind. Die gedankliche Vorstellung bilden SchülerInnen dabei aus der Synthese von verbalen Erläuterungen, vorgespielten oder vorgesungenen Passagen der Lehrkraft und der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen im Umgang mit ihrem Instrument.
Assoziatives Lehren
Elementare Interpretationsarbeit
Auch zur Vermittlung elementarer instrumentaler Fertigkeiten nutzen Lehrende Beschreibungsmöglichkeiten aus außermusikalischen Bereichen, die sie auf die Musik übertragen, da sie nicht ausschließlich auf ein konventionalisiertes Vokabular zur Beschreibung von Musik zurückgreifen können.7 Das zeigt sich sprachlich vor allem in präzisen Beschreibungen durch Mehrfachattribuierungen in einer sehr bildhaften assoziativen Sprache, über deren Bildhaftigkeit sich Lehrende durch häufigen Gebrauch oft nicht mehr bewusst sind.8 Es ist aber eben nicht vorauszusetzen, dass die SchülerInnen die gewählten Bilder
Ulrich Mahlert schreibt, dass musikalische Interpretation als „Auffassung und Wiedergabe ‚von‘ etwas ‚als‘ etwas“ beschrieben werden kann. „Im jeweiligen ‚als‘ liegt die Besonderheit einer Interpretation.“10 Mit dieser Definition lässt sich am eingangs erwähnten Beispiel ableiten, dass schon im Anfangsunterricht in gewisser Weise interpretatorisch mit Vortragsbezeichnungen und Spielanweisungen umgegangen wir. Der im Beispiel genannten Lehrerin reicht es eben nicht aus, dass die Schülerin die Töne voneinander trennt (ital. staccare = trennen). Infolgedessen versucht sie, der Schülerin mit vielen weiteren kreativen
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Abb. 1: „… als hättest du Hexenfingernägel“
Ideen und Erläuterungen ihre Klangvorstellung des Staccato-Spiels zu vermitteln, wobei auch hier „als etwas“-Formulierungen genutzt werden. Daraus lassen sich zwei grundlegende Annahmen formulieren: 1. Der Bewegungsablauf zur Hervorbringung einer Artikulationsweise am Instrument ist höchstgradig komplex, sodass durch einen Vergleich mit ähnlichen Bewegungen aus der Erfahrungswelt der SchülerInnen versucht wird, die Bewegung nachvollziehbarer und natürlicher zu machen. 2. Auch elementare instrumentale Fertigkeiten und damit verbunden neue motorische Herausforderungen lassen sich nicht unabhängig von der Wirkung, die sie auf die Musik haben, vermitteln, sodass verbale Erläuterungen auf assoziative Mittel zur Klangbeschreibung angewiesen sind.
Abb. 2: „Staccato! – Das klingt schon so. – Staccato!“
nen gegebenenfalls ein entsprechendes Bild hinzugefügt ist. Der Vergleich mit Instrumentalschulen anderer Instrumente weist große Unterschiede in der Beschreibung der StaccatoSpielweise auf. Lehrende für Blasinstrumente rufen z. B. die Aussprache verschiedener Laute wie „ta, tat, dat, töt, döt“ vor der Produktion eines Staccato-Tons in die Erinnerung der SchülerInnen, wohingegen Gerhard Mantel den Vorschlag macht, die Bewegung des Staccato-Spiels auf der Violine mit dem Drehen eines Schraubenschlüssels oder Schlüssels zu vergleichen.11 Allen gemeinsam ist die grundlegende Definition der Trennung einer Note von der vorherigen und nachfolgenden Note. Bedingt durch die unterschiedlichen Artikulationsorte und -organe zur Tonerzeugung am jeweiligen Instrument werden dazu aber notwendigerweise ganz unterschied-
Assoziationen und Tonerzeugung Eine Analyse verschiedener Klavierschulen zeigt sehr deutlich die große Varianz an Möglichkeiten zur Beschreibung einer einzelnen Artikulationsart. Zur Beschreibung der Staccato-Spielweise finden sich Vergleiche zum „Reiten, Hüpfen, Springen, Tanzen“ und natürlich auch zum beliebten Bild der „heißen Herdplatte“. Nicht zuletzt sind Vergleiche zu anderen Instrumenten – beispielsweise „das Zupfen einer Laute“ oder „das Streifen von Banjosaiten“ – zu finden, und zwar sowohl in den Begriffserläuterungen als auch in den Titeln der ausgewählten Beispielstücke, de-
liche Assoziationen aus der Erfahrungswelt der SchülerInnen genutzt.
Besonderheiten in inklusiven Settings Assoziationen zur Vermittlung elementarer instrumentaler Fertigkeiten gehören zum Alltag von Instrumentallehrenden, die diese häufig aus Gewohnheit in ihrem Unterricht verwenden, ohne sie in der jeweiligen Situation noch einmal zu reflektieren. Der Bezug zur Musik ist für sie dabei eindeutig. Es kann aber nicht vorausgesetzt werden, dass er für SchülerInnen ebenso eindeutig ist. Gerade im inklusiven Instrumentalunterricht, aber auch im Instrumentalunterricht ohne inklusives Setting, können bereits viel grundlegendere Begriffe Schwierigkeiten mit sich bringen. Ganz selbstverständlich spricht die Lehrkrafte z. B. von
r öhe oben h/h hoc
hell
fer / tie tief
el dunk
links
Abb. 3: Tonhöhe
unten rechts
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zu kurz
gleich lang
viel länger
einen Hauch länger / ein bisschen länger
lang
nicht übermäßig lang / nicht zu lang / nicht so lang
kurz
noch kürzer
sehr kurz / ganz kurz
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zu lang
Abb. 4: Tonlänge
höheren und tieferen Tönen, setzt oben und unten bzw. hohe und tiefe Töne in Verbindung mit rechts und links der Klaviatur und beschreibt die Klangfarbe synästhetisch als hell bzw. dunkel (Abb. 3). Eine Sammlung von Begriffen zu Tonlängen aus videografierten Unterrichtsstunden (weitere Begriffe wären denkbar) weist eine ähnlich starke Problematik auf. Tonlängen werden nicht nur als „kurz“ oder „lang“, sondern in Relation zueinander z. B. als „zu kurz, sehr kurz, nicht übermäßig lang“ oder „viel länger“ beschrieben und den SchülerInnen auf dieser Weise als Verbesserungsvorschläge genannt: „Das fis war zu kurz. Du musst das fis viel länger halten.“ (Abb. 4)
Sprachreflexion als Bedingung Eine Anforderung an den (inklusiven) Instrumentalunterricht bzw. Instrumentallehrenden muss daher die permanente Reflexion der eigenen Sprache sein, vor allem dann, wenn SchülerInnen Verbesserungsvorschläge nicht so umsetzen, wie es gewünscht ist. Die eigentliche Fehlerquelle kann bereits im Missverstehen der verbalen Erläuterungen des Lehrers liegen. Assoziationen weisen dabei aufgrund ihrer Komplexität ein sehr großes Fehlerpoten-
musikschule )) DIREKT erscheint
alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
zial auf. Aber auch Begriffspaare wie „kurz/ lang“ oder „hell/dunkel“ müssen den SchülerInnen zunächst musikalisch erfahrbar gemacht werden, bevor mit diesen Begriffen gearbeitet werden kann. Laut Lehrplan ist „durch bildhafte Vergleiche für anregende musikalische Zielvorstellungen zu sorgen, an denen sich die SchülerInnen mit ihrem Spiel orientieren können“.12 Aber die Verwendung bildhafter Vergleiche kann nur dann hilfreich sein, wenn diese reflektiert eingesetzt werden und sich in der Erfahrungswelt der SchülerInnen befinden bzw. dort hineingebracht werden. Setzen Ihre SchülerInnen die verbalen Erläuterungen nicht in Ihrem Sinne um, so könnte es aber auch sein, dass diese nicht oder nicht hinreichend auf das gewünschte Klangergebnis abzielen. Reflektieren Sie daher gerade in solchen Fällen Ihre Erläuterungen und versuchen Sie, diese treffender hinsichtlich des gewünschten Klangergebnisses zu formulieren. )) 1 Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht. Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis, Mainz 1999, S. 75. 2 ebd., S. 152. 3 Ursula Brandstätter: Musik im Spiegel der Sprache. Theorie und Analyse des Sprechens über Musik, Stuttgart 1990, S. 9.
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Marc Mönig: „Musik als sinn-voll erfahren. Sprache als methodisches Hilfsmittel im Instrumentalunterricht“, in: üben & musizieren 5/2009, S. 18. 5 Anja Bossen: „,Spielst du wieder die B-Leitung?‘ Angemessene Sprache im Musikschulunterricht bedarf der besonderen Aufmerksamkeit der Lehrkräfte“, in: musikschule )) DIREKT 6/2015, S. 6. 6 Ulrich Mahlert: „Nachahmungslernen im Instrumentalunterricht. Möglichkeiten und Probleme“, in: Hans Günther Bastian: Musik be-greifen. Künstlerische Ausbildung und Identitätsfindung, Mainz 1999, S. 70. 7 vgl. Hartmut Stöckl: „An den Grenzen des Sagbaren. Schreiben über Musik – Sprachliche Ressourcen der Klangbeschreibung“, in: Kodikas, Code Ars Semeiotica, Tübingen 2012, S. 145-165. 8 vgl. Ursula Brandstätter: Grundfragen der Ästhetik. Bild – Musik – Sprache – Körper, Köln 2008, S. 175 f. 9 vgl. Beate Mitzscherlich: Musikpsychologie im Instrumentalunterricht – eine Einführung, Leipzig 2008, S. 87-90. 10 Ulrich Mahlert: „,Ehrsucht‘ und ,mässige Lustigkeit‘. Johann Sebastian Bachs Sarabande a-Moll für Flöte solo“, in: üben & musizieren 3/2015, S. 27. 11 vgl. Gerhard Mantel: „,Als ob‘. Vergleiche, Analogien und Assoziationen in der Übepraxis“, in: üben & musizieren 5/1998, S. 6-11. 12 Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Lehrplan Klavier, Kassel 22010, S. 9.
Sebastian Herbst ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Musik und ihre Didaktik der Universität Paderborn und Klavierlehrer an der Musikschule Dortmund.
Redaktion: Anja Bossen und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Jürgen Simon und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler