1.2019 Inhalt Musizieren – grundrechtlich geschützt Immer dann, wenn es ums Musizieren und Unterrichten in den eigenen vier Wänden geht, kann es zu Schwierigkeiten und Streitigkeiten mit Nachbarinnen und Nachbarn kommen. Aber welche BerufsmusikerInnen oder Lehrkräfte können schon bei den geringen Konzert- und Unterrichtshonoraren externe schallisolierte Übe- und Unterrichtsräume anmieten? Was bliebe dann vom Honorar noch übrig? Streitigkeiten dieser Art beschäftigten am 26. Oktober 2018 auch den Bundesgerichtshof. Die BewohnerInnen eines Reihenhauses wollten erreichen, dass das Trompetenspiel und Unterrichten ihres Nachbarn nicht mehr im eigenen Haus zu hören ist. Das Urteil stellte klar, dass in Abhängigkeit von der „Lästigkeit der Geräusche“, die beispielsweise durch „Tonleitern, abrupte Pausen, Wiederholungen und Fehler“ entstehen und die das Üben und Unterrichten nun einmal mit sich bringt, auch dieser Trompeter selbstverständlich weiterhin in seinen heimischen vier Wänden unterrichten und musizieren darf. Allerdings werden dem Berufsmusiker dabei nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als Hobbymusikern eingeräumt. Es liegt also auf der Hand, dass der zeitliche Umfang sicher nicht genügen kann, um mit einer Unterrichtstätigkeit ausreichend Geld zu verdienen. Interessant ist aber die Urteilsbegründung. So heißt es: „Das häusliche Musizieren – einschließlich des dazugehörigen Übens – gehört zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung.“ Es „ist gerade deshalb in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden kann und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude sein kann; es gehört – wie viele andere übliche Freizeitbeschäftigungen – zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit“. Diese Urteilsbegründung bestätigt noch einmal den Wert unserer täglichen Arbeit, in der wir unsere SchülerInnen bei ihrer grundrechtlich geschützten freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit begleiten und unterstützen. Und das sollte auch als Leitgedanke für das heimische Üben unserer SchülerInnen gelten, von dem sich Familienangehörige und MitbewohnerInnen durchaus wegen „lästiger Geräusche“ gestört fühlen können. Austausch, Verständnis und Kompromisse auf beiden Seiten sind aber sicher ebenso gefragt – dann klappt’s auch mit dem Nachbar! Sebastian Herbst
2 Professionelle Kooperation Musik und Soziale Arbeit an Musikschulen
5 Zu Gast bei Freunden Wie Sie aus katastrophalen äußeren Bedingungen das Beste herausholen
6 E-Learning in Musikschulen Zwischen persönlichem Kontakt und anonymen Online-Kursen
10 Einzelunternehmung oder gGmbH? In welchen Fällen lohnt es sich, eine Musikschule als gGmbH zu führen? (Teil 1)
Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de
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Potenziale professioneller Kooperation Marion Gerards und Elke Josties
Musik und Soziale Arbeit: Musikschulen sollten sich stärker in den Bereich der nonformalen musikalischen Bildung einbringen Der Stellenwert von Musik in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit ist hoch: Die offene Jugendarbeit ist ohne Angebote der Musikförderung kaum denkbar, in Einrichtungen der Altenhilfe gibt es Singkreise, in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen spielt Musik eine große Rolle und zahlreiche Musikprojekte mit geflüchteten Menschen sind ins Leben gerufen worden – die Aufzählung ließe sich sicherlich noch ergänzen.
)) Viele dieser Angebote werden von SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen, aber auch von Musik- und InstrumentalpädagogInnen oder MusikerInnen durchgeführt, zuweilen auch in Kooperation. Dies ist umso erfreulicher, da die besonderen Herausforderungen von musikalischer Praxis in sozialen Handlungsfeldern nur durch interdisziplinäre Perspektiven und durch eine von gegenseitigem Verständnis geprägte Kooperation der verschiedenen Professionen gemeistert werden können. Aber zuweilen herrscht Unklarheit darüber, warum und wie Musik überhaupt in der Sozialen Arbeit verankert ist. Im Folgenden soll daher der Ansatz von Sozialer Arbeit mit Musik erläutert und von dem der Musikpädagogik abgegrenzt werden, um anschließend die Bedeutung professioneller Kooperationen darzulegen. Schließlich sollen Schnittmengen von Themenfeldern auch im Bereich der Forschung aufgezeigt werden: Denn nur wenn wir voneinander wissen, können wir von- und miteinander lernen, um verantwortungsvoll eine vielfältige Musikpraxis zu fördern.
Soziale Arbeit mit Musik Die International Federation of Social Workers hat 2014 Soziale Arbeit folgendermaßen definiert: „Soziale Arbeit fördert als
praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit.“1 Versteht man auf der Basis dieser Definition Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession,2 dann geraten auch Kunst und Kultur als Handlungsfelder in den Fokus, denn es heißt in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat das Recht auf Bildung“, und in Artikel 27: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“ Des Weiteren ist in § 11 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes festgehalten, dass auch Kulturelle Bildung zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehört, und die UN-Behindertenrechtskonvention hat das Recht auf kulturelle Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen verankert. Ausgehend von dieser Rechtslage ist Soziale Arbeit immer dann gefordert, wenn bestimmten Personengruppen das Recht auf (musikalische) Bildung und kulturelle Teilhabe verwehrt oder erschwert wird. Es geht im Sinne des kulturellen Mandats der Sozialen Arbeit3 um kulturelle Teilhabe und Teilgabe,4 um Partizipationschancen und erweiterte Aneignungsmöglichkeiten von kulturellen Angeboten sowie um eine kompetent unterstützte künstlerische Eigenproduktivität bisher benachteiligter Personengruppen. Soziale Arbeit wird so zu einer Akteurin im weiten Feld der Kulturellen Bildung.
Bezogen auf die Musik bedeutet dies, dass der Ansatz der Sozialen Arbeit mit Musik ein ganzheitlicher ist, der die Person mit ihren Rechten und in ihren Benachteiligungserfahrungen in den Mittelpunkt stellt und die Vielfalt der verschiedenen musikalischen Ausdrucksformen aller Genres, Gattungen und Szenen anerkennt: Auf der Basis von Theorien und Konzepten, die der Sozialen Arbeit zugrunde liegen (z. B. Lebensweltorientierung, Empowerment, Capability Approach), und unter Bezugnahme auf musikpädagogische und gegebenenfalls auch musiktherapeutische Konzepte und Methoden fokussiert eine soziale Musikarbeit den Menschen und nicht primär eine musikalische Ausbildung. In dieser anthropologischen Grundausrichtung will Soziale Arbeit mit Musik den rezipierenden und produzierenden Zugang zur Musik auch benachteiligten Personengruppen ermöglichen und Menschen durch musikbezogene Praxis in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und bei der Bewältigung biopsychosozialer Problemlagen unterstützen. Demgegenüber geht es in musikpädagogischen Kontexten vorrangig um die Vermittlung musikalischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, wobei soziale und subjektbezogene Aspekte zweifellos auch im musikpädagogischen Handeln berücksichtigt werden. Ein so verstandenes soziales Mandat der Musikpädagogik weist durchaus Schnittstellen zum kulturellen Mandat der Sozialen Arbeit auf.
„Wo bleibt denn da die Musik?!“ Soziale Musikarbeit sieht sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, wo denn da die Musik bleibe und ob die in ihren Zusammenhängen produzierte Musik überhaupt ästhetischen Ansprüchen genüge. Dieser Skepsis begegnet man in der Sozialen Arbeit mit
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einem weiten Musikbegriff und Musikalitätsverständnis, die „jede Gestalt klanglicher Ereignisse, die für die Adressatinnen und Adressaten ästhetisch und biografisch bedeutsam ist“,5 anerkennen und wertschätzen. Wenn beispielsweise alte Menschen in einem Chor-Projekt zusammen singen oder Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen in einer Band zusammen spielen, so ist der klangliche Ausdruck sicherlich ein anderer als der eines Opernchors oder einer Mainstream-Band. Aber ist dieser andere Klang deswegen weniger bedeutsam oder ästhetisch weniger wertvoll, nur weil er vielleicht („hoch“-)kulturell postulierten Normen, Qualitätsmaßstäben und (Hör-) Gewohnheiten nicht entspricht? Wenn Menschen sich musikalisch ausdrücken und davon berührt werden, dann kann von einer grundlegenden Musikalität gesprochen werden, die nicht auf virtuose Fähigkeiten beim Singen oder am Instrument oder auf musiktheoretische Kenntnisse zu reduzieren ist. Und in der Regel wird auch das Publikum von dieser „anderen“ Musik ästhetisch angesprochen, was beispielsweise am Erfolg von Young@Heart6 oder Station 177 zu erkennen ist. Und selbstverständlich werden in Musikprojekten immer auch musikalische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt und das Wissen über Musik erweitert.
Potenziale professioneller Kooperation Die Musikpädagogik im Allgemeinen und Musikschulen im Speziellen sehen sich aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber, wenn sie beispielsweise der kulturellen Vielfalt, dem Inklusionsgedanken oder dem demografischen Wandel gerecht werden wollen. Will man aber mit
Menschen musizieren, die aufgrund von Alter oder Behinderung individuell eingeschränkt sind oder die traumatische Fluchterfahrungen machen mussten, dann sollte man neben den musikpädagogischen Fähigkeiten auch über ausreichende Kenntnisse in sozialer Gruppenarbeit und gruppendynamischen Prozessen, über Behinderungsformen oder über den Umgang mit traumatisierten Menschen und gegebenenfalls auch über Techniken der Krisenintervention verfügen. Außerdem sind Kompetenzen und eine reflektierte Haltung im Umgang mit kulturellen Differenzen von Belang, um in der musikalischen Praxis Alltagsrassismen, Stereotypisierungen oder Kulturalisierungen zu vermeiden. Kompetenzen in Bezug auf eine gendersensible musikalische Praxis und inklusive Pädagogik tragen zu einer adressaten- und lebensweltorientierten Grundhaltung bei. Da dies alles in Personalunion kaum von einer musikpädagogischen Fachkraft zu bewältigen ist und SozialarbeiterInnen zwar die oben genannten Kompetenzen, aber nur in den seltensten Fällen auch umfassende musikpädagogische Kompetenzen besitzen, empfiehlt sich in Musikprojekten, die in sozialen Handlungsfeldern angesiedelt sind, eine professionelle Kooperation in einem interdisziplinären Team. Die MusikpädagogInnen sind in diesen Teams die Fachleute für die musikalischen Prozesse, während SozialarbeiterInnen die Profis für die sozialen, gruppendynamischen Prozesse und für die adäquate Begleitung der AdressatInnen aus einer an den Menschenrechten und den Lebenswelten orientierten Perspektive sind. Doch leider bringen sich Musikschulen eher selten in offene, community-orientierte Settings der musikalischen Bildung ein, beispielsweise in der offenen Jugendarbeit, in Nachbarschaftszentren oder Altentages-
stätten. Trotz vielfältiger Kooperationen mit Kindertagesstätten und Schulen bedarf es vermehrt der Kooperationen im Bereich der nonformalen musikalischen Bildung. Neben der Behebung struktureller Schwierigkeiten müssten InstrumentalpädagogInnen an den Musikhochschulen stärker mit Methoden der Gruppenarbeit – auch mit heterogen zusammengesetzten Gruppen – vertraut werden, wie sie bereits in sogenannten Community Music-Projekten verbreitet sind. Interdisziplinäre Weiterbildungen könnten zum Erreichen des Ziels vielfältiger musikalischer Bildungslandschaften förderlich sein.8 Bereits auf der Ebene professioneller Ausbildung bieten sich hochschulische Kooperationsprojekte, inter- und transdisziplinäre Hochschulseminare und die interdisziplinäre Betreuung von Abschlussarbeiten im Bereich der musikkulturellen Bildung an. Hier scheitern Kooperationen auf Augenhöhe, solange der Sozialarbeitswissenschaft nur eingeschränktes Promotionsrecht gewährt wird. Die deutsche Hochschullandschaft hinkt im internationalen Vergleich (vor allem mit anglo-amerikanischen Ländern) hinterher, wenn es um die Förderung von inter- und transdisziplinären Ansätzen geht – dies gilt auch für die bisher zu wenig systematisch genutzten Potenziale der Kooperation von Musikpädagogik und Sozialer Arbeit.
Praxisentwicklung und Forschung Aus einer interdisziplinären Zusammenarbeit ergeben sich gemeinsame Themen für die Praxisentwicklung und Forschung. So muss überlegt werden, wie musikkulturelle Bildungslandschaften zu entwickeln sind, damit das Recht auf musikkulturelle Teilhabe auch tatsächlich umgesetzt wer-
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Zum Weiterlesen Marion Gerards, Martin Loeser und Katrin Losleben (Hg.): Musik und Männlichkeiten in Deutschland seit 1950. Erscheinungsformen, musikund sozialpädagogische Perspektiven, Allitera, München 2013 Marion Gerards und Claudia Meyer: „In 80 Liedern um die Welt? Anforderungen an eine kultursensible musikalische Bildung in Kindertagesstätten“, in: Katharina Bradler (Hg.): Vielfalt im Musizierunterricht. Theoretische Zugänge und praktische Anregungen, Schott, Mainz 2016, S. 63-75 Thomas Grosse, Lisa Niederreiter und Helene Skladny (Hg.): Inklusion und Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit, Beltz Juventa, Weinheim 2015 Theo Hartogh und Hans Hermann Wickel (Hg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit, Beltz Juventa, Weinheim 2004 (komplett überarbeitete Neuauflage erscheint 2019) Burkhard Hill und Elke Josties (Hg.): Jugend, Musik und Soziale Arbeit. Anregungen für die sozialpädagogische Praxis, Beltz Juventa, Weinheim 2007 Burkhard Hill und Alicia Banffy-Hall (Hg.): Community music. Beiträge zur Theorie und Praxis aus internationaler und deutscher Perspektive, Waxmann, Münster 2017 Elke Josties: Szeneorientierte Jugendkulturarbeit. Unkonventionelle Wege der Qualifizierung Jugendlicher und junger Erwachsener. Ergebnisse einer empirischen Studie, Schibri, Berlin 2008 Elke Josties: „Transnationale Perspektiven Kultureller Bildungsforschung“, in: Sebastian Konietzko u. a. (Hg.): Von Mythen zu Erkenntnissen? Empirische Forschung in der Kulturellen Bildung, kopaed, München 2017, S. 219-236 Elke Josties und Stefanie Menrath (Hg.): Kulturelle Jugendbildung in „Offenen Settings“. Theorie, Praxis und Weiterbildung, kopaed, München 2018 Hans-Hermann Wickel: Musik in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, utb/Waxmann, Münster 2018
Wie funktioniert das Singen in einem von Vielfalt geprägten inklusiven Chor, was ist didaktisch zu beachten und wie gelingt das soziale Miteinander? den kann. Wie kann das Recht auf musikalische Bildung und auf musikalische Eigenproduktivität auch für benachteiligte Personengruppen gefördert werden? Wie funktioniert das Singen in einem von Vielfalt geprägten inklusiven Chor, was ist didaktisch zu beachten und wie gelingt das soziale Miteinander? Wie können Menschen durch musikalische Praxis im Sinne des Empowerment-Ansatzes sich nicht nur musikalisch bilden und (re-)präsentieren, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung oder bei der Bewältigung sozialer Problemlagen unterstützt werden? Wie sieht eine geschlechter- und diversitätssensible Musikarbeit in Kindertagesstätten aus und wie gelingen Musikprojekte in der Migrationssozialarbeit, die reflektiert mit potenziellen Stereotypisierungen oder Alltagsrassismen umgehen? Wie sind Musikprojekte zu konzipieren, wenn sie den Anforderungen von Transkulturalität und Internationalität entsprechen wollen? Diese Themenfelder, Fragen und Herausforderungen können in ihrer Komplexität unserer Ansicht nach nur in interdisziplinären Praxisentwicklungs- und Forschungsprojekten kooperativ bearbeitet werden. Forschungsprojekte zur Sozialen Arbeit mit Musik beschäftigen sich beispielsweise mit der eigenen professionellen Profilbildung, es geht um Qualitätsentwicklung und Evaluation von Praxisfeldern und um die Weiterentwicklung der Praxis. Die Vermittlungspraxis in populären Musikszenen sowie die Biografieforschung zu informellen und nonformalen musikalischen Bildungsprozessen oder auch die musikalische Praxis in Kindertagesstätten sowie eine rassismuskritische und diversitätssensible Analyse Kultureller Bildung sind Forschungsprojekte, die seitens der Autorinnen zurzeit betrieben werden – und dies auch in interdisziplinären Teams mit Musikpäda-
gogInnen. Hier liegen Potenziale professioneller Kooperationen, um gemeinsam die aktuellen Herausforderungen musikalischer Praxis bearbeiten zu können. ((
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deutsche Übersetzung, www.dbsh.de/profession/ definition-der-sozialen-arbeit/deutsche-fassung. html (Stand: 4.11.2018). 2 vgl. Silvia Staub-Bernasconi: „Das fachliche Selbstverständnis Sozialer Arbeit – Wege aus der Bescheidenheit. Soziale Arbeit als Human Rights Profession“, in: Wolf Rainer Wendt (Hg.): Soziale Arbeit im Wandel ihres Selbstverständnisses. Beruf und Identität, Freiburg 1995, S. 5-104. 3 vgl. Rainer Treptow: „Kulturpädagogik und Kulturarbeit. Grundlagen, Praxisfelder, Ausbildung“, in: Sebastian Müller-Rolli (Hg.): Kulturpädagogik und Kulturarbeit. Grundlagen, Praxisfelder, Ausbildung, Weinheim 1988, S. 81-104. 4 vgl. hierzu ausführlicher Marion Gerards: „Kulturelle Teilhabe und Teilgabe als Herausforderungen und Potentiale Sozialer Kulturarbeit in der Migrationsgesellschaft“, in: Martin SpetsmannKunkel (Hg.): Kultur interdisziplinär – eine Kategorie in der Diskussion, Leverkusen 2019. 5 Thomas Grosse/Hans Hermann Wickel: „Musik in sozialen Arbeitsfeldern“, in: Michael Dartsch u. a. (Hg.): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse, Münster 2018, S. 142-151, hier: S. 143. 6 Young@Heart ist ein US-amerikanischer Laienchor mit SängerInnen im Alter zwischen 70 und 100 Jahren. www.youngatheartchorus.com 7 In der Hamburger Band Station 17 spielen BewohnerInnen der Wohngruppe 17 der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gemeinsam mit professionellen MusikerInnen. www.17rec.de/artists.htm 8 vgl. Elke Josties/Stefanie Menrath (Hg.): Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings. Praxis, Theorie und Weiterbildung, München 2018.
Dr. Marion Gerards ist Professorin für Ästhetik und Kommunikation in der Sozialen Arbeit, Schwerpunkt Musik, an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Aachen.
Dr. Elke Josties ist Professorin für Soziale Kulturarbeit mit Schwerpunkt Musik an der Alice Salomon Hochschule Berlin.
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Zu Gast bei Freunden
Rüdiger Behschnitt
Überlebenstipps für den Unterrichtsalltag: Wie Sie aus katastrophalen äußeren Bedingungen das Beste herausholen
„Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur unpassende Kleidung“ – wie in jedem Sprichwort und jeder Redewendung liegt auch in diesem Spruch eine Lebensweisheit: Es kommt auf die innere Einstellung an.
)) Vorab: Die beiden hier wiedergegebenen Fotos sind nicht gestellt und kein Fake, sondern Abbild des Unterrichtsraums, wie er des Öfteren von einem unserer Autoren an einer allgemeinbildenden Schule vorgefunden wird. Dort soll – eigentlich – Instrumentalunterricht stattfinden. Doch mit Jammern ist jetzt Schluss! Ganz im Sinne der Impact-Pädagogik nehmen wir die Impulse auf, die höhere Mächte uns in den Unterrichtsraum gestellt haben, und integrieren sie positiv in das Unterrichtsgeschehen.
oder Zerreißen besser oder schlechter. Als Inspiration mag eine Aufführung von Riedls Paper Music 2 am Copenhagen International Theater 1996 dienen, die auf YouTube dokumentiert ist.1 Gut zu sehen, dass auch die Klorollen, nachdem sämtliches Papier abgewickelt und im Raum verteilt wurde, als „Sprachrohr“ verwendet werden können. Bevor Pappkartons – wie im rechten Bild – geworfen werden, sollte man sich über deren Inhalt im Klaren sein. Ob man nach der Ausführung der Komposition den Raum wieder in den Ausgangszustand versetzt oder als Rauminstallation stehen lässt, ist eine rein künstlerische Entscheidung. Im Übrigen gilt wie bei jeder Interpretation eines musikalischen Werks, dass auch dieses – nur scheinbar leichte – Stück zeitgenössischer Musik einer großen Ernsthaftigkeit in der Umsetzung bedarf, um ein angemessenes künstlerisches Ergebnis zu gewährleisten!
Tipp 1: Paper Music Josef Anton Riedls Paper Music lässt sich mit den vorgefundenen Objekten – Klopapier, Papierhandtücher und Packpapier – zumindest ansatzweise umsetzen. Je nach Beschaffenheit des Klopapiers – vermutlich eher hartes Umweltschutzpapier, wie es in Schulen im Allgemeinen verwendet wird – ist der Geräuschfaktor beim Zerknüllen
Tipp 2: Musik mit Schlagwerk Während Josef Anton Riedls Paper Music auch mit AnfängerInnen bereits angegangen werden kann, erfordert der Einbezug eines „Kochtopf-Xylofons“, wie es z. B. Norbert Sell auf YouTube virtuos präsentiert,2 deutlich fortgeschrittenere SchülerInnen. Sollten eines Tages auch (Saft- oder Wein-)
Gläser im Angebot sein – auf den vorliegenden Fotos noch nicht zu erkennen –, ist auch an die Verwendung einer Glasharfe zu denken. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Das Stichwort „Stomp“ führt uns zu einer weiteren Idee, die sich besonders für die Kleingruppe eignet. Mit Bodypercussion, Plastikbechern und eventuell weiteren Putzutensilien (Handfeger, Fensterabzieher etc.) können rhythmisch hochkomplexe Werke einstudiert werden, die bei entsprechender Exaktheit in der Ausführung zu hörenswerten Ergebnissen führen, wie eine Gruppe von SchülerInnen auf YouTube zeigt.3
Tipp 3: Öffentliche Aufführung Das Wichtigste zum Schluss: Nach erfolgreicher Einstudierung laden Sie die Lehrkräfte und vor allem die Schulleitung zum Werkstattkonzert. Präsentieren Sie Ihre Ergebnisse in der Arbeitsatmosphäre, in der sie entstanden sind. Wenn Sie auch die Eltern mit einbeziehen wollen, erläutern Sie beim nächsten Schulkonzert, wie die Stücke entstanden sind und wie Sie sich dabei gefühlt haben: zu Gast bei Freunden … (( 1
www.youtube.com/watch?v=yAUwnymL9p8 www.youtube.com/watch?v=f1nLsnCaHDI 3 www.youtube.com/watch?v=WaCqZMySvX8 2
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Zwischen Freiräumen, persönlichem Kontakt, anonymen Online-Kursen und inhaltlicher Vorbestimmtheit
E-Learning in Musikschulen (Musik-)Lernen wann und wo man will – mit einem digitalen Endgerät als Gegenüber. Dies sind – kurz gesagt – die Eigenschaften von E-Learning. Die Möglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Was bedeutet dies für die Musikschule? Und welche neuen Anbieter und Angebote verändern den Markt des außerschulischen Musikunterrichts?
)) Wie klang noch mal die Arie aus der Oper vergangene Woche? Wer schrieb das bekannte Stück für drei Streicher und vier Bläser? Der Griff zum Smartphone, Tablet oder Laptop gehört heute zum Alltag vieler Menschen, wenn es um das Recherchieren unterschiedlichster Wissensbestände geht. Aber ist das schon E-Learning? Und geht es beim E-Learning immer nur um Wissen? E-Learning dient oft als Sammelbegriff für jede Form des Lernens, bei der elektronische bzw. digitale Technologien zum Einsatz kommen. Entsprechend wäre bereits der Einsatz eines digitalen Metronoms oder Stimmgeräts im Instrumentalunterricht eine Form von E-Learning, obwohl der Unterschied zu einem mechanischen Metronom für den Schüler oder die Schülerin wie für die Lehrperson in diesem Moment völlig unerheblich ist. Im Sinne von „Electronic Learning“ erscheint es sinnvoller, E-Learning als eine Lernform zu beschreiben, bei der sich die Interaktion des Lernenden vorrangig auf ein elektronisches oder digitales Artefakt (Text, Bild, Video, Klangereignis, digitales Instrument etc.) konzentriert. E-Learning wird damit synonym zu Begriffen wie Computerbasiertes Lernen, Distance-Learning oder Digitales Lernen verwendet.
Philipp Ahner
Dynamiken der Digitalisierung Wirklich neu ist E-Learning nicht. Fernsehsendungen wie das Telekolleg, Sprachlernmöglichkeiten über Kassetten oder Lernsoftware auf Atari-Rechnern dokumentieren frühe Formen von E-Learning in den vergangenen Jahrzehnten. Seitdem hat sich viel verändert und die früher als Randerscheinung wirkenden Initiativen haben sich in globale Phänomene gewandelt. Ullrich Dittler spricht in dem von ihm herausgegebenen Band E-Learning 4.0 von drei vorausgegangenen Wellen elektronischer Lehr- und Lernformen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und begründet darauf aufbauend seine These, dass wir am Anfang einer vierten Welle stehen.1 Die Zeitgeschichte im Wechselspiel von technologischen Innovationen und gesellschaftlichen Prozessen pauschal in Wellen zu untergliedern, ist grundsätzlich problematisch. Eine solche These von Wellen setzt ein gemeinsames An- und Abschwellen in Bezug auf ein beobachtbares gesellschaftliches Phänomen voraus. Betrachtet man die quantitativen Entwicklungen an verkauften Geräten und Software der vergangenen Jahrzehnte und die gleichzeitige elektronische Abstinenz in vielen Bereichen des Bildungswesens, ist eine solche Wellenbewegung im pädagogischen Bereich schwer nachzuvollziehen. An manchen Orten fanden thematische Entwicklungen im Zusammenhang von elektronischen Lehr- und Lernformaten statt und haben zu Veränderungen geführt. Aber an vielen Orten haben die von Dittler beschriebenen Wellen bisher wenig verändert und die einzige elektrische Komponente in den Lehr- und Lernformaten ist vielerorts der Lichtschalter geblieben. Die neueren Entwicklungen sind global. Sie sind durch die Allgegenwärtigkeit ei-
ner verfügbaren Anbindung an das Internet, einen hohen Stellenwert sozialer Netzwerke und sozialer Medien sowie durch die rasant steigende Anzahl mobiler digitaler Endgeräte und verfügbarer Applikationen gekennzeichnet. Wenn also im Folgenden von Formaten des E-Learning gesprochen wird, so sind dies in technischer und medialer Hinsicht zunehmend globale Entwicklungen, die lediglich in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung an bestimmte gesellschaftliche Praxen, Zielgruppen und damit auch an Sprachen und Anforderungen gebunden sind.
E-Teaching und Selbstlernen Wenn Musikschulen im sozialisationstheoretischen Kontext als „Ausschnitt aus allen Einflüssen auf Heranwachsende, der bewusst gestaltet ist“,2 betrachtet werden und erzieherisches Handeln auf eine „Differenz von ‚Geschehendem‘ und ‚Geschehen-Sollendem‘“ baut,3 zielt die musikalisch-pädagogische Arbeit der Lehrkräfte auf „ein Angebot für die Selbstentwicklung der Lernenden“.4 Bei E-Learning geht es deshalb auch immer um die Frage des E-Teaching. Das bedeutet, dass zunächst vor allem die Lehrkräfte und weniger die Lernenden in der Verantwortung sind. Welche Rolle nehmen Lehrkräfte ein, wenn der Präsenzunterricht nicht in einem Raum und vielleicht auch nicht zur selben Zeit stattfindet? Wer entscheidet, wann welche Inhalte bzw. Aufgaben bearbeitet werden? In der Planung von Lern- und Gestaltungsangeboten spielen folglich zwei Parameter eine zentrale Rolle: 1. Welchen Freiraum erhalten Lernende in der Auswahl und Abfolge von Inhalten bzw. Aufgaben? 2. Welche Kontakt- bzw. Betreuungsmöglichkeiten bestehen während der Lern- bzw.
7 Persönliche Betreuung während der Lernzeiten
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Festgelegte Abfolge an festgelegten Lerninhalten
Freie Wahl der Inhalte und Abfolgen
3 Gestaltungszeit zwischen Lernenden und Lehrkräften? In der Kombination dieser beiden Parameter ergibt sich eine Matrix von vier Feldern, in der E-Learning-Formate eingeordnet werden können. Die oberen beiden Felder ähneln dem Präsenz-Einzel- oder Gruppenunterricht in Schulen und Musikschulen. Im Unterschied zum Präsenzunterricht erscheinen die Technologien als Mittler (Medien) zur Überbrückung von Raum und/oder Zeit (E-Teaching). Im Gegensatz dazu sind die unteren beiden Felder durch ein Verschwinden der Präsenz einer Lehrkraft gekennzeichnet. Damit übernehmen die Technologien nicht nur eine vermittelnde Funktion, sondern sind zugleich Träger von Inhalten, Aufgaben und Werten. Die Realität ist durch verschiedenste Mischformen gekennzeichnet und entzieht sich durch die individuellen Lernstrategien der „Nutzer“ einer klaren Systematisierung. Die vier Felder dienen vor allem einer Strukturierung der mittlerweile kaum noch zu überblickenden Angebotsvielfalt und beschreiben nur den Teil der Wirklichkeit, in dem Lernen und Gestalten in der Interaktion mit digitalen Technologien stattfinden. Feld 1: In Onlineseminaren oder im Onlineunterricht treffen Lernende und Lehrkraft mittels einer Text-, Audio- oder Videoverbindung aufeinander. Die Lernenden bearbeiten, besprechen, diskutieren oder gestalten eine von der Lehrkraft vorgegebene Aufgabe. Die Schülerinnen und Schüler haben dabei keinen oder wenig Einfluss auf die Aufgaben oder Inhalte. Feld 2: Dieses Feld könnte auch den Untertitel „Individueller Fernunterricht“ tragen. Wie in Feld 1 kommunizieren der Lernende und die Lehrperson über eine Text-,
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Kein persönlicher Kontakt zu Lehrpersonen
Audio- oder Videoverbindung direkt miteinander. Auch hier kann dies entweder zur selben Zeit oder zeitlich versetzt erfolgen. Entscheidend ist, dass ähnlich wie beim instrumentalen (Präsenz-)Einzelunterricht die Inhalte und Aufgaben an die individuellen Bedürfnisse des Lernenden angepasst werden bzw. der Lernende Inhalte und Aufgaben (mit-)bestimmen kann. Feld 3: Über das Internet bieten zahlreiche E-Learning-Plattformen5 verschiedenste Kurse, insbesondere sogenannte MOOCs („Massive Open Online Courses“) an. Damit sind Onlinekurse gemeint, die von einer großen Anzahl an Personen absolviert werden können, die frei über das Internet zugänglich sind und eine feste Abfolge an Inhalten bzw. Lektionen vorgeben. Der nächste Lerninhalt wird erst für den Lernenden einsehbar, wenn das vorausgegangene Level zur Zufriedenheit der Lernplattform absolviert wurde. Grundsätzlich sind die Lernenden im Online-Kurs auf sich gestellt und am Ende einer Lektion erfolgt in der Regel eine Lernkontrolle in Form von Single- oder Multiple-Choice-Fragen. Je nach Anbieter besteht die Möglichkeit, offene Fragen im Chat mit anderen Lernenden oder Experten zu klären. Auch wenn die Lehrkraft in diesen Formaten in den Hintergrund tritt, bürgt der Anbieter solcher Kurse doch für die Güte der Inhalte und Aufgaben. Zudem wird in diesen „automatisierten“ Lernformaten oft durch ein Zertifikat die Bearbeitung der Kursinhalte bescheinigt.6
Feld 4: Im Internet sind zahlreiche Videos, Videotutorials, Texte, Bildmaterialien und andere Angebote abrufbar, die es ermöglichen, sich mit Aufgaben oder Inhalten auseinanderzusetzen. Lernende sind hier auf sich gestellt und es entfällt jede Form von Bevormundung oder Kontrolle. Offene Fragen oder Probleme können die Lernenden in Chats zu lösen versuchen oder auf anderen Webseiten nach weiteren Hinweisen suchen. Die Lernenden sind damit der ganzen qualitativen Breite des Internets ausgeliefert und müssen selbst eine Bewertung der Güte der aufgerufenen Internetseiten bzw. der verwendeten Apps vornehmen (Selbstlernen). Anbieter wie Nutzer versuchen, aus diesen Möglichkeiten einen für ihr Anliegen optimalen Mix zu gestalten. An den Begriffen „Anbieter“ und „Nutzer“ wird deutlich, dass die Begriffe Lehrkraft, Lehrerin oder Lehrer bzw. Lernende, Schülerin oder Schüler oft in den Hintergrund gedrängt werden. Dieser begriffliche Wandel verdeutlicht, dass Lehrkräfte beim E-Learning gefordert sind, Angebote zu machen, und Lernende entsprechend gefordert sind, diese Angebote zu nutzen. Diesem Paradigmenwechsel folgend, sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Angebote unterschiedlicher Anbieter entstanden, die wie beispielsweise die Khan Akademie in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte oder Wirtschaft praktische Übungen, Videoanleitungen oder personalisierte „Lern-Dashboards“
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„In Anbetracht der hohen qualitativen Ansprüche von Musikschulen erscheint es sinnvoll, nicht nur auf Marktangebote zu reagieren, sondern im Verbund von Musikschulen und mit kompetenten Partnern geeignete Lehr-Lern-Plattformen für Musikschulen zu entwickeln.“ anbieten und Lernenden versprechen, „in ihrer eigenen Geschwindigkeit inner- und außerhalb des Klassenzimmers zu lernen“.7
E-Learning in der Instrumentalund Gesangspädagogik Die Flut an Angeboten im Internet und über Apps hat die Möglichkeiten des Selbstlernens (Feld 4) auch im Bereich der Instrumental- und Gesangspädagogik stark verändert. Natürlich gab es schon vor YouTube Menschen, die sich selbst das Spielen von Instrumenten beibrachten. Aber die Zahl an Klicks und Downloads auf den entsprechenden Portalen verdeutlicht den Umfang und die Bedeutung, die diese digitalen Angebote im Alltag vieler Menschen aktuell einnehmen. Lehrkräfte, Musikschulen und Verbände stehen diesem Phänomen oft recht machtlos gegenüber. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welchen Mehrwert ein von MusikpädagogInnen gestalteter Lernprozess (Felder 1 bis 3) gegenüber einer ausschließlich vom Lernenden gesteuerten Beschäftigung mit Webseiten und Apps (Feld 4) bietet. Beim Erlernen eines Instruments ist Wissen wie in anderen Domänen eine bedeutende Dimension. Entscheidender sind jedoch Aspekte wie Klanglichkeit, Intonation, Körperhaltung, Atmung, Haptik, Agogik etc. Diese sind selbst bei professionellen digitalen Übertragungsverfahren nur in Teilen transportierbar. Die technischen Bedingungen der kleinen Geräte haben sich durch leistungsfähigere Mikrofone, Kameras, Prozessoren und hohe Übertragungsraten in den vergangenen Jahren zwar sehr verbessert. Die eingeschränkten Möglichkeiten der eingebauten Kameras und Mikrofone sowie der kleine Bildschirm lassen trotzdem Zweifel an der Qualität musikbezogener Lernprozesse über digitale Tech-
nologien aufkommen. Aber die Technologien sind noch relativ jung und es fehlt an Erfahrungswerten über die Nachhaltigkeit der unterschiedlichen Lernformen. Zudem ist der Innovationsdruck hoch: Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR)8 werden die Formate des E-Learnings nochmals deutlich verändern. Projekte wie die immersiven 360°-Filme, die derzeit in Kooperation des Landeszentrums Musik – Design – Performance der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen und der Kunsthalle Mannheim entstehen, geben Einblicke, wie sich Raum- und Klangerleben in diesen virtuellen Realitäten entwickeln.9 Über den Erfolg der musikbezogenen ELearning-Formate entscheidet aktuell der Markt, also die Anbieter, die Distributionsformen und das Nutzerverhalten. Damit ist noch keine Aussage über die Qualität getroffen – und trotzdem lohnt sich der Blick auf aktuelle Entwicklungen.
Musikpädagogischer Online-Markt Betrachtet man den aktuellen Markt, so findet man zunehmend Musikschulen, die ausschließlich oder ergänzend Angebote als Video-Fernunterricht (Feld 2) im Internet platzieren.10 Meist erscheint dabei der Begriff „Online-Musikschule“ und damit verbunden ein Angebot bezogen auf Instrumente populärer Musikrichtungen wie Gitarre, E-Bass, Schlagzeug oder Klavier bzw. Keyboard. Orchesterinstrumente oder Gesang sind zahlenmäßig deutlich unterlegen. Als Argumente würden zunächst die Ersparnis langer Wegstrecken beispielsweise in dünn besiedelten Gebieten oder die besondere Expertise von MusikerInnen seltener Instrumente in Betracht kommen. Umso erstaunlicher ist die Entwicklung
von Online-Musikschulen gerade in Ballungszentren und vor allem mit Instrumenten, die ohnehin schon einen hohen Verbreitungsgrad aufweisen. Neben diesem Präsenz-Video-Fernunterricht haben sich am Markt zahlreiche Anbieter mit definierten Lernsequenzen zu einzelnen Instrumenten (insbesondere Klavier) positioniert (Music2me, Skoove, Flowkey etc.) und bieten – neben dem Angebot im Webbrowser – ihre Dienste auch über Apps auf mobilen Endgeräten an. Die Lernprozesse vollziehen sich dabei in von MusikpädagogInnen angefertigten Lernsettings, in denen in der Regel Lernvideos eine zentrale Rolle übernehmen. Je nach Anbieter ist der Kontakt zu einer realen Lehrperson mehr oder weniger möglich, sodass diese Angebote im Feld 1 oder 3 verortet werden können. In den Fächern Gehörbildung, Tonsatz, Harmonielehre oder Musikgeschichte haben sich im Grenzbereich von Schule, Musikschule und Hochschule eine ganze Reihe an Angeboten ihren Weg gebahnt. Gemeinsam ist den meisten Angeboten ein vordefiniertes Lernsetting ohne persönlichen Kontakt zu einer Lehrperson (beispielsweise als Gehörbildungs-App). Nur wenige Anbieter (z. B. DetmoldMusicTools) sehen systematisch eine Zusammenarbeit von Lernenden und Lehrkräften vor. Applikationen, die in ihrer Konzeption bereits eine Zusammenarbeit von Lernenden und Lehrkräften vorsehen, sind in der Regel nicht ausschließlich für E-LearningFormate konzipiert, sondern ermöglichen im Sinne von Blended Learning ein Zusammenspiel von Präsenzunterricht und E-Learning. Auch für den instrumentalund gesangspädagogischen Bereich sind solche Anwendung (wie beispielsweise die App Etudo) auf dem Markt in Erscheinung
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getreten und bieten Musikschulen die Möglichkeit, in einer Kombination aus E-Learning und Präsenzunterricht neue Lernformate zu entwickeln.
Innovationen fördern Die Entscheidungen, welcher Grad an persönlicher Unterstützung und welche Freiräume von Inhalten und Aufgaben sinnvoll sind, gilt es für Lehrkräfte, Musikschulen und Verbände in den kommenden Jahren intensiv zu erproben, um als Akteure auf dem außerschulischen Bildungsmarkt bestehen zu können. Aber auch wenn diese Entscheidungen getroffen wurden, bleiben eine ganze Reihe Fragen zu klären: Welche Software und welche Geräte sind erforderlich? Welche Kosten entstehen? Über welchen Dienst oder welche Plattform erfolgt die Anmeldung und Authentifizierung? Wie wird der Datenschutz gewährleistet? Zur Entwicklung innovativer Unterrichtskonzepte, die Möglichkeiten des E-Learnings mit bestehenden Formaten des Präsenzunterrichts zu neuen Formen und Formaten verbinden, sind Communities of Practice11 wichtige Elemente, um die fachlichen Kompetenzen und innovativen Ideen der Lehrkräfte sinnvoll einzubinden. Neben der musikalisch-inhaltlichen Ebene tritt bei elektronischen Lernformen, die Raum und/oder Zeit überwinden – indem Texte, Bildmaterial, Videos und personenbezogene Daten mindestens zwischen zwei Endgeräten ausgetauscht werden müssen (ELearning) –, die kommunikative Ebene der Technologien stark in den Vordergrund. Die angesprochenen Fragen nach geeigneten Plattformen, Datenschutz, Kosten etc. fordern deshalb über die Lehrkräfte hinaus besonders die Leitungen von Musikschulen sowie die Musikschulverbände.
In Anbetracht der umfangreichen Fragenkomplexe und der hohen qualitativen Ansprüche von Musikschulen an ihre musikalisch-pädagogische Arbeit erscheint es sinnvoll, nicht nur auf Marktangebote zu reagieren, sondern im Verbund von Musikschulen und mit kompetenten Partnern geeignete Lehr-Lern-Plattformen für Musikschulen zu entwickeln. Die Erfahrungen in anderen Bildungsbereichen haben gezeigt, dass man solche technologisch-pädagogischen Entwicklungsaufgaben nicht einfach in Auftrag geben kann. Der Erfolg einer solchen Entwicklung ist im hohen Maß von einer engen Vernetzung und kooperativen Zusammenarbeit von Lehrkräften, Musikschulleitungen, Verbänden und Projektteam abhängig. Die digitalen Technologien sind noch relativ jung und formbar. Dies zeigt sich an den vielen kleinen Transformationen, wie beispielsweise der hohen Anzahl an Updates von Apps auf Smartphones, den kurzen zeitlichen Intervallen von Produktinnovationen oder dem Breitbandausbau. Gleichzeitig ist der Innovationsdruck durch die allgegenwärtige Präsenz digitaler Endgeräte im Alltag von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen für Musikschulen hoch. Beides sind gute Voraussetzungen, um die Herausforderung „E-Learning in Musikschulen“ aktiv anzugehen. ((
1 Ullrich Dittler (Hg.): E-Learning 4.0. Mobile Learning, Lernen mit Smart Devices und Lernen in sozialen Netzwerken, De Gruyter, Berlin 2017. 2 Helmut Fend: Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen, VS, Wiesbaden 2008, S. 24. 3 ebd., S. 131. 4 ebd. 5 t3n News: „E-Learning-Plattformen: 42 supernützliche Websites, die dir was beibringen“, 2018, https://t3n.de/news/e-learning-plattformen-650727 (Stand: 26.11.2018).
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Leibniz-Institut für Wissensmedien: „MOOCs – Hintergründe und Didaktik“, 2015, www.e-teaching.org/lehrszenarien/mooc (Stand: 1.7.2018). 7 Khan Academy: „Eine personalisierte Lernressource für alle Altersgruppen“, 2018, https://de.khanacademy.org/about (Stand: 1.7.2018). 8 Jan Tißler: „Augmented und Mixed Reality: Beispiele, Anwendungen, Potenziale“, in: UPLOAD Magazin, 2018, https://upload-magazin.de/blog/ 18436-augmented-und-mixed-reality (Stand: 1.7.2018). 9 Thorsten Greiner: „360 Grad Filme für die Kunsthalle Mannheim“, Landeszentrum Musik – Design – Performance“, 2018, www.landeszentrum.de/archiv/ateliertag-2018/ateliertag-bilder/ 1400-uhr-360-grad-filme (Stand: 1.7.2018). 10 Matthias Nöther: „Digitale Musikschulen – Instrumentalunterricht übers Internet“, 2018, www.deutschlandfunk.de/digitale-musikschuleninstrumentalunterricht-uebers-internet.1993.de. html?dram:article_id=408356 (Stand: 29.6.2018). 11 siehe Philipp Ahner: „Blended Learning. Ein Blick auf neue Unterrichtsformen für die digitaltraditionelle Musikschule“, in: musikschule )) DIREKT 4/2018, S. 6-9.
Dr. Philipp Ahner ist Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik im Kontext digitaler Medien am Landeszentrum Musik – Design – Performance der Hochschule für Musik Trossingen. www.landeszentrum.de
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1.2019
Einzelunternehmung oder gGmbH? Frank Bauchrowitz
In welchen Fällen lohnt es sich, eine Musikschule in eine gGmbH umzuwandeln oder als solche zu gründen? (Teil 1)
Zurzeit denken Betreiber privater Musikschulen offenbar intensiver darüber nach, ob es sinnvoll ist, ihre Musikschule in eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) umzuwandeln.1 Für Gründer scheint die gGmbH ebenfalls immer häufiger erwägenswert zu sein. Aber ist diese Rechtsform für eine Musikschule wirklich sinnvoll?
)) Betreiber privater Musikschulen sind Unternehmer und müssen sich daher grundsätzlich schon bei der Gründung darüber Gedanken machen, in welcher Rechtsform sie ihre Musikschule betreiben möchten. Jede Rechtsform hat dabei ihre Vorteile und ihre Tücken. Zurzeit scheint die gGmbH für viele Gründer attraktiv zu sein. Aber auch langjährige MusikschulleiterInnen, deren Musikschulen bislang als Einzelunternehmung geführt wurden, denken über eine Umwandlung nach. An dieser Stelle soll das Für und Wider von Musikschulgründungen als gGmbH bzw. Umwandlungen von Einzelunternehmungen in eine gGmbH dargestellt werden.
Was spricht für das Betreiben einer Musikschule als Einzelunternehmung? Private Musikschulen werden häufig als Einzelunternehmungen betrieben. Im Regelfall entsteht eine privat geführte Musikschule aus der unternehmerischen Tätigkeit eines einzelnen Musiklehrers oder einer einzelnen Musiklehrerin. Irgendwann übersteigt die Nachfrage die vorhandenen
Unterrichtskapazitäten. Dann wird der Bedarf fast immer zunächst durch Honorarkräfte abgedeckt. Steigt dann die Nachfrage weiter, wird diese nach und nach durch weitere Expansion kompensiert. Aus dem einzelnen Musiklehrer bzw. der Musiklehrerin wird also eine wachsende Einzelunternehmung. Besonders attraktiv ist die Einzelunternehmung wegen ihrer unkomplizierten Strukturen. Die Gründung ist denkbar einfach. Sie erfolgt durch die kostenfreie Anmeldung einer selbstständigen Tätigkeit beim Finanzamt.2 Ein bestimmtes Mindestkapital muss nicht vorgewiesen werden, weitere Eintragungen sind in der Regel nicht notwendig. Ein weiterer Vorteil der Einzelunternehmung ist die alleinige Entscheidungsgewalt der Unternehmerin oder des Unternehmers über alle Vorgänge im Unternehmen. Man muss sich nicht mit Partnern oder Kontrollorganen abstimmen, wenn man Honorarkräfte für den Unterricht beauftragen, die Musikschule ausstatten oder bestimmte Projekte angehen möchte. Darüber hinaus gehört der Gewinn, den die Musikschule erwirtschaftet, allein der Einzelunternehmerin bzw. dem Einzelunternehmer. Man kann diesen für den eigenen Lebensunterhalt entnehmen und muss ihn mit niemandem teilen. Über Art und Höhe der Investitionen für die Musikschule kann man frei entscheiden. Ein weiterer Vorteil: Es besteht keine Bilanzierungspflicht für EinzelunternehmerInnen. Sie können ihren Gewinn vereinfacht über die Einnahmenüberschussrechnung ermitteln.
Was spricht gegen das Betreiben einer Musikschule als Einzelunternehmung? Eine Musikschule als Einzelunternehmung zu betreiben, hat aber auch Nachteile. Einer der größten und oft unterschätzten ist das Haftungsrisiko: Eine Einzelunternehmerin haftet mit ihrem gesamten Privatvermögen auch für betriebliche Handlungen. Schlimmstenfalls kann es zur Privatinsolvenz kommen, wenn die Einzelunternehmerin ihre betrieblichen Verbindlichkeiten – im Fall von Musikschulen insbesondere Mietkosten, Kreditraten sowie Honorare für die Lehrkräfte – nicht mehr bedienen kann. Sie ist also laufend einem finanziellen Risiko ausgesetzt, das allerdings häufig aufgrund der eher geringen Verbindlichkeiten, die das Betreiben einer Musikschule erzeugt, nicht ins Gewicht fällt. Ein weiterer Nachteil: Sind zur Gründung oder auch später Kredite für Investitionen notwendig, sind diese für EinzelunternehmerInnen nur schwer zu beschaffen. Banken wissen um die in der Regel geringe Kapitalkraft der Einzelunternehmung und geben Kredite deshalb oft nur zu schlechten Konditionen oder gar nicht. Musikschulgründer bzw. -betreiber benötigen aber häufig kein größeres Startkapital, da die Betriebsausstattung oft schon – zumindest teilweise – bei der Gründung vorhanden ist und eingebracht werden kann. Auch dieser Nachteil wird daher in vielen Fällen nicht wirksam. Als weiteres Manko werden zuweilen die aufgrund der Gewinnorientierung einge-
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Die GmbH ist eine Unternehmensform und zählt zu den Kapitalgesellschaften. Sie ist eine eigenständige juristische Person, kann also selbst vertragliche Verpflichtungen eingehen und Rechte begründen, klagen und verklagt werden.
schränkten Möglichkeiten zur Kooperation mit Schulen und Kindergärten angeführt. Kooperationen zwischen als Einzelunternehmung betriebenen Musikschulen mit diesen Institutionen kämen oft nicht zustande, weil Kinder vor kommerzieller Einflussnahme geschützt werden und die Bevorzugung einzelner Unternehmen vermieden werden solle. Darüber hinaus würden Spenden (etwa als Kompensation für Kosten, die im Zusammenhang mit Konzerten entstehen) von anderen Unternehmen an die in Einzelunternehmerschaft geführte Musikschule praktisch nicht gegeben, weil die Unterstützungsnotwendigkeit einer kommerziell arbeitenden Musikschule nicht zu vermitteln sei. Öffentliche Förderungen könnten ebenfalls nicht abgegriffen werden.3 Zu bedenken ist allerdings, dass diese Probleme für alle nichtgemeinnützig betriebenen Unternehmen gelten. Damit besteht hier kein echter Nachteil der Einzelunternehmung.
Zusammenfassung der Vor- und Nachteile einer Einzelunternehmung Es bleibt festzuhalten, dass eine als Einzelunternehmung geführte Musikschule einfach, kostengünstig und unkompliziert zu gründen und zu führen ist, dem Betreiber oder der Betreiberin viele Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten gibt und ein erzielter Gewinn voll für die Lebenshaltung zur Verfügung steht. Über den Umfang von Investitionen können die BetreiberInnen selbst entscheiden.
Dem steht lediglich das nach dem Einzelfall zu beurteilende Haftungsrisiko der Betreiberin oder des Betreibers gegenüber und die – oft lediglich begrenzt notwendige – erschwerte Kapitalbeschaffung.
Wie funktioniert eine gGmbH? Um im zweiten Teil dieses Beitrags Vorund Nachteile einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung darstellen zu können, muss erklärt werden, wie diese funktioniert. Hier spielen zahlreiche juristische Aspekte eine Rolle. Diese werden zunächst für die GmbH im Allgemeinen erörtert. Anschließend werden die zusätzlich erforderlichen Gemeinnützigkeitsvoraussetzungen erläutert. Die GmbH ist eine Unternehmensform und zählt zu den Kapitalgesellschaften. Sie ist eine eigenständige juristische Person, kann also selbst vertragliche Verpflichtungen eingehen und Rechte begründen, klagen und verklagt werden. Die Inhaber einer GmbH nennt man Gesellschafter. Sie sind Eigentümer der Gesellschaftsanteile. Die Gründung ist auch für eine einzelne Person als Gesellschafterin möglich. Man spricht dann von der Ein-Personen-GmbH, bei der der einzige Gesellschafter zugleich auch der Geschäftsführer ist. Denn mindestens einen Geschäftsführer muss eine GmbH haben. Das GmbH-Gesetz sieht vor, dass die Geschäftsführer die Geschäfte der GmbH nach den Weisungen der Gesellschafterversammlung und im Rahmen von Gesetz und Satzung zu führen haben. Die Geschäftsführer vertreten die GmbH gericht-
lich und außergerichtlich gegenüber Dritten. Die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ist Dritten gegenüber immer unbeschränkt. Das GmbH-Gesetz bestimmt darüber hinaus, dass Geschäftsführer in Angelegenheiten der GmbH die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden haben. Damit ist die GmbH auf einen wirtschaftlichen Betrieb ausgerichtet. Eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss zusätzlich weitere Kriterien erfüllen. Die Anerkennung der GmbH als „gemeinnützig“ hat vor allem steuerbegünstigende Folgen, weshalb in den §§ 52 ff. der Abgabenordnung die Voraussetzungen zu finden sind, unter denen eine Körperschaft (hier die GmbH) als gemeinnützig anzuerkennen ist: ) Die GmbH muss einen gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Gesellschaftszweck verfolgen. Als solcher kommt bei einer gemeinnützigen Musikschul-GmbH § 52 Abs. 2 Nr. 5 infrage, nämlich die „Förderung von Kunst und Kultur“. ) Der Unternehmensgegenstand der GmbH muss darauf gerichtet sein, den steuerbegünstigten Zweck zu verwirklichen. Diese Voraussetzung ist durch das Betreiben einer Musikschule in der Regel unproblematisch gegeben. ) Der Zweck muss das Kriterium der Selbstlosigkeit erfüllen. Die Selbstlosigkeit ist in § 55 Abgabenordnung geregelt und stellt zahlreiche Anforderungen an die gemeinnützige Körperschaft (hier die gGmbH): – Es dürfen nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke (z. B. gewerbliche oder sonstige Erwerbszwecke) verfolgt werden.
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1.2019
Rechtsformen von Musikschulen bdfm
(Stand: Februar 2017)
Einzelunternehmen GmbH gemeinnützige GmbH GbR eingetragener Verein gemeinnütziger Verein Sonstige
68,30 % 63,30 % 69,80 % 66,50 % 60,80 % 65,70 % 65,70 %
– Mittel der Körperschaft dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Die Mitglieder oder Gesellschafter dürfen keine Gewinnanteile und keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten. Somit dürfen keine Gewinnausschüttungen an Gesellschafter erfolgen. Geschäftsführer erhalten allerdings ein angemessenes Gehalt (Näheres dazu im zweiten Teil). – Die Mitglieder dürfen bei ihrem Ausscheiden oder bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft nicht mehr als ihre eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert ihrer geleisteten Sacheinlagen zurückerhalten. Dies bedeutet, die Gesellschafter erhalten in den oben genannten Fällen keine Abfindungen, sondern nur ihre Einlage bzw. den Wert der eingelegten Sachleistungen zurück. – Die Körperschaft darf keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck der Körperschaft fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen. Hiermit ist gemeint, dass keine Ausgaben durch die gGmbH getätigt werden dürfen, die dem satzungsmäßigen Zweck widersprechen. Auch dürfen Vergütungen, z. B. an den Geschäftsführer der gGmbH, nicht unverhältnismäßig hoch sein. – Bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks darf das Vermögen der Körperschaft nur für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden (Grundsatz der Vermögensbindung).
erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
VdM
(Stand: Januar 2018)
Fast 63 % aller Mitgliedschulen sind Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft, in den neuen Bundesländern über 83 %. Als gemeinnütziger eingetragener Verein sind rund 35 % der Musikschulen organisiert, eine Rechtsträgerschaft, die anteilig besonders in Hessen, Schleswig-Holstein
und Niedersachsen anzutreffen ist; doch auch in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und dem Saarland leicht über dem Bundesdurchschnitt. Nur wenige Musikschulen haben andere Rechtsformen, etwa als Stiftung, Anstalt öffentlichen Rechts oder gemeinnützige GmbH.
Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn das Vermögen einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts für steuerbegünstigte Zwecke übertragen werden soll. – Die Körperschaft muss ihre Mittel grundsätzlich zeitnah für ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwenden. Verwendung in diesem Sinne ist auch die Verwendung der Mittel für die Anschaffung oder Herstellung von Vermögensgegenständen, die satzungsmäßigen Zwecken dienen. Eine zeitnahe Mittelverwendung ist gegeben, wenn die Mittel spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Rücklagen dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen gebildet werden (§ 62 Abgabenordnung). ) Der Zweck muss das Kriterium der Ausschließlichkeit erfüllen. Dieses ist nach § 56 Abgabenordnung erfüllt, wenn die Körperschaft ausschließlich ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verfolgt. ) Der Zweck muss das Kriterium der Unmittelbarkeit erfüllen. Dieses ist erfüllt, wenn die gGmbH selbst diese Zwecke verwirklicht.
weiteren Betrieb erfüllt werden. Fällt eine Voraussetzung weg, droht die Aberkennung der Gemeinnützigkeit und damit der zumindest teilweise Verlust der im zweiten Teil dargestellten Vorteile. In der nächsten Ausgabe werden die Vorund Nachteile einer Musikschule in Form einer gGmbH vorgestellt. Zudem wird abgewogen, in welchen Fällen die gGmbHGründung oder -Umwandlung lohnt. ((
Diese recht umfangreichen Voraussetzungen für eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit der GmbH müssen nicht nur bei Gründung, sondern auch kontinuierlich im
1 vgl. hierzu z.B. Michael Herrmann: „gGmbH: Geeignete Rechtsform für meine Musikschule?“, in: musikschule intern, 2017, www.musikschuleintern.de/ggmbh-geeignete-rechtsform-fuermeine-musikschule (Stand: 12.11.2018). 2 In Bayern müssen weitere Voraussetzungen beachtet werden: www.existenzgruender.de/ SharedDocs/BMWi-Expertenforum/Gruendungsplanung/Freie-Berufe/unterrichtende-Taetigkeit/ Musikschule-gruenden-Voraussetzungen.html (Stand: 27.11.2018). 3 vgl. Herrmann, a. a. O.
Frank Bauchrowitz berät als Rechtsanwalt in den Bereichen Urheberrecht und Musikvertragsrecht. Er ist Dozent für Musikrecht und Karriereentwicklung an verschiedenen Musikhochschulen in Nordrhein-Westfalen und an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen. www.musikerkanzlei.de
Redaktion: Sebastian Herbst und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Anja Bossen und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler