3.2019 Inhalt Bedarf an musikpädagogischem Nachwuchs Die allgemeinbildenden Schulen sind wichtige Kooperationspartnerinnen von Musikschulen. Wie sicher einige Kolleginnen und Kollegen bei der (Tandem-)Arbeit an einer Kooperationsschule feststellen konnten, fehlen dort häufig Fachkräfte für den Musikunterricht. Fachfremder Musikunterricht, die Einstellung von Musikstudierenden als Vertretungslehrkräfte und nicht zuletzt auch ein besonders starker Einbezug von Praktikantinnen und Praktikanten in der Lehre sind nicht ungewöhnlich. Eine Online-Umfrage, die die Bertelsmann Stiftung im September 2018 zusammen mit dem Bundesverband Musikunterricht durchführte, bestätigt dieses Bild. Von insgesamt 228 befragten Lehrerinnen und Lehrern geben 33 % der Gymnasiallehrkräfte an, dass an ihrer Schule Lehrende im Fach Musik eingesetzt werden, die kein Lehramtsstudium (inklusive Referendariat) absolviert haben. Von den Lehrenden an Haupt-, Real-, Gesamt- und Sekundarschulen geben dies 77 % an und bei den befragten Lehrenden an Grundschulen gar 81 %. Die Entwicklung, Durchführung und Evaluation intensiver Weiterbildungsformate zur qualitätsvollen Weiterqualifizierung von MusikerInnen, MusikpädagogInnen und LehrerInnen müsste demnach im dringenden staatlichen Interesse liegen, um vorübergehend dem aktuellen Bedarf an MusiklehrerInnen sinnvoller gerecht zu werden, als fachfremden Unterricht zu erteilen. Betrachtet man jedoch die finanziellen Aufwendungen des Staats für Weiterbildungen, ist das zweifelhaft. Zwischen 1995 und 2015 ist hier ein Rückgang um 43,3 % zu verzeichnen, wie eine weitere Studie der Bertelsmann Stiftung von 2019 darlegt. Nur ca. 6,3 Milliarden Euro von rund 26,9 Milliarden Euro, die 2015 in Deutschland für Weiterbildungen investiert wurden, hat die öffentliche Hand getragen. Die restlichen 20,6 Milliarden Euro wurden demnach durch Betriebe oder durch TeilnehmerInnen selbst finanziert. Wie viel von diesen 6,3 Milliarden Euro wohl in die Weiterbildung von (Musik-)LehrerInnen investiert wurde? Selbstverständlich darf dabei aber nicht in Vergessenheit geraten, dass es vor allem die Aufgabe von Musikhochschulen und Universitäten ist, attraktive grundständige Studiengänge für die Musiklehrerausbildung anzubieten. In Anbetracht des Fachkräftemangels und der zu geringen Studierendenzahlen (insbesondere im Lehramt Grundschule) ist es daher umso wichtiger, dass Schule, Musikschule, Hochschule/Universität und Verbände die Nachwuchsförderung als gemeinsame Aufgabe verstehen und intensiv betreiben. Sebastian Herbst
2 Ein Ort zum Üben und Musizieren Musizierlernhaus der Zukunft: Musikschule Waldkirch
4 Schaden tut’s nichts Sprachförderung an Musikschulen
6 Diversität und kein Ende Gedanken zu Anforderungen an Musik(schul)lehrende
10 Solmisation als Zeichensatz Eigene Zeichensätze für Notensatz und Textverarbeitung herstellen
Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de
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3.2019
Die Städtische Musikschule Waldkirch als Beispiel für ein Musizierlernhaus der Zukunft
Ein Ort zum Üben und Musizieren
Stefan Goeritz
Wer einen Rundgang durch unser Haus macht, findet elf Probe- und fünf Überäume, zwei Räume für die Elementare Musikpädagogik und den Orchestersaal. Es gibt einen Bereich, der mit SilentInstrumenten ausgestattet ist und der wie ein großes Wohnzimmer aussieht, sowie den Empfangsbereich, wo auch das Lehrerzimmer zu finden ist. Was man dagegen nicht findet, sind Unterrichtsräume. Denn wir möchten, dass unsere Musikschule nicht als Unterrichtsort, sondern als Ort des Musizierens und des Musizierenlernens wahrgenommen wird. Dies ist die Grundidee, aus der heraus sich so ziemlich alles erklären lässt, was man bei uns sehen und erleben kann.
)) Eben weil die oben genannte Unterscheidung so wichtig ist, möchte ich den Begriff „Musizierlernort“ an dieser Stelle kurz einführen und erklären. Kinder sind schon sehr früh daraufhin geprägt, Schulen als Orte zu begreifen, an denen etwas gelehrt wird. Durch eine relativ komplizierte Interaktion, in der auch Zwang, (Noten-)Druck sowie Hierarchien eine Rolle spielen, lernen die SchülerInnen, dass die Lehrenden erwarten, dass das, was sie lehren, von den SchülerInnen auch gelernt werden soll. Später, viel später lernen die mittlerweile Erwachsenen, für was das so Gelernte gut gewesen wäre, wenn man es nicht schon längst wieder vergessen hätte. Was bleibt, ist ein mehr oder weniger zufälliges Bildungspotpourri aus den Einflüssen guter und schlechter LehrerInnen sowie der eigenen Interessen. Diese Form von Bildung wird wahrscheinlich noch einige Jahre das Bild von Schulen prägen, auch wenn neue Bildungspläne etwas anderes visionieren.
Unser Lernort möchte dagegen eine Einladung für alle sein, das eigene Lernen und Musizieren wertzuschätzen und ebenso die Bedingungen für deren Gelingen. Der Ort soll dazu inspirieren zu verweilen, zu experimentieren und auszuprobieren, immer wieder Neues und Anderes kennenzulernen, Stille und Klang sinnlich zu erfahren. Die Möglichkeit und Forderung, sich stets mit den eigenen Ideen und Vorstellungen auseinanderzusetzen, soll Raum schaffen für Kreativität und Improvisation. Das Lernen im Unterricht ist dabei eine von vielen Möglichkeiten. Auf musikschullabor.de beschreiben Kinder ihre Traummusikschule: Man kann jederzeit kommen, sie ist gestaltet wie ein Dorf mit Wegen, Räumen und Plätzen, eher rund als eckig, man kann dort bleiben, solange man möchte, viele Instrumente ausprobieren, Freunde treffen, man hat Raum, etwas selbst zu machen, gemeinsam zu spielen und Musik zu erfinden. Einige Features dieser idealen Musikschule konnten wir auf den 900 Quadratmetern, die uns bei der Planung zur Verfügung standen, schon ansatzweise verwirklichen.
Die Lage Unsere Schule hat im Moment ca. 830 SchülerInnen und 25 Lehrpersonen. Sie befindet sich auf einem großen Bildungscampus, der ebenfalls die Ausbildungsabteilung der Firma Sick sowie eine große Schulmensa beherbergt. Hier essen täglich SchülerInnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums, des Berufsschulzentrums sowie der Kastelbergschule, einer GanztagesGrund- und -Gemeinschaftsschule. Daneben befindet sich das Dr.-Erwin-SickSchülerforschungszentrum. Das Bildungshaus wurde von der Gisela und Erwin Sick Stiftung errichtet und im Jahr 2017 einge-
weiht. Entworfen wurde es vom Architekturbüro Hank und Hirth aus Ehningen. Die Lage unserer Schule in einem Mittelzentrum mit rund 21 000 Einwohnern ermöglicht es vielen SchülerInnen, das Musizieren bei uns in den (Schul-)Alltag zu integrieren. Wie schon zu Beginn erwähnt, bedingt der ziemlich quadratische Umriss unseres Hauses eine quasi runde Anordnung des „Dorfs“ um das großzügige Treppenhaus. Da in beinahe jede Tür Fenster eingearbeitet sind, können sich BesucherInnen durch einen kurzen Rundgang einen Eindruck davon verschaffen, wer und was gerade im Haus zu erleben ist. Innerhalb dieser Anordnung finden sich einzelne Themenbereiche in den verschiedenen Himmelsrichtungen: Proben, Üben und die Elementare Musikpädagogik im Norden, der Saal im Osten, der Silent-Bereich sowie Proberäume im Süden, die Verwaltung, Toiletten und die Küche im Westen.
Akustik und Multifunktionalität Alle Probe- und Überäume sind variabel ausgestattet. Tische, Stühle, Spiegel, Tafeln usw. sind beweglich und können bei Bedarf in die Zimmer geholt werden. Um möglichst viele individuelle Überäume zu schaffen, sind die Raumgrößen eher klein gehalten, können aber zum Teil durch mobile Trennwände zusammengeschaltet werden. Ebenso variabel wie die Raumnutzung muss auch die Raumakustik sein. Wie in Musikschulneubauten mittlerweile üblich, gibt es auch bei uns kaum parallele Wände, kaum rechte Winkel. Verschiedene Bodenbeläge (Teppich/Parkett) verbunden mit verschieden stark wirksamen akustischen Vorhängen ermöglichen die individuelle Anpassung jedes Raums an die Erfordernisse der verschiedenen Instrumente.
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Buch-Neuerscheinung Eine Besonderheit unserer Schule ist die doppelte Fensterschicht, die uns komplett von der Außenfassade abkoppelt. Dadurch hören wir nicht die großen Maschinen in der Ausbildungsabteilung unter uns, sie hören nicht unser Schlagzeug oder unsere Orchester. Nur in Richtung des Gangs sind die Wände durchlässiger, damit unser Haus auch nach Musikschule klingt. Jeder Raum ist mit einem Soundsystem ausgestattet, wo man Laptop, Tablet oder Smartphone anschließen kann.
Der Silent- und Empfangsbereich sowie die Überäume Um genügend Übeplätze auf begrenztem Raum zur Verfügung stellen zu können, haben wir einen Bereich mit Silent-Instrumenten eingerichtet, in dem 20 bis 30 MusikerInnen gleichzeitig einzeln oder über Mischpulte gemeinsam musizieren können. Dieser Bereich ist bei uns sehr beliebt. Hier kann man Klavier, aber auch Gitarre, Streich- und Blechblasinstrumente üben, ohne ein eigenes Instrument mitzubringen. Dadurch können viele SchülerInnen direkt im Anschluss an die Schule zu uns kommen, um entweder davor oder danach in der Mensa zu Mittag zu essen. Besucher, die zum ersten Mal zu uns kommen, betreten hier einen lebendigen Musizierbereich, um zum Sekretariats- und Empfangsbereich zu gelangen: Somit entsteht auch hier eher der Eindruck einer Musizier- statt einer Schulumgebung. Für alle InstrumentalistInnen gibt es frei zugängliche Überäume und auch die Proberäume können genutzt werden, wenn dort nicht gerade Unterricht stattfindet. Viele ältere und fortgeschrittene SchülerInnen haben Schlüsselkarten und können die Räume auch abends, am Wochenende und in den Ferien nutzen.
Der Saal Multifunktional ist auch unser Saalbereich, der durch mobile Trennwände in drei Bereiche gegliedert ist: Im oberen, nördlichen Bereich findet Schlagzeugunterricht statt, im unteren, südlichen Bereich ist der Bandraum und der mittlere Bereich ist zur besonderen Verwendung, zum Beispiel für die „Musikalischen Spiele“ oder für Konferenzen. Durch Öffnen einer Wand haben wir unseren Orchesterprobensaal, in dem das Schlagzeug schon aufgebaut ist. Auch die normalen Schulkonzerte finden hier Platz. Möchte die Band auftreten, öffnen wir den unteren Bereich und drehen die Bestuhlung um: Der Bandraum, normalerweise Kreativund Studioraum, ist nun die Bühne. Werden beide Wände geöffnet, können wir bis zu 180 Stühle stellen. Unsere etwa alle zehn Tage stattfindenden „Offenen Bühnen“ veranstalten wir unten im Schülercafé der Mensa, wo auch ein Flügel von uns steht.
Das Treppenhaus Der Musizierraum beginnt natürlich bereits im Treppenhaus, wo man eine kathedralhafte Akustik vorfindet. Unsere Treppenabsätze haben jeweils zwölf Stufen, sodass man hier jede „abendländische“ Tonleiter üben kann. Das Schülerforschungszentrum nebenan hat sich nun zur Aufgabe gemacht, die Stufen durch Lichtgitter abzudecken, um dann elektronisch Töne einzuspielen, welche die Leitern auch hörbar machen. Dies ist eines von zahlreichen Beispielen für die vielen Möglichkeiten von Bildungsangeboten, die durch Verknüpfungen auf unserem großen Campus entstehen.
In seinem neuen Buch „Musikschule neu erfinden“ beschreibt Andreas Doerne Ideen für ein Musizierlernhaus der Zukunft. Viele dieser Anregungen hat die Musikschule Waldkirch bereits umgesetzt. Andreas Doerne Musikschule neu erfinden Ideen für ein Musizierlernhaus der Zukunft Schott, Mainz 2019, 224 Seiten, 24,95 Euro
Das Betriebssystem Das Gisela Sick Bildungshaus bietet uns als neue „Hardware“ zahlreiche Lern- und Musiziermöglichkeiten. Doch ist nun natürlich auch eine neue „Software,“ ein neues Betriebssystem gefragt, um diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Dies betrifft ein neues Deputats- und Gebührensystem ebenso wie die konsequente Beteiligung aller NutzerInnen an der Leitung und Verwaltung. Wenn wir die architektonische Einladung dieser Räume verstehen, können wir einen Ort freier, demokratischer kultureller Bildung schaffen, dessen Offenheit und Freundlichkeit ein Zeichen setzen könnte in einer Zeit, in der diese Werte dringend gepflegt und gelebt werden müssen. ((
Eine Tour durch die Musikschule Waldkirch kann man unternehmen auf www.musikschullabor.de
Stefan Goeritz ist Gitarrist und leitet seit 15 Jahren die Musikschule Waldkirch.
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3.2019
Schaden tut’s nichts
Anja Bossen
Sprachförderung an Musikschulen hat bislang keine seriös evaluierten sprachlichen Lernerfolge hervorgebracht Von jeher haben sich die öffentlichen Musikschulen der Mitgestaltung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse gewidmet. Insbesondere im Bereich Inklusion stellte sich der Verband deutscher Musikschulen (VdM) mit der 2013 verabschiedeten „Potsdamer Erklärung“ als kompetenter außerschulischer Bildungspartner dar. Aktuell kommt an den öffentlichen Musikschulen nicht nur dem Thema Inklusion, sondern auch dem Thema Integration ein hoher Stellenwert zu.
)) Dies ist nicht überraschend, wird doch Musik immer wieder gern als Sprache aufgefasst, die jeder – über kulturelle Unterschiede hinweg – versteht.1 Bereitwillig fließen Fördergelder in zahllose Musikprojekte mit Geflüchteten. Dem Trend, Musik als Integrationsmittel einzusetzen, wird momentan an den öffentlichen Musikschulen eine neue Facette hinzugefügt, die ursprünglich nur in der Rhythmik bzw. EMP angesiedelt war: die Förderung sprachlicher Kompetenzen durch den Umgang mit Musik, vor allem durch Singen und Bewegen. Sprache wird dabei als Schlüssel zur Integration betrachtet. Aktuelle Konzepte zur Sprachförderung mit Musik greifen damit Kompetenzbereiche auf, die bisher nur im Kita-Bereich angesiedelt waren, und ermächtigen nunmehr alle MusikpädagogInnen – ungeachtet ihrer spezifischen Fachausbildung – zu einer Sprachförderung mittels Musik.2 Im Jahr 2018 wurden bundesweit mehrere Fachtagungen zur Thematik „Musik und Sprache“ veranstaltet, die sich nicht nur, aber auch an Musikschullehrkräfte richteten. Hierbei stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die in den Workshops angebotenen Umgangsweisen mit Musik wie Singen, Bewegung oder Body-
percussion seriöserweise mit dem Etikett „sprachfördernd“ versehen werden können und wie kompetent Musikschullehrkräfte, die sich in ihrer Ausbildung mit Sprache nicht auseinandergesetzt haben und bestenfalls im Rahmen von Projekten oder Fachtagungen wenige Stunden fortgebildet werden, zur Vermittlung sprachlicher Kompetenzen sind.
Was ist Sprachförderung? Um diese Frage zu beantworten, wäre zuallererst zu klären, was im Rahmen einer „Sprachförderung mit Musik“ unter Sprachförderung bzw. Sprachkompetenz überhaupt jeweils verstanden wird,3 das heißt welches theoretische Sprach- oder Sprachkompetenzmodell dahinter steht und welche sprachlichen Kompetenzen mittels welcher musikalischen Betätigung gefördert werden können. Im nächsten Schritt wäre zu überlegen, ob die Konzeption der sprachfördernden Maßnahmen kurativen oder präventiven Charakter haben soll, sich also explizit an eine Zielgruppe mit bereits bestehendem Sprachförderbedarf richtet, oder ob an der Sprachförderung sowohl Lernende mit als auch ohne Sprachförderbedarf teilnehmen sollen (z. B. ganze Schulklassen oder Kita-Gruppen, unabhängig vom aktuellen Sprachstand der einzelnen Teilnehmer). In einem dritten Schritt müssten für verschiedene Qualifikationsbereiche wie formalsprachliche (z. B. phonische, semantische, morpho-syntaktische Qualifikation) bzw. andere Bereiche (Interaktion: Anbahnung von Sprechlust/Abbau von Ängsten; Verhalten in kommunikativen Situationen) Ziele festgelegt werden, die auf der Basis des möglicherweise bestehenden und zuvor ermittelten (!) Förderbedarfs im Zeitraum X mit der Fördermaßnahme
erreicht werden sollen. Zur Überprüfung, ob die gesetzten Ziele durch die Fördermaßnahme erreicht wurden, wären Sprachtests oder andere Verfahren zu Beginn und nach Abschluss der Förderung durchzuführen und möglichst mindestens eine Kontrollgruppe zum Vergleich heranzuziehen. Da dies teuer und aufwändig ist, erfolgt dies jedoch in der Regel nicht und wird auch von denjenigen, die über die Vergabe von finanziellen Mitteln für musikorientierte Sprachfördermaßnahmen entscheiden, nicht eingefordert. Den Entscheidungsträgern scheint es zu genügen, wenn irgendetwas mit Musik gemacht wird, das vielleicht zur Entwicklung der Sprachkompetenz beiträgt; ein echtes Erkenntnisinteresse ist meist jedoch nicht vorhanden.
Musikschullehrkräfte als SprachlehrerInnen? Doch nicht nur die mangelnde Evaluation, sondern auch die Qualifikation der sprachfördernden MusikpädagogInnen gibt Anlass zu Bedenken. MusikpädagogInnen haben, sofern sie keine RhythmikerInnen oder EMP-Fachkräfte sind, weder eine linguistische noch eine sprachdidaktische Ausbildung durchlaufen. Wie also sollen sie die Sprachentwicklung fördern, ohne über ein entsprechendes Grundlagenwissen, das kaum in einigen wenigen Fortbildungsstunden vermittelbar ist, zu verfügen? Wie sollen sie sprachdiagnostisch tätig werden – denn die Voraussetzung für „Förderung“ ist Diagnose –, wie sprachdidaktische Methoden und Strategien anwenden und die an der Sprachförderung Teilnehmenden mittels einer entsprechenden Unterrichtsplanung systematisch in die jeweilig nächste „Zone ihrer sprachlichen Entwicklung“4 führen?
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Nicht ohne Grund sind die Kompetenzanforderungen, die im Bereich der Sprachförderung an allgemeinbildenden Schulen an die Lehrkräfte gestellt werden, äußerst umfangreich. Sie beziehen linguistisches Grundlagenwissen, die Kenntnis von Sprachentwicklungsverläufen in der Erst-, Zweit- und Fremdsprache, Wissen über Abweichungen von der normalen Sprachentwicklung inklusiv Sprachstörungsbilder und Ursachen von Sprachstörungen, die Fähigkeit zur Anwendung sprachunterstützender Strategien, Methoden und Methodenwerkzeuge, sprachdiagnostische Fähigkeiten, Diskurssteuerungsfähigkeiten und die Reflexion eigener Spracheinstellungen ein. In der Lehrerbildung nimmt das Thema „Sprachbildung“ somit einen erheblichen Raum ein, der auch für die Qualifikation von MusikpädagogInnen wünschenswert wäre. Vor allem sollte die Fortbildung selbst ebenfalls von qualifizierten SprachdidaktikerInnen durchgeführt werden.
Schreiben (und nicht durch Singen oder Bewegen) lernt. Insofern ist es angebracht, auch Lese- und Schreibaufgaben konzeptionell mit Musik zu verknüpfen, sofern die Lernenden in einem Alter sind, in denen sie bereits alphabetisiert sind oder werden. Nicht zuletzt stellt sich schließlich auch die Frage, inwiefern die Musiklehrkräfte in der Lage sind, ihren eigenen Sprachgebrauch dem jeweiligen Sprachstand einer Lerngruppe anzupassen. Ist das eigene Sprachniveau zu hoch (z. B. aufgrund einer bildungssprachlichen Ausdrucksweise, zu langer Sätze, zu schnellen Sprachtempos, wenig modulierter Stimme), wird die Lehrkraft von den Lernenden nur schwer verstanden. Ist das Sprachniveau hingegen zu niedrig oder verfällt die Lehrkraft gar selbst in Zweiwortsätze, spricht sie übertrieben langsam oder laut, ist dies kein Sprachvorbild, an dem die Lernenden sich orientieren können.
Fazit Singen und Bewegen reichen nicht In den vergangenen Jahren sind im Kontext einer musikorientierten Sprachförderung zahlreiche Unterrichtsmaterialien, vor allem Liedsammlungen, erschienen. Sie können ohne Frage gute Impulse geben, ersetzen aber keinen expliziten Sprachunterricht und ermöglichen in den meisten Fällen auch kein aufeinander aufbauendes systematisches Sprachlernen. Vor allem ist es mit Singen und Bewegen allein nicht getan, denn die Sprachentwicklung vollzieht sich in den vier Bereichen Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben gleichermaßen. Nicht von ungefähr heißt es daher in der Sprachdidaktik, dass man Lesen nur durch Lesen und Schreiben nur durch
Die bisherige Bilanz einer musikorientierten Sprachförderung, die von MusikpädagogInnen durchgeführt wurde, zeigt, dass sich über die tatsächlichen sprachlichen Lernerfolge so gut wie keine Aussagen treffen lassen, da diese nur in den seltensten Fällen seriös evaluiert wurden. Beobachtet wurde hingegen mehrfach,5 dass Musik sich offenbar förderlich auf die Emotion, Motivation, Anstrengungsbereitschaft und Konzentration auswirkt. Das sind ohne Frage Bereiche, in denen gerade schwache Sprachlernende oft Probleme haben. Wie sehr sie sich tatsächlich auf das sprachliche Lernergebnis niederschlagen, ist jedoch ungewiss. Damit kann bisher nicht als belegt gelten, dass die in der Sprachförderung tätigen MusikpädagogIn-
nen tatsächlich einen Beitrag zur Sprachentwicklung und damit zur Integration leisten. Solange seriöse Evaluationen fehlen, bleibt nur die Gewissheit, dass, selbst wenn eine von MusikpädagogInnen durchgeführte Sprachförderung im Hinblick auf die sprachliche Entwicklung möglicherweise nur wenig nützt, Singen und Bewegen zumindest auch noch niemandem geschadet haben. ((
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Ob dies tatsächlich so ist, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. 2 vgl. das Konzept „Lieder zum Ankommen“ von Ursula Kerkmann oder das Projekt „SingenBewegen-Sprechen“ in Baden-Württemberg. 3 So ergab die Abfrage des Begriffsverständnisses von „Sprachförderung“ auf einem Workshop der Autorin, dass die TeilnehmerInnen sehr unterschiedliche Perspektiven vertraten: Stand bei einigen die formalsprachliche Perspektive (Sprache als System) im Vordergrund, ging es anderen eher um die soziale Interaktion oder um Sprache als Identität – entsprechend vielfältig waren die individuellen Zielsetzungen, die jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Lernstand in einer Lerngruppe betrachtet wurden. 4 vgl. Lew S. Wygotski: Denken und Sprechen, Berlin, 1934 (dt. 1971). 5 z. B. Franziska Degé/Gudrun Schwarzer: „The effect of a music program on phonological awareness in preschoolers“, in: Frontiers in Psychology, 2011, www.frontiersin.org/articles/ 10.3389/fpsyg.2011.00124/full (Stand: 16.5.2019) und Iris Rautenberg: Musik und Sprache: Eine Längsschnittstudie zu Effekten musikalischer Förderung auf die schriftsprachlichen Leistungen von GrundschülerInnen, Baltmannsweiler 2012.
Dr. Anja Bossen ist Vertretungsprofessorin für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Universität Potsdam mit den Forschungsschwerpunkten „Musikalische Bildung“, „Sprachbildung“ und „Interdisziplinäres ästhetisches Arbeiten“.
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Diversität und kein Ende
Katharina Bradler und Sebastian Herbst
Gedanken zu Anforderungen an Musik(schul)lehrende Heterogenität als Chance begreifen! So lauten nicht nur zahlreiche Buchtitel im pädagogischen Bereich, sondern vor allem Forderungen in Positionspapieren und Resolutionen.1 Auch für Musikschullehrende gilt es – nicht zuletzt im Zuge von Debatten um vermehrte Zuwanderung –, „mit Vielfalt produktiv umzugehen“ und den Unterricht „inklusiv“ auszurichten. Doch was genau bedeutet dies? Diese Frage beschäftigt uns schon länger, nicht zuletzt, weil wir im Rahmen instrumentalpädagogischer Tätigkeiten und Lehrtätigkeiten an Hochschulen zunehmend mit ihnen konfrontiert werden und uns dabei stets ein Gefühl beschleicht, etwas Bestimmtes im Unterricht leisten zu müssen.
Katharina Bradler
)) Als ich vergangenes Jahr die Einladung als Mentorin zur DoktorandennetzwerkTagung des Arbeitskreises für musikpädagogische Forschung erhielt, freute ich mich, diese Thematik in eine Runde von erfahrenen MusikpädagogInnen aus unterschiedlichen Bereichen hineintragen sowie diskutieren zu dürfen und neue Anreize zu erhalten. Die nachfolgenden Ausführungen berichten von dem Seminar im Oktober 2018 – aus Sicht der Seminarleitung (Katharina Bradler) sowie der Perspektive eines Teilnehmenden und damaligen Mitglieds der Leitung des Doktorandennetzwerks (Sebastian Herbst). Zu Beginn des Seminars stand ein Impulsvortrag, der die zentralen Begriffe „Diversität“, „Heterogenität“ und „Inklusion“ beleuchtete und kritisch hinterfragte. Zentral waren keine bestimmten (Forschungs-) Theorien, sondern Fragen, die sich durch die Beschäftigung mit dem Thema ergaben.
1. Diversität Der Begriff ist dem Englischen („diversity“) entnommen und wird im Deutschen häufig mit Vielfalt übersetzt. Er geht auf die amerikanische Bürger- und Menschenrechtsbewegung zurück. Damit verbunden sind die Forderung nach Gleichstellung aller Menschen und das Abwenden von Diskriminierungen. Eine normative Aufladung ist hier spür- bzw. lesbar. Bernd Clausen spricht deshalb von einer „Gerichtetheit“,2 die nicht zuletzt durch die UN-Konvention für Kulturelle Vielfalt unterstützt wird: Vielfalt ist gut, birgt Nutzen und Chancen. Gleichzeitig hat der Diversity-Diskurs seine Wurzeln in der Betriebswirtschaft. Problematisch erscheinen mir daher folgende Aspekte: a) Es wird gerade in pädagogischen Kontexten ein gewisser Druck erzeugt, auf Diversität eingehen und diese ermöglichen zu müssen. Damit verbundene Handlungskonsequenzen sind jedoch unklar – und möglicherweise in gewünschtem Sinn ohnehin nicht verwirklich- bzw. umsetzbar.3 b) Die Idee der Förderung von Diversität ist historisch (und heute?)4 an Profitsteigerung gekoppelt. c) Gerade im Diversity-Diskurs werden Anerkennungslinien gezogen: Durch die Nennung bestimmter Merkmale (z. B. Geschlecht, Religion) werden Abweichungen überhaupt erst hervorgehoben5 und damit immer auch manifestiert.
2. Heterogenität Dieser Begriff ist ähnlich wie Inklusion nicht ohne seinen „Gegenpart“ zu denken, nämlich Homogenität. Unter Heterogenität ist „die Uneinheitlichkeit der Elemente einer Menge hinsichtlich eines oder mehrerer Merkmale“ bzw. in der Pädagogik die
„Unterschiedlichkeit hinsichtlich verschiedener Merkmale, die als lernrelevant eingeschätzt werden“6 zu verstehen. Es bedarf also stets eines tertium comparationis.7 Nicht selten wird Heterogenität jedoch als etwas Gegebenes, Objektives und nicht als etwas Gemachtes betrachtet. So erscheint auch der Begriff „heterogene Gruppe“ fragwürdig: Werden die Individuen betrachtet, ist eine Gruppe immer heterogen, da jedes Mitglied unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt. Zudem ist eine Lerngruppe immer heterogen und homogen zugleich, weil es sich jeweils um „zugeschriebene Eigenschaften von Gesamtheiten“8 handelt: In einem Blockflötenunterricht bilden die Kinder vielleicht hinsichtlich ihres Alters eine homogene Gruppe, hinsichtlich der musikalischen Vorstellungswelten jedoch sind die Mitglieder heterogen. Die pädagogische Forderung, mit Heterogenität produktiv umzugehen, erscheint vor diesem Hintergrund problematisch: Es kommt auf die Perspektive an. Gerade weniger offensichtliche Fähigkeiten von SchülerInnen (bestimmte Hörfähigkeiten, verbale oder körperliche Ausdrucksfähigkeit von Spannungsverläufen o. Ä.) können bei der wiederholten Setzung von „üblichen“ Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Haltung, Spieltechnik leicht übersehen werden.
3. Inklusion Auch dieser Begriff geht auf das Englische („inclusion“) zurück. Vor rund 20 Jahren wurde er ins Deutsche übertragen, weil es für diesen „Prozess der Gestaltung einer Gesellschaft, in der jeder Mensch gleichberechtigt und selbstbestimmt an allen Teilbereichen der Gesellschaft teilhaben kann“9 keinen passenden Ausdruck zu ge-
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Gleich oder verschieden? Was trennt diese Kinder, was verbindet sie? Im Musikunterricht bilden die Kinder vielleicht hinsichtlich ihres Alters eine homogene Gruppe, hinsichtlich der musikalischen Vorstellungswelten jedoch sind die Mitglieder heterogen.
ben schien. Zur Veranschaulichung des Begriffs findet sich in Prospekten, Büchern und im Internet häufig ein Bild, das Individuen, dargestellt anhand bunter Punkte, in eine Gemeinschaft „einschließt“ (lat. includere).10 Beim Anblick dieser Grafik frage ich mich: Wer zieht hier den Kreis – und um wen? Wer färbt die Punkte? Muss Gemeinschaftbilden immer durch ein Geschlossensein gekennzeichnet sein? Ist nicht das Gemeinschaftbilden selbst ein Prozess der Homogenisierung? Warum ist Homogenisierung per se schlecht? Wer darf nicht teilhaben? Wie sind die Grenzen der Individuen zu verstehen – wenn das Bedürfnis des einen an der Grenze des anderen scheitert? Die kritische Auseinandersetzung mit den hier dargestellten Begriffen zeigt: Die Forderungen an Musik(schul)lehrkräfte sind nicht ohne Weiteres umsetzbar. Hinter den Begriffen verbergen sich vielfältige Fragen bis hin zu kontroversen Diskursen, aus denen nur schwer konkrete methodischdidaktische Konsequenzen abgeleitet werden können. Gerade die normative Aufladung der Begriffe verkennt, dass Diversität (Vielfalt, Verschiedenheit) anzustreben möglicherweise nicht in sämtlichen Kontexten sinnvoll ist. Die Frage scheint mir vielmehr, ob diese Ausschlussprinzipien, das heißt Grenzziehungen regelmäßig hinterfragt und möglicherweise aufgebrochen bzw. dynamisch gedacht werden können. Auch Heterogenität ausschließlich positiv zu bewerten, ist angesichts der Tatsache, dass Heterogenität immer auch Ansichtssache ist, wenig gewinnbringend. Ähnlich
lässt sich Inklusion schwerlich ohne Exklusion denken: Wenn es Einschlüsse in Gemeinschaften gibt, gibt es immer auch entsprechende Ausschlüsse. Meines Erachtens bedarf es daher einer Verschiebung der Fragestellung und des Blickwinkels auf vermeintliche „Probleme“ (die etwa mit Stichwörtern wie Migration u. Ä. verbunden sind) – und zwar auf einen Zwischenraum, einen Raum, in dem die Grenzziehungen selbst sichtbar gemacht und thematisiert werden. Hierzu gehört auch, Inklusion oder „den Umgang mit“ Heterogenität weniger additiv zu verstehen als etwas, das bisher nicht zum Berufsbild von MusikpädagogInnen dazu gehörte, nun aber hinzukommt. Hinter den eingangs genannten Forderungen an Lehrende verbergen sich ausnahmslos Situationen, die den Bezug zu anderen thematisieren. Es geht um Unterschiede, Intersubjektivität und die Begegnung mit (dem) Fremdem. Statt methodisch etwas Bestimmtes umsetzen zu wollen („Ich gebe meinen SchülerInnen unterschiedliche Aufgaben, deswegen gehe ich auf Diversität ein“), erscheint es mir sinnvoller, Differenz und Differenzerfahrungen zu betrachten. Dadurch dass wir Trennung und Differenz verneinen (siehe z. B. Projekttitel wie „Musik verbindet“), kann sie sich noch verschärfen. Wenn Jugendliche mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen miteinander musizieren, kann Musik nicht nur verbinden, sondern auch trennen und Überlegenheiten herausstellen.11 Der Bezug zu anderen, das Sich-Beziehen und ReAgieren aufeinander hat unweigerlich et-
was mit Dominanz zu tun. Dieter Mersch formuliert es folgendermaßen: „Verständnis oder Versöhnung wie die Fortsetzung des Dialogs können ihrerseits zu Gewalt werden: Sie zensieren die Kluft, zähmen das Unlösbare und glätten die Unterschiede. Sie nivellieren ein Stück weit die Andersheit des Anderen, die sich als Spaltung, als Abgrund zeigt und sich nicht versöhnen lässt.“12 Hierauf müsste meines Erachtens sensibler eingegangen werden. Was ist mit dem Unlösbaren? Mit dem „Abgrund“, dem NichtVerstehbaren? Fruchtbare Überlegungen – ohne einen „Lösungsanspruch“ erheben zu wollen – scheinen mir hier zu sein: a) die Prozesse selbst (des Bezugnehmens, der Grenzziehung etc.) aus phänomenologischer Sicht zu erörtern,13 b) Differenz als Denk-, Handlungs- und Geschehensraum14 zu definieren, Grenzziehungen bzw. Differenzen nicht als scharfe Trennlinie, sondern als dynamisch zu erachten,15 c) Anerkennung nach Nicole Balzer und Norbert Ricken16 als analytisch zu betrachten, das heißt Anerkennungsprozesse zu thematisieren statt Anerkennung als ausnahmslos positiv zu bewerten, d) Musizieren sowie Unterrichten als performativen Akt zu verstehen, das Musizieren als Ereignis zu deuten, das unwiderruflich, schwer beschreibbar ist und auch Dominanz- bzw. Machtverhältnisse zeigt. Die hier skizzierten Überlegungen, Ideen und Vorschläge bat ich die DoktorandInnen zu diskutieren. Als Grundlage formulierte ich folgende Fragen: Was ist Differenz? Was bedeutet Differenz in Musik-
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(schul)kontexten? Wie kann ein Perspektivenwechsel aussehen? Jenseits von Diversity-Kategorien? Ist ein Denken, Sprechen und Handeln jenseits von Kategorien überhaupt möglich? Wie können Lehrende mit der „Spaltung“, dem „Abgrund“ (Mersch) umgehen? Mit der Nicht-Steuerbarkeit bzw. dem Widerfahrnis von (musikalischen/unterrichtlichen) Ereignissen? Wie gelange ich von einer phänomenologischen bzw. deskriptiven auf eine normative Ebene? Und vice versa? Sebastian Herbst
Aus der Diskussion In der Diskussion wurde deutlich, dass das Nachdenken, Austauschen und Diskutieren über die Verwendung von Begriffen wie Inklusion, Heterogenität und Diversität, die immer auch einen normativen Kern in sich tragen, von großer Bedeutung ist. Gegenwärtig erfährt zum Beispiel der Inklusionsbegriff durch die nicht immer gelungene politische Ausgestaltung häufig Ablehnung im Diskurs. Und während Heterogenität vielleicht eher als Zustand verstanden wird, wird Diversität möglicherweise als Umgang mit Vielfalt verstanden, in dem ein Prozess in den Blick genommen wird, der diese Vielfalt nutzbar macht. Differenz lässt sich jedoch auch negativ verstehen, weist es in der Mathematik doch auf das Ergebnis einer Subtraktion hin und drückt nicht zuletzt auch die Entfernung von zwei Orten, Gegenständen oder Personen zueinander aus. Sehr wohl ist es natürlich aber auch möglich, diese Differenz positiv zu verstehen, denn Differenz in der Bedeutung, dass etwas auseinandergetragen wird, bedeutet zugleich, dass auch wieder etwas zusammengetragen werden kann. Die recht kontroversen Diskurse wahrzunehmen und zu reflektie-
ren ist für die pädagogische sowie bildungspolitische Arbeit unerlässlich. Negative, aber auch extrem positiv aufgeladene Begriffe erweisen sich dabei oft als problematisch. In der Diskussion unter den DoktorandInnen schien zum Beispiel der Diversitätsbegriff ein eher neutraler Begriff zu sein, mit dem weniger emotional aufgeladen operiert werden kann. Neben einer diskursanalytischen Betrachtung der Begriffe stellt sich für die unterrichtliche Praxis jedoch die Frage, welche Differenzen überhaupt relevant für unterrichtliches Handeln im Musik(schul)unterricht sind und welche Kriterien für Differenz dabei angelegt werden. Haben sich die relevanten Differenzmerkmale für den Musik(schul)unterricht eventuell verändert oder verstärkt? Und inwiefern hängt vielleicht auch eine Veränderung des Bewusstseins dafür mit der Wahrnehmung von Differenz zusammen? Wichtig ist hier eine Sensibilisierung der Lehrenden auf dieser Ebene, denn SchülerInnen können in ganz unterschiedlicher Weise anders sein. Jeder trägt mehrere Andersheiten in sich, sodass von einem abgeschlossenen Identitätsbegriff Abstand zu nehmen ist. Die leistungsbezogene Einteilung der SchülerInnen in den sogenannten Kernfächern der Schule gilt beispielsweise in keiner Weise ausnahmslos für den Musikschulunterricht. Ebenso lassen sich kaum verallgemeinerbare Aussagen über Handlung im Unterricht treffen. Situationen müssen ausgehalten werden und sind im situativen Moment neu zu klären. Eine angemessene Haltung von Lehrenden wird diejenige sein, die Differenz dynamisch lebt. Daher gilt es, Lehrende in Wahrnehmung und Reflexion zu schulen, wobei hier insbesondere der Blick auf Sprache und Kommunikation wesentlich ist.
Das soll jedoch nicht heißen, dass man nicht auch etwas komisch oder irritierend finden dürfte. Differenz muss auch nicht immer zwangsweise ausgehandelt werden, vor allem nicht mit dem zwingenden Ziel der Versöhnung und Angleichung, denn genau das macht Identitäten aus. Und schließlich stellt sich noch die Frage, warum Exklusion nicht eigentlich auch ok ist? Wichtiger scheint doch die Beschäftigung damit zu sein, wie ich Exklusion, Exklusionsprozesse sowie Exklusionskriterien betrachte, verstehe, aushandle und mit diesen umgehe. Auch Exklusion lässt sich eben dynamisch im Sinne von Differenz verstehen, indem man akzeptiert, dass etwas anders sein kann, dieses Anderssein aber veränderbar ist. Katharina Bradler und Sebastian Herbst
Ausblick Was nehmen wir aus dieser Diskussion mit? Das Gespräch hat bestätigt, dass es keine Rezepte für gelungenen Unterricht geben kann und die vermeintlichen (An)Forderungen an Musikschullehrende differenziert besprochen und behandelt werden müssen. Ein wesentlicher Aspekt in Unterrichtssituationen ist und bleibt die Kommunikation – etwa mit SchülerInnen und Eltern. Aber auch über die Unterrichtssituation hinaus spielt diese eine entscheidende Rolle: So sind Gespräche mit KollegInnen und auf institutioneller Ebene ebenso wichtig. Der Wert sich beispielsweise in Form von kollegialem Austausch oder kollegialen Beratungen gemeinsam auf eine Metaebene zu begeben, kann hier kaum überschätzt werden – gerade im Hinblick darauf, dass Kommunikation immer auch Machtstrukturen widerspiegelt. Es ist daher außerdem wichtig, aus den „eigenen“ Musiker-/Künstler-Kreisen he-
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„Werden die Individuen betrachtet, ist eine Gruppe immer heterogen, da jedes Mitglied unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt. Zudem ist eigentlich eine Lerngruppe immer heterogen und homogen zugleich.“ rauszutreten und zum Beispiel mit PolitikerInnen ins Gespräch zu kommen. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, Begriffe weniger normativ aufzuladen? Sodass Lehrende nicht zum „schlechten Menschen“ werden, wenn sie exkludieren? Oder nicht mit einer „Umsetzungsrolle“ behaftet werden, in der es vermeintliche Programme, Methoden o. Ä. auszuführen gilt. Dazu gehört auch, Akzeptanz für die Tatsache zu entwickeln, dass ein komplett diskriminierungsfreies Agieren kaum möglich ist – weder im Unterricht noch darüber hinaus. Ein wichtiges Element der Musikschullehrerbildung sollte darüber hinaus Reflexion mit dem Ziel der Herausbildung von Musikschullehrenden als kompetente und reflexive PraktikerInnen sein.17 Sie ist entscheidend für professionelles Handeln, indem sie Lehrenden ermöglicht, Herausforderungen der Praxis durch die Entwicklung von Handlungsalternativen selbst zu bewältigen18 sowie in den nicht-standardisierbaren und durch Antinomien geprägten Unterrichtssituationen handlungsfähig zu bleiben.19 Weiter gilt es zu bedenken: Auch heute noch ist der Diskurs um Chancengleichheit (auch in der Musikpädagogik) oft an Wirtschaftsakteure gekoppelt, die diesen entscheidend mitprägen: Fördergelder werden für bestimmte musikalische Projekte vergeben und arbeiten mit entsprechenden (normativen) Surrogaten (etwa Musik als „Heilsbringerin“, die alle Menschen miteinander verbindet). Hier gilt es vonseiten der musikpädagogischen Akteure, sich entsprechend zu positionieren und zu versuchen, steuernd einzugreifen, das heißt systemkritisch zu sprechen und zu handeln. Von dem eingangs angesprochenen Gefühl, etwas Bestimmtes leisten zu müssen, sollten sich Lehrende entlasten und mit
Selbstvertrauen und Verstand den eigenen Unterricht sowie die künstlerische Praxis stetig weiterentwickeln. Zentral hierfür sind die Reflexion der eigenen Haltung und der eigenen Wahrnehmung. ((
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s. z. B. Papiere des VdM: Grundsatzprogramm 2016, www.musikschulen.de/medien/doks/vdm/ grundsatzprogramm.pdf (16.10.2017); Leitbild der öffentlichen Musikschulen im Verband deutscher Musikschulen (VdM) 2015, www.musikschulen.de/ medien/doks/Positionen_Erklaerungen/leitbild_ vdm-musikschulen.pdf (19.07.2016); Potsdamer Erklärung 2014, www.musikschulen.de/medien/ doks/vdm/potsdamer_erklaerung_inklusionspapier.pdf (16.10.2017). 2 Bernd Clausen: „‚Vielfalt’ in musikpädagogischen Diskursen“, in: Birgit Jank/José A. RodríguezQuiles: Perspektiven einer Interkulturellen Musikpädagogik, Potsdam 2009, S. 132. 3 zum Aspekt der Umsetzbarkeit siehe Franz Kaspar Krönig: „Inklusive Musikpädagogik in der verwalteten Welt. Vom ‚Umgang mit’ Vielfalt“, in: Katharina Bradler (Hg.): Vielfalt im Musizierunterricht. Theoretische Zugänge und praktische Anregungen, Mainz 2016, S. 121-133. 4 „Zur Verbindung von Forderungen nach Diversität und Wirtschaftsakteuren“ siehe Franz Kaspar Krönig, in: Ivo Ignaz Berg/Hanna Lindmaier/Peter Röbke: Vorzeichenwechsel, i. V. 5 vgl. hierzu Johann Honnens, Johann: „Verbindet Musik? Annerkennungstheoretische Überlegungen zum Leitbild der Musikschulen“, in: Bradler, a. a. O., S. 93-105 sowie Katharina Bradler: „Vielfalt als Chance! Auch (k)eine Lösung? Einige kriische Anmerkungen zu gegenwärtigen Forderungen in der Musikpädagogik“, in: Berg/Lindmaier/ Röbke, ebd. 6 Karlheinz Rebel: Heterogenität als Chance nutzen lernen, Bad Heilbrunn 2011, S. 15. 7 vgl. Katharina Walgenbach: Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft, Opladen 2014, S. 13. 8 Thomas Ott: „Heterogenität und Dialog. Lernen am und vom Anderen als wechselseitiges Zuerkennen von Eigensinn“, in: Diskussion Musikpädagogik 55/2012, S. 4. 9 Irmgard Merkt: „Inklusion üben – und musizieren. Breitenbildung, Talentförderung und Professionalisierung von Menschen mit Behinderungen an Musikschulen“, in: üben & musizieren 1/2016, S. 16. 10 http://inklusion-verein.de/der-verein/inklusion 11 s. hierzu Honnens, a. a. O. 12 Dieter Mersch: „Die Frage der Alterität. Chias-
mus, Differenz und die Wendung des Bezugs“, http://dieter-mersch.de/Texte/PDF-s (26.7.2018), S. 4, Hervorhebung im Original. 13 s. ausführlicher hierzu in Bradler 2019 (i. V.). 14 s. hierzu Bradler 2016 und Bradler 2019 (i. V.). 15 mehr hierzu auch in Bradler 2019 (i. V.). 16 Nicole Balzer/Norbert Ricken: „Anerkennung als pädagogisches Problem. Markierungen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs“, in: Alfred Schäfer/Christiane Thompson (Hg.): Anerkennung, Paderborn 2010, S. 35-87. 17 vgl. Sebastian Herbst: „Praktische Theorie und theoretische Praxis forschend entdecken. Perspektiven und Möglichkeiten des (musik-)unterrichtlichen Kompetenzerwerbs Lehramtsstudierender im Rahmen des Praxissemesters“, in: Thomas Krettenauer/Hans-Ulrich Schäfer-Lembeck/Stefan Zöllner-Dressler: Musiklehrer*innenbildung: Veränderungen und Kontexte. Beiträge der Kooperativen Tagung 2018, München 2018, S. 266. 18 Sebastian Herbst: „‚Auf viele Ideen wäre ich alleine nicht gekommen’. Veränderung individueller Entwicklungsziele durch Video(selbst)analyse und Kollegiale Fallberatung im Praxissemester“, in: Maria Degeling/Nadine Franken/Stefan Freund/ Silvia Greiten/Daniela Neuhaus/Judith Schellenbach-Zell (Hg.): Herausforderung Kohärenz: Praxisphasen in der universitären Lehrerbildung. Bildungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven, Bad Heilbrunn, i. V. 19 vgl. Mandy Schiefner-Rohs: „Forschendes Lernen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Möglichkeiten der Verbindung zwischen Hochschule und Schule sowie Theorie und Praxis“, in: Peter Tremp (Hg.): Forschungsorientierung und Berufsbezug im Studium. Hochschulen als Orte der Wissensgenerierung und der Vorstrukturierung von Berufstätigkeit, Bielefeld 2017, S. 180.
Dr. Katharina Bradler ist Professorin für Musikpädagogik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.
Sebastian Herbst ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Musik und ihre Didaktik sowie am Institut für Begabungsforschung in der Musik der Universität Paderborn.
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Solmisation als Zeichensatz
Jörg Sommerfeld
Eigene Zeichensätze für Notensatz und Textverarbeitung selbst herstellen Viele Lehrkräfte erstellen eigene Unterrichtsmaterialien. So lassen sich persönliche Unterrichtskonzepte umsetzen, vor allem aber kann man mit eigenem Material auf Wünsche und Notwendigkeiten der jeweiligen Schülergruppe viel besser eingehen als mit gekauften Lehrwerken.
)) Instrumentallehrkräfte nutzen zum Notenerstellen meist eine Notensatzsoftware, im Bereich der Elementaren Musikpraxis kommen auch Grafikprogramme oder eine Textverarbeitung zum Einsatz. Dabei ist die Darstellungsqualität solcher am Computer selbst erstellten Materialien oft schon
Der Schriftsatz „Solmisation“ Der TrueType-Font „Solmisation“ steht auf www.addizio.de/solmisation kostenlos zur Verfügung. Dort findet sich auch eine genaue Beschreibung der Tastenbelegung. Auf den meisten Betriebssystemen wird der Zeichensatz einfach mit einem Doppelklick installiert und steht danach (eventuell nach einem Neustart des Computers) als Schrift in allen Programmen zur Verfügung. Die grundsätzliche Belegung ist „Do-Ti“ auf der Tastenreihe „y-m“, Varianten der Handzeichen teilweise mit Hochstelltaste (shift). Alterationen belegen die Tasten darüber, Tiefalterationen (also B-Vorzeichen) dabei mit Hochstelltaste, Hochalterationen (#-Vorzeichen) ohne. Der Zeichensatz darf (bitte mit Quellenangabe) auch in Publikationen kostenlos verwendet werden.
sehr hoch, in der Regel viel besser als zum Beispiel ein handschriftlich erstelltes Arbeitsblatt. Dennoch stößt man schnell an die Grenzen solcher Programme, wenn es um die Darstellung spezieller musikpädagogischer Themen geht. Griffbilder für Holzblasinstrumente, Dirigierzeichen, Ausdruckssymbole,1 Bogentechnik bei Streichinstrumenten, Symbole für Orff-Instrumente und Ähnliches lassen sich allerdings mithilfe von speziellen Schriftsätzen (englisch Font, genauer TrueType-Font2) per Tastendruck in jedes beliebige Computerprogramm integrieren. Leider gibt es nicht viele entsprechende Zeichensätze auf dem Markt. Dabei ist der Aufwand der Herstellung solcher Spezialfonts überschaubar, der Nutzen für die Unterrichtsvorbereitung jedoch enorm. Dies möchte ich hier an einem selbst erstellten Font für Solmisationsgesten der TonikaDo-Methode3 dargestellen. Der Font steht kostenlos zum Download zur Verfügung und darf auch für eigene Publikationen verwendet werden (siehe Kasten links).
Solmisationszeichen Bei der Entwicklung von Noten für Streichinstrumente fiel auf, dass Instrumental-
lehrkräfte dieser Fächer gerne auch Solmisationsgesten in Noten für AnfängerInnen sehen wollen. Daher wurden zunächst aus verschiedenen Quellen entsprechende Handgesten zusammengetragen, dann ihre Darstellung mit einem Grafikprogramm vereinheitlicht und zuletzt mithilfe einer speziellen Internetseite zu einem Font zusammengefasst. Nach Installation des Schriftsatzes „Solmisation“ kann nun jede der Handgesten per Tastendruck in jedem beliebigen Computerprogramm dargestellt werden. Bei der Recherche ist auch eine interessante Übersichtstabelle gängiger Handgesten und Solmisationsilben entstanden (Abb. 1 rechts).
Einsatzmöglichkeiten Ist der Zeichensatz einmal installiert, kann eine Abfolge von Handgesten nach dem Auswählen der Schrift „Solmisation“ einfach per Tastatur erzeugt werden. Eine Dur-Tonleiter entsteht dann durch das Tippen der Zeichenfolge „y x c v b n m y“ (Abb. 2), egal ob in Word, einem Malprogramm oder einer Notensatzsoftware. Bei Letzterer sollte der Schriftsatz „Solmisation“ in der Regel als Liedtext verwendet werden. So bleibt das Zeichen mit der je-
Abb. 2: Solmisationsgesten, eingefügt im Notensatz als Liedtext. Die Handgesten wurden mit den Tasten y x c v b n m y unter den Noten erzeugt.
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„Die Arbeitserleichterung, die ein Schriftsatz bei der Herstellung eigener Unterrichtsmaterialien bedeutet, wiegt nach kurzer Zeit den Aufwand seiner Herstellung auf.“ weiligen Note verbunden, auch wenn sich der Umbruch ändert. Das macht sogar dann Sinn, wenn die Noten selbst gar nicht mit angezeigt werden (Abb. 3). Vorsicht bei Programmen mit Autokorrektur: In Word beispielsweise gibt es die Standardeinstellung, dass Sätze mit einem Großbuchstaben beginnen. Die Software interpretiert dann auch grafische Zeichensätze als Text und ändert sie eigenständig. Die Autokorrektur sollte also deaktiviert werden. Durch die Verwendung von Fonts können ansprechende Arbeitsmaterialien für SchülerInnen sehr schnell hergestellt werden. Die Herstellung der Beispiele aus den Abbildungen hat weniger als zehn Minuten
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Quellen der Handzeichen und Silben 1
Ullrich Kallmeyer: Così si fa sol mi. Musiklehre und Gehörbildung mit Solmisation, Wiesbaden 2018. 2
Beispiel einer häufig verwendeten Darstellung auf US-Homepages: http://nmchoir.weebly.com/ curwen-hand-signs.html 3
Axel Christian Schullz: www.acs-music.de/shop/lehrposter/ poster-relative-solmisation 4
Martin Losert: „Einladung zum inneren Hören“, in: neue musikzeitung 2/2015.
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Anikó Baberkoff: www.doremius. de/Handzeichen/handzeichen.html 6
Josef Wenz: Musikerziehung durch Handzeichen. Neuformung eines alten Weges, Wolfenbüttel 1950. 7
Malte Heygster: Relative Solmisation, Mainz 2012.
Abb. 1: Übersicht mit den Handgesten, den vom jeweiligen Autor angegebenen Silben und in eckigen Klammern die Taste, mit der bei Auswahl des Zeichensatzes „Solmisation“ das Handzeichen aufgerufen wird. Groß- und Kleinschreibung müssen beachtet werden.4 Die hochgestellten Ziffern verweisen auf die Quelle des Handzeichens (siehe Kasten links).
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Abb. 3: „Bruder Jakob“ mit Fingersatz für Geige und Solmisationsgesten. Das Notensystem wurde komplett ausgeblendet, aber die Fingersätze und die als Liedtext eingefügten Handzeichen werden angezeigt.
Flöte
Oboe
Klarinette
Saxofon
Fagott
Abb. 4: Griffbilder für Holzblasinstrumente, hergestellt aus Zeichensätzen.7 Jedes Tonloch und jede Klappe entsprechen einem Buchstaben, der Schriftsatz positioniert diese dann eigenständig an die richtige Stelle. Der Fagottgriff entsteht zum Beispiel mit dem Zeichensatz „AKFagott“ durch die Eingabe von „01234567z“.
load. Eine Softwareinstallation ist nicht erforderlich. Wer sich vertieft mit dem Thema auseinandersetzt, kann mit professionellen Tools6 noch sehr viel weiterreichende Dinge erreichen, als das mit der Seite www.calligraphr.com möglich ist. Ein Beispiel sieht man in Abbildung 4. Die Arbeitserleichterung, die ein Schriftsatz bei der Herstellung eigener Unterrichtsmaterialien bedeutet, wiegt nach kurzer Zeit den Aufwand seiner Herstellung auf. Allerdings ist hier wie immer auch das Urheberrecht zu bedenken. Die Zeichnungen des Schriftsatzes „Solmisation“ sind bis auf wenige Ausnahmen von mir selbst hergestellt, die Zeichen aus Così si fa sol mi (in Abb. 1 die Quellennummer 1) durfte ich mit Genehmigung des Verlags einbauen. Falls Sie nun eigene Fonts entwickeln, freue ich mich über eine Nachricht an info@saxlehrer.de. Interessante Zeichensätze sollten im Internet möglichst auch anderen Lehrkräften verfügbar gemacht werden. ((
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vgl. Andreas Doerne: Umfassend Musizieren, Wiesbaden 2010, S. 148 ff. 2 TrueType ist ein Datenformat für Schriftsätze, das unter Windows, Mac OS und weiteren Betriebssystemen gleichermaßen verwendet werden kann. 3 Genaueres zu verschiedenen Handzeichensystemen ist nachzulesen bei Michael Dartsch: Musik lernen – Musik unterrichten, Wiesbaden 2017, S. 116-123. 4 Alle Zeichen werden dabei einheitlich mit der rechten Hand dargestellt, aus Sicht desjenigen, der die Zeichen angibt. Diese Darstellungsweise wurde in fast allen Quellen verwendet. 5 Diese Darstellungsweise ist bei Pop und Jazz auch im professionellen Bereich üblich. Leadsheets werden zum Beispiel häufig mit genau vier Takten pro Notenzeile erstellt. 6 Die Internetseite www.drweb.de/10-kostenlosetools-fuers-schriftdesign-56484 gibt einen Überblick. 7 vgl. www.addizio.de/true-type-fonts
gedauert. Zusätzlich gibt es noch weitere Details im Notensatz, mit denen Anfängernoten leichter lesbar gemacht werden können. Taktbezeichnungen oder Notenschlüssel können zum Beispiel ausgeblendet werden, um die Aufmerksamkeit von jungen SchülerInnen auf das Wesentliche zu lenken. Ebenso können die Darstellung von Taktstrichen und auch die Notenlinien ausgeschaltet werden. Aber auch der Umbruch spielt eine große Rolle bei der Lesbarkeit. Für Anfängernoten ist zum Beispiel eine gleichmäßige Taktzahl in allen Systemen hilfreich,5 weil dadurch rhythmische Proportionen besser erkennbar sind. Wie das einzustellen ist, muss den Anleitungen entnommen werden.
Eigene Fonts herstellen
erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
Redaktion: Sebastian Herbst und Rüdiger Behschnitt Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler
Einfache Schriftsätze, bei denen wie im Beispiel „Solmisation“ ein Symbol auf eine Taste gelegt wird, lassen sich ohne weitere Software direkt im Internet erstellen. Der Font „Solmisation“ wurde mithilfe der Seite www.calligraphr.com angefertigt. Dort kann man ein PDF-Formular mit einem freien Feld für jede Taste herunterladen und die gewünschten Symbole per Hand darin einzeichnen. Alternativ kann das PDF auch in ein Grafikprogramm importiert und den Tasten jeweils eine Grafik zugeordnet werden. Das Ergebnis wird wieder hochgeladen, und die Internetseite erstellt daraus einen TrueType-Font zum Down-
Jörg Sommerfeld ist Instrumentalpädagoge, Jazzsaxofonist, Autor und Leiter der Musikschule Monheim am Rhein. www.saxlehrer.de