musikschule )) DIREKT 4/2018

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4.2018 Inhalt

Forum für Honorarkräfte Die große Anzahl von Lehrenden an Musikschulen in prekären Beschäftigungen durch befristete Honorarverträge sowie die vielen damit verbundenen Nachteile sind hinlänglich bekannt. Und auch wenn der Verband deutscher Musikschulen vergangenes Jahr im Stuttgarter Appell die Träger seiner Mitgliedsschulen auffordert, „den Anteil angestellter Lehrkräfte kontinuierlich zu erhöhen, um […] die Qualität der öffentlichen Musikschulen zu gewährleisten“, sieht die Realität noch anders aus. So auch an der Rheinischen Musikschule Köln, die ihre Schülerzahl seit 1994 verdoppelt hat, jedoch faktisch den gleichen Etat von der Stadt Köln erhält. Gebührenerhöhungen sowie schlecht bezahlte Honorarverträge sind dann die Folge, sodass dort 67,5 Prozent der Lehrenden (Stand Oktober 2017) keinen festen Arbeitsvertrag haben. Die Honorarkräfte wollen das nicht hinnehmen und haben ein Forum gegründet, das sich in mehrfacher Hinsicht öffentlich für die Interessen der Honorarlehrkräfte engagiert (www.musik.verdi.de > Themen > Nachrichten > Forum für Honorarkräfte [04.05.2018]). In einer umfangreichen, online zur Verfügung gestellten Broschüre werden beispielsweise die persönliche und berufliche Situation der Honorarkräfte an der Rheinischen Musikschule Köln sowie die Konsequenzen für Musikschule, SchülerInnen und Eltern dargestellt und daraufhin klare Forderungen an die Stadt Köln formuliert: deutlich höhere Zuschüsse, Festanstellung nach Tarifvertrag oder vergleichbare Bezahlung, Honorarfortzahlung in den Ferien und bei Krankheit. Interessante Einzeldarstellungen wie etwa Modellrechnungen zum Nettostundenlohn oder zur Rente einer Honorarlehrkraft ergänzen die Broschüre. Darüber hinaus hat das Forum eine Online-Petition auf www.change.org ins Leben gerufen („Schluss mit prekärer Beschäftigung von Honorardozenten an der Rheinischen Musikschule Köln“), die bereits über 2 500 Mal unterschrieben wurde, und am 1. Mai 2018 auf dem Hans-BöcklerPlatz in Köln ihren Protest-Song „Lied der Honorarkräfte“ vorgetragen. Das engagierte Forum für Honorarkräfte, das sich gemeinsam stark macht für eine bessere berufliche Perspektive, ist vorbildlich und lädt zum Nachahmen ein. Es ist zu hoffen, dass die Aktivitäten des Forums Gehör finden und die nächsten musikschulpolitischen Entscheidungen bezüglich der Honorarverträge dann in Anlehnung an das „Kölsche Grundgesetz“ weniger im Sinne des ersten Paragraphen – „Et es wie et es“ – als im Sinne des fünften Paragraphen – „Et bliev nix wie et wor“ – getroffen werden. Denn dann „hätt et vielleicht doch noch joot jejange“. Sebastian Herbst

2 Datenschutz kontra Unterricht? Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung ist eine Herausforderung für Musikschulen

5 Ganz normal digital? Das Forschungsprojekt be_smart untersucht Teilhabechancen durch Musikapps

6 Blended Learning Neue Unterrichtsformen für die digital-traditionelle Musikschule

10 Knopf im Ohr Hörvermittlung mit dem ORHPHON [@] Orchester

Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de


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Datenschutz kontra Musikunterricht?

Jürgen Simon

Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung ist eine Herausforderung für Musikschulen und Privatmusiklehrkräfte

Am 25. Mai 2018 endete die zweijährige Übergangsfrist für die neue EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Seitdem können selbst für nicht besonders schwerwiegende Verstöße erhebliche Bußgelder verhängt werden. Wer bisher noch nichts unternommen hat, sollte nun möglichst schnell handeln.

)) Wer nun denkt, als private Instrumentallehrerin, kleine Musikschule oder Musikverein nicht betroffen zu sein, der irrt. Nachdem dem Datenschutz jahrelang keine große Bedeutung beigemessen wurde, wirkt sich das neue Gesetz jetzt in nahezu jedem Bereich des Lebens aus. Und obwohl sich der Datenschutz bei Weitem nicht nur auf Internetangebote erstreckt, sollte diesen die erste Aufmerksamkeit gelten, da davon auszugehen ist, dass sich die üblichen Abmahnunternehmen mit Eifer auf die Suche nach Verstößen machen werden.

Worum geht es eigentlich? Im Grunde ist der Hauptpunkt, dass personenbezogene Daten nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen erhoben werden dürfen. Das bedeutet konkret, dass Personen, deren Daten erfasst werden sollen, vor der Erfassung informiert werden müssen, welche Daten zu welchem Zweck gespeichert werden. Anschließend dürfen diese Daten ausschließlich zu diesem Zweck verwendet werden. Wenn also jemand seine E-Mail-Adresse hinterlässt, um über einen möglichen Unterrichtsausfall informiert zu werden, so ist es ein Verstoß

gegen den Datenschutz, wenn an diese Adresse eine Einladung für das nächste Musikschulkonzert versendet wird. Eine Weitergabe oder gar ein Verkauf an Dritte ist ohne ausdrückliche Erlaubnis selbstverständlich völlig ausgeschlossen. Außerdem steht jedem, dessen Daten gespeichert wurden, ein Auskunftsrecht über die gespeicherten Daten zu. Und darüber hinaus kann auch eine Löschung der Daten verlangt werden, sofern dies zulässig ist. Das

Verschlüsselung Zum Schutz personenbezogener Daten vor dem Zugriff durch andere müssen diese Daten während der Übertragung verschlüsselt werden. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Daten während der Übertragung nicht durch Dritte verändert werden können. Dies bedeutet, dass Webseiten mit Web-Formularen (z. B. Antwortformular) und Onlineshops nur noch mit einer SSLVerschlüsselung zulässig sind. Die meisten Hoster stellen auch zu ihren preisgünstigsten Angeboten wenigstens ein kostenloses SSL-Zertifikat zur Verfügung, das nur aktiviert werden muss. Wer mehrere Domains verwendet oder mit Subdomains arbeitet, braucht aber weitere – meist kostenpflichtige – Zertifikate. Die Server von E-Mail-Adressen, die zur Übertragung von personenbezogenen Daten angeboten werden, müssen TLS beherrschen, was bei den gängigen Hostern ebenfalls Standard ist.

bedeutet, dass ein Kunde zwar möglicherweise die Löschung der E-mail-Adresse verlangen kann, nicht jedoch die Löschung von Abrechnungsdaten, die aus steuerrechtlichen Gründen aufbewahrt werden müssen.

Theorie … Wie häufig bei Gesetzen hat sich der Gesetzgeber nicht mit Details aufgehalten und überlässt die Folgen seiner Gesetzgebung der späteren Klärung durch Gerichte. Dies führt im Falle der DSGVO zunächst zu teils absurd anmutenden Konsequenzen. So findet eine Datenerhebung bereits statt, wenn Eltern bei einer Musikschule anrufen, um sich nach Unterricht für ihre Kinder zu erkundigen. In diesem Fall werden Daten wie Name, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Alter, Geschlecht, Instrumentenwunsch und musikalische Vorerfahrungen der Kinder, aber unter Umständen auch besonders sensible Daten wie körperliche oder geistige Behinderungen abgefragt, um den Eltern ein passendes Angebot machen zu können. Bereits bevor all diese Angaben abgefragt werden, müsste eine datenschutzrechtliche Belehrung am Telefon stattfinden, da nur so eine informierte Einwilligung erzielt werden kann. Und um diese Einwilligung in einem Streitfall nachweisen zu können, müsste diese – ebenfalls mit Einwilligung der Betroffenen – aufgezeichnet werden. Während der geschilderte Fall sicherlich eine eher theoretische Auswirkung der DSGVO darstellt, ist die fehlende Ausnahme für das digitale Fotografieren und


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Filmen ein reales Problem. Während auch bisher Fotos von Kindern, die z. B. bei einem Konzert auftraten, nur mit Zustimmung der Eltern veröffentlicht werden durften, stellt das digitale Fotografieren und Filmen nun per se eine Datenerhebung dar. Ausnahmen gibt es in Deutschland bisher nur für festangestellte Pressefotografen. Alle anderen müssen vor dem Fotografieren oder Filmen eine nachweisbare (im Zweifelsfall also schriftliche) Einwilligung aller aufgenommenen Personen einholen. Dies gilt auch im öffentlichen Raum, also etwa für das Publikum bei einem Konzert – aber sogar bei einem Schnappschuss des Kölner Doms, bei dem alle Passanten zuvor ihre Einwilligung geben müssten.

… und Praxis Im Alltag werden vermutlich andere Bereiche eine Rolle spielen. Das Wichtigste dürfte die eigene Internetseite sein, da diese für jedermann und damit auch für Abmahnunternehmen öffentlich einsehbar ist. Eine Verfolgung durch die zuständigen Landesdatenschutzbehörden dürfte sich aufgrund der Tatsache, dass diese meist ohnehin zu wenig Personal haben, auf gravierende Fälle beschränken. Das oberste Gebot der DSGVO ist, dass – wie bereits erwähnt – personenbezogene Daten nicht ohne die vorherige Einwilligung der betroffenen Personen erfasst und verarbeitet werden dürfen. Was sich zunächst wie eine Selbstverständlichkeit anhört, stellt jedoch einige Anforderungen an Anbieter. Bereits wenn nur eine E-MailAdresse angegeben wird, unter der ein po-

tenzieller Kunde Informationen einholen kann, muss darüber informiert werden, was mit den Daten, die in der E-Mail enthalten sind, geschieht. Darüber hinaus dürfen immer nur solche Daten erhoben werden, die für den jeweiligen Zweck unbedingt erforderlich sind. So ist der Geburtsort für die Erteilung von Musikunterricht nicht erforderlich, darf also nicht abgefragt und gespeichert werden. Wer auf seiner Internetseite Daten erfasst, muss eine Datenschutzerklärung einstellen. (Im Internet finden sich diverse Angebote von zum Teil kostenfreien Generatoren für Datenschutzerklärungen.)1 Dabei ist davon auszugehen, dass jede Internetseite Daten erfasst, da die Internetprovider, bei denen die Angebote gehostet werden, in der Regel wenigstens die IP-Adresse der Aufrufer speichern, um aussagekräftige Statistiken über die Nutzung der Internetseiten erstellen zu können. Beim Versand von Newslettern, aber auch über Antwortformulare oder E-Mail-Adressen, die als Kontakt angegeben werden, werden Daten der Nutzer erfasst. In der Datenschutzerklärung muss für jede einzelne Art der Datenerfassung eine Erläuterung abgegeben werden. Dies bezieht sich auch auf die Datenerfassungen durch Fremdanbieter. So überträgt ein Like-Button Daten an Facebook und eingeblendete Werbebanner senden Daten an die Auftraggeber. Auch Trackingdienste wie z. B. Google-Analytics senden personenbezogene Daten an die jeweiligen Anbieter. Über alle diese Vorgänge muss in der Datenschutzerklärung informiert werden. Zusätzlich wird bei allen Datenverarbeitun-

Messenger Wer mit seinen Schülern über WhatsApp kommuniziert, verstößt vermutlich gegen Datenschutzbestimmungen,* da WhatsApp die Daten in die USA überträgt, was zumindest an Schulen nicht zulässig ist. Ob dies an Musikschulen eher zulässig ist, wird die Zukunft zeigen müssen. Davon abgesehen bleibt das Problem, dass sich WhatsApp in seinen AGB zusichern lässt, dass der Nutzer die Einwilligung aller in seinen Kontakten gespeicherten Personen hat, deren Daten an WhatsApp zu übertragen. Eine solche schriftliche Einwilligung dürfte wohl kaum jemand von allen Personen im eigenen Adressbuch eingeholt haben. Da auch andere Messengerdienste in der Regel nicht allen Datenschutzanforderungen genügen, sollte diese Art der Kommunikation insbesondere mit Minderjährigen bis auf Weiteres vermieden werden. Die Bundesregierung setzt deshalb auf eine eigene Cloud auf Basis von Nextcloud.** Möglicherweise eignet sich diese kostenlos verfügbare Software auch für Musikschulen. * www.heise.de/newsticker/meldung/ThueringensDatenschuetzer-Whatsapp-wird-meist-rechtswidriggenutzt-3983437.html ** www.nextcloud.com

gen durch Fremdanbieter ein Vertrag zur Auftragsdatenverarbeitung benötigt. Dies ist bereits dann erforderlich, wenn der Hoster die IP-Adressen der Besucher speichert. Viele Anbieter stellen geeignete Muster-


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Links Weiterführende Informationen stellt der Heise Verlag unter ct.de/yg9g zur Verfügung. Der dort verlinkte Generator für Datenschutzerklärungen ist jedoch nur für Privatpersonen und Kleinunternehmer kostenfrei. Generatoren für die Datenschutzerklärungen, die kostenfrei verwendet werden dürfen: ) www.wbs-law.de/it-recht/datenschutzrecht/datenschutzerklaerung-generator ) www.mein-datenschutzbeauftragter.de/datenschutzerklaerung-konfigurator

verträge zur Verfügung. Welche Aufgaben eine Auftragsdatenverarbeitung darstellt, sollte gründlich geprüft werden, da dies nicht in jedem Fall offensichtlich ist. Selbst eine kostenlose E-Mail-Adresse bei Anbietern wie gmx, web oder gmail stellt eine Auftragsdatenverarbeitung dar. Aber auch, wenn Rechnungen von Kunden nicht im eigenen Haus, sondern durch eine externe Abrechnungsfirma erledigt werden, findet eine Auftragsdatenverarbeitung statt, da die personenbezogenen Daten der Kunden oder Mitarbeiter an diese Firma weitergegeben werden müssen.

Weitere Anforderungen Alle Arbeiten, die mit personenbezogenen Daten durchgeführt werden, müssen in einem Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten aufgeführt werden. Dieses Verzeichnis ist nicht öffentlich, muss aber jederzeit der zuständigen Behörde vorgelegt werden können. Das Fehlen dieses Verzeichnisses kann mit erheblichen Bußgeldern belegt werden. Ob ein solches Verzeichnis selbst erstellt werden kann, muss jeder für sich selbst prüfen. Der Branchenverband Bitkom stellt einen fast 50-seitigen Leitfaden zur Erstellung eines Verzeichnisses von Verarbeitungstätigkeiten zur Verfügung.2 Ein ebenfalls nicht unerhebliches Problem dürfte die Benennung eines Datenschutzbeauftragten darstellen. Es gibt zwar Ausnahmen, diese treffen auf Musikschulen und selbst auf freischaffende Musiklehrkräfte jedoch kaum zu. Insbesondere die Ausnahme, dass nur gelegentlich personenbezogene Daten verarbeitet werden, dürf-

te schon deshalb nicht zutreffen, weil Unterricht regelmäßig abgerechnet und bezahlt wird. Auch wenn besonders geschützte Daten verarbeitet werden, muss zwingend ein Datenschutzbeauftragter benannt werden. Zu den besonders geschützten Daten, die für den Instrumentalunterricht eine gewisse Bedeutung haben, zählen vor allem Gesundheitsdaten über körperliche und geistige Behinderungen, aber auch Informationen über die ethnische Herkunft von SchülerInnen. Doch damit sind die Probleme noch nicht erledigt. Der Datenschutzbeauftragte soll nur eine Kontrollinstanz sein, er soll also die erforderlichen Arbeiten zum Datenschutz nicht selbst durchführen, sondern nur überwachen – es sind also faktisch mindestens zwei Personen erforderlich. Viele der Aufgaben sind so komplex, dass

Meldepflicht Wenn der Schutz personenbezogener Daten verletzt wurde, muss der Verantwortliche dies unaufgefordert der zuständigen Datenschutzbehörde melden. Dies ist z. B. der Fall, wenn das Notebook, auf dem die Kontaktdaten der Schüler gespeichert sind, gestohlen wird, oder wenn der Rechner von einem Virus befallen wurde, der möglicherweise das Adressbuch mit den Schülerdaten ausgelesen hat. Sollten dabei besonders brisante Daten wie Bankverbindungen abhanden gekommen sein, müssen auch alle Betroffenen direkt informiert werden.

sie nicht mehr privat umgesetzt werden können, sondern nur durch eine Firma, die sich auf Datenschutz spezialisiert hat. Doch sind die Dienste solcher Firmen nicht billig. Gerade kleine Musikschulen und Freiberufler dürften Probleme damit haben, die Kosten dafür aufzubringen.

Fazit Die neue DSGVO ist ein Gesetz, bei dem die Interessen kleiner und kleinster Unternehmen bis hin zu Einzelunternehmern nicht berücksichtigt wurden. Großunternehmen werden die geforderten Aufgaben umsetzen können – und die Kosten dafür auf die Kunden abwälzen. Den InstrumentallehrerInnen und Musikschulen bleibt nur, die offensichtlichsten Maßnahmen nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen, um eine teure Abmahnung zu vermeiden und darauf zu hoffen, dass die Datenschutzbehörden überlastet sind. Ob dem Datenschutz auf diese Weise tatsächlich gedient ist? ((

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siehe „Links“ auf dieser Seite. www.bitkom.org/NP-Themen/NP-VertrauenSicherheit/Datenschutz/FirstSpirit-1496129138918 170529-LF-Verarbeitungsverzeichnis-online.pdf

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Jürgen Simon ist Cellist im Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt (Oder). Er entwickelte ein Orchesterverwaltungsprogramm für sein Orchester.


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Ganz normal digital?

Juliane Gerland

Das Forschungsprojekt be_smart untersucht Teilhabechancen durch Musikapps für inklusionsorientierte Musikpädagogik )) Im Kontext von Arbeitskommunikation oder Unterhaltungsmedien würden viele nur ungern auf die Vorteile der Digitalisierung verzichten wollen. In anderen Lebensbereichen erscheinen digitale Technologien zuweilen eher wie ein Verlust oder eine flache Kopie des als echt und authentisch empfundenen Analogen – beispielsweise in Situationen, deren Gehalt sich unmittelbar am zwischenmenschlichen Kontakt bemisst, etwa in der Pflege oder der Kindererziehung.

Digitales Musizieren? Aber wie sieht es aus mit Digitalität im Kontext von Musikunterricht oder Musizieren überhaupt? Auch beim Musizieren sind optimierte Prozesse wichtig. Technik und Geschwindigkeit faszinieren, ob in der instrumentaltechnischen Dimension einer anspruchsvollen Chopin-Etüde oder bei der Weiterentwicklung von Electronic Dance Music. Andererseits beziehen wir uns als Musikpädagoginnen und Musikpädagogen häufig auf die besondere Erlebensqualität, die dem Musizieren und besonders dem gemeinsamen Musizieren immanent ist – und meinen damit in praktisch allen Fällen analoge Situationen. Wir denken an Klangerzeugungsprinzipien und Schwingungen traditioneller, „echter“ Instrumente und an eine spezielle Kommunikation, die zwischen Mitgliedern eines Ensembles zu präzisen Abstimmungsprozessen führen kann. Lässt sich diese besondere Erlebensqualität auch beim Musizieren mit Apps herstellen? Welche Apps sind geeignet und wie lassen sie sich in musikpädagogischen Handlungsfeldern sinnvoll verwenden? Das Forschungsprojekt be_smart (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung nach der Förderrichtlinie „Digitalisierung in der kulturellen Bildung“)

befasst sich bis September 2021 mit Fragen, die im Zusammenhang von Digitalisierung und inklusionsorientierter Musikpädagogik entstehen. Untersucht werden soll, ob das Musizieren mit Apps für Jugendliche und junge Erwachsene mit komplexer Behinderung eine Chance auf musikalisch-kulturelle Teilhabe bieten kann.

Können Apps die Teilhabe an Musik erleichtern? Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Siegen und der Fachhochschule Bielefeld untersucht in vier empirischen Phasen, ob und wie sich Teilhabe an Musik durch Musikapps realisieren lässt. Zu Beginn werden Expertinnen und Experten der beteiligten Felder befragt, um den inhaltlichen Kontext des Forschungsprojekts möglichst detailliert beleuchten zu können. Von besonderer Relevanz sind die jeweiligen Expertisen der Akteurinnen und Akteure der unterschiedlichen Felder. Wie beurteilen Musikpädagoginnen und Musikpädagogen, die mit Menschen mit komplexer Behinderung arbeiten, das Musizieren mit Apps? Was meinen Expertinnen und Experten, die sich mit der Adaption von assistiven Technologien für die Alltagsbewältigung für Menschen mit komplexer Behinderung auseinandersetzen? Welche Apps empfehlen Musikerinnen und Musiker, deren Schwerpunkt das Musizieren mit Apps ist? In der zweiten Phase steht das individuelle Erleben der Jugendlichen mit Behinderung, die Musikapps benutzen, im Fokus. Wie gebrauchen sie Apps? Hören sie ausschließlich Musik oder werden sie selbst aktiv? Falls ja, eher im Bereich von experimenteller Klangerzeugung oder als digitale Version eines analogen Instruments?

Einstellungen und Haltungen von Musikpädagoginnen und Musikpädagogen aus unterschiedlichen Praxisfeldern bilden das Zentrum der dritten Phase. Hier soll erhoben werden, wie sich Musikpädagoginnen und Musikpädagogen aus Musikschulen, aber auch aus Regel- und Förderschulen und der eher informellen Szene allgemein mit Digitalisierung in ihrer Unterrichtspraxis auseinandersetzen und wie es konkret in inklusiven Unterrichtssettings aussieht. Die Ergebnisse dieser Phase sind auch für den Verband deutscher Musikschulen als assoziiertem Projektpartner von besonderem Interesse, denn die hier gewonnenen Erkenntnisse können Aufschluss geben über mögliche Fortbildungsbedarfe und neu zu entwickelnde Angebotsstrukturen in Musikschulen. Abgerundet wird das Forschungsprojekt mit einer Phase, die Aufschluss darüber erbringen soll, wie sich Teilhabe eigentlich in inklusiven musikpädagogischen Settings, in denen Musikapps Anwendung finden, vollzieht. Dazu sollen die Interaktionen der unterschiedlichen Musizierenden präzise analysiert werden. Besonders aufschlussreich scheinen hier Musiziersituationen zu sein, in denen Musikapps mit traditionellen analogen Instrumenten kombiniert werden. (( Information: http://besmart.bildung.uni-siegen.de Kontakt: juliane.gerland@fh-bielefeld.de

Dr. Juliane Gerland ist Professorin für Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern an der FH Bielefeld.


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Ein Blick auf neue Unterrichtsformen für die digital-traditionelle Musikschule

Blended Learning Wird es in zehn Jahren noch Musikunterricht geben, zu dem die Schülerinnen und Schüler in die Musikschule kommen? Oder werden Kinder und Jugendliche zu Hause sitzen und über eine digitale Verbindung mit einer realen oder virtuellen Lehrkraft ihre Fähigkeiten weiterentwickeln?

)) Dies sind natürlich provokante Fragen, die in erster Linie die Sorgen und Ängste rund um die Digitalisierung widerspiegeln. Technologien, und dazu zählen auch digitale Technologien, ersetzen nicht den realen zwischenmenschlichen Kontakt. Dies betrifft besonders das Musizieren bzw. das Erlernen eines Instruments oder des Gesangs. Technologische Entwicklungen wie beispielsweise die Ventile bei Blechblasinstrumenten, eine verbesserte Akustik in Konzerthäusern oder eine ausgefeilte Mechanik bei Klavieren haben unsere Musikpraxis bereichert und teilweise erst ermöglicht. Viele Neuerungen haben ihre Zeit gebraucht, bis sie Einzug in die musikalische Bildung gefunden haben. So ist es auch mit der Digitalisierung. Digitalisierung und Umgangsweisen mit Musik sind insbesondere bei Jugendlichen eng miteinander verbunden. Dabei führt die Digitalisierung zu einer immer stärkeren Verschränkung von Kommunikationstechnologien und Gesellschaft. Die zunehmende digitale Dauervernetzung und permanente Konnektivität verändern Umgangsweisen mit und ästhetische Wertigkeiten von Musik. Diese Entwicklungen und die damit verbundenen Unsicherheiten und offenen Fragen sind vermutlich tragende Gründe für eine insgesamt sehr vorsichtige und teils ablehnende Haltung von Musiklehrkräften gegenüber digitalen Technologien.

Philipp Ahner

Diese Ablehnung hat eine lange Tradition: „Kultur“ und „Technik“ sind im Sprachgebrauch der vergangenen 200 Jahre zu Leitbegriffen geworden, die immer wieder in politisch-kämpferischer Absicht eingesetzt bzw. einander entgegengesetzt worden sind.1 Publikationen, die die unterschiedlichen Facetten eines technologischen Determinismus2 widerspiegeln, prägen musikbezogene Diskurse, in denen auf der einen Seite das Musikalisch-Traditionelle und auf der anderen Seite digitale Medien bzw. Technologien stehen. In der Folge verharren Musik und Digitalisierung in diesen Diskursen als Pole, die mal positiv, mal negativ aufeinander wirken, indem Musik als „Gegenwelt zur Welt der digitalen Medien“3 oder digitale Technologien als herausragende Chance zur Entfaltung von Kreativität und Musikalität bei Heranwachsenden4 beschworen werden.

Allmähliche Transformationen Es geht aber auch anders: Anstelle einer gegenstandsbezogenen Unterscheidung von Technik und Kultur und einer damit verbundenen Trennung in Mittel (Technik) und Werte (Kultur)5 bieten soziologische Theorien der vergangenen Jahrzehnte Herangehensweisen, in denen „technikinduzierter Wandel als iteratives Zusammenspiel von technologischen Dynamiken und damit zusammenhängenden sozioökonomischen und institutionellen Restrukturierungen“6 gesehen wird. Alle musikbezogenen Wandlungen sind demnach mit Restrukturierungen verbunden, die sich auch in wandelnden musikalisch-ästhetischen Wertigkeiten und Wirklichkeiten widerspiegeln. Diese vollziehen sich nicht radikal von heute auf morgen, sondern in vielen kleinen Transformationen. Dabei bleiben Technologien – auch in einem fortge-

schrittenen Entwicklungsstadium – über eine lange Zeit in ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung und Verwendung formbar. Mit dieser Perspektive werden Musikschulen, Musikschullehrkräfte und Lernende gemeinsam zu Konstrukteuren einer künftigen musikalisch-ästhetischen Praxis in einer zunehmend digitalisierten Welt.

Auf den Mix kommt es an In diesem Beitrag geht es um die Frage, wie Musikschulen und Lehrkräfte Möglichkeiten hybriden Lernens in sinnvoller Kombination von Präsenzveranstaltungen und Einsatz digitaler Technologien nutzen können. Eine solche Mischform, in der nicht nur face-to-face oder nur online gelernt wird, wird als Blended Learning bezeichnet. Hybrides Lernen vollzieht sich in vielen Lernprozessen auch ohne, dass hierfür die Überschrift „Blended Learning“ verwendet wird – oft auch ohne, dass dies von der Lehrkraft beabsichtigt wurde. Wenn beispielsweise eine Schülerin oder ein Schüler sich das Instrumentalstück aus der Musikstunde zu Hause auf YouTube anhört oder Informationen über den Komponisten online recherchiert, haben wir es mit einer Form von Blended Learning zu tun. Dieses „Selbstlernen“ der Jugendlichen mit digitalen Medien wie auch der Umgang im Peerto-peer mit diesen Geräten sind Interaktionen, die wichtige Elemente ihrer Identitätsbildung umfassen.7 Wie können Musikschulen und Musiklehrkräfte Strategien und Konzepte entwickeln, um die allgegenwärtig vorhandenen Möglichkeiten der Digitalisierung und Mediatisierung für Lernprozesse in und außerhalb der Musikschule zu nutzen? Viele Ansätze und Konzeptionen des Blended Learning richten den Blick auf die Kommuni-


7 Klang und Schall erzeugen (ausführende Musiker)

Making

Klang und Schall ordnen (Musiktheorie, Komposition)

System

kationswege und Orte, an denen Bilder, Sprache oder Texte von Lernenden er- oder bearbeitet werden. Ergänzend zu Präsenzveranstaltungen geht es um vertiefendes Material, welches an einem vom Lernenden gewählten Ort zu einem anderen Zeitpunkt gelesen, gehört, betrachtet oder erstellt werden kann. Die Lernenden können dabei auch Tempo und zeitliche Intervalle selbst festlegen. Auch für das Lernen in der Musikschule eignen sich solche vielfältig erprobten und dokumentierten Formen des Blended Learning.8

Digitale Musiklernangebote Für Musikschulen eröffnen sich jedoch zahlreiche weitere Formen des Blended Learning. Neben den Kommunikationsplattformen, Audio- und Videoportalen oder webbasierten Plattformen werden auf dem Markt mehrere tausend Apps angeboten, die Möglichkeiten der digitalen Technologien im Umgang mit Klang nutzen. Genauer betrachtet bieten solche Apps vier Dimensionen im Umgang mit Klang bzw. Schall (siehe Abbildung) und werden im Folgenden als KlangAPPs bezeichnet.9 Producing Apps ermöglichen die Aufnahme, Bearbeitung oder Wiedergabe von Klängen. Für die Klangbearbeitung nutzen sie eingebaute und angesteckte Mikrofone, den Import von Klängen aus anderen Apps sowie digitale Schnittstellen wie USB, WLAN oder Bluetooth. Making Das Spektrum an Klängen und Spielweisen, die Apps anbieten und damit ein mobiles Endgerät in ein digitales Musikinstrument verwandeln, ist groß. Apps sind in der Regel auf Geräten installiert, in denen

KlangAPPs

Producing

Klang und Schall verarbeiten (Tontechnik, Tonmeister)

Sensoric

Klang und Schall messen (Instrumentenbau, Naturwissenschaft)

zehn oder mehr Sensoren eingebaut sind: Mit Mikrofon, Touchscreen, Bewegungssensoren, Thermometer, GPS-Ortungssystem etc. besitzen diese Geräte zahlreiche Wahrnehmungsfunktionen. Die Apps nutzen die Sensoren für eine Klangerzeugung, indem durch Berühren des Touchscreens, durch Bewegungen und Beschleunigungen oder Abstandmessungen Klänge kreiert, imitiert oder kombiniert werden. System Musiklehre, Notation, Grifftabellen, Musikgeschichte: In Apps können Quintenzirkel nachgeschlagen, Intervalle, Drei- und Vierklänge bestimmt oder Noten geschrieben werden. Zahlreiche Apps setzen dabei einen besonderen Schwerpunkt bei der Entwicklung von Hör- und Notationsfertigkeiten der Nutzer (Gehör- und Rhythmustraining, Tonsatztraining etc.). Sensoric Die in den Geräten eingebauten Sensoren (insbesondere das Mikrofon) können von Apps auch dazu genutzt werden, unterschiedliche Messergebnisse in geeigneter Form zu visualisieren. Grundsätzlich können für alle eingebauten Sensoren solche Apps genutzt werden. Hinsichtlich musikbezogener Verwendungen erscheinen bisher nur die Messergebnisse des Mikrofons

relevant, die sich auf Lautstärke (Schalldruck), Tonhöhe (Frequenz), Klangspektrum oder Klangcharakteristik beziehen. Die durch diese KlangAPPs gewonnenen Daten oder Erkenntnisse müssen nicht auf dem einzelnen Gerät bzw. beim einzelnen Lerner verbleiben. In der Kommunikation mit anderen Nutzern (Lehrende oder Lernende) können (Zwischen-)Ergebnisse oder weitere Aufgaben geteilt und versendet werden. Zahlreiche Apps bieten dafür Zusatzfunktionen, und eine ganze Fülle von Apps ist speziell für eine solche Kommunikation unter Nutzern ausgerichtet. Die verschiedenen Dimensionen von KlangAPPs können im Sinne des Blended Learning ein Selbstlernen mit digitalen Technologien und traditionellen Präsenzunterricht miteinander verbinden.

Zur Ausgangslage für Blended Learning in Musikschulen ) Schülerinnen und Schüler kommen in der Regel einmal in der Woche zum Unterricht in die Musikschule. ) Kinder und Jugendliche verfügen in den meisten Fällen über mobile digitale Endgeräte mit Mikrofon, Lautsprecher, Touchscreen, Internetanbindung und diversen Sensoren.


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Quelle: http://matt-koehler.com/tpack2/using-the-tpack-image

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TPACK-Modell Das TPACK-Modell (Technological Pedagogical And Content Knowledge) ermöglicht eine differenzierte Betrachtung des komplexen Zusammenspiels von technologischen, pädagogischen und fachbezogenen Anforderungen einer Lehrkraft und bezieht sich allgemein auf Lehr-Lern-Prozesse mit Technologien in allen Fachgebieten.

) Das Internet bietet eine große Fülle an Informationen, Audiodateien und Videos. Angebote zu Instrumenten, Interpreten, Werken, Komponisten oder Stilrichtungen sind in unterschiedlichsten qualitativen Ausprägungen jederzeit online verfügbar. ) Diverse Apps bieten unterschiedliche Handlungsoptionen: – musikbezogene Dimensionen (KlangAPPs): Aufnehmen, Bearbeiten, Wiedergeben, Messen, Notieren, Nachschlagen, Erzeugen, Imitieren, Kombinieren oder Sortieren von Klängen. – Kommunikation mit anderen Nutzern über Plattformen wie Facebook, Messenger-Dienste wie WhatsApp oder die traditionelle Telefonfunktion. Dabei können alle Formen und Formate von Daten wie Sprache, Text oder Klänge kommuniziert oder geteilt werden. – Informationsbeschaffung durch das Abrufen von online verfügbaren Inhalten. – Sicherung, Weitergabe oder Publikation von Daten durch einen entsprechenden Upload auf eine geschützte oder öffentlich zugängliche Plattform.

Planungsmodell für Blended Learning in Musikschulen Für die Konzeption und Durchführung von Blended Learning in Musikschulen werden neben pädagogischen und künstlerischen Kompetenzen für den Präsenzunterricht auch Kenntnisse und Fähigkeiten bezüglich digitaler musikbezogener Technologien und bezüglich des Selbstlernens von Jugendlichen mit digitalen Technologien gefordert. Diese Notwendigkeit und deren Bedeutung für die Planung von Lernprozessen mit Technologien greift das TPACK-Modell (siehe Abbildung) auf.10 Das TPACK-Modell (Technological Pedagogical And Content Knowledge) ermög-

licht eine differenzierte Betrachtung des komplexen Zusammenspiels von technologischen, pädagogischen und fachbezogenen Anforderungen einer Lehrkraft und bezieht sich allgemein auf Lehr-Lern-Prozesse mit Technologien in allen Fachgebieten. Es ist im englischsprachigen Raum weit verbreitet. In der Musikpädagogik wurde auch im deutschsprachigen Raum bereits mit diesem Modell in der Weiterbildung im Bereich der Musikvermittlungsarbeit gearbeitet,11 findet ansonsten jedoch bisher eher wenig Anwendung. Für musikbezogenes Lernen unter Einbeziehung der musikalischen Lebenswelten Jugendlicher modifizierte Marina Gall das Modell in zwei zentralen Aspekten:12 ) Die zentralen Dimensionen technologisches und pädagogisches Wissen werden in allgemeine und musikbezogene Bereiche unterteilt. ) Im Schnittfeld von technologischem, pädagogischem und inhaltlichem Wissen erscheinen technologische und musikbezogene technologische Kenntnisse und musikalische Präferenzen der Schülerinnen und Schüler als zentrale Dimensionen. Durch diese Differenzierung und die Einbeziehung der musikbezogenen Voraussetzungen der Lernenden in den Planungsprozess verdeutlicht Gall die besonderen Herausforderungen von Blended Learning in Musikschulen.

gen nötig. Umfang und Aufwand hängen von den jeweiligen Voraussetzungen ab. Den neuen digitalen Möglichkeiten wird gerne die Rolle zugeschrieben, besonders die Kreativität und Motivation der Schüler fördern zu können.13 Diverse Forschungsprojekte und Praxisberichte haben jedoch gezeigt, dass dies nur eingeschränkt zutrifft und die Verwendung digitaler Technologien in Lernprozessen gerade unter dem Aspekt der Lern- und Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen zwar erfolgreich sein kann, aber von vielen Faktoren abhängt. Beispielsweise haben Jugendliche gegenüber einer Verwendung ihrer Smartphones und Tablets in Lernprozessen mehrheitlich eine kritisch-reflexive Haltung und den Wunsch, dass sich der Einsatz digitaler Medien auf einzelne Lernphasen beschränkt.14 Blended Learning und die damit verbundenen Anforderungen an das Verknüpfen von Präsenzunterricht und Selbstlernen mit digitalen Technologien bauen auf allgemeine Kenntnisse der pädagogischen Psychologie und Soziologie sowie der allgemeinen (Fach-)Didaktik. Diese Wissensgebiete bedürfen einer stärkeren Einbindung in instrumental- und gesangspädagogische Berufsbilder und Studiengänge.

Herausforderungen für Musikschulen und Lehrkräfte

Die technologischen Entwicklungen sind geprägt von drei marktbeherrschenden Betriebssystemen: Aktuell sind über 80 Prozent der Geräte mit dem Betriebssystem Windows (stationäre Geräte) bzw. Android (mobile Geräte) ausgestattet. Die Software von Apple (Mac OSX bzw. iOS) findet sich nur auf knapp 15 Prozent der Geräte. Die Betriebssysteme weisen untereinander nur sehr begrenzte Kompatibili-

Blended Learning und der Einsatz digitaler Technologien in Musikschulen ist nicht trivial. Sowohl im strukturell-administrativen wie im individuell-unterrichtlichen Bereich sind für eine erfolgreiche Implementierung von Konzepten hybriden Lernens in Musikschulen einige Anstrengun-

Allgemeine und musikbezogene Technologien


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„Smartphones im Unterricht – wollen das Schülerinnen und Schüler überhaupt?!“ tät auf. Bezogen auf die Verarbeitung von Klang bieten Betriebssysteme von Apple eine deutlich höhere Qualität und eine deutlich höhere Kompatibilität von stationären und mobilen Geräten. Angebote und Formate von Blended Learning in Musikschulen bedürfen vor diesem Hintergrund einer sorgfältigen Konzeption und Einbettung in die unterschiedlichen Betriebssysteme. Diesbezüglich sind gemeinsame Anstrengungen der Musikschulen insgesamt erforderlich.

Mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten Alleine erscheinen die Herausforderungen kaum leistbar zu sein. Vor diesem Problem stehen jedoch fast alle Lehrkräfte. Ein möglicher Ausweg besteht deshalb in der Bildung einer sogenannten „Community of Practice“.15 Damit sind praxisbezogene (Arbeits-)Gemeinschaften gemeint, in denen die Mitglieder informell miteinander verbunden sind, ähnliche Aufgaben zu bewältigen haben und die durch Interaktion voneinander lernen wollen. Für den Einzelnen bildet eine solche Community of Practice einen kollegialen Stütz- und Ankerpunkt, in dem das Wissen in einem Wechselspiel von individuellem, kollektivem und organisationalem Lernen einen Ort und eine Form des Teilens findet. Musikschulen können die Bildung solcher Communities of Practice fördern, indem Räume, Ressourcen und organisatorische Hilfen angeboten werden. Wichtig ist jedoch, dass diese Gemeinschaften in der Schwebe zwischen formell und informell bleiben, sich selbst im Feld von Regeln und Freiheit positionieren können und kein Druck im Sinne eines Top-Down-Denkens von übergeordneten Stellen ausgeübt wird. Denn im Fokus bleibt der Versuch,

das Lernen für die Teilnehmenden selbst zu organisieren, das Strukturieren des Fachgebiets gemeinsam in Angriff zu nehmen und an den kleinen Transformationen im Wechselspiel von musikalischer Praxis und technologischer Innovation gemeinsam zu arbeiten. Blended Learning beginnt im Unterricht der einzelnen Lehrkraft. Kleine Gespräche zwischen Lehrenden und Lernenden über eine mögliche Vertiefung des Präsenzunterrichts durch eine gezielte Verwendung des Smartphones oder Tablets zu Hause, der Einsatz von musikbezogenen Apps (KlangAPPs) während des Unterrichts und für die häuslichen Übephasen, das gegenseitige Sich-vertraut-Machen mit medialen Umgangsweisen oder ergänzende Arbeitsmaterialien, die von den Schülerinnen und Schülern außerhalb des Präsenzunterrichts mithilfe von Smartphones oder Tablets bearbeitet werden können, sind wichtige Schritte für einen Beginn mit Blended Learning. Die aktuell großen und notwendigen Schritte der Musikschulen insgesamt werden dadurch nicht obsolet, sondern erst wirkungsvoll. ((

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Christoph Hubig: „Kultur oder Technik? Über das Technische in der Kultur und das Kulturelle in der Technik“, in: Themenheft Forschung. Kultur und Technik, Universität Stuttgart, 2008, S. 14-23, hier: S. 14; www.uni-stuttgart.de/presse/archiv/ themenheft/04/kultur_oder_technik.pdf (Stand: 28.4.2018). 2 Bruce Bimber: „Three Faces of Technological Determinism“, in: Merrit Roe Smith/Leo Marx (Hg.): Does Technology Drive History? The Dilemma of Technological Determinism, MIT Press, Cambridge 1994, S. 79-100. 3 Wolfgang Martin Stroh/Christoph Trappe: „Medienkompetenz durch Musikunterricht? Zehn Jahre danach: Moving Sounds“, in: Arne Bense/ Martin Gieseking/Bernhard Müssgens/Bernd Enders (Hg.): Musik im Spektrum technologischer Entwicklungen und Neuer Medien. Festschrift für Bernd Enders (= Beiträge zur Medienästhetik

der Musik, Band 15), Universität Osnabrück, Osnabrück 2015, S. 389-408, hier: S. 395. 4 Scott Watson: Using Technology to Unlock Musical Creativity, Oxford University Press 2011. 5 Hubig, S. 22. 6 Ulrich Dolata: Wandel durch Technik. Eine Theorie soziotechnischer Transformation, Campus, Frankfurt am Main 2011, S. 123. 7 Philipp Ahner: „Mediatisierung, Lebenswelt und Musikunterricht“, in: Constanze Rora/Katharina Schilling-Sandvoss (Hg.): Musikkulturen und Lebenswelt (= Musik im Diskurs, Bd. 3), Shaker, Aachen 2018, 293-310. 8 Leibniz-Institut für Wissensmedien: Blended Learning – e-teaching.org, 2017; www.e-teaching.org/lehrszenarien/blended_learning (Stand: 12.4.2018). 9 Philipp Ahner: „Musikpädagogik und Musikdidaktik im Kontext digitaler Medien“, in: Staatliche Hochschule für Musik Trossingen (Hg.): Lesewerk. Schrift zur Einweihung des Landeszentrums MUSIK – DESIGN – PERFORMANCE, Trossingen 2017, S. 22-29. 10 Matthew J. Koehler/Punya Mishra: „What Is Technological Pedagogical Content Knowledge?“, in: Contemporary Issues in Technology and Teacher Education 9 (1); https://citejournal.s3.amazonaws.com/wp-content/uploads/2016/04/v9i1general1.pdf (Stand: 12.9.2017). 11 Marc Godau: Theorie der Praxis – Planungsmodell TPACK, Forschungsstelle Appmusik, 2014; http://forschungsstelle.appmusik.de/theorie-derpraxis-planungsmodell-tpack (Stand: 13.4.2018). 12 Marina Gall: „TPACK and Music teacher Education“, in Andrew King/Evangelos Himonides/Alex Ruthmann (Hg.): The Routledge companion to music, technology, and education, Routledge, New York 2017, S. 305-318. 13 vgl. Watson. 14 Henrike Friedrichs-Liesenkötter/Philip Karsch: „Smartphones im Unterricht – Wollen das Schülerinnen und Schüler überhaupt?! Eine explorative Studie zum Smartphone-Einsatz an weiterführenden Schulen aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern“, in: MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 31 (0), 2018, S. 107-124, hier: S. 107; doi:10.21240/mpaed/ 31/2018.03.30.X 15 Etienne Wenger/William Snyder: Communities of practice: The organizational frontier, Harvard Business Review (January-February), 2000, S. 139-145.

Dr. Philipp Ahner ist Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik im Kontext digitaler Medien am Landeszentrum der Hochschule für Musik Trossingen.


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4.2018

Knopf im Ohr

Eszter Magyar

Hört man nur, was man weiß? Weiß man nur, was man hört? Hörvermittlung mit dem OHRPHON [@] Orchester

Der Begriff „Musikvermittlung“ ist bekannt. „Hörvermittlung“ nicht so sehr. Dabei bezeichnet dieser Begriff einen wesentlichen Aspekt der Musikvermittlung: Musik braucht Zuhörer, im wahrsten Sinne des Wortes – und bewusstes Hinhören mit „denkenden Ohren“ (Daniel Barenboim) kann tatsächlich gelernt werden.

lichst alle Altersgruppen mit seinen Vermittlungsangeboten abzudecken, sodass jeder einen Anschluss zu klassischer Musik finden kann. Von Baby- und Kleinkinderkonzerten über Workshops und Probenbesuche für Schulklassen bis hin zur Reihe FREISTIL mit neuartigen Hörsituationen für Erwachsene können Besucherinnen und Besucher Musik neu für sich entdecken oder ihre Kenntnisse und Leidenschaft weiter vertiefen.

)) In unserer schnelllebigen Welt ist es ein seltenes Phänomen geworden, still zu sein und wirklich zuzuhören. Der Klassikbereich ist nicht der einzige, der dadurch vor Herausforderungen gestellt wird. Man steckt sich Kopfhörer in beide Ohren und lässt Musik nebenbei laufen: beim Lernen, beim Joggen, beim Kochen, bei der Arbeit. Konzentriertes Musikhören, egal ob im Konzertsaal oder im Jazzclub, ist aus dieser Sicht eine extreme Situation. Die Musik den ZuhörerInnen zu erklären, das hat eine langjährige Tradition und findet in vielen Formen statt. Programmhefte, Konzerteinführungen, Gesprächskonzerte, moderierte Konzerte, Konzertnachgespräche: All diese Angebote haben das gemeinsame Ziel, dem Publikum ein Basiswissen zu vermitteln, um das Bevorstehende oder Gehörte zu entschlüsseln und eine Grundlage für das Verstehen des musikalischen Stoffs zu bilden. Der Nikolaisaal Potsdam hat als modernes Konzerthaus die Intention, Hören zu vermitteln, neue Wege zu finden, ergänzend zu den bestehenden, traditionelleren Angeboten, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen und mög-

OHRPHON [@] Orchester: Probenbesuch mit Knopf im Ohr So holte der Nikolaisaal Potsdam die Orchesterproben aus dem stillen Kämmerlein heraus, um den Entstehungsprozess eines Konzerts für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Musik aus einer ganz anderen Perspektive, nämlich als Arbeit zu zeigen. Für den Lerneffekt mit Unterhaltungsfaktor muss es mehr geben als 30 Minuten Musik mit Unterbrechungen: Dieses Extra nennt sich Live-Moderation per Audioguide. In Museen oder bei Städtereisen sind Audioguides seit langer Zeit ein bewährtes Medium – warum sollten sie nicht auch in Konzertsälen eingesetzt werden? Sie ermöglichen es nämlich, den Besuch von Proben und Konzerten live zu kommentieren, ohne die Arbeit der MusikerInnen bzw. das akustische Hörerlebnis für andere HörerInnen zu beeinträchtigen. Unterstützt durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg verfügt der Nikolaisaal über 300 OHRPHON-Geräte. Sie bestehen aus einem einseitigen Kopfhörer so-

wie einem Empfänger, über den unter anderem live eingesprochene Zusatzinformationen und Kommentare übermittelt werden können, wobei umgebende Geräusche und Klänge mit dem freien Ohr wahrgenommen werden. Nach einer 30-minütigen Einführung im Foyer setzen sich SchülerInnen der Klassenstufen 3 bis 12, ausgestattet mit OHRPHON-Geräten, in den Saal; oben in der Technikloge nehmen die beiden Moderatoren Platz, wie in einer Dolmetscherkabine. Dank der Mehrkanaltechnik kann jeder selbst zwischen der Moderation für Musikanfänger oder der für Fortgeschrittene entscheiden und sein Gerät entsprechend einstellen. So wird jedem zielgruppengerecht ein Blick hinter die Kulissen als Hörerlebnis gewährt. Die Moderatoren erzählen nicht nur den Inhalt des Programms, sondern erklären den Gebrauch der Instrumente, das Einsetzen der Musikerinnen und Musiker sowie die Vorgehensweise des Dirigenten und der Solisten. Auch der Dirigent kann live dazugeschaltet werden, um die Probenarbeit noch unmittelbarer verfolgen zu können. Die direkte Ansprache jedes einzelnen Hörers über das OHRPHON macht es möglich, die Konzentration der Zuhörer auf das, was im Konzertsaal zu hören und zu sehen ist, zu fokussieren und die Aufmerksamkeit gezielt zu lenken. Ein tieferes Musikverstehen wird nicht nur für Menschen mit, sondern vor allem für Menschen ohne musikalische Vorbildung im Kontext des Live-Erlebnisses möglich. Nachdem sich das Format im Nikolaisaal Potsdam inzwischen fest etabliert hat, reisen die OHRPHON-Geräte dank der groß-


© Stefan Gloede

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zügigen Förderung durch die Ostdeutsche Sparkassenstiftung seit der Saison 2017/18 durchs Land Brandenburg und besuchen Partnerensembles an ihren Spielstätten. SchülerInnen, Familien und Erwachsene bekommen die Gelegenheit, in ihrer Region einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Probenarbeit hautnah mitzuerleben. Und den Brandenburger Orchestern wird dadurch ermöglicht, auch außerhalb der Ballungsgebiete Musikvermittlung anzubieten. Doch der Audioguide OHRPHON kommt nicht nur bei Probenbesuchen zum Einsatz. Bei ausgewählten Konzerten können BesucherInnen, die mehr wissen möchten als das, was im Programmheft steht, sich ein OHRPHON nehmen und einen Musikkritiker, der ebenfalls im Publikum sitzt, live bei seiner Arbeit erleben. Der Kritiker arbeitet als „kleiner Mann im Ohr“: Vor dem Konzert empfängt er die BesucherInnen und weist darauf hin, worauf sie beim Musikhören besonders achten sollen, er stellt das Orchester oder den Künstler vor und erzählt etwas über die Werke. In der Konzertpause sowie nach dem Schlussapplaus zieht er Bilanz und verfasst für die Anwesenden eine Sofort-Kritik.

Zuhörförderung von Klein auf: der HÖRCLUB Musik existiert aber auch außerhalb der Konzertsäle und Zuhörförderung darf sich nicht nur auf Sinfoniekonzerte beschränken. In einer Zeit, in der musikalische Bildung abnimmt, ist es besonders wichtig, Kinder schon in ganz jungem Alter an Mu-

sik heranzuführen und ihnen zu zeigen, wie viel Freude das eigene Musizieren machen kann – von den längst erwiesenen positiven Bildungseffekten ganz zu schweigen. Der Nikolaisaal Potsdam hat die Vision, sein eigenes Publikum zu bilden, zu binden und zu begleiten, schon ab einem frühen Alter – und auch die Eltern dazu anzuregen, zu Hause mit ihren Kindern (noch mehr) Musik zu machen und den Spaß daran gemeinsam zu entdecken. Für diese Altersgruppe gibt es im Nikolaisaal Potsdam verschiedene Angebote von Kleinkinderkonzerten bis hin zu Mitsingnachmittagen. Besonders dabei ist der HÖRCLUB mini, an dem fünf Kindergartengruppen wie an einem Patenprogramm teilnehmen können. Aufgrund des großen Interesses müssen diese ausgelost werden. Sechsmal in der Saison besucht eine Musikpädagogin die „Hörmäuse“ in ihren Kindergärten, um mit ihnen gemeinsam zu musizieren. Im Mittelpunkt stehen Klänge und Geräusche aus dem Alltag der Kinder: aus der Stadt, aus der Küche und aus dem Wald. Aus diesen werden musikalische Elemente – und so wird z. B. ein Küchenorchester aufgestellt, das die gesungenen Lieder auf Töpfen, Raspeln und mit Schneebesen rhythmisch begleitet. Die Klanggeschichten und Hörrätsel fördern die auditive Wahrnehmung und die Konzentration der Kinder: Sie lernen, Klänge, Geräusche, Melodien und Rhythmen bewusst zu hören, zu erkennen, voneinander zu unterscheiden und sie selbst zu produzieren. Außerdem werden durch das eigenständige Singen bzw. Rappen das Taktund Rhythmusgefühl gefördert.

Wesentlich für Kinder in diesem Alter ist Regelmäßigkeit, nicht nur bezüglich der monatlichen Kita-Sessions, sondern auch musikalisch. Jedes Mal wiederkehrende Elemente sind unter anderem ein Begrüßungslied und der Hörmäuse-Rap, ein Song über den HÖRCLUB mini. Diese musikalischen Bausteine werden in eine Rahmengeschichte eingebettet, die ebenfalls von einem für die Kinder vertrauten Thema handelt, z. B. von Wut, wenn die kleine Schwester den letzten Keks isst. So setzen sich die Kinder mit der eigenen Wut aus einer externen Perspektive auseinander und können sogar abstimmen, wie sie musikalisch klingt. Krönender Abschluss sind die Sitzkissenkonzerte, die im Nikolaisaal stattfinden, einmal für Kindergartengruppen, einmal für Familien. Hier öffnen die Hörmäuse ihre Klangschatztruhe und zeigen den ZuhörerInnen, was sie bei den sechs Kita-Sessions gelernt haben. Bei den Sitzkissenkonzerten und schon bei der letzten Kita-Session ist immer ein zusätzlicher Musiker, ein Multi-Instrumentalist dabei, der die Klanggeschichten durch sein vielfältiges Instrumentarium noch bunter und greifbarer macht. Jugendliche ab 16 können im HÖRCLUB kreativ mitmachen und Musik aus einer anderen Perspektive entdecken als im Schul- oder Instrumentalunterricht oder im Jugendsinfonieorchester. In Kooperation mit dem Jugendclub HOT des Hans Otto Theaters entwickeln die TeilnehmerInnen eine Live-Bühnenmusik zu einem Theaterstück, ausgehend von einem klassischen Werk. Im Rahmen eines Komposi-


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4.2018

Auszeichnung für das OHRPHON [@] Orchester Beim bundesweiten Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen 2018“ ist der Nikolaisaal Potsdam Anfang Juni für sein innovatives Hörvermittlungsprojekt OHRPHON [@] Orchester in Berlin ausgezeichnet worden und ist damit einer von drei Preisträgern aus dem Land Brandenburg. Insgesamt 100 Projekte „mit

Leuchtturmcharakter für den Standort Deutschland“ wurden prämiert, wie es seitens der Wettbewerbsinitiatoren von Bundesregierung und Bundesverband der Deutschen Industrie hieß. In diesem Jahr stand der Wettbewerb unter dem Motto „Welten verbinden – Zusammenhalt stärken. 100 Innovationen für Deutschland“.

tionsworkshops unter Anleitung von Profimusikern setzen sie sich mit dem Inhalt des Theaterstücks auseinander, sammeln musikalische Ideen, probieren sie aus, und so entsteht ein musikalisches Material, das in regem Austausch mit dem Jugendclub HOT in wöchentlichen Proben zur finalen Bühnenmusik weiterentwickelt und bei den Theatervorstellungen live von den TeilnehmerInnen gespielt wird. Eine wichtige Besonderheit des Projekts ist, dass es sich nicht nur an Jugendliche mit musikalischen Vorkenntnissen richtet, sondern jeder, der immer schon einmal ein Instrument oder Komponieren ausprobieren wollte, sich beteiligen kann. Dabei entsteht ein spannender Austausch zwischen den klassisch geprägten, mit klassischer Musik aufgewachsenen Jugendlichen und den TeilnehmerInnen, die sich eher in der Popmusik zu Hause fühlen. Der HÖRCLUB kreativ ist projektbezogen, läuft also lediglich über die Monate zwischen dem Workshopwochenende und den Aufführungen. Da es ein komplett außerschulisches Angebot ist und zudem die Proben oft abends oder an Wochenenden stattfinden, fordert es von den TeilnehmerInnen ein hohes Maß an Verbindlichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Und es

ist schön zu sehen, wie sich die jungen MusikerInnen gegenseitig motivieren. Sehr bereichernd ist außerdem der Austausch mit dem Jugendclub HOT während der Zusammenführungs- und Endproben: Nun wird über Inhalte und Umsetzung diskutiert, gemeinsame Lösungen oder Kompromisse müssen gefunden werden. Bei der guten Gruppendynamik und der positiven Arbeitsatmosphäre können alle etwas voneinander lernen. Als Teil der kreativen Prozesse probieren die Jugendlichen entweder neue Instrumente aus oder neue Spieltechniken am eigenen Instrument, was einige auch dazu bewegt, sich in eine neue Stilrichtung weiterzuentwickeln.

erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren

Sinfoniekonzerten sitzen werden oder sich für Kammermusik begeistern. Und was noch wichtiger ist: zu Hause mit ihren eigenen Kindern singen, musizieren und ihnen die Liebe zur Musik und verstehendes Musikhören selbst weitergeben. Das wäre die schönste Bestätigung und Anerkennung unserer Arbeit. ((

Hörvermittlung durch alle Lebensalter Die Tendenz, dass das Publikum der Baby-, Kinder- und Jugendangebote des Nikolaisaals Potsdam ineinander übergeht, ist bereits nach wenigen Jahren zu beobachten. Vielleicht gibt es in einigen Jahren eine „Nikolaisaal-Generation“, deren Mitglieder von den Babykonzerten über HÖRCLUB mini bis hin zu OHRPHON-Probenbesuchen und HÖRCLUB kreativ überall dabei waren und später im Großen Saal bei den

Eszter Magyar ist verantwortlich für die musikkulturelle Bildung und Hörvermittlung bei den Musikfestspielen Sanssouci und beim Nikolaisaal Potsdam.

Redaktion: Sebastian Herbst und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Anja Bossen und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler


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