5.2017 Musikpädagogische „Allrounder“? Mit dem Ziel, Studierende zu befähigen, „musikpädagogisch flexibel und offen auf die Dynamik musikbezogener und gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in unterschiedlichen Anwendungssituationen zu reagieren“, bietet die katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt den neuen Masterstudiengang „Inklusive Musikpädagogik/Community Music“ als Weiterbildungsstudiengang an. Studierende sollen Kompetenzen in „wissenschaftlich-theoretischen, pädagogisch-didaktischen, berufspraktischen und persönlichkeitsbezogenen Kompetenzfeldern“ erwerben und vertiefen. Ein Schwerpunkt ist vor allem die Befähigung zur Anleitung voraussetzungsloser Musizierprozesse in heterogenen Gruppen. Interessant ist, dass sich der Studiengang an eine äußerst heterogene Zielgruppe richtet, zu denen Studierende mit einem Abschluss in MusikLehramtsstudiengängen, künstlerischer Praxis, IGP, Musikvermittlung, Musikwissenschaft und Musiktherapie ebenso gehören wie AbsolventInnen in Kulturvermittlung, Pädagogik, Soziale Arbeit, Sonderpädagogik oder Sozialpädagogik. Auch wenn zur Aufnahme des Studiengangs eine Eignungsprüfung zu bestehen ist, so bleiben doch die Anforderungen vor allem im Bereich künstlerischer Präsentation vage: In ca. zehn Minuten tragen die BewerberInnen „instrumental und/oder vokal zwei stilistisch unterschiedliche Musikstücke vor, die ihren individuellen Leistungsstand bestmöglich abbilden“. Wer kein Instrument spielt oder singt, kann auch eine künstlerische Präsentation aus dem Bereich Tanz/Bewegung vortragen. Welche künstlerischen Fertigkeiten benötigen die BewerberInnen nun, um den Studiengang erfolgreich beginnen und absolvieren zu können? Nach erfolgreichem Abschluss des Masterstudiengangs jedenfalls sollen die AbsolventInnen gleichermaßen für die Arbeit in schulischen und jeglichen außerschulischen Domänen befähigt sein. Diese verschiedenen Musiziersituationen unterliegen jedoch unterschiedlichen Rahmenbedingungen und vor allem auch unterschiedlichen Zielsetzungen. Zudem ist es ein politisch ungünstiges Statement, wenn ein Weiterbildungsstudiengang meint, auch AbsolventInnen nichtmusikbezogener Studiengänge in zwei Jahren durch eine Art Fortbildung für Fachfremde zur Initiation, Reflexion und Evaluation komplexer Musizierprozesse in Schule und Musikschule befähigen zu können. Sollte dies nicht zur Expertise der Studiengänge IGP, EMP sowie Lehramt Musik gehören? Wäre es nicht sinnvoller, auf deren Expertise zu bauen und die Ansätze und Konzepte von Musizierprozessen in inklusiven Kontexten stärker in die bereits existierenden Studiengänge zu implementieren, als auf einen musikpädagogischen „Allrounder“ zu setzen? Sebastian Herbst
Inhalt 2 Kooperationen üben Zur Idee eines Praxissemesters für IGP-Studierende
5 Und es geht doch … Umstellung von freien auf fest angestellte Lehrkräfte
6 Einsatz fürs „Musikland D“ Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV)
8 Euphorievorsprung Was passiert eigentlich in der JeKits-Akademie?
10 Fest oder fast angestellt? Ein Kommentar und seine Folgen Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? info@musikschule-direkt.de
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5.2017
Kooperationen üben
Sebastian Herbst
Zur Idee eines Praxissemesters für IGP-Studierende
Kooperationen prägen und verändern das Berufsbild von Musikschullehrkräften immer deutlicher. Zugleich scheinen Studierende oft nicht ausreichend auf die längst alltägliche Berufsrealität vorbereitet zu sein. Wäre es daher nicht gut, wenn Studierende schon möglichst früh Kooperationen üben könnten?
)) Auf dem Musikschulkongress 2017 in Stuttgart wurde in Vorträgen, Diskussionen und Workshops immer wieder deutlich, dass das Berufsbild „Musikschullehrer/in“ nicht zuletzt durch Kooperationen mit anderen Institutionen an Vielfalt gewinnt, auf die Studierende im Rahmen ihres Studiums vorzubereiten sind. Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Kooperationspartnern in Projekten gehört längst zum Alltag einer Musikschule. „Das Aufgabenspektrum der Musikschulen erweitert sich vor dem Hintergrund immer umfangreicherer Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen und verändert das Berufsbild des Musikschullehrers“, schreibt Andreas Jäger in seiner Dissertation.1 Jäger stellt unter anderem fest, dass bei Kooperationen mit Schulen die Kommunikation zwischen den Musikschullehrkräften und den LehrerInnen der allgemeinbildenden Schulen nicht immer ausreichend gut funktioniert und hauptsächlich organisatorische Fragen thematisiert werden. Ein Fachbereichsleiter, der ebenfalls Methodikseminare an einer Musikhochschule gegeben hat, äußert in dieser Studie zudem, dass Studierende beispielsweise überfordert seien, Inhalte einer ganzen Klasse ver-
mitteln zu müssen, der Vermittlung also „einen anderen pädagogischen Ansatz als im Einzel- oder Kleingruppenunterricht zu Grunde legen [zu] müssen“. Er fordert daher „eine umfassende methodische Ausbildung für alle sowie eine von einer kompetenten und erfahrenen Persönlichkeit vermittelte Ausbildung im Klassenunterricht“.2 Offensichtlich besteht Bedarf, Studierende besser auf die berufliche Vielfalt mit ihren „neuen“ Aufgaben vorzubereiten. Und wo sind Studierende besser auf die Praxis vorzubereiten als in der Praxis selbst, wenn einer solchen Praxisphase eine fachdidaktische und forschungsorientierte Begleitung zugrunde liegt? Daher möchte ich in Anlehnung an das Praxissemester der Lehramtsstudiengänge die Idee eines Praxissemesters für IGP-Studierende vorstellen.
Praxissemester – wozu? Zur Professionalisierung der Lehrerinnenund Lehrerbildung und mit dem Ziel der Verbindung von Theorie und Praxis sowie der wissenschafts- und berufsfeldbezogenen Vorbereitung der Studierenden auf die Praxisanforderungen sieht § 12 des Lehrerausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen von 2009 vor, dass der Zugang zum Vorbereitungsdienst neben einem Orientierungspraktikum und Eignungspraktikum ein Praxissemester von mindestens fünf Monaten Dauer erfordert. Laut § 8 der Lehramtszugangsverordnung NRW 2009 sollen die Absolventinnen und Absolventen des Praxissemesters dann über die Fähigkeit verfügen,
) „grundlegende Elemente schulischen Lehrens und Lernens auf der Basis von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften zu planen, durchzuführen und zu reflektieren“, ) „Konzepte und Verfahren von Leistungsbeurteilung, pädagogischer Diagnostik und individueller Förderung anzuwenden und zu reflektieren“, ) „den Erziehungsauftrag der Schule wahrzunehmen und sich an der Umsetzung zu beteiligen“, ) „theoriegeleitete Erkundungen im Handlungsfeld Schule zu planen, durchzuführen und auszuwerten sowie aus Erfahrungen in der Praxis Fragestellungen an Theorien zu entwickeln“ und ) „ein eigenes professionelles Selbstkonzept zu entwickeln.“3 Studierende im Praxissemester sollen ihr Rollenverständnis sowie ihre Berufsperspektive reflektieren, theoretische Studien mit ihren Erfahrungen in der Praxis verknüpfen und im Sinne forschenden Lernens Unterricht beobachten, analysieren, reflektieren und erproben. (Selbst-)Reflexion, Beratung, fachdidaktische und forschungsorientierte Begleitung sind dabei zentrale Aspekte des Praxissemesters. Wie diese einzelnen Elemente in einem Praxissemester für IGP-Studierende umgesetzt werden könnten, werde ich im Folgenden beschreiben. Dabei ist anzumerken, dass die Ausführungen lediglich als Idee zu verstehen sind. Zur Umsetzung ist die Erarbeitung eines ausführlichen Modells in Zusammenarbeit von Hochschule, Musikschule und Schule unabdingbar. Klar dürfte jedoch sein, dass das Berufsbild der
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Wie fühlt es sich an, an der Tafel vor der ganzen Klasse zu agieren? In einem Praxissemester könnten IGP-Studierende dies selbst erfahren.
Musikschullehrkräfte mit der Einführung eines Praxissemesters zum Ziel der Professionalisierung auch an politischer Wertschätzung gewinnen müsste.
Praxissemester – wie? Wie könnte ein Praxissemester für IGPStudierende aussehen? Auch hier lehne ich meine Überlegungen an das Praxissemester der Lehramtsstudierenden an, das in Evaluationen von Studierenden sehr positiv hinsichtlich der Kompetenzentwicklung sowie der Entwicklung eines professionellen Selbstkonzepts bewertet wird, und an dessen Optimierung weiterhin in einer Vielzahl an Arbeitsgruppen gearbeitet wird. Als Teil einer dieser Arbeitsgruppen und Lehrender im Praxissemester für das Fach Musik sollen dabei auch meine eigenen Erfahrungen mit Praxissemesterstudierenden einfließen. Vorbereitet durch ein Seminar im vorherigen Semester sollte das Praxissemester mindestens fünf Monate umfassen, in denen sich die Studierenden an vier Tagen der Woche in der Musikschule befinden und neben der Hospitation im Unterricht und dem eigenen Unterrichten in weitere Bereiche der Musikschularbeit – unter anderem Konferenzen, Elterngespräche oder Gespräche mit Kooperationspartnern – eingebunden sind. Bezogen auf den Unterricht könnten die Studierenden z. B. an zwei Tagen im Einzel-, Gruppen- und Ensembleunterricht der Musikschule hospitieren und eigenen Unterricht unter Begleitung einer Mentorin bzw. eines Mentors und vor allem mit Feedback- und Re-
flexionsgesprächen erteilen. Es bestünde dabei die Möglichkeit, einzelne Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum zu begleiten und im regelmäßigen Austausch mit den Mentorinnen und Mentoren zu stehen. Durch den recht ausgiebigen Zeitraum der Praxisphase könnte man Studierenden zudem die Möglichkeit geben, eine für Schülerin oder Schüler erste Unterrichtsstunde am Instrument zu erteilen, wenn Lehrende der Musikschule eine neue Schülerin oder einen neuen Schüler bekommen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine angemessene Deputatsermäßigung für die betreuenden Mentorinnen und Mentoren zwingend erforderlich wäre, um eine sinnvolle Begleitung der Studierenden zu gewährleisten. Zwei weitere Tage stünden dann für die Arbeit in zwei unterschiedlichen Kooperationsprojekten bereit. Dabei könnte man Studierenden anhand bestimmter Kriterien eine gewisse Wahlfreiheit lassen. Denkbar wäre zum Beispiel die Beteiligung an einem Kooperationsprojekt mit einer Grundschule am einen Tag und die Beteiligung an einer Streicher- oder Bläserklasse in der Sekundarstufe I am anderen Tag. Hier sind selbstverständlich viele weitere Kombinationen denkbar, um das breite Arbeitsfeld von Musikschullehrenden möglichst gut abzudecken. Vor allem aber ist unbedingt Zeit für Austausch und Planung der Kooperationspartner einzuplanen, denn „gerade die Zusammenarbeit mit allgemeinbildenden Schulen verlangt – heute mehr denn je – nach einer vertieften Abstimmung“ und zieht „die Einbindung in schulische Abläufe nach sich“.4
Einen weiteren Tag der Woche verbringen die Studierenden schließlich in ihrer Hochschule. Neben fachdidaktischen Begleitveranstaltungen, in denen Fragestellungen aus den Erfahrungen der Praxisphase aufgegriffen, theoriegestützte Reflexion angeleitet und zentrale didaktische und pädagogische Inhalte thematisiert werden, nehmen die Studierenden an einem Begleitforschungsseminar teil, in dem sie ein begrenztes Studienprojekt durchführen, das sich möglichst aus einer für die eigene Unterrichtstätigkeit praxisrelevanten Fragestellung ergibt. Ziel sollten hier nicht umfangreiche Forschungsprojekte sein, die die Studierenden zu methodisch vielseitigem Forschen befähigen oder einen erheblichen Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn liefern. Vielmehr sollen die Studierenden im Sinne forschenden Lernens einen reflektierenden Blick auf ihren Unterricht entwickeln, der ihnen ermöglicht, im späteren Berufsalltag Problemstellen im Unterricht wahrzunehmen, zu beobachten, zu analysieren und schließlich gezielt an Verbesserungen zu arbeiten.
Portfolioarbeit Die Praxisphase sei zudem durch ein Portfolio begleitet, das die Entwicklung der Reflexionskompetenz unterstützt. Die Portfolioarbeit sollte dabei durch fachdidaktische Begleitseminare betreut werden, die zur Reflexion anleiten. Aus eigener Erfahrung mit Praxissemesterstudierenden erweist sich die Arbeit an Videomitschnitten des eigenen Unterrichts als besonders hilf-
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ver.di wieder Mitglied im Landesmusikschulbeirat Berlin Im Januar 2014 verlor die Fachgruppe Musik in ver.di durch eine Änderung der Ausführungsvorschriften ihren Sitz im Beirat der Berliner Musikschulen. Durch die Aktivitäten und mit Unterstützung unter anderem des Berliner Landesmusikrats darf ver.di jetzt wieder ein ordentliches Mitglied benennen. Ausschlaggebend war dabei nicht nur die Kompetenz, sondern sicher auch, dass sich inzwischen fast 50 Prozent der Berliner Musikschullehrerkräfte in ver.di organisiert haben.
reich, wenn diese anschließend in kollegialer Fallberatung bearbeitet und durch schriftliche Reflexionselemente ergänzt werden. In einer Begleitforschung zum Einsatz dieser Methoden äußerten Studierende unter anderem, dass das Video ihnen die Möglichkeit gebe, Feedback noch einmal nachzuprüfen und dadurch besser nachvollziehen zu können. Zudem gaben sie an, dass Lösungsvorschläge der Kommilitoninnen und Kommilitonen zu neuen Ideen anregen und die Arbeit an den Videos der anderen auch für das eigene Unterrichten relevante Aspekte thematisiere. Die genaue Analyse einzelner Unterrichtssituationen unter einem Aspekt wurde dabei als sehr gewinnbringend erachtet. Diese Verbindung von Theorie und Praxis sollte erreichen, dass sich der forschende und reflektierende Blick auf den eigenen Unterricht auch im Berufsleben fortsetzt und eventuell zu mehr Austausch, Hospitationen, Feedback und Zusammenarbeit unter zukünftigen Kolleginnen und Kollegen im Sinne stetiger Verbesserung von Unterricht führt. In jedem Fall stellt das Praxissemester aber einen wichtigen Baustein zum Erreichen dieses Ziels dar.
Kooperationen üben In Bezug auf Kooperationen von Schule und Musikschule merkt Andreas Jäger in seiner Dissertation an, dass zwei sehr unterschiedliche Berufswelten aufeinanderträfen: auf der einen Seite „der auf die Förderung von Klassen ausgebildete und auf breite musikalische Bildung ausgelegte Pädagoge“ und auf der anderen Seite „der auf
künstlerische Individualität ausgerichtete, meist im Einzelunterricht lehrende Musiker“.5 Daher möchte ich den Vorschlag, Kooperationen mit Schulen in einem Praxissemester vor Ort zu üben und zu reflektieren, noch einmal besonders hervorheben. Anders als bei Jäger, der in Anlehnung an Ortwin Nimczik den Vorschlag macht, die „Kompetenzen beider Berufe in einer Person und damit in einer Ausbildung zusammenzuführen“,6 plädiere ich für eine Nutzung der jeweiligen Expertise bei einer frühzeitigen Einübung von Kooperationen in der Zusammenarbeit beider Kooperationspartner. Wäre es nicht denkbar, dass Praxissemesterstudierende der Instrumental- und Gesangspädagogik Kooperationen bzw. Tandems mit Praxissemesterstudierenden an allgemeinbildenden Schulen bilden? Koppelt man ein Praxissemester für IGP-Studierende zeitlich an das Praxissemester der Lehramtsstudierenden und räumt Zeit für Planungsprozesse und gemeinsamen Austausch ein, so wäre die Bildung von Tandems durchaus möglich. Zudem sollten dann auch die Begleitveranstaltungen der Hochschule bzw. Universität ein Modell zur kooperativen Begleitung der Studierenden entwickeln und gemeinsame Seminareinheiten durchführen. Die beiden Studiengänge der Hochschule bzw. Universität könnten so als Vorbild stehen für ein Gemeinsames statt eines Nebeneinander oder Getrenntvoneinander. Sicher ist, dass ein bereits im Studium implementiertes Üben von Kooperationen sowohl für IGP- als auch für Lehramtsstudierende äußerst gewinnbringend zur Vor-
bereitung auf die anspruchsvolle berufliche Vielfalt wäre. Zudem könnte das frühe Üben von Kooperationen einen Beitrag zu einer Professionalisierung von Kooperationen bei gegenseitiger wertschätzender Anerkennung und sinnvoller Nutzung der jeweiligen Expertise leisten. ((
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Andreas Jäger: Musikschulen in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen. Wandel des Berufsbildes Musikschullehrer am Beispiel des Unterrichtsmodells „Stark durch Musik“, Wißner, Augsburg 2012, S. 13. 2 ebd., S. 155. 3 Verordnung über den Zugang zum nordrheinwestfälischen Vorbereitungsdienst für Lehrämter an Schulen und Voraussetzungen bundesweiter Mobilität (Lehramtsverordnung – LZV) vom 18. Juni 2009, § 8. 4 Verband deutscher Musikschulen: Stuttgarter Appell 2017, S. 2, www.musikschulen.de/medien/ doks/Positionen_Erklaerungen/stuttgarter-appellvdm-bundesversammlung.pdf 5 Jäger, S. 12. 6 ebd. S. 199.
Sebastian Herbst ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Musik und ihre Didaktik der Universität Paderborn und Klavierlehrer an der Musikschule Dortmund.
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Die Umstellung der Musikschule von freien Dozenten auf fest angestellte Lehrkräfte ist möglich
Und es geht doch … Im Zuge der anhaltenden Diskussionen über Festanstellungen an Musikschulen hat sich Mario Müller, Inhaber einer freien Musikschule in Bonn, entschieden: An seiner Musikschule wird es künftig nur noch fest angestellte Lehrkräfte geben.
)) Seit dem 1. April 2017 ist die Diskussion über Scheinselbstständigkeit von DozentInnen an Musikschulen wieder voll entbrannt, denn seit diesem Tag gibt es einen neuen Paragrafen im BGB (611a), der das Arbeitsverhältnis klarer definiert. Diese Definition ist zwar nicht vollkommen neu, aber sie regt nun doch sehr eindeutig dazu an, über die Arbeitsverhältnisse in Musikschulen genau nachzudenken. Für die Prüfung der Rentenversicherung ist es unerheblich, ob der Vertrag mit „Honorarvertrag“ oder „Arbeitsvertrag“ überschrieben ist; wichtig ist, wie das Arbeitsverhältnis gelebt wird. Genau diesen Sachverhalt schaut sich die Rentenversicherung nun genauer an und befragt hierzu auch die DozentInnen. Allerdings ist es durch das Gesetz leider nicht gelungen, eindeutige Richtlinien zu bekommen, wann eine Lehrkraft frei oder angestellt ist. Jeder Fall muss nach wie vor individuell geprüft werden.
Neue Unternehmensstruktur Ich betreibe seit 1989 gemeinsam mit meiner Geschäftspartnerin Andrea Kuchenbuch „Marios Musikschule“, die seit vier Jahren als gemeinnützige GmbH firmiert. Durch den Zukauf von zwei Musikschulen sind wir sehr stark gewachsen und brauchen aus diesem Grund nun eine neue Struktur im Unternehmen. Im Zuge dessen haben wir uns darüber Gedanken gemacht, wie wir zukünftig mit unseren LehrerInnen zusammenarbeiten möchten.
Wir legen in unserer Musikschule großen Wert auf qualitätvollen Unterricht und auf Alleinstellungsmerkmale, mit denen wir uns von den Mitbewerbern vor Ort unterscheiden. „Marios Musikschule“ vertritt daher ein eindeutiges Unterrichtskonzept: Wir haben diverse Unterrichtsprogramme mit Lehrplänen wie beispielsweise Rockschool, ABRSM oder unser eigenes Unterrichtsprogramm Mamu-Play. Teamarbeit unter den Lehrkräften ist uns ebenso wichtig wie ein gut funktionierender Kundenservice. Damit wir all dies umsetzen können, ist es nötig, Weisungen an Lehrkräfte zu geben, was bei freien Mitarbeitern nicht möglich ist. Somit haben wir uns entschlossen, alle DozentInnen in feste Arbeitsverhältnisse zu übernehmen.
Konkrete Umsetzung Seit dem 1. August hat „Marios Musikschule gGmbH“ nun 25 feste Angestellte und drei DozentInnen in einem freien Arbeitsverhältnis, die für Vertretungen zur Verfügung stehen. Eine solche Personalumstellung bedeutet für unsere Musikschule auf der einen Seite eine neue Kostenstruktur und auf der anderen Seite eine neue Führungsstruktur. Unser Team ist durch die neuen Verträge kleiner geworden, da viele DozentInnen sich nun für uns als Arbeitgeber entschieden haben und somit an zusätzlichen Tagen bei uns unterrichten. Unsere angestellten Musiklehrkräfte werden nun nicht mehr pauschal für einen Schüler oder eine Gruppe bezahlt, sondern nach Anwesenheit in der Musikschule. Dies umfasst Lehrerbesprechungen, Schülerkonzerte und auch öffentliche Auftritte oder Probestunden. Für die Musikschule bedeutet dies, dass z. B. Schülerkonzerte zukünftig gegenfinanziert werden müssen.
Mario Müller
Eine weitere finanzielle Auswirkung ist, dass auf das Bruttogehalt noch einmal ca. 21 % Sozialabgaben (Arbeitnehmeranteil) kommen. Die Abgaben an die Künstlersozialkasse entfallen jedoch, sodass die Mehrbelastung für die Musikschule rund 17 % beträgt. Diese Mehrbelastung haben wir uns mit den Lehrkräften kalkulatorisch geteilt, da diese als Arbeitnehmer nun auch Urlaubsanspruch und Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall haben und somit ebenfalls von der Umstellung profitieren.
Noch mehr Vollzeitstellen Eine Herausforderung für die Zukunft ist, dass wir mehr Vollzeitstellen schaffen möchten. Dazu benötigen wir weitere Kooperationen mit Kitas und Schulen, in denen man schon am Vormittag unterrichten kann, oder Unterrichtsprogramme für ältere Erwachsene, die dann in der Musikschule ebenfalls am Vormittag stattfinden können. Diese Herausforderung werden wir jedoch nicht alleine lösen können, sondern nur gemeinsam mit der Politik und den Kommunen. Langfristig müssen wir dafür sorgen, dass Musikunterricht wieder eine deutlich höhere Wertigkeit erhält und damit der Beruf des Instrumentallehrers wieder attraktiv wird. Durch unsere Entscheidung erhoffen wir uns eine engere Bindung der MitarbeiterInnen an unser Unternehmen und somit auch eine noch größere Zufriedenheit unserer KundInnen. ((
Mario Müller ist Leiter von „Marios Musikschule“ in Bonn und Vorsitzender des Bundesverbands der freien Musikschulen (bdfm).
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Einsatz fürs „Musikland D“
Gerald Mertens
Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) unterstützt auch Lehrbeauftragte an Musikhochschulen und Freischaffende )) Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) ist sowohl als Berufsverband als auch als Gewerkschaft der Orchestermusiker, Rundfunkchorsänger, der freischaffenden Musiker und der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen auf vielfältige Art für ihre Mitglieder tätig. Als Gewerkschaft setzt sie sich vor allem für die Regelung der Arbeits- und Vergütungsbedingungen ihrer rund 12 800 Mitglieder ein. Dies geschieht insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen. Da es in Deutschland, anders als in anderen Ländern, keinen echten „Orchesterverband“ gibt, nimmt die DOV auch Teile dieser klassischen Verbandsaufgaben wahr. Die DOV leitet ihre Rolle und ihr Selbstverständnis aus ihrem hohen Organisationsgrad von über 90 Prozent in allen Berufsorchestern und der Tatsache ab, dass die Musikerinnen und Musiker selbst die wichtigste und bestimmende Ressource eines Orchesterbetriebs sind.
Lehrbeauftragte und Freischaffende Jenseits der Regelung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für professionelle Musikerinnen und Musiker setzt sich die DOV auch für ihre freischaffenden Mitglieder, die Lehrbeauftragten an Musikhochschulen und Lehrkräfte an Musikschulen ein. Traditionell waren Orchestermusikerinnen und -musiker schon immer auch an Musikhochschulen und Musikschulen tätig und haben dort Schüler und Studierende auf die Herausforderungen eines Musikstudiums bzw. der künstlerischen Berufspraxis vorbereitet. Da in den vergangenen Jahren angesichts teilweise prekärer Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Lehrkräfte an Musikschulen und Hochschulen der Bedarf an gewerkschaftlicher Organisation und rechtlicher
Betreuung gewachsen ist, organisiert die DOV inzwischen auch Mitglieder in diesen Bereichen. Hierzu wurde eine eigene Arbeitsgruppe gebildet. Auch findet eine Zusammenarbeit mit der ebenfalls in den vergangenen Jahren neu gegründeten Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (BKLM) sowie punktuell mit den Gewerkschaften GEW und ver.di statt. Um die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Honorar- und Vertragsbedingungen sukzessive zu verbessern, steht die DOV im Dialog mit Bildungspolitikern der Landesparlamente, den zuständigen Referenten der Landesverwaltungen und den Rektoren der Musikhochschulen. Ziele sind unter anderem die Schaffung von mehr festen Stellen, die Anhebung der Honorarsätze auf ein angemessenes Niveau, die regelmäßige Anpassung der Honorare an die Lohnsteigerungen des öffentlichen Dienstes und die angemessene Vertretung von Lehrbeauftragten in Hochschulgremien und Personalräten. Da die Zahl der freischaffenden Musikerinnen und Musiker weiter ansteigt, die – obwohl für Orchesterinstrumente ausgebildet – keine feste Stelle mehr in einem Berufsorchester finden, setzt sich die DOV auch für angemessene Marktbedingungen in der freien Szene ein. Musiker, die in freien Ensembles, in Kammermusikgruppen oder auch als Aushilfen bei Berufsorchestern tätig sind, sollen für ihre Dienstleistung angesichts ihrer hohen Qualifikation angemessen vergütet werden. Daher verfolgt die DOV die Etablierung von Mindeststandards, die bei Beschäftigung in der freien Szene als Orientierung dienen sollen. Gleiches gilt für die Erfassung und Anpassung der Vergütungen für Aushilfen in Berufsorchestern.
Organisationsstruktur Verbunden mit dem Rollenverständnis als Gewerkschaft ist auch die basisdemokratische Organisationsstruktur. Die DOV-Mitglieder in jedem Klangkörper wählen aus ihrer Mitte einen Delegierten und einen stellvertretenden Delegierten. Auch Studierende und Einzelmitglieder (vor allem freischaffende Musiker und Lehrbeauftragte) können eigene Delegierte wählen. Die Delegierten treten alle drei Jahre zur Delegiertenversammlung zusammen, die das höchste Organ des Verbandes darstellt. Die Delegiertenversammlung wählt unter anderem den Gesamtvorstand, der für bestimmte Bereiche Sonderbeauftragte ernennen kann (zum Beispiel für Hochschulund Ausbildungsfragen oder für Kulturpolitik). Außerdem können durch den Gesamtvorstand Arbeitsgruppen gebildet werden, beispielsweise für Musikermedizin und Prophylaxe, für Personal- und Organisationsentwicklung, für Freischaffende und Lehrbeauftragte. Eine hauptamtliche Organisationsstruktur mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin sorgt für die Umsetzung der Verbandsbeschlüsse und -ziele.
Lobbying Zur Rolle als Berufsverband gehört auch das Lobbying gegenüber Entscheidern in Verwaltung und Politik in Bund, Ländern und Kommunen sowie im öffentlichrechtlichen Rundfunk, aber verstärkt auch im europäischen und internationalen Rahmen. Eine besondere Herausforderung für die DOV als zentral in Berlin organisierter Bundesverband ist die Arbeit in Ländern und Kommunen sowie in den Rundfunkanstalten. Kultur- und Medienpolitik ist im Grundsatz Ländersache und verlangt da-
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her den direkten Dialog auch der hauptamtlichen DOV-Vertreter mit den Zuständigen in Landes- und Kommunalpolitik sowie den Referenten der Fachverwaltungen.
Kampagnen „Orchesterland D“ und „Hochschulland D“ Begleitend zur bereits 2009 von der DOV beschlossenen Forderung, die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO anzuerkennen, wurde 2013 die Kampagne „Orchesterland D“ ins Leben gerufen, die z. B. über Plakate, Aufkleber, einen Blog und eine Facebook-Seite das Bewusstsein für die einzigartige und erhaltenswerte Orchesterlandschaft in Deutschland öffentlich propagiert. Im Dezember 2014 wurde die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft auf die nationale UNESCOListe des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Im Dezember 2016 haben Bundesregierung und Bundesländer beschlossen, die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft für die internationale UNESCOListe zu nominieren. Über die endgültige Aufnahme entscheidet der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Immateriellen Kulturerbe im Winter 2019. Unter der Überschrift „Hochschulland D“ bündelt und kommuniziert die DOV ihre Aktivitäten und Fortschritte für die Verbesserung der Honorar- und Beschäftigungsbedingungen für Lehrbeauftragte an Musikhochschulen. In einem Blog werden aktuelle Entwicklungen und Forderungen dokumentiert und begleitet.
Musikvermittlung Orchester, Konzerthäuser und Musiktheater leiten die Legitimation für ihre öffentliche Finanzierung auch daraus ab, dass sie
sich bemühen, möglichst breite Bevölkerungsschichten und viele Ziel- und Publikumsgruppen anzusprechen. Die DOV hat vielfältige Impulse gesetzt und Aktivitäten entwickelt, um Musikvermittlung und Audience Development zu befördern. 2004 wurde von der DOV gemeinsam mit weiteren Verbänden, darunter der Bundesverband Musikindustrie, die Jeunesses Musicales Deutschland, der Verband deutscher Musikschulen, und Partnern aus Österreich und der Schweiz das „netzwerk junge ohren“ (njo) gegründet. Inzwischen sind rund 300 korporative Teilnehmer (Orchester, Konzerthäuser, Musiktheater, Musikhochschulen, Musikverlage) und Einzelteilnehmer (Musikvermittler, freie Ensembles, Studierende) im njo verbunden.
Kooperationen Die DOV unterhält verschiedene Kooperationen. Auf gewerkschaftlicher Basis arbeitet die DOV im Rahmen eines formellen Kooperationsvertrags mit ver.di zusammen. Gemeinsame Interessen bestehen auch bei der sozialen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern, bei Fragen des Urheber- und Leistungsschutzrechts, bei der Verbesserung der Arbeits- und Vergütungsbedingungen von Musikschullehrkräften und Honorarbedingungen von Lehrbeauftragten. Auf fachlicher Ebene kooperiert die DOV mit den beiden weiteren im Theaterbereich vertretenen Gewerkschaften, der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO) und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA). Weitere Kooperationsverträge verbinden die DOV mit dem Bundesverband Musikunterricht (BMU) sowie dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) und der Jeunesses Musicales Deutschland. Aus
Sicht der DOV kooperieren hier vier verwandte Sparten der professionellen Orchestermusiker, der Mitglieder in Jugendorchestern, der Musikschulen und ihrer Lehrkräfte sowie der Schulmusikpädagogen miteinander. Ein besonders erfolgreiches Praxisprojekt dieser Kooperation ist seit 2004 die Orchesterpatenschaft „tutti pro“. Bis Frühjahr 2017 wurden bundesweit 54 Patenschaften von Berufsorchestern für Jugendorchester – auch aus Schulen, Musikschulen oder Universitäten – übernommen.
Ausblick Die DOV ist gut aufgestellt, bleibt aber auch in Zukunft auf ein hohes ehrenamtliches Engagement angewiesen. Auch bedarf es beständiger Arbeit, den hohen Organisationsgrad in der Mitgliedschaft zu halten und weitere Potenziale vor allem bei Freischaffenden und Lehrbeauftragten zu generieren. Inhaltlich gilt es, die wichtigen Themen der nachhaltigen öffentlichen Kulturfinanzierung durch Bund, Länder und Kommunen, eine stabile Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Klangkörper, gesellschaftlich ein im Grundsatz investitionsfreundliches Klima für die Renovierung und den Neubau von Kulturimmobilien zu schaffen und für bessere Bedingungen an Musikschulen und Musikhochschulen zu sorgen. (( Weitere Informationen unter www.dov.org
Gerald Mertens ist Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV).
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Was passiert eigentlich in der JeKits-Akademie? Und wem soll sie nützen?
Euphorievorsprung
Was die JeKits-Akademie nicht ist, lässt sich leicht angeben: Von Anfang an war klar, dass sie kein zusätzliches Weiterbildungsprogramm oder -format sein soll. Was sie stattdessen (geworden) ist, lässt sich aufgrund ihrer Komplexität und Prozesshaftigkeit weniger einfach sagen.
)) Ende Februar 2016 kamen 25 JeKitsLehrkräfte aus Nordrhein-Westfalen für das erste von mittlerweile sieben Wochenenden in der Musikschule Bochum (seit 2017 in der Landesmusikakademie NRW in Heek) zusammen. Kaum waren alle versammelt, überraschte Gastdozent Achim Tang die Gruppe mit einem improvisatorischen Praxisimpuls, der weder eingeführt noch erläutert wurde. Im Anschluss erlebten die TeilnehmerInnen eine theoretisierende, abstrakte Einführung meinerseits in das, was ich mir unter der JeKits-Akademie vorstellte. Ich hatte nicht nur den Namen „JeKits-Akademie“ sehr ernst genommen, nämlich akademisch verstanden, sondern dieses Verständnis zudem selbst „akademisch“ (oder anders ausgedrückt: unverständlich) formuliert. Am Anfang standen also Irritationen, die weniger didaktisch geplant waren als vielmehr Ausdruck davon, dass hier etwas von Grund auf entstehen sollte, von dem niemand wusste oder wissen konnte, wie es geht und wohin es führt. Mehr und mehr bildete sich dann ein Ansatz heraus, der als für die JeKits-Akademie typisch gelten kann. Es handelt sich um eine Prozessform, die sich im Grunde selbstorganisiert ergeben hat und mittlerweile so bewährt
ist, dass wir in der JeKits-Akademie sagen können, wie wir (meistens) vorgehen:
Franz Kasper Krönig
Beobachtet werden dabei nicht primär Kinder und ihr Noch-nicht- oder SchonKönnen, auch nicht die Qualität des Lehrerhandelns, sondern Settings, Methoden und Materialien vor allem im Hinblick darauf, welche Barrieren und welche Möglichkeiten sie für eine gemeinsame künstlerische Praxis und ästhetisches Erleben bieten.
1. Am Anfang des Prozesses steht in der Regel eine Praxis. Das kann zum Beispiel eine Methode, ein Notenmaterial, eine Unterrichtssequenz oder eine Aufführung sein, solange sie für die Anwesenden als etwas Wirkliches, Konkretes, Wahrnehmbares und Machbares im Raum steht. Oft sind es die Teilnehmenden, manchmal GastdozentInnen, die etwas vorführen, bei dem die Anwesenden in der Regel mitwirken, wobei jeweils Einzelne eine Beobachtungs- und Dokumentationsaufgabe übernehmen. Dirigierte Improvisation, Komposition, Songwriting, Tanz zu oder mit Musik (und anders herum), Arrangements vorhandener Stücke (z. B. aus dem JeKitsMaterialpool) und vieles mehr wurde auf diese Weise im ersten Schritt ausprobiert. Wie im Folgenden deutlich werden soll, geht es in allen Fällen nicht darum, ob es sich um eine besonders „gute“ oder „progressive“, geschweige denn „innovative“ Praxis handelt, denn so gut wie jeder Praxiseinblick bietet Erkenntnis- und Entwicklungsmöglichkeiten.
3. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen und Dokumentationen wird zunächst versucht, zu einer Generalisierung des Praxisbeispiels zu kommen. Um was für eine Art bzw. einen Fall von was handelt es sich? Welche Zielsetzungen scheinen damit verbunden zu sein? Geht es beispielsweise um instrumentalpädagogisches Lernen, um musiktheoretische Wissensvermittlung, um Gruppenbildungsprozesse, um ästhetisches Erleben, um künstlerische Erfahrung? Wie schätzt man das vorliegende Material oder die betreffende Methode im Hinblick auf ihre Funktionalität für die zugeschriebene Zielsetzung ein? Welche anderen Ansätze gibt oder gäbe es alternativ dafür? Welche Prinzipien und Werte geraten in den Fokus, welche aus dem Blick?
2. Eine Auseinandersetzung mit dem jeweiligen „Stück Praxis“ wird erst dadurch möglich, dass dieses systematisch beobachtet und dokumentiert wird. Die JeKitsAkademie hat hierzu bestehende pädagogische Beobachtungsverfahren aufgegriffen, kritisch betrachtet, weiterentwickelt und für den Gegenstand des musikalischen Erlebens, Handelns und Kommunizierens in inklusiven Settings spezifiziert.
4. Haben wir eine Vorstellung davon gewonnen, um welche Prinzipien und Werte es bei einem konkreten Praxisansatz geht und wie er dabei im Vergleich zu anderen Ansätzen verfährt, können die Einzelnen versuchen, sich diesen Ansatz anzueignen bzw. ihn weiterzuentwickeln. Dabei müssen die allgemeinen Prinzipien und Vorgehensweisen für die eigene Praxissituation und die eigene Person spezifiziert werden.
© JeKits -Stiftung
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JeKits-Akademie
Wie lässt sich der Ansatz so konkretisieren, dass er die Räumlichkeiten, die Gruppenstruktur, die Interessen und Fähigkeiten der oder des Dozierenden und nicht zuletzt die Identität und „Geschichte“ der jeweiligen JeKits-Gruppe und deren aktuelle Interessen berücksichtigt? 5. Auf diese Weise kam es zu etlichen Aneignungen und Weiterentwicklungen, die von den Teilnehmenden in der eigenen Praxis ausprobiert wurden. Aus instrumentalen Kompositionsansätzen wurden vokale, aus tänzerischen Methoden musikalische, aus Songwritingansätzen für Großgruppen solche für Kleingruppen etc. In vielen Fällen wurden die Prozesse und Ergebnisse in der folgenden JeKits-Akademiephase den KollegInnen auf Video vorgeführt oder als Praxis angeleitet. 6. Diese neuen Praxisbeispiele wurden in einigen Fällen wiederum systematisch beobachtet, dokumentiert, reflektiert und diskutiert. Wenn über zwanzig KollegInnen gemeinsam überlegen, was von diesem Praxisbeispiel ausgehend noch möglich wäre, um die Wahrscheinlichkeit gemeinsamen künstlerischen Handelns und ästhetischen Erlebens zu erhöhen, kommt in kurzer Zeit ein Reichtum an konkreten Ideen zusammen, deren Realisierbarkeit nicht nur diskutiert, sondern zudem ausprobiert werden kann. Die Frage, was man eigentlich kann, wenn man an der JeKits-Akademie teilgenommen hat, ist ein ständiges Thema in der JeKits-Akademie, genau wie die Frage, wie
dieses mutmaßliche Können der gesamten JeKits-Landschaft (den Kindern, den KollegInnen, den Musikschulen, den Lehrpersonen, den Eltern) zugute kommt. Was die erste Frage betrifft, könnte man auf eine Reihe von Qualifizierungsleistungen verweisen, wie man es auch im Kontext klassischer Weiterbildungsformate tun würde. Beobachten, Dokumentieren und Moderieren wären Beispiele solcher Qualifikationen, die einen „technologischen“ Anteil aufweisen, sodass man konkrete „Skills“ nachweisen kann. Dazu gehören auch musikdidaktische Ansätze und Methoden, die gemeinsam ausprobiert wurden und den Teilnehmenden nun als Technik zur Verfügung stehen. Der Erwerb konkreter Qualifikationen ist sicherlich nicht gering zu schätzen und zu einem gewissen Teil sogar unverzichtbar für die Arbeit der JeKits-Akademie. Noch wesentlicher scheint aber das zu sein, was wir einen „Reflexionsvorsprung“ genannt haben. Damit soll nicht gesagt sein, dass die TeilnehmerInnen an der Akademie reflektierter sind als andere, sondern dass sie die Gelegenheit hatten und nutzten, in einer erheblichen Intensität und Breite über drängende Fragen der eigenen JeKits-Praxis nachzudenken und diese Gedanken in ihre Praxis einzuführen. Aus dieser Möglichkeit ergibt sich eine besondere Verantwortung. Die „programmatische Mitverantwortung“ für JeKits, von der Peter Röbke in der vergangenen Ausgabe sprach, könnte möglicherweise für manche KollegInnen wie eine Überforderung, vielleicht wie eine Zumutung klingen. Die TeilnehmerInnen an der JeKits-
Die JeKits-Akademie wird von der JeKits-Stiftung in Kooperation mit dem VdM-Landesverband NordrheinWestfalen veranstaltet. Die Akademie eröffnet den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, ein persönliches Handlungskonzept für das gemeinsame Musizieren mit Kindern zu entwickeln. Gemeinsam mit den teilnehmenden Lehrkräften werden in offener Werkstatt-Form Erfahrungen ausgetauscht, Neuerungen ausprobiert und reflektiert sowie individuelle Ansätze und Strategien zum Musikmachen mit Kindern erarbeitet und diskutiert. Unterstützt wird dies durch Impulse von Gast-DozentInnen aus verschiedenen Fachgebieten. Nach einer ersten Phase mit vier Wochenendterminen im Jahr 2016 fanden dieses Jahr drei zweitägige Akademie-Phasen in der Landesmusikakademie NRW statt. Wie konzeptionell vorgesehen arbeitet die JeKits-Akademie ungefähr paritätisch mit Teilnehmenden des ersten Jahres und neu hinzukommenden Lehrkräften aller drei JeKits-Schwerpunkte. Moderiert wird die JeKits-Akademie von Franz Kasper Krönig und Thorsten Neubert. Eine Dokumentation des JeKits-Akademie-Prozesses ist zurzeit im Druck und wird an den beteiligten Musikschulen noch in diesem Jahr zur Einsicht vorliegen.
Akademie suchen jedenfalls nach Möglichkeiten, nicht nur ihre eigene Praxis weiterzuentwickeln, sondern dies auch in ihrem Umfeld zu tun. Nicht, indem sie jemanden mit ihrem „Reflexionsvorsprung“ belehren, sondern eher, indem sie mit ihrem „Euphorievorsprung“ anstecken. Die Begeisterung kommt im Übrigen nicht daher, dass alle alles toll fänden und sich mit dem Ist-Zustand von JeKits in jeder Hinsicht identifizierten, sondern daher, dass Probleme im gemeinsamen Prozess zu spannenden Problemen wurden, auf deren Bearbeitung man Lust hat. Und dass in diesem Prozess deutlich wird, dass es nicht um den Ist-Zustand, sondern um die gemeinsam zu gestaltende Zukunft von JeKits geht. ((
Dr. Franz Kasper Krönig ist Professor für Elementardidaktik und Kulturelle Bildung an der TH Köln, Dozent und Projektleiter an der Offenen Jazz Haus Schule und Moderator der JeKits-Akademie.
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Fest oder fast angestellt? Ein Kommentar und seine Folgen )) Zitat aus dem Kommentar von Anja Bossen und Sebastian Herbst (ver.di, Fachgruppe Musik) zum Stuttgarter Appell des VdM: „Wer dies nicht möchte [eine Festanstellung], dem stehen sowohl private Musikschulen als auch die Tätigkeit als Privatmusiklehrkraft offen. Als solche kann schließlich jeder unterrichten, wie und was er will, ohne sich nach irgendwelchen Vorgaben und Lehrplänen richten zu müssen; in einem staatlichen Bildungsinteresse kann dies allerdings nicht liegen.“ Dieser Satz zeigt die ganze Aggressivität der seit jeher einseitigen Lobbyarbeit von ver.di zugunsten des öffentlichen Dienstes. Diese ist mit ursächlich für die Ungleichbehandlung zigtausender Musikschüler/innen und ihrer Familien in Deutschland und mitverantwortlich für die prekäre Einkommenssituation vieler tausend Musiklehrkräfte im Land, die selbstständig oder an freien/privaten Musikschulen und -instituten unterrichten. Dazu haben wir aus Sicht des Bundesverbands der Freien Musikschulen Folgendes zu sagen: 1. In bdfm-zertifizierten Musikschulen kann mitnichten jeder unterrichten, sondern ausschließlich qualifizierte Lehrkräfte. 2. Der Anteil fest angestellter Musiklehrkräfte sinkt in unseren Schulen nicht (wie im VdM), sondern steigt. 3. Das staatliche Bildungsinteresse ist, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen Zugang zu qualitativ hochwertiger musikalischer Bildung haben. Die Qualität von Bildung ist jedoch nicht von einer staatlichen Schulträgerschaft abhängig, sondern von einem geregelten Qualitätsmanagement sowie von einer öffentlichen Förderung, die dieses auch ermöglicht. Sehr oft bieten bereits jetzt private Schulen eine höhere Qualität als viele staatliche. 4. Das entscheidende Hemmnis für Festanstellungen (oder höhere Honorare) in
bdfm-Schulen ist die Tatsache, dass öffentliche Förderung in fast allen Kommunen ausschließlich der staatlichen Musikschule zuteil wird. Alle freien Musikpädagogen und freien Musikschulen müssen jedoch preislich mit diesen subventionierten Schulen konkurrieren. Im Ergebnis müssen sie eine mindestens gleichwertige kulturelle Bildungsarbeit mit nur ca. 40 bis 50 Prozent des Budgets einer kommunal geförderten Musikschule leisten. Dieser extreme Preisdruck und damit die Existenzängste zigtausender freier Musikpädagogen und ihrer Familien ist zu guten Teilen der oben angesprochenen massiven und einseitigen Lobbyarbeit der ver.di-Fachgruppe Musik zu verdanken. In vielen anderen Bildungsfeldern (Kindertagesstätten, allgemeinbildende Schulen, Berufsfachschulen etc.) ist ein geregeltes Nebeneinander verschiedener Trägerschaften (kommunal, kirchlich, privat) gang und gäbe. Nur bei den Musikschulen nicht. Daher unsere Forderung: Auch im Musikschulwesen müssen die Förderstrukturen endlich an die Wirklichkeit angepasst werden. Und diese Wirklichkeit ist: Circa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die außerschulischen Musikunterricht erhalten, erhalten ihn in freien Musikschulen oder bei freien Musikpädagoginnen und -pädagogen. Die Musikschulpolitik der öffentlichen Hand muss endlich dieser Tatsache Rechnung tragen und die freie Musikschulszene als das begreifen, was sie schon lange ist: eine entscheidende Säule der musikpädagogischen Landschaft in Deutschland. Der Bundesverband der Freien Musikschulen bietet sich in dieser Sache ausdrücklich allen Gesprächen an! Max op Den Camp Bundesvorstand des Bundesverbands der Freien Musikschulen
)) Zwei Seelen, ach, wohnen in jedes Musikers Brust: die eine, die nach Sicherheit verlangt und Festanstellung an der Musikschule erträumt, und die andere, die die unwägbare, krisenanfällige Unabhängigkeit des freien Musikers vorzieht, der eben auch ein bisschen an der Musikschule unterrichtet. Welche Vorteile haben Festanstellungen? Für den Einzelnen ist das ganz klar: soziale Sicherheit ist ein hohes Gut. Familienplanung und Hausbau sind möglich, die Existenzangst ist weg. Ich habe in Musikschulen gearbeitet mit vielen fest angestellten Kollegen und festgestellt, dass das einzige, was zunimmt, die Verwaltungsbürokratie ist. Aber die Freude am Musizieren, die Spontanität gehen in solchen Einrichtungen immer mehr verloren. Man geht halt arbeiten wie alle anderen auch. Der Musikschullehrer wird zum Unterstufenlehrer. Und anstrengen muss sich auch keiner mehr. Ein fest angestellter Musikschullehrer muss täglich fünf bis sieben Stunden arbeiten, um ungefähr auf eine 35-Stunden-Woche zu kommen. Das heißt, fest anstellen kann die Musikschule die Klavierlehrer, die Gitarrenlehrer, die Geigenlehrer und die Flötenlehrer. Für alle anderen sind nicht genug Schüler da. Insbesondere Bläser sind außen vor. Oder kann sich jemand einen fest angestellten Waldhorn- oder Oboenlehrer vorstellen mit 35 Schülern? Dazu kommt, dass für die Musikschulen die Kosten bei gleichem Angebot an Stunden um 40 Prozent steigen. Auf die Gebühren umlegen kann man das nicht. Also muss der Staat bzw. der Steuerzahler das Geld für die Lohnnebenkosten aufbringen. So entsteht dann eine Zweiklassengesellschaft: die hoch subventionierten Staatsmusikschulen auf der einen Seite mit ihren beamtenähnlichen Lehrkräften, und die kleinen kommunalen Vereinsmusik-
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Der Kommentar von Anja Bossen und Sebastian Herbst zum Stuttgarter Appell des VdM – „Wann, wenn nicht jetzt?“, musikschule )) DIREKT 4.2017, Seite 6 – hat einige Wellen geschlagen. Wir dokumentieren im Folgenden zwei Zuschriften sowie die Stellungnahme der beiden AutorInnen.
schulen und Privatmusikschulen auf der anderen Seite, die auf die Veränderungen und Interessen am Ort reagieren können, ihre Lehrer aber weiter lausig bezahlen müssen, weil die Preise am Markt nicht beliebig steigerbar sind. Fazit: Der gewerkschaftliche Kampf für die Besserstellung von Musikschullehrern ist lobenswert, aber es ist auch veraltetes Denken. Sinnvoller wäre es, zukunftsfähige Modelle zu entwickeln. Zum Beispiel gibt das Land Brandenburg 4,7 Millionen an Zuschüssen für die Staatsmusikschulen aus. Von den 45 000 Musikschülern im gesamten Land Brandenburg kommt diese Summe bisher nur den staatlichen/kommunalen Musikschulen zugute. Die Hälfte aller Lehrer und Schüler geht leer aus; und gleichzeitig wird ihnen pauschal die Qualität des Unterrichts abgesprochen. Würde man diese Millionensumme auf alle Musikschüler verteilen, nach Möglichkeit sogar einkommensabhängig, anbieterunabhängig, gleich, ob staatlich, kommunal, Vereinsmusikschule, inhabergeführte Privatmusikschule oder Privatmusiklehrer, dann hätten alle gleiche Bedingungen und jede Musikschule könnte selbst entscheiden, ob sie die Honorarkräfte besser bezahlt oder feste Stellen schafft. Das wäre fair gegenüber allen. Thomas Heyn Präsident des DTKV-Landesverbands Brandenburg
)) Unsere Stellungnahme zum Stuttgarter Appell des VdM hat zu Reaktionen geführt, deren Heftigkeit uns überrascht. Uns wurde vorgeworfen, wir würden sowohl Privatmusikschulen als auch Privatmusiklehrkräften ihre Unterrichtsqualität absprechen. Aufhänger dafür war der Satz: „Wer dies nicht möchte [eine Festanstellung mit Weisungsgebundenheit], dem stehen sowohl private Musikschulen als auch die Tätigkeit als Privatmusiklehrkraft offen. Als solche kann schließlich jeder unterrichten, wie und was er will, ohne sich nach irgendwelchen Vorgaben richten zu müssen; in einem staatlichen Bildungsinteresse kann dies allerdings nicht liegen.“ Doch man muss den Satz schon grammatisch richtig lesen: „Als solche“ bezieht sich auf das Wort „Privatmusiklehrkraft“. Richtig ist, dass jede Privatmusiklehrkraft unterrichten kann, was und wie sie will, sogar unabhängig davon, ob sie eine Ausbildung hat oder nicht, da diese Berufsbezeichnung nicht geschützt ist. Diese Aussage ist sachlich völlig korrekt. Über die Unterrichtsqualität einer einzelnen Lehrkraft ist damit überhaupt nichts gesagt. Und noch weniger besteht ein Zusammenhang zur Qualität von Musikschulen. Richtig ist aber auch, dass an Privatmusikschulen mehr Honorarkräfte unterrichten als an staatlichen Musikschulen. Damit besteht an Privatmusikschulen eine höhere Chance dafür, nicht fest angestellt zu werden, das heißt nicht weisungsgebunden zu sein und bestimmte Vorgaben umsetzen zu müssen, da freie Lehrkräfte überhaupt nichts müssen, außer ihren vertraglich vereinbarten Unterricht zu erteilen. Staatliches Bildungsinteresse ist es, ein möglichst hochwertiges, um nicht zu sagen „optimales“ Bildungsangebot zu schaffen (im Sinne dessen, was der Staat als „optimal“ betrachtet). Für dessen Umsetzung sind fest angestellte Lehrkräfte vonnöten, die weisungsgebunden sind, das heißt sowohl Zusammenhangstätigkeiten garantiert ausüben als auch Inhalte von Curricula und andere Vorgaben umsetzen, die der Staat für notwendig hält. Nicht umsonst müssen sich auch allgemein bildende Privatschulen nach vorgegebenen staatlichen Curricula richten; und um diese zu erfüllen, müssen Lehrkräfte an Privatschulen fest angestellt sein, damit sie die über das Unterrichten hinaus notwen-
digen Zusammenhangstätigkeiten zuverlässig erfüllen. Auch der VdM fordert genau aus diesem Grund einen sehr hohen Anteil von fest angestellten Lehrkräften. Dies schließt nicht aus, dass eine Lehrkraft, die ein wenig nachgefragtes Instrument unterrichtet oder bereits woanders fest angestellt ist, dies als Honorarkraft tun kann, was der VdM in seiner Forderung von 80 % Festangestellten zu 20 % nicht Festangestellten ja auch genau berücksichtigt. WaldhornlehrerInnen mit nur wenigen SchülerInnen können also durchaus als Honorarkraft unterrichten. Doch was spricht im Fall von wenigen SchülerInnen eigentlich gegen eine Teilzeitstelle mit entsprechend wenigen Stunden? Weisungsgebundenheit scheint dann letztlich aber auch an privaten Musikschulen etwas mit Qualität zu tun zu haben, denn Mario Müller (Leiter einer privaten Musikschule und Vorsitzender des bdfm) äußert in seinem Beitrag in dieser Ausgabe (siehe Seite 5), dass es zur Umsetzung von qualitätvollem Musikunterricht und der Herausbildung von Alleinstellungsmerkmalen nötig sei, Weisungen an Dozenten zu geben, „was bei freien Mitarbeitern nicht möglich ist“. Dabei kommt er bezüglich der Umstellung von Honorarkräften auf Festangestellte auf eine Mehrbelastung für die Musikschulen von 17 %. Der DTKV spricht hingegen von 40 %. Diese ziemlich voneinander abweichenden Zahlen sind recht überraschend. Dass Festanstellungen auch für private Musikschulen wichtig sind, zeigt aber nicht nur der Beitrag von Mario Müller, sondern auch der Kommentar des bdfm von Max op Den Camp, in dem zu lesen ist, dass der Anteil fest angestellter Musiklehrkräfte an Privatmusikschulen steige anstelle zu sinken, wie das in VdM-Musikschulen der Fall sei. Zahlen darüber, wie hoch dieser Anteil im Musikschulvergleich privat/VdM tatsächlich ist und in welchem Maß er bereits abgesunken bzw. gestiegen ist, werden nicht genannt. Laut Statistischem Jahrbuch des VdM, das alle zwei Jahre erscheint, liegt der Anteil fest angestellter Lehrkräfte an VdM-Schulen seit Jahren übrigens ziemlich stabil bei bundesweit etwa 70 %. Des Weiteren wird nicht erklärt, was unter „Qualität“ zu verstehen ist und inwiefern viele private Musikschulen eine höhere Qualität aufweisen als staatliche. ➔
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Musikalische Aktivität von Jugendlichen: Bildung und Einkommen der Eltern entscheidend Die aktuelle Studie „Jugend und Musik“ der Bertelsmann Stiftung zeigt: Je niedriger der Bildungsstatus und das Einkommen der Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein Jugendlicher Musik macht. Besonders gefährdet sind der Studie zufolge: ) Jugendliche aus einkommensschwachen Haushalten ) Jugendliche mit niedrigem Bildungsstatus ) Jugendliche mit Migrationshintergrund. Der Trend von 2001 bis 2015 zeigt, dass
immer mehr Jugendliche aktiv Musik machen: Von 2001 bis 2005 waren es 19 %, 2010 bereits 28 % und 2015 fast 29 %. Dieser Aufwärtstrend schließt aber die soziale Schere nicht. An Jugendlichen aus den einkommensschwächsten Haushalten geht er eher vorbei, während Jugendliche aus Familien mit mittlerem Einkommen verstärkt an bezahltem Musikunterricht teilnehmen. Die komplette Studie steht zum Download bereit unter www.bertelsmann-stiftung.de
Zu einer guten Diskussion gehört zum einen eine Verständigung über grundlegende Begriffe wie hier die vom bdfm verwendeten, weit auslegbaren Begriffe „Qualität“ und „qualifizierte Lehrkraft“, da anderenfalls jeder Diskutant von etwas anderem spricht und letztlich alle aneinander vorbei reden. Zum anderen gehören zu einer guten Diskussion Belege für das Behauptete, auch wenn das im postfaktischen Zeitalter ebenso „veraltet“ anmuten mag wie das vom DTKV Brandenburg kritisierte Denken von Musiklehrkräften, die sich in einer Gewerkschaft zusammengeschlossen haben, um sich für eine menschenwürdige Arbeit einzusetzen. (An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass Sebastian Herbst nicht Mitglied der Fachgruppe Musik ist und es auch nie war). Prekäre Arbeitsverhältnisse werden unhinterfragt längst als „normal“ akzeptiert und als „alternativlos“ anerkannt, kennt man es doch auch längst schon nicht mehr anders. Erkennen wir also an, dass die fehlende Fantasie über eine andere Realität mittlerweile als normal gilt, scheint uns in der Argumentation des DTKV Brandenburg dann doch widersprüchlich, warum gewerkschaftliches Engagement überhaupt lobenswert sein soll. Wie geht das zusammen? Apropos „zusammengehen“, in der Wissenschaft auch als „Korrelation“ bezeichnet: Hier tut sich Erstaunliches im Zusammenhang mit einer Festanstellung auf. Der DTKV Brandenburg behauptet nämlich,
dass eine Negativkorrelation von Festanstellung und Musizierfreude sowie Festanstellung und Spontanität bestünde: Das heißt je mehr fest angestellt jemand ist, desto weniger Musizierfreude empfindet er und desto weniger spontan ist er. Der DTKV bezieht sich dabei einzig auf die eigenen Erfahrungen des Landesvorsitzenden Thomas Heyn. Ein solcher Zusammenhang ist auf dieser geringen Datenbasis völlig unhaltbar, wie auch die folgenden Korrelationen: Musiklehrkräfte würden durch die Festanstellung zum Unterstufenlehrer und müssten sich nicht mehr anstrengen, denn man „geht halt arbeiten, wie alle anderen auch“. Abgesehen davon, dass auch dieser Zusammenhang unbelegt und die Datenbasis mehr als dünn bleibt: Könnte man da nicht eine Diskreditierung von Unterstufenlehrenden heraushören? Auch die Korrelation von Festanstellung und Verwaltungsbürokratie ist unter dem Aspekt, dass Privatmusiklehrkräfte unter anderem selbst für die Organisation ihres Unterrichts samt Rechnungsstellung, ihre steuerlichen Abgaben, ihre Altersvorsorge und ihre Krankenversicherung verantwortlich sind, nicht nachvollziehbar, solange sie nicht durch Daten belegt wird. Die vorgeschlagene Diskussion des DTKV Brandenburg über „neue Modelle“ führen wir gerne, auch wenn es in unserer Stellungnahme zum Stuttgarter Appell in keiner Weise darum ging. Doch wünschen wir sie uns als Austausch von belegten und begründeten Argumenten und schlagen
außerdem vor, zunächst Begriffe zu präzisieren sowie in alle denkbaren Richtungen zu denken. Den privaten Musikschulen einfach mehr staatliches Geld zu geben, ist nur ein denkbares Modell. Warum dann aber der Staat nicht gleich mehr VdM-Schulen unterhalten und die musikalische Bildung allein übernehmen sollte, erschließt sich nicht. Auch bezweifeln wir, dass mehr Geld allein zu einer ausreichenden Besserstellung der Lehrkräfte führen würde; selbst höhere Honorare bieten noch lange keine soziale Absicherung. Solange der Staat ein zweigleisiges System fährt und nicht allein die Verantwortung für die musikalische Bildung zu übernehmen bereit ist, wird sich für die Lehrkräfte kaum etwas zum Besseren bewegen. Was – als weiteres theoretisch denkbares Modell musikalischer Bildung – bei Privatisierungen passiert und was der freie Markt dann regelt, war in den vergangenen Jahren bei der Post, im Gesundheitswesen und auch in der Bildung (zunehmend freie Träger von Kitas, Sozialarbeit) sehr eindrücklich zu beobachten: Lohndumping, Tarifflucht und Outsourcing. Übrigens verdienen auch Lehrkräfte an allgemein bildenden Privatschulen in der Regel weniger als an staatlichen Schulen, trotz staatlicher Zuschüsse. Nicht immer ist das „Neue“ besser als das, was es schon gibt. Anja Bossen und Sebastian Herbst
erscheint alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
Redaktion: Sebastian Herbst und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Anja Bossen und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler