Ich lach dich tot

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Ich lach dich tot


Ein Hase hoppelte über eine Wiese und frass die schönsten Gräser. «Haaalt!», schrie plötzlich etwas aus dem Nichts. Der Hase schaute genauer und entdeckte eine kleine Raupe. «Hör mal auf, mir alles wegzufressen!», schimpfte das kleine Tierchen in der Angst, vom Hasen übersehen und gefressen zu werden. Der Hase wiederum war über die Worte der Raupe so empört, dass er sogleich ins Grass biss. Ob nun der Hase oder die Raupe gestorben ist, überlassen wir Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. Auch die Teilnehmenden der Schweizer Erzählnacht 2013 an der PH Zürich mussten sich entscheiden, wie sie das Motto «Ich lach dich tot» interpretieren: An einem milden Novemberabend wurden die Besucher der Therabierbar animiert, aus dem Stegreif eine Geschichte zu erzählen. Während sich ganz Mutige ans Mikrofon wagten und ihre Storys vor dem breiten Publikum performten, erzählten andere ihre Geschichten in kleiner Runde. Es folgten zwei Anlässe, an denen weitere Geschichten, Anekdoten und Gedichte gesammelt wurden. Dieses Büchlein enthält ausgewählte heitere und makabere Beiträge, die schnell gesprochen und flott geschrieben wurden. Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Lesen!


Ich lach dich tot

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Ich lach dich tot Tot sind wir alle mal. Mal heisst für die einen früher, und für die anderen später. Später wär mir lieber. Julia Rietze


Inhaltsverzeichnis

Lustiges Die Liste

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(Erik Altorfer)

Pikantes Wollpulli weg, Jeans auch

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(Julia Bärtschi)

Muskatnuss

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(Julia Rietze)

Tropfsteinhöhlen

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(Alex Rickert)

Via Vagina – Am Scheideweg

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(Noël Eichenberger)

Animalisches Bärenhunger

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(Alan Chen)

Arbogast das Mondschaf

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(Sara Ventura & Lukas Ramseier)

Du Pinguin!

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(Selina Hamm)

Tödliche Haustiere

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(Suma Widmer)


Echt Wahres Ein ganz normaler Tag in Simbabwe

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(Marianna Skliamis)

Plié

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(Judith Leumann)

Träumt schön

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(Hüseyin Ucmak)

Lachen und der Tod

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(Julia Rietze)

Die Ukulele

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(Sara Ventura)

Ich könnte erzählen

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(Erik Altorfer)

Morbides Julian

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(Lukas Ramseier)

Keine Fragen mehr

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(Vera Zugliani)

Zoras Lachen

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(Lukas Ramseier)

Bäumiges Also ... (Stephan Walter)

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Lustiges Die Liste Lustige Bücher Lustige Buchumschläge Lustige Buchhändler Lustige Leser Lustige Filmanfänge Lustige Filmmusiken Lustige Filmschlüsse Lustige Sportarten Lustige Sportschuhe Lustige Länder Lustige Nationalhymnen Lustige Esswaren Lustige Katzennamen Lustige Zahnkorrekturen 8


Lustige Schönheitsoperationen Lustige Skifahrerstürze Lustige katholische Feiertage Lustige Päpste Lustige Wettermoderatoren Lustige Überschwemmungen Lustige Krankheiten Lustige Spitalbetten Lustige Heiratsanzeigen Lustige Heiratsanträge Lustige Hochzeitskleider Lustige Hochzeitsgeschenke Lustige Unterhosen Lustige Teetassen Lustige Reihenfolgen

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Pikantes Wollpulli weg, Jeans auch Sie hatte ihn schon seit seiner Abreise nicht mehr gehört und gesehen. Gelesen schon. Natürlich wurden täglich Mails geschrieben. Wie geht’s dir. Mir geht’s gut. Was hast du heute gemacht. Hast du’s streng. Ja und du. Hanoi ist verrückt. Zürich nicht. Vermisse dich. Ich dich auch. Mehrmals täglich. Heute war’s anders. Ihr Verlangen nach seinen Küssen, seinen Umarmungen und Berührungen war heute so gross, dass sie ihm all ihre Sehnsüchte und Fantasien zusammengefasst in einer erotischen Nachricht zuschickte. In seiner Gegenwart hätte sie sich nie gewagt, solche Worte zu gebrauchen. Doch 9000 Kilometer Distanz machten sie mutig. Kaum abgeschickt blinkte auch schon ihr Handy auf: Skype jetzt? Schmunzelnd über die ungeduldige Antwort tippte sie zurück: ja grad. Ihr war heiss. Ab ins Bad, Haare kämmen, Wimpern, Rouge, rote Lippen, Schmollmund – ja sieht gut aus. Wollpulli weg, Jeans auch. Sie wechselte den BH, nahm den schwarzen, der ihre Brüste noch grösser aussehen liess. Obwohl es etwas unsinnig war, besprühte sie sich mit ihrem ­ ­Chanel Parfüm. Sie rief ihrer Mitbewohnerin zu, dass sie in der nächsten Stunde nicht gestört werden wollte, schloss die Tür und legte sich aufs Bett. Dann stand sie 10


wieder auf, um die Läden zu schliessen. Die Nachbarn hatten jetzt nichts in ihrem Zimmer zu suchen. Das Licht noch etwas dämpfen. Und noch eine Kerze. Sie platzierte sich vor dem Computer. Den Kopf auf den Ellbogen gestützt. Etwas mehr nach links. Waren ihre Brüste zu sehen? Nein. So. Ja gut. Sie war eingerichtet. Einloggen. Erregt und nervös drückte sie den grünen Knopf. Düdüdüdüdüdü. Ihr wurde noch heisser. Düdüdüdüdüdü. Endlich ein Klick. Zuerst hörte sie nur seine Stimme. Hallo. Dann erschien das Bild. Doch anstatt in seine wunderschönen blauen Augen zu blicken, wurde sie von mindestens acht Augen angestarrt. Sechs davon waren vietnamesische. Er sei nicht allein. Ja, das merke sie. Schnell zog sie die Decke hoch. Die Vietnamesen winkten energisch. Hello! Hello! Your girlfriend is so beautiful. Haha, sehr witzig. Sie fand die Situation überhaupt nicht komisch. Noch weniger gefiel ihr ihr Freund, der sich halb totlachte, zwischendurch wieder nach entschuldigenden Worten suchte, aber keinen ganzen Satz herausbrachte, ohne ihn mit einem Phahahahaha phahahahaha zu unterbrechen. So, das war genug. Sie klappte ihren Laptop zu. Das musste sie sich nun wirklich nicht gefallen lassen. Sie band sich den Morgenrock um und stampfte aufgelöst ins Zimmer der Mitbewohnerin. Was denn passiert sei. Unter Tränen und etwas beschämt schilderte sie ihr

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den Vorfall. Als sie fertig war, wartete sie auf ein paar tröstende Worte. Aber auch der fiel nichts Besseres ein: «Phahahahahahah!» * Muskatnuss Meine Bauchmuskeln verkrampfen sich, ziehen sich immer fester zusammen bis ich schreien muss: «Aaah, haa, haa, ha, ha, ha!» Ich starre die Wand an um mich zu beruhigen, denn mir ist die Luft weggeblieben. «Aaah, haa, haa, ha, ha, ha!», diese Situation ist grotesk. Ich höre die Anderen: «Aaah, haa, haa, ha, ha, ha!» Wie kann man so sonderbar lachen? «Aaah, haa, haa, ha, ha, ha!», es platzt erneut aus mir heraus. Ich starre in ihre verzerrten Fratzen. Mir ist nie aufgefallen, wie komisch sie aussehen. Und ich? Ich drehe meinen Kopf zum Wandspiegel: «Aaah, haa, haa, ha, ha, ha! Seh ich scheisse aus!» Wir sitzen in einem Kreis auf dem Boden und drehen unsere Köpfe. Wir drehen immer schneller. Unsere Kreise werden weiter und weiter. «Das ist geiler als Karussell!» Ich drehe, bis mich der nächste Lachkrampf zu Boden wirft.

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Am Morgen danach bin ich auf dem Weg zur Toilette. Ich habe fest geschlafen, wie tot. Ich fühle mich unwohl, denn die Decke unseres Hausflures bleibt nicht über mir. Als sich die Wände rechts und links von mir aufeinander zubewegen, kehre ich um. Ich krieche wieder unter die Bettdecke, um drei Tage nicht mehr hervorzukommen. Illegal war die Pflanze nicht, aber es fühlte sich so an. *

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Tropfsteinhöhlen Mit 16 waren Enzo und ich auf Interrail-Tour in Südfrankreich. Wir schlugen unser Zelt auf den Campingplätzen der Stadtränder und Dörfer auf. Eines Abends stiessen zwei Bernerinnen zu unserem Abendritual mit Rosé-Wein dazu: Fränä (eigentlich Franziska) und Dönä (Denise). Zu viert hatten wir einen runden Abend. Enzo und Fränä blieben noch länger draussen vor dem Zelt. Am nächsten Morgen war Enzo sonderbar ruhig. Ich fragte ihn, was gelaufen sei. Er rückte nicht richtig raus mit der Sprache, er wirkte verstört. Ich insistierte. Dann sagte er es: Sie seien näher aneinandergerückt, seien auf den Rücken gelegen und hätten zu küssen begonnen. Bei der einen Partie, Fränä, feuerten die Hormone, bei der anderen, Enzo, feuerte nur noch der Alkoholrausch. Enzo wollte nicht mehr küssen. Aber das zu sagen, war bereits zu spät, denn Fränä hatte ihre Maschinen auf volle Kraft voraus beordert. Enzo ahnte, dass Fränä bald Kurs auf seinen Leuchtturm nehmen würde. Das galt es zu verhindern, denn ihm wurde langsam übel. Er wollte das natürlich nicht sagen. Enzo wollte die Hoheit über seine Mundhöhle zurückgewinnen und überlegte, wie er Fränäs schlüpfrige Zunge daraus verbannen könnte. In einem geschickt gewählten Moment biss er die Zähne zusammen, sodass kein Durchkommen für Fränä mehr war. Die Blockade wirkte nur be14


dingt. Trotz Barrikade war Fränä weit davon entfernt, von Enzo, dem schon schrecklich zumute war, abzulassen. Anstatt seine Mundhöhle zu säubern begann sie mit ihrer Zunge seine Zähne zu polieren. Sie arbeitete sich an seinem Gebiss ab, als ob sie sich hindurchlecken könnte. Enzo gab nicht nach. Seine Zähne hielten zusammen wie eine Phalanx. Keinen Millimeter Raum gewährte er der züngelnden Schlange. Als auch Fränä die aussichtslose Lage erkannte, entschied sie sich für eine andere Körperöffnung. Irgendwie musste es ihr doch möglich sein, sich mit diesem Mann zu vereinigen. Die Zunge glitschte erst über Enzos Gesicht und entdeckte dann die Ohrmuscheln. Da dieses Organ das Verschliessen nicht beherrscht, sog sich Fränä daran fest. Ihr Mundausläufer bahnte sich den Weg durch die Ohrmuschel und schabte auf ihrem Weg durch den Gehörgang den Schmalz beiseite. Enzo ging es schon lange nicht mehr gut. Er entschloss sich aber durchzuhalten, solange es nötig war. So vergingen die Stunden dieser Nacht: Fränäs Zunge ereiferte sich an Enzos Gehörgang. Er lag auf dem Rücken, die Zähne fest zusammengebissen, innerlich um ein Ende flehend, doch gab sein verfluchter Leuchtturm nicht nach und ragte trotz allem aufrecht in den Nachthimmel.

*

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Via Vagina – Am Scheideweg Soll ich oder soll ich nicht? Bin ich munter oder dicht? Wer weiss, wer weiss? Was soll der Scheiss? Noch ein Tag im Studium Mein Gefühl? Ich werde dumm! Should I stay or should I go? To be honest I don’t know. Und so wandle ich nun wieder Fad und öde und auch bieder Den Gang des Instituts entlang Hoffnungslos und ziemlich bang. Tag für Tag, so kommt’s mir vor, Begegne ich Mentor und Tor Ob Kollege, ob Dozent Hätt ich doch bloss ausgepennt. Soll ich, oder soll ich nicht? Bin nicht munter, nicht ganz dicht. Should I stay or should I go? To be honest I don’t know.

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Was werde ich denn heute tun? Wie jetzt weiter, was denn nun? Ich muss hier weg, egal wohin, Glas und Beton: Erstickst du drin! Ab in die Bar und auf ein Bier Bis ich krieche wie ein Tier Von Wasser reden, Wein dann saufen, Das hält den Laden hier am Laufen Soll ich oder soll ich nicht? Es drückt doch (r)unter, bis man bricht. Should I stay or should I go? To be honest I don’t know. Nein! Halt! Stopp! So bleib doch hier! Komm zu dir und rephlektier! Am Anfang lief’s doch noch recht gut, Jetzt komm zurück und fass dir Mut! Blick vorwärts, schau, was dich erwartet Eltern, Kinder ganz entartet Z’rechtbiegen darfst du’s – ganz allein Von hier müsst’s doch bekannt dir sein

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Soll ich oder soll ich nicht? Ich werd munter, Land in Sicht! Should I stay or should I go? Actually I still don’t know. Und hier im Raum, im herrlich kühlen Erklär’n sie dir sogar die Mühlen Wohin’s zu schieb’n befähigt bist Wenn wieder eins zu wild dir ist Du siehst, s’ist alles halb so wild Drum nimm die Ausbildung gechillt Und bild dir ein, dass trotz der Last Du manchmal was zu lachen hast *

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Animalisches Bärenhunger Es war einmal ein verwirrter Jäger. Wie jeden Herbst, wenn die Jagdsaison eröffnet wurde, packte er seine Sachen und legte sich auf die Lauer. Tagelang sass er da, doch kein Tier kam vorbei. Er wollte sich gerade auf den Rückweg machen, da kreuzte ein Bär seinen Weg. Unerschrocken sprang der Jäger aus seinem Versteck und blieb vor dem Bären stehen. Dieser schaute ihn verdutzt an. In Gedanken versunken stand der Jäger da und tat einfach nichts, bis er plötzlich zu lachen begann. Er grölte und jauchzte, lachte so fest, bis er sich vor Schmerz den Bauch halten musste. Der Bär verstand die Welt nicht mehr und fragte sich, was dieser seltsame Mann eigentlich machte. Er beobachtete ihn noch einige Minuten, wie er auf dem Boden lag und sich krümmte. Nach einiger Zeit wurde es dem Bären zu bunt und er verleibte sich den Jäger mit Haut und Haaren ein. *

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Arbogast das Mondschaf Das Schaf an sich ist eine geplagte Kreatur. Kaum ein Tag vergeht, an dem es nicht diverse (im wahrsten Sinne des Wortes) Scherereien über sich ergehen lassen muss. Ein besonders armes Exemplar war allerdings Arbogast, ein kleines, eher unauffälliges Schaf und gleichzeitig der Held unserer Geschichte. Arbogast litt unter Mondsucht. Das heisst – wie der Begriff schon sagt –, dass er nicht ohne den Erdsatelliten leben konnte, wobei es nicht nur dabei blieb: Seine Sucht ging so weit, dass er nicht nur den Mond über alles verehrte, sondern gleichzeitig die Sonne verabscheute. Relativ ungute Voraussetzungen für ein Tier, das nicht wirklich nachtaktiv ist. Und doch konnte Arbogast nichts dagegen tun. Er hasste die Sonne, verteufelte den Tag und fluchte insgeheim gar über sämtliche Solarium-Besucher. Eines Tages entschied unser Schaf, dass es so nicht weitergehen konnte. Er wollte lediglich ein normales Leben führen, das doch bitteschön am Tag stattfinden sollte. Glücklicherweise hatte Arbogast von einem weisen Medizinmann im Nordwesten Amerikas gehört, der auf Regentänze spezialisiert war. Ein solch kluger Mann, der tatsächlich in der Lage war, das Wetter zu beeinflussen, würde mit Sicherheit auch etwas gegen

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eine verquere Sicht auf bestimmte Himmelskörper ausrichten können. Und so entschied Arbogast, dass es an der Zeit war, seine Herde zu verlassen und den besagten Medizinmann in Amerika aufzusuchen. Natürlich nachts. Das erste Problem stellte sich ihm bereits bei seiner Ankunft am Atlantik. Wie sollte er überhaupt in der Lage sein, dieses riesige Gewässer zu überqueren? Schafe können im Allgemeinen nicht schwimmen, ihr Wasser aufsaugendes Fell hindert sie daran. Es war Arbogasts Glück, dass sich exakt in dieser Sekunde zufälligerweise ein Delfin anerbot, ihn nach Amerika zu bringen. Vorsichtig kletterte unser Held auf den Rücken seines neuen Freundes und war froh, doch noch einen Weg gefunden zu haben. Möglicherweise würde er sogar noch vor Tagesanbruch auf dem anderen Kontinent ankommen, nichts und niemand konnte ihn nun aufhalten. Nichts ausser einem riesigen Sturm. Und der kam so unvorhergesehen wie zuvor bereits der Delfin. Nach einigem Kämpfen und verzweifeltem Festklammern wurde Arbogast vom Rücken des Delfins geschleudert und ins salzige Wasser getaucht. Panik machte sich in ihm breit, im Tauchen war er mindestens so schlecht wie im Schwimmen. Er spürte, wie sich seine Lunge zusammenzog und sich sämtliche Energie aus seinem

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Körper verabschiedete. Langsam wurde ihm schwarz vor Augen und er ahnte, dass der Erstickungstod nur noch eine Frage von Sekunden war. Doch dann kam die Sonne. Es war Arbogasts Glück, dass genau in dem Moment der neue Morgen anbrach und sich die warmen Strahlen über das Meer ausbreiteten. Da es sich um einen besonders warmen Tag handelte, dauerte es nur wenige Augenblicke, bis der gesamte Atlantik verdunstet war. Arbogast sass auf dem ausgetrockneten Meeresboden und atmete tief durch. Die Sonne hatte ihm soeben das Leben gerettet. Von da an änderte sich das Verhalten des Schafs grundlegend. Nie wieder verschmähte Arbogast die ihm nun angenehm erscheinenden Strahlen der Sonne. Er begann zu verstehen, was er an ihr hatte und war jeden Tags aufs Neue dankbar, sie am Himmel bestaunen zu dürfen. Amerika hat Arbogast nie gesehen, doch seine Mondsucht war er für immer los. *

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Du Pinguin! Heute Morgen ging ich mit meiner Schwester in den Zoo. Wir hatten viel vor, jedes Tier und dessen Lebensraum sollte besucht werden. Unser absolutes Lieblings­ tier ist der Pinguin. Der wackelt voller Stolz im Schnee herum. Meine Schwester stellte sich auf eine Erhöhung im Raum und hatte vor, den Pinguin zu irritieren. Sie rutschte jedoch aus und landete auf ihrem Hinterteil. Laut lachte ich: «Ich lach dich tot, du Pinguin!» * Tödliche Haustiere Nathalie und Carlos hatten ihrer Tochter zum Geburtstag ein neues Haustier geschenkt, eine kleine Babyschlange. Die kleine Tochter nahm die Schlange immer mit ins Bett und schlief neben ihr ein. Als die Schlange eines Morgens ganz starr und ausgestreckt im Bett lag, hatte die Tochter Angst, dass die Schlange krank sein könnte. Die Mutter fand es auch komisch, beschloss jedoch noch ein paar Tage zu warten. Die Schlange war gesund und munter und wuchs auch ganz schön schnell. Jedoch streckte sie sich immer noch ganz lang aus und lag neben der kleinen Tochter. Die kleine Tochter fand es lustig und benutzte die Schlange als Massstab, um verschiedene Gegenstände abzumes

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sen. Sie sagte dann immer, dass das Bett eineinhalb Schlangen lang sei und der Stuhl eine Schlange hoch. Irgendwann mussten sie mit der Schlange wegen einer Routineuntersuchung zum Arzt. Sie erzählten dem Arzt von der komischen Angewohnheit der Schlange, dass sie sich immer öfter wie ein Meterstab ausstrecke. Der Arzt sagte ihnen, sie müssten die Schlange sofort in den Zoo geben, da die Schlange jetzt eine Grösse erreicht habe, bei der sie anfängt, sich mit ihrer Beute zu vergleichen. Sobald die Beute kleiner ist als die Schlange, frisst die Schlange sie. Sie gaben die Schlange in den Zoo und schenkten der Tochter stattdessen ein neues, völlig ungefährliches Haustier: einen Skorpion. Es ist genauso passiert, ihr könnt die südamerikanische Cousine der Krankenpflegerin meiner Oma fragen. *

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Echt Wahres Ein ganz normaler Tag in Simbabwe Mein Chef stellte früh morgens fest, dass heute der letzte Tag war, um unsere Auto-Vignetten zu erneuern. Ja, das gehört zu meinen Aufgaben. «Ich gebe dir die nötigen Unterlagen mit und du gehst zur Post. Dort wirst du alles finden!» rief er aus seinem Auto. «Ja aber …?» Zu spät. Bis ich meine Frage ausgesprochen hatte, war er schon weg. Ich schaute verwirrt die Papiere an und dachte: «Naja, es wird ja wohl nicht so schwierig sein, diese Vignette zu bekommen.» Motto Nr. 1: Vergiss nie, dass du in Afrika bist. Ich packe die Dokumente und die Stadtkarte ein und fahre los. Da ich neu in der Stadt bin, habe ich keine Ahnung, wo sich das Postamt befindet. Zum Glück finde ich es (ja, es hat eine grosse Tafel mit gelben Buchstaben: «Postoffice»), bleibe dort aber wie erstarrt stehen und schaue auf die Szene vor mir: Eine kilometerlange Warteschlange, die aus dem Inneren des Gebäudes kommt und rund um das Gebäude weitergeht. Das genau meinte mein Chef mit: «Heute ist der letzte Tag.»

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Ich schüttle meinen Kopf. «Das wird ja wohl nicht so lange dauern», sage ich vor mich hin und suche das Ende der Schlange. Ich schaue auf meine Uhr: 09.00. Motto Nr. 2: Spüre das afrikanische Zeitgefühl. Es ist 12.00 Uhr. Du kannst drei Mal raten, wo ich bin. Ja genau, in der Warteschlange. Ich habe einen grossen Fortschritt gemacht: Ich befinde mich jetzt im Gebäude. 1: Ich kenne schon die ganzen Familiengeschichten meiner Nachbarn. 2: Ich habe schon alle möglichen Schimpfwörter auf Griechisch, Deutsch und Englisch ausgestossen. «Γαμώτο!» 3: Ich habe schon alle mentalen Yoga-Übungen ausprobiert, die ich kenne. «Asana Vrksana.» 4: Ich sehe das hundertste Mal die Doku, welche auf einem Fernseher in der Mitte des Raums läuft: Einen Löwen, der in der Savanne Antilopen jagt und sie schlussendlich frisst. 5: Ich schaue das tausendste Mal auf die grosse Uhr an der Wand. Sie zeigt konstant 09.00 Uhr. 6: Unter der Uhr: Das Bild des posierenden Präsidenten mit einem engelhaften Lächeln. 26


7: Ich zähle schon zum zweihundertsten Mal die Stühle, welche im Raum stehen. 8: Ich glaube es nicht! Ich komme als nächstes gleich dran! Motto Nr. 3: Du kannst nie sicher sein. Ich zeige erschöpft der Dame am Schalter meine Dokumente und erkläre ihr, was ich brauche. Sie schaut mich an und sagt genervt zu mir: «I don’t do this here! You have to go to the counter over there!» * Plié Ich war nervös. Meine Lippen waren wund, weil ich auf ihnen herumkaute. Eigentlich war dies unangenehm, aber lassen konnte ich es trotzdem nicht. Ich sass im Zug, schaute aus dem Fenster und fragte mich, ob man mir meine Anspannung ansah. Ich hatte es kaum jemandem erzählt. Meine Freundinnen fragten sich, warum ich nicht zur Schule gekommen war. Zuerst dachten sie, dass ich wieder einmal verschlafen hätte − das wäre nichts Aussergewöhnliches gewesen. Aber an diesem Tag kam ich gar nicht. Ob ich

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ihnen am nächsten Tag erzählen würde, wo ich gewesen war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zürich Hauptbahnhof. Ich musste umsteigen. Mit jedem Kilometer, dem ich meinem Traum näher kam, stieg meine Anspannung. Hoffentlich würde ich nichts vormachen müssen. Und wenn doch, hoffte ich, dass mich dabei niemand auslachen würde. Die Zugfahrt dauerte eine Ewigkeit. Als ich endlich in Bern ankam, suchte ich die richtige Strassenbahn. «Das wär’s noch, wenn ich vor lauter Aufregung in die falsche Strassenbahn einsteigen würde und dadurch zu spät käme!», sagte ich leise zu mir. Nach einer fast 20-minütigen Fahrt kam dann endlich die richtige Haltestelle. Mit mir stiegen noch zwei weitere junge Frauen aus. Im Gegensatz zu mir waren beide top gestylt. Ich hatte mich lediglich für meine nicht alltäglichen Stöckelschuhe entschieden, sonst war ich leger gekleidet. «Gehst du auch zum Tag der offenen Tür der Musicalschule?», hörte ich die eine Tussi zur anderen sagen. Sie nickte und beide lächelten. Dann begannen sie zu quatschen und liefen gemeinsam weiter. Ich hinterher. Sie kannten wohl den Weg. Sie kannten wohl auch die Schule bereits und einige Schülerinnen und Schüler, und auch einige Lehrpersonen. Schön für sie!

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In einem kleinen heruntergekommenen Zimmer hörten etwas über 40 Interessentinnen und Interessenten einer Frau zu, die sich als die Direktorin der Musicalschule vorstellte. Nach ihrem kurzen Vortrag über die Entstehung und das Konzept der Schule wurden wir durch verschiedene Übungsräume geführt: Im ersten Zimmer übten zwei einen Dialog. Sie stritten sich. Das nächste Zimmer war grösser; es war ein Tanzraum. Es fand gerade Ballettunterrichtet statt. Junge Frauen tanzten an der Stange und beugten und streckten ihre Beine abwechselnd: Plié, Relevé, Plié, Relevé. Meine Gedanken waren noch immer bei der Tanzübung, als ich der Gruppe von Interessenten in den nächsten Raum folgte. Plötzlich zog es mich nach unten. Plié. Erschrocken über diese Bewegung und um möglichst nicht aufzufallen, machte ich gleich noch einen Schritt. Doch wieder knickte ich ein. Plié. Ich schaute zurück und entdeckte zwei Schritte hinter mir den Absatz meines linken Stöckelschuhs. Erschrocken hinkte ich zurück und hob ihn auf. Ich spürte, wie die Wärme in meinen Kopf stieg und das Gesicht dabei rot wurde. Langsam hob ich meinen Blick vom Boden und schaute in tausend Gesichter, die mich totlachten. *

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Träumt schön Die Schule war für mich eine Qual. Jeden Morgen. ­E inerseits hatte ich Mühe aufzustehen, andererseits bereiteten mir meine Mitschüler ein höllisches Leben. Mein Aussehen, meine Noten, mein Rucksack, meine Schuhe. Sie fanden immer einen Grund, um mich fertig zu machen. Ich wurde die ganze Zeit beleidigt, sodass ich mich nicht mehr traute, etwas zu sagen im Unterricht. Die Lehrerin unterstütze mich nie. Sie war lieber nett zu allen anderen und ging keine Diskussionen ein. Nie hatte sie etwas Nettes zu mir gesagt, ganz im Gegenteil. Jedes Mal im Gespräch mit meiner Mutter meinte sie, ich sollte mich mehr in die Klasse integrieren. Gestern erreichte ich den Tiefpunkt meines Lebens: Ich war gerade in der Toilette und leerte meine Blase, als Reto hereinkam und mich vom Pissoir wegzog. Ich pisste auf meine Hose. Nach der Pause traute ich mich nicht wieder ins Schulzimmer. Doch ich konnte nicht anders, weil mein Rucksack und mein Portemonnaie im Schulzimmer waren. Ich stank grausam, aber musste ins Zimmer. Also rannte ich ins Zimmer, packte meine Sachen und haute wieder ab. Die Zeiten haben sich geändert; ich werde nicht mehr geärgert. Meine Mutter hat einen neuen Freund und dieser bringt mir neuerdings bei, wie man in die Träu30


me anderer Leute treten kann. Dies klappt, indem ich gewisse französische Sprüche aufsage. Am Schluss muss ich das Sternzeichen und den Namen des Schlafenden beifügen. Seit ich diesen Zauber kenne, erscheine ich jeden Tag in den Träumen meiner Mitschüler. Ich lache sie in ihren Träumen tot. In der Schule traut sich niemand mehr mich anzusprechen. Die Lehrerin hat von diesen Erlebnissen erfahren, aber glaubt den Träumen nicht. Sie denkt, die anderen führen etwas gegen mich im Schilde, damit sie mich endlich loswerden. Sie mischt sich nicht ein, aber sie schreibt mit einem roten Stift eine Notiz in ihr Büchlein. Auch sie will mich loswerden. Ich weiss, wen ich heute Nacht besuchen werde … * Lachen und der Tod Als ich elf war, ging während meiner Blockflötenstunde der Feueralarm los. Das Herz pochte mir bis zum Hals, als ich, meine Flötenlehrerin an der einen und meine beste Freundin an der anderen Hand, zum Ausgang lief. Zunächst kicherte ich dabei nur ganz leise vor mich hin, doch bald wollten die Töne nicht mehr in meinem Bauch bleiben. Ich druckste und prustete schliesslich los. Als wir den Ausgang erreicht hatten, gab es Ärger.

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Meine Flötenlehrerin und meine beste Freundin verstanden absolut nicht, wie ich so eine Situation lustig finden konnte. Ihnen zu erklären, dass ich auch Angst gehabt hatte und ebenso wenig verstand, wo mein Lachen hergekommen war, erwies sich als zwecklos. In der Pubertät wurden meine unpassenden Lachanfälle häufiger. Während des Gottesdienstes am Tag meiner Konfirmationsfeier löste ein kurzer Blick in das Gesicht meiner besten Freundin einen peinlichen Vorfall aus. Zunächst kicherte ich nur ganz leise vor mich hin, doch bald wollten die Töne nicht mehr in meinem Bauch bleiben. Ich druckste und prustete schliesslich los. Es war genau der Moment, in dem der Pfarrer dabei war, mir die Hand auf die Stirn zu legen und die Augen unseres halben Dorfes auf mich gerichtet waren. Den 9. September 2011 verbinde ich gleich mit zwei verstörenden, wenn auch unvergleichbaren Ereignissen. Ich erfuhr während einer Schulstunde durch unseren Lehrer von den Geschehnissen in New York. Und es war auf keinen Fall so, dass mich das, was ich hörte, unberührt liess. Doch im Laufe der Schweigeminuten, die im ganzen Schulhaus verordnet worden waren, erhaschte ich wieder den verhängnisvollen Blick in das Gesicht meiner Freundin. Zunächst kicherte ich nur ganz leise vor mich hin, doch bald wollten die Töne nicht mehr in meinem Bauch bleiben. Ich druckste und 32


prustete schliesslich los. Im nächsten Moment sass ich allein vor dem Klassenzimmer. Ich war wegen respektlosen Verhaltens vor die Tür geschickt worden und fühlte mich schlecht. Es würde wohl nichts bringen, dem Lehrer zu erklären, dass ich auch nicht verstand, wo mein Lachen hergekommen war. Und ungefähr zehn Jahre nach 9/11, in der Geschichtsvorlesung heute Nachmittag, durfte ich endlich feststellen, dass unpassendes Gelächter weit verbreitet ist: Der Dozent informierte über den grausamen Tod des Entdeckers Hudson, den seine meuternde Besatzung auf einer Eisscholle sitzen gelassen hatte. Aus verschiedenen Ecken des Vorlesungssaales erschallte Gelächter. Ich behaupte, überall dort, wo man zugehört hatte. Ist es also lustig, wenn ein verlassener Mann einen qualvollen Tod durch Erfrieren erleidet? Irgendwie schon. * Die Ukulele Wir schreiben das Jahr 2012 und befinden uns in Whitianga, Neuseeland (oder «Fitianga», wie die Einheimischen es nennen). Ich schlendere durch das 4000-Seelendorf und mir fällt ein kleiner Laden auf. Von aussen wirkt das Geschäft wie ein italienischer

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Marktstand. Auf einem Ständer sind Strandtücher ausgestellt, in Körben findet man Schmuck und anderen Krimskrams. Beim Betreten des Ladens wird mir klar, dass hier nicht nur gängige Marktartikel verkauft, sondern auch hochwertige Ware und Gadgets geführt werden, die für Rucksacktouristen von Wert sind. Ich habe mich schnell sattgesehen, mein Blick schwenkt noch einmal durch das Geschäft und bleibt an einer Wand haften, wo verschiedenfarbige Ukulelen aufgehängt sind. Ich denke an meinen heimlichen Schwarm, der meiner Meinung nach ein begnadeter Ukulele-Spieler ist. Ob meine Meinung objektiv ist, sei dahingestellt. Ich sehe mir die Modelle an, und mir springt eine dunkelblaue Mahalo ins Auge. Mit der Ukulele und einem Liederbuch für Anfänger mache ich mich auf den Nachhauseweg. Ich wohne bei einem älteren Ehepaar. Zuhause angekommen, packe ich meine Ukulele aus, setze mich auf mein Bett und versuche diese «eingegangene Gitarre» zu stimmen. Vom schiefen Gezupfe angelockt erscheint mein Hostdaddy in meinem Zimmer. «Sara, do I bother you? Where did u get that uke?», fragt der ältere Herr. Doch bevor ich ihm richtig erklären kann, woher ich meine Ukulele habe, rennt mein 84-jähriger Hostdaddy aus meinem Zimmer. Ich frage mich, was in ihn gefahren ist. Kurz darauf steht er wieder in meinem 34


Türrahmen und streckt mir begeistert zwei Ukulelen entgegen. Er setzt sich zu mir auf mein Bett und fragt mich, ob ich denn weiss, wie ich stimmen muss. Er kenne einen Merksatz mit dem man stimmt: «My dog has flees.» Und erstaunlicherweise hat er Recht, die Saitenstimmung und der Satz passen perfekt. Wir stimmen meine Ukulele und er erzählt mir, wie er das Spielen gelernt hat. In den 50er-Jahren fand er Arbeit auf einem Militärschiff. Er gehörte zwar nicht zur Armee, aber auf dem Schiff befand sich ein Laden und dieser suchte Verkaufspersonal. Sein Job war es also, unter anderem Seife und Babypuder an den Mann zu bringen. Die einzige Art der Unterhaltung war, sich selbst zu unterhalten. Die Männer sangen und begleiteten sich dazu oft selbst. Auf diesem Schiff lernte er zu spielen und bekam seine erste Ukulele geschenkt. Ich bin fasziniert. Mein Hostdaddy ist ein wandelndes Geschichtsbuch. *

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Ich könnte erzählen … … von den Bären in Kalifornien, die mit den urchigsten Flüchen in die Flucht geschlagen werden, oder vom Huhn, das nicht gar werden wollte. Ich könnte auch erzählen vom Schiffspassagier, der eine Putenallergie hatte, oder vom Skifahrer, der am Sessellift festfror, oder von der Kuh, die gern Skipisten überquerte oder vom Theaterkritiker, dessen Magen in einer Premiere streikte, oder vielleicht sollte ich erzählen vom Lastwagenfahrer, der gerne Tramper mitnahm oder vom Blindenhund, der gerne Rad fuhr, oder von der Amsel, die sich in einen Dackel verliebt hatte und an ihrem Kummer zugrunde ging. Manche denken aber sicher, ich könnte besser vom Gefangenen sprechen, der noch immer im Hungerstreik ist, oder vom Rebhuhn, das auch nach zwei Schrotladungen noch immer nicht landen will. Noch besser wäre natürlich, ich würde von der lustigen Witwe, oder von der Gärtnerin aus Liebe oder von den drei Musketieren erzählen oder von Loriot, Monty Python, Woody Allen oder Breaking Bad. Aber ich, ich würde viel lieber über die Deutschen, Österreicher und die Italiener sprechen, die Isländer, Friesen und Schotten, die Appenzeller, Freiburger und vor allem: die Basler. * 36


Morbides Julian Der närrische Julian: Clown am Sterben Der Tod: Erfolgreicher Unternehmer im Sterbewesen Ein Krankenhauszimmer. JULIAN liegt im einzigen belegten Bett. Er trägt ein mit bunten, an ein Zirkuszelt erinnernden Punkten verziertes Nachthemd. Sein ungeschminktes Gesicht und schütteres Haar verrät einen mitgenommenen Menschen, der einiges aus seinem Leben erzählen könnte, sich aber um jeden Preis weigern würde, es auch zu tun. Im Hintergrund steht ein laufender Plattenspieler, Lys Assias Oh mein Papa ist leise zu hören – das Lied wird die ganze Szene hindurch weiterlaufen. Das Setting ist für einige Momente ruhig zu beobachten, bis DER TOD auftritt. Tod: (betritt betont würdevoll den Raum und stösst sich das Schienbein an einer Bettkante) Verdammter Mist! Julian: (schrickt auf) Ist da wer? Tod: (räuspert sich) Ich bin es, der Begleiter deiner Seele ins Jenseits, der Schnitter, der Sensenmann! Oder um es kurz zu machen: Tod. Julian: Oh. Tod: Tut mir leid …

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Julian: Ich hatte dich später erwartet. Tod: Damit bist du schon weiter als viele deiner Mitmenschen. Die meisten erwarten mich gar nicht. Und wenn ich dann komme, sind sie mir böse. Julian: (richtet sich mühselig auf) Klingt nicht nach dem einfachsten Job. Tod: (abwinkend) Geschichten könnt ich dir erzählen … (einige Sekunden peinliche Stille) Julian: Nun? Tod: Ahja, genau, entschuldige: (bemüht autoritär) Närrischer Julian! Dein Leben lang warst du Clown aus Leidenschaft. Du hast die Leute zum Lachen gebracht, hast sie die Schattenseiten des Lebens wie Schmerz und Tod vergessen lassen. Bist du bereit, nun deinen letzten Weg zu geh … Julian: Nicht ganz. Tod: Bitte? Julian: Ich war nicht Clown aus Leidenschaft. Tod: Ach nein? Julian: (setzt sich auf die Bettkante und lässt die Beine hängen. Er starrt auf seine nackten Füsse) Nein. Ich meine, versteh mich nicht falsch, ich war gerne Clown. Sehr gerne sogar. Aber Leidenschaft … Nein, das war es nicht. Dafür hatte ich zu viele Selbstzweifel, verstehst du? 38


Tod: Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen … (Julian zeigt auf den Platz neben sich. Der Tod schaut unsicher umher, zuckt schliesslich mit den Schultern und setzt sich neben seinen Klienten) Julian: Ich war ein Clown, ich habe die Leute von den finsteren Aspekten des Lebens abgelenkt. Die Sache ist nur: Ich weiss nicht, ob das wirklich etwas Gutes war. Habe ich damit nicht für Ignoranz gesorgt? Tod: Wenn ich mir meine durchschnittlichen Kunden so anschaue, scheint dir das jedenfalls ganz gut gelungen zu sein. (Julian lacht kurz auf. Er nimmt sich eine Packung Zigaretten vom Nachttisch, steckt eine in den Mund und zündet sie an. Schliesslich hält er dem Tod die Packung hin) Julian: Zigarette? Tod: Hältst du das für klug? In deinem Zustand? Julian: Ich sterbe gerade. An Lungenkrebs. Was soll mir noch Schlimmeres passieren? Tod: (nimmt sich eine Zigarette und lässt sie von Julian anzünden) Gutes Argument. Julian: Ich hatte nie Kinder, weisst du. Tod: Ich weiss. Julian: Ja, eben! Aber was ist, wenn der Sinn des Lebens ist, eine Familie zu gründen? Tod: Ist er nicht.

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Julian: Oh. (die beiden sitzen eine Weile stumm rauchend nebeneinander. Oh mein Papa wird etwas lauter) Julian: Du kennst den Sinn des Lebens? Tod: Natürlich. Julian: Kannst du ihn mir verraten? (Der Tod beugt sich zu Julian und flüstert ihm etwas ins Ohr) Julian: Wow. Darauf wäre ich nie gekommen. Macht aber durchaus Sinn. Tod: Das höre ich öfter. Julian: Tod? Tod: Ja? Julian: Ich habe Angst. Tod: Ich weiss. (Abermals herrscht einen Moment Stille) Julian: Und was jetzt? Tod: (Nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette) Jetzt? Jetzt wirst du sterben. Du wirst deine letzte ­Z igarette rauchen und dann mit mir kommen. Und du wirst damit glücklich sein. Denn du hattest ein Leben. (Julian will ihn unterbrechen) Oh, klar, eines mit Selbstzweifeln und Unsicherheit. Wie ich schon sagte: Ein Leben halt. (Der Tod steht auf, wirft seine Zigarette zu Boden und tritt sie aus) 40


Tod: Bereit? (Julian nimmt einen letzten Zug und wirft seine Zigarette ebenfalls zu Boden, wo sie ebenfalls vom Tod ausgetreten wird) Julian: Ich denke schon. Tod: Sehr gut. (Beide gehen nach hinten. Julian bleibt stehen) Julian: Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob mein Leben fair war. Tod: Fairness ist nicht meine Angelegenheit. Und auch nicht die des Lebens. (Julian nickt verstehend und lächelt den Tod an. Er geht ab. Der Tod hält einen Moment inne, geht nach hinten zum Plattenspieler und schaltet ihn aus. Nachdem Oh mein Papa verstummt ist, geht auch er langsam von der Bühne. Dunkel) *

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Keine Fragen mehr A: Ha-Ha! B: Was? Warum lachst du? A: Ich habe gehört, dass man jemanden totlachen kann, wenn man nur genug laut und fest lacht. B: Wie sollte das denn gehen?! A: Das weiss ich halt eben noch nicht. Ich versuch’s aber gerade, deshalb solltest du mich dabei nicht stören! Stell jetzt keine Fragen mehr! HAHAHHAHAHA! B: Hm … Aber ich finde das nicht besonders lustig ..! A: Du solltest es ja auch nicht lustig finden!!!! Du musst nichts tun, ICH muss DICH einfach totlachen! HAHAHAHHAHAHAHH Nichts geschieht … B: HAHAHAHHAHAHAH Stille … *

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Zoras Lachen Zora war hässlich. Zumindest gerade hässlich genug, um die Aufmerksamkeit eines verzweifelten Casanovas auf sich zu lenken, der für eine viel zu lange Zeit glücklos geblieben war und deshalb lieber seine Ansprüche verringerte, als sich ein Scheitern einzugestehen. An jenem Abend war ich dieser glücklose Casanova – und habe so Zora kennengelernt. Sie war hässlich, keine Frage, aber sie konnte lachen. Mein Gott, konnte Zora lachen. Es gibt Leute, denen wird nachgesagt, sie könnten mit ihrem Lachen Berge zu Staub zerfallen lassen, Herzen schmelzen oder gar Feuer entfachen. Zora gelang all dies mit einem leichten Schmunzeln. Wenn sie lachte, geschah mehr. Viel mehr. Als ich ihr Lachen das erste Mal hörte, war es, als würde ich tausend wunderschöne Tode auf einmal sterben. Es war, als hätte ihr Lachen meine Brust aufgerissen und die Morgenröte, die sie in ihrem Namen trug, direkt in mein Herz getragen. Aber vor allem liess es die Dornen in meinem Hirn weniger schmerzhaft erscheinen. Zoras Lachen war die wundervollste Droge, die ich je erfahren durfte. Viel zu wunderbar, um zu wollen, dass andere es hörten. Zora sollte mir gehören – und damit auch ihr Lachen.

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Ich begann, ihr Avancen zu machen, die sie dankbar aufnahm. Ihr nicht gerade mit Schönheit gesegnetes Äusseres kam mir hierbei sehr entgegen. Schnell eroberte ich ihr Herz, selbstredend nicht ohne eine beachtliche Anzahl an Anekdoten, Witzen, lapidaren Einwürfen und was mir sonst noch den Genuss ihres unvergleichlichen Lachens einbrachte. Aus Avancen wurde schnell Interesse, aus Interesse ernsthafte Absichten. Und diese Absichten mündeten in etwas, das man wohl zynisch als Liebe bezeichnen könnte. Jedenfalls von Zoras Seite her, ich war bereits von Beginn an über solch belanglose Empfindungen wie Liebe hinweg – ich war süchtig. Es war die schönste Sucht, die ich mir hätte vorstellen können. Zora und ihr Lachen, sie waren in meinem Besitz. Und dann kam Er. Ich weiss nicht, wer Er war, oder womit Er ihre Aufmerksamkeit erregte – oder sie seine. Es musste ihr Lachen sein. Und ich weiss, dass Er das nicht verdiente. Zoras Lachen gehörte mir. Mir und den Dornen in meinem Hirn, die wieder zu schmerzen begannen. Sie hingegen schien das leider anders zu sehen.

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Ich lachte, als ich ihre Kehle durchtrennte. Ich lachte, bis sie tot war. Und ich lachte, als ich ihren hässlichen, leblosen Kopf in meinem Schoss hielt. Ich lache noch heute. Es lässt die Dornen in meinem Hirn weniger schmerzhaft erscheinen. Mein Gott, konnte Zora lachen. *

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Bäumiges Also  …  Es isch emal en wunderschöne Baum gsii. Er isch gschtan­de, ufere schöne Weide, ufemene Hügel obe, obe ufem Hirzel villicht sogar. Er hed Blätter gha, er isch stolz gsi, er isch de schönschti Baum gsi wiit und breit, wükki en wunderschöne Baum. Na isch de Summer cho, es isch heiss worde, de Baum hed gfunde: «I don’t care, summertime, super …» Und igendwänn hätter all die Lüüt gseh i de churze Hose umelaufe und i de Trägerliibli und die sind vor ( … ) vor sich ane­ ghockt und hend en Joint graucht und es Bierli trunke. Und igendwänn hätt er gfunde: «Fuck, die … ich han huere heiss, ich han mega vill a, all die Blätter und so gäbed mier warm, all die coole Düüts und Mädels da die laufed so liechtbechleided ume, he weisch was … I give a fuck. Ich rüef jetzt de Blitz (...) oder.» Dänn hätt er es Telefon gmacht am Blitz ufe, de Blitz hed gfunde: «Aah Baum, geil, keis Problem, du möchtisch e chli … leschär sii, isch wükki kes Problem, ich chönnt dich jetzt azünde. Mit em Blitz.» De hed de Baum gfunde: «Nei das findi jetzt au nöd so schön.» Nachher hät de Blitz gfunde: «Okee Baum, kes Problem, wart eifach ab.» «Ja was abwarte, ich ha kä Närve, kä Ziit, oder!?!» De isch e chli Ziit vergange und plötzlich chunnt de 46


Herbscht, es macht «chuuu» (imitiert Windrauschen) oder? Und de Baum verlüürt all sini Blätter, all sini Pracht, und irgendwie dänkt er so: «Ou nei, jetzt ischs eigentlich uncool, will all die Mänsche wo vorhär igendwie so liechtbechleidet um mich umetanzt sind händ jetzt so die Pelz a und sind igendwie so ipackt und igendwie die (...) und igendwie ich als Baum bi jetzt plötzlich so nackt. (...) Das passt ja gar nöd zäme. Es isch komisch. Wänn ich mega dicht bin, händ all so gar nüd aa und wänn ich gar nüd a han händ all mega vill a. Das find ich scheisse.» (...) Und dänn hätt de Baum gfunde: «Weisch was, ich mag nümm. Es schiisst mich aa so. (...) Jedes Jahr de sälb Shit, ich bin immer falsch … falsch … ich bin immer deplatziert, wüssed ier was, mached doch en Stock us mier. Mached doch igendwie sone (...) äh Krücke, oder en ääh es Brätt us mier oder so.» Und dänn händs es äbe au gmacht, dänn sind denn die dichtbechleidete Mänsche sind cho und händ gfunde: «Aah, geil, mier händ mega chalt und da häts en Baum, dschschsch (imitiert Sägegeräusch) händs en umgsaget, de Baum kabutt, händ s Holz gno und es Füür gmacht und en Stock druus und das isch d Gschicht vom Baum wo so hät welle sii wie d Mänsche und eifach nid gmerkt hät dass er andersch (...) funktioniert.

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Bisher sind in dieser Reihe erschienen: Ein Roman in 90 Minuten (2010) Diese Geschichte ist im Herbst 2008 in einem kollektiven Schreibprozess entstanden. Die Autorinnen und Autoren beleuchten ein dramatisches Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven. Während 90 Minuten bewegen sie sich von einem Computer zum andern und schreiben eine begonnene Geschichte weiter. Von Kerzenlicht und anderen Seltsamkeiten (2010) Anlässlich des Luciafestes, das in Skandinavien am 13. Dezember gefeiert wird, wird 2009 an einem «Montagsmenu» an der PH Zürich zum Thema skandinavische Weihnachtszeit und nordische Naturmystik geschrieben. Die Autorinnen und Autoren lassen sich von Bildern des Künstlers Karl Larsson und den Abbildungen schwedischer Naturwesen inspirieren. Da­raus entstehen unterschiedliche Einblicke in die nordische Kultur. Ruhestörung: Weihrauch über Wolkenstein (2011) Das Hotel Post. Ein Viersternhotel in Wolkenstein, einem kleinen Dorf im Südtirol. Anfang Juni: Pfingsten. Drei Tage vor dem ersten Besuch des Papstes in der Region und damit auch in diesem Dorf. Es gibt einen Grund dafür, wes-


halb der Papst ausgerechnet den kleinen Ort in den Bergen besucht, doch der liegt weit zurück. Für den Papstbesuch wurde am Dorfrand ein Stück Wald gerodet, was bei Einheimischen, Touristen und Pilgern kontroverse Reaktionen auslöst. Unser Haus am See (2012) Zürich. 2011. Nicht die ganze Stadt, aber zumindest die leer stehende Villa eines kasachischen Oligarchen wurde von Hausbesetzern übernommen. Eine Tatsache, die zwar nicht bei allen Anwohnern Begeisterung auslöst, jedoch eine hervorragende Ausgangslage für den Schreibevent zur Erzählnacht 2011 bietet. Write My Fire (2013) 20 Songs aus rund 50 Jahren Musikgeschichte inspirieren Studierende, Dozenten, externe Erwachsene und Kinder zum Schreiben. 20 Songs, von Chanson und Classic Rock über House und Pop bis zu Hip Hop und Thrash Metal. Die einzige Gemeinsamkeit besteht da­rin, dass sich all diese Tracks mit dem Thema Feuer und seinen vielen Facetten beschäftigten. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Texte – feurige Kurzgeschichten, funkelnde Gedichte und wieder aufgewärmte Songlyrics.


Bisher sind in dieser Reihe erschienen: Ein Roman in 90 Minuten (2010) Diese Geschichte ist im Herbst 2008 in einem kollektiven Schreibprozess entstanden. Die Autorinnen und Autoren beleuchten ein dramatisches Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven. Während 90 Minuten bewegen sie sich von einem Computer zum andern und schreiben eine begonnene Geschichte weiter. Von Kerzenlicht und anderen Seltsamkeiten (2010) Anlässlich des Luciafestes, das in Skandinavien am 13. Dezember gefeiert wird, wird 2009 an einem «Montagsmenu» an der PH Zürich zum Thema skandinavische Weihnachtszeit und nordische Naturmystik geschrieben. Die Autorinnen und Autoren lassen sich von Bildern des Künstlers Karl Larsson und den Abbildungen schwedischer Naturwesen inspirieren. Da­raus entstehen unterschiedliche Einblicke in die nordische Kultur. Ruhestörung: Weihrauch über Wolkenstein (2011) Das Hotel Post. Ein Viersternhotel in Wolkenstein, einem kleinen Dorf im Südtirol. Anfang Juni: Pfingsten. Drei Tage vor dem ersten Besuch des Papstes in der Region und damit auch in diesem Dorf. Es gibt einen


Grund dafür, weshalb der Papst ausgerechnet den kleinen Ort in den Bergen besucht, doch der liegt weit zurück. Für den Papstbesuch wurde am Dorfrand ein Stück Wald gerodet, was bei Einheimischen, Touristen und Pilgern kontroverse Reaktionen auslöst. Unser Haus am See (2012) Zürich. 2011. Nicht die ganze Stadt, aber zumindest die leer stehende Villa eines kasachischen Oligarchen wurde von Hausbesetzern übernommen. Eine Tatsache, die zwar nicht bei allen Anwohnern Begeisterung auslöst, jedoch eine hervorragende Ausgangslage für den Schreibevent zur Erzählnacht 2011 bietet. Write My Fire (2013) 20 Songs aus rund 50 Jahren Musikgeschichte inspirieren Studierende, Dozenten, externe Erwachsene und Kinder zum Schreiben. 20 Songs, von Chanson und Classic Rock über House und Pop bis zu Hip Hop und Thrash Metal. Die einzige Gemeinsamkeit besteht da­rin, dass sich all diese Tracks mit dem Thema Feuer und seinen vielen Facetten beschäftigten. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Texte – feurige Kurzgeschichten, funkelnde Gedichte und wieder aufgewärmte Songlyrics.


Impressum Herausgeber: Schreibzentrum PH Zürich 2014. Produktionsleitung: Erik Altorfer und Alex Rickert. Mitarbeit: Helen Kaufmann, Judith Leumann, Lukas Ramseier, Julia Rietze und Thomas Hermann. Gestaltung: Urs Stauber, Digital Learning Center. Druck: OK Haller Druck AG. © 2014 Schreibzentrum PH Zürich. Auflage: 200 Exemplare.



Erik Altorfer Julia Bärtschi Alan Chen Noël Eichenberger Selina Hamm Judith Leumann Lukas Ramseier Alex Rickert Julia Rietze Marianna Skliamis Hüseyin Ucmak Sara Ventura Stephan Walter Suma Widmer Vera Zugliani

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