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Ein ungewöhnliches Leben und eine ungewöhnliche Freundschaft
Als ich HelmutHolzhey zum ersten Mal begegnete, spürte ich bei ihm eine gewisse Skepsis gegenüber dem mehr als ein Vierteljahrhundert jüngeren Journalisten. Journalisten beschäftigen sich selten mit Philosophie, und wenn, höchstens mit deren Stars und Skandalen. Philosophie und Journalismus verhalten sich in vielerlei Hinsicht wie Antipoden. Philosophie verweiltbei Gedanken, im Journalismus jagen sie sich. Journalismus ist in allerRegel kasuistisch, Philosophie nimmt das grosseGanze ins Visier. Journalistische Produkte altern schnell, oft innerhalb von Tagen oder Stunden. Philosophische Ideen überdauern Jahrhunderte, ja Jahrtausende.
Die Umstände wollten es, dass Helmut und ich in den vergangenen Jahren viele Stunden gemeinsam im Auto verbrachten, ich am Steuer, er auf dem Beifahrersitz. Kennengelernt hatten wir uns über einen gemeinsamenBekannten, mit dem ich einen philosophischen Lesezirkel gegründet hatte. Es gelang uns, ihn erst als regelmässigen Gast, später als unverzichtbares Mitglied unseres Zirkels zu gewinnen. Wenn wir beide im Auto zu einem der Treffen fuhren, tat ich, was ich als Journalist fast immer tue:Ich stellte Helmut Fragen. Über sein Leben. Über das Lesen, über das Schreiben, über Heidegger, Blumenberg und Cohen, über das Fragen überhaupt und das, was man gemeinhin den Sinn des Lebens nennt.
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Je mehr Antworten ich zu hören bekam, umso aussergewöhnlicher erschien mir dieses Leben. Wer von uns beiden zuerst die Idee äusserte, die Lebensgeschichte Helmut Holzheys aufzuzeichnen und als Buch herauszugeben, lässt sich im Nachhinein nicht mehr genau ausmachen. Sicher ist, dass er gegenüberdem Wunsch nicht abgeneigt war, in Form einer Publikation auf sein Lebenzurückzublicken. Ich war fasziniert von dem Gedanken, einen auf philosophischem Gebiet enzyklopädisch gebildeten Zeitzeugen der grossen politischen und kulturellen Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stunden-, ja tagelang zuhören zu dürfen.
Und so setzten wir uns im August und September 2019 ein paar Tage zusammen, um Helmuts LebenRevue passieren zu lassen. Er hatte sich gut vorbereitet und Notizen mitgebracht. Meine Rolle war die des Moderators, des begleitenden, nachfragenden Zuhörers. Seine Skepsis gegenüber dem Journalisten war längst gewichen, mittlerweile war zwischen uns eineungewöhnlicheFreund- schaft entstanden. Helmut vertraute mir. Keiner Frage wich er aus. Nur dann und wann bat er, das Tonband abzustellen, denn Manches, woran er sich zurückerinnerte, war auch Jahrzehnte später noch emotional belastend.
Aus den 20 Stunden Tonbandaufnahmen entstand dieses Buch mit Gesprächen, die wir gestrafft und – wo nötig – mit historischen oder biografischen Hinweisen ergänzt haben. Der grosseTeil der Arbeit oblag dabei Helmut; meine Rolle war jetzt die des ersten Lesers. Dafür, dass ich mit Helmut dieses wunderbare Projekt verwirklichen durfte, bedanke ich mich bei ihm ganz herzlich.
Philippe Pfister im Februar2023