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Entgegnung – MF

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Vorbemerkung

Vorbemerkung

Was das notwendige Konträre wäre, die ‹Realität›, wird, wiewohl als Kulisse aufgebaut, ausgesperrt. Keine Separation? Doch. Die absolute Unüberschreitbarkeit (und ja deshalb gerade eben nicht existent). Diese Kugel ist das Gegenteil der «gläsernen Kugel». Sie ist undurchsichtig. Die Spiegelung verwehrt jeden Einblick genau so, wie die glatte Oberfläche das Wasser abstösst. Reflexion nur von aussen nach aussen. Null Hegel. Und natürlich, die Kugel kann vom Tisch fallen, kann überallhin fallen, weil es keinen Ort für sie gibt. Nirgendwo steht geschrieben, dass sie, wegrollend, «irgendwo irgendwie neuen Halt» suchen oder gar finden würde.

→ Seite 15 Zu Corollarium II – Dieses Gedicht kann nur um den Preis der Verharmlosung sich selber sein wollen. Gegen das «und» hilft nur das «aber».

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Es gibt ein ‹Binnen-aber› (V.9), gleichsam eine Spielvariante des ernsthaften «Aber». Sie heftet die zweite Strophe syntaktisch an die erste an und macht diese somit sogar zur Bedingung der zweiten. Ist das nicht ein Modell für das ernsthafte, textinaugurierende Aber, welches das ganze Gebilde an einem Übergreifenden festmacht, das eben nicht sichtbar wird, solange wir im Innern des einen Gedichts verharren? – Soviel als erster verzweifelter Einspruchsversuch.

MF – 7.2.2018 Entgegnung I

Lieber Walter Deinem Beispiel folgend werde ich mich vom Ende zum Anfang Deines Einspruches vorarbeiten.

Mit Deiner Unterscheidung zwischen den beiden «Aber» in Beschwörung I gehe ich einig, würde aber, meinen Denkgewohnheiten entsprechend, von einem Immanenz- und einem Transparenz-Aber sprechen.

Dass die Kunst in Beschwörung I als das Totale auftrete, habe ich nie behauptet. Ich habe vielmehr darzulegen versucht, dass das Gedicht zwar den Anspruch auf die Kunst als Totalität erhebt (das ist die Kugel, die wir machen wollten), diesen Anspruch aber durch die Art, wie Strophe 2 ihn einlöst, selber

durchkreuzt. Das Komplementäre annulliert das Dialektische. «Null Hegel.» Ganz einverstanden. Aber Null ist nicht Nichts. Sie wird und bleibt während des Annullations-Prozesses als reine Negativität präsent – als Phantasie, als Hoffnung, als Wunsch (man kann, scheint mir, den gesamten Diskurs von Das Ei in dieser Geste abbilden).

Wie Du die Metrik in Strophe 2 traktierst, hat mich erschreckt. Wenn ich die Verse so lange verstümmele, bis sie mir in die Interpretation passen, kann ich leicht beweisen, dass die Metrik nichts beweist. Gewiss: Es gibt meiner Erinnerung nach Altphilologen, die bestreiten, dass der Adoneus existiert. Der letzte Vers der sapphischen Ode sei eben ein Langvers. Gewiss: Der Adoneus ist ursprünglich ein Schluss-Vers – das ist er gemäss meiner Deutung in Strophe 2 und 3 von BeschwörungI übrigens auch –, aber da muss er als markantes Werkstück ja nicht bleiben. Das schiebt sich und verschiebt sich, merken die Wanderjahre an.4 Auch und gerade und gern in der Lyrik. (Ob Deine Editions-Arbeit mit Raebers Rhizomatik Dich zu diesem Mutilations-Exzess verführt hat? Man kann die ja auch als schöpferische Zerstörung lesen.) Jedenfalls: Nimmt man Abstand von Deiner überraschenden Brachial-Lektüre, beweist die Metrik zwar nichts (Was beweisen Gedichte? Beweisen sie etwas? Wie gehen sie um mit dem Beweisen? Wollen wir uns darüber nicht irgendwann einmal verständigen?), aber sie weist auf etwas hin. Sie zeigt den Weg, ist jedoch nicht das Ziel.

Last, but not least: Das Wir. Du hast recht: Das Gedicht enthält keinen Hinweis, der meine Lesart favorisieren würde. (Es handelt sich dabei übrigens nicht um einen Pluralis maiestatis, sondern um einen Pluralis individuationis: «Das ächte Dividuum ist auch das ächte Individuum.»)5 Es enthält aber auch keinen, der sie untersagte. Das gleiche gilt für Deine

4 J.W. von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Drittes Buch, zweites

Kapitel; Jubiläumsausgabe (JA) in 40 Bdn. Stuttgart und Berlin 1902ff.,

Bd.20, S. 63. 5 Novalis, Das Allgemeine Brouillon, Nr. 952; Schriften, hg. von Richard

Samuel u.a., 3., von den Hg. durchgesehene und revidierte Aufl., Bd.3.

Darmstadt 1985, S. 451.

→ Bibl. Angabe Seite 134

→ Seite 16

→ Seite 17

Lesart. Wenn wir Novalis’ Satz ernst nehmen, unterscheiden sich beide Lesarten nur darin, dass meine ein inneres Du postuliert und Deine ein äusseres (oder, lacanesisch gesprochen, meine ein imaginäres und Deine ein symbolisches). Ich wette darauf, dass ich meine Lesart bis zum Ende der Beschwörung durchinterpretieren kann. Du, was Deine betrifft, vermutlich auch. Sehen wir doch erst einmal zu, ob wir unsere Wetten gewinnen, und falls ja, gemäss welchen Kriterien die Gewinne sich miteinander vergleichen liessen. Beschwörung I verhält sich demnach, wie sich Verse m.E. nach dem Ausscheiden der Lyrik aus dem Dispositiv gesellschaftlicher Be-Deutungs-Diskurse verhalten müssen: Als ein Zeichenfeld, das eine mehrfache, nicht unendliche Menge qualitativ differenter Textualisierungen nicht nur gestattet, sondern zu ihr auffordert.

Damit kehre ich zu meiner Lesart zurück und gehe mit ihr zu Beschwörung II über.

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