Zürcher Prime Tower bringt höhere Restaurantpreise. > 25
Laut dem New Yorker Anwalt Rubinstein stehen Klagen gegen Schweizer Banken unmittelbar bevor. > 23
Der Sonntag, Nr. 38, 25. September 2011
3-D-Filme sorgten im Sommer nach einem schlechten Saisonstart für volle Kinokassen. >23
WIRTSCHAFT
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Arbeiter schufteten für Ikea und Swiss Indoors zu Dumpinglöhnen Beauftragte Ausbaufirmen reichten die Aufträge an unzählige Subunternehmen weiter, die zu tiefe Löhne zahlten Auf einer Baustelle von Ikea wurde Lohndrückerei festgestellt. Und bei Swiss Indoors waren Scheinselbstständige am Werk. VON PETER BURKHARDT
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er Bericht des «Sonntags» über die Verletzung der Mindestlöhne beim Bau des Basler-Roche Turms (Ausgabe vom 18. September) hat ein politisches Nachspiel: Der Baselbieter SVP-Landrat Georges Thüring will von der Regierung in einer Interpellation wissen, was sie vorkehrt, damit solche Verstösse nicht mehr vorkommen. Eine ähnlich lautende Interpellation hat der baselstädtische SP-Grossrat Mustafa Atici eingereicht.
NUN ZEIGEN DIE RECHERCHEN, dass bei weiteren prominenten Firmen der dringende Verdacht auf Lohndumping besteht. Den krassesten Fall deckten Baustellenkontrolleure im Sommer bei der Möbelhaus-Kette Ikea auf: Ungarische Arbeiter, die während Tag und Nacht mit dem Ausbau der Hochregallager beschäftigt waren, erhielten nach eigenen Angaben einen Stundenlohn von umgerechnet 5 Franken. Deutsche Mitarbeiter gaben an, sie erhielten 9 Euro pro Stunde. Beides unterschreitet den Mindestlohn des Metallbaugewerbes deutlich. Er beträgt für Ungelernte je nach Alter zwischen Fr. 20.10 und 23.55. Zusätzlich ist für Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 Prozent zu entrichten. Abzugelten sind zudem Anteile für den 13. Monatslohn und Ferien sowie die Reisespesen. Gemäss den Nachforschungen der Baustellenkontrolleure waren mindestens drei Dutzend vorwiegend osteuropäische Arbeiter in mehreren Ikea-Filialen tätig, darunter in jenen von Rothen-
burg LU, Spreitenbach AG, Dietlikon ZH und Aubonne VD. Sie mussten zum Tiefstlohn Möbellager umbauen, Regale montieren und die Filialen neu dekorieren. Nicht alle waren korrekt gemeldet. IM VERDACHT DES LOHNDUMPINGS steht aber nicht Ikea selber, sondern eine ganze Reihe von Auftragnehmern. Ikea hatte die deutsche Firma Tegometall mit dem Ausbau der Hochregallager beauftragt. Diese gab die Verantwortung an die deutsche Firma RM Regalbau weiter. Diese wiederum beauftragte mindestens 27 Subunternehmen aus Tschechien, Spanien, Ungarn und Portugal. Bei der Kontrollstelle, die den Fall aufdeckte, ist jetzt ein Verfahren im Gang. Sobald die Lohnbuchkontrolle abgeschlossen ist, übergibt sie die Akten dem kantonalen Arbeitsamt. Ikea Schweiz wisse nichts von den Anschuldigungen, sagt Sprecherin Virginia Bertschinger. «Die genannten Feststellungen widerstreben unserem Geschäftsgebaren, und wir nehmen Ihr Schreiben selbstverständlich zum Anlass, genauere Untersuchungen vorzunehmen.» Ikea verlange von den Lieferanten vertraglich, sich an den firmeneigenen Verhaltenskodex und die Gesetze zu halten. «Ist ein Lieferant nicht in der Lage oder nicht willens, das zu akzeptieren, geht Ikea keine Geschäftsbeziehung ein oder beendet diese.» ES IST JEDOCH nicht der erste Fall von Lohndumping bei Ikea: Schon beim Bau der Filiale von Vernier GE im vergangenen Jahr zahlten Unternehmen, die für Ikea arbeiteten, rund 40 Arbeitern zu tiefe Löhne. Der Möbelriese und eine der beschuldigten Firmen zahlten darauf den Betroffenen 20 000 Franken nach. Gemäss Recherchen haben Baukontrolleure zudem im Frühling 2010 entdeckt, dass rund 35 scheinselbstständige Monteure aus Deutschland, Polen und
Zwei krasse Fälle von Lohndrückerei im Ausbaugewerbe: Ikea und Swiss Indoors Basel (hier Roger Federer beim Final 2010). KEYSTONE
Ungarn eine Ikea-Filiale ausbauten. Damit steht auch hier der Verdacht des Lohndumpings im Raum. Die Arbeiter waren von einer Solothurner Firma ins Land geholt worden. Virginia Bertschinger verspricht, Ikea werde diese Vorwürfe ebenfalls abklären. INS ZWIELICHT GERÄT auch der grösste Sportanlass der Schweiz, das Tennisturnier Swiss Indoors Basel. Vor der letzten Austragung im November 2010, die von Roger Federer gewonnen wurde, statte-
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Es wurden massiv nicht orts- und branchenübliche Löhne festgestellt.»
ANDREAS GIGER, GEWERKSCHAFT UNIA ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
ten Baustellenkontrolleure der St. Jakobshalle einen Überraschungsbesuch ab. Dabei entdeckten sie, dass etwa 15 Ungarn und 30 Deutsche Inneneinrichtungen aufbauten. Die ungarischen Mitarbeiter erhielten für ihren sechstägigen Einsatz Fr. 10.35 pro Stunde. Das entspricht rund einem Drittel des Mindestlohns für Schreiner. Die deutschen Mitarbeiter erhielten zwischen 8 und 20 Euro pro Stunde. Somit arbeitete ein Teil von ihnen ebenfalls zu Dumpinglöhnen.
«Es wurden massiv nicht orts- und branchenübliche Löhne festgestellt», sagt der Baselbieter Unia-Sekretär und SP-Landrat Andreas Giger. Zudem hatten sich alle Mitarbeiter als Selbstständige ausgegeben, um die Schweizer Mindestlöhne zu umgehen. Giger spricht von einer «sehr grossen Zahl von klaren Fällen von Scheinselbstständigkeit». Eine komplizierte Vergabestruktur verwischte die Verantwortlichkeiten: Swiss Indoors hatte zwei Schweizer Firmen mit den Arbeiten beauftragt. Diese wiederum zogen insgesamt fünf Subunternehmen bei. Der Fall beschäftigt nun das Baselbieter Parlament. SVP-Landrat Thüring will vom Regierungsrat wissen, ob er bei den Swiss-Indoors-Verantwortlichen interveniert, «damit es inskünftig zu keinen solchen Verstössen mehr kommt». MIT DEN VORWÜRFEN konfrontiert, liessen die Swiss Indoors über ein Zürcher Anwaltsbüro ausrichten, sie ständen «in keinerlei vertraglicher Beziehung zu den angeschuldigten Subunternehmen». Die Verletzung arbeitsrechtlicher Standards werde nicht toleriert. «Die Swiss Indoors verpflichten die Unternehmer in den Verträgen zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften.» Zudem würden die Unternehmen vor Turnierbeginn nochmals in einem Brief explizit auf diese Vorschriften aufmerksam gemacht. «Bei Verletzungen stehen den Swiss Indoors die üblichen vertraglichen Sanktions-
möglichkeiten zur Verfügung.» Die Swiss Indoors AG behauptet zudem, sie habe vom «Sonntag» erstmals von diesen Vorwürfen erfahren. Die Baustellenkontrolleure hatten jedoch einen Vertreter von Swiss Indoors vor Ort sofort über den Verdacht der Scheinselbstständigkeit orientiert. Sie meldeten ihren Verdacht dann dem Baselbieter Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit. Dieses konnte aber kein Verfahren eröffnen. Denn bei Scheinselbstständigen gibt es heute keine Sanktionsmöglichkeit. DESHALB BLÜHT DIESE ART der Umgehung der Schweizer Löhne. Eine Zahl aus dem Ausbaugewerbe illustriert das: 2008 waren im Kanton Baselland 77 Prozent der von ausländischen Firmen gemeldeten Arbeiter angestellt, 23 wurden als selbstständig bezeichnet. Letztes Jahr hatte sich das Verhältnis umgekehrt: 65 Prozent angeblich Selbstständigen stehen 35 Prozent Angestellte gegenüber. Am Freitag hat deshalb der Bundesrat eine Gesetzesvorlage veröffentlicht, mit der er Lohndumping und Scheinselbstständigkeit bekämpfen will. Künftig können Scheinselbstständige gebüsst und gesperrt werden, wenn sie ihre Selbstständigkeit nicht beweisen können. INSERAT