FORSCHUNGS M E T H O D E N OHNE TIERVERSUCHE SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Vorwort
Inhalt
Grosse Teile der Bevölkerung haben Vorbehalte gegen Tier-
Woran soll man den sonst testen?
3
3
versuche, insbesondere wie Versuchstiere gehalten werden aber auch gegen fragwürdige Versuchszwecke, etwa Tierver-
Forschungsmethoden ohne Tierversuche
Warum Tierversuche nicht die Zukunft sind
3
denken eher auf Vorstellungen, denn auf konkretem Wissen
Tierversuche sind ethisch kaum vertretbar
3
beruhen, ist schwer zu sagen. Tatsache ist aber, dass Nor-
Tierversuche können gefährlich sein
4
malsterbliche kaum die Möglichkeit haben, sich darüber zu
Fraglicher Nutzen von Tierversuchen
5
informieren, wie Versuchstiere gehalten, was für Versuche an
Steuergelder für fragwürdige Tierversuche
6
suche zur Entwicklung von Kosmetika. Inwiefern diese Be-
ihnen zu welchen Zwecken durchgeführt werden und woher die Tiere stammen. Im Unterschied zu anderen kommerziell
Tierversuchsfreie Methoden sind gute Wissenschaft
7
In-silico-Techniken
7
zucht über Zoos und Zirkusse bis hin zur Landwirtschaft –
In-vitro-Methoden
8
bleiben Versuchstierhaltungen und Versuche von der Öffent-
Übersicht über die Möglichkeiten
8
lichkeit weitestgehend abgeschirmt.
Validierung und die Probleme damit
10
Kritikpunkte
11
Was gibt es schon? Erfolgsstorys der tierversuchsfreien Forschung
12
Die Zukunft gehört tierversuchsfreien Methoden
14
Impfstoffe
16
2. Der Tierversuchsbereich stellt eine Art geschlossene Ge-
Grundlagenforschung
16
sellschaft in Form einer «Expertokratie» dar (Wissenschaftler,
Tierversuchsfreie Lehrmethoden für Studium und Ausbildung 17
Behörden), die im scharfen Widerspruch zum liberalen demokratischen Rechtsstaat steht, in welchem der Bürger das
Für eine ethisch vertretbare, am Menschen orientierte Medizin
18
oberste Organ darstellt. Diese «Expertokratie» hebelt im Tier-
18
betriebenen Tiernutzungen – von der gewerblichen Heimtier-
Das ist aus zwei Gründen störend: 1. Ein nicht unerheblicher Teil von Tierversuchen wird durch Steuergelder ermöglicht (Universitäten, Institute). Die Bevölkerung zahlt und gleichzeitig wird ihr faktisch der Zugang verweigert.
versuchsbereich die Rechte und Pflichten des Bürgers aus,
Klinische Forschung
Microdosing
19
Epidemiologie
19
Der Schweizer Tierschutz STS sieht deshalb die Information
Obduktionen
20
über Tierversuche als eine seiner wichtigsten Aufgaben an.
Prävention
20
Denn nur ein informierter und mündiger Bürger kann seine
Verzicht auf fragwürdige Tierversuche
Verantwortung gegenüber dem Schicksal von jährlich über
Warum werden immer noch Tierversuche gemacht? 22
entmündigt ihn.
700 000 in der Schweiz genutzten und verbrauchten Versuchstieren wahrnehmen. Die Leiterin der STS-Fachstelle Tierversuche, Frau Dr.
Reduzierung, Ersatz oder Abschaffung?
21 22
Der tierversuchsfreien Forschung gehört die Zukunft 23
med. vet. Julika Fitzi-Rathgen hat für die vorliegende Publi-
Was kann jeder Einzelne tun? – Kontakt & Links
23
kation die wichtigsten Fakten zu Tierversuchen zusammen-
Quellenangaben
24
gestellt. Darin wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob die heute durchgeführten Tierversuche tatsächlich unerlässlich sind. Im weiteren gibt die Broschüre auch einen Einblick in eine Forschung ohne belastende Tierversuche. Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH Geschäftsführer Fachbereich
Herausgeber Schweizer Tierschutz STS Dornacherstrasse 101, Postfach 461, 4008 Basel Tel. 061 365 99 99, Fax 061 365 99 90 sts@tierschutz.com, www.tierschutz.com; 2011 Überarbeitung: Dr. med. vet. Julika Fitzi-Rathgen, Fachstelle Tierversuche, Schweizer Tierschutz STS Nach einer Textvorlage von: Dipl.-Biol. Silke Bitz, Dr. med. vet. Corina Gericke, Ärzte gegen Tierversuche e.V.
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Woran soll man denn sonst testen? Forschungsmethoden ohne Tierversuche Immer wieder wird behauptet, dass Tier-
Menschen übertragen werden können.
der Tierversuch als der «Goldstandard» in
versuche notwendig wären, um die Pro-
Auf der anderen Seite sind tierver-
der Forschung, noch immer werden Tier-
dukte, die wir benutzen, für uns sicher
suchsfreie In-vitro-Methoden nicht nur
versuchsprojekte mit Millionen aus unse-
zu machen und um neue Behandlungs-
zuverlässiger und kostengünstiger als
ren Steuergeldern bezuschusst, während
methoden für kranke Menschen zu fin-
Tierversuche, sondern sie haben im Ver-
die moderne, tierversuchsfreie Forschung
den. Tatsächlich sind Tierversuche aber
gleich zum Tierversuch eine höhere Aus-
ein Schattendasein führt.
meistens nicht geeignet, die Wirkung und
sagekraft und sie liefern für den Men-
Diese Broschüre geht der Frage nach,
Gefährlichkeit von Stoffen für den Men-
schen wirklich relevante Ergebnisse. Die
warum wir viele Tierversuche nicht brau-
schen zu beurteilen. Mittlerweile erken-
tierversuchsfreie Forschung bietet schon
chen, gibt einen Überblick über For-
nen immer mehr Wissenschaftler, Politi-
heute eine enorme Vielfalt an Möglich-
schungsmöglichkeiten ohne Tiere und be-
ker und Bürger, dass Tierversuche nicht
keiten.
schäftigt sich mit den Problemen, die bei
halten, was sie versprechen, und dass die
Doch ein wirklicher Paradigmenwech-
Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den
sel lässt auf sich warten. Noch immer gilt
der Einführung dieser wissenschaftlichen Methoden zu bewältigen sind.
Warum Tierversuche nicht die Zukunft sind Tierversuche sind ethisch kaum vertretbar Jedes Jahr leiden und sterben weltweit
Gebrauch entsorgt werden. Doch Tiere
heiligen. Selbst wenn Tierversuche einen
mindestens 115 Millionen1 Tiere in den
sind keine Maschinen. Sie können Freude
Nutzen für den Menschen haben, dürfen
Labors der chemischen und pharmazeu-
und Leid, Schmerz und Angst sowie an-
sie nicht automatisch durchgeführt wer-
tischen Industrie, der Hochschulen und
dere Emotionen in ähnlicher Weise wie
den, weil es moralisch unzulässig ist, Tiere
anderer
In
Menschen empfinden. Tiere leiden in ei-
zu quälen. Tieren muss ein eigenständiges
der Schweiz sind es annähernd 800 000
ner vergleichbaren Situation sogar mehr
Grundrecht, d.h. ein Recht auf ein leidens-
Mäuse, Ratten, Affen, Hunde, Katzen, Ka-
als ein Mensch. Menschen können ihre
freies und ihren Bedürfnissen entspre-
ninchen, Meerschweinchen und andere
Lage intellektuell verarbeiten, über den
chendes Leben zugestanden werden.
Tiere.2
Sinn reflektieren. Hoffnung und Zu-
Forschungseinrichtungen.
Tiere werden vergiftet, verstrahlt,
versicht machen eine Situa-
verstümmelt und traumatisiert, sie wer-
tion leichter erträglich. Tiere
den mit Viren, Bakterien und Parasiten
verstehen dagegen nicht, was
infiziert, sie müssen hungern oder durs-
mit ihnen passiert. Sie sind
ten, sie werden erstickt oder mit Elektro-
dem Schmerz und der dumpfen
schocks traktiert, bei ihnen werden Infek-
Angst hilflos ausgeliefert.
tionen, Entzündungen, Infarkte, Anfälle
Achtung und Respekt vor
oder Krebs hervorgerufen, ihnen werden
dem Leben, auch vor dem des
Elektroden in das Gehirn gesteckt, die
Tieres, muss das wichtigste Ge-
Knochen gebrochen, die Augen vernäht,
bot, insbesondere auch ärztli-
Organe entfernt und wieder eingepflanzt.
chen und wissenschaftlichen
In Tierversuchen werden Tiere zu
Handelns sein. Vor allem darf
Messinstrumenten degradiert, die nach
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Tiere sind keine Messinstrumente
kein Zweck die Mittel
3
Menschen und verschiedene Tierarten verstoffwechseln Substanzen oft ganz unterschiedlich. Auf Ergebnisse aus Tierversuchen ist daher meist kein Verlass.
Tierversuche können gefährlich sein Ergebnisse aus klinischen Studien, die
neue Stoff beim Menschen genauso wie
hen konkret im Zusammenhang mit Ne-
meist an Menschen mittleren Alters statt-
beim Tier? Wirkt er anders oder gar entge-
benwirkungen von Arzneimitteln. Bei 165
finden, sind nicht auf Kinder oder alte
gengesetzt? Erst nachdem eine Substanz
Fällen wurde der Tod durch das Medika-
Menschen übertragbar, weiterhin gibt
beim Menschen eingesetzt wurde, lässt
ment nachweislich verursacht.3
es Unterschiede zwischen Männern und
sich erkennen, ob der Mensch in ähnli-
Umgekehrt weiss niemand, wie
Frauen. Wenn schon die Übertragung von
cher Weise wie das Tier reagiert. Dass man
viele sinnvolle Medikamente nie auf den
Ergebnissen von einem Menschen auf ei-
sich trotz dieser Unsicherheit auf Ergeb-
Markt gelangen, weil sie aufgrund von ir-
nen anderen aufgrund von alters- und ge-
nisse aus Tierversuchen verlässt, kann fa-
reführenden Tierversuchen vorzeitig aus-
schlechtsspezifischen Unterschieden pro-
tale Folgen haben. Die zahllosen, wegen
sortiert werden. Viele segensreiche Arz-
blematisch ist, wie sollen dann Ergeb-
schwerer, oft sogar tödlicher Nebenwir-
neien wie Aspirin, Ibuprofen, Insulin,
nisse von Ratten oder Fischen Sicherheit
kungen vom Markt genommenen Medi-
Penicillin oder Phenobarbital wären uns
für den Menschen schaffen? Der Mensch
kamente sprechen eine deutliche Sprache.
vorenthalten geblieben, hätte man sich
unterscheidet sich von den verschiedenen
Lipobay®, Vioxx®, Trasylol®, Acomplia®
schon in früheren Zeiten auf den Tierver-
Tierarten wesentlich hinsichtlich des Kör-
und TGN1412 sind dabei nur die Spitze des
such verlassen. Diese Stoffe rufen näm-
peraufbaus, der Organfunktionen und der
Eisbergs. In Deutschland gehen Hochrech-
lich bei bestimmten Tierarten aufgrund
Verstoffwechslung von Substanzen. Die
nungen zufolge 58 000 Todesfälle pro Jahr
unterschiedlicher Stoffwechselvorgänge
Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tier-
auf das Konto von Arzneimittelnebenwir-
gravierende Schädigungen hervor. Sie
versuchen auf den Menschen ist daher oft
kungen, auf die Bevölkerung der Schweiz
problematisch.
berechnet könnte dies, infolge hoher Dun-
wären bei der heutigen Vorgehensweise der Wirkstofffindung durchgefallen!
Wie die Wirkung eines neuen Medi-
kelziffern, für durchschnittlich 3500 Men-
kamentes oder einer chemischen Substanz
schen pro Jahr zutreffen. Bei der Swiss-
Forscher geben vor, Tierversuche zum
beim Menschen sein wird, lässt sich auf der
medic gingen im Jahr 2009 knapp 5000
Wohle des Menschen durchzuführen.
Grundlage von Tierversuchen nicht mit der
Meldungen zu unerwünschten Arzneimit-
Tatsächlich verfolgen die allermeisten,
nötigen Sicherheit feststellen. Wirkt der
telreaktionen ein und 200 Todesfälle ste-
insbesondere die forschenden Pharma unternehmen, aber auch eine stark ge-
Beispiele von Medikamenten, die – im Tierversuch unbedenklich – wegen schwerer unerwünschter Wirkungen bei Menschen vom Markt genommen wurden TGN1412
Immunmedikament
Multiorganversagen, Amputationen
Lipobay®
Cholesterinsenker
Muskelzerstörung, Todesfälle
Vioxx®
Rheumamittel
Herzinfarkte, Schlaganfälle, Todesfälle
Trasylol®
Herzmittel
Nierenversagen
Acomplia®
Schlankmacher
psychische Störungen, Selbstmord
4
winnorientierte Firmenpolitik. So wird manchmal auch nicht vor dubiosen Machenschaften zurückgeschreckt. Zum Beispiel ist es üblich, Ärzten Kongressreisen und anderes anzubieten, damit sie ein bestimmtes Präparat empfehlen.4 Für jedes neue Arzneimittel mussten Zehntausende Tiere leiden und sterben. Dabei handelt es sich in vielen Fällen
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nicht um Produkte, die die Medizin vor-
Wirkstoffen werden nicht immer bekannt,
gesprochen. Obwohl die tödliche Neben-
anbringen. Im Gegenteil, von den jährlich
indem oft nur «positive» Studien veröf-
wirkung auch in Deutschland längst be-
rund 2500 Neuanträgen für Medikamen-
fentlicht werden, die «negativen» aber
kannt war, wurde sie in der Packungsbei-
tenzulassungen in Deutschland ist nur
nicht.7
lage jahrelang bewusst verschwiegen.
alle zwei Jahre eine echte Innovation da-
liche Nebenwirkungen eines Präparates
Tierversuche tragen nur marginal zur
bei. Als Wundermittel angepriesene The-
bekannt, versuchen Pharmaunternehmen
Entwicklung neuer Behandlungsmetho-
rapeutika halten längst nicht das, was sie
dies immer wieder dies zu vertuschen oder
den bei. Die Pharmaindustrie führt sie
versprechen. So zum Beispiel auch der
schön zu reden. So beispielsweise im Fall
auch durch, um sich gegen Schadenser-
Roche-Umsatzrenner Avastin®, der ge-
des Antidepressivums Zoloft® der Firma
satzklagen abzusichern, falls mit einem
gen den Brust-Krebs wirkungslos sein soll
Pfizer, das zu einer Steigerung der Selbst-
Produkt etwas schief geht und weil ge-
Werden schwerwiegende, oft töd-
kann.8
und auch schwere Nebenwirkungen ver-
tötungsabsicht führen
ursacht.5 Die allermeisten Präparate gibt
wurden entsprechende Warnungen aus-
In den USA
setzliche Vorgaben einen Teil der Versuche vorschreiben.
es schon in ähnlicher Form oder sie werden eigentlich nicht benötigt. So wurden beispielsweise von der Firma Bayer völlig normale Alterserscheinungen des Man-
Beispiele für unterschiedliche Reaktionen von Mensch und Tier auf verschiedene Substanzen
nes zu einem «Testosteron-Mangel-Syn-
Substanz
Mensch
Tier
drom» erklärt, um einen neuen Absatz-
Asbest
Krebs
verträglich für Ratten, Hamster
markt für ein Hormonpräparat zu schaf-
Arsen
giftig
gut verträglich für Schafe
fen. Der Markt in der Schweiz ist mit mehr als 6500 und in Deutschland mit über
Contergan Missbildungen
keine Missbildungen bei Tieren (ausser einige Affenarten und beim Kaninchen)
60 000 Medikamenten überschwemmt,
Cortison
verträglich
Missbildungen bei Mäusen
mit unerfreulichen Folgen für die priva-
Morphium
beruhigend
stimulierend bei Katze, Rind, Pferd
ten und staatlichen Auslagen für die «Ge-
Penicillin
gut verträglich
schädlich für Meerschweinchen,
sundheitskosten». Die Weltgesundheits-
Kaninchen, Hamster
Paracetamol
gut verträglich
giftig für Katzen
Phenobarbital
gut verträglich
Leberkrebs bei Ratten
Saccharin
gut verträglich
Blasenkrebs bei männlichen Ratten
organisation hält nur 325 Wirkstoffe für notwendig, um menschliche Erkrankungen zu behandeln.6 Schädliche
Nebenwirkungen
von
Fraglicher Nutzen von Tierversuchen Da die meisten menschlichen Krankheiten bei Tieren nicht vorkommen, wer-
um ein Herzkranzgefäss simuliert. Die künstlich hervorgerufenen Sym-
weder wegen mangelnder Wirkung oder
den die Symptome auf künstliche Weise
ptome haben jedoch wenig mit den
wegen unerwünschter Nebenwirkungen.
in sogenannten «Tiermodellen» nachge-
menschlichen Krankheiten, die sie simu-
Von den 8% der Wirkstoffe, die eine Zu-
ahmt. Um zum Beispiel Parkinson auszu-
lieren sollen, gemein. Wichtige Aspekte
lassung erhalten, wird die Hälfte später
lösen, wird bei Affen, Ratten oder Mäu-
der Krankheitsentstehung wie Ernäh-
wieder vom Markt genommen, weil sich
sen ein Nervengift in das Gehirn injiziert,
rung, Lebensgewohnheiten, Verwendung
beim Menschen weitere schwerwiegende,
das Hirnzellen zerstört. Krebs wird durch
von Suchtmitteln, schädliche Umweltein-
oder gar tödliche Nebenwirkungen her-
Genmanipulation oder Injektion von
flüsse, Stress, psychische und soziale Fak-
ausstellen.10
Krebszellen bei Mäusen hervorgerufen.
toren werden dabei ausser Acht gelassen.
Beispielsweise glaubte man mit der
Schlaganfall wird durch das Einfädeln ei-
Ergebnisse aus Studien mit Tieren sind
«Erfindung» der Krebsmaus den Schlüs-
nes Fadens in eine Hirnarterie bei Mäusen
daher häufig irreführend und irrelevant.
sel zur Bekämpfung bösartiger Tumoren
nicht durch die klinische Prüfung9, ent-
erzeugt. Zuckerkrankheit ruft man durch
Tatsächlich versagt die tierexperi-
endlich in der Hand zu halten. Forschern
Injektion eines Giftes in Ratten, das die
mentell ausgerichtete Forschung immer
der Harvard-Universität war es Mitte der
Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse
wieder. 92% der potentiellen Arznei-
1980er Jahre gelungen, ein menschliches
zerstört, hervor. Ein Herzinfarkt wird bei
mittel, die sich im Tierversuch als wirk-
Krebsgen in das Erbgut von Mäusen ein-
Hunden durch Zuziehen einer Schlinge
sam und sicher erwiesen haben, kommen
zuschleusen, so dass die Nager frühzeitig
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
5
Wissenschaftliche Studien stellen Nutzen von Tierversuchen in Frage
lungsmethoden im Tierversuch erfolg-
lierte Maus wurde 1988 in den USA und 1992 in Europa als erstes Säugetier so-
Nicht nur Tierversuchsgegner und Tier-
nichts oder waren sogar schädlich.11
gar patentiert. Seither wurden tausende
schützer, sondern auch immer mehr un-
In einer weiteren Vergleichsstudie
Krebsmäuse «geheilt». Doch alle bei den
abhängige, wissenschaftliche Studien
stellte ein britisches Wissenschaftlerteam
Nagern «erfolgreichen» Behandlungsme-
stellen den Nutzen gewisser Tierversuche
fest, dass sich die Ergebnisse von gleicher-
thoden versagten bisher beim Menschen.
in Frage. Sie belegen, dass Tierversuchs-
massen an Tieren und Menschen durchge-
Regelmässig kündigt die tierexperi-
ergebnisse oft nicht mit den am Menschen
führten Studien oft ganz erheblich von-
mentelle Forschung grosssprecherisch
gewonnenen Erkenntnissen übereinstim-
einander unterscheiden. Die ungenauen
einen Durchbruch bei allen möglichen
men und dass Tierversuche für die klini-
Ergebnisse aus Tierversuchen können Pa-
Krankheiten an. Im Tierversuch hätte sich
sche Anwendung beim Menschen häufig
tienten gefährden und sind zudem eine
diese oder jene Behandlungsmethode im
irrelevant sind.
Verschwendung von Forschungsgeldern,
Tumore entwickelten. Diese genmanipu-
reich, beim Menschen nützten sie jedoch
heisst es in der Arbeit.12
Kampf gegen Alzheimer, Parkinson, Mul-
In einer Übersichtsarbeit aus England
tiple Sklerose, Krebs, Arterienverkalkung
wurden die Ergebnisse verschiedener Be-
In einer deutschen Studie wurden 51
usw. als erfolgreich erwiesen. Doch die
handlungsmethoden bei Versuchstieren
in Bayern genehmigte Tierversuchsan-
Hoffnungen der betroffenen Patienten
und Patienten anhand entsprechender
träge auf ihre klinische Umsetzung ana-
werden immer wieder enttäuscht. Von den
Fachartikel verglichen. Bei nur drei der
lysiert. Das Wissenschaftlerteam fand he-
gefeierten Wundermitteln hört man nie
sechs untersuchten Krankheitsbilder gab
raus, dass auch nach zehn Jahren bei kei-
wieder etwas. Der Mensch ist eben doch
es Übereinstimmungen. Bei der anderen
nem einzigen Projekt eine Umsetzung in
keine 70 kg Maus.
Hälfte waren die untersuchten Behand-
der Humanmedizin nachweisbar war.13
Steuergelder für fragwürdige Tierversuche Ungefragt und ob wir wollen oder nicht, subventionieren wir alle Tierversu-
nen tatsächlich in die tierexperimentelle
neuer Tierlabors werden zweistellige Mil-
Forschung fliessen, weiss bislang nie-
lionenbeträge ausgegeben. Der vom Bund
che mit unseren Steuergeldern. Wie viele
mand genau. Statistiken darüber gibt es
alimentierte Schweizerische Nationalfond
öffentliche Gelder von Bund und Kanto-
nicht. Allein für die Baukosten einzelner
(SNF) investiert jährlich etwa 80 Millionen Franken in die biomedizinische Forschung und finanziert damit jährlich 500 Projekte mit Tierversuchen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die in grossem Masse Tierversuche im Hochschulbereich finanziert, steht jährlich ein Etat von rund 1,7 Milliarden Euro grösstenteils aus der Staatskasse zur Verfügung.14 Demgegenüber muten die jährlichen Bundes-Subventionen von 425 000 Franken in die Stiftung Forschung 3R bzw. 2,5 bis 4 Millionen Euro staatliche Unterstützung für die tierversuchsfreie Forschung in Deutschland wie ein Almosen an.
Unzählige «Krebsmäuse» wurden bereits «geheilt». Doch beim Menschen versagten die im Tierversuch «erfolgreichen» Behandlungsmethoden.
6
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Mikrochips werden mit menschlichen Zellen bestückt und funktionieren wie ein winziger Organismus.
Tierversuchsfreie Methoden sind gute Wissenschaft In-silico-Techniken ment die gewünschte Wirkung zeigt.16
Technisch ausgefeilte Computermodelle
lichen «Mini-Menschen». Die Wirkung in
können Informationen über Struktur,
den einzelnen Organen, seine Verstoff-
Am Biotechnologisch-Biomedizini-
Wirkung und Giftigkeit von Substanzen,
wechslung sowie die mögliche Entstehung
schen Zentrum in Leipzig wurde ein drei-
wie zum Beispiel von neuen Arzneimit-
giftiger Abbauprodukte soll so getestet
dimensionaler Biochip entwickelt, der wie
teln oder Chemikalien, liefern. Computer-
werden. Sogar Krankheiten des Menschen
ein Minilabor funktioniert. Ein Stück Ge-
modelle wie QSAR (Quantitative Struc-
können mit dem Mikrochip nachgeahmt
webe wird in den Biochip gegeben und ein
ture Activity Relationship) basieren auf
werden. Das Team an der Cornell Univer-
Medikament hinzugefügt. An den Biochip
menschlichen Daten. Unter Einbeziehung
sity arbeitet an der Simulation von Krebs.
sind Elektroden angeschlossen, um Strom
der Molekularstruktur einer Substanz
Kombinationen von Wirkstoffen können
durch das System zu leiten. Anhand des
kann ihre wahrscheinliche Wirkung vo-
in den mit Krebszellen beschichteten «Or-
elektrischen Widerstands lässt sich die
rausgesagt werden. Andere Modelle, wie
ganen» des Chips auf ihre Wirksamkeit
Auswirkung eines Wirkstoffes beurteilen.
CADD (Computer-Assisted Drug Deve-
und Sicherheit geprüft werden. Tests, die
Künftig sollen auf diese Art Medikamente
lopment) werden von der Pharmaindus-
am Tier leidvolle Monate dauern, lassen
für spezifische Tumore schnell, zuverläs-
trie eingesetzt, um potentiell unwirksame
sich mit Hilfe der Chips innerhalb von ein
sig und kostengünstig gefunden und da-
oder toxische Stoffe schon auf einer frü-
bis zwei Tagen durchführen.15 Das System
mit eine gezieltere Patientenbehandlung
hen Stufe der Arzneimittelentwicklung
ist inzwischen patentiert und wird von der
ermöglicht werden.17
auszusondern.
amerikanischen Firma Hurel vertrieben.
Ein neu entwickelter Chip kombiniert
In den USA wurde von Forschern des
Computer- und In-vitro-Methoden mitei-
Rensselaer Polytechnic Instituts der Uni-
nander. In einem an der amerikanischen
versität Berkeley in Kalifornien ein Bio-
Cornell University erfundenen System aus
chip entwickelt, der aus einer Kombina-
winzigen Gängen und Kammern auf ei-
tion von Algen und menschlichen Zellen
nem Mikrochip werden menschliche Zel-
oder Leberenzymen besteht. Die Testsubs-
len von Magen, Darm, Leber, Blut, Niere
tanz wird in das System gegeben und an-
usw. angesiedelt. Ein Wirkstoff zirkuliert
hand der Färbung ist erkennbar, ob eine
in einer Nährflüssigkeit durch den künst-
Chemikalie schädlich ist oder ein Medika-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
7
In-vitro-Methoden Viele der heute existierenden Zellkultur-
falschen. Tierversuchsfreie Methoden mit
Methoden können zwar nicht vorhersa-
menschlichen Zellen und Geweben, kom-
gen, wie ein kompletter Organismus, ein
biniert mit speziellen Computerprogram-
ganzer Mensch, reagieren wird. Aller-
men, liefern, im Gegensatz zum Tierver-
dings können Tierversuche dies genauso
such, oft genauere und aussagekräftigere
wenig. Bei Tieren handelt es sich zwar um
Ergebnisse.
einen ganzen Organismus, aber um den
In vitro (lat.: «im Reagenzglas»): Test-Systeme mit schmerzfreier Materie in Form von Zellen, Geweben, Organpräparaten, Mikroorganismen usw.
In vivo (lat.: «im Lebenden»): Versuche, die im lebenden Organismus stattfinden.
An dreidimensionalen menschlichen Hautzellkulturen kann die Ätzwirkung von chemischen Stoffen getestet werden.
Übersicht über die Möglichkeiten Die In-vitro-Forschung bietet eine grosse Palette an Möglichkeiten. Im Folgenden werden verschiedene Methoden vorgestellt, die heute in der Forschung angewandt werden. Nicht alle kommen ganz ohne Tierleid aus, helfen aber immerhin die Zahl der leidenden Tiere zu reduzieren. Ethisch vertretbar und wissenschaftlich am besten geeignet sind Verfahren, die mit menschlichem Material arbeiten.
Zellkulturen
häufig bei Tumoren der Fall. Mittlerweile
Gewebeschnitte
gibt es viele Tausende von verschiedenen
Organe können in dünne Scheiben ge-
Zelllinien.
schnitten werden. Diese Gewebeschnitte
Dank modernster Techniken lassen
stammen oft von Tieren. Entweder wird
sich heute selbst komplexe Strukturen
ein Tier getötet, um das gewünschte Organ
des menschlichen Körpers im Reagenz-
zu entnehmen, oder es werden Schlacht-
glas «nachbauen». So ist es gelungen,
abfälle verwendet. Beispielsweise wird bei
die menschliche Haut mit ihren diver-
dem von der EU geförderten Projekt Sens-
sen Schichten verschiedener Zellen so-
it-iv die Schädlichkeit von Stoffen durch
wie dreidimensionale Herz-, Leber- und
Einatmen anhand von Lungenschnitten
Knorpelgewebe oder Blutgefässe nachzu-
von Nagern untersucht. Das Gewebe wird
bilden.
mit einer Substanz behandelt und im Mi-
An Herzmuskelzellen beispielsweise
kroskop beobachtet, welche Wechselwir-
Man unterscheidet primäre und perma-
lassen sich im Reagenzglas physiolo-
kungen zwischen den Zellen auftreten.
nente Zellkulturen. Primäre Zellen wer-
gische Vorgänge und die Wirkung von
Aber auch menschliches Gewebe, das bei
den direkt aus dem Organismus gewon-
Herzmedikamenten
Operationen ohnehin anfällt, kommt zum
nen. Hierfür werden die Tiere meist ge-
menschliche Augenhornhaut lässt sich
tötet. Menschliche Zellen, z.B. von Leber,
mit all ihren Schichten nachbauen. Es ist
Haut, Knorpel oder Knochenmark, stam-
möglich daran beispielsweise Augentrop-
men aus «Abfallmaterial» von klinisch
fen zu testen.
untersuchen.
Die
Einsatz.
Isolierte Organe/Schlachtmaterial
notwendigen Operationen, Organspen-
Ein System aus menschlichen Leber-
An isolierten Organen lässt sich beispiels-
den sowie Plazenten und Nabelschnüren,
zellen eignet sich zum Testen neuer Medi-
weise die Wirkung von Chemikalien oder
die bei Geburten anfallen. Primäre Zellen
kamentenwirkstoffe. In einer Vergleichs-
potentiellen Medikamenten testen. Hier-
sterben nach einer gewissen Zeit ab. Ihre
studie wurde ein Antikrebswirkstoff par-
für werden Tiere getötet, um das Organ
Kultivierung ist also nur zeitlich begrenzt
allel in einer klinischen Studie am Men-
zu entnehmen. Die Organe erhalten ihre
möglich.
schen, an Ratten und am menschlichen
natürliche Funktion ausserhalb des Organismus noch einige Zeit bei.
Zellen, die sich über einen langen
Leberzellsystem getestet. Die Ergebnisse
Zeitraum kultivieren lassen, bezeichnet
der Versuche am Menschen und an den
Schlachtmaterial kann für bestimmte
man als permanente Zellen. Sie kön-
Leberzellen stimmten überein. Der Tier-
Fragestellungen ebenfalls verwendet wer-
nen sich unaufhörlich teilen und sind
versuch brachte ein irreführendes Resul-
den. An Lungen von Schweinen anstelle
praktisch unbegrenzt lebensfähig. Dies ist
tat.18
von lebenden Tieren lassen sich die Funk-
8
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
In jedem der kleinen Gefässe einer sogenannten Mikrotiterplatte wachsen Zellen.
Warum tierische Zellen die falsche Wahl sind Aus wissenschaftlicher Sicht macht es wenig Sinn, an tierischen Zellen oder Or-
an der Chorion-Allantois-Membran) wird
der Geschlechtskerne lassen sich Rück-
die schädliche Wirkung von Substanzen
schlüsse auf den Grad der Giftigkeit einer
auf die Augen und Schleimhaut über-
Substanz ziehen.
prüft. Der Test wird an bebrüteten Eiern, vor dem 10. Bebrütungstag, durch-
Analytische Verfahren
geführt. Hierzu wird die Substanz auf die
Früher wurden zur Diagnose von Infekti-
von Blutgefässen durchzogene Membran
onskrankheiten und für die quantitative
gegeben. Auftretende Blutungen und Ver-
und qualitative Analyse von körperei-
nen. Wird beispielsweise eine Sonnen-
änderungen an den Blutgefässen werden
genen Substanzen, wie zum Beispiel In-
creme an Hautzellen getestet, die von
ausgewertet. Der HET-CAM-Test wurde
sulin oder anderen Hormonen, zahllose
Mäusen stammen, kann man nicht vorher-
als Ersatz für den Draize-Test entwickelt,
Tierversuche durchgeführt. In den Sech-
sehen, wie die menschliche Haut oder gar
bei dem Substanzen in die Augen von Ka-
ziger und Siebziger Jahren des 20. Jahr-
verschiedene Hauttypen reagieren wer-
ninchen geträufelt werden, um deren Wir-
hunderts entwickelte man Analyseverfah-
den. Viel zu gross sind die Unterschiede
kung auf die Schleimhäute zu prüfen. Er
ren, die sehr viel präziser waren und zu-
wird allerdings bislang nur teilweise als
dem – als Nebeneffekt – auf Tierversuche
Vorstufe zum Kaninchen-Test eingesetzt.
verzichteten.
Mikroorganismen und Pollen
matographie (HPLC) werden die unter-
An Bakterien, Pilzen oder den Pollen von
schiedlichen chemischen Eigenschaften
Pflanzen lassen sich zahlreiche Untersu-
von Substanzen analysiert. Das Verfah-
schmerzfreiem menschlichen Material ge-
chungen zur Giftigkeit oder möglichen
ren ersetzt bislang in Deutschland unter
wonnen werden oder durch Methoden wie
schädigenden Wirkung von Chemikalien
anderem einen qualvollen Test mit Mäu-
im Kapitel «Für eine ethisch vertretbare,
durchführen. In der Praxis bedient man
sen, bei dem Muscheln auf darin enthal-
am Menschen orientierte Medizin» (S.18)
sich dieser Verfahren in grossem Stil, da
tene Gifte getestet werden und soll ab Juli
beschrieben.
sie schnell und aussagekräftig sind. Bei-
2011 nun endlich nach mehr als 25 Va-
spielsweise wird der nach seinem Ent-
lidierungs-Jahren europaweit eingeführt
tionsweise des Organs sowie die Aus-
wickler benannte Ames-Test, der mit Sal-
werden.
wirkungen von Umweltverschmutzung,
monellen arbeitet, standardmässig in der
Mit Radioimmunoassays (RIA), En-
Rauch oder Nanopartikeln untersuchen.
Pharmaprüfung eingesetzt, um potenti-
zymimmunoassays (ELISA) und Immun-
Die Testung von Substanzen an Schlacht-
elle arzneiliche Wirkstoffe darauf hin zu
fluoreszenztests (IFT) können Mikroorga-
material wie der Hornhaut des Rinderau-
untersuchen, ob sie das Erbgut schädigen
nismen, z.B. krankmachende Bakterien,
ges oder des isolierten Hühnerauges er-
können. Verschiedene OECD-Prüfvor-
oder Hormone aufgespürt werden.
möglicht es, schädliche Substanzen auf-
schriften zur erbgutverändernden Wir-
zuspüren, die dann nicht mehr am Auge
kung beruhen auf Tests an Bakterien oder
lebender Kaninchen geprüft werden.
Hefen. Die Wirkung von giftigen Substan-
ganen zu forschen, da sie vom falschen Organismus stammen und somit gravierende Fehlergebnisse hervorbringen kön-
im Aufbau der einzelnen Hautschichten von Maus und Mensch und in der Empfindlichkeit der menschlichen Hauttypen. Menschbezogene, und damit aussagekräftige Daten, können nur durch Testung an
Bei der Hochdruckflüssigkeitschro-
zen auf Pollen äussert sich in einer Hem-
Hühnerei
mung der Entwicklung der männlichen
Mit dem HET-CAM-Test (Hühnerei-Test
Geschlechtskerne. Anhand der Länge
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Der Schweizer Tierschutz STS setzt sich für eine Wissenschaft und Forschung ein, die weitestgehend ohne die Verwendung von Tieren auskommt.
9
Validierung und die Probleme Die «Methode Tierversuch» gilt seit
den Prozess der Validierung durchlaufen,
mehr als hundert Jahren als «Goldstan-
indem sie auf ihre wissenschaftliche Aus-
dard» in der Wissenschaft und hat so
sagefähigkeit und die Zuverlässigkeit der
Eingang in unzählige Gesetze gefunden,
Ergebnisse hin überprüft wird. Ein wich-
vorgeblich, um Mensch und Umwelt vor
tiger Schritt hierbei ist die Durchführung
schädigenden Einflüssen zu schützen.
einer Ringstudie. Dafür wird die neue Me-
Beispiele hierfür sind in der Schweiz das
thode mit bekannten Substanzen in ver-
Chemikaliengesetz, das Umwelt- und Ge-
schiedenen Labors nach einem einheitli-
wässerschutzgesetz, das Landwirtschafts-
chen Versuchsaufbau getestet und unab-
gesetz und das Heilmittelgesetz, sowie
hängig voneinander bewertet. Wurde eine
die dazugehörenden Verordnungen (Che-
Methode erfolgreich validiert, wird dar-
mikalien-, Biozidprodukte-, Chemikalien-
auf hingearbeitet, dass sie behördlich an-
Risikoreduktions-,
Pflanzenschutzmit-
erkannt und in gesetzlichen Vorschriften
tel- und Arzneimittelverordnung). Auch
verankert wird. Um zu verhindern, dass
auf EU- und internationaler Ebene gibt
Tierversuche aufgrund von Vorschriften
es Vorschriften, die zum Beispiel dann
ausserhalb Europas durchgeführt werden,
gelten, wenn ein Produkt ausserhalb der
ist es von grosser Bedeutung, dass tier-
Schweiz vermarktet werden soll.
versuchsfreie Methoden nicht nur euro-
ZEBET: Die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) ist im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin angesiedelt und wurde 1989 gegründet. Sie ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die die Aufgabe hat, insbesondere im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch zu dokumentieren, zu bewerten und ihre Anerkennung national und international zu empfehlen und auch durchzusetzen. ECVAM: Das Europäische Zentrum für die Validierung von Alternativmethoden (European Centre for the Validation of Alternative Methods) entwickelt tierversuchsfreie Verfahren oder solche, die zumindest die Tierzahl reduzieren und das Tierleid vermindern. ECVAM validiert Testmethoden und setzt sich für deren behördliche Anerkennung ein. In einer Datenbank werden die neuen Methoden dokumentiert.
Für die Sicherheitsprüfung von Che-
paweit, sondern international anerkannt
mikalien beispielsweise gibt es schweiz-
und die Testvorschriften harmonisiert
und europaweit sowie international ver-
werden. Eine zentrale Rolle in diesen Pro-
OECD: Die Organisation für wirtschaft-
bindliche Testvorschriften, die zahlreiche
zessen spielen das Europäische Zentrum
Versuche an Tieren beinhalten. In Eu-
für die Validierung von Alternativmetho-
ropa ist es das Chemikalientestprogramm
den (ECVAM) und die Zentralstelle zur Er-
REACH19,
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development) ist eine zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Paris, die rund 30 Industriestaaten umfasst. In der OECD tauschen sich die Regierungen aus, und erörtern und erarbeiten international verbindliche Standards. Es werden unter anderem rechtsverbindliche Verträge und Richtlinien beschlossen, wie beispielsweise die OECD-Richtlinien zur Testung von Chemikalien, die in weiten Teilen auf Tierversuchen basieren. Die OECD-Anerkennung von tierversuchsfreien Verfahren für die Chemikalientestung auf internationaler Ebene ist daher von grosser Bedeutung, damit bei Vermarktung einer Substanz über die Landes- oder EU-Grenzen hinaus einheitliche Standards für Testmethoden gelten, die im Optimalfall keine Tierversuche beinhalten.
auf internationaler Ebene gibt
fassung und Bewertung von Ersatz- und
es entsprechende OECD Testvorschrif-
Ergänzungsmethoden zum Tierversuch
ten.20 Ein Grossteil der in diesen Prüfvor-
(ZEBET).
schriften vorgegebenen Tests stellt Versu-
Die für die gesetzlichen Sicherheits-
che an Tieren dar, insbesondere Toxikolo-
prüfungen vorgeschriebenen Tierversu-
gische Testreihen, die mit den schwersten
che sind allerdings nur für einen klei-
Belastungen der Tiere einhergehen.
nen Teil der Tierversuche insgesamt ver-
Einige der in den EU- und OECD-
antwortlich. In den letzten Jahren lag
Prüfvorschriften verankerten Tierversu-
ihr Anteil in der Schweiz bei 20% aller
che stammen aus den 1930er-/40er-Jah-
Tierversuche. Viel gravierender sind die
ren und wurden bis heute nicht daraufhin
Bereiche der Arzneimittelforschung so-
überprüft, ob sie sich überhaupt eignen,
wie der Grundlagenforschung, die eine
Gesundheitsrisiken für den Menschen si-
grosse Bandbreite an Forschungsaktivi-
cher bewerten zu können.
täten umfasst. Hierunter fallen Untersu-
Da eine wirkliche Sicherheit für den
chungen, die dem reinen Interesse des Ex-
Verbraucher nur mit durchdachten, tier-
perimentators dienen und wofür Tierver-
versuchsfreien, auf den Menschen bezo-
suche nahezu nach Belieben durchgeführt
genen Tests erreicht werden kann, muss
werden können. Beispiele hierzu finden
REACH ist die Chemikalien-Verordnung
wissenschaftlich fundierten und ethisch
sich im Kapitel «Tierversuche, die nicht
vertretbaren Methoden der Weg frei ge-
ersetzt zu werden brauchen» (S. 21). Seit
macht werden. Hierbei müssen allerdings
einigen Jahren sind auch Tierversuche in
grosse Hürden überwunden werden.
der Gentechnik in Mode gekommen, was
der EU und steht für Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien. Das 2007 in Kraft getretene Regelwerk schreibt vor, dass bis 2018 mehrere tausend Chemikalien auf ihre Giftigkeit geprüft werden sollen. Experten gehen davon aus, dass REACH 54 Millionen Tierleben verbrauchen wird.
Denn bevor eine tierversuchsfreie Methode behördlich anerkannt wird und in Gesetze Eingang finden kann, muss sie
10
zu einem immensen Anstieg der Tierversuchszahlen führt.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Kritikpunkte Die OECD gibt vor, dass ihre Testvor-
als tierversuchsfreien Verfahren. Und das,
die von 19 bekanntermassen beim Men-
schriften nur validierte Methoden ent-
obwohl wissenschaftlich belegt ist, dass
schen krebserregenden Stoffen wie Di-
halten sollen, d.h. solche, die wissen-
Tierversuche oft unzuverlässig sind, um
chlorvos und Lindan nur sieben auch bei
schaftlich zuverlässige und wiederhol-
Rückschlüsse auf Risiken von Chemika-
Nagern Krebs hervor. Die Fehlerquote lag
bare Ergebnisse liefern. Dies gilt theore-
lien für den Menschen zuzulassen. Schon
also bei 63%.24 Umgekehrt wurde Sac-
tisch nicht nur für tierversuchsfreie Me-
ab 1962 kamen Zweifel an der Zuverläs-
charin zwei Jahrzehnte lang fälschlicher-
thoden (in vitro), sondern auch für Tier-
sigkeit des Tests am Kaninchenauge auf.21
weise als krebsauslösend eingestuft, weil
versuche (in vivo). Jedoch werden diese
In einer Ringstudie aus dem Jahr
197122
männliche Ratten davon Blasenkrebs be-
Vorgaben in der Praxis nicht eingehalten.
wurde gezeigt, dass der Draize-Test in sei-
kamen. Umfangreiche Bevölkerungsstu-
Nach wie vor wird für Tierversuche und
nen Ergebnissen unvertretbare Schwan-
dien hatten dem Süssstoff keinerlei Krebs-
«Alternativ»methoden mit zweierlei Mass
kungen aufweist, somit in seiner Aus-
risiko bescheinigt. Trotzdem verlangte die
gemessen. Während «Alternativ»methoden
sagekraft unzuverlässig und als wissen-
amerikanische Gesundheitsbehörde FDA,
von der Entwicklung bis zur Anwendung
schaftliche Methode nicht gerechtfertigt
dass Saccharinverpackungen mit einem
aufwändige, langwierige und kostspielige
ist (siehe Kasten).
Warnhinweis versehen werden mussten.
Validierungsstudien und Ringversuche
In einer anderen Studie wurden die
Erst im Jahr 2000 wurde der Fehler einge-
durchlaufen müssen, um ihren wissen-
krebserregenden Eigenschaften von Stof-
standen. Ratten haben eine andere Urin-
schaftlichen Wert unter Beweis zu stel-
fen bei Ratten und Mäusen verglichen.
Zusammensetzung als Menschen.
len, wurden Tierversuche nie einer sol-
46% der getesteten Substanzen waren
Obwohl der Tierversuch erwiesener-
chen Prozedur unterzogen.
karzinogen bei Ratten, aber nicht bei
massen eine mangelhafte und unzuver-
Da Tierversuche schon lange ange-
Mäusen oder umgekehrt.23 Wenn schon
lässige Methode ist, werden tierversuchs-
wendet werden, begründet man deren Re-
die Ergebnisse bei Ratten und Mäusen
freie Methoden daran gemessen und man
levanz und Verlässlichkeit mit der Erfah-
nicht übereinstimmen, verwundert es
erwartet, dass sie die gleichen Ergebnisse
rung, die man mit ihnen gesammelt hat.
nicht, dass anhand von Tierversuchser-
hervorbringen. Paradoxerweise räumt
So wird die Methode Tierversuch noch
gebnissen keine verlässliche Aussage für
man ihnen nur dann eine wissenschaft-
immer als «Goldstandard» betrachtet, der
den Menschen getroffen werden kann. So
liche Relevanz ein.
mehr Vertrauen entgegengebracht wird
riefen in einer 1983 durchgeführten Stu-
Beispiel für die Unzuverlässigkeit von Tierversuchen: Der Draize-Test am Kaninchenauge
recht und erlaubt keine zuverlässige Aus-
(Hornhautdicke Mensch 0,51mm, Kanin-
sage über die Gefahr für den Menschen.
chen 0,37mm).
In einer
Ringstudie22
Ursache hierfür ist der grundsätzlich unterschiedliche Bau des Auges von Mensch
wurde schon in
und Kaninchen. Das Kaninchen hat ein
den 1970er-Jahren nachgewiesen, dass
drittes Augenlid (Nickhaut), das den Kon-
der Test am Auge von Kaninchen voll-
takt zwischen Hornhaut und Testsubstanz
kommen ungeeignet ist, um zuverlässige
verändern kann. Der Tränenmechanismus
Rückschlüsse über die schädliche Wir-
des Kaninchens ist weniger ausgeprägt als
kung von chemischen Stoffen zu treffen.
beim Mensch, was zu Unterschieden in
Zwölf Substanzen wurden in ver-
der Dauer der Einwirkung einer Substanz
schiedenen Labors im Draize-Test auf ihre
führt. So kann beim Kaninchen der Lid-
Haut- und Schleimhautverträglichkeit hin
schlagreflex 20 Minuten lang ausbleiben,
geprüft. Die Ergebnisse waren vollkom-
was zu einer längeren Verweildauer der
men unterschiedlich. Manche Testsub-
Substanz im Auge führt.
stanzen wurden von einigen Labors als
Die ph-Werte des Kammerwassers sind
«stark reizend» eingestuft, von anderen
unterschiedlich (Mensch ph 7,1–7,3; Ka-
als «nicht reizend». Die Methode wird so-
ninchen ph 8,2), ebenso Dicke, Gewebe-
mit den grundlegenden Anforderungen an
struktur und biochemische Eigenschaften
eine wissenschaftliche Methode nicht ge-
der Hornhaut von Kaninchen und Mensch
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Beim Draize-Test werden Chemikalien in die Augen von Kaninchen gerieben. Der Test ist nicht nur äusserst grausam, sondern auch sehr unzuverlässig.
11
Kein blosser Ersatz Der Ausdruck «Alternative» impliziert,
zum Ersatz des Tierversuchs akzeptabel.
dass ein Tierversuch durch etwas ande-
Siehe dazu das Kapitel «Reduzierung, Er-
res ersetzt wird. Tatsächlich sind tierver-
satz oder Abschaffung?» (S.22).
thode nicht zur Anwendung kommt. In den Testvorschriften der OECD sind eine Reihe In-vitro-Tests als echte «Alter-
suchsfreie Methoden aber nicht ein blos-
Ein Problemfeld stellt auch das par-
native» zum jeweiligen In-vivo-Test auf-
ser Ersatz, sondern sie stellen einen Fort-
allele Vorhandensein von Tierversuchen
geführt, beispielsweise Tests zur Hautab-
schritt gegenüber Tierversuchen dar. In
und der entsprechenden sogenannten
sorption, Hautkorrosivität und zur Un-
Wissenschaftskreisen wird der Begriff «Al-
«Alternativ»methode in Prüfvorschriften
tersuchung von Chromosomenschäden.
ternative» auch häufig für Methoden ver-
dar. Eine blosse Ergänzung der Prüfricht-
Da aber beide Methoden nebeneinander
wendet, die Tierversuche nicht ersetzen,
linien um eine «Alternativ»methode pa-
existieren, wird dem Anwender die Wahl
sondern nur reduzieren oder verfeinern.
rallel zum Tierversuch birgt die Gefahr,
gelassen, welchen Test er bevorzugt, was
Solche Methoden sind für den Schwei-
dass die Testanwender am «altbewährten»
die Anwendung der In-vitro-Methode be-
zer Tierschutz STS als Überbrückung bis
Tierversuch haften und so die neue Me-
hindert.
Was gibt es schon? Erfolgsstorys der tierversuchsfreien Forschung In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass sich sehr wohl und gerade ohne Tiere medizinischer Fortschritt erlangen lässt. Immer mehr Forscher erkennen das und widmen sich innovativen tierversuchsfreien Methoden.
körperchen von Mäusen mit Krebszel-
monoklonalen Antikörper erfolgt in Kul-
len zu Hybridomen vereint. Injiziert man
turflaschen oder grossen, bis Hunderte Li-
Mäusen die Hybridome, vermehren sich
ter fassenden Tanks. Es gibt aber bereits
diese tumorartig in der Bauchhöhle der
Ansätze monoklonale Antikörper ganz
Tiere. Nach einigen Tagen wird die Flüs-
ohne die Verwendung von Tieren herzu-
sigkeit, die sich im Bauch der Mäuse gebil-
stellen. Statt Mäuse oder Kaninchen pro-
Monoklonale Antikörper sind Proteine,
det hat, abgezapft, um die monoklonalen
duzieren bei der «Phage Display Library»
die an bestimmte Antigene, also Fremd-
Antikörper zu gewinnen. Für die Mäuse
genannten Methode Bakterien die ge-
stoffe im Körper, binden und das Immun-
ist die Prozedur mit ungeheuren Schmer-
wünschten Antikörper. So wurde an der
system zur Abwehr auffordern. Sie spielen
zen verbunden. Sie sterben schliesslich
Genfer Universität unlängst eine Methode
in der Diagnostik und Krebstherapie eine
oder werden getötet. Dank hochwerti-
entwickelt, bei der mögliche Antikörper
grosse Rolle. Die Produktion der monoklo-
ger In-vitro-Systeme, die in den 1980er-
mit Bakterien geklont werden. In einem
nalen Antikörper erfolgt üblicherweise in
und 1990er-Jahren entwickelt wurden, ist
Reagenzglas wird durch «phage display»
der sogenannten Aszites-Maus oder aber
heute die Produktion in der Aszites-Maus
der richtige Antikörper aus der Mischung
auch im Kaninchen. Beim Verfahren mit
in der Schweiz, in Deutschland sowie in
isoliert und kann anschliessend in unbe-
der Maus werden zunächst weisse Blut-
den Niederlanden, bis auf wenige Ausnah-
grenzten Mengen hergestellt werden. Mit
men, verboten. Bei einer Reihe von Kul-
diesem Verfahren kann in der Schweiz zu-
turverfahren wie der «Tecnomouse» oder
künftig ein Teil des jährlichen Kaninchen-
«Glasmaus» wird der erste Schritt, d.h. die
verbrauchs von 6000 Tieren im Tierver-
Gewinnung der weissen Blutzellen in der
such eingespart werden.
Maus, beibehalten. Die mit so viel Leid
Bei allen Infusionslösungen, Impfstof-
verbundene tumorartige Produktion der
fen und anderen Substanzen, die in den menschlichen Körper gespritzt werden, muss untersucht werden, ob sie Stoffe ent-
Statt in Kästen fixierten Kaninchen Infusionslösungen zu injizieren (Pyrogentest) kann ein Test mit menschlichem Blut verwendet werden, um Fieber auslösende Stoffe aufzuspüren.
12
halten, die Fieber auslösen können. Bislang wird Kaninchen die Substanz verabreicht. Über mehrere Stunden wird verfolgt, ob sich die Temperatur erhöht. Die Kaninchen werden während des Versuchs
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
so fixiert, dass sie sich nicht bewegen kön-
che Krankheit nicht hatte, blieben die Ver-
nen. Die Ergebnisse sind unzuverlässig, da
suchstiere symptomlos. Heute gibt es zahl-
die Temperatur der Tiere durch nicht er-
reiche In-vitro-Methoden, dennoch wer-
fasste Faktoren beeinflusst werden kann
den für die Diagnostik immer noch Tiere
und bei Wiederholungen starke Schwan-
verwendet. Es gibt – bis auf wenige Aus-
kungen zeigt.
nahmen – keine nationalen oder interna-
Pyrogene, also Fieber auslösende Stoffe, lassen sich viel besser in mensch-
tionalen Richtlinien, welche die Untersuchungsmethoden vorschreiben.
lichem Blut anhand der Reaktion von
Noch vor wenigen Jahrzehnten wur-
Immunzellen nachweisen. Die zu tes-
den umfangreiche Tierversuche durchge-
tende Substanz wird zu Zellkulturen aus
führt, um herauszufinden, ob ein Mensch
menschlichem Blut hinzugefügt. Die weis-
zuckerkrank ist. Ebenso wurden früher
sen Blutkörperchen schütten den Boten-
für die Erkennung von Vitaminmangel
stoff Interleukin-1ß aus, wenn sie mit fie-
erkrankungen langwierige Tierversuche
berauslösenden Bakterienbestandteilen in
durchgeführt. Die Tests waren zeitrau-
Berührung kommen. Die Menge des Inter-
bend, unzuverlässig und mit einer hohen
leukin-1ß wird vollautomatisch mit Hilfe
Fehlerquote belastet. Heute gibt es mo-
von Farbreaktionen gemessen. Man er-
derne analytische Methoden, mit deren
hält sehr genaue und wiederholbare Er-
Hilfe menschliche Erkrankungen schnell
gebnisse, die für den Menschen direkt
und sicher diagnostiziert werden können.
Beispiele aus dem Bereich der Diagnostik Papageienkrankheit: Für den Nachweis des Erregers der Psittakose (Papageienkrankheit) war der Mäuseversuch gesetzlich vorgeschrieben. Die Kot- oder Organprobe wurde Mäusen in den Bauchraum gespritzt. Nach einer Woche wurden sie getötet, um Teile von Leber und Milz in weitere Mäuse zu injizieren. Auch diese Tiere wurden getötet, um die typischen Veränderungen von Leber und Milz im Mikroskop zu beobachten. Heute stehen mehrere tierversuchsfreie Nachweisverfahren, wie Zellkulturen oder analytische Methoden, zur Verfügung. Tuberkulose: Seit über hundert Jahren wurden Meerschweinchen für die Tuberkulosediagnostik eingesetzt. Ihnen wurde das Untersuchungsmaterial, z.B. Speichel, in die Flanke injiziert. Nach 6–8 Wochen wurden die Tiere getötet und auf spezifische Organveränderungen untersucht. Moderne Kultivierungstechniken auf speziellen Nährböden ermöglichen heute die Anzüchtung der Tuberkuloseerreger. In den angelsächsischen Ländern ist dieser Tierversuch verboten.
aussagekräftig sind. Dieser Vollblut-Py-
Im Jahr 1930 entdeckte man, dass
rogentest wurde schon Anfang 1990 an
Hormone im Urin schwangerer Frauen
der Universität Konstanz entwickelt. Trotz
nach Injektion bei afrikanischen Krallen-
hervorragender Ergebnisse bei verschiede-
fröschen binnen weniger Stunden eine Ei-
nen Validierungsstudien, wird er bislang
ablage auslösen. Der Bedarf von Krallen-
nur zögerlich eingesetzt. Der Test wird ab
fröschen für die Schwangerschaftsfeststel-
2010 in das Europäische Arzneibuch auf-
lung war enorm und brachte die Tierart
genommen werden. Er gilt dann in Eu-
an den Rand der Ausrottung. Später wur-
ropa als behördlich zugelassener In-vitro-
den die Frösche in den Labors gezüchtet,
Pyrogen-Test (IVPT) und muss an Stelle
um die grosse Nachfrage zu befriedigen.
sind verschiedene tierversuchsfreie Tests
des bislang an Kaninchen durchgeführten
Heute ist die Bestimmung von Schwanger-
mit Bakterien oder Algen, die alle emp-
Tierversuchs angewendet werden.
schaftshormonen ohne Tierversuche kein
findlicher reagieren als der Fischtest, in
Problem mehr.
den Verordnungen verankert und hätten
Im Bereich der Diagnostik sind in den letzten Jahrzehnten sehr viele Tierver-
Jahrzehntelang wurde der sogenannte
damit anstelle des Fischtests eingesetzt
suche ersetzt worden. Um eine entspre-
Fischtest zur Bestimmung der Giftigkeit
werden können. Auf Druck der Tierschutz-
chende Therapie einleiten zu können, ist
von industriellem Abwasser und zur Er-
bewegung und nach jahrelangem Tauzie-
es wichtig herauszufinden, ob ein Patient
mittlung der Gebühren für das Einleiten
hen wurde 2005 der Tierversuch endlich
(Mensch oder Tier) an einer bestimmten
von Industrieabwässern in Flüsse durch-
durch einen Test mit Fischeiern ersetzt.
bakteriellen, viralen oder parasitären Er-
geführt. Der Test war gesetzlich vorge-
Warum der Fischtest trotz Vorhandensein
krankung leidet. Zur Abklärung eines In-
schrieben. Etwa 30 000 bis 50 000 Süss-
verschiedener Ersatzverfahren nicht schon
fektionsverdachts werden Proben des Pa-
wasserfische, mussten dafür Jahr für Jahr
1997 gestrichen wurde und noch ein wei-
tienten, z.B. Speichel, Blut, Harn, Gewebe
qualvoll ihr Leben lassen. Dabei wurde er-
terer «Alternativ»test entwickelt wurde, ist
usw. entnommen und an ein Labor ge-
mittelt, bei welcher Verdünnung des
nicht verständlich. Obwohl die gesetzliche
schickt, wo entsprechende Untersuchun-
Abwassers nach 48 Stunden nicht
gen vorgenommen werden. In früheren
mehr alle Versuchsfische an
Zeiten bedeutete dies fast immer Tierver-
Vergiftung sterben.
Teil immer noch
suche. Nach Injektion des Untersuchungs-
Bereits seit 1997
durchgeführt.
Lage jetzt klar ist, wird der Fischtest zum
materials in ein Versuchstier zeigten sich im positiven Fall, oft unter entsetzlichen Leiden des Tieres, typische Symptome oder Veränderungen der Organe. Im negativen Fall, d.h. wenn der Patient die fragli-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Die Verwendung afrikanischer Krallenfrösche für Schwangerschaftstests gehört dank biochemischer Verfahren der Vergangenheit an.
13
Mit automatisierten Zelltests kann die Giftigkeit von Substanzen schnell und zuverlässig überprüft werden.
Die Zukunft gehört tierversuchsfreien Methoden Zahlreiche Beispiele deuten darauf hin,
nen Rollentausch vollziehen und von
zeigt haben, liefern Tierversuche im Ge-
dass der Tierversuch nicht nur ethisch
Tierversuchen verlangen, dass sie sich
gensatz zur entsprechenden tierversuchs-
problematisch, sondern wissenschaftlich
an der tierversuchsfreien Methode mes-
freien Methode keine wiederholbaren Er-
eine Sackgasse ist. Tierversuchsfreie Ver-
sen müssen, würde kein Tierversuch es
gebnisse und erfüllen somit nicht die Kri-
fahren bieten demgegenüber eine Reihe
in gesetzliche Bestimmungen schaffen.
terien für eine Anerkennung seitens der
unschlagbarer Vorteile. Würde man ei-
Wie Vergleichsstudien immer wieder ge-
Behörden. Nichtsdestotrotz werden Tierexperimente noch immer als Standard gesetzt. So beispielsweise im Falle des Tests auf Giftigkeit durch Sonnenlichteinfluss (Phototoxizität). Da es hierfür keine anerkannte, einheitliche Methode gab, wurde ein Tierversuch konstruiert. Cremes, Lotionen und andere Körperpflegemittel werden auf die geschorene Rückenhaut von Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten oder Mäusen aufgetragen. Dann werden die Tiere in enge Röhren gesteckt, damit sie sich nicht mehr bewegen können, und mit UV-Licht bestrahlt. Anhand von vagen Beobachtungen der Hautveränderun-
Nach Zugabe einer Testsubstanz wird das Wachstum der Zellen unter dem Mikroskop beurteilt.
14
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
den Tierversuchen nur zu 40% mit den vom Menschen her bekannten Daten übereinstimmten.25 Bereits 1991 gab die OECD aufgrund der grossen Schwächen ihre Bemühungen auf, diesen Tierversuch zu harmonisieren. Schliesslich wurde für die Validierung des 3T3-Neutralrot-Tests
Welche Bedeutung haben In-vitro-Systeme im Vergleich zum Tierversuch? Wissenschaftlich gut ausgearbeitete In-vitro-Systeme haben gegenüber
auf Humandaten zum Vergleich zurück-
Tierversuchen eine Reihe von un-
griffen. Ein bislang einmaliger Vorgang
schlagbaren Vorteilen.
beim Procedere der Validierung. • Zuverlässigkeit: Studien mit Zell-
Kosten und Dauer Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA und das US-Nationalinstitut für Ge-
Die Zellen werden im Brutschrank kultiviert.
und Gewebekulturen bringen gut reproduzierbare und eindeutige Ergeb-
sundheit (NIH) kündigten 2008 an, lang-
nisse, weil ausschnitthaft ein ganz spe-
fristig Chemikalien und andere Stoffe mit
zieller Einfluss oder eine spezielle Ver-
automatisierten Systemen auf Zellbasis
änderung untersucht werden können,
testen zu
wollen.26
Tierversuche seien un-
während im Tierversuch üblicherweise
zuverlässig, dauerten lange und seien zu
der Gesamtvorgang, z.B. einer Vergif-
teuer. Was im Tierversuch mehrere Wo-
tung oder einer Schädigung, beurteilt
gen werden Rückschlüsse über die Gif-
chen oder Monate dauert, kann mit auto-
tigkeit gemacht. Diese ungeeignete Me-
matisierten Zelltests innerhalb von Stun-
thode musste ihre Aussagekraft nie un-
den erledigt werden. Roboter können pro
ter Beweis stellen, fand aber problemlos
Tag mehrere tausend Stoffe abprüfen. Mit
Verarbeitung (Metabolismus) einer
Eingang in die Prüfvorschriften. Und das,
Tierversuchen wäre das ein Ding der Un-
Substanz zwischen Tier und Mensch
obwohl eine nachweislich bessere tierver-
möglichkeit. Die beiden amerikanischen
sehr unterschiedlich sein kann.
suchsfreie Methode existiert. Beim 3T3-
Behörden sind sich sicher, dass in Zukunft
Neutralrot-Test wird die Substanz an Zell-
Giftigkeitsprüfungen nur ohne Tierversu-
kulturen getestet. Die Anzahl der Zellen,
che zu bewältigen sein werden.
die unter UV-Licht absterben, lässt Rückschlüsse auf die Giftigkeit zu. Diese Methode liefert sehr genaue und wiederholbare Ergebnisse. Bei der Validierung der Zellkulturmethode zeigte sich, dass die
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht üblicher Kosten einzelner toxikologischer Tierversuche im Vergleich zur entsprechenden In-vitro-Methode.27
wird. Dies gilt vor allem bei In-vitroStudien mit Humanmaterial, weil die
• Empfindlichkeit:
In-vitro-Systeme
reagieren zum Teil wesentlich empfindlicher auf toxische Einflüsse als das lebende Tier. • Kosten: Studien mit Zellkulturen sind,
Tierversuchsergebnisse so schlecht waren,
wenn sie einmal etabliert sind, deutlich
dass sie nicht als Vergleich herangezogen
billiger als Tierversuche.
werden konnten. Eine Arbeitsgruppe der OECD fand heraus, dass Ergebnisse aus
• Dauer: Studien mit In-vitro-Systemen bringen Ergebnisse im Verlauf von Stunden, während tierexperimen-
Kostenvergleich Tierversuche/In-vitro-Methoden
telle Studien Wochen, Monate oder gar
Giftigkeitstest (toxikologischer Tierversuch)
Übliche Kosten (in CHF) Tierversuch In-vitro-Test
Augenreizung
2100.–
1125.–
Hautkorrosivität (Hautätzung)
2100.–
175.– bis 975.–
sich z.B. bei toxikologischen Studien
Hautreizung unter Lichteinfluss (Phototoxizität)
11 800.–
1500.–
eine grosse Anzahl von Pharmaka oder
Schädigung des Erbguts (Mutation)
36 000.–
24 000.–
Chemikalien
Schädigung des Erbguts (Schwesterchromatidaustausch) 26 500.–
9600.–
Schädigung des Erbguts (ungeplante DNS-Synthese)
38 500.–
13 200.–
Pyrogentest (fieberauslösende Substanzen)
480.–
130.–
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Jahre dauern können. • Anzahl: Mit In-vitro-Systemen lässt
parallel
untersuchen,
während mit tierexperimentellen Systemen die Möglichkeiten zahlenmässig begrenzt sind.
15
Impfstoffe Einmal auf dem Markt, müssen Medika-
verwendet. So wurden Impfstoffe gegen
impft. Dann werden sie mit dem jeweiligen
mente nicht mehr weiter getestet werden.
Krankheiten wie Tollwut, Kinderlähmung,
Krankheitserreger infiziert, um festzustel-
Anders sieht es bei sogenannten immuno-
Staupe oder Schweinepest früher generell
len, ob der Impfstoff typische Krankheits-
logischen Arzneimitteln (IAM), wie Impf-
im Tier hergestellt. Heute ist die Produk-
symptome zu verhindern vermag. Allein
stoffen und Immunseren, aus. Aufgrund
tion von Impfstoffen grösstenteils auf Zell-
die Injektion des Krankheitserregers, die
von natürlichen Schwankungen beim Her-
kulturen umgestellt. Für einige Impfstoffe
häufig direkt in das Gehirn erfolgt, ist eine
stellungsprozess, muss jede einzelne Pro-
werden auch bebrütete Hühnereier einge-
Tortur. Die mangelhaft oder ungeimpften
duktionseinheit (Charge) erneut einer Prü-
setzt, so zum Beispiel bei der Herstellung
Tiere erleiden zudem einen qualvollen Tod.
fung unterzogen werden. Nationale und
verschiedener Schweinegrippeimpfstoffe
Der Test wird wegen seiner Ungenauigkeit
internationale Bestimmungen legen eine
im Jahr 2009.
selbst in Fachkreisen kritisiert.28
Reihe strenger Prüfkriterien für jede Charge
Die Wirksamkeitsprüfung bei der Char-
Dennoch gibt es auch in der Impfstoff-
fest. So sind Tierversuche für die Überprü-
genkontrolle von Impfstoffen wird aller-
prüfung positive Entwicklungen. So wur-
fung der Reinheit, Unschädlichkeit und
dings immer noch grösstenteils an Tieren
den beispielsweise ELISA-Tests, mit denen
Wirksamkeit der Produkte nachzuweisen,
vorgenommen. Diese Tests sind besonders
sich bestimmte Proteine nachweisen las-
bevor eine staatliche Kontrollbehörde die
schmerzhaft für die Tiere. Mäuse, Meer-
sen, zur Prüfung von Impfstoffen gegen
Abgabe an den Handel freigibt. Bei man-
schweinchen oder Hamster werden mit
Schweinerotlauf und Tetanus in das Euro-
chen IAM werden Tiere nicht nur zur Char-
dem Impfstoff einer Charge geimpft, ein
päische Arzneibuch aufgenommen.
genprüfung, sondern auch zur Herstellung
Teil der Tiere bleibt als Kontrolle unge-
Grundlagenforschung Unter «Grundlagenforschung» werden Ex-
Da Versuchstiere meist natürlicherweise
Schlaganfall-Forschung werden bei Rat-
perimente und Studien zusammengefasst,
nicht an den zu untersuchenden menschli-
ten oder Mäusen Blutgefässe im Gehirn
mit denen das allgemeine biologische und
chen Krankheiten leiden, bedient man sich
vorübergehend abgebunden. Als «Modell»
medizinische Wissen erweitert werden soll.
sogenannter «Tiermodelle». Der Begriff
für rheumatische Erkrankungen wird Tie-
Viele Tierversuche im Bereich der Grund-
«Tiermodell» bedeutet, dass ein Tier chir-
ren eine reizende Flüssigkeit in die Kniege-
lagenforschung sind vollkommen zweck-
urgisch, toxisch oder gentechnisch so ge-
lenke gespritzt, um dort eine Entzündung
frei und dienen allerhöchstens der Karriere
schädigt wird, dass es die Symptome der
hervorzurufen. Hunden wird eine Schlinge
einzelner Personen (siehe Kapitel «Tierver-
menschlichen Erkrankung zeigt. Um bei-
um eine Herzkranzarterie einoperiert, die
suche, die nicht ersetzt zu werden brau-
spielsweise epileptische Anfälle auszulö-
von aussen zugezogen werden kann, um
chen», S.21). Teilweise geht es aber auch
sen, werden Ratten oder Mäusen giftige
einen Herzinfarkt auszulösen. In der Krebs-
um die Erforschung menschlicher Erkran-
Substanzen injiziert oder sie werden mit
forschung bekommen Mäuse menschliche
kungen sowie möglicher Therapieansätze.
Elektroschocks traktiert. Im Bereich der
Krebszellen unter die Haut gespritzt. Häufig werden auch gentechnisch veränderte Tiere verwendet, die bedingt durch einen natürlichen oder absichtlich herbeigeführten Gendefekt an Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Fettleibigkeit oder Krebs leiden. Aber bei dieser Art von Forschung werden wesentliche Aspekte der menschlichen
Bei gesunden Hunden wird ein künstlicher Herzinfarkt durch Verschluss einer Herzkranzarterie ausgelöst. Die Ursachen des Herzinfarkts beim menschlichen Patienten werden dabei nicht berücksichtigt.
16
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Krankheit völlig ausser Acht gelassen. Die
der heutigen Krankheiten wichtig, statt im-
Krankheit des Menschen ist oft ein multi-
mer wieder neue, aber unbrauchbare «Tier-
faktorielles Phänomen, das bedeutet, sie ist
modelle» zu entwickeln (siehe Kapitel «Für
• An Kulturen von Krebszellen können
erst durch ein Zusammenspiel von vielfäl-
eine ethisch vertretbare, am Menschen ori-
Ausbreitung und Wachstum von Tumo-
tigen physischen und psychischen Fakto-
entierte Medizin», S.18).
ren studiert und neue krebs-hemmende
dingte Einflüsse, individuelle Veranlagung, Stress und unterschiedlichste soziale Bedingungen. Die menschliche Krankheit ist also mit dem künstlich hervorgerufenen Defekt am Versuchstier gar nicht zu vergleichen.
sucht werden.
Medikamente getestet werden.
ren über einen langen Zeitraum entstanden. Dazu gehören ernährungs- und umweltbe-
lepsien und der Schmerzforschung ge-
Viele wissenschaftliche Fragestellungen im Rahmen der Grundlagenforschung lassen sich zudem mit In-vitro-Methoden untersuchen. An dieser Stelle seien nur einige wenige Beispiele genannt:
• Zellkulturen der verschiedenen Zellarten menschlicher Arterien lassen sich in der Arterioskleroseforschung einsetzen. Die Arterien fallen bei Nieren und Lebertransplantationen an. So können Ursache und Behandlung von Gefässwander krankungen erforscht werden.
Entsprechend versagt die tierexperimentell ausgerichtete Forschung bei der Bekämp-
• Mit Nervenzellkulturen kann die Aus-
• Kultivierte Herzmuskelzellen behalten
fung der heutigen Zivilisationskrankheiten
schüttung von Überträgerstoffen der
auch im Reagenzglas ihre Fähigkeit bei,
wie Krebs, Herz- und Kreislauferkrankun-
Nervenzelle untersucht werden sowie
sich zusammenzuziehen. Mit ihrer Hilfe
gen, Diabetes, Rheuma etc.
deren pharmakologische Beeinflussung.
können physiologische Zusammenhänge
Demnach wäre die Erforschung und
So kann nach Arzneimitteln im Bereich
und die Wirkung herzwirksamer Medika-
Beeinflussung der tatsächlichen Ursachen
der Parkinson‘schen Krankheit, der Epi-
mente getestet werden.
Tierversuchsfreie Lehrmethoden für Studium und Ausbildung Studierende der Biologie, Human- und
rimente und sogar Sektionen virtuell am
auf natürliche Weise gestorbenen oder aus
Tiermedizin müssen an vielen Universi-
Bildschirm nachvollziehen. Die Physiolo-
medizinischer Indikation eingeschläferten
täten und Hochschulen Tierversuche oder
gie kann mit harmlosen Selbstversuchen
Tieren. Im nächsten Schritt erfolgt das As-
Versuche an getöteten Tieren durchfüh-
am eigenen Körper erfahren werden. Mit
sistieren bei einem erfahrenen Chirurgen,
ren. Im Praktikum zur Physiologie, der
myographischen Verfahren lassen sich
bis man schliesslich in der Lage ist, selbst
Lehre von den natürlichen Lebensvorgän-
beispielsweise, anstelle eines Froschmus-
Operationen – zunächst unter Aufsicht –
gen, steht der klassische Froschversuch
kels, Nerv- und Muskelströme am Dau-
am Patienten vorzunehmen. Nur so lässt
immer noch an erster Stelle. Seit seiner
men eines Studenten bestimmen. Opera
sich das chirurgische Handwerk erlernen,
Erfindung im Jahre 1791 haben Generati-
tionsmodelle aus Kunststoff eignen sich
nicht durch Übungen an Versuchstieren.
onen von Studierenden in aller Welt Mil-
zur Übung chirurgischer Fingerfertigkei-
lionen von Fröschen geköpft, um an ih-
ten. Auch für das Erlernen der Anatomie
ren Muskeln und Nerven die Gesetzmäs-
der Tiere ist es absolut nicht notwendig
sigkeiten der Physiologie zu untersuchen.
extra Tiere zu töten. Aus medizinischen
Auch Sektionen eigens zu diesem Zweck
Gründen eingeschläferte oder tot aufge-
getöteter Insekten, Regenwürmer, Schne-
fundene Tiere können zu diesem Zweck
cken, Fische, Ratten und anderer Tiere ste-
verwendet werden. Wenn solche Tiere
hen auf dem Studienprogramm. Auf der
plastiniert, d.h. in einen plastikartigen
anderen Seite stehen heute mehrere hun-
Zustand überführt werden, sind sie zu-
dert tierversuchsfreie Lehrmittel zur Ver-
dem unbegrenzt haltbar.
fügung. Zahlreiche Universitäten setzen
Operieren lernt ein angehender Arzt
bereits auf diese Innovationen, während
zunächst durch Übungen an menschli-
andere immer noch auf archaischen Me-
chen Leichen und ein Tierarzt an toten,
thoden beharren. Mit interaktiven Computerprogrammen lassen sich die klassischen Froschversuche sowie zahlreiche andere Expe-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Mit modernen Computersimulationen können Organfunktionen anschaulich dargestellt werden.
17
Mit tomographischen Verfahren können Organe und sogar Funktionen eines Menschen dreidimensional dargestellt werden.
Für eine ethisch vertretbare, am Menschen orientierte Medizin Klinische Forschung Ein Grossteil des heutigen medizinischen
wie die aus Fingerhutarten gewonnenen
Heute gibt es eine Reihe von medizi-
Wissens basiert auf klinischer Forschung,
Wirkstoffe Digoxin und Digitoxin bei der
nischen Geräten, die eine sichere, ethisch
der sorgfältigen Beobachtung von kran-
Behandlung von herzkranken Patienten.
vertretbare Forschung am Menschen er-
ken Menschen. Studien an Patienten mit
Die Verwendung von aus der Rinde des
möglichen. Blutanalysegeräte, Elektro-
Störungen des Immunsystems haben
Chinarindenbaumes gewonnenen Chini-
nenmikroskope,
wertvolle Schlüsselinformationen zum
din zur Regulierung von Herzrhythmus-
(EKG), Elektroenzephalographie (EEG),
Verständnis von körpereigenen Abwehr-
störungen gründete auf der Beobachtung,
Ultraschall, Endoskopie, DNA-Analysen
reaktionen geliefert. Die portugiesischen
dass das fast identische, zur Malariabe-
usw. – all diese Techniken erlauben detail-
Neurowissenschaftler Antonio und Hanna
handlung eingesetzte Medikament Chi-
lierte Untersuchungen menschlicher Pati-
Damasio beobachteten Patienten mit Hirn-
nin, Herzflimmern bei einem Patienten
enten. Mit modernen computergestützten,
schädigungen und brachten Veränderun-
reduzierte.
bildgebenden Verfahren, wie der Mag
Elektrokardiographie
gen ihrer Verhaltensweisen mit den be-
Auch viele andere Schlüsselent
netresonanz-Tomographie und Positro-
schädigten Teilen des Gehirns in Zusam-
deckungen der Medizin gehen nicht auf
nenemissions-Tomographie, können Or-
menhang.29
Insbesondere beim Schlagan-
Tierversuche zurück. Das Stethoskop
gane und sogar Funktionen eines leben-
fall gelangten sie zu wichtigen Erkennt-
wurde 1819 von dem französischen Me-
den Körpers dreidimensional dargestellt
nissen. Das Ärzteehepaar gehört heute zu
diziner René Laënnec erfunden, indem er
werden. Selbst die Verarbeitung von Ner-
den weltweit angesehensten Neurologen.
Papier zusammenrollte, um den Brust-
venreizen im Gehirn kann schmerzlos an
Dem gegenüber stehen zum Beispiel 25
korb von herz- und lungenkranken Pa-
Freiwilligen untersucht werden. Diese Art
Stoffe aus der Tierversuchsforschung, die
tienten abzuhören. Der spanische Opern-
der Forschung liefert relevante Daten, die
bei künstlich an Tieren herbeigeführten
sänger Manuel Patricio Rodríguez García
menschlichen Patienten, die z.B. an Alz-
Schlaganfällen den Schaden reduzieren,
studierte 1855 als erster die Anatomie des
heimer, Parkinson oder anderen neurolo-
sich jedoch allesamt beim Menschen als
menschlichen Kehlkopfes, indem er mit
gischen Erkrankungen leiden, tatsächlich
unwirksam erwiesen.30
einem Zahnarztspiegel die Bewegungs-
helfen können.
Die Entwicklung vieler segensreicher
abläufe seines eigenen Kehlkopfes beim
Medikamente beruht auf klinischer Be-
Singen beobachtete. Für seine Erfindung
obachtung. Auf diese Weise wurde die
der Laryngoskopie erhielt er die medizi-
Wirksamkeit des Schlafmittels Phenobar-
nische Ehrendoktorwürde der Universität
bital in der Epilepsietherapie entdeckt so-
Königsberg.31
18
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Microdosing Microdosing ist eine relativ neue Technik
Zeit, nach der noch die Hälfte einer Dosis
Blut- und Urinproben wird der Weg der
im Bereich der Arzneimittelforschung, bei
im Blut nachweisbar ist, beim Menschen
Substanz durch den Körper verfolgt. Erst
der Freiwillige eine extrem kleine Dosis
20–24 Stunden. Katzen brauchen doppelt
seit wenigen Jahren gibt es Messgeräte,
eines potentiellen Medikamentes verab-
so lange, um diesen Wirkstoff abzubauen,
die empfindlich genug sind, um die win-
reicht bekommen. Aufnahme, Verteilung,
so dass bei wiederholter Verabreichung
zigen Mengen im Körper nachzuweisen.
Verstoffwechslung und Ausscheidung des
die Gefahr der Vergiftung besteht. Aspi-
Wenn man einen Liter einer Testsubstanz
Stoffes werden mit hochempfindlichen
rin an Pferde zu verabreichen ist zweck-
in die gesamten Weltmeere kippen würde,
Methoden gemessen.
los, da es bei dieser Tierart innerhalb von
könnte sie mit der Accelerator-Massen-
Für dieses sogenannte pharmakoki-
einer Stunde abgebaut und ausgeschieden
spektrometrie (AMS) noch aufgespürt
netische Profil eines Arzneimittels sind
wird. Microdosing umgeht diese Proble-
werden.33 Der Nachweis wird durch radio-
In-vitro-Methoden nur bedingt geeignet.
matik und setzt direkt am Menschen an.
aktive Markierung mit
14C
möglich, wo-
Aber die normalerweise zu diesem Zweck
Eine Microdosis ist so klein, dass sie
bei die Radioaktivität so gering ist, dass
durchgeführten Tierversuche geben ge-
keinerlei pharmakologische Wirkung bei
sie der Versuchsperson nicht schadet. Bei
nauso wenig Aufschluss. Die einzelnen
der Versuchsperson hat. Sie wird defi-
Substanzen, die im Zentralnervensystem
Tierarten und der Mensch haben einen
niert als 1/100 der angenommenen the-
wirken sollen, kann deren Anreicherung
oftmals vollkommen unterschiedlichen
rapeutisch wirksamen Dosis oder maxi-
z.B. im Gehirn zudem mit der Positronen-
Stoffwechsel. Bei Aspirin beispielsweise
mal 100 Mikrogramm, je nachdem, wel-
Emissionstomographie (PET) sichtbar ge-
beträgt die Halbwertzeit, das heisst, die
ist.32
che Dosis kleiner
In regelmässigen
macht werden.
Epidemiologie Unter Epidemiologie versteht man Bevöl-
Health‘ im Jahr 1964 liess keinen Zwei-
Unser Wissen über die Übertragungs-
kerungsstudien, also Untersuchungen an
fel mehr offen: Zigarettenrauch verur-
wege des HIV und über die vor AIDS schüt-
Gruppen von Menschen. Auf diese Weise
sacht Lungenkrebs und chronische Bron-
zenden Massnahmen beruht ausschliess-
können die Zusammenhänge zwischen
chitis.34
lich auf epidemiologischen Studien.
bestimmten Krankheiten und dem Le-
krebser
Die wohl berühmteste und zugleich
bensstil sowie den Lebensumständen von
regende Eigenschaften von Asbest ver-
längste epidemiologische Studie ist die
Menschen, wie Ernährung, Gewohnheiten
leugnet, weil Ratten den Stoff wesentlich
Framingham-Studie, in deren Rahmen
und Arbeit, aufgedeckt werden. Die Epi-
besser tolerieren als der Mensch. In einer
demiologie entwickelte sich aus der Be-
Studie wurde festgestellt, dass Menschen
obachtung von Infektionskrankheiten. Im
gegenüber Asbest 300-mal empfindlicher
19. Jahrhundert konnten hygienische und
sind als Ratten. In einer anderen Unter-
soziale Missstände als Ursachen für die
suchung mussten Ratten eine 100-fach
Seuchenzüge der damaligen Zeit identi-
höhere Konzentration Asbest als Asbest
fiziert werden. Aufgrund der Ergebnisse
arbeiter einatmen, um Lungenkrebs zu
aus epidemiologischen Untersuchungen
bekommen und sogar eine 1000-fach hö-
konnten vorbeugende Massnahmen ab-
here, um Krebs des Bauch- und Brustfells
geleitet werden.
zu entwickeln. Hamster sind gegenüber
Jahrzehntelang
wurden
Auf diese Weise wurde beispielsweise
Asbest sogar noch unempfindlicher.35
die Beziehung zwischen Rauchen und
Die krebsauslösende Wirkung von Asbest
Krebs aufgedeckt. Noch in den 1950er-
wurde schliesslich durch Studien mit As-
Jahren bezweifelte man die schädlichen
bestarbeitern aufgedeckt.
Auswirkungen des Rauchens, nicht zuletzt aufgrund irreführender Tierversuchs-Ergebnisse. Die Auswertung von 7000 epidemiologischen Studien im ‚Surgeon General‘s Report on Smoking and
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Dass die Entstehung von Krankheiten massgeblich durch unsere Lebensweise beeinflusst wird, wurde durch Bevölkerungsstudien aufgedeckt.
19
seit 1948 die Bewohner der gleichnami-
Die in nunmehr über 60 Jahren gewon-
her Blutdruck, Fettleibigkeit, Bewegungs-
gen Stadt in Massachusetts, USA, bezüg-
nenen Daten brachten bahnbrechende Er-
mangel sowie psychosoziale Faktoren er-
lich ihrer Herz-Kreislauf-Gesundheit be-
kenntnisse bezüglich der Risikofaktoren,
höhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Er-
obachtet werden. Von den ursprünglich
der Entstehung, des Fortschreitens und der
krankungen.36
5209 Bürgern sind inzwischen die meisten
Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
verstorben, doch die Studie wird mit ihren
Schon in den 1960er-Jahren wurde klar,
Kindern und Kindeskindern fortgeführt.
Rauchen, hoher Cholesterin-Spiegel, ho-
Obduktionen Die Untersuchung Verstorbener gibt Auf-
verschiedener Erkrankungen bei, z.B. Dia
seit Jahren rückläufig ist.38 Gründe sind
schluss über die Entstehung von Krank-
betes, Hepatitis, Blinddarmentzündung,
finanzieller Art – für diese Art der For-
heiten und die durch Krankheiten be-
Typhus, chronische Darmentzündung
schung können kaum Gelder locker ge-
dingten Veränderungen der Organe. Die
(Colitis ulcerosa), angeborene Herzfehler
macht werden – sowie gesellschaftlicher
Leichenöffnung war für Wissenschaftler
und
Nebenschilddrüsenüberfunktion.37
Art. Obwohl die Untersuchung Toter das
zu allen Zeiten eine unschätzbare Quelle
Autopsien stellen eine wichtige Ergän-
Leben anderer Menschen retten könnte,
wertvoller Erkenntnisse. Die Pathologie,
zung zur klinischen Forschung dar.
stehen viele Angehörige der Leichen
die Lehre von der Entstehung der Krank-
Es ist eine dramatische Fehlentwick-
heiten, trug massgeblich zum Verständnis
lung, dass die Anzahl der Obduktionen
öffnung, insbesondere bei Kindern, ablehnend gegenüber.
Prävention Die Haupttodesursachen sind heute dank
Rauchen, zu viel Fleisch und Fett, Um-
Dass Dreiviertel aller Westeuropäer an
epidemiologischer Studien bekannt. Die
weltgifte, Alkohol und andere vermeid-
Krankheiten sterben, deren Ursachen be-
Hälfte aller Menschen der westlichen Welt
bare Ursachen. Die vermeidbaren Risiko-
kannt und zum grossen Teil vermeidbar
stirbt heutzutage an vermeidbaren Herz-
faktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankun-
sind, ist ein Armutszeugnis für die tier
Kreislauf-Erkrankungen, ein Viertel an
gen sind ebenfalls Rauchen, fettreiche Er-
experimentelle Forschung. Präventive
Krebs. Mehr als Dreiviertel aller Krebser-
nährung und Alkohol, ausserdem Stress,
Massnahmen könnten Millionen Men-
krankungen werden hervorgerufen durch
Übergewicht und Bewegungsmangel.
schenleben retten. Doch dafür werden kaum Gelder bereit gestellt. Stattdessen werden unsere Steuergelder verschwendet, um in Mäusegenen nach den «Ursachen» dieser Massenkrankheiten zu suchen.
Durch eine gesündere Lebensweise könnten zahlreiche Krankheitsfälle vermieden werden.
20
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Verzicht auf fragwürdige Tierversuche Wer glaubt, Tierversuche würden aus-
• Um die Folgen eines akuten Lärm-
jeder Trennung Todesängste aus (in
schliesslich durchgeführt, um neue The-
traumas auf das Innenohr von Meer-
freier Wildbahn wäre das der sichere
rapien für kranke Menschen zu entwi-
schweinchen zu untersuchen, wurden
Tod). Die Jungtiere litten noch Monate
ckeln, irrt gewaltig. Viele tierexperimen-
an der Uni Mainz die Ohren der Tiere
später unter erhöhtem Blutdruck, ver-
telle Projekte besonders im Bereich der
mit Gewehrschusslärm (156 +/- 4 dB)
ändertem Hormonhaushalt und schwe-
Grundlagenforschung haben nicht ein-
beschallt. Anschliessend wurden die
ren
mal vorgeblich einen Nutzen für die Me-
Meerschweinchen getötet.41
gen. Der Schweizerische Nationalfonds
psychischen
Verhaltensstörun-
(SNF) finanzierte die Studie mit mehr
dizin. Auf einen konkreten Erkenntnis-
• Am Institut für Vogelforschung in Wil-
gewinn wartet man meist vergebens. Da-
helmshaven wurden 22 an der Nord-
mit unterscheidet sich die Grundlagenfor-
see gefangene Silbermöwen sechs Tage
• In 11 Versuchsreihen mit jeweils zahl-
schung, die in der Schweiz mittlerweile
lang nicht gefüttert. Ziel war es, her-
reichen Affen, wird an der neurobio-
50% der Tierversuche ausmacht, deutlich
auszufinden, wie lange Möwen hun-
logischen Klinik in Zürich über ei-
von der angewandten Forschung. Viel-
gern können.42
nen Zeitraum von mehr als 10 Jah-
als 700 000 CHF.44
fach geht es auch ums Einstreichen von
• In Ulm beschäftigt sich eine Forscher-
ren schwerbelastende Schwindel-For-
Forschungsgeldern, um Forscherdrang
gruppe seit Jahren mit den Auswirkun-
schung betrieben. Dabei wird den Af-
und an erster Stelle um Publikationen. Je
gen der Schwerkraft auf die Entwick-
fen ein Zementsockel in den Schädel
länger die Liste der Veröffentlichungen,
lung und den Biorhythmus verschiede-
implantiert, durch den Sonden gezielt
desto leichter können Forschungsgelder
ner Tierarten. So wurde eine Vorrich-
ins Gehirn vorgeschoben werden kön-
kassiert werden. Die Forschung wird da-
tung gebaut, mit deren Hilfe an einem
nen um Hirnströme zu messen. Nach
bei zum Selbstzweck. Die Leidtragenden
lebenden Skorpion mehrere Monate
chirurgischer Schädigung des Gleich-
sind die Tiere, aber auch wir Steuerzah-
lang Messungen durchgeführt wer-
gewichtsorgans im Innenohr der Affen
ler, die wir diese fragwürdige Forschung
den können. Das Tier wird dabei unbe-
werden diese besonders schwindelan-
mit schwerbelastenden Tierversuchen fi-
weglich auf einer Platte fixiert. In Au-
fällig. Die Affen werden in einer Dun-
nanzieren. Nachdem das Bundesgericht
gen, Beinmuskeln, Gehirn und Körper
kelkammer auf einen Drehstuhl gesetzt
2009 Affenexperimente an der Universi-
stecken Elektroden, die kontinuierlich
und in alle Richtungen gedreht. We-
tät Zürich gestoppt hatte (BGE 135 II 405)
Nervenströme messen.43
gen des geschädigten Gleichgewichts-
und damit signalisierte, dass auch in der
• Am neurobiologischen Institut der
organs verursacht diese Prozedur bei
Grundlagenforschung zukünftig ein Er-
ETH in Schwerzenbach wird zuerst mit
den Affen unkontrollierbaren heftig
kenntnisgewinn erwartet werden darf,
Mäusen und Ratten und dann auch
sten Dreh-Schwindel, starken Brech-
ohne dass ein Resultat – wenn überhaupt
mit Marmosetten (Krallenäffchen) in
reiz und schwere Angstgefühle. Die
– erst nach einer Kette von weiteren Tier-
schwer belastenden Depressionsmo-
Sonden messen die Reaktionen in den
versuchen vorliegt, darf nun gehofft wer-
dellen geforscht. Durch soziale Isola-
Hirnarealen. Der Schweizerische Nati-
den, dass genehmigte und durchgeführte
tion der Jungtiere werden Depressio-
onalfonds (SNF) finanzierte die Studie
Tierversuche wie in den folgenden Bei-
nen erzeugt, indem die Affenbabies im
mit fast 800 000 CHF. 44
spielen Geschichte sind:
ersten Lebensmonat immer wieder ihren Müttern weggenom-
Solche fragwürdigen Tierversuche kön-
• An der Uni Leipzig wurde herausgefun-
men und in Einzelkam-
nen ohne Schaden für Mensch und Tier
den, dass Winterschlaf das Nervenge-
mern gesteckt wur-
eingestellt werden, da sie ausser Kosten
webe von Hamstern schützt und so z.B.
den. Die Äffchen
Alzheimer vorbeugen
kann.39
standen bei
für den Steuerzahler nichts bringen! Eine Vielzahl fragwürdiger und un-
• Am Bundesinstitut für Ernährung in
sinniger Tierversuche sind im NewsTicker
Karlsruhe wurden Kälbern Carotinoide
Tierversuche des Schweizer Tierschutz
in den Milchaustauscher gemischt, um
STS (www.tierschutz.com/tierversuche/
der Frage nachzugehen, warum To-
index.html) und der Internet-Datenbank
maten und Melonen so gesund für
(www.datenbank-tierversuche.de) doku-
Menschen sind.40
mentiert.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
21
Warum werden immer noch Tierversuche gemacht? Wenn Tierversuche so schlechte Ergeb-
Nach dem Motto «Publish or perish» (Ver-
Anwendbares für kranke Menschen dabei
nisse liefern und In-vitro-Methoden so
öffentlichen oder Untergehen) kann man
herauskommt.
viel besser sind, stellt sich die Frage, wa-
sich nur mit einer langen Liste von Ver-
Ein weiteres Problem ist die man-
rum immer noch so viele Tiere in Versu-
öffentlichungen in renommierten Fach-
gelnde finanzielle Förderung der tierver-
chen sterben müssen.
zeitschriften in der Welt der Wissenschaft
suchsfreien Forschung sowie langwierige
Das oftmals geradezu krampfhafte
profilieren. Die Qualität wissenschaftlicher
Anerkennungsverfahren, die den Einsatz
Festhalten am Tierversuch hat nicht wis-
Zeitschriften wiederum wird anhand des
von In-vitro-Methoden verzögern oder
senschaftliche Gründe, sondern basiert
sogenannten Impaktfaktors beurteilt; je
gar verhindern.
grösstenteils auf Tradition, internationale
höher der Impaktfaktor desto angesehe-
Für die Pharmaindustrie schliess-
Richtlinien (OECD) und Gesetzgebungen.
ner die Zeitschrift und desto besser für die
lich haben Tierversuche eine Alibifunk-
Vor mehr als 150 Jahren wurde der Tier-
Karriere. Zeitschriften mit einem Schwer-
tion. Wenn mit einem Medikament etwas
versuch massgeblich durch den französi-
punkt auf tierexperimentell ausgerichte-
schief geht, kann der Hersteller auf die
schen Physiologen Claude Bernard (1813–
ter Forschung haben die höchsten Impakt-
durchgeführten Tierstudien verweisen, in
1878) zum Prüfstein jeglicher medizini-
faktoren. Klinische und soziologische For-
denen die Nebenwirkungen nicht aufge-
schen und wissenschaftlichen Erkennt-
schung ist weit weniger angesehen. Von
treten waren und so seine Hände in Un-
nis erhoben. Im Rahmen dieses Wissen-
der Publikationsliste ist die Höhe der For-
schuld waschen. Viele Tierversuche sind
schaftssystems werden Krankheiten zu
schungsgelder abhängig. Diese werden in
auch deshalb beliebt, weil mit ihnen Re-
technischen Defekten und Tiere zu Mess-
neue Tierversuche gesteckt, die wieder eine
sultate vorgelegt werden können, die auf
instrumenten.
neue Publikation ergeben. Dieses absurde
aktualisierbaren Wunschlisten stehen. Ir-
So wird denn auch die Qualität eines
System erhält sich selbst und verschlingt
gendeine Tierart und Versuchsanordnung
Forschers nicht daran gemessen, wie vie-
Unsummen in Form von Forschungsgel-
wird schon die gewünschten Ergebnisse
len Menschen er geholfen hat, sondern
dern, Drittmitteln oder Stipendien, ohne
liefern – spätestens mit Hilfe eines gen-
an der Menge seiner Fachpublikationen.
dass etwas entsprechend Sinnvolles oder
technisch manipulierten Tiermodells.
Reduzierung, Ersatz oder Abschaffung? Im Jahre 1959 wurde von Russel und
Dieses Konzept beruht auf der Annahme,
um eine falsche Methode handelt, die oft
Burch das sogenannte 3R-Konzept vor-
der Tierversuch sei eine prinzipiell sinn-
kaum übertragbare Ergebnisse liefert. Die-
gestellt. Die 3Rs stehen für:
volle Methode. Eine Abkehr von ihr wird
ser wissenschaftskritische Aspekt wird bei
leider immer noch zu wenig in Erwägung
der 3R-Philosophie nicht entsprechend
Replacement (Ersatz): Der Tierver-
gezogen. Für den Schweizer Tierschutz
berücksichtigt.
such wird durch eine tierversuchsfreie
STS sind die Rs Reduction und Refine-
sen wird auch von «Alternativmethoden»
Methode ersetzt.
ment denn auch nur als Zwischenschritt
oder «Ersatz- und Ergänzungsmethoden»
Wissenschaftskrei-
zum Ersatz (Replacement) eines Tierver-
gesprochen. Auch diese Formulierungen
Reduction (Reduzierung): Anstelle
suchs akzeptabel. Denn der Tierversuch
sind irreführend, da wissenschaftliche
des herkömmlichen Tierversuchs wird
als solches liefert der Wissenschaft und
Methoden nicht «nur» den blossen Ersatz,
eine Methode eingesetzt, die die An-
Forschung nicht die Qualität an Aussage
sondern, im Gegensatz zum Tierversuch
zahl der Versuchstiere verringert.
kraft, die heutzutage erwartet werden darf
auch gute und qualitativ hochstehende
und auch zu rechtfertigen wäre.
Wissenschaft darstellen würde.
Refinement (Verfeinerung): Mass-
22
In
Tatsächlich
sind
belastende
und
nahmen, die die Leiden der Tiere ver-
schwerbelastende Tierexperimente viel-
mindern. Hierzu zählen auch verbes-
fach nicht nur aus ethischen Gründen ab-
serte Haltungsbedingungen.
zulehnen, sondern auch, weil es sich meist
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Der tierversuchsfreien Forschung gehört die Zukunft Die meisten Tierversuche, insbesondere
dien am Menschen sowie der Prävention
Geschichte. Was heute noch undenkbar
belastende und schwerbelastende sind
von Krankheiten ausgebaut werden, um
ist, kann morgen schon Realität sein. Den
grösstenteils nicht aussagekräftige und
in der Medizin zu mehr Fortschritten zu
Grundstein dafür hat die Tierschutzbewe-
unnötige Testmethoden, Relikte vergan-
gelangen.
gung gelegt. Ihr jahrzehntelanger uner-
gener Zeiten, die im 21. Jahrhundert kei-
Trotz mangelhafter finanzieller För-
müdlicher Druck auf Politik und Wissen-
nen Platz haben dürfen. Anstatt an Ver-
derung hat die In-vitro-Forschung in den
schaft hat die Erforschung tierversuchs-
suchsmodellen aus dem vorletzten Jahr-
letzten Jahren enorme Fortschritte er-
freier Methoden massgeblich vorangetrie-
hundert festzuhalten, müssen die wis-
zielt. Manche Tierversuche, die vor weni-
ben. Jeder Einzelne von uns kann dazu
senschaftlichen
Forschungsmethoden
gen Jahren noch als absolut unverzicht-
beitragen, diese Entwicklung weiter zu
ohne Tierversuche, mit klinischen Stu-
bar galten, sind heute glücklicherweise
beschleunigen.
Was kann jeder Einzelne tun? Informieren Sie sich und andere. Schreiben Sie an Bundesrat und Parlament und fordern Sie die verstärkte finanzielle Förderung und Anerkennung tierversuchsfreier Verfahren und ein gesetzliches Verbot von fragwürdigen, belastenden und schwerbelastenden Tierversuchen. Unterstützen Sie unsere Arbeit für eine moderne Medizin und Forschung ohne Tierversuche. Weitere Information auf unserer Homepage unter der Rubrik Tierversuche (www.tierschutz.com).
STS-Informationen/Kontakt Tierversuche Fachstelle Tierversuche und Gentechnologie, Schweizer Tierschutz STS, Dr. med. vet. Julika Fitzi-Rathgen, Dornacherstr. 101, 4008 Basel, julika.fitzi@tierschutz.com, www.tierschutz.com
www.tierschutz.com/tierversuche • STS NewsTicker Tierversuche • Kosmetika mit Herz; Liste Geschäfte und erhältliche Produktelinien von Kosmetika ohne Tierversuche sowie Liste tierfreundlicher Kosmetika • Tierversuche in Abwaschmitteln • Tierversuchsstatistik Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) • Blick über die Grenzen: 6. EU-Tierversuchsstatistik • Tierversuchsstatistik der europäischen Kommission • Bericht der Europäischen Kommission zur Statistik der Tierversuche
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
www.tierschutz.com/publikationen • STS-Flyer «Forschung ohne Tierleid» • STS-Flyer «Kosmetika mit Herz» • TIERREPORT – Offizielles Organ des Schweizer Tierschutz STS www.tierreport.ch
Weitere Links • Altweb: Center for Alternatives to animal Testing http://altweb.jhsph.edu • Ärzte gegen Tierversuche e.V. www.aerzte-gegen-tierversuche.de • Ärztinnen und Ärzte für Tierschutz in der Medizin www.aerztefuertierschutz.ch • Animalfree Research www.animalfree-research.org • ALTEX: Zeitschrift zu Alternativen zu Tierexperimenten www.altex.ch • BVET – Tierversuche www.bvet.admin.ch/themen/tierschutz/00777/ index.html?lang=de • Stiftung Forschung 3R www.forschung3r.ch
23
5’/4.2011
1 Taylor K, Gordon N, Langley G, Higgins W: Estimates for Worldwide Laboratory Animal Use. Alternatives to Laboratory Animals in 2005. ATLA, 2008, 36(3): 327-342. 2 Bundesamt für Veterinärwesen BVET, www.tv-statistik.bvet.admin.ch 3 Schnurrer JU, Frölich JC: Zur Häufigkeit und Vermeidbarkeit von tödlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. 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Bild der Wissenschaft, 10/2005, 27-31 8 ZDF Frontal 21, Sendung vom 09.12.2008, Das Pharma-Kartell – Wie wir als Patienten betrogen werden 9 U.S. Food and Drug Administration Report: Innovation or Stagnation – Challenge and Opportunity on the Critical Path to New Medical Products, March 2004, p.8; www. fda.gov/oc/initiatives/criticalpath/whitepaper.pdf 10 U.S. General Accounting Office. FDA Drug Review: Postapproval Risks 1976-1985. Publication GAO/PEMD-90-15, Washington, D.C., 1990 11 Perel P, Roberts I, Sena E, Wheble P, Briscoe C, Sandercock P: Comparison of treatment effects between animal experiments and clinical trials: systematic review. BMJ, 2007, 334 (7586): 197. 12 Pound P, Ebrahim S, Sandercock P, Bracken MB, Roberts I: Where is the evidence that animal research benefits humans? BMJ, 2004, 328: 514-517 13 Lindl T, Völkl M, Kolar R: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung. 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Einzelquellen siehe dort. 28 Cußler K, Hendriksen CFM: Stand der Entwicklung von Alternativmethoden bei der Prüfung immunologischer Arzneimittel, in: H Gruber HP/Spielmann H (Hrsg.): Alternativen zu Tierexperimenten, Spektrum Verlag, 1996, 163-190 29 Palca J: Insights from broken brains. Science, 1990, 248(4957): 812-814 30 Wiebers DO, Adams HP, Whisnant JP: Animal models of stroke: are they relevant to human disease? 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Am J Med, 1979, 67(3): S.366-370 38 Corona T, Rembao D, Sotelo J: Improving the autopsy rate in a teaching hospital, Archive of Pathology and Laboratory Medicine, 2003 Nov, 127(11): 1408-1409 39 Härtig W et al.: Hibernation model of tau phosphorylation in hamsters: selective vulnerability of cholinergic basal forebrain neurons – implications for Alzheimer’s disease. European Journal of Neuroscience, 2007, 25: 69-80 40 Sicilia T et al.: Novel Lycopene metabolites are detectable in plasma of preruminant calves after Lycopene supplementation. Journal of Nutrition, 2005, 135: 26162621 41 Heinrich UR et al.: Endothelial nitric ocide synthase upregulation in the guinea pig organ of Corti after acute noise trauma. Brain Research, 2005, 1074: 85-96 42 U.Trotzke et al.: The influence of fasting on blood and plasma composition of herring gulls (Larus argentatus). Physiological and Biochemical Zoology 1999: 72(4), 426-437 43 Michael Schmäh, Eberhard Horn: Neurophysiological long-term recordings in space: experiments Scorpi and Scorpi-T. Gravitational and space biology bulletin: Publication of the American Society for Gravitational and Space Biology 2005: 18 (2), 95-96 44 ProTier 3/05, Beitrag von P. Wessalowski; www.snf.ch; www.aerztefuertierschutz.ch; Arbeiten von Dr. Pryce Christopher R., Dr. Feldon J.;
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Schweizer Tierschutz STS · Dornacherstrasse 101 · CH-4008 Basel SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS Tel. 061 365 99 99 · Fax 061 365 99 90 · sts@tierschutz.com · www.tierschutz.com
Fotos: istockphoto/Ärzte gegen tierversuche
Quellen