Tierschutz und Landwirtschaft

Page 1

TUND I ERS C HUT Z LANDWIRTSCHAFT

TIERWOHL GEHT UNS ALLE AN

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Tierschutz und Landwirtschaft: Tierwohl geht uns alle an Die extrem ansteigende Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten, weit über den «reichen Westen» hinaus auch in vormals ärmeren Ländern, erfüllt viele Menschen mit Sorge. Denn hinter der weltweiten Demokratisierung des Fleisch-, Milchprodukte- und Eierkonsums verbergen sich zumeist eine intensive Tierproduktion mit Massentierhaltung in tierquälerischen Haltungsformen, überzüchtete Tiere, Qualtransporte, brutale Schlachtmethoden und ökologisch, ethisch und tiergesundheitlich fatale (Kraft-)Futterdiäten. Grundsätzliche Fragen nach der ethischen Berechtigung der Tiernutzung werden heute nicht nur von Ethikern und Tierrechtsaktivisten, sondern auch von breiten Kreisen der Bevölkerung gestellt, insbesondere auch von jungen Menschen, die sich vegetarisch oder gar vegan ernähren. Dieser tierethisch konsequenten Haltung entgegnen Kritiker, dass Tierhaltung nicht gleich Tierhaltung sei. Vielmehr sei eine bäuerliche, standortangepasste und artgerechte Tierhaltung im Unterschied zur Massentierhaltung eben gerade kein Problemverursacher, sondern könne einen nachhaltigen Beitrag zur zukünftigen Ernährung der Menschheit und zum Schutz der weltweiten Ressourcen leisten. Die vorliegende Broschüre soll interessierten Tierschützerinnen und Konsumenten Entwicklung, Bedeutung und Probleme der Nutztierhaltung aufzeigen und ihnen bei der Bildung einer eigenen Meinung behilflich sein. Denn die Nutztierhaltung geht uns alle an. Diese Dokumentation will aber auch Rechenschaft über den Nutztierschutz in den vergangenen Jahren ablegen und darlegen, wo heute beim Tierwohl in der Schweiz und international Handlungsbedarf besteht. Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH Geschäftsführer Fachbereich Schweizer Tierschutz STS

2

1.

Nutztierhaltung im Spannungsfeld

3

2.

Landwirtschaft und Nutztierhaltung

7

2.1

Domestikation

7

2.2

Geschichtliches zur Nutztierhaltung

8

2.3

Zum Mensch-Tier-Verhältnis

10

2.4

Tiernutzung: ethisch gerechtfertigt?

12

3.

Nutztierhaltung in der Schweiz im 20. Jahrhundert

14

3.1

Tierwohl trotz Notzeiten

14

3.2

Verlorene Jahrzehnte

14

4.

Tierschutzgesetz

17

4.1

Entwicklung Tierschutzgesetzgebung von 1981 bis 2011

17

4.2

Bewertung des neuen Tierschutzgesetzes (TSchG)

20

4.3

Bewertung der neuen Tierschutzverordnung (TSchV)

20

4.4

Vollzug

22

5.

Agrarpolitik

23

5.1

Entwicklungen von 1951 bis 2011

23

5.2

Landwirtschaftsgesetz und Direktzahlungen

26

5.3

Tierwohlförderung

27

5.4

Stellenwert des Tierwohls bei Steuerzahlern und Konsumenten

28

6.

Information, Markt und Konsum

29

6.1

Entwicklung von 1972 bis 2011

29

6.2

Information und Beratung

33

6.3

Detailhandel setzt auf Produkte aus tierfreundlicher Haltung

33

6.4

Zögerliche Gastronomie

34

7.

Tierschutzkonforme Importe

35

7.1

Gesetzliche und privatwirtschaftliche Möglichkeiten

35

7.2

Unterschiedliche Bedeutung des Tierwohls in der Schweiz und der EU

36

8.

Tierwohlhandlungsbedarf in der Schweiz

39

8.1

Allgemeines

39

8.2

Tierschutzprobleme Rindergattung

39

8.3

Tierschutzprobleme Schweinegattung

43

8.4

Tierschutzprobleme Geflügel

45

8.5

Tierschutzprobleme Schafe, Ziegen und Kaninchen

48

8.6

Tierschutzprobleme Pferde

49

8.7

Tierschutzprobleme Transporte

49

8.8

Tierschutzprobleme Schlachthöfe

50

8.9

Weitere Aspekte der Nutztierhaltung

59

8.10 Ressourcenverschleuderung

54

9.

Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohls

56

9.1

Allgemeines

56

9.2

Eigenverantwortlichkeit

56

9.3

Die Rolle des Konsumenten

57

9.4

Die Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft

57

9.5

Die Rolle des Staates

59

9.6

Die Rolle der internationalen Politik

62

Glossar/Impressum

63

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


1. Nutztierhaltung im Spannungsfeld Im mit Nahrungsmitteln seit Jahrzehn-

durch die Agrolobbyisten immer weniger.

Synonym für Tierquälerei. In der Kritik

ten «gesättigten» Westen steht die heute

Der hohe und weltweit steigende Konsum

stehen aber auch negative Konsequenzen

weltweit praktizierte intensive Tierpro-

tierischer Produkte wird von NGOs und

der Tierproduktion für Umwelt und Na-

duktion zunehmend in der Kritik. Grund-

Medien häufig als Ursache für viele öko-

tur, so etwa der hohe regionale Anfall von

sätzliche Fragen nach der ethischen Be-

logische und gesundheitliche Probleme

Gülle, der zu übermässigem Eintrag von

rechtigung der Tiernutzung werden nicht

sowie den Welthunger dargestellt, und

Stickstoff und Phosphor in die Böden füh-

nur von Ethikern und Tierrechtsaktivis-

die rein pflanzliche Ernährung als Lösung

ren kann, oder Ammoniak- und klimar-

ten, sondern auch von breiten Kreisen der

der Ernährungsprobleme einer wachsen-

elevante CO2- und Methanemissionen.

Bevölkerung gestellt, insbesondere auch

den Menschheit propagiert.

Ebenfalls beanstandet werden die Art und

von jungen Menschen, die sich vegeta-

Platzsparende und reizarme Hal-

Weise sowie der wachsende Umfang des

tungsformen, zunehmender und länder-,

Kraftfutteranbaus für das Vieh und der

Das Mensch-Tier-Verhältnis verän-

ja Kontinente übergreifender Verkehr und

weltweite Kraftfutterhandel. Auch die in

dert sich zusehends. Die einst scharf ge-

Handel mit Zucht- und Schlachttieren

gewissen Ländern betriebene Überschuss-

zogene Trennlinie zwischen Heim- und

sowie extreme Leistungsanforderungen,

produktion von Fleisch und anderen tie-

Nutztieren verblasst, und das bei Stadt-

verbunden mit teilweise «tierartwidri-

rischen Produkten wird kritisiert: Durch

und Landbewohnern. Das Tier rückt näher

gen» Futterkomponenten, beeinträchtigen

die weltweite Absetzung der Überschüsse

an den Menschen heran, samt der Bereit-

das Tierwohl und die Tiergesundheit. Die

mittels (Dumping-)Export werden Bau-

schaft der Tierhalter, dafür den nötigen

enorme Ausdehnung der Tierproduktion

ern und Märkte in den Empfängerländern

materiellen und emotionalen Aufwand zu

weltweit, der routinemässige Einsatz von

konkurrenziert und starke Abhängigkei-

leisten. Dabei geht es vielfach nicht um

Hormonen und Antibiotika zur Leistungs-

ten geschaffen.

eine abzulehnende Vermenschlichung des

steigerung in vielen Ländern ausserhalb

Mit Ausnahme der Schweiz sowie ei-

Tieres, sondern um eine neue, bewusstere

Europas und die Qualität von Billigle-

niger wenigen westeuropäischen Ländern

und verantwortungsvollere Form des Zu-

bensmitteln aus Tierfabriken werden hier-

nimmt der Fleisch-, Milch- und Eierkon-

sammenlebens von Mensch und Tier.

zulande von immer mehr Menschen hin-

sum und damit die Nutztierhaltung in

Das Argument der günstigen und si-

terfragt. Die EU-Schlachttiertransporte

praktisch allen Ländern seit Jahren stark

cheren Lebensmittelversorgung sticht bei

und die Schafexporte von Australien und

zu – besonders in früher armen Zweit- und

der Rechtfertigung von tierschutzwid-

Neuseeland in arabische und südostasi-

Drittweltstaaten. Weltweit soll eine Milli-

rigen Zuständen in der Nutztierhaltung

atische Staaten wurden nachgerade zum

arde Bauern von der Tierhaltung leben, die

risch oder gar vegan ernähren.

3


Weltweite Massenproduktion in Tierfabriken

1970 auf heute 62 Kilogramm pro Kopf

Allerdings: Der überwiegende Teil des

und Jahr vervierfacht. Von dem Fleisch,

weltweit verfügbaren Landwirtschafts-

das in China in einem Jahr verzehrt wird,

landes ist wie in der Schweiz nicht acker-

könnte die Schweizer Fleischnachfrage

fähig, kann aber als Weideland für raufut-

rund zweihundert Jahre gedeckt werden!

terverzehrende Nutztiere gebraucht wer-

Bemerkenswert ist die boomende Nach-

den. Werden diese Böden trotzdem um-

frage nach Milchprodukten in asiatischen

gebrochen, setzen sich hohe CO2-Mengen

Ländern und in Russland, welche zu einer

frei und es besteht die Gefahr, dass die

starken Ausdehnung der Milchviehhal-

fruchtbaren Humusschichten in wenigen

tung führt. Selbst in den «Entwicklungs-

Jahren erodieren und die Flächen danach

ländern» verdoppelte sich der Fleischver-

weder zum Ackerbau noch zur Viehhal-

brauch seit 1970 auf heute 30 Kilogramm

tung mehr nutzbar sind. Die Weidenut-

pro Kopf und Jahr.

zung ist ökologisch und für die menschli-

Dieser ausgeprägte Hunger nach tie-

che Ernährung sinnvoll, da Rinder, Schafe

rischen Produkten wird hauptsächlich

und Ziegen das Wiesenfutter in Milch und

durch eine industrielle Tierproduktion in

Fleisch umwandeln können. Problema-

Massentierhaltung und faktisch ohne Be-

tisch ist indessen die Übernutzung von

rücksichtigung des Tierwohls befriedigt.

Steppengebieten mit zu vielen Weide-

Rund um die Metropolen in Asien, In-

tieren in Asien und Teilen Afrikas, wel-

dien, den arabischen Staaten und Brasi-

che wie ein nicht nachhaltiger Ackerbau

lien werden Pouletmastställe aus dem Bo-

Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit der

den gestampft, die hunderttausende von

Böden kaputt und die Steppen zu Wüs-

Tieren nach westlichem Vorbild «beher-

ten macht.

Hälfte davon in armen Ländern. Sie nut-

bergen». Der Futtermittelanbau für die

EU-Regionen mit intensiver Tierpro-

zen 1,4 Milliarden Kühe und Rinder so-

Intensivtierhaltung, etwa Mais, Soja und

duktion, etwa Nordwestdeutschland, die

wie eine Milliarde Schweine. Würde man

Getreide, soll mittlerweile rund 15 % der

Niederlande, Belgien, Dänemark, die Bre-

all diese Tiere nebeneinander platzieren,

weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflä-

tagne und die Po-Ebene, sowie die USA

ergäbe dies ein 60-facher Tiergürtel rund

che beanspruchen. Zum Vergleich: Der

und einige südamerikanische Staaten, al-

um die Erde! Dazu werden 68 Milliar-

Pflanzenbau für die direkte menschliche

len voran Brasilien, produzieren im Un-

den Hühner gehalten. China baut gegen-

Ernährung (z. B. Getreide, Kartoffeln, Ge-

terschied zur Schweizer Landwirtschaft

wärtig die weltweit grösste Nutztierhal-

müse, Früchte, Obst) benötigt rund 20 %

enorme Überschüsse. Sie forcieren deshalb

tung auf. Es hat den Fleischkonsum seit

der verfügbaren Agrarfläche.

den Export von Hühner-, Schweine- und

Agrarland weltweit: 5 Mia. Hektar; davon

weit werden bis zu 50 % der geernteten

räte (ein wichtiger Dünger) und den Auf-

3,5 Mia. Hektar Dauergrünland. Weltweit

Nahrungsmittel «verschleudert» (Lager-

kauf von Landwirtschaftsland insbeson-

stehen 72 Aren landwirtschaftliche Nutz-

verluste, Qualitäts- und «Frischevorschrif-

dere in Afrika, Südamerika, Südostasien

fläche pro Mensch zur Verfügung, davon

ten» etc.), d. h. heute würde mehr als ge-

und Australien durch private Investoren

sind aber nur 20 Aren ackerbaufähig.

nug produziert, um alle Menschen satt zu

aus China, Indien, den Golfstaaten sowie

In der Schweiz stehen 14 Aren landwirt-

machen.

den USA und Europa. Man vermutet, dass

schaftliche Nutzfläche pro Mensch zur

Das für Nahrungsmittelerzeugung

Verfügung, davon 6 Aren ackerbaufä-

und Tierhaltung verfügbare Landwirt-

hig. Auf diesen 14 Aren werden 60 % der

schaftsland nimmt in Zukunft ab infolge

von der Schweizer Bevölkerung benötig-

nicht nachhaltiger Nutzungs- und Anbau-

ten Nahrungskalorien erzeugt; zieht man

methoden (z. B. Erosion fruchtbarer Bo-

importierte «Inputs» ab, z. B. Kunstdün-

denschichten, Versalzung von Böden),

ger oder Kraftfutter, sind es noch 50 %.

des vermehrten Flächenbedarfs zur Pro-

Rund 40 % der Nahrungskalorien muss

duktion von Energiepflanzen sowie des

für Nahrungs- und Futtermittel in Zukunft

die Schweiz importieren.

Klimawandels. Die Nahrungsmittelversor-

ansteigen.

diese bereits mehr Land gekauft oder geleast haben als die gesamte Landwirtschaftsfläche Europas, um im grossen Stil am Weltmarkt (spekulativ) handelbare Monokulturen anzubauen. Im Zuge dieser Entwicklung werden die Weltmarktpreise

Prognostiziertes Bevölkerungswachs-

gung der Weltbevölkerung wird aber auch

tum bis 2050: Von heute 7 auf 9 Milliar-

gefährdet durch den zunehmenden Was-

den. Heute ist 1 Milliarde Menschen mit

sermangel in trockenen Regionen, das

Zur Info: 1 Are = 100 m2,

Nahrungsmitteln unterversorgt, aber welt-

zur Neige Gehen der Weltphosphatvor-

1 Hektar = 100 Aren = 10 000 m2

4

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Rindfleisch mit allen Mitteln. Am stärksten ausgedehnt und industrialisiert wurde die Pouletproduktion. Sie hat sich innert dreissig Jahren verfünffacht auf heute 93 Millionen Tonnen pro Jahr, da im Unterschied zu Schwein und Rind der Verzehr von Hühnerfleisch weltweit auf keine religiösen Vorbehalte trifft, und das Fleisch mittlerweile billiger als alle anderen Fleischarten angeboten werden kann. Denn Masthühner wachsen heute unglaublich schnell – sie erreichen in der halben Zeit ihr Schlachtgewicht wie früher –, werden im Ausland in Hallen von bis zu 100 000 Tieren gehalten, und eine moderne Turboschlachtanlage beendet pro Stunde das Leben von 10 000 und mehr Hühnern. Die Wachstumsmärkte in Lateinamerika, Asien und Osteuropa sorgen Experten zufolge dafür, dass bereits im Jahr 2020 die Geflügelfleischproduktion die bislang weltweit führende Schweinefleischerzeu-

In dreissig Jahren verfünffacht: Die Pouletproduktion steigt weltweit am stärksten

gung überholt haben und auf 120 Millionen Jahrestonnen angestiegen sein wird.

lungs- und Schwellenländern um Arbeit

Dabei sind die Gewinnspannen der Inten-

und Verdienst. Als Folge davon werden

Das für Nutztiere bestimmte Futterge-

sivtierproduktion extrem tief. So verdient

diese Länder in der Nahrungsmittelver-

treide und -eiweiss wird heute zum gröss-

ein Geflügelmäster in Deutschland knapp

sorgung immer abhängiger von den in-

ten Teil von den grossen Überschuss-

zehn Rappen an einem Masthuhn.

ternationalen, teils spekulativ betriebenen

exportproduzenten in der EU, den USA,

Agrarmärkten.

China und Brasilien sowie aufstrebenden

Neuseeland und Australien kurbelten insbesondere die Lammfleischerzeugung

sehr vieler vormals armer Staaten.

Drittweltstaaten beansprucht. Damit sind

Ob der berechtigten Kritik an der massiven Ausdehnung der Tierhaltung und an der weltweit grassierenden intensiven Tierproduktion sowie deren klar ersichtlichen negativen Folgen für Mensch, Umwelt und Tier sollten drei Tatsachen nicht vergessen werden:

die aus den 1980er-Jahren stammenden,

Agrarkonzernen und industriell-gewerb-

1.

Der «Hunger» nach Produkten tieri-

quenzen für unser Land und unsere Le-

lichen Betrieben dominiert. Ethik, Tier-

scher Herkunft samt der teilweisen Über-

bensmittelversorgung zu ziehen. Wie im-

schutz, Ökologie und Klimaschutz spie-

nahme westlicher Ernährungsmuster in

mer sich die Schweiz entscheiden wird –

len hier keine Rolle. Ziel ist einzig das Er-

Gesellschaften und Staaten, die wirt-

ob sie die Landwirtschaft und Nahrungs-

zeugen von möglichst viel und möglichst

schaftlich aufschliessen, entspricht haar-

mittelerzeugung im Inland herunterfährt

billigem Fleisch, Milch und Eiern. Kleine

genau der Entwicklung in der Schweiz

und zunehmend auf Billigimporte zum

und mittlere Bauernbetriebe mit ihren tra-

nach dem 2. Weltkrieg. Fleisch war da-

Beispiel aus Tierfabriken setzt, oder ob sie

ditionellen Tierhaltungsformen und Wei-

mals ein Symbol für Wohlstand und

in eine eigene, naturnahe Landwirtschaft

dewirtschaften werden wegrationalisiert.

wurde immer erschwinglicher. Eine zu-

und tierfreundliche Tierhaltung mit etwas

Billigexporte der EU, der USA oder von

nehmend sichere Versorgung mit Nah-

teureren Produkten investiert –, es ändert

Brasilien gefährden heute auch die noch

rungsmitteln und eine Demokratisierung

sich nichts am klaren Trend zur massi-

grösstenteils bäuerlich geprägte Tierhal-

des Konsums tierischer Produkte läuft

ven Ausdehnung der intensiven Tierpro-

tung in der Schweiz und bringen weltweit

heute weltweit ab und ist gekoppelt an die

duktion in der übrigen Welt. Die Schweiz

Millionen von Kleinbauern in Entwick-

erfreuliche wirtschaftliche Verbesserung

könnte ihre Tierhaltung komplett stillle-

mit Exportmärkten in den arabischen Staaten und Südostasien, aber auch in Nordamerika und Europa an. Die Schweiz bezieht rund die Hälfte des Schaffleischkonsums aus diesen Ländern, und zwar samt und sonders Edelstücke. Die weltweite Tiermast, die Milch- sowie die Eierproduktion werden häufig von

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

heute noch immer kolportierten ideologischen Aussagen, wonach die Schweiz mit dem Getreide der Armen dieser Welt ihr Vieh füttere, überholt. Heute massiert sich die Nutztierhaltung zudem zunehmend ausserhalb des Westens. Daraus gilt es, die richtigen Konse-

5


gen, ohne spürbaren Einfluss auf die Ent-

und Zucht von Nutztieren eine der gröss-

und der Gülle der Tiere wird das Wachs-

wicklung des Klimas oder den Verbrauch

ten kulturellen Taten der Menschheit

tum der Pflanzen und die Ertragssicher-

an Futtermitteln.

darstellt. Die planmässige Tierhaltung

heit und Leistung der Böden stark ver-

Da die verfügbare Landwirtschafts-

brachte mehr Versorgungssicherheit, kur-

bessert, sodass pro Flächeneinheit deut-

fläche der Welt durch fehlerhafte Bewirt-

belte die landwirtschaftliche Produktivi-

lich mehr und sicherer geerntet und viel

schaftung rückläufig ist (Erosion, Versal-

tät an und ermöglichte es, Gegenden zu

mehr Menschen ernährt werden können.

zung), Ackerflächen zur lukrativen Ener-

besiedeln und Böden zu nutzen, die für

Dieses abgestimmte, über Jahrtausende

gieproduktion abgezweigt werden und die

den Ackerbau suboptimal oder überhaupt

entwickelte und laufend verbesserte Zu-

Nachfrage nach (tierischen) Nahrungsmit-

nicht geeignet sind.

sammenwirken von Boden, Weidepflan-

teln mit zunehmender Bevölkerungszahl

Auch in der Schweiz begrenzen Klima

zen und Nutztieren stellt eine der grössten

und wirtschaftlicher Verbesserung steigt,

und Witterung sowie Berg-, Hügel- und

Leistungen der Menschheit dar. Man kann

wird die landwirtschaftlich nutzbare Flä-

Steillagen die Möglichkeiten für den

– und soll – die Nutzung und Tötung von

che dieses Planeten zu einem kostbaren

Ackerbau und damit den Anbau von Pro-

Tieren ethisch grundsätzlich hinterfragen.

Gut. Lebensmittel dürften in Zukunft welt-

dukten direkt für die menschliche Ernäh-

Fakt ist aber auch, dass die Tierhaltung,

weit teurer werden. China, reiche arabi-

rung. Was hier aber gut gedeiht sind Grä-

artgerecht und standortangepasst betrie-

sche Staaten und westliche Investoren

ser, Klee und Kräuter auf Wiesen, Weiden

ben, einen Beitrag zur Lösung des Ernäh-

kaufen vorausschauenderweise rund um

und Alpen, die der Mensch nicht verwer-

rungs- und Klimaproblems leisten kann

die Erde, vorwiegend in Afrika, Land im

ten kann, aus denen aber Rinder, Ziegen,

und heute Milliarden von Menschen Nah-

grossen Stil auf. Bei dieser Ausgangslage

Schafe, Pferde und Kaninchen hochwer-

rung und Auskommen bietet.

täte die Schweiz gut daran, auch in den

tige Produkte für die menschliche Ernäh-

nächsten fünfzig Jahren Sorge zur eige-

rung machen. Schweine sind Allesfresser:

3. Die Schweizer Agrarpolitik, die Land-

nen Landwirtschaft und damit zur siche-

Sie können zwar junges Gras verwerten,

wirtschaftsberatung und -forschung so-

ren Versorgung der Bevölkerung zu tra-

ihre Stärke liegt aber in der Umwand-

wie viele Bauern setzten in den 1960er-,

gen.

lung von Rest- und Abfallprodukten aus

1970er- und teilweise auch noch in den

der Futter- und Lebensmittelherstellung,

1980er-Jahren auf die intensive, ethisch

2. Wenn man heute die Nutztierhaltung

ob nun pflanzlicher oder tierischer Her-

und ökologisch fragwürdige Tierproduk-

grundsätzlich ethisch hinterfragt, sollte

kunft. Hühner wiederum wandeln am ef-

tion. Sie kehrten sich damit völlig ab

nicht vergessen werden, dass die Domes-

fizientesten von allen Nutztieren Getreide

von früher empfohlenen und praktizier-

tikation und die nachfolgende Haltung

in Eier und Fleisch um. Mit dem Mist

ten Tierhaltungsformen. Im Unterschied zu allen anderen Ländern setzte hierzulande indessen bereits Ende der 1970erJahre eine starke Gegenbewegung ein, die von Beginn weg auf mündige, verantwortungsbewusste Konsumenten und die Nachfrage nach naturnahen Produkten sowie solchen aus tierfreundlicher Haltung setzte. Ab den 1990er-Jahren drängten dann auch breite Kreise der Bevölkerung auf eine Kurskorrektur in der Agrarpolitik. So konnte zwischenzeitlich wieder einiges korrigiert und verbessert werden.

China, reiche arabische Staaten und westliche Investoren kaufen rund um die Erde, vorwiegend in Afrika, Land im grossen Stil auf.

6

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


2. Landwirtschaft und Nutztierhaltung 2.1 Domestikation

domestiziert; das Schwein etwa im Na-

len Erwartungen zum Trotz kamen sie mit

Tiere jagen und töten und ihr Fleisch

hen Osten und in Europa sowie in China.

dem Leben in freier Wildbahn absolut zu-

essen, ist dem Menschen seit hundert-

Von abertausenden von Tierarten auf die-

recht und pflanzten sich erfolgreich fort.

tausenden von Jahren vertraut. Doch

ser Welt liessen sich lediglich etwas mehr

Die Domestikation führte zu einer ei-

erst nach der letzten Eiszeit begann die

als ein Dutzend domestizieren und weit

gentlichen Symbiose zwischen Mensch

planmässige Haltung und Nutzung von

über eine oberflächliche Zähmung hinaus

und Tier. Durch das jahrtausendelange

Haustieren. Im Zeitrahmen von sechs-

zu Haustieren machen; neben Hund und

enge Zusammenleben tauschten sich

bis zehntausend Jahren vor unserer Zeit

Katze insbesondere Rind, Ziege, Schaf,

selbst Bakterien und Viren aus und wur-

wurden die allermeisten unserer heutigen

Huhn und Trute, Schwein, Pferd und Esel.

den zu ständigen Begleitern der Völker,

Heim- und Nutztiere domestiziert. mit

Die Affinität dieser Tierarten zum Men-

die eng mit Haustieren zusammenlebten.

zwei Ausnahmen. Das Kaninchen erhielt

schen grenzt fast an ein Wunder, denn

Das mussten die hoch entwickelten Rei-

erst im Mittelalter durch die züchterischen

an unzähligen Versuchen, andere Arten

che der Inkas und Azteken, denen diese

Bemühungen von Mönchen den Haustier-

zu zähmen, hat es über die Jahrtausende

Keime und die dadurch im Organismus

status und neue Funde von Hundeskelet-

hinweg bis in die Neuzeit nicht gefehlt.

entwickelten Abwehrmöglichkeiten fehl-

ten in Höhlen der Dordogne und in Ost-

Doch alle schlugen fehl. Selbst ein so na-

ten, im 15. und 16. Jahrhundert bitterlich

europa deuten darauf hin, dass der Hund

her Verwandter des Pferdes wie das Zebra

erfahren. Wie die moderne Geschichtsfor-

möglicherweise bereits schon vor zwan-

liess und lässt sich nicht domestizieren.

schung zeigt, wurden sie weder von den

zig- bis dreissigtausend Jahren den Men-

Trotz der jahrtausendelangen Hal-

überlegenen Waffen noch der angebli-

schen ein treuer Gefährte war und ihm

tung in der Obhut des Menschen und der

chen Kriegskunst der spanischen Aben-

beim Jagen half. Es wird gar spekuliert,

teilweise extremen Zucht der Neuzeit ha-

teurer und Militärs dahingerafft, sondern

dass es diese erfolgreiche jagdliche Zu-

ben Rind, Schwein und Huhn die biolo-

in erster Linie von deren mitgebrachten

sammenarbeit war, welche dem aus Süden

gischen und ethologischen Bedürfnisse

Keimen.

eingewanderten Homo Sapiens schluss-

ihrer wilden Urahnen erstaunlicherweise

Die Nutzung von Wiesen, Weiden

endlich die Herrschaft in Europa sicherte

weitestgehend behalten. So wurden in den

und Äckern – bis ausgangs des Mittelal-

und die Neandertaler-Vormenschen aus-

1980er-Jahren in Grossbritannien und

ters auch Wäldern – für die Viehhaltung

sterben liess. Bemerkenswerterweise wur-

Schweden hochgezüchtete Schweine und

verbreiterte und bereicherte an den jewei-

den mehrere Tierarten an verschiedenen

Hühner aus konventioneller Stallhaltung

ligen Standorten Flora und Fauna, indem

Orten der Welt unabhängig voneinander

in ausgedehnte Wildgehege verbracht. Al-

neue Lebensräume und damit Nischen für

7


denn das Vieh hielt sich bis dahin ganz selbstverständlich auch in Waldbereichen auf. Damals entstand die heute selbstverständliche Trennung von Wald und Landwirtschaftsflächen. Als Kompensation erschlossen die Menschen neues Kulturland, etwa durch das Trockenlegen von Überschwemmungs-, Sumpf- und Moorgebieten, oder indem dem Meer Land abgerungen wurde. Eine weitere Folge des Weideflächenverlusts war, dass die Tierhaltung vermehrt in Ställe verlagert wurde. Medizinische Traktate rieten allerdings vom Fleisch derart eingekerkerter Tiere ab und empfahlen aus Qualitäts- und Gesundheitsgründen Fleisch von im Freien gehaltenen Tieren. Die Stallhaltung brachte aber Gülle und Mist, welche, auf die Felder ausgebracht, die Erträge der Acker-

Es gab eine Zeit, da kamen die Bauern mit ihren Produkten noch in die Stadt

kulturen steigerten. Die Bauernbetriebe begannen sich nach und nach auf Obstbau, Ackerbau oder Viehhaltung zu spezialisieren und verlagerten sich von der

zusätzliche Baum-, Pflanzen- und Tierar-

über bevorzugten die germanischen Völ-

reinen Selbstversorgung auf den Tausch

ten entstanden. Leider wirkt die intensive

ker im Norden eher die Natur, die Wälder

und Verkauf von Produkten. Ohne Land

Landwirtschaft heute gerade in die gegen-

und die Jagd und setzten weit stärker auf

keine Stadt: Noch bis 1900 wurden Zie-

teilige Richtung. Auch die menschlichen

Tierhaltung und Weiden, als es der Süden

genherden von Fluntern ins Zürcher

Möglichkeiten und Lebensweisen verviel-

tat. Mit dem Ende der Römerzeit nahm der

«Dörfli» getrieben, wo die Stadtfrauen

fachten sich durch die Viehhaltung; vom

Einfluss der nördlichen Gebräuche und

gegen ein Entgelt Ziegen melken konn-

Jäger und Sammler zum Bauern, Hirten

damit auch die Bedeutung von Fleisch

ten. An den Markttagen brachten Bauern

oder Nomaden, von der reinen Selbstver-

europaweit zu. Frankenkönig Lothar ord-

mit Fuhrwerken oder den «Seeschwalben»

sorgung zum Handel und zum Austausch

nete im 9. Jahrhundert an, dass ein Krie-

genannten Limmatschiffen Lebensmittel

von Gütern, mittels Lasttieren auch über

ger, der einen Bischof töte, nicht nur die

nach Zürich.

weite Distanzen hinweg. Die Viehhaltung

Waffen niederlegen, sondern fortan auch

Von der Römerzeit über das Mittel-

und der anfallende Hofdünger führten

ohne Fleisch leben müsse. Chronisten be-

alter bis in die Neuzeit wurden im Zuge

dazu, dass immer mehr Menschen ernährt

richten im Mittelalter von enormen Ver-

des Fernhandels zahlreiche neue Pflanzen

und Überschüsse erzeugt werden konnten.

zehrsraten von bis zu 100 Kilogramm pro

und Tiere nach (Mittel-)Europa gebracht.

So konnte Handel getrieben, Städte ge-

Kopf und Jahr in der Oberschicht – we-

Wer sich heute an Margeriten und Akelei

gründet und die Arbeitsteilung unter den

gen der damals bis zu 150 fleischlosen

in den Blumenwiesen erfreut, dürfte kaum

Menschen vorangetrieben, Verwaltung,

kirchlichen Feiertage bedeutete dies sehr

wissen, dass diese erst im Mittelalter zu

Wissenschaft und Künste etabliert wer-

hohe tägliche Verzehrsmengen. Demge-

uns kamen. Im Zuge der spanischen und

den. Ohne Domestikation und planmäs-

genüber konnten die unteren Schichten

portugiesischen «Entdeckungen» wurden

sige Viehzucht hätte die Menschheit diese

von Fleisch und Fisch meist nur träumen.

Perlhühner und Truten auch in Europa

Entwicklung kaum machen können.

Nicht ohne Grund kam damals die Idee

heimisch. Als die englischen Pilgerväter

vom Schlaraffenland auf.

im 17. Jahrhundert mit der «Mayflower»

2.2 Geschichtliches zur Nutztierhaltung

Ausgangs des 15. Jahrhunderts bean-

nach Amerika segelten, hatten sie nebst

spruchten Adel und Kommunen vieler-

anderen Nutztieren auch einige Truten

Die alten römischen und griechischen

orts die Nutzung der stark geschwunde-

an Bord. Drüben angekommen, staunten

Kulturen schätzten kultiviertes Land mit

nen Wälder – und damit die Verfügbarkeit

sie nicht schlecht, als sie bemerkten, dass

Getreide, Obst, Oliven und Reben. An

über den damaligen Hauptenergie- und

Wildtruten den Kontinent zu Millionen

Nutztieren hatten lediglich Schafe eine

-bauträger, das Holz. Damit gingen in Mit-

bevölkerten.

übergeordnete Bedeutung. Demgegen-

teleuropa grosse Weideflächen verloren,

8

Der durchschnittliche Fleischkonsum

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


eines westeuropäischen Landes lag anfangs des 19. Jahrhunderts bei 30 Kilo-

Anzahl Nutztiere in der Schweiz (in tausend)

gramm pro Kopf und Jahr. Ab Mitte des Jahrhunderts begann dieser dann stetig zu steigen. 1845 wurden die Dosenfleisch-Konservierungstechnologie und zwischen 1855 und 1860 die Milchpulver- und Kondensmilcherzeugung entwickelt, was Vorratshaltung und Versorgungssicherheit verbesserte und als Nebenwirkung – wegen der planbareren Verpflegung der Heere – die Kriegsführung veränderte. Grossbritannien, das im 19. Jahrhundert mächtigste sowie politisch, kulturell und technisch fortschrittlichste und einflussreichste Land der Welt, verabschiedete 1822 das erste Tierschutzgesetz der Neuzeit. 1847 wurde in Manchester die erste vegetarische Gesellschaft gegründet. 1860 setzte Grossbritannien wiederum als erstes Land der Welt ein Gesetz gegen Lebensmittelbetrug in Kraft. Daraus mag man ersehen, dass es auch in der «guten alten Zeit» um die Qualität der

Jahr Kühe 1850 501 1900 744 1950 858 1960 940 1970 896 1980 875 1990 795 2000 714 2010 700 GVE* *Grossvieheinheiten

Rindvieh total 885 1354 1530 1746 1907 2031 1855 1588 1591 76 %

Schweine 339 542 908 1351 1753 2205 1787 1498 1589 13 %

Pferde 104 123 134 100 53 45 45 50 62 3%

Schafe 451 259 192 227 291 354 395 421 434 3%

Ziegen 348 382 165 90 66 80 68 62 87 1%

Hühner – – 6300 5975 5919 6146 5822 6789 8944 4%

Anzahl Halter von Nutztieren in der Schweiz Jahr 1985 2000 2005 2010

Nutztiere 88 600 60 000 54 400 50 000

Rindvieh Schweine Pferde 71 800 36 000 12 600 50 800 15 300 10 700 45 400 11 800 10 300 41 100 8800 9600

Schafe Ziegen 14 000 9800 12 600 7100 11 200 6600 9800 7000

Hühner Kaninchen 41 700 6000 20 700 6000 17 100 4500 13 500 3300

Kälber 470 000 522 000 444 000 408 000 319 000 300 000 253 000

Schweine 740 000 1,4 Mio. 2,3 Mio. 3,4 Mio. 3,3 Mio. 2,6 Mio. 2,8 Mio.

Nahrungsmittel nicht immer zum Besten gestanden hat. Um 1800 war die Viehhaltung in der Schweiz noch relativ unbedeutend. Grössere Bestände gab es nur bei Rindern und Schafen. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollständig. Wegen zunehmender Absatzmöglichkeiten im In- und Ausland sowie der für die

Total Landwirtschaftsbetriebe CH 2012: 59 000 35 000 24 000 41 000 18 000 38 000

in Tal- und Hügelzone im Berggebiet hauptberufliche Betriebe nebenberufliche Betriebe Betriebe sind auf Tierhaltung spezialisiert Durchschnittsgrösse rund 18 ha Anzahl Biobetriebe rund 6000 Pro Tag verschwinden im Durchschnitt 5 bis 6 Betriebe Landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz (Wiesen, Weiden, Ackerland und Dauerkulturen):1,1 Mio. ha, dazu kommen 455 000 ha Alp- und Juraweiden

Schlachtungen in der Schweiz Jahr 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2007

Grossviehmast 65 000 100 000 165 000 231 000 259 000 185 000 210 000

Kühe 111 000 142 000 198 000 237 000 211 000 169 000 151 000

Dazu kommt die Schlachtung von rund 2 Millionen Legehennen und rund 40 Millionen Masthühnern und Truten jährlich.

Tierhaltung günstigen klimatischen und

Die Schweiz importierte damals sowie

topografischen Voraussetzungen wurde

zwischen den Weltkriegen jährlich rund

die Viehhaltung auf Kosten des Getrei-

800 000 Tonnen Getreide, also ungefähr

deanbaus stark ausgebaut. Wegen ver-

gleich viel wie heute, allerdings bei nur

besserter Transportmöglichkeiten mit-

knapp halb so vielen Einwohnern und we-

tels Schiffen und Eisenbahn, besserer

sentlich weniger gehaltenen Nutztieren.

Fruchtfolgen und der weltweiten Verdop-

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er-

pelung der Ackerfläche bis zum 1. Welt-

langte die Milchproduktion in der Schweiz

krieg konnte Getreide auf dem Weltmarkt

die innerlandwirtschaftlich hohe wirt-

extrem günstig angeboten werden, so-

schaftliche Bedeutung, die sie bis heute

dass der Inlandgetreidebau Ende des 19.

innehat. Auslöser waren unter anderem

Jahrhunderts praktisch zusammenbrach.

die Erfindungen der Milchschokolade, der

9


scharpflug in weniger als einer Stunde!

Kondensmilch und der Käseherstellung

der weltweiten Wirtschaftskrise in die

mittels Lab, welche zu einer Vervielfa-

Kritik. «Es ist wahr, diese reinen Gras-

chung der Käsesorten und der Verbreitung

wirtschaften sind nicht mehr eigentliche

brachte der Schweiz ab den 1960er-Jah-

von Käsereien ausserhalb des Berggebietes

Landwirtschaftsbetriebe. Ihre Tätigkeit er-

ren Vollbeschäftigung sowie Arbeitskräf-

führte. Käse, Milchschokolade und Kon-

schöpft sich im Viehfüttern, Melken, Gra-

temangel und damit verbunden kräftig

densmilch wurden denn auch rasch zu er-

sen, Düngen, Heuen und Mosten. Das ist

steigende Löhne. Entsprechend wuchs

folgreichen Schweizer Exportprodukten.

selbstverständlich kein gesunder Land-

die Nachfrage nach tierischen Produkten.

Die Schweizer Rindviehzucht florierte.

wirtschaftsbetrieb», urteilte der damalige

Gleichzeitig hielten Mechanisierung, Ra-

Zuchtvieh wurde in alle Länder Europas –

Bauernpolitiker und Nationalrat Roman

tionalisierung und wissenschaftlich-tech-

teilweise mussten Mensch und Vieh diese

Abt harsch und ideologisch-zeitgeistlich

nisch-biologische Erkenntnisse auf brei-

Wege zu Fuss zurücklegen! – und nach

angehaucht. Fortan wurde hierzulande

ter Front Einzug in Landwirtschaft und

Nordamerika verkauft. Man kann sich

das Hohelied vom bäuerlichen Selbstver-

Tierhaltung. Das führte dazu, dass Le-

heute kaum mehr ausmalen, welche Stra-

sorger und Familienbetrieb gesungen. Der

bensmittel immer kostengünstiger ange-

pazen den Tieren dabei zugemutet wur-

Ackerbau wurde forciert und ging später

boten werden konnten. Obwohl die Fami-

den. Ironie des Schicksals: Weniger als ein

bei extrem schlechter Versorgungslage im

lien mehr konsumierten, sanken die Haus-

Jahrhundert später, ab den 1970er-Jah-

2. Weltkrieg zum Wohl der Bevölkerung

haltausgaben für Lebensmittel infolge der

ren, hatten die ausländischen Braun- und

im «Plan Wahlen» auf.

extremen Produktivitätsfortschritte in der

Die

einsetzende

Hochkonjunktur

Fleckviehzüchter ihre Schweizer Kollegen

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das

Landwirtschaft rapide von 30 % im Jahr

überholt. In zeitgemässer Form von Sa-

Ende des jahrtausendealten Ochsen- und

1950 auf 14 % im Jahr 1975 und schliess-

men ging die Genetik den Weg zurück in

Pferdezuges in der Landwirtschaft ein-

lich auf nur noch 7 % heute!

die Schweiz und liess dort die Milchleis-

geläutet, und Traktoren übernahmen die

Ohne Tierhaltung und Intensivierung

tung der Kühe explodieren.

schwere Feld- und Zugarbeit. Um ein

der Landwirtschaft wäre diese Entwick-

Nachdem Nestlé als grosser Abnehmer

Ackerfeld von einer Juchart – das dazu-

lung unvorstellbar. Von den positiven

der Milchbauern in den 1930er-Jahren

mal gebräuchliche landwirtschaftliche

Konsequenzen, nämlich einer hohen Er-

die Kondensmilchproduktion verstärkt

Flächenmass, je nach Gegend etwa 3500

nährungssicherheit sowie einem extrem

ins Ausland verlegt hatte und Preiszu-

Quadratmeter – mit einem Tierzug zu

breiten und kostengünstigen Lebensmit-

sammenbrüche wegen wiederkehrender

pflügen, wurden zwei Personen und fast

telangebot, profitieren wir heute tagtäg-

Milchüberproduktion Bauernexistenzen

40 Arbeitsstunden benötigt. Heute erle-

lich. Was für die allermeisten Menschen

ruinierten, gerieten Milchviehbetriebe in

digt dies ein Bauer mit Traktor und Drei-

auf diesem Planeten seit Urzeiten und bis vor hundert Jahren selbst in Westeuropa die grösste Sorge war – die sichere und ausreichende Versorgung mit Nahrung –, wurde und wird glücklicherweise für immer mehr Menschen auf dieser Welt zu einer Selbstverständlichkeit.

2.3 Zum Mensch-TierVerhältnis Dem verbreiteten kulturpessimistischen Urteil, wonach früher alles besser gewesen sei, kann man nicht nur bei Wohlstand und Nahrungsmittelversorgung der Menschen, sondern auch beim MenschTier-Verhältnis konsequent mit Fakten entgegentreten. Der Umgang mit Tieren folgte stets dem «Recht» des Stärkeren und dem Machtgefälle zwischen Mensch und Tier. Er war und ist geprägt von Missbrauch, Ideologien und irrationalen Vor-

Die alten Ägypter verehrten Katzen – im Gegensatz zu den Persern

10

lieben und Vorgaben einzelner Kulturen. So verehrten die alten Ägypter Katzen und verabscheuten Hunde, während die

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Perser Hunden Denkmäler setzten und sie wie Menschen beerdigten, Katzen hingegen als des Teufels erachteten und für vogelfrei erklärten. Die alten Griechen und Römer führten grausame Experimente an lebendigen Tieren durch. In den Arenen von Rom, der damals weltweit grössten Stadt, wurden nebst 200 000 Kriegsgefangenen, Verbrechern und Gladiatoren auch Millionen von Haus- und Wildtieren zur Belustigung hingemetzelt und aufeinandergehetzt. Im Mittelalter wurde in verschiedenen Regionen Europas lebenslange Dunkelhaltung für Kälber, Lämmer und Schafe betrieben. Kochbücher empfahlen, Gänse für rascheres Wachstum an den Schwimmhäuten festzunageln, oder Kälber und Ferkel für zarteres Fleisch mit Seilen zu Tode zu prügeln. Seit jeher zeichnet sich der Mensch durch Herzlosigkeit gegenüber Tieren aus. Nicht erst der «moderne» Mensch der Neuzeit be-

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Pferd ein geschundenes Kriegs- und Arbeitsgerät

drängt durch seinen Lebensstil Tierarten und verurteilte viele zum Aussterben.

Sie alle haben hemmungslos und ohne

derten Mastrinder von Texas nach Norden

Unsere Vorfahren rotteten viele Tierarten

Einsicht in ökologische Zusammenhänge

in die Verladestationen getrieben wur-

aus, im Mittelalter in der Schweiz bei-

Tierarten ausgerottet und ohne Rücksicht

den, um dann in den Riesenschlachthö-

spielsweise den Wisent und im 19. Jahr-

auf Gewissen, Moral, Ethik oder religiöse

fen Chicagos getötet zu werden. Wer jetzt

hundert Biber und Bär.

Vorgaben Tiere gequält und ausgenützt.

noch immer glaubt, dass es Tieren früher

Auch der «edle Wilde» bleibt in puncto

Besonders übel hat der Mensch dem

besser erging, soll daran denken, dass das

Mensch-Tier-Verhältnis lediglich eine

Pferd mitgespielt. Bis ins 20. Jahrhundert

Betäuben vor dem Töten eine junge, kaum

westlich-romantische Vorstellung. Es ist

hinein war es geschundenes Kriegs- und

hundert Jahre alte Tradition ist, welche

überliefert, dass Indianer in Nordamerika

Arbeitsgerät: Lebenslang unter Tage in

bis heute in manchen Ländern und Kul-

sinnlose Büffelabschlachtungen durch

den Kohlegruben zur Arbeit gezwungen

turen unbekannt ist.

Hinabstürzen in Schluchten praktizier-

und dabei erblindet, um Mühlräder und

Es gibt wenig Anlass zur Behauptung,

ten, oder ihren Kindern auftrugen, Vö-

Pumpen anzutreiben jahrelang tagsüber

Nutztiere hätten es früher besser gehabt.

gel zu fangen, ihnen Beine oder Flügel zu

im Kreis gehend, auf dem harten Pflaster

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das

brechen und mit ihnen zu spielen. Noma-

der Millionenstädte London, Paris, Berlin

Mensch-Tier-Verhältnis heute zumindest

denvölker entnahmen lebenden Rindern

und New York Busse und Kutschen oder

in der Schweiz ein viel engeres ist, als es

Blut, oder schnitten aus den Schwänzen

auf dem Land an Kanälen und Flüssen ent-

noch vor einem Vierteljahrhundert bei In-

ihrer Schafe Fettstücke als Leckerbis-

lang Lastschiffe ziehend, schweisstriefend

krafttreten der Tierschutzgesetzgebung der

sen heraus. Das etwa über die Inuit und

auf den Feldern vor dem Pflug gehend.

Fall war. Im Bewusstsein sehr vieler Men-

andere «Naturvölker» kolportierte Beten

Mit Recht empört man sich heute über

schen wird keine scharfe Trennlinie mehr

oder «Um-Verzeihung-Bitten» vor dem

überlange und unnötige EU-Schlachttier-

zwischen Heim- und Nutztieren gezogen.

Tiere Töten dürfte eher eine sentimentale

transporte. Doch gab es hierzulande be-

Die Nutzung von Rindern, Schweinen und

und gegenüber einer möglichen höheren,

reits ausgangs des Mittelalters vergleich-

Hühnern wird zwar zumeist nicht infrage

strafenden Macht rückversichernde Geste

bares, nämlich Schlachtviehtrecks, etwa

gestellt, aber es herrscht heute ein breiter

darstellen als ein gelebter und bewusster

von Rindern aus Ungarn in die reichen

Konsens darüber, dass diese Tiere, wenn

Ausdruck von Fairness und Liebe gegen-

süddeutschen Kaufmannsstädte oder von

sie schon für unsere Zwecke planmässig

über den Mitgeschöpfen – vergleichbar

Dänemark nach Holland. Zu Fuss muss-

gezüchtet, gehalten und geschlachtet wer-

den Gebräuchen unserer Jäger nach dem

ten die Tiere hunderte, manchmal tausend

den, wenigstens Anrecht auf eine mög-

Abschuss des Wildes. Ob nun sogenannte

und mehr Kilometer zurücklegen. Wie im

lichst schonende Behandlung und eine

«Naturvölker» oder «zivilisierte» Kulturen:

Wilden Westen, wo die zumeist verwil-

artgemässe Haltung haben sollen.

11


zig mögliche Massnahme zur Verminderung des Tierleids darstellt, oder ob auch andere Tierschutzstrategien zielführend oder gar ergänzend notwendig sind. Ein Indiz für Letzteres stellt die Tatsache dar, dass Tierschutz und Vegetarismus verschiedene Wurzeln haben und traditionell zumeist in verschiedenen Organisationen mit nicht deckungsgleichen Zielsetzungen und Zwecken organisiert sind. Praktizierende Vegetarier und Veganer vermindern sozusagen die Gesamtsumme des mit der Nutzung der Tiere verbundenen Leids, indem weniger Tiere genutzt, artwidrig gehalten, brutal transportiert und getötet werden. Ein Mensch, der achtzig Jahre lang Vegetarier ist, verhindert durch seine konsequente Haltung beim gegenwärtigen Schweizer Durch-

Mit dem Image des Schädling als Versuchstier «ethisch» vertretbar?

schnittskonsum das Leben, den Tod und das wahrscheinliche Leid von gesamthaft gegen tausend Masthühnern, Rindern, Kälbern und Schweinen.

Bis heute schützen Menschen Tiere

wegen des «Schädlingimages» dieser Tiere

Rein quantitativ liesse sich dieselbe

selektiv. Das weltweit erste Tierschutzge-

kaum gegen deren Einsatz im Tierver-

Wirkung auch erzielen, wenn die Men-

setz, das anfangs des 19. Jahrhunderts in

such opponiere und die Tierpfleger we-

schen weniger Fleisch essen würden.

Grossbritannien in Kraft gesetzt wurde,

niger an den Nagern hingen. Auch der

Wenn drei Millionen Schweizer auf zwei

galt allein für Pferde. Abgeordnete, die

Nutztierschutz in der EU ist sehr selektiv:

Fleischmahlzeiten pro Woche verzich-

den Schutz auch auf Esel ausdehnen woll-

Bis heute existieren keine verbindlichen

teten, ergäbe das betreffend Reduktion

ten, wurden ausgelacht und überstimmt.

Tierschutzrichtlinien für die Haltung von

der gehaltenen und getöteten Nutztiere

Man mag heute darüber schmunzeln.

Kühen, Rindern, Schafen, Ziegen, Pfer-

die gleiche Wirkung, wie wenn 900 000

Doch der Speziesrassismus lebt noch im-

den und Truten. Wenig konsequent ist

Schweizer Vegetarier würden. Beide Stra-

mer. In Indien sind nicht die Kühe an und

auch die eidgenössische Tier- und Land-

tegien, Vegetarismus oder Reduktion des

für sich geschützt und «heilig», sondern

wirtschaftsgesetzgebung, die zwar richti-

Fleischkonsums, sind aus der Optik einer

nur das reinrassige indische Buckelrind,

gerweise hierzulande den Tierhaltern aus

tierschützerischen Realpolitik also wirk-

teilweise auch «Mischlinge».

ethisch-tierschützerischen Gründen Vor-

sam, wobei es erfahrungsgemäss einfa-

Hoch-

schriften macht, wegen des Geldes und

cher und erfolgversprechender ist, Men-

schulprofessoren betrachten den Ersatz

der hohen Politik aber Importe von Qual-

schen zur Reduktion statt zum Verzicht

von Hunden und Katzen im Tierversuch

produkten wie Stopfleber und Frosch-

zu bewegen. Der erhebliche Rückgang

durch Mäuse und Ratten als Tierschutz-

schenkel sowie Fleisch von Tieren aus

des Fleischkonsums in der Schweiz in

massnahme im Sinne des gesetzlich ver-

Tierfabriken und Qualtransporten zulässt.

den letzten 25 Jahren von 72 auf 53 Ki-

Schweizer

Behörden

und

logramm pro Kopf dürfte denn auch stär-

ankerten 3R-Prinzips: replace (ersetzen),

2.4 Tiernutzung: ethisch gerechtfertigt?

ker darauf beruhen, dass die Menschen

Ehrlicher und auf einem zeitgemässeren Wissensstand sind da die Pharmafirmen,

Unbestreitbar handelt es sich beim Vege-

lich darauf verzichteten. Das heisst nicht,

welche unumwunden zugeben, dass Rat-

tarismus und noch mehr beim Veganis-

dass dieser Befund auch zukünftig gelten

ten entwicklungsbiologisch und in Bezug

mus um einen individuellen und ethi-

muss, scheint der Vegetarieranteil heute

auf Schmerz- und Leidensfähigkeit Hun-

schen Entscheid, der stets auch das Tier-

doch gerade unter jungen Menschen

den in nichts nachstehen. Vielmehr ver-

leid und dessen Minimierung vor Augen

überdurchschnittlich zu sein, während

wende man im Tierversuch aus Kosten-

hat und Respekt verdient. Es stellt sich

die Kriegs- und Grosselterngeneration,

gründen lieber Nagetiere als Hunde oder

darüber hinaus aber die Frage, ob Ve-

bei welcher der Fleischkonsum mehrheit-

Katzen, aber auch, weil die Gesellschaft

getarismus/Veganismus die ethisch ein-

lich noch positiv gedeutet wurde, immer

reduce (reduzieren), refine (verfeinern).

12

weniger Fleisch essen, als dass sie gänz-

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


weniger zum Gesamtkonsum beiträgt. Doch auch wenn es Vegetariervereinigungen und Tierschutzorganisationen gelingen sollte, den Vegetarieranteil zu erhöhen, werden Schlachthöfe in der Schweiz nicht abgeschafft. Dies auch wegen der Vegetarier selbst, die zwar kein Fleisch essen, aber Eier und Milchprodukte konsumieren. Bei einem Durchschnittskonsum von rund 180 Eiern pro Kopf und Jahr wird ein Vegetarier nach 80 Lebensjahren 50 Hochleistungslegehennen genutzt haben. Und wird damit, da stets ungefähr gleich viele Männchen und Weibchen geboren werden, zusätzlich für den Tod von 50 männlichen Küken Verantwortung tragen, die bekanntlich nach dem Schlupf aussortiert und getötet werden, da ihre Mast unrentabel ist. Da eine Kuh nur Milch gibt, wenn sie jedes Jahr wieder ein Kälbchen kriegt, und nur jedes zweite Baby ein Weibchen ist,

In der Schweiz verzehren Hunde und Katzen schätzungsweise 60 000 Tonnen Fleisch

das man zur Milchkuh heranziehen kann, zieht eine vegetarische Lebensweise nicht

schützer mit möglichen Konzepten wie

13 Millionen Heimtiere Deutschlands soll

nur das Schlachten von Milchkühen, son-

der Abschaffung der Nutztierhaltung zu

bei rund 900 000 Tonnen jährlich liegen

dern auch die Mast und das Töten männ-

beschäftigen – dazu sollte übrigens nicht

und damit in etwa der Jahresfleischpro-

licher Kälber nach sich.

nur die Haltung von Rind, Schwein und

duktion Österreichs entsprechen. In der

Der Vegetarismus und der Veganis-

Huhn gezählt werden, sondern auch die

EU leben gegen 200 Millionen Heimtiere.

mus liefern beide keine befriedigende

(Aus-)Nutzung von Versuchs-, Wild- und

In der Schweiz verzehren Hund & Katz

Antwort auf die drängende Frage, was

leider auch Heimtieren – und sich ge-

schätzungsweise 60 000 Tonnen Fleisch

das Schicksal der Millionen von Nutz-

gen den übermässigen Konsum von tieri-

jährlich. Allerdings essen Hunde und Kat-

tieren angeht, die jetzt und mit grösster

schen Produkten zu stellen: Es wäre eine

zen in allererster Linie Fleisch, das nicht

Wahrscheinlichkeit auch noch in zwanzig

Sünde wider die Schöpfung, Tieren Hilfe

verwertet werden kann, beispielsweise

oder dreissig Jahren geboren, aufgezogen

und Schutz zu verweigern und zuzulas-

Schlachtnebenprodukte.

und schlussendlich geschlachtet werden.

sen, dass sie weltweit gesehen noch im-

Ethik und Fairness gebieten es, sich auch

mer mit Käfigbatterien, Kastenständen,

um die real existierenden Tiere zu küm-

Qualtransporten sowie mit betäubungslo-

mern. So notwendig es ist, sich als Tier-

ser Kastration und Tötung traktiert wer-

Konsum tierischer Produkte

den! Denn möglicherweise ist letztendlich

Schweiz: Rund 170 kg/Kopf und Jahr

für ein Tier weniger die Tatsache, dass es

(53 kg Fleisch; 180 Eier; 110 kg Milch-

Anteil Vegetarier an Bevölkerung

am Ende seines Lebens getötet wird das

produkte)

Schlimme – sofern dies rasch und scho-

Fleischkonsum Schweiz: 53 kg/Kopf und

Proviande-Studie (2006): 5 % Vegetarier

nend unter Betäubung geschieht –, son-

Jahr; 50 % davon werden ausser Haus

in der Schweiz

dern ein nicht artgerechtes Leben voller

verzehrt (Gastronomie, Take-away); 13 kg

Nationale Verzehrsstudie, Max Rubner In-

Schmerz, Leid und Frustration. Genau das

sind Importe, oft aus Massentierhaltung;

stitut, Deutschland (2007): 1,6 % Vegeta-

aber wird Nutztieren in Massentierhaltun-

Labelanteil je nach Fleischkategorie

rier im Durchschnitt; Frauenanteil 2,2 %,

gen weltweit und systematisch zugefügt.

10–50 %, davon 4 % Biofleisch

Ethisch überhaupt nicht thematisiert

Fleischverzehr international (je Kopf und

Statistik Austria (2007): 1,4 % Vegetarier

wird bislang der Fleischbedarf für die zu-

Jahr): Weltdurchschnitt 40 kg, Entwick-

und 3.9 % Vegetarierinnen

nehmende Haltung von fleischfressenden

lungsländer rund 30 kg; Deutschland

Vegetarierstudie Grossbritannien (1995)

Heimtieren wie etwa Hunde und Katzen.

62 kg; Frankreich 72 kg; Spanien 80 kg;

resp. USA (2009): 5 % resp. 3 % Vegetarier

Allein der Fleischbedarf zur Fütterung der

USA 110 kg

lediglich 0,1 % Veganer

13


3. Nutztierhaltung in der Schweiz im 20. Jahrhundert 3.1 Tierwohl trotz Notzeiten

ern und Studenten ins Stammbuch.

im Winter täglich zweimal aus den Stäl-

Ein Blick in die erste Hälfte des 20. Jahr-

Selbst in den harten Kriegszeiten

len. Bereits damals existierten Betriebe,

hunderts zeigt, dass es in der Schweiz ein-

wollte man zum Tierwohl stehen. So hielt

die tausende von Legehennen hielten.

mal eine (wenn auch nur kurze) Zeit gab,

die Schweizerische Landwirtschaftliche

Diese verteilten sich auf kleinere Einhei-

in der das Tierwohl ganz selbstverständ-

Zeitung am 8. 9. 1944 in einem Artikel

ten in mehreren Hühnerhäuschen auf der

lich zur landwirtschaftlichen Tierhaltung

über den Einfluss des Tierwohls auf die

grünen Wiese. Zur Gesunderhaltung und

gehörte. Ja, es wurde von Bauernfunktio-

Milchleistung fest: «Eigentlich mutet es

als anerkanntes Gesundheitssanierungs-

nären vehement aus eigener Einsicht und

beinahe grotesk an, von Tierschutz zu

verfahren von Zuchtsauenherden galt das

Initiative eingefordert – statt wie heute

sprechen in einer Zeit, wo tausende von

sogenannte schwedische System mit Hüt-

eher zähneknirschend, als Reaktion auf

wertvollen Menschenleben in den Depor-

tenhaltung im Freiland. Auch die Mast-

den gesellschaftlichen Druck. Damals

tierungslagern elend zu Grunde gehen.

schweine wurden zumeist mit Auslauf ge-

stand man auch in wirtschaftlich schwie-

Auf alle Fälle werden solche Gräuelta-

halten. Bezeichnenderweise kursierte da-

rigen Zeiten zur Verantwortung gegen-

ten als ein unauslöschlicher Schandfleck

mals unter Tierärzten und Agronomen der

über den Nutztieren. Ernst Laur (1871–

für unsere heutige Kultur und Zivilisation

Spruch: «Wo die Sonne nicht hinkommt,

1964), Agronomieprofessor für Betriebs-

in die Geschichte eingehen. Ja, die Hilfe

kommt der Tierarzt hin.»

wirtschaft an der ETH Zürich und ers-

für die notleidenden Flüchtlinge ist das

ter Direktor des Bauernverbandes, stellte

dringendste Gebot der Stunde. Aber auch

3.2. Verlorene Jahrzehnte

in den krisengeschüttelten 1920er- und

unsere Haustiere sind auf unseren guten

Mit dem Beginn der zweiten Jahrhundert-

30er-Jahren die Wichtigkeit von Auslauf

Willen angewiesen. Der Mensch hat diese

hälfte setzten sich Forschung und Bera-

und Weiden für Nutztiere heraus. Luft,

Tiere ihrer Freiheit beraubt, gezähmt und

tung und in deren Schlepptau die Bau-

Licht und Bewegung seien beispielsweise

für seine Zwecke nutzbar gemacht. Sie

ern über diesen tierhalterischen Wissens-

für eine wirtschaftliche Schweinehal-

sind ihm auf Gnade und Ungnade aus-

und Erfahrungsschatz hinweg. Die zu-

tung unerlässlich. «Sind die Tiere einmal

geliefert. Er hat daher auch die Verpflich-

vor als gesundheitsfördernd propagierte

an den Aufenthalt im Freien gewöhnt, so

tung, nach bestem Willen für ihr Wohler-

Freilandhaltung wurde jetzt verteufelt,

scheut man sich nicht, sie auch im Winter

gehen zu sorgen.»

die Ausläufe wurden verschlossen und

ins Freie zu lassen, sorgt aber für warme

In den 1950er-Jahren waren Offen-

die Nutztiere in Ställe auf immer weni-

Stallungen, in die sie sich jederzeit zu-

ställe für Kühe Mode geworden. Zum

ger Raum gepfercht. Als Mittel der Wahl

rückziehen können», schrieb er den Bau-

Tränken kamen die meisten Rinder auch

für die Sanierung von Schweinepopulati-

14

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


onen kam anstelle der Freilandhüttenhal-

gen realisiert. Seit 1960 verdoppelten sich

lastet, dass ihr Ökosystem praktisch zu-

tung das SPF-Verfahren (specific patho-

die Kartoffelerträge pro Hektar auf 400

sammenbrach. Die notwendige Sanierung

gen free) in Mode: Hochträchtige Sauen

Tonnen, die Weizenerträge verdreifachten

verschlang enorme Steuermittel, ebenso

wurden mittels Kaiserschnitt entbunden

sich auf 7,6 Tonnen. Innert weniger Jahr-

das Verwerten der Milchüberschusspro-

und die Ferkel in möglichst keimfreier

zehnte stieg die durchschnittliche Leis-

duktion. Seither sind die Tierzahlen wie-

Umgebung aufgezogen. Die Firma Ovo-

tung je Kuh von 4000 auf fast 8000 Liter

der gesunken auf heute 1,6 Millionen

maltine führte für ihre Eierproduktion

je Jahr. Wie den Masthühnern und Truten,

Tiere der Rinder- und 1,6 Millionen der

schon früh die in den USA entwickelten,

so wurde auch dem Schwein immer mehr

Schweinegattung.

als letzter Schrei geltenden Käfigbatterien

Fleisch angezüchtet, sodass heute 57 %

Agrowissenschaft, Beratung und Bau-

ein. Diese begannen sich ab den 1960er-

des Schlachtkörpers sogenannte «edle»,

ern waren und sind extrem erfolgreich bei

Jahren bei «modernen» Geflügelwirten

das heisst verwertbare Fleischstücke sind

der Bereitstellung von Nahrungsmitteln.

immer mehr durchzusetzen, obwohl sol-

und dieser zwei Rippen mehr aufweist.

Durch Rationalisierung (z. B. Spezialisie-

che Ställe in der Anschaffung um ein

Zwischen 1950 und 1980 verzweiein-

rung auf einen Betriebszweig wie etwa

Mehrfaches teurer waren als die früheren

halbfachte sich der Schweinebestand in

Rindermast, Milchvieh oder Legehen-

tierfreundlichen Freilandhaltungsformen.

der Schweiz auf 2,2 Millionen Tiere, und

nen; Einführung von platz- und arbeits-

Dafür wurde Zeit gespart, und mit glei-

der Kuh- und Rinderbestand stieg in die-

sparenden Haltungsformen), Mechanisie-

chem Arbeitsaufwand konnte ein Vielfa-

sem Zeitraum um einen Drittel auf über

rung und Intensivierung (z. B. Fortschritte

ches von Hühnern «betreut» werden.

2 Millionen Tiere. Damit wurde bei den

in der Futtererzeugung und Fütterung so-

Mit dem Aufkommen der Käfigbatte-

beiden bis heute wirtschaftlich wichtigs-

wie Einführung der einseitigen Leistungs-

rien etablierte sich auch die Hybridzucht

ten Tierarten schweizweit zahlenmässig

zucht) konnten die Erzeugungskosten für

bei Hühnern. Bislang wurden die Hennen

ein Allzeithoch erreicht. Entsprechend

tierische Produkte extrem gesenkt wer-

zum Eierlegen genutzt, und die Männchen

viel Gülle fiel aber auch an. Die ökologi-

den. Dank des technisch-wissenschaft-

drei bis vier Monate lang gemästet. Das

schen und wirtschaftlichen Folgen dieses

lichen Fortschritts in der Landwirtschaft

neue Zuchtverfahren beendete die rund

übermässigen Wachstums liessen nicht

können heute pro Hektar Ackerfläche 4,5

achttausendjährige

des

lange auf sich warten. Durch damals weit-

Menschen ernährt werden. 1975, als der

Huhns. Fortan setzte man auf spezifische

gehend ungeregeltes und in viehdichten

«Club of Rome»-Bericht Kultstatus hatte,

Mastlinien und mästete deren Männchen

Regionen wie etwa der Zentralschweiz

waren es noch 2,8, und 1950 gar nur

und Weibchen, weil beide viel des begehr-

sehr konzentriertes Ausbringen der Hof-

1,8 Menschen. Sollte die Weltbevölkerung

ten Brust- und Schenkelfleisches ansetz-

dünger wurden einzelne Seen derart be-

weiterhin zunehmen, rechnet man, dass

Zweinutzung

ten, bereits in sechs Wochen schlachtreif waren und weniger Futter pro Kilogramm Zuwachs verbrauchten. Die Legelinien zeichneten sich durch extrem hohe Legeleistung aus. Legte früher ein Zweinutzungshuhn 150 bis 180 Eier, so liefert ein modernes Hybridhuhn 300 Eier jährlich ab. Da die Mast der schmächtigen männlichen Legetiere nicht rentabel ist, werden sie als Eintagsküken getötet. Allein in Europa betrifft dies 500 Millionen Küken. Diese krasse Entwicklung führte dazu, dass das früher sehr teure Geflügelfleisch heute das billigste Fleisch ist und auch die Eierpreise, mindestens, was die Entschädigung der Bauern betrifft, massiv gesunken sind. In den 1930er-Jahren konnte ein Landwirt in der Schweiz vom jährlichen Ertrag des Eierverkaufs von fünf bis sechs Hühnern eine Kuh kaufen, heute bräuchte er dazu gut hundertmal mehr Hühner. Auf den Feldern und in den Ställen wurden unglaubliche Leistungssteigerun-

Mit der extremen genetischen Leistungssteigerung wurde Geflügel zum heute billigsten Fleisch

15


im Jahr 2050 ein Hektar Ackerfläche 5,5

men auf den Weiden tummeln und erhiel-

näre zynisch, den Schweinen würde es an

bis 6 Menschen ernähren muss.

ten Mastschweine regelmässigen Auslauf

nichts fehlen, schliesslich wüchsen sie ja und setzten fleissig Fleisch an.

Von der Übernahme ausländischer

ins Freie, wurden sie ab den 1960er-Jah-

Ideen zur Nutztierhaltung und der in die

ren komplett eingesperrt. An einem eng

Die einst mit Recht stolzen Schwei-

Wege geleiteten Ablösung der bäuerli-

gezurrten Riemen um die Brust ange-

zer Viehzüchter verloren ihre Verbunden-

chen Tierhaltung durch industrielle Tier-

bunden oder lebenslänglich in einen Kä-

heit mit den Kühen und liessen sich in

produktionsformen profitierten in der

fig aus Eisenrohren gesteckt, dem soge-

jener Zeit von den angeblichen Vorzü-

Schweiz zwischen 1965 und 1985 primär

nannten Kastenstadn, in dem sich das

gen der dauernden Anbinde- und Stall-

Metzger, Detailhandel und Konsumen-

Tier nicht einmal drehen konnte, so stellte

haltung, extrem kurzen Lägern und dem

ten. Was früher wenigen Reichen vorbe-

sich die brutale Realität für Generationen

elektrischen Kuhtrainer überzeugen. Sie

halten war, wurde in kurzer Zeit – weil

von Muttersauen dar! Ihren Kindern, den

beerdigten ihre eigenen Vorstellungen

nun für jedermann erschwinglich – zu

Mastschweinen, erging es nicht besser.

von Tierzucht und deren Zielen und be-

einer Selbstverständlichkeit: unser täg-

Kurz nach der Geburt wurden ihnen rou-

gannen, mehr und mehr Genetik zu im-

lich Fleisch. Doch während die Tierhal-

tinemässig die Eckzähnchen herausge-

portieren. Das ursprüngliche Freiburger

tung boomte und Milchprodukte, Fleisch

brochen und der Schwanz abgeschnitten,

Schwarzfleckvieh verschwand vollstän-

und Eier immer billiger wurden, bezahl-

die männlichen Tiere wurden kastriert

dig. Die auf Zweinutzung gezüchteten

ten die Nutztiere die Zeche. Denn die von

– alles ohne Schmerzausschaltung! In

«Original»-Simmentaler- und Braunvieh-

Wissenschaft und Beratung propagierten

Zehnergruppen vegetierten sie in dunk-

kühe stellen heute kleine Minderheiten

platz- und arbeitssparenden Haltungsfor-

len Ställen ohne Einstreu, auf vollperfo-

dar; durchgesetzt haben sich milchbe-

men sowie die einseitige Leistungszucht

rierten Betonböden und in Kot und Harn

tonte US-Holstein- (rot und schwarz) und

blendeten das Wesen und die Biologie der

liegend der Schlachtung entgegen. We-

Brownswiss-Herkünfte. Wie Schweine

Tiere fast vollkommen aus. Deren Bedürf-

nigstens war man damals noch ehrlich:

wurden auch Mastrinder und -munis in

nisse wurden auf Nahrung und Wasser

Vertreter

Vollspaltenbodenbuchten

reduziert, also weniger, als jeder Pflanze

anstalt Sempach bezeichneten in den

gemästet. Auf der Fläche eines durch-

zugestanden werden muss. Selbst das Ta-

1970er-Jahren diese Vollspaltenboden-

schnittlichen Wohnzimmers von 30 Qua-

geslicht wurde den Schweinen und Hüh-

haltung Besuchern gegenüber als «hart»;

dratmetern quetschte man bis zu fünfzehn

nern damals gestrichen!

man wusste also, was man den Tieren an-

der 500 Kilogramm schweren Mastmunis

der

Mastleistungsprüfungs-

platzsparend

Besonders hart traf es die Schweine.

tat. Erst zehn Jahre später, als diese Tier-

zusammen. Kälbchen zog man Maulkörbe

Durften sich Muttersauen in der ersten

quälerei verstärkt in die öffentliche Kritik

an, damit sie ja kein Hälmchen Heu fres-

Hälfte des 20. Jahrhunderts noch zusam-

geriet, behaupteten die Branchenfunktio-

sen konnten und ihr Fleisch blendend weiss wurde. Einzeln vegetierten sie in kleinen Holzverschlägen, aus denen sie erst zur Schlachtung herauskamen. Ein Grossteil der Schweizer Bauern brach in den Jahrzehnten zwischen 1960 und 1980 fast vollständig mit den in der ersten Jahrhunderthälfte fleissig praktizierten Weide-, Freiland- und Auslaufhaltung. Das Tier wurde vielerorts zum reinen Produktionsfaktor, die Mensch-TierBeziehung auf ein Minimum heruntergefahren. Gleichzeitig weigerten sich die meisten Landwirtschaftsverbandsfunktionäre jahrzehntelang, die sich seit Ende der 1970er-Jahre häufenden praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse über die für Tierwohl und -gesundheit negativen Folgen der intensiven Tierproduktion zur Kenntnis zu nehmen und verleugne-

In den Kastenständen konnten sich die Sauen nicht mehr bewegen

16

ten das tierschützerische Gedankengut ihres ersten Bauernsekretärs völlig.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


4. Tierschutzgesetz 4.1 Entwicklung Tierschutzgesetzgebung von 1981 bis 2011

1985 Die Tierschutzorganisationen the-

fassung aufgenommen. Seit 2008 findet

Anders als im Ausland, wo selbst in der

matisieren zunehmend die tierschützeri-

sich diese auch im Tierschutzgesetz.

EU die intensive Tierproduktion bis heute

schen Defizite der Tierschutzverordnung.

politisch nicht ernsthaft in Frage gestellt

Mittels Petitionen und parlamentarischen

1990 Der Bundesrat ergänzt die Tier-

wird und der Nutztierschutz einen ex-

Vorstössen wird der Bund zum Handeln

schutzverordnung um Vorschriften zum

trem schweren Stand hat, rief der tier-

aufgefordert. Bemängelt werden Lücken,

Schutz von Kaninchen.

quälerische Umgang mit Nutztieren in

unbestimmte Rechtsbegriffe und ungenü-

der Schweiz bereits früh starke und wir-

gende qualitative Vorgaben zur Tierhal-

1991 Die zehnjährige Übergangsfrist für

kungsvolle Gegenkräfte auf den Plan.

tung. Ein weiteres Dauerthema stellt der

die Umsetzung der Tierschutzvorschriften

Tierschützer wehrten sich zusammen mit

Vollzug dar. Stark kritisiert werden lasche

läuft ab. Mit Abstand am konsequentes-

verantwortungsbewussten Bauern und

oder gar inexistente Kontrollen in gewis-

ten haben die Legehennenhalter die neuen

Konsumenten für einen umfassenden ge-

sen Kantonen, die mangelhafte Oberauf-

Vorschriften umgesetzt. Sämtliche Käfig-

setzlichen Schutz der Nutztiere.

sicht des BVET sowie die Überbetonung

batterien sind vor Ablauf der Frist ver-

jährige Anpassungsfrist gewährt.

habe. 1992 wird die STS-Forderung nach der Würde der Kreatur in die Bundesver-

des «Zentimetertierschutzes» der Behör-

schrottet worden. Als tierfreundliche und

1981 Die eidgenössische Tierschutzge-

den auf Kosten des qualitativen Tier-

wirtschaftliche neue Haltungsform setzt

setzgebung tritt in Kraft. Wegen des Kä-

schutzes wie etwa Beleuchtung, Bewe-

sich die an der ETH Zürich entwickelte

figbatterieverbots für Hühner und der

gung oder Beschäftigung von Tieren.

Volierenhaltung durch. Diese gilt heute europaweit als die Alternative zur Käfig-

umfassenden Haltungsregelung (Nutz-, Heim-, Wild- und Versuchstiere) sorgt sie

1988 Eine STS-Postkartenaktion an den

haltung, indem sie den Hühnern Einstreu

für internationale Aufmerksamkeit und

Bundesrat führt zu einem Verbot von

zum Picken, Scharren und Staubbaden,

stellt auch heute noch – nach einer um-

Schildkrötenprodukten in der Schweiz.

geschützte Nester zum Eierlegen und erhöhte Ruhe- und Rückzugsorte anbietet.

fassenden Überarbeitung 2008 – das weltweit fortschrittlichste Tierschutzgesetzes-

1989 Der STS veranstaltet in Basel ersten

werk dar. Um die wirtschaftlichen Kon-

internationalen Kongress gegen Gentech-

1993/1994 Als Konsequenz der perma-

sequenzen abzufedern, wird bestehenden

nik an Tieren. Er fordert, dass die Tierzucht

nenten Kritik am Tierschutzvollzug befas-

nonkonformen Tierhaltungen eine zehn-

die Würde der Kreatur zu gewährleisten

sen sich die Geschäftsprüfungskommissi-

17


onen von National- und Ständerat ver-

tion. Diese Forderungen werden im Rah-

gangsfrist für bestehende Stallungen be-

tieft mit der Tierschutzgesetzgebung und

men der Revision der Tierschutzgesetzge-

trägt zwischen fünf und zehn Jahre.

hören dabei auch Vertreter des STS an.

bung von 2003 bis 2008 vom Bund erfüllt.

Die sachlichen Vorwürfe des Tierschut-

1997 Nachdem der Vorschlag für ein

1999 Das veränderte Mensch-Tier-Ver-

zes werden zu erheblichen Teilen bestä-

überarbeitetes Tierschutzgesetz in der

hältnis führt zur Lancierung der Volks-

tigt und die GPK mahnt eine Revision von

Vernehmlassung vonseiten der Tierhal-

initiative «Tier keine Sache» von STS,

Gesetz und Verordnung an.

ter und des Tierschutzes stark kritisiert

Schweizerischer Kynologischer Gesell-

wurde, stoppt der Bundesrat das Revi-

schaft (SKG) und Schweizer Tierärzteschaft

1996 Der STS lanciert eine Petition für

sionsprojekt und setzt stattdessen eine

(GST). Nachdem das Parlament die Gesetz-

konkrete Tierschutzvorschriften auch für

überarbeitete Tierschutzverordnung in

gebung aufgrund einer parlamentarischen

Pferde, Ziegen und Schafe, welche bis-

Kraft. Diese bringt insbesondere für die

Initiative von Ständerat Dick Marty ent-

lang nicht in der Tierschutzverordnung

Nutztiere Verbesserungen, so etwa die

sprechend angepasst hat, kann die Initia-

erwähnt sind («Vergessene Tiere»). Danach

Gruppenhaltung für Kälber (Ausnahme:

tive im Jahr 2000 zurückgezogen werden.

folgen zwei weitere Petitionen zur Rege-

Einzeligluhaltung) sowie ein Verbot der

lung von Extremzuchten sowie für ein

Vollspaltenböden und der Anbinde- und

2000 Neue Erkenntnisse der Veterinär-

Verbot der betäubungslosen Ferkelkastra-

Kastenstandhaltung für Sauen. Die Über-

medizin, Ethologie und Rechtswissen-

Der Weg zum Tierschutzgesetz

1973 Der Durchbruch: Volk und Stände

Spielfilm «De Grotzepuur». Dieser wird

heissen den neuen Tierschutzartikel in

vom STS mitfinanziert und zeigt erstmals

der Bundesverfassung mit überragender

einem breiten und geschockten Kinopub-

1961 Der STS startet eine Petition für ein

Mehrheit gut: 1 041 282 Ja zu 198 866

likum Hühnerbatterien, angebunde Mast-

eidgenössisches Tierschutzgesetz und

Nein.

kälber mit Maulkorb und Ferkelkäfige. Damit war das Thema Tierfabriken schweiz-

sucht im Parlament nach Verbündeten.

1974 Bundesrat Ernst Brugger setzt eine

weit in der Öffentlichkeit lanciert und die

1963 Der Bundesrat nimmt die Petition

ausserparlamentarische Kommission zur

Notwendigkeit eines Tierschutzgesetzes

samt einem von STS und beigezogenen

Ausarbeitung eines Tierschutzgesetzes

in breiten Kreisen erkannt.

Fachleuten ausformulierten Gesetzesent-

ein, erneut unter der Leitung von Prof. An-

wurf entgegen. Nationalrat Walter Degen,

dreas Nabholz. Mitglied dieser Kommis-

1977 Prominente Persönlichkeiten wie

Kantonstierarzt Baselland, doppelt mit einer

sion ist auch STS-Geschäftsführer Hans-

beispielsweise Nobelpreisträger Konrad

von 41 Räten unterzeichneten Motion für die

Peter Haering. Nabholz und Haering ma-

Lorenz, Zoodirektor Prof. Heini Hediger

Schaffung eines Tierschutzgesetzes nach.

chen Druck für eine fortschrittliche und

und Publizist und Tierforscher Bernhard

umfassende

Tierschutzgesetzgebung.

Grzimek unterstützen den STS in seinem

1965 Das Buch «Animal Machines» der

Aus diesem gemeinsamen Kampf für ei-

Kampf für ein fortschrittliches Tierschutz-

Engländerin Ruth Harrison erscheint unter

nen gesetzlichen Schutz der Tiere wird

gesetz.

dem Titel «Tiermaschinen» auf Deutsch

sich eine lebenslange enge Freundschaft

und befeuert die Forderung nach einem

entwickeln.

1978 Das Parlament beschliesst das erste

Tierschutzgesetz. Es zeigt eindrücklich und

eidgenössische Tierschutzgesetz. Die

schonungslos die Fehlentwicklung der

«Ligue contre la vivisection» ergreift dage-

landwirtschaftlichen Nutztierhaltung auf.

gen das Referendum, während der STS und die Tierärzteschaft trotz gewissen

1967 Der STS legt den Bericht «Nutztier-

Vorbehalten für das neue Gesetz kämp-

haltung ohne Gesetz» vor, in dem er die

fen. Volk und Stände nehmen dieses im

tierschutzwidrigen Zustände in Schweizer

Dezember mit 78 % Jastimmen an.

Ställen aufzeigt und Druck macht für ein Tierschutzgesetz.

1971 Eine Kommission unter der Leitung

Die zwei treibenden Personen hinter dem Tierschutzgesetz: Prof. Dr. Andreas Nabholz und Hans-Peter Haering

ginnen mit der Arbeit zur Tierschutzverordnung. In dieser sollen die konkreten Ausführungsbestimmungen zum Tier-

des Direktors des Bundesamtes für Veterinärwesen, Prof. Andreas Nabholz, nimmt

1975 Der junge Auslandschweizer Mark

die Arbeit für die Ausarbeitung eines Tier-

M. Rissi dreht mit Schaggi Streuli, Ines To-

schutzverfassungsartikels auf.

relli, Jörg Schneider und Walo Lüönd den

18

1979 Die eidgenössischen Behörden be-

schutzgesetz niedergelegt werden.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


schaften sowie das veränderte MenschTier-Verhältnis zeigen immer deutlicher, dass bezüglich des Tierschutzgesetzes Handlungsbedarf besteht und es mit Verordnungsänderungen allein nicht mehr getan ist. Klare Lücken bestehen etwa bei Heimtieren und der Gentechnologie an Tieren, ebenso bei Extremzuchten, wo zwar grundsätzlich ein Konsens für ein Verbot besteht, den Behörden dazu aber die Abstützung auf einen entsprechenden Passus im Tierschutzgesetz fehlt. Auch die vom Parlament beschlossene veränderte Rechtsstellung der Tiere wirkt in diese Richtung.

2001 Nachdem eine vom Bundesrat eingesetzte ausserparlamentarische Kommission, in der auch Vertreter des Tierschutzes und der Tierärzteschaft Einsitz haben, eine umfassende Revision des mittlerweile zwanzigjährigen Tierschutzgesetzes gefordert hat, schickt der Bundesrat eine Botschaft für ein neues Tierschutzgesetz in die Vernehmlassung. Der STS kritisiert den Vorschlag stark, da der Fokus primär auf der Bildung der Tierhalter liegt und

Ein stetiger Kampf für Verbesserungen beim Tierschutzgesetz – für alle Tiere!

kaum materielle Besserstellungen für die Tiere zugestanden werden. Zudem will der

2002 Der STS lanciert die Volksinitia-

2005 Der STS kann die Volksinitia-

Bundesrat die geltende Betäubungsvor-

tive «Tierschutz – Ja!». Diese enthält ei-

tive «Tierschutz – Ja!» zurückziehen, da

schrift für Säugetiere teilweise aufheben.

nen umfangreichen und detaillierten

Stände- und Nationalrat das Tierschutz-

Diese Vorschrift geht auf eine STS-Volks-

Tierschutzforderungskatalog. Aufgrund

gesetz gegen den Willen des Bundes-

initiative zurück, welche 1893 von Volk

dieser Initiative und massiver Proteste

rats in Teilbereichen nachbesserten. Zu-

und Ständen angenommen worden war.

zieht der Bundesrat den Vorschlag nach

dem verspricht der Bundesrat den Tier-

Aufhebung der generellen Betäubungs-

schutzorganisationen, bei der Revision

pflicht beim Schlachten zurück. Damit ist

der Tierschutzverordnung Lücken zu fül-

die Wiedereinführung des betäubungslo-

len (Schafe, Ziegen, Pferde, Fische) und

sen Schlachtverfahrens, des sogenannten

materielle Verbesserungen zugunsten der

Schächtens, vom Tisch. Das Parlament

Tiere durchzusetzen.

beschliesst, die Beratungen für ein neues Tierschutzgesetz um ein Jahr zu verschie-

2006 Der STS lanciert die Volksinitiative

ben, damit dieses Geschäft parallel zur

«Tierschutzanwalt JA!». Mit rund 140 000

STS-Initiative behandelt werden kann.

beglaubigten Unterschriften reicht er diese im Sommer 2007 ein.

Jetzt ist Zeit für mehr Tierschutz! Unterstützen Sie die Volksinitiative «Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz – JA!)»

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

2003 Der STS reicht die Volksinitiative «Tierschutz – Ja!» mit rund 120 000 Un-

2008 Eine komplett überarbeitete neue

terschriften ein. Das Parlament beginnt

Tierschutzgesetzgebung tritt in Kraft.

mit den Beratungen für ein neues Tier-

Diese sieht unter anderem eine Beschrän-

schutzgesetz. Die Tierschutzorganisatio-

kung der Tiertransportdauer auf sechs

nen werden dabei mehrmals gehört und

Stunden, ein Verbot von Extremzuchten

begleiten den Gesetzgebungsprozess in-

und des Ferkelkastrierens ohne Schmer-

tensiv.

zausschaltung sowie konkrete Vorschrif-

19


4.2 Bewertung des neuen Tierschutzgesetzes (TSchG) Das neue TSchG bringt eine ganze Reihe von Verbesserungen zugunsten der Tiere, beispielsweise: • Verbot

der

Ferkelkastration

ohne

Schmerzausschaltung ab 2010 • Beschränkung von Tiertransporten auf maximal sechs Stunden • Importverbot für Hunde- und Katzenfelle • Vorschriften zur Tierzucht und ein Verbot von Extremzuchten • Förderung der Tierschutzforschung • Schutz der «Tierwürde», inklusive Verbot Sodomie • Neue Vollzugsinstrumente: verbesserte Ausbildung und Information von Tier-

Seit 2010 verboten: Ferkelkastration ohne Schmerzausschaltung

haltern,

Tiertransporteuren

und

Schlachthofpersonal; kantonale Tierschutzfachstellen;

gesamtschweize-

risch gültiges Tierhalteverbot; Zielverten zum Schutz von Ziegen, Schafen und

Vorstoss mit dem Ziel, den Viehexport zu

einbarung und Leistungsaufträge; Ver-

Pferden vor. Diese Nutztiere waren bis-

subventionieren.

längerung Verjährungsfristen.

lang von der Tierschutzgesetzgebung

Der Bundesrat legt dem Parlament

nicht geschützt. Neu ist auch eine ver-

eine Minirevision des Tierschutzgesetzes

Insgesamt ist die Revision aus Sicht des

stärkte Aus- und Weiterbildung sowie In-

vor. So sollen Tierversuche transparenter

Tierschutzes aber wegen der mutlosen

formation der Tierhalter festgeschrieben.

deklariert, der Handel mit Katzen- und

Haltung des Bundesrats und den Tier-

Hundefellen gänzlich verboten, der Ein-

schutzbremsern im Parlament ungenü-

2010 Volk und Stände lehnen die Tier-

satz von «Hilfsmitteln» im Umgang mit

gend ausgefallen. Die Tiere hätten ein

schutzanwalt-Initiative mit 77 % Nein-

Tieren geregelt und vorsätzliche wie fahr-

besseres Gesetz verdient. Nicht verankert

stimmen ab.

lässige Verstösse gegen das Tierschutzge-

werden konnten beispielsweise:

Vier Jahre lang haben Tierschützer,

setz angezeigt werden. 2012 nimmt das

Bauern und Veterinäre gegen den Wankel-

Parlament diese tierschützerischen Nach-

• Verbot schwerbelastender Tierversuche

mut des Bundesrats gekämpft, auf Druck

besserungen an. Zudem beschliesst es ein

und ethisch fragwürdiger Versuchszwe-

der EU Schlachttiertransits durch die

Verbot der Delfinhaltung und hebt das

cke (Kosmetika, Putzmittel, Luxusgüter,

Schweiz führen zu wollen. Jetzt schreibt

Schlachttiertransitverbot auf Gesetzes-

der Bundesrat ein umfassendes Schlacht-

stufe. Verboten wird auch der Hausierer-

• Periodischer Auslauf für alle Nutztiere

tiertransitverbot in der Tierschutzver-

handel mit Hunden.

• Artgerechte Haltung von Wild- und

ordnung fest. Nachdem der STS die völ-

Tabak)

Versuchstieren

lig veralteten Tierschutzvorschriften zur

• Verbot von tierschutzwidrigen Impor-

Schlachtung jahrelang kritisiert hat, setzt

ten respektive Deklaration nach Art der

der Bundesrat eine Departementsverord-

Tierhaltung

nung mit substanziellen tierschutzrelevanten Vorschriften für Schlachttiere in Kraft.

2011 Das Parlament lehnt eine Motion ab, welche das Stacheldrahtverbot für Pferdeweiden in der Tierschutzverordnung abschaffen will, und ebenso einen

20

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


4.3 Bewertung der neuen Tierschutzverordnung (TSchV)

lermeisten, teilweise extrem schmerzhaf-

Mastrinder, müssen weiterhin in kahlen,

ten Eingriffe getroffen wie beispielsweise

engen Buchten ohne Einstreu und ohne

für das Zähneabklemmen und Schwanz-

Auslauf ins Freie leben. Auch für die Kühe

Der Wille des Bundesrats, dem vom Par-

coupieren bei Ferkeln, das Einsetzen von

gab es keine relevanten Verbesserungen.

lament beschlossenen höheren Schutzni-

Nasenringen/-klammern bei Schweinen,

Sie dürfen weiterhin den grössten Teil ih-

veau des Gesetzes, aber auch Erkenntnis-

das Kastrieren von Jungtieren oder das

res Lebens angekettet im Stall gehalten

sen zum Tierwohl aus Wissenschaft und

Schnabel- und Flügelcoupieren beim Ge-

werden, und auch der Kuhtrainer bleibt

Praxis Rechnung zu tragen, ist in der

flügel. Punkto schmerzhafter Eingriffe

in bestehenden Ställen legal.

neuen TSchV sichtbar. Davon können im

sind Schweizer Nutztiere damit weltweit

Vergleich zur Situation vor 2008 gleich

am besten geschützt.

Schluss mit fehlernährten Kälbern?

weise die rund sieben Millionen Heimtiere

Lücken geschlossen

Bessere Zeiten sollen für Mastkälber und

sowie Pferde, Ziegen, Schafe, Truten und

Zu den Glückspilzen der Verordnungs-

Kalbfleischfreunde anbrechen. Der oft

Fische. Diese bisher von der TSchV «ver-

revision zählen Schafe, Ziegen, Truten

mangelnden Gesundheit von Mastkäl-

gessenen» Tierarten erhalten nun kon-

und Pferde. Für sie gab es bislang keine

bern aufgrund ihrer widernatürlichen

krete Schutzbestimmungen.

konkreten und verbindlichen Schutzvor-

Fütterung muss bislang mit häufigen An-

Trotzdem: Die neue Tierschutzge-

schriften, nun hat der Bundesrat welche

tibiotikagaben nachgeholfen werden. Ab

setzgebung ist nicht der grosse Wurf zu-

erlassen. Seit 2010 dürfen die 76 000 Zie-

Herbst 2013 sollen die natürlichen Ab-

gunsten der Nutztiere geworden, wie es

gen und 450 000 Schafe in der Schweiz

wehrkräfte von Kälbern gestärkt werden

etwa seinerzeit das Käfigbatterieverbot

weich auf Einstreu liegen. Dieses wissen-

durch eine artgerechte, rohfaserreichere

für Hühner darstellte. Nachdem Nutztiere

schaftlich belegte Grundbedürfnis aller

Zufütterung mit Heu, Silage oder Gras, die

jahrzehntelang ohne Rücksicht auf ihre

Bauernhoftiere – eine Ausnahme bildet

auch die Eisenversorgung verbessert. Die

Bedürfnisse ausgebeutet wurden, hätte

das Geflügel, welches Einstreu zwar zum

Konsumenten müssen deshalb endgültig

unserer Gesellschaft ein konsequenterer

Picken, Scharren und Staubbaden benö-

Abschied nehmen vom hellen Kalbfleisch,

Schritt zur Wiedergutmachung sehr wohl

tigt, aber seiner Natur gemäss auf erhöh-

haben aber dafür Gewähr, dass das in Zu-

angestanden. Doch einmal mehr walzte

ten Sitzstangen zu ruhen pflegt – gesteht

kunft rosa-rötliche Kalbfleisch von ge-

die Agrarlobby mit einer Antitierschutz-

der Bundesrat unseren Nutztieren aller-

sunden Kälbern stammt und der Antibio-

kampagne solche Überlegungen nieder.

dings nur selektiv zu. Zwei der drei Pech-

tikaeinsatz in der Kälbermast zurückgeht.

vögel der Revision, die Mastschweine und

Schweine können jetzt wenigstens

mehrere Tierarten profitieren. Beispiels-

Wasser für alle Nutztiere Die neue TSchV ist strenger als die bisherige und bringt mit vielen Detailverbesserungen den allermeisten Nutztieren wenigstens etwas Erleichterung. Beispielsweise das Recht auf Wasser für alle. Bislang wurde nämlich jenen Mastschweinen und -kälbern, die mit flüssigen, salzreichen Abfällen aus der Käseerzeugung gefüttert wurden, Wasser vorenthalten – mit gerade bei Kälbern verheerenden Folgen für die Gesundheit und deutlich erhöhter Mortalitätsrate.

Weniger Schmerz Zu begrüssen sind auch die geltend gemachte spezifischere Ausbildung und Information von Tierhaltern, der verbesserte Schutz von im Freien gehaltenen Tieren, die Forderung nach Sozialkontakt und Gruppenhaltung sowie der Schutz vor übermässigem Lärm. Endlich wurde auch eine tierschonende Regelung der al-

Bis 2008 gab es in der Tierschutzverordnung für Schafe gar keine Vorschriften

21


im Sommer etwas aufatmen. Da sie nicht

hochträchtiger Muttertiere ist bislang un-

sowie das im Auftrag des BVET erstellte

schwitzen und sich in den Ställen nicht

befriedigend gelöst. Solche Transporte

erste Audit zum Tierschutzvollzug, das

wie in der freien Natur suhlen können,

sind hierzulande leider zulässig, während

im Sommer 2011 publiziert wurde – auch

litten sie bislang an warmen Tagen un-

die EU in den letzten 10 % der Trächtig-

wenn der STS darin gravierende Untersu-

ter Überhitzung. Neu muss der Tierhalter

keit Ferntransporte verbietet.

chungslücken feststellen musste.

für Abkühlungsmöglichkeiten sorgen. Ein

Ein grosser Erfolg für die Tiere konnte

probates Mittel dazu ist etwa die Schwei-

im Bereich des Schlachtens erzielt wer-

nedusche, welche ein hitzegestresstes Tier

den. Die völlig veralteten Vorschriften

selber mit einem Druck der Rüsselscheibe

wurden im Herbst 2010 endlich dem ak-

auslösen kann.

tuellen Wissensstand angepasst

Tiertransporte und Schlachten

4.4. Vollzug

Der Transport von Nutztieren wird mit

Tierschutzanwalt-Initiative durch Volk

der neuen TSchV verbessert, insbesondere

und Stände im Jahr 2010 den Willen vie-

durch die weltweit einzigartige Beschrän-

ler kantonaler Veterinärämter, den Voll-

kung der Transportzeiten auf maximal

zug zu verbessern. Offensichtlich schei-

sechs Stunden. Allerdings sind auch hier

nen die neuen Vollzugsinstrumente zu

noch ungeklärte Fragen zu lösen. Bei-

wirken. Aber auch der politische Wille

spielsweise fehlt eine klare und verbind-

für adäquate Kontrollen und Sanktionen

liche Definition darüber, ab wann Tiere

scheint stärker geworden zu sein. Posi-

nicht mehr als transportfähig gelten und

tiv vermerken die Tierschützer auch die

daher vor Ort oder im nächstgelegenen

ersten Versuche zu periodischen nationa-

Schlachthof zu erlösen wären, statt vor-

len Tierschutzberichten, die sich im Gang

her noch durch die halbe Schweiz gekarrt

befindenden Arbeiten zu einer Regelung

zu werden. Auch die Frage des Transports

von tierschutzrelevanten Extremzuchten

Der STS spürt trotz klarer Ablehnung der

Weltweit einzigartig: die Transportzeit ist auf maximal sechs Stunden beschränkt

22

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


5. Agrarpolitik 5.1 Entwicklungen von 1951 bis 2011

1979 Die Milchkontingentierung wird

1985 Die negativen ökologischen Fol-

eingeführt, um den Milchüberschüssen

gen der intensiven Tier- und Pflanzen-

1951 Das Parlament verabschiedet ein

Einhalt zu gebieten.

produktion treten immer stärker hervor und werden zunehmend öffentlich kriti-

neues Landwirtschaftsgesetz. Dessen nach den bitteren Erfahrungen in den Welt-

1980 Gründung der Kleinbauernverei-

siert. Als Folge davon lanciert die VKMB

kriegsjahren nachvollziehbaren Ziele: Die

nigung (VKMB). Mit ihr arbeitet der STS

die «Kleinbauerninitiative».

Förderung eines gesunden Bauernstandes

in den kommenden Jahrzehnten immer

und der Nahrungsmittelproduktion, um

wieder zusammen: Für eine bäuerlich ge-

1989 Die Kleinbauerninitiative wird nur

die Versorgung der Bevölkerung auch in

prägte, artgemässe Tierhaltung, gegen

ganz knapp mit 51 % Neinstimmen abge-

Krisenzeiten gewährleisten zu können.

Tierfabriken und gegen den forcierten

lehnt. Dieser unerwartete Achtungserfolg

Strukturwandel («Bauernsterben»), nahm

rüttelt Bundesrat und Behörden auf und

1970 Der wissenschaftlich-technische

doch zwischen 1951 und 2011 die Zahl

hilft mit, die Weichen für eine neue Ag-

Fortschritt, die enormen Kraftfutterim-

an Landwirtschaftsbetrieben von 200 000

rarpolitik zu stellen.

porte, die Einkreuzung mit ausländischen

auf 60 000 ab.

1990 Der STS wendet sich gegen die Gen-

Milchrassen und die daraus resultierenden Leistungssteigerungen von Kühen sowie

1981 Die Tierschutzgesetzgebung wird in

technik an Nutztieren, insbesondere ge-

die staatlich festgelegten Preise und Über-

Kraft gesetzt und in der Tiermast werden

gen die Erzeugung von transgenen Tieren

nahmegarantien für Milch, Fleisch und

Höchstbestände festgelegt. So darf ein

und den Einsatz des gentechnisch verän-

pflanzliche Erzeugnisse führen Jahr für

Landwirt nun beispielsweise nicht mehr

derten Wachstumshormons rBST (Rekom-

Jahr

(«Milch-

als 1000 Schweine oder 12 000 Poulets

binantes bovines Somatotropin) zur Leis-

schwemme», «Butterberge») und teuren

mästen, und Stallneubauten werden nur

tungssteigerung bei Kühen, welches ab

Überschussverwertungsmassnahmen. Dies

mehr bodenbewirtschaftenden Betrieben

1993 in der US-Milchproduktion in gros-

und die Entstehung von gewerblichen

bewilligt. Grossbestände und bodenunab-

sem Stil eingesetzt, in der Schweiz und

Tiermastbetrieben, die im grossen Stil

ängige Gewebebetriebe müssten abgebaut

den europäischen Staaten aber nicht zu-

Vieh mästen («Tierfabriken», «Bahnhof-

werden. Damit versucht die Schweiz früh-

gelassen wird. Er bringt seine Forderung

bauern»), ohne Land und Futter zu besit-

zeitig, der Massentierhaltung einen Riegel

nach einem Verbot von Gentech-Tieren

zen, ruft Opposition in Bauern-, Konsu-

zu schieben.

sowie die Idee, tierfreundliche Formen der

zu

Überproduktionen

menten- und Tierschutzkreisen hervor.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Nutztierhaltung mittels Direktzahlungen

23


stützen. Daneben erhalten die Bauern die Möglichkeit, sich freiwillige Mehrleistungen für Ökologie und Tierwohl (Biolandbau; Ökoflächen wie Hecken, Hochstämme oder extensive Wiesen; Freilandhaltung von Nutztieren) über ökologische Direktzahlungen abgelten zu lassen. Sowohl allgemeine als auch ökologische Direktzahlungen sind an den ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) gebunden, das heisst jeder Bauer, der solche Gelder bezieht, verpflichtet sich zu: • tiergerechter Haltung der Nutztiere • ausgeglichener Düngerbilanz • angemessenem Anteil an ökologischen Ausgleichsflächen • geregelter Fruchtfolge • geeignetem Bodenschutz • Auswahl und gezielter Anwendung von

Höhere Investitionskredite gibt es für besonders tierfreundliche Stallbauten

Pflanzenbehandlungsmitteln Bei der Ausarbeitung des Direktzahlungssystems bringt der STS, unterstützt auch

zu fördern, in die von NGOs wie WWF,

1995 Volk und Stände nehmen einen

vom Schweizerischen Bauernverband,

Pro Natura, VKMB und KAGfreiland so-

neuen Landwirtschaftsartikel in der Bun-

das Anliegen ein, besonders tierfreundli-

wie den politischen Parteien SP und LdU

desverfassung an, der das heutige Direkt-

che Ställe (BTS) und den regelmässigen

lancierte «Bauern- und Konsumenten-In-

zahlungssystem festschreibt und mehr

Auslauf (RAUS) speziell zu fördern. Diese

itiative» ein.

ökologische und tierschützerische Leis-

Förderprogramme führen in der Folge

tungen fordert. Mit diesem grossen Er-

zusammen mit der Nachfrage der Kon-

1992 Einreichung der «Bauern- und Kon-

folg können STS, Umweltschutzorgani-

sumenten nach tierfreundlichen Produk-

sumenten-Initiative». Sie verlangt eine

sationen und Kleinbauernvereinigung

ten (Labelprogramme) dazu, dass immer

neue Agrarpolitik mit der Einführung von

die Bauern- und Konsumenten-Initiative

mehr Nutztiere Auslauf und Weidegang

allgemeinen und ökologischen Direktzah-

zurückziehen.

erhalten.

lungen.

Damit hat die alte Agrarpolitik ausgedient. Die Preise für Milch, Fleisch,

1998 Der Bundesrat beschliesst im Rah-

1993 Der STS erstellt einen Hinter-

Eier und pflanzliche Erzeugnisse wer-

men der Strukturverbesserungsmassnah-

grundbericht zur verbreiteten Verabrei-

den in Zukunft nicht mehr vom Staat

men für die Landwirtschaft, an besonders

chung von jährlich zehntausenden von

garantiert, sondern dem Markt überlas-

tierfreundliche Stallneubauten 20 % hö-

Tonnen antimikrobieller Leistungsförde-

sen. Die Marktkräfte Angebot und Nach-

here Investitionskredite als für konventi-

rer (AML), vornehmlich in der Aufzucht

frage sowie die Marktmacht spielen nun

onelle auszurichten. Er kommt damit der

sowie der Mast von Rindern und Schwei-

und lassen die Produzentenpreise schon

STS-Forderung, Investitionskredite nur

nen. Die Hauptkritik: Schlechte Haltungs-

bald teilweise empfindlich zurückgehen.

mehr für BTS/RAUS-konforme Stallbau-

bedingungen können mit diesen «Fütte-

So erhielt ein Bauer 1993 für einen Li-

ten zu sprechen, ein Stück weit entgegen.

rungsantibiotika» übertüncht und Resis-

ter Milch noch 1,08 Franken, heute, nach

Die

tenzen gefördert werden. Nachdem die

Aufhebung der Milchkontingentierung,

wird auf 1999 in Kraft gesetzt. Von den

relevanten Labelprogramme den Ein-

nur noch knapp 60 Rappen!

unterstützten Stallplätzen werden in den

Strukturverbesserungsverordnung

satz von AML bereits ausschliessen, for-

Im Gegenzug werden die früheren

dert der STS nun ein landesweites Verbot,

riesigen Marktagrarsubventionen im In-

analog dem in den 1980er-Jahren in der

land und beim Export schrittweise abge-

Schweiz und später auch in der EU erlas-

baut, um mit einem Teil der so frei wer-

1999 Die Agrarpolitik stellt nebst der

senen Verbot zum Einsatz von Hormonen

denden Gelder die Bauern in Form von

Multifunktionalität der Landwirtschaft

in der Tiermast.

allgemeinen Direktzahlungen zu unter-

(naturnahe, tierfreundliche Lebensmit-

24

letzten Jahren über 90 % als BTS-Ställe gebaut.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


telerzeugung; Sorge um die natürlichen Lebensgrundlagen wie Luft, Böden und Wasser) neu die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (Abbau des früheren Grenzschutzes und vermehrte Importkonkurrenz) ins Zentrum. Diese Zusatzaufgabe wird in der Folge die notwendige Ökologisierung der Landwirtschaft stark behindern. Der Bundesrat erlässt ein AML-Verbot. Damit ist die Schweiz nach Schweden, welches bereits zehn Jahre zuvor den Einsatz von Fütterungsantibiotika verboten hat, weltweit das zweite Land, welches dem AML-Einsatz einen Riegel schiebt. Die EU wird erst 2009 mit einem Verbot nachziehen.

2001 Der STS erreicht, dass Direktzahlungen zur Förderung des regelmässigen Auslaufs von Nutztieren (RAUS-Beiträge) inskünftig nicht mehr für Turbomasthüh-

Gegen neue Tierhöchstbestände: Abgabe der Petition – und Ziel erreicht

nerrassen ausgerichtet, sondern an eine Mindestmastdauer gebunden werden; zu-

techfrei-Initiative der Schweizerischen

2009 Die Milchkontingentierung wird

dem wird die Beitragshöhe für Freiland-

Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) an,

aufgehoben. Der STS hat im Vorfeld vehe-

masthühnerhaltungen erhöht.

deren Mitträger der STS ist. Die Landwirt-

ment davor gewarnt mit dem Argument,

schaft wird auf ein Gentech-Moratorium

dass die Kühe nun zu noch mehr Leis-

verpflichtet (Anbau, Futtermittel).

tung gezwungen würden und der Kraft-

2003 Der Bundesrat setzt die Verordnung

futtereinsatz anstiege. In der Folge fällt

über die Deklaration für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus in der Schweiz verbo-

2006 Der STS deckt das Ansinnen des

der bäuerliche Milchpreis auf knapp 60

tener Produktion in Kraft. Deklariert wer-

Bundesrats auf, anlässlich der Revision

Rappen. Es wird viel zu viel konventio-

den müssen unter anderem importierte

der eidgenössischen Verordnung über

nelle Milch produziert und immer mehr

Käfigbatterieeier oder Fleisch von Tieren,

die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren

importiertes Kraftfutter eingesetzt.

die AML oder Hormone zur Leistungsstei-

und Tierprodukten (EDAV) neu Schlacht-

Der STS erreicht eine Erhöhung der

gerung erhalten, seit 2012 auch Import-

tiertransits zuzulassen. In der Folge wer-

Beiträge zur Förderung von besonders

fleisch von Kaninchen in Käfigbatterien.

den sieben Standes- und eine parlamen-

tierfreundlichen Gruppenkaninchenhal-

Das Gentechnikgesetz tritt in Kraft

tarische Initiative eingereicht, sodass der

tungen.

und verbietet den Einsatz gentechnisch

Bundesrat nicht umhinkommt, 2010 ein

veränderter Nutztiere in der Landwirt-

Transitverbot für alle Schlachttiere in der

2010 Das Ansinnen des Bundesrats, im

schaft. Gentechnisch veränderte Wir-

Tierschutzverordnung festzuschreiben.

Agrarbereich ein umfassendes Freihan-

beltiere dürfen nur für Zwecke der For-

delsabkommen mit der EU abzuschlies-

schung, Therapie und Diagnostik an Men-

2008 Der STS startet die Kampagne «Weg

sen, wird unterschiedlich aufgenommen.

schen oder Tieren erzeugt und in Verkehr

mit dem Stacheldraht». Alle grossen Zau-

Das Spektrum reicht von vorbehaltloser

gebracht werden.

nanbieter verpflichten sich, auf den Ver-

Zustimmung seitens des Handels und der

kauf dieses Produkts für Weidezäune zu

Importeure über ein «Ja, aber» der Agrar-

2005 Zusammen mit der Kleinbauern-

verzichten.

STS-Weidezaunbro-

allianz bis zur Ablehnung durch die meis-

vereinigung reicht der STS eine Peti-

schüre wird breit an Tierhalter verteilt. In

ten bäuerlichen Organisationen. Um sich

tion gegen Tierfabriken mit 90 000 Un-

der Folge verbieten viele Schweizer Ge-

eine eigene Meinung bilden zu können,

terschriften ein. Als Konsequenz hält das

meinden dieses tierschutzwidrige Zaun-

recherchiert der STS die Tierhaltungsbe-

Parlament an den Höchsttierbestandes-

system, und der STS unterstützt Aktionen

dingungen in der EU und stellt sie den

vorschriften fest.

zum Ersatz von Stacheldraht auf Weiden.

schweizerischen Gegebenheiten gegen-

Volk und Stände nehmen die Gen-

Eine

über. Er kommt dabei zum Schluss, dass

25


aus Tierschutzsicht ein Freihandelsab-

sequentere und verstärkte Förderung des

litt indessen durch bekannt gewordene

kommen mit der EU abzulehnen ist, weil

Tierwohls, eine bessere Deklaration von

Mängel bei den Kontrollen und Sanktio-

dadurch unter anderem zunehmend Pro-

Produkten aus verbotenen Produktionsme-

nen. Ein erheblicher Teil der Tierhaltungs-

dukte aus Tierfabriken importiert und die

thoden, die Beibehaltung der Höchsttierbe-

kontrollen wird angemeldet durchgeführt,

einheimischen

standesregelung, die Abschaffung von

sodass der qualitative Tierschutz oft nicht

Tierwohlanstrengungen

Subventionen für öffentliche Viehmärkte

korrekt beurteilt werden kann und tier-

Die Agrarallianz und der STS setzen

und die Auflage, dass Investitionskredite

schutzwidrige Bauern bevorteilt werden.

sich für eine konsequente Qualitätsstrate-

und andere Strukturverbesserungsmass-

Dies, obwohl der ÖLN klipp und klar eine

gie ein, sowohl in der Agrarpolitik bei der

nahmen nur mehr für tierfreundliche Stall-

tiergerechte Haltung als Bedingung für

Neuausrichtung der Direktzahlungen als

bauprojekte gesprochen werden sollen. Das

den Bezug der Direktzahlungen festlegt.

auch am Markt. Die Schweizer Landwirt-

Parlament wird ab Herbst 2012 das neue

Ein Entscheid des Bundesgerichts im Som-

schaft hat langfristig nur eine Chance mit

Landwirtschaftsgesetz und die Neuausrich-

mer 2011 ermunterte Tierquäler geradezu

einer Qualitätsproduktion, welche sich klar

tung des Direktzahlungssystems beraten

und machte die Steuerzahler zu Betroge-

von der weltweit verfolgten Intensiv(tier)

und beschliessen.

nen. Denn das Bundesgerichtsurteil würde

konkurrenziert würden.

in der Praxis dazu führen, dass ein Land-

produktion abhebt. Mit der zwar noch un-

wirt mit legaler Vollspaltenboden-Schwei-

geführten Ökologisierung und Tierwohl-

5.2 Landwirtschaftsgesetz und Direktzahlungen

förderung sowie einer ständig steigen-

Mit Einführung der Direktzahlungen in

lässigt, dass sie verenden, keinerlei Abzüge

den Anzahl sensibilisierter Konsumenten

den 1990er-Jahren änderte sich die Agrar-

bei den Direktzahlungen zu fürchten hätte.

verfügt die Schweiz dafür über gute Aus-

politik drastisch. Der Systemwechsel war

Mit Recht sehen breite Kreise der Bevölke-

gangsbedingungen.

notwendig und richtig. Die Direktzahlun-

rung darin eine Verschleuderung von Steu-

gen haben die Abkehr von der Planwirt-

ergeldern.

genügend unterstützten, aber doch ein-

nemast, der die Schweine derart vernach-

2011 In der Vernehmlassung zur Agrarpo-

schaft hin zur Marktwirtschaft mit ermög-

Das Direktzahlungssystem wurde we-

litik 2014–2017 (AP 2014–17) bringt der

licht und für erste messbare Resultate bei

gen der extremen Dominanz der allgemei-

Bundesrat einen Vorschlag für eine kom-

der notwendigen Ökologisierung und Tier-

nen Direktzahlungen von 80 % der Ge-

plette Neugestaltung des Direktzahlungs-

wohlförderung gesorgt. Der ÖLN als Be-

samtsumme von breiten Kreisen ausser-

systems. Die allgemeinen tierhaltungsbezo-

dingung zur Erhaltung von Direktzahlun-

halb der Landwirtschaft hinterfragt. Die

genen Direktzahlungen sollen komplett ge-

gen war und ist sinnvoll.

gewandelten Bedürfnisse und Erwartun-

strichen werden. Der STS fordert eine kon-

Das Vertrauen in die Direktzahlungen

gen der Steuerzahler und Konsumenten, die gemachten Erfahrungen mit dem bisherigen System und neue Erkenntnisse legen nahe, die allgemeinen Direktzahlungen in Zukunft weniger und die ökologischen (Mehr-)Leistungen in Zukunft stärker zu gewichten. Auch die OECD hat im Herbst 2007 kritisiert, dass nur ein relativ kleiner Teil der über 2,5 Milliarden Franken jährlich ausgeschütteten Direktzahlungen für Konsumenteninteressen wie den Tier- und Umweltschutz und den Biolandbau eingesetzt würden. Die Untersuchungen der Agrarplattform in den Jahren 2005 bis 2007 erbrachten zudem Indizien dafür, dass diverse ökologische Direktzahlungen, insbesondere auch bei den BTS/ RAUS-Förderprogrammen, den Mehraufwand der beteiligten Landwirte nicht annähernd abdecken. Als Konsequenz nach 15 Jahren sol-

Unangemeldete Kontrollen wären wichtig für glaubwürdige Direktzahlungen

26

len mit AP 2014–17 die Direktzahlungen zwar weitergeführt, aber leistungsbezogener ausgeschüttet werden.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


5.3 Tierwohlförderung

lassen sich überhaupt keine Tierwohlla-

die Wahl entsprechender Rassen, welche

Die Agrarpolitik versucht, das Tierwohl

bels schaffen, mit denen sich eine bessere

langsamer wachsen und weniger Fleisch

primär durch zwei Anreizmassnahmen zu

Tierhaltung via Markt und Konsumen-

ansetzen, die Einnahmen vermindert.

fördern: Bei Stallneubauten über 20 %

tennachfrage fördern liesse. Das gilt etwa

BTS/RAUS haben zu nachweislichen

höhere Investitionskredite für besonders

für alle Jung- und Aufzuchttiere, Mutter-

Verbesserungen des Tierwohls und der

tierfreundliche Ställe (BTS), beispiels-

sauen, Ziegen, Schafe und Pferde.

Tiergesundheit geführt, wie dies beispiels-

weise Freilaufställe für Kühe, sowie

Deshalb führte der Bund mit dem Di-

weise Untersuchungen von BVET und

jährliche Direktzahlungen für Bauern, die

rektzahlungssystem Mitte der 1990er-

BLW an Milchkühen oder Mastschwei-

sich verpflichten, die Vorschriften der

Jahre Förderprogramme für besonders

nen zeigen. Die grössten Effekte bezüg-

Tierwohlprogramme Regelmässiger Aus-

tierfreundliche Haltungsformen ein. In

lich Tierwohl und Tiergesundheit wurden

lauf ins Freie (RAUS) und Besonders tier-

Ergänzung zu den beschränkten Möglich-

stets auf jenen Betrieben gemessen, wel-

freundliche Stallhaltung (BTS) einzu-

keiten des Marktes sollten sich Landwirte

che BTS und RAUS kombinieren. Die qua-

halten.

auf freiwilliger Basis an staatlichen Pro-

litativen Vorgaben der BTS- und RAUS-

Die Grundidee der ökologischen und

grammen zur Tierwohlförderung beteili-

Vorschriften haben sich grösstenteils be-

der Tierwohldirektzahlungen – Förderung

gen. Nach übereinstimmender Meinung

währt und gewährleisten ein akzeptables

konkreter und gesellschaftlich erwünsch-

von Behörden, Bauern und Tierschützern

Tierwohl.

ter Leistungen mittels Beiträgen – hat sich

wirken BTS und RAUS zielgenau durch

Die Vorgaben verbessern in Teilberei-

auch bei BTS und RAUS als richtig erwie-

konkrete und nachweisbare Tierwohl-

chen auch die Produktequalität, die Le-

sen. Hier wurde tatsächlich bei mehreren

mehrleistungen, spezifiziert für jede der

bensmittelsicherheit

der geförderten Tierkategorien etwas aus-

rund zwei Dutzend auf Schweizer Bau-

schweinehaltungen weisen deutlich we-

gelöst und somit Gesundheit und Wohlbe-

ernhöfen gehaltenen Tierkategorien. Tier-

niger antibiotikaresistente Keime auf)

finden der Tiere verbessert.

freundliche Haltungsformen kosten mehr

und die Tiergesundheit (z. B. weniger

(BTS/RAUS-Mast-

Das Tierwohl stellt nur teilweise eine

als lediglich gesetzeskonforme. Sie ver-

Hautschäden bei BTS/RAUS-Kühen und

marktfähige Leistung dar, die über das

ursachen Mehrarbeit, erfordern zusätzli-

-Schweinen; tiefere Mortalitätsrate bei

Schaffen von Labels und entsprechen-

che Infrastruktur (Ausläufe, verhaltens-

Freilandpoulets). Die mit RAUS geförderte

der Konsumentennachfrage abgegolten

gerechte Einrichtungen) und Unterhalts-

Weidehaltung von Rindern, Kühen, Zie-

werden kann. Für viele der in der Land-

kosten (Einstreu zum Liegen statt kahle,

gen und Schafen verringert die Ammoni-

wirtschaft genutzten rund 25 Tierkatego-

harte Betonböden). Gleichzeitig wer-

akemissionen und den CO2-Ausstoss.

rien gibt es denn auch keine, respektive

den wie etwa bei Freilandpoulets durch

Indem sie einen Teil dieses Mehraufwands abdecken, bieten BTS- und RAUSBeiträge den Bauern einen gewissen An-

Entwicklung Tierwohl-Förderprogramme BTS und RAUS 1996 bis 2009

reiz, die gesellschaftlich erwünschte Mehrleistung für das Tierwohl zu erbrin-

CHF 180 161 CHF 160

163

153

gen. Ideale Voraussetzungen sind dabei motivierte Tierhalter, deren Betriebe gute bauliche Voraussetzungen für BTS/

144

RAUS aufweisen (Stallsystem erfordert

CHF 140

nur leichte Anpassungen, oder es ist ein Neu-/Umbau geplant) und die eine Tier-

CHF 120 RAUS Gesamte Beitragssumme/Jahr CHF 100 BTS Gesamte Beitragssumme/Jahr CHF 80 56

CHF 60

47

60

50

kategorie, für deren Produkte ein Label im Detailhandel oder im Gastrokanal existiert, auf BTS/RAUS umstellen wollen. Die allermeisten Betriebe, die sich heute an BTS/RAUS beteiligen, dürften zwei oder gar alle drei dieser Voraussetzungen mitbringen. Für rund die Hälfte der Tierkategorien

CHF 40

lassen sich aber keine Tierwohllabels und entsprechende marktgängige Produkte

CHF 29

schaffen, sodass hier keine Synergien zwischen Markt und BTS/RAUS/Agrarpo-

CHF 0 1996

2004

2006

2008

2009

litik spielen können. Der Umstellungsan-

27


Beteiligung an Tierwohl-Förderprogrammen BTS und RAUS Tierkategorie Milchkühe Rinder > 1 Jahr Stiere > 1 Jahr Weibl. Jungvieh 4-12 Monate Männl. Jungvieh 4-12 Monate Mutterkühe Mast (älter als 4 Monate) Total Rindvieh Ziegen Kaninchen Sauen Mastschweine Total Schweine Legehennen Poulets Pferde Schafe * 2009: Änderung der Kategorien

BTS (% aller GVE) 2004 2006 23 27 29 33 30 36 29 32 11 13 80 84 59 60 30 35 27 30 16 45 55 58 64 64 61 62 78 81 85 88

2008 32 36 38 35 15 85 61 39 32 41 66 64 65 86 88

2009 34 39

*

40 33 30 64 64 64 86 88 13**

*** ** BTS-Pferde 2009 eingeführt

RAUS (% aller GVE) 2004 2006 2008 2009 73 77 79 79 69 73 75 74 51 56 57 60 63 66 28 31 33 * 93 94 95 46 48 50 70 73 76 76 69 72 73 75 4 3 4 3 53 59 66 66 57 60 63 50 57 60 63 50 62 65 69 69 10 9 10 11 83 84 84 84 80 82 84 84 *** Es existiert kein BTS-Programm für Schafe

reiz hängt damit ausschliesslich von der

wichtig bis sehr wichtig. 73 % achten beim

einen weit höheren Stellenwert einräu-

Höhe der BTS/RAUS-Beiträge ab. Kom-

Einkaufen auf Labelfleisch. 65 % finden,

men. Die Anliegen der Befragten haben

men dann noch ungünstige betriebliche

dass Labelfleisch qualitativ besser sei.

einen realen Hintergrund: Millionen von

Voraussetzungen hinzu, sind die aller-

Univox-Umfragereihe zum Thema

Nutztieren können noch nicht von BTS/

meisten der heutigen BTS/RAUS-Ansätze

«Landwirtschaft» der ETH (seit 2009 ist

RAUS-Haltungen profitieren und werden

viel zu tief, um in betriebswirtschaftlicher

das BLW Auftraggeber): Seit 1995 ist das

lediglich gemäss den Mindestvorschriften

Hinsicht einen echten Anreiz darzustel-

Tierwohl stets das wichtigste Anliegen der

der Tierschutzverordnung gehalten. Diese

len. Die seit 2006 feststellbare Stagnation

Befragten. Umfrageergebnis 2009: Betref-

garantieren keine tierfreundliche Hal-

bei der BTS/RAUS-Beteiligung hat ihre

fend Einsatz öffentlicher Gelder in der

tung, sondern legen lediglich die Grenze

Ursache in diesen Gegebenheiten.

Landwirtschaft wird an erster Stelle die

zur Tierquälerei fest.

Unterstützung/Förderung der tierfreund-

Den Konsumenten und Steuerzahlern

5.4 Stellenwert des Tierwohls bei Steuerzahlern und Konsumenten

lichen Haltung genannt. Der Wunsch

geht es zweifellos in erster Linie um die

nach Förderung der tierfreundlichen Hal-

Ethik der Tiernutzung. Darüber hinaus

tung mittels spezifischer Direktzahlungen

spielen aber auch eigennützige Motive

Bei der Frage nach der Förderung des Tier-

hat in den vergangenen Jahren zugenom-

eine Rolle. Dazu gehören insbesondere

wohls sind nebst den fachlichen Grundla-

men. In den Augen der Bevölkerung stellt

der wissenschaftlich erhärtete Zusam-

gen der Tierhaltung und den wirtschaftli-

die artgerechte Tierhaltung die wichtigste

menhang zwischen dem Tierwohl einer-

chen Gegebenheiten die Erwartungen der

Aufgabe der Landwirtschaft dar. Weni-

seits und der Tiergesundheit (Krankhei-

Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Die

ger stark gewichtet werden Landschafts-

ten/Seuchen; Medikamenteneinsatz) so-

Bevölkerung kauft nicht nur die von der

pflege, gesicherte Ernährung in Krisenzei-

wie der Produktequalität und -sicherheit

Landwirtschaft und den nachfolgenden

ten, Pflege der bäuerlichen Lebensweise

andererseits. Als weiteres gewichtiges Ar-

Stufen erzeugten Produkte, über die Steu-

und die Besiedelung abgelegener Gebiete.

gument für mehr Tierwohl ist die positive Wirkung eines geregelten und gepflegten

ern kommt sie überdies für die Direktzahlungen auf. Ohne Konsumenten und Steu-

Steuerzahler ernst nehmen

Weidegangs auf den Klimaschutz und die

erzahler keine Landwirtschaft!

Will die Agrarpolitik die Anliegen der

Verminderung von Ammoniakemissionen

Coop Isopublic-Umfrage (2009): Für

Konsumenten und Steuerzahler ernst neh-

zu nennen.

87 % der Befragten ist der Nutztierschutz

men, muss sie dem Tierwohl in Zukunft

28

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


6. Information, Markt und Konsum 6.1 Entwicklung von 1972 bis 2011

dete MUT-Stiftung (MUT = mensch-, um-

niger Fleischkonsum und den Abbau von

welt- und tiergerecht) in den folgenden

Tierfabriken zugunsten tierfreundlicher

Jahren Dutzende von tierschützerisch bei-

bäuerlicher Betriebe plädiert. Seither ist

1972 KAGfreiland wird unter dem Na-

spielhaften, tierfreundlichen Stallbauvor-

der Fleischkonsum auf 53 Kilogramm ge-

men «Konsumenten-Arbeitsgruppe zur

haben mittels zinsloser Darlehen.

sunken, wovon 12 Kilogramm importiert werden.

Förderung tierfreundlicher und umweltgerechter Nutzung von Haustieren» ge-

1984 Als tierfreundliche Alternative zur

Der STS schafft eine Beratungsstelle

gründet und vermarktet ab 1973 Schwei-

tierschutzwidrigen Produktion von weis-

für artgerechte Nutztierhaltung, die für

zer Freilandeier. 1974 kommt das erste

sem Kalbfleisch unterstützt der STS die

mehr Tierwohl in der Landwirtschaft wer-

KAG-Fleisch auf den Markt. Das ist die

1980 gegründete Vereinigung der Am-

ben soll.

Geburtsstunde von Produkten aus tier-

men- und Mutterkuhhalter und hilft mit,

freundlicher Haltung. Der STS arbeitet in

deren Label «Naturabeef» bekannt zu ma-

1986 Der STS startet zusammen mit der

den folgenden Jahrzehnten eng mit KAG-

chen. Bäuerliche Organisationen und

landwirtschaftlichen Schule Bäregg und

freiland zusammen.

Vertreter des BLW fürchten, dass die auf-

einem Dutzend Emmentaler Bauern ein

kommende Labeltierhaltung die konven-

Praxisprojekt zur Erprobung der Grup-

1976 Aus der Einsicht heraus, dass der

tionelle Produktion diskreditieren könnte

penhaltung von Zucht- und Mastkanin-

Tierschutz nicht nur eine Frage von Vor-

und wechseln scharfe Worte mit den Mut-

chen. Bislang wurden Kaninchen in der

schriften und Gesetzen ist, sondern viel

terkuhpionieren und dem STS. Die ableh-

Regel einzeln in engen Verschlägen oder

mit dem Verhalten der Konsumenten zu

nende Haltung verschiedener Bauernor-

Käfigen gehalten. Das Emmentaler Pro-

tun hat, starten STS und die Zeitschrift

ganisationen und -funktionäre gegenüber

jekt hat Signalwirkung: Heute leben rund

«Annabelle» die Aktion «Herz statt Porte-

Produkten aus tierfreundlicher Haltung

ein Drittel aller Kaninchen in der Schweiz

monnaie». Eier aus Boden- und Freiland-

und entsprechender Aktivitäten bleibt bis

in solchen Gruppenhaltungsställen.

haltung werden speziell gekennzeichnet

über das Jahr 2000 hinaus erhalten.

1987 Der STS und die MUT-Stiftung wol-

und vermarktet, die Betriebe vom STS kontrolliert.

1985 Der Fleischverzehr erreicht mit über

len sich im Detailhandel verstärkt für den

70 Kilogramm pro Kopf in der Schweiz ein

Absatz von Produkten von Tieren aus art-

1980 Der STS und der Zürcher Tierschutz

Allzeithoch. Der STS publiziert die Schrift

gerechter Haltung engagieren. Sie gewin-

unterstützen über die von ihnen gegrün-

«Unser täglich Fleisch», in der er für we-

nen den Konsumverein Zürich (K3000)

29


und die landwirtschaftlichen Genossen-

matischen Gründen galten und gelten die

figverbot konsequent umgesetzt. Mit der

schaftsverbände fenaco zur Zusammen-

Anforderungen für die jeweilige Tierka-

Abschaffung der Käfighaltung greifen

arbeit unter dem Label «Gourmet mit

tegorie. Ein Teil dieser privatwirtschaftli-

Schweizer Konsumenten vermehrt zum

Herz/Agri-Natura». Dass ausgerechnet

chen Tierschutzforderungen fanden spä-

tierfreundlichen Schweizer Ei.

die grösste bäuerliche Genossenschaft mit

ter Eingang in die Landwirtschaftsgesetz-

dem STS zusammenarbeitet und die Zei-

gebung, etwa bei den BTS/RAUS-Förder-

1992 Der STS beginnt, regelmässig In-

chen der Zeit erkennt, bringt der fenaco

programmen 1995 oder dem AML-Verbot

formationsmaterial für Nutztierhalter zu

anfänglich landwirtschaftsintern harsche

1999.

publizieren. Er startet die Veranstaltungs-

Kritik ein. Doch fortschrittliche Kreise ha-

reihe «Nutztiertagung», die sich an Tier-

ben längst realisiert, dass eine wachsende

1988 Der STS startet zusammen mit

schützer, Bauern, Berater, Konsumenten,

Schicht von Konsumenten nicht mehr be-

dem Künstler Tomi Ungerer die Kampa-

Behörden und Wissenschaftler richtet und

reit ist, nur das zu essen, was ihr die Land-

gne «Delikatessen aus der Folterkammer».

in der Folge jährlich mit Themen wie Frei-

wirtschaft vorlegt, sondern vielmehr ei-

Es geht um Qualprodukte wie Stopfleber,

landhaltung, behornte Kühe, Ferkelkast-

gene Wünsche hat, insbesondere, was den

Froschschenkel,

ration, Tiertransporte, Schlachten und

Natur-, Umwelt- und Tierschutz bei der

Haifischflossen oder Hummer. Eine Post-

Erzeugung von Fleisch, Milch und Eiern

kartenaktion an den Bundesrat führt zu

anbelangt.

einem Verbot von Schildkrötenproduk-

1993 Der STS recherchiert Tiertransporte

ten.

und Schlachtbedingungen und stösst auf

Alle siebzig K3000-Filialen werden

Schildkrötenprodukte,

umgestellt und bieten eine breite Palette

Konsum in Erscheinung tritt.

erhebliche Missstände. Nach intensiven

von Eiern aus tierfreundlicher Haltung

1989 Der STS veranstaltet in Basel den

Diskussionen gründet er zusammen mit

und Labelfleisch an. Der STS übernimmt

schweizweit ersten Kongress gegen Gen-

engagierten Branchenvertretern, Wis-

die Kontrolle der rund tausend Herkunfts-

technik an Tieren, an dem der amerika-

senschaftlern und Behörden die Interes-

betriebe. Das Label «Gourmet mit Herz/

nische Autor und Konsumentenschützer

sengemeinschaft für tierschutzkonforme

Agri-Natura» setzt wie die Nachfolgerpro-

Jeremy Rifkin ein flammendes Plädoyer

Tiertransporte und Schlachthöfe (IGTTS).

gramme bei Coop, Migros und den an-

für die tierliche Integrität hält. Der STS

Diese bildet in den kommenden fünf-

deren Detaillisten auf drei Schwerpunkte:

fordert, dass die Tierzucht die Würde der

zehn Jahren über 2000 Chauffeure und

Die tiergerechte Haltung mit mehr Platz,

Kreatur zu gewährleisten habe. 1992 wird

Schlachthofmitarbeiter in massgeschnei-

verhaltensgerechten Strukturen und mög-

diese Forderung in die Bundesverfassung

derten Tierschutzkursen aus.

lichst Auslauf ins Freie, den schonen-

aufgenommen und findet sich heute auch

den Umgang mit den Tieren (Transporte,

im Tierschutzgesetz.

Schlachtung) und ein Verbot des Einsatzes von Fütterungsantibiotika. Aus prag-

1994 Coop zieht bei der Ausarbeitung seines

1991 Die Hühnerhalter haben das Kä-

Labelprogramms

«Naturaplan

Porc» den STS bei und überträgt ihm die Kontrolle der Vertragsbetriebe. Später wird das Label in «Coop Naturafarm» umbenannt. Heute sind Naturafarm/Naturaplan die schweizweit bekanntesten Labels. Dem STS wird die Kontrolle der Programme Naturaplan Porc, Naturaplan Poulet und Naturaplan Kalb übergeben, ebenso die Überwachung der Tiertransporte und Schlachthöfe.

1995 Der STS-Kontrolldienst für artgerechte Nutztierhaltung wird schweizweit als erste Tierschutzüberwachungsstelle vom Bund akkreditiert. Rund zehn Kontrolleure, Landwirte, Agronomen und Veterinäre sind mittlerweile hier angestellt und kontrollieren über tausend Labelbe-

Tomi Ungerer unterstützte die Kampagne gegen «Delikatessen aus der Folterkammer»

30

triebe, wöchentlich mehrere Tiertransporte und über ein Dutzend Schlachthöfe in der Schweiz.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Der STS und die Stiftung für Konsumentenschutz führen unter dem Titel «Boykottlets» einen einwöchigen Fleischboykott durch. Die breite Presseberichterstattung lässt die Fleischverkäufe spürbar sinken. Die Fleischbranche zeigt sich danach offener für tierschützerische Verbesserungen. Der STS erhält Gelegenheit, seine Anliegen sowohl an Vorstandssitzungen als auch an der Delegiertenversammlung des Schweizer Metzgermeisterverbandes vorzustellen. In der Folge unterstützt der Verband die STS-Forderungen bei der Revision der Tierschutzgesetzgebung.

1996 Migros und Coop verpflichten sich, keine Importkäfigeier mehr anzubieten. Coop nimmt Froschschenkel und Stopfleber aus dem Sortiment.

1998 Drei Jahre lang, von 1995 bis 1998,

Mark Rissi und Eric Gysling produzierten die Sendung TIERREPORT, die viel zur Konsumenaufklärung beitrug

strahlt das Schweizer Fernsehen die von Mark M. Rissi produzierte und von Erich

zum Konsum tierischer Produkte anbieten

tieren und Schlachten finden sowie um-

Gysling moderierte Tierschutzsendereihe

und Listen von empfehlenswerten Labels,

setzen.

«Tierreport» aus, die Millionen von Zu-

Restaurants und Bäckereien führen.

Das zweite Detaillisten-Tierschutzrating wird durchgeführt. Trotz aufkom-

schauern erreicht und mehrfach ausgezeichnet wird. In 18 Sendungen steht der

2005

Detaillisten-Tierschutz-

mender «Geiz ist geil»-Stimmung, Bil-

Tierschutz im Mittelpunkt. Nebst Tier-

rating. Mit einer Umfrage will sich der

ligimporten und dem Aufkommen von

schutzproblemen werden stets auch Posi-

STS ein Bild machen von den erbrachten

«Budgetlinien» im Detailhandel haben

tivbeispiele gezeigt, und es wird auf den

«Tierschutzleistungen» der grossen De-

Produkte aus tierfreundlicher Haltung bei

Zusammenhang zwischen Konsumver-

taillisten. Untersucht und bewertet wer-

den beiden Grossverteilern in den vergan-

halten und Tierwohl hingewiesen. Wenig

den der Inlandanteil Fleisch, Eier und

genen zwei Jahren zugelegt. Der STS kann

andere Sendungen lösten ein derartiges

Käse, der Label-/Bioanteil und das An-

den Konsumentinnen und Konsumenten

Echo unter den Zuschauern aus.

gebot an «Delikatessen» wie Stopfleber

ein gutes Zeugnis ausstellen. Für sehr

oder Froschschenkel, welche die Detail-

viele von ihnen ist das Tierwohl offen-

1999 Der STS prangert zusammen mit

listen führen. Den ersten Platz im Rating

sichtlich kein vorübergehender Modegag.

der Stiftung für Konsumentenschutz in

nimmt Coop ein.

Freilandeier und Labelfleisch sind damit

Erstes

dem Nischendasein entwachsen. Bei ein-

einer «Kalbfleischwoche» die Fehlernährung von Mastkälbern zur hellen Kalbflei-

2007 Migros und die IP-Suisse-Bau-

zelnen Detaillisten erreichen sie Markt-

scherzeugung an. Als Konsequenz gibt die

ern erteilen dem STS-Kontrolldienst ein

anteile von teilweise 50 bis 75 %. Der

Metzgerbranche bekannt, die Abzüge für

Mandat zur Überwachung ihrer Labeltier-

schweizweite Umsatz wird auf über 1,5

rosa Kalbfleisch fallen zu lassen.

transporte.

Millarden Franken geschätzt. Coop wird

Der STS gründet ein Kompetenzzen-

erneut

«Tierschutz-Schweizermeister»,

2003 Der STS startet die Aktion «Essen

trum für tierschutzkonforme Tiertrans-

nun aber dicht gefolgt von Migros, die

mit Herz». Ziel ist es, Konsumenten, De-

porte und Schlachthöfe (KTTS). Dieses soll

durch eine Kooperation mit IP-Suisse und

tailhandel und die Gastrobranche von den

auf wissenschaftlicher Basis tierschutzre-

die Übernahme des Labels «TerraSuisse»

Vorteilen von Produkten aus tierfreund-

levante Probleme aufzeigen und zusam-

bei Produkten aus tierfreundlicher Hal-

licher Haltung zu überzeugen. Herz-

men mit interessierten Kreisen aus Wirt-

tung stark aufgeholt hat.

stück der Kampagne sind die Homepages

schaft, Detailhandel, Branchenorganisa-

www.essenmitherz.ch und www.manger

tionen und Behörden Lösungen für tier-

2008 Ein beträchtlicher Teil der Impor-

avecducoeur.ch, welche ein breites Wissen

schutzkonformes, schonendes Transpor-

teier und Importeierprodukte (Flüssigei),

31


und Migros mit den Neuen, Lidl und Aldi, verglichen. Während Coop und Migros weitere Fortschritte bezüglich tierfreundlichen Sortiments aufzeigen können, sind bei Aldi und Lidl mit Ausnahme des Eiersortiments kaum nennenswerte Anstrengungen zu finden. In der Folge sucht der STS mit allen Detaillisten in der Schweiz – darunter Spar, Volg, Aldi und Lidl – das Gespräch, um die Nachfrage nach Produkten aus tierfreundlicher Haltung zu fördern. Coop erteilt dem STS-Kontrolldienst ein Mandat zur Überwachung der Naturafarm-Freilandlegehennenhalter sowie für stichprobenweise Kontrollen der Mutterkuhhalter (Label «Naturabeef»). Im Auftrag von Migros und IP-Suisse startet der STS mit der Kontrolle von Schlacht-

Der STS fordert und fördert die tierfreundliche Kaninchenhaltung

höfen, in denen IP-Tiere mit dem Label «TerraSuisse» aufgeführt werden. Selbst in Gourmetrestaurants kommt oft immer noch Fleisch aus Massentier-

darunter auch Käfigbatterie-Herkünfte,

aus Kaninchenkäfighaltung realisiert hat,

haltung auf den Teller. Das zeigt eine ak-

werden von Bäckereien und Konditoreien

setzt sich der STS für eine Ausdehnung

tuelle STS-Umfrage in der Gastrobran-

nachgefragt. Der STS zeichnet deshalb

der tierfreundlichen Kaninchengruppen

che. Deren Labelfleischumsatz liegt im

Geschäfte, die ausschliesslich auf tier-

haltung im Inland ein.

Vergleich zum Detailhandel tief, je nach Fleischart zwischen 35 und 50 %.

freundliche Schweizer Eier setzen, mit einer Urkunde aus und bewirbt sie auf der

2010 Coop fällt den Entscheid, nur mehr

Alle nennenswerten Eierimporteure

Homepage www.essenmitherz.ch.

inländisches Kaninchenfleisch aus Grup-

verpflichten sich gegenüber dem STS, auf

Während bei den beiden führenden

penhaltung anzubieten und erteilt dem

Käfigeierimporte zu verzichten. Der STS

Grossverteilern der Schweiz Labelfleisch

STS-Kontrolldienst die Aufträge, diese

legt grossen Wert auf diese Vereinbarung,

immer mehr an Bedeutung gewinnt,

BTS-Kaninchenhaltungen

die

da das EU-Käfigbatterieverbot auf 2012

kneift die Gastrobranche weitgehend. Nur

Transporte und das Schlachten zu über-

nicht umgesetzt ist, und die EU auch tier-

wenige Restaurants nehmen auf das Tier-

wachen.

schutzwidrige Alternativen zulässt, wel-

sowie

wohl Rücksicht und kochen mit Produk-

Der STS lanciert einen Wettbewerb

che in der Schweiz verboten sind, wie

ten aus tierfreundlicher Haltung. Zu die-

unter Kochlehrlingen. Nebst Fragen rund

etwa die Kleingruppenhaltung von Hüh-

sem Schluss kommt eine STS-Umfrage bei

um Tierschutz und Nahrungsmittel müs-

nern.

Restaurants aus der ganzen Schweiz.

sen die Kandidaten ein Menü mit Produk-

Der STS lädt die Branche zu einem

ten aus tierfreundlicher Haltung und ein

Kälbergipfel, mit den Zielen, die Kälber-

2009 Der STS startet eine Petition für

vegetarisches Menü einreichen. Diese Re-

haltung und -fütterung zu verbessern und

eine tierfreundliche Beschaffungspoli-

zepte stellen die Basis dar für das tier-

das seiner Meinung nach kontraproduk-

tik bei McDonald’s Schweiz. McDonald’s

freundliche Kochbuch «Essen mit Herz»,

tive «Qualitätskriterium» der Kalbfleisch-

setzt als Folge davon auf Schweizer Frei-

welches der STS 2012 publiziert.

farbe abzuschaffen.

landeier und beim Hamburgerfleisch auf

Zusammen mit dem WWF und der

Der STS zieht eine für 2012 geplante

Kühe mit Auslauf- und Weidehaltung.

Stiftung für Konsumentenschutz nimmt

Geflügelkampagne vor, nachdem proble-

Damit geht das umsatzmässig grösste

der STS die Labels unter die Lupe und be-

matische Zustände bei deutschen Hühner-

Gastrounternehmen des Landes in puncto

teiligt sich am WWF-Labelführer.

und Trutenmästern auffliegen und nachgewiesen wird, dass diese ihre tierschutz-

Tierschutz mit gutem Beispiel voran. Nachdem KAGfreiland tierschutzwid-

2011 Zum dritten Mal nach 2005 und

relevante Billigware auch in die Schweiz

rige Kaninchenfleischimporte aufgedeckt

2007 publiziert der STS ein Detaillisten-

liefern.

und eine Deklaration für Importfleisch

Tierschutzrating. Dieses Mal werden Coop

32

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


6.2 Information und Beratung

fasst mittlerweile auch im Ausland Fuss.

beteiligt sich seit der Gründung der «In-

Schon früh wurde dem Tierschutz klar:

Nach einer gemeinsamen Studienreise

teressengemeinschaft für tierschutzkon-

Eine tierfreundliche Haltung fällt nicht

mit Geflügelfachleuten in Frankreich

forme Tiertransporte und Schlachthöfe»

vom Himmel, und auch sie kann Mensch

Ende der 1980er-Jahre beteiligte sich der

im Jahr 1993 mit eigenen Fachleuten an

und Tier Probleme bereiten – einfach an-

STS am Aufbau der zuvor in der Schweiz

der Tierschutzausbildung von Chauffeu-

dere als eine konventionelle Tierhaltung.

unbekannten Freilandhühnermast mit

ren und Schlachthofmitarbeitern.

Seit anfangs der 1990er-Jahre publiziert

speziellen, langsamer wachsenden Rass-

der STS deshalb Broschüren, unter ande-

etieren.

rem zur Hühner- und Schweinehaltung,

Für viele Praxisprobleme der Label-

zur Tierzucht, zur Vermeidung von Un-

tierhaltung konnte man vor 25 Jahren

6.3 Detailhandel setzt auf Produkte aus tierfreundlicher Haltung

fällen mit Nutztieren oder zum Tierkom-

nicht auf Resultate der Wissenschaft zu-

Als KAGfreiland und Schweizer Tier-

fort, Merkblattserien zu kostengünstigen

rückgreifen, sodass es galt, mit Bauern

schutz STS in den 1970er-Jahren began-

und tierfreundlichen Aufstallungsformen

und Beratern in der Praxis Lösungen zu

nen, Schweizer Boden- und Freilandeier

und Flyer zur Gestaltung von Ausläufen

entwickeln, sei dies zur Gestaltung von

speziell zu bewerben und zu vermarkten,

und Weiden. Rund 500 000 Exemplare

Hühnerweiden, zur Freilandhaltung von

hätte niemand Produkten aus tierfreund-

konnten seither an Interessierte abgege-

Schweinen oder zur Unterbringen von

licher Haltung eine derartige Entwicklung

ben werden.

Jungtieren in Kaltställen. Der STS liess

prophezeit. Anfangs der 1990er-Jahre

Der STS scheute sich nicht, zur Erar-

verschiedene Nutztierthemen wissen-

sagten «Experten» diesen Produkten nicht

beitung von Richtlinien zur tierfreundli-

schaftlich abklären, zum Beispiel die Frei-

mehr als 2 bis 5 % Umsatz voraus, und

chen Haltung sowie zum Transport und

landhaltung von Schweinen, das Auslauf-

die meisten Landwirtschaftsfunktionäre

zur schonenden Schlachtung von Rin-

verhalten von Truten und Masthühnern

waren extrem skeptisch eingestellt. Man-

dern, Schweinen oder Hühnern auch auf

oder die Tierschutzrelevanz von Vollspal-

che landwirtschaftlichen Verbände diffa-

externe Fachleute – Bauern, Tierärzte und

tenbodenhaltung für Mastschweine und

mierten die Tierschutzlabelprogramme,

Wissenschaftler – zurückzugreifen. Darü-

-munis. Im Rahmen der Labelprogramme

obwohl diese tausenden von Landwir-

ber hinaus schuf er eine Beratungsstelle

konnte dieses Wissen umgesetzt werden.

ten eine Existenz bieten, das Image der

für artgerechte Nutztierhaltung. Diese

Die Labeltierhaltung war auch der

Schweizer Bauern und deren Umgang mit

hatte die Aufgabe, Landwirte über tier-

Auslöser für die Suche nach praktikab-

den Tieren generell stark verbessert ha-

freundliche Haltungsformen zu informie-

len Betäubungsmethoden zur Ferkelkast-

ben, Millionen von Konsumenten anspre-

ren und Konsumenten den Zusammen-

ration sowie für Verbesserungen im Tier-

chen und mittlerweile über 2,5 Milliarden

hang zwischen Einkaufsverhalten und

transport und in Schlachthöfen. Der STS

Franken Umsatz jährlich generieren.

Art der Tierhaltung näherzubringen. Aufgrund der Erfahrungen mit dieser Stelle für Heim-, Wild- und Versuchstiere sowie für die tierärztliche Beratung ein und gründete einen Kontrolldienst für artgerechte Nutztierhaltung. Die Labeltierhaltung erforderte teil-

STS-MERK TIERGERECHTE

nannten Aussenklimabereich zur Bereicherung der Geflügelfreilandhaltung. Diese Einrichtung bietet Hühnern die Möglichkeit, auch bei schlechtem Wetter oder im Winter einen geschützten Auslauf aufsuchen zu können, um frische Luft, natürliches Licht und Klima zu geniessen. Dieser «Schlechtwetterauslauf» ist in der Legehennen- und Mastgeflügelhaltung der Schweiz heute Standard und

SCHW EIZER TIERS CHUT Z STS

B L AT T

PFLE GE UND UMGA NG MIT TIERE N / MERK BLAT T B

Suhlen und Dusc

Schweine schwitzen

S T S - M E R K B L AT T

. Manchmal nicht abbrechen n nz muss man eht ein tierfreund guten Bausubsta Kühe im Freien fütter edern. Es entst deställe mit einer Melkhaus angli Bestehende Anbin Fressplatz im Freien und ein ein Freilaufstall. lassen sich auch günstigerTIERGERECHTE tlich schaf UND KOSTENGÜNSTIGE STÄLLE tswirt licher und arbei

nicht – darum suhle

hen von Schweine

n

n sie

S T S - M E R K B L AT T

TKS 1.10

TIERGERECHTE UND KOSTENG

ÜNSTIGE STÄLLE

Tierfreundliche Ställe für die Rindermast

triebsformen. So entwickelte der STS teressierten Hühnerhaltern den soge-

STS-MERK

TKS 1.1

splatzes an Anbau eines Fres hviehstall lc bestehenden Mi

weise völlig neue Aufstallungs- und BeMitte der 1980er-Jahre zusammen mit in-

B L AT T

E STÄLLE UND KOSTENGÜNSTIG

Foto: C. Sciar ra

führte der STS später weitere Fachstellen

Mastkaninchen in Gruppen

Als Beispiel für tierfreundliche und praktische Lösungen in der Rindermast zeigt das Merkblatt Ställe von drei Landwirten im Raum Sempachersee. Diese haben ihre ehemaligen Anbindeställe für Milchkühe in Laufställe für Mastrinder umgebaut; jeder hat eine eigene Lösung gefunden. . Fressplatz separate Alle drei Landwirte halten ihre Tiere gemäss den Richtlinien von Weide-Beef, einem Label der une, rechts der . Links die Sche Migros für die Ochsen- und Rindermast. Der Name kommt daher, dass die Tiere während der VeOsten von Der Hof hatte, seine Kühe der den Mutacht getationszeit täglichder während Stunden auf die Weide dürfen. Weitere Anforderunden ersten,mindestens en Breitengra war einer unser i TGLabels es in gen des sind auf derdass letzten Seite aufgeführt.Er hat im hof in Wäld eugt, Wald dem überz auf bin der Landwirt. füttern. «Ich Roland Werner em ist», sagt Probl im Freien zu baut. kein über umge ü.M. Jahr das ganze von 1000 m of und Fressplatz zu einer Höhe tall mit Laufh mindestens bis ll zu einem Laufs n Anbindesta Jahr 1995 seine

n

Anstatt Kaninchen in Käfigen zu halten, kann man ihren Stall wie ein und Zimmern einrichte Haus mit mehreren Etagen n. Auch so ist eine wirtscha ftliche Mast möglich, wie 1 pioniere zeigen. Schweizer Kaninchen«Das Kaninchen ist ein anspruchsvolles Tier. Je mehr wir von ihm wissen, uns bewusst, wie wenig desto stärker werden wir wir eigentlich wissen», erklärt Felix Näf, was ihn tieren so fasziniert. Schon an den wolligen Hoppelals Kind hat er auf dem Bauernh Mittlerweile hat er aus of um die 200 «Chünge dem früheren Hobby einen l» gehalten. landwirtschaftlichen Betriebs Zukunftschancen aufgeba zweig mit guten ut und arbeitet dabei mit Bauern in der Region zusammen.

Boxen zum Liegen Der deckenlastige Anbindestall von Thomas Bühlmann in Ballwil LU stammt aus dem Jahre 1979 und weist eine sehr gute Bausubstanz auf. Im Jahre 2003 richtete der Landwirt seinen Betrieb neu aus. Er wollte mehr Zeit haben, um einer Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft nachzugehen. Rinder-, Schweine- und Pouletmast standen als Alternativen zur Auswahl. Thomas Bühlmann entschloss sich für die Rindermast, da auf dem Betrieb die Raufutterbasis vorhanden ist. Beim Umbau entfernte der Landwirt den Schwemmkanal und das Läger und ersetzte beide durch einen 2,5 m breiten Kanal mit Spaltenboden. Ein Fangfressgitter ersetzte die alte Anbindevorrichtung, während die Hochkrippe belassen wurde. Auf der einen Seite des zweireihigen Anbindestalles brachte er eine Gruppe von 20 jüngeren, auf der anderen Seite von 18 älteren Tieren unter.

Viele der STS-Merkblätter kann man auf www.tierschutz.com downloaden

halten

Schweine könn en nicht schw itzen lungsmöglichke iten angewiesen . Sie sind deswegen auf schattige Plätz 46, dass in neu . Die Tierschutzv e und eingerichteten erordnung aus Zuchtebern Abkü Ställen bei Hitze dem Jahre 2008 andere Abkühhlungsmöglichk Schweinen ab verlangt in Art. verordnung des eiten zur Verfü 25 Bundesamtes gung stehen müss kg in Gruppenhaltung sowie für Veterinärw 28 die Abkühlung en. Die Nutzt esen ier- und BVET ab Temperaturen konkretisiert nen. von 25 °C. Zur dies und verlan HaustierAbkühlung könn gt in Artikel en Suhlen und Duschen dieMit Vorliebe suche Schlammschich n Schweine Schlammbäder auf. Nicht nur t, mit welcher das Baden kühlt sich die Tiere und kühlt die überziehen; sie , sondern auch Tiere über eine speichert näml Bestandteil der die längere Zeit. ich die Feuchtigk Die Freilandhaltung Liegeplatz. Schw im Sommer eben Suhle ist ein wesentlich eit er und eine können sich so wie lässigen Böde selbst eine Suhle Schattenplätze und ein saube notwendiger n für das Wass anlegen, doch rer, zugfreier er besorgt sein. wurmt werden. muss der Zu beachten ist, dass die Schw Tierhalter in durcheine regelmäss ig entEinige Auszüge aus den Unte rsuchungen des braus sollen die Bedeutung Münchener Veter des Suhlens durchschnittlich inärprofessors für das Schw Hans Hinrich en ein illustrieren SamTag auf. Im Tages Tages-Temperaturen zwisc : «Die Sauen hen ablauf gab es suchten bei te zwischen 12 zwei Höhepunk 19 und 28 °C die Suhle im te, einer morg Mittel zweimal und 15 Uhr.» ens nach dem Füttern und der pro zweiKaninchen wollen herumto llen und ausruhen können.

baue Ziele Landwirt zwei ng hatte der stig sein, und Bei der Planu sollte kostengün im Auge. Der Stall n. «Damals ha n sich wohl fühle tekten noch die Tiere sollte hen Archi aftlic irtsch fest. ben die landw Roland Werner gebaut», stellt en andere Ställe Ställe, bei welch t geschlossene wirt Werner Er meint dami Dach ist. Land lel alles unter einem Fressachse paral eine separate Der Baufach wollte jedoch n. baue en Stall zum bestehend der damaligen Caenegem von Bi mann Ludo van Architekt Cyrill der sowie FAT (heute ART) Idee. ihn in seiner schof bestärkten Anstelle der Anbindevorrichtung befindet sich jetzt ein Fressgitter.

Separate Fressachse

TKS 7.2

Schlechte Haltungsbedingun

1

gen im Ausland

Der Grossverteiler Coop setzt bereits seit 1999 auf Fleisch von Kaninch Haltung. Die Nachfrage en aus tierfreundlicher verstärkte sich, als die Schweizer Grossverteiler willige Importsperre von sich Ende 2008 eine freiKaninchenfleisch auferleg ten. Grund waren die dingungen bei den Produze schlechten Haltungsbenten in Frankreich und den Oststaaten. Den Grossver Fleisch aus tierfreundlicher teilern genügend Haltung zu liefern, ist eine Chance und eine landwirtschaftliche Kaninch Herausforderung für die enhaltung in der Schweiz . Felix und seine Frau Rosmari e Näf haben die Firma Kani-Sw kauft, schlachtet und iss GmbH gegründet, welche an die Bell AG, an Coop Kaninchen und an Spitäler liefert. vermarkten nicht nur, Doch Näfs schlachten sondern sie halten auch und selbst Kaninchen in mehrere n Ställen.

1

33


Die Nachfrage von Konsumenten und

stanz und Glaubwürdigkeit verordnet.

wogen, in den vergangenen Jahren ver-

Detaillisten nach Produkten von Tieren

Coop setzt beim Labelkalbfleisch (Natu-

stärkt auf Labelprodukte zu setzen. Dies

aus artgerechter Haltung bestimmt nebst

rafarm) die Haltungsanforderungen klar

betrifft etwa Manor, Volg und Spar. Selbst

der Tierschutzgesetzgebung und der Ag-

höher als die Migros (TerraSuisse): Coop

die Newcomer aus Deutschland, Aldi und

rarpolitik – insbesondere der Förderung

verlangt hier Auslauf- oder Mutterkuh-

Lidl, scheinen mittlerweile um eine ent-

besonders tierfreundlicher Haltungsfor-

haltung, die Migros hingegen verkauft

sprechende Sortimentsausweitung nicht

men durch spezifische Direktzahlungen

bislang Labelkalbfleisch ohne zwingen-

mehr herumzukommen.

– massgeblich das Tierwohl in Schweizer

den Auslauf und fordert damit bei der

Ställen. Für ein glaubhaftes tierfreund-

Haltung nur unwesentlich mehr, als dies

6.4 Zögerliche Gastronomie

liches Label wird seitens des STS heute

die Schweizer Tierschutzvorschriften ver-

Das Gros der weit über 20 000 Restau-

vorausgesetzt, dass mindestens die Vor-

langen. Coop setzt beim Labelrindfleisch

rants, Personalrestaurants und Schnell-

schriften der Bundesprogramme BTS (Be-

auf die vorbildliche Mutterkuhhaltung

imbisse in der Schweiz verwendet eher

sonders tierfreundliche Stallhaltung) und

(Naturabeef). Die Migros will mit dem

wenige Produkte aus tierfreundlicher

RAUS (Regelmässiger Auslauf ins Freie)

2010 neu eingeführten Weide-Beef-Pro-

Haltung, und bietet den Gästen stattdes-

erfüllt werden.

gramm ähnliche Massstäbe setzen. Mi-

sen entweder konventionelles Schweizer

Bei der Labelentwicklung wirkten die

gros weist bei Rind- und Schweinefleisch

Fleisch oder noch häufiger Importfleisch

beiden Grossverteiler Coop und Migros

noch etwas höhere Labelanteile auf als

und -eier an. Häufig sind die Wirte über

als Entwicklungsmotoren. Dank ihrem

Coop. Coop weist beim Eiersortiment

die Tierhaltungsbedingungen im In- und

Einsatz schafften Freilandeier und Label-

klar die höchsten Labelanteile (Schweizer

Ausland und die verschiedenen Tierwohl-

fleisch nach der Jahrtausendwende den

Bio- und Auslauf-/Freilandeier zusam-

labels gar nicht richtig informiert. Dies die

Sprung von Nischen- zu Standardpro-

men 57 %) und mit 10 % den geringsten

ernüchternde Bilanz einer Umfrage des

dukten. Mit «Naturaplan» (bio) und «Na-

Importanteil auf. Bei Migros beträgt der

Schweizer Tierschutz STS aus dem Jahr

turafarm» (tierfreundliche Haltung) plat-

Labelanteil von Schweizer Bio- und Aus-

2008.

zierte Coop in den 1990er-Jahren die kon-

lauf-/Freilandeiern 41 %. Der Importan-

sequentesten und bis heute bestbekann-

teil liegt bei 22 %.

2011 schrieb der STS rund dreihundert gehobene sowie Gourmetrestau-

ten Labels. Migros änderte die Labelna-

Das Beispiel der Grossverteiler und

rants in der ganzen Schweiz an und bat

men und -anforderungen mehrmals, hat

die zunehmende Nachfrage nach Pro-

um Informationen zur Verwendung von

sich nun aber mit «TerraSuisse» und der

dukten aus tierfreundlicher Haltung ha-

Schweizer Labelfleisch und Freilandei-

Zusammenarbeit mit den IP-Bauern Kon-

ben verschiedene andere Detaillisten be-

ern. Bei der Frage nach der Beschaffung von Fleisch, Eiern und Käse steht bei diesen Restaurants gemäss Selbstdeklaration die Qualität an erster Stelle, gefolgt von Herkunft (Schweiz) und Tierwohl. Positiv aus Tierschutzsicht stimmt das Resultat, dass in Zukunft immerhin 38 % mehr Labelfleisch, 26 % mehr Biokäse und 24 % mehr Freilandeier verwenden wollen. Labelfleisch würde von den Gastronomen vermehrt verwendet, wenn es besser verfügbar wäre (29 %), eine bessere Qualität als konventionelles Fleisch aufwiese (28 %), preislich günstiger wäre (24 %) und die Gäste es verstärkt nachfragen würden (19 %). Der Anteil Gäste, welcher bei einem entsprechenden Angebot tierfreundlichere und teurere Menüs bestellen würde, wird auf durchschnittlich 52 % geschätzt. Nach Ansicht dieser Gastronomen besteht also ein erhebliches Potenzial

Mutterkuhhaltung: Vorläuferin der Labelprogramme

34

unter den Gästen in Bezug auf tierfreundliche Produkte; ein Potenzial, das aber erstaunlicherweise nicht ausgenützt wird.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


7. Tierschutzkonforme Importe Der STS teilt die Meinung, dass historisch

Fabrik oder einem Dienstleistungsbetrieb

tarium zur Bekämpfung solcher Miss-

gesehen der Abbau von Zöllen und die

kann man stillgelegte Äcker und Tierhal-

stände geschaffen, doch der Bundesrat

Ausdehnung des freien Verkehrs von Gü-

tungen nicht innert Jahresfrist aus dem

wendet es aus Furcht vor Retorsionsmass-

tern, Waren und Dienstleistungen meist

Boden stampfen, und vom Menschenwil-

nahmen des Auslands kaum an:

zu wirtschaftlichem Fortschritt, Neuent-

len nicht oder wenig beeinflussbare Fak-

wicklung und steigendem Wohlstand ge-

toren (Klima, Wetter, Bodenqualität, Ent-

«Unter der Voraussetzung, dass inter-

führt haben. Die Schweiz als kleines und

stehung von Seuchen und Krankheiten

nationale Verpflichtungen nicht verletzt

rohstoffarmes Land hat diese Entwick-

bei Tieren etc.) spielen eine grosse Rolle

werden, erlässt der Bundesrat für Er-

lungen denn auch stets gefördert und da-

bei der Lebensmittelerzeugung. Ein Bauer

zeugnisse, die nach Methoden produ-

von profitiert. Der STS ist aber dezidiert

ist standortgebunden, während ein Fir-

ziert werden, die in der Schweiz verboten

der Meinung, dass diese positiven Konse-

meninhaber seinen Betrieb (fast) überall

sind, Vorschriften über die Deklaration;

quenzen des Freihandels primär für Güter

aufstellen kann.

er erhöht die Einfuhrzölle oder verbietet

und Waren des 2. und des 3. Sektors gel-

den Import. Als verboten im Sinne von Absatz 1 gelten Produktionsmethoden,

weltweiten Handel mit Nahrungsmitteln

7.1 Gesetzliche und privatwirtschaftliche Möglichkeiten

respektive entsprechenden Rohstoffen zu

Die brutale Kehrseite des Freihandels mit

von Personen, Tieren oder Pflanzen; oder

übertragen sind. Denn der unbeschränkte

Nahrungsmitteln zeigt sich im Fehlen so-

der Umwelt.»

Freihandel hat sich hier bislang stets als

zialer, ökologischer und tierschützeri-

(Art. 18 Landwirtschaftsgesetz)

jene Option herausgestellt, die am meis-

scher Leitplanken. Als Konsequenz drän-

ten Verlierer und unerwünschte Abhän-

gen immer mehr tierschutzwidrige Im-

Nach Meinung des STS soll jedes Land die

gigkeiten zurücklässt und der Spekulation

portprodukte auf den Schweizer Markt.

Möglichkeit haben, unter Beachtung von

mit Lebensmitteln Tür und Tor öffnet.

ten und – wenn überhaupt – nur eingeschränkt und mit aller Vorsicht auf einen

die nicht zulässig sind aus Gründen des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit

110 000 Tonnen Fleisch importiert unser

Ökologie und Tierschutz einen möglichst

Das ergibt sich nicht zuletzt aus den

Land jährlich – fast ein Viertel des Ge-

hohen Beitrag zur Ernährung der eigenen

grundsätzlichen Unterschieden in Be-

samtbedarfs –, darunter beispielsweise

Bevölkerung sicherzustellen. Importe sol-

zug auf die Produktionsgrundlagen und

45 000 Tonnen Poulet- und Trutenfleisch,

len primär das Inlandangebot ergänzen,

-standorte der Landwirtschaft und des 2.

zumeist aus bei uns verbotener Haltung.

beispielsweise dort, wo aus klimatischen

und 3. Sektors. Im Unterschied zu einer

Der Gesetzgeber hat zwar ein Instrumen-

oder anderen Gründen eine Versorgungs-

35


lücke besteht, und mithelfen, die Inland-

Wie es gehen könnte, hat der STS am

Laden erfreulicherweise zu Schweizer Ei-

versorgung sicherzustellen. Weil Tier-

Beispiel der Eier gezeigt. Während in der

ern. Trotzdem beträgt der Eierimport rund

schutz nicht an der Grenze aufhört, setzt

Schweiz seit 1991 nur noch Eier aus Bo-

770 Millionen Eier jährlich. Die Gründe

sich der STS für tierschutzkonforme Im-

den- oder Freilandhaltung erhältlich sind,

für diesen Anstieg liegen bei der Gastro-

porte ein. Denn sonst unterstützt und för-

ist der Import von Käfigbatterieeiern un-

nomie, den Bäckereien und den Herstel-

dert die Schweiz Tierschutzwidrigkeiten,

verständlicherweise bis heute legal. Be-

lern von eierhaltigen Produkten und Fer-

Massentierhaltung und Qualtransporte im

reits Mitte der 1990er-Jahre konnte der

tiggerichten, wo leider noch allzu oft nur

Ausland und konkurrenziert gleichzeitig

Tierschutz die Grossverteiler Migros und

der Preis und nicht die Schweizer Qualität

die tierschützerischen Anstrengungen im

Coop überzeugen, auf den Verkauf von

und das Tierwohl zählen.

Inland.

Importkäfigeiern zu verzichten. Später

Der STS legt grossen Wert auf diese

Der STS will den Menschen weder den

folgten alle Detaillisten diesem Beispiel.

Vereinbarung, da das EU-Käfigbatterie-

Speisezettel vorschreiben noch den mo-

Käfigbatterieeier wurden indessen nach

verbot auf 2012 nicht umgesetzt sein wird

deraten Konsum von Fleisch verbieten. Er

wie vor im grossen Stil als Eiprodukte

und rund 60 bis 80 Millionen Legehen-

setzt sich aber dafür ein, dass Tiere artge-

eingeführt, so etwa Flüssigei für verar-

nen, etwa 20 % des gesamten EU-Bestan-

mäss gehalten und schonend transportiert

beitende Industrie und Gewerbe. Es kann

des, weiterhin in diesem tierquälerischen

und geschlachtet werden, wenn sie schon

davon ausgegangen werden, dass noch

Haltungssystem vegetieren müssen. Län-

für Nahrungszwecke genutzt werden und

bis 2010 jährlich 40 bis 80 Millionen Kä-

der wie Spanien, Portugal, Griechenland,

dafür ihr Leben lassen müssen. Das gilt

figeier in die Schweiz importiert wurden.

Tschechien oder Polen hinken bei der Um-

für Tiere im In- und Ausland. Von ökolo-

Der Schweizer Tierschutz STS hat 2011

setzung des Verbots stark hinterher. Noch

gischen und tierschützerischen Standards

mit 26 Unternehmen, darunter alle gros-

wichtiger ist indessen die Tatsache, dass

im internationalen Handel würden aber

sen Importeure und der Branchenriese

die EU auch tierschutzwidrige Alternati-

auch die Konsumenten profitieren, die

Lüchinger + Schmid AG, eine Vereinba-

ven zulässt, wie etwa die Kleingruppen-

heute mit schöner Regelmässigkeit mit der

rung geschlossen. Darin verpflichten sich

haltung von Hühnern. Diese Haltungs-

unerfreulichen Tatsache konfrontiert wer-

die Firmen, in Zukunft keine Eier und Ei-

form entspricht mit einigen Tierschutz-

den, dass Importprodukte aus Massentier-

produkte aus dem Ausland zu importie-

Alibikorrekturen weitgehend der traditi-

haltungen bezüglich Sicherheit und Qua-

ren, die von Hühnern aus Käfighaltungen

onellen Käfigbatterie (Foto). Die Schweiz

lität oftmals problematisch sind. Profitie-

stammen.

hatte diese Systeme in den 1990er-Jahren

ren und gestärkt würde aber auch die bäu-

Die überwiegende Mehrheit der Kon-

auf Praktikabilität und Tierschutzkonfor-

erliche Tierhaltung in den Exportländern.

sumentinnen und Konsumenten greift im

mität hin untersucht und sie anschliessend richtigerweise verboten.

7.2 Unterschiedliche Bedeutung des Tierwohls in der Schweiz und der EU Von besonderem tierschützerischem Interesse sind drei Unterschiede:

1. Während die Schweizer Gesetzgebung zu allen Nutztieren detaillierte Vorschriften und Mindestmasse vorgibt, fehlen EURichtlinien unter anderem zur Haltung von Kühen, Mastvieh, Truten, Straussen und anderen Geflügelarten (ausser Hühnern), Schafen, Ziegen und Pferden. Damit sind Millionen von Nutztieren in der EU ohne gesetzlichen Schutz.

2. Die EU schreibt keine Tierschutzprüfung vor. In der Schweiz hingegen müssen

In der EU ist die Käfighaltung immer noch weit verbreitet

36

serienmässig hergestellte und verkaufte Haltungssysteme und Stalleinrichtungen auf Tierschutzkonformität und Praxist-

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


auglichkeit geprüft und bewilligt werden.

zeliglus mit Auslauf zulässig sind. Einge-

streu vorgeschrieben, in der CH ist dies

Davon profitieren Bauern, die solche Sys-

streute Liegeflächen sind nur in der CH

Pflicht. Das Schnabelcoupieren ist in der

teme kaufen, und natürlich die darin ge-

vorgeschrieben. In der EU dürfen Kälber

CH verboten, in der EU zulässig. Ausge-

haltenen Tiere.

in Vollspaltenbodenbuchten eingestallt

staltete Käfige und Grosskäfige sind in der

werden.

EU trotz Käfigbatterieverbot ab 2012 wei-

3.

terhin zulässig, die Eier müssen allerdings

In der Schweiz sind die allermeisten

schmerzhaften Eingriffe verboten, in der

Schweine: In der EU sind mehrstöckige

als «Käfigeier» deklariert werden. In der

EU dürfen hingegen beispielsweise junge

Ferkelkäfige zulässig, in der CH verbo-

CH wurden diese Haltungsformen geprüft

männliche Kälber, Zicklein, Ferkel etc.

ten. Gleiches gilt für das Ferkelkastrie-

und weil tierschutzwidrig verboten.

ohne Schmerzausschaltung kastriert wer-

ren ohne Schmerzausschaltung. Mast-

den. Unter Einschränkungen sind auch

schweine werden in der CH ab 2018 mehr

Masthühner: Tageslicht und mindestens

das in der Schweiz verbotene Schnabel-

Platz haben: 0,9 m2 statt 0,65 m2 wie in

8 Stunden Dunkelphase sind in der CH

und Schwanzcoupieren oder das Heraus-

der EU. Doch Einstreu zum Liegen ist we-

Pflicht, in der EU sind reine Kunstlicht-

brechen von Zähnen bei Ferkeln zulässig.

der in der CH noch in der EU vorgeschrie-

beleuchtungen und alternierende Licht-

ben. Deutlich besser geht es den Sauen in

programme zulässig. In der CH sind er-

Sowohl die fünf EU-Nutztierschutzricht-

der CH. In der EU dürfen säugende und

höhte Flächen als Rückzugs- und Ruhe-

linien (Schutz landwirtschaftlicher Nutz-

tragende Sauen bis 4 Wochen nach dem

bereich festgeschrieben, in der EU müssen

tiere; Kälber-, Schweine-, Legehennen-,

Decken in Kastenstände gesperrt werden.

die Masthühner auf dem verkoteten Stall-

Masthühnerhaltung) als auch die neue

In der CH dürfen sich säugende Sauen frei

boden ruhen. Die maximale Besatzdichte

Schweizer Tierschutzgesetzgebung legen

bewegen, und tragende Sauen nach dem

beträgt in der CH 30 kg/m2, in der EU 42

keine optimalen Tierschutzstandards fest,

Decken an maximal 10 Tagen eingesperrt

kg/m2; dürfte also ein Schweizer Hühner-

sondern bezeichnen mit konkreten Vor-

werden. Schwanzcoupieren und Zähne-

mäster nach EU-Vorschriften produzieren,

schriften und Detailmassen lediglich die

abklemmen sind in der CH verboten, in

könnte er die Hälfte mehr Tiere in seinen

Grenze zur Tierquälerei. Wer diese An-

der EU darf dies zwar nicht routinemäs-

Stall pferchen.

forderungen nicht einhält, macht sich

sig, aber in begründeten Fällen durchge-

strafbar, wer sie erfüllt, bietet seinen Tie-

führt werden.

ren aber noch lange keine tierfreundliche

Fazit: Obwohl die Schweizer Tierschutzgesetzgebung lediglich Mindestmasse und

Haltung. Generell ist zu sagen, dass diese

Legehennen: In der EU wird zum Schar-

Vorschriften enthält, welche die Grenze

Grenze zur Tierquälerei in der Schweiz

ren, Picken und Staubbaden keine Ein-

zur Tierquälerei definieren und damit

restriktiver festgelegt ist, das heisst die Schweizer Mindestvorschriften bringen den Tieren insgesamt mehr. Nachstehend sind die tierschützerisch wichtigsten Unterschiede zwischen den Tierschutzvorschriften der Schweiz und der EU aufgelistet:

Kühe, Mastvieh, Truten, Strausse und andere Geflügelarten (ausser Hühner), Schafe, Ziegen und Pferde: Konkrete und detaillierte Vorschriften in der CH, demgegenüber fehlen hierzu in der EU verbindliche Richtlinien.

Kälber: In der CH müssen Kälber bereits ab der 2. Lebenswoche in Gruppen gehalten werden, in der EU erst ab der 8. Woche. Die Gruppenhaltung gilt in der EU nur für grössere Haltungen, Kleinbetriebe mit 6 und weniger Kälbern dürfen diese weiterhin einzeln halten, wobei in der CH Ein-

Schweinen geht es in der EU vielfach «dreckig»

37


Der STS hat deshalb 2009 eine Umfrage in EU-Ländern zur Verbreitung von besonders

tierfreundlichen

Haltungs-

formen (Weide; Auslauf- und Freilandhaltung;

Biotierhaltungen)

durchge-

führt. Angeschrieben wurden nationale Bio- und Labelorganisationen, Landwirtschaftsbehörden,

Wissenschaftler

und Tierschutzorganisationen. Sie wurden gebeten, die Verbreitung von Weidegang und Auslauf für Rinder, Schweine und Hühner zu schätzen. Auch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) hat dankenswerterweise wichtige Informationen zur Biotierhaltung in den EU-Ländern geliefert. Die insgesamt 20 auswertbaren Resultate aus 9 EU-Ländern wurden danach mit der Verbreitung von BTS- und RAUS-Haltungsformen in

Die Schweiz ist europaweit Spitze bezüglich tierfreundlicher Haltungsformen

der Schweiz verglichen, ebenso die Auskünfte des FiBL und jene von zehn nationalen Bioorganisationen zum Umfang der Biotierhaltung in der EU respektive in einzelnen EU-Ländern.

keine optimale, tierfreundliche Haltung

Der Nutztierschutzstandard eines Landes

garantieren, sind Schweizer Nutztiere von

definiert sich zwar in erster Linie durch

Es zeigt sich, dass die Schweiz punkto

Gesetzes wegen – mit mehreren bedeut-

die Tierschutzgesetzgebung. Das Beispiel

tierfreundlicher Haltung bei praktisch al-

samen Ausnahmen – besser geschützt als

Schweiz zeigt aber, dass die Nachfrage

len abgefragten Tierarten entweder mit

ihre Kollegen in der EU. Einerseits liegen

am Markt (Labelfleisch, Freilandeier) und

oder alleine an der Spitze steht. Über alle

in der Schweiz für alle Nutztiere konkrete

staatliche Tierschutzförderprogramme die

Tierarten gesehen weist die Schweiz euro-

und detaillierte Vorschriften vor, anderer-

Tierhaltungspraxis wesentlich mitbestim-

paweit mit Abstand die höchsten Anteile

seits sind bei jenen vier Tierkategorien,

men und zugunsten eines höheren, über

an besonders tierfreundlichen Haltungs-

für die EU-Richtlinien existieren (Kälber,

die Mindestvorschriften der Tierschutz-

formen auf.

Schweine, Legehennen, Masthühner), die

gesetzgebung hinausgehenden Haltungs-

Schweizer Vorschriften strenger.

standards beeinflussen können.

Verbreitung besonders tierfreundlicher Haltungsformen CH

A

NL

F

Weidegang Milchkühe

80

20-40

60-80

10

FIN

GB

DK

B

80* 20-40

S

Auslauf Mastvieh

50

5-10

80

10

Auslauf tragende Sauen

66

<5

<5

<5

5 -10

<5

<5

D

60-80*

80

40-60

80

60-80 60-80 20-40

80*

5-10

60-80* 60-80

80 10-20

60-80 40-60 60-80

5-10

<5 40-60

Auslauf Mastschweine

62

<5

5 -10

5-10

Freilandhaltung Legehennen

69

20-40

10-20 10-20 20-40

10-20

Gruppenhaltung tragende Sauen 100

20-40

60-80 10-20

40-60

80

5-10

5-10

10-20 40-60 5

100

<5

<5

<5

IRL

PL

<5

5-10

EST

<5

<5

<5

5-10

<5

20-40 20-40

20-40

<5

5-10

40-60 20-40

20-40 40-60

80

* Diese hohen Werte in Schweden und Finnland gelten lediglich für die Vegetationsperiode, im Winter sind die Tiere im Stall. In der Schweiz können Kühe auch im Winter regelmässig ins Freie. Die Biotieranteile an der Gesamtpopulation wurden von den Bioorganisationen Türkei, Ukraine, Lettland, Litauen, Island, Belgien, Finnland, Estland, Deutschland und Österreich fast bei allen Kategorien unter 1 % angegeben. Höhere Anteile finden sich unter anderem beim Milchvieh in Österreich (16 %), Dänemark (10 %), Estland und Deutschland (je 3 %), bei den Mastschweinen in Griechenland (5 %), Grossbritannien (3 %) und Dänemark (3 %), bei den Legehennen in Deutschland (4 %) und den Niederlanden (4 %) sowie den Masthühnern in Frankreich (12 %) und Belgien (5 %). Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt der Anteil verkaufter Bioeier 17 % und verkauftes Biofleisch 2 %.

38

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


8. Tierwohl: Handlungsbedarf in der CH 8.1 Allgemeines

Die Schweizer Bauern und die nach-

auf einer Fläche von weniger als vier Qua-

Die Tierschutzgesetzgebung von 2008

gelagerten Stufen bis zu den Gastrono-

dratmetern, ohne Stroh zum Liegen und

brachte im Vergleich zu den früheren Vor-

men und zum Detailhandel profitieren

ohne Auslauf verboten werden sollte, ant-

schriften für Nutztiere Verbesserungen.

von den Tierschutzverbesserungen. Das

worteten 86 % mit Ja. 90 % der Befrag-

Damit gewährleistet die Schweiz prinzi-

Image der Bauern sowie die von ihnen

ten möchten eine Haltung verbieten, in

piell ein höheres Tierschutzniveau als dies

verkauften Schweizer Produkte tierischer

der das Milchvieh an 270 Tagen im Jahr

etwa im EU-Raum der Fall ist. Allerdings

Herkunft gewannen stark in der Gunst der

im Stall angebunden ist. 89 % sprachen

gilt es zu berücksichtigen, dass die Vor-

Konsumenten und Steuerzahler, und das

sich für ein Verbot des elektrischen Kuh-

schriften inklusive Mindestmasse etwa

Qualitätsargument «Tierwohl» war und ist

trainers in Milchviehanbindeställen aus.

für den Platzbedarf keine optimale tier-

mitbestimmend für die Preisakzeptanz der

freundliche Haltung garantieren, sondern

teureren Schweizer Produkte im Laden.

nur die Grenze zur amtlich verfolgten und bestraften Tierquälerei festlegen.

Tatsache ist aber: Die erwähnten, von der Bevölkerung stark abgelehnten Hal-

Ein Grossteil der Menschen glaubt

tungsformen sind in der Schweiz legal.

mittlerweile irrtümlicherweise, dass La-

Noch immer müssen Millionen Nutztiere

Wesentlich mehr für das Tierwohl als

beltierhaltungen Standard seien in der

in der Schweiz ohne regelmässigen Aus-

die von Bauern und Tierschützern stets

Schweiz und dass Kuhtrainer, dauernde

lauf ins Freie oder tierfreundliche Stallun-

hart umkämpften Vorschriften der Tier-

Anbindehaltung von Kühen oder das Ein-

gen auskommen!

schutzgesetzgebung brachten im Rück-

sperren von Mastschweinen und -rindern

blick die Kombination der Labelpro-

in engen Buchten, ohne Stroh zum Lie-

gramme und der spezifischen Direktzah-

gen und ohne Auslauf ins Freie, längst

lungen zur Förderung von besonders tier-

verboten seien. Eine Umfrage des STS aus

freundlichen Haltungsformen. Die Tier-

dem Jahr 2008 zeigt, dass über 90 % der

Kälber

wohlverbesserungen, insbesondere die

Befragten finden, dass es verboten sein

Tatsache, dass heute Kühe, Schweine und

sollte, 100 Kilogramm schwere Mast-

Kein Auslauf und praktisch keine Weide: Der Grossteil der Kälber – in der

Hühner wieder vermehrt ins Freie dür-

schweine auf einer Fläche von weniger

Mast gar 9 von 10 Tieren – erhält keinen

fen, was bis Ende der 1980er-Jahre noch

als einem Quadratmeter, ohne Stroh zum

Auslauf ins Freie, obwohl freie Bewegung,

völlig undenkbar war, gehen klar auf das

Liegen und ohne Auslauf zu halten. Bei

frische Luft und Sonne gerade Jungtie-

Konto des Marktes und der erwähnten ag-

der Frage, ob in der Rindermast die Hal-

ren gut tun, und Kälber mit Auslauf ins

rarpolitischen Massnahme.

tung von 500 Kilogramm schweren Tieren

Freie erwiesenermassen gesünder sind

8.2 Tierschutzprobleme Rindergattung

39


und weniger mediziniert werden müssen.

Mutterlose Aufzucht: Seit über hundert

Problematischer Handelszeitpunkt:

Mit Ausnahme bei der Mutterkuhhaltung

Jahren und überall, wo professionell Rin-

Händler kaufen für die Mast bestimmte

ist die für Rinder natürlichste Haltung,

der gezüchtet werden – ob in der Schweiz,

Kälber zu einem Zeitpunkt auf, wo im

die Weidehaltung, bei Kälbern praktisch

der EU, in Nord- und Südamerika oder

Kalb der mit der Muttermilch aufgenom-

überhaupt nicht mehr anzutreffen.

Asien (Ausnahme: Mutterkuhhaltung) –,

mene Schutz gegen Erkrankungen am

werden Kälber den Müttern nach der Ge-

Versiegen, das eigene Immunsystem aber

Kein Sozialkontakt: Die Einzelhaltung

burt weggenommen. Das natürliche Mut-

noch unterentwickelt ist («Immunloch»).

von Kälbern in engen Iglus auf knapp

ter-Kind-Verhältnis wird vollständig un-

Dies trägt nebst der grossen Durchmi-

3 Quadratmeter Fläche ist als Ausnahme

terbunden. Dies zu einem Zeitpunkt, wo

schung aus verschiedensten Herkunfts-

zur ansonsten geforderten Gruppenhal-

die individuelle Bindung von Kuh und

betrieben, der teilweise beengten Haltung

tung legal. Sie bringt den Kälbern im

Kalb noch relativ schwach ist, da beide

ohne Auslauf ins Freie und der vorkom-

Vergleich zur dauernden Stallhaltung ge-

für ein zweifelsfreies geruchliches, opti-

menden Fehlernährung mit dazu bei, dass

sundheitliche Vorteile mit frischer Luft,

sches und stimmliches Erkennen des an-

in der Kälbermast überproportional häu-

Sonne und weniger Staub-, Schadgas-

deren mehrere Tage benötigen. Wird das

fig Antibiotika eingesetzt werden muss.

und Keimgehalt der Luft. Allerdings wer-

Kalb der Mutter erst nach einer Woche

den das angeborene Sozial- und Bewe-

weggenommen, zeigen beide Tiere denn

Tötung nach der Geburt: Die für die

gungsverhalten verunmöglicht. Ein er-

auch viel stärkere Trennungssymptome

Weiterzucht ungeeigneten Kälber aus ex-

heblicher Teil der Aufzuchtkälber in der

wie Unruhe, Suchen oder Rufen.

tremer Milchleistungszucht sind für die

Schweiz lebt in dieser tierschutzwidrigen

Grossvieh- und selbst für die Kälbermast

Fehlernährung bei der Mast: Zwar

zunehmend ungeeignet, da sie viel we-

schob die Tierschutzgesetzgebung der

niger Fleisch ansetzen. Es ist nur eine

Weder Spielen noch Springen: Die

weissen

schon

Frage der Zeit, bis auch in der Schweiz

grundsätzlich tiergerechte Gruppenhal-

1981 mit der Forderung nach Raufutter

ein Teil der Nachkommen von Hochleis-

tung von Kälbern bietet den bis zu 160 Ki-

und genügend Eisen sowie dem Verbot

tungsmilchkühen, insbesondere männli-

logramm schweren Kälbern lediglich eine

von anämisch/krank machenden Futter-

che Tiere, gleich nach der Geburt getö-

äusserst knapp bemessene Fläche von 1,5

rationen theoretisch einen Riegel. Doch

tet werden. So, wie dies bereits in Neu-

Quadratmeter je Tier an. Die spiel- und

noch immer werden Kälber für möglichst

seeland und teilweise in Irland und Ita-

bewegungsfreudigen Jungtiere wachsen

helles Fleisch fehlernährt, mit negativen

lien geschieht, und bei einer anderen Tier-

platzmässig extrem beschränkt auf.

Folgen für die Tiergesundheit.

art, nämlich den männlichen Küken der

Haltungsform.

Kalbfleischerzeugung

Hochleistungslegehühner, seit Jahrzehnten weltweit Usus ist.

Aufzucht- und Mastvieh Mangelnde Liegequalität: Anstelle von Einstreu, Sand oder anderen geeigneten Liegematerialien sind auch harte Gummimatten zulässig, welche den Ansprüchen von Rindern an einen Liegeplatz nicht entsprechen, rasch verschmutzen und glitschig werden. In Wahlversuchen werden diese von den Tieren denn auch gemieden und es wird stets die Einstreu vorgezogen.

Kaum freie Bewegung: Für die bis zu 500 Kilogramm schweren Tiere sind lediglich 3 Quadratmeter Fläche vorgeschrieben, das heisst in einem durchschnittlichen Wohnzimmer könnte man

Kaum verbreitet: Das Weiden von Kälbern

40

8 bis 10 Mastmunis halten! Dieser Platz reicht nur gerade zum Liegen, nicht aber für das artgemässe Fortbewegungsver-

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


halten. In der drangvollen Enge stören sich die Jungtiere immer wieder, jagen liegende auf und verdrängen rangniederere unsanft. Ein weiterer Teil der Mastund vor allem der Aufzuchtrinder muss in Anbindehaltung leben. Diese Tiere dürfen an 275 Tagen im Jahr permanent an der Krippe fixiert werden und müssen an den übrigen 90 Tagen lediglich für zwei bis drei Stunden etwas freie Bewegung erhalten. Diesen Jungtieren wird nicht nur die freie Bewegung, sondern auch das natürliche Sozial- und Körperpflegeverhalten weitgehend vorenthalten.

Fehlen von Auslauf und Weide: Während rund drei Viertel der Aufzuchtrinder in den Genuss von Auslauf und Weide kommen, hat etwa die Hälfte des Mastviehs keinen Auslauf ins Freie und muss bis zur Schlachtung in beengten, kahlen Stallbuchten verbringen.

Nur bei einem Neubau eines Stalles verboten: der tierquälerische Kuhtrainer

Kühe

Kaum Bewegung: 65 % der Milchkühe

einen Schritt zurückzutreten, sodass das

Eingeschränktes Sozialverhalten: Die

leben in Anbindeställen, wo die Bewe-

Lager weniger verschmutzt. Das sowieso

seit anfangs der 1980er-Jahre auch in der

gung per se eingeschränkt ist. Rund

schon beengte Leben angebundener Kühe

Schweiz betriebene Mutterkuhhaltung –

120 000 von ihnen erhalten keinen regel-

wird dadurch zusätzlich eingeschränkt

heute rund 90 000 Tiere – kommt dem

mässigen Auslauf ins Freie. Sie werden

und die Fruchtbarkeit der Tiere leidet.

Rindersozialverhalten weitgehend ent-

an 275 Tagen im Jahr permanent an der

gegen. Demgegenüber müssen die rund

Krippe fixiert und müssen an den übri-

Enthornen: Bei den allermeisten in der

600 000 Milchkühe hier teilweise erheb-

gen 90 Tagen lediglich für zwei bis drei

Schweiz gehaltenen Tieren der Milch-

liche Abstriche in Kauf nehmen. Einer-

Stunden etwas freie Bewegung erhalten.

viehrinderrassen (Braun- und Fleckvieh)

seits, weil sich 2 von 3 Kühen nicht frei

Diesen Kühen wird nicht nur die freie Be-

wachsen natürlicherweise Hörner, ebenso

in einer Herde bewegen können, sondern

wegung, sondern auch das natürliche So-

wie bei den meisten einheimischen Milch-

angebunden gehalten werden, oft noch

zial- und Körperpflegeverhalten weitge-

ziegenrassen. Genetisch hornlose Rassen

unter dem elektrischen Kuhtrainer. An-

hend vorenthalten. Ihr hauptsächlicher

und Herden sind in der Fleischrindermut-

dererseits, weil die Kinderaufzucht, das

Lebensraum umfasst eine Fläche von nur

terkuhhaltung von Bedeutung und im

Kuh-Kalb-Verhältnis, wegfällt und die Se-

gerade 110 mal 185 Zentimetern.

Vormarsch. Heute dürften über 90 % der

lektion unter den Kühen durch den Men-

Rinder bereits als Kälber enthornt wer-

schen hoch ist. Aufgrund mangelnder

Kuhtrainer:

schätzungsweise

den. Die gesetzliche Pflicht zur Schmer-

Leistung und Krankheiten verlassen viele

300 000 Kühe sind diesem «Quälinst-

zausschaltung beim Enthornen ist zwin-

Tiere frühzeitig die Herde, sodass Kuh-

rument» ausgeliefert, obwohl eine Stu-

gend, ebenso das Verbot gewisser Enthor-

freundschaften, die unter natürlichen Be-

die des Bundesamtes für Veterinärwe-

nungspraktiken. Die Hörner spielen bei

dingungen oft ein Leben lang halten und

sen schon vor über fünfzehn Jahren

der Kommunikation, der Festlegung der

vornehmlich zwischen Müttern und Töch-

zum Schluss kam, dass es nicht mit den

Rangordnung und der Körperpflege eine

tern bestehen, immer wieder getrennt

Grundsätzen der Tierschutzgesetzgebung

wichtige Rolle bei Rind und Ziege. Das

werden. Zudem neigt die Altersstruktur

zu vereinbaren und demnach Tierquälerei

Enthornen stellt eine Anpassung an den

zu immer jüngeren Herden, weil die heu-

sei. Doch noch immer ist der Einsatz legal.

Menschen (Unfallgefahr) oder ans Hal-

tigen Hochleistungskühe rasch «ausbren-

Lediglich der Einbau in einen neuen Stall

tungssystem dar.

nen» und in der Schweiz im Durchschnitt

ist verboten. Der Kuhtrainer ist ein elekt-

kaum noch drei Jahre Milch geben.

rischer Draht über dem Rücken der Tiere,

Noch

der diese beim Koten oder Harnen zwingt,

41


Weniger Laktationen: Aufgrund strenger Selektion auf immer höhere Milchleistungen sowie des Auftretens von leistungs-, haltungs- und fütterungsbedingten Krankheiten sinkt die Anzahl Laktationen je Kuh ständig. Eine durchschnittliche Braunviehkuh (Fleckvieh/Holstein) wird nur noch 6,7 (6,2/6,3) Jahre alt und bringt 4,1 (3,8/3,3) Laktationen, mit einer Lebensleistung von 27 100 Kilogramm (26 000 kg/26 400 kg) (2008). Zum Vergleich: Vor fünfzig Jahren wurden Kühe im Durchschnitt für 6 Laktationen genutzt, brachten also 6 Kälber zur Welt und konnten 6 Jahre gemolken werden. Auch heute noch gibt es hie und da Tiere, die zeigen, welches Lebensleistungspotenzial in Kühen steckt. So etwa die Kuh «Morchel» der Familie Studach in Mörschwil, die 2011 im 21. Dienstjahr stand und 184 000 Kilogramm Milch erzeugt

Irrwege der Hochleistungszucht

hat, oder die 1990 geborene «Jerry Adoravon» der Familie Eicher in Engelburg, die bis 2011 rekordverdächtige 168 000 Kilo-

Hohe Milchleistung und artwidrige Ernährung: Durch die Optimierung der Füt-

und die Landwirte erhebliche finanzielle Investitionen in deren Vergrösserung täti-

Die hauptsächlichen Abgangsursa-

terung sowie die jahrzehntelange Einkreu-

gen müssen. Infolge der riesigen Euter

chen bei Kühen (Braunvieh, 2008) sind

zung mit Milchrassen steigt die durch-

können sich solche Kühe kaum mehr art-

mit 27 % mangelnde Fruchtbarkeit, mit

schnittliche Milchleistung von Jahr zu

gemäss fortbewegen. Da die Milchproduk-

21 % Euterkrankheiten, mit 17 % Klauen-/

Jahr. Während heute ein Zweinutzungs-

tion selbst bei bestem Grundfutter (Heu,

Gliedmassenkrankheiten, mit 12 % unge-

rind, etwa das Original Schweizer Braun-

Gras, Silage) nicht mehr als 6000 bis 7000

nügende Leistung, mit 6 % Unfälle, mit 5

vieh, im Durchschnitt 6000 Kilogramm

Kilogramm pro Jahr hergibt, benötigen

% Stoffwechselerkrankungen und mit 5

Milch pro Jahr (Laktation) erzeugt, weisen

Hochleistungskühe

hohe

% Abkalbeprobleme (andere Ursachen: 7

die milchbetonten Linien des stark einge-

Kraftfuttergaben. Im Durchschnitt erhal-

%). Im Nachbarland Deutschland liegt die

kreuzten Brown-Swissviehs im Durch-

ten Schweizer Kühe 650 Kilogramm Kraft-

durchschnittliche Laktationsrate bereits

schnitt 7000 Kilogramm auf. Am extrems-

futter. Das Rind, ein ideales Weidetier und

bei nur mehr 2,5 und in den USA bei un-

ten verlief die Milchleistungssteigerung

ein optimaler Grasverwerter, wird fütte-

ter 2 Laktationen. Dieser durch mangelnde

beim Holsteinvieh: von 6400 über 7400 Ki-

rungsmässig zur Sau gemacht. Selbst dem

Tiergesundheit bedingte Abwärtstrend bei

logramm im Jahr 1991 beziehungsweise

Bundesrat ist diese Entwicklung mittler-

der Nutzungsdauer von Kühen drückt auf

2001 auf 8400 Kilogramm je Laktation

weile nicht mehr ganz geheuer. So schreibt

Kosten und Ertrag der Milcherzeugung.

2010; Spitzentiere erreichen in der Schweiz

er in der Botschaft zur Agrarpolitik 2014–

Mit der einseitigen Hochleistungszucht hat

gar über 12 000 Kilogramm. Fütterung und

2017: «Der Trend bei der Wiederkäuerfüt-

sich auch eine Art «Wegwerfmentalität»

Haltung solcher Hochleistungstiere sind

terung geht in Richtung eines verstärkten

breitgemacht. Jedes Jahr müssen wegen

äussert diffizil und stellen höchste Ansprü-

Kraftfuttereinsatzes. Dadurch droht ein

der sinkenden Nutzungsdauer mehr junge

che an Mensch, Stall und Fütterung. Wer-

strategischer

Kühe aufgezogen und ältere geschlachtet

den diese nicht erfüllt, treten rasch und ge-

Schweizer Milch- und Fleischproduktion

häuft leistungsbedingte Krankheiten auf

langfristig verloren zu gehen. Wie der Sys-

wie Euterentzündungen, Stoffwechseler-

temvergleich Hohenrain zeigt, schneidet

Kuhausstellungen und -styling: Diese

krankungen, Lahmheit und Verhaltenspro-

die Milchproduktion mit geringem Kraft-

traditionellen Anlässe sind aus der Züch-

bleme. Mit steigender Milchleistung wer-

futtereinsatz und hohem Weideanteil bei

terszene nicht mehr wegzudenken und ein

den die Kühe auch grösser. Dies hat zur

den meisten ökologischen Indikatoren je

beliebtes Schaufenster der Tierzucht. Da-

Folge, dass die Lagermasse in Anbinde-

Kilogramm Milch besser ab als die kraft-

ran ist aus Tierschutzsicht nichts auszu-

und Freilaufställen heute oft zu klein sind,

futterintensive Stallhaltung.»

setzen. Gewisse Exzesse wie ein zuneh-

42

anteilmässig

Wettbewerbsvorteil

der

gramm Milch erzeugte.

werden.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


mend gekünsteltes Styling oder das Versiegeln des Zitzenkanals sowie das (illegale) Verabreichen von Schmerzmitteln hingegen sind äusserst fragwürdige Begleiterscheinungen.

8.3 Tierschutzprobleme Schweinegattung Abgesetzte Ferkel Frühes Absetzen: In der freien Natur bleiben Sau und Ferkel monatelang zusammen, wobei die Bindung immer loser wird, bis die Mutter kurz vor der Geburt des nächsten Wurfs von ihren Kindern nichts mehr wissen will. In der Schweinehaltung wird die Trennung aus wirtschaftlichen Gründen künstlich und abrupt durch den Menschen vollzogen; in der Schweiz zumeist, wenn die Ferkel fünf Wochen alt sind, im Ausland teilweise bereits mit zwei bis drei Wochen. Das natürliche Mutter-

Die Ferkel werden bereits mit fünf Wochen von der Mutter getrennt

Kind-Verhältnis wird dadurch teilweise unterbunden. Je früher Ferkel entwöhnt

Muttersauen

Platz für freie Bewegung und der Auslauf

werden, desto aufwändiger ist ihre Auf-

Verschiedenartige Temperaturansprüche und mangelnder Auslauf:

ins Freie fehlt vollständig. Die Sauen kön-

zucht. Haltungs- und Fütterungsfehler können sich rasch negativ auf Gesundheit

Während es neugeborene Ferkel gerne

voneinander – etwa bei Rangkämpfen –

und Wohlbefinden auswirken.

warm und behaglich haben, leiden säu-

zurückziehen. Schätzungsweise 20 % der

gende Sauen bei höheren Temperaturen,

tragenden Sauen werden heute noch der-

Fehlender Auslauf: Nur eines von zwan-

denn sie erzeugen wegen der Milchpro-

art minimalistisch gehalten.

zig abgesetzten Ferkeln hat Auslaufmög-

duktion erhebliche zusätzliche Körper-

lichkeit, obwohl freie Bewegung, frische

wärme. So unterscheiden sich die Wär-

Kastenstandhaltung für leere Sauen:

Luft und Sonne gerade Jungtieren gut tun.

meansprüche von Muttersau und deren

Diese Haltung ist zwar nur kurze Zeit bis

Babys um fast 15 Grad. Trotzdem müs-

zur erneuten Belegung der Sauen zuläs-

Ungenügende Bewegung und Beschäftigung: Auf einem Quadratme-

sen sie im gleichen Stall leben. Um bei-

sig. Das Tierverhalten wird in dieser Zeit

den gerecht zu werden und gleichermas-

jedoch bis auf Fressen, Liegen und Stehen

ter dürfen drei Ferkel gehalten werden,

sen Hitze- und Kältestress zu vermeiden,

völlig unterbunden. Als Alternative bietet

und ein ständiges Angebot von Einstreu

bieten sich gewärmte Ferkelnester und

sich die Einzelhaltung in einer Bucht oder

zum Liegen oder Wühlen, Bearbeiten und

für die Sau Auslauf ins Freie an. Damit

die Gruppenhaltung an.

Kauen ist nicht Pflicht. Über ein Drittel

bliebe zudem die Säugebucht sauberer,

der Ferkel wird noch immer derart rest-

da Schweine ihre Kotplätze bevorzugt im

Zu wenig Auslauf und kaum Weide: Ein

riktiv gehalten. Diese massive Einschrän-

Freien anlegen. Allerdings erhalten heute

Drittel der tragenden Sauen wird ständig

kung des Bewegungs- und Beschäfti-

nur 6 % der säugenden Sauen Auslauf-

im Stall gehalten und hat keine Auslauf-

gungsverhaltens kann zu Verhaltensstö-

möglichkeit.

möglichkeit. Praktisch ganz verschwun-

rungen und Verletzungen führen.

nen einander nicht ausweichen oder sich

den ist die Schweineweide, obwohl sie dem Wesen der Sauen optimal entspräche.

Kälteschutz beim Liegen: Im Winter

Tierschutzwidrige Fressliegeboxen für tragende Sauen: Der Liegeplatz einer

können abgesetzte Ferkel beim Ruhen in

solchen Box, der gleichzeitig auch Fress-

Zudem ist die freie Bewegung von grosser

nicht wärmegedämmten Ställen frieren,

platz ist, kann nur unzureichend einge-

Wichtigkeit für die Kondition und damit

was sich an der Haufenlagerung der Tiere

streut werden und zwingt jede Sau in eine

die Gesundheit der durch die regelmässi-

zeigt. Deshalb benötigen sie ein gut ein-

bestimmte, eingeengte Lage beim Liegen.

gen Geburten samt grosser Würfe extrem

gestreutes, geschütztes Ferkelnest.

Der dahinterliegende Raum bietet wenig

geforderten Muttersauen.

Diese können junges Gras gut verwerten.

43


Fehlende verhaltensgerechte Einrichtungen: Da Schweine nicht schwit-

eine Zitzenordnung festlegen und jedem

Übermässiger Transport: Hielt ein

Ferkel eine Zitze «gehört». Durch die Zucht

Bauer früher Muttersauen und mästete

zen können, leiden sie bei hochsommer-

auf derart grosse Würfe gibt es mehr Küm-

deren Junge, hat sich die Branche seit

lichen Temperaturen. Die Tierschutzge-

merer unter den Ferkeln, und der Züchter

über dreissig Jahren konsequent speziali-

setzgebung fordert Abkühlmöglichkeiten.

muss mit erheblichem Mehraufwand Am-

siert in Züchter, welche mit Muttersauen

Gut können sich Schweine mittels Suhlen

men suchen für die überzähligen Ferkel

Ferkel erzeugen und in Mäster, welche

in der Freilandhaltung oder Duschen im

oder sie vollkommen künstlich und mut-

diese Ferkel kaufen und mästen. Seit rund

Auslauf kühlen. Sie lernen rasch, mit der

terlos aufziehen. Heute gebären Sauen

zehn Jahren gibt es ein noch spezialisier-

Schnauze den Druckknopf zum Auslösen

zwar zwei Ferkel mehr als noch vor 25

teres Verfahren, die sogenannte «arbeits-

eines kurzen Duschregens zu betätigen.

Jahren. Aber bereits nach vier Wochen hat

teilige Ferkelproduktion», wobei der Be-

Da erwachsene Schweine wenig bieg-

sich dieser Vorsprung auf ein Ferkel redu-

reich der Schweinezucht weiter unterteilt

sam sind, benötigen sie zur Körperpflege

ziert. Das bedeutet, dass gleichzeitig auch

wird: ein Bauer betreibt das Abferkelge-

und zum Kratzen von Rücken, Flanke und

immer mehr Schweinebabys Kümmerlinge

schäft, ein anderer sorgt für das Belegen

Hinterteil Scheuermöglichkeiten. Aus-

sind und sterben. Die Muttersauen werden

der Sauen mittels Eber oder künstlicher

ser in der Freilandhaltung wird eines der

durch die vielen säugenden Ferkel stark

Befruchtung, ein dritter hält die tragen-

zentralsten Verhaltensbedürfnisse von

beansprucht, es ist fast nicht mehr mög-

den Sauen und ein vierter zieht abgesetzte

Schweinen, das Wühlen, in praktisch al-

lich, sie leistungsgerecht zu füttern. Nach

Ferkel auf. Das hat zur Folge, dass Mut-

len Haltungen grösstenteils verunmög-

dem Absetzen der Ferkel werden sie gleich

tersauen und Ferkel sehr viel häufiger he-

licht. Das Anlegen eines Wühlareals hilft

wieder trächtig gemacht, sodass ihr Kör-

rumtransportiert werden. Problematisch

dem ab.

per permanent eine Riesenfortpflanzungs-

aus Tierschutzsicht ist dabei insbeson-

leistung erbringen muss. Den Tribut dafür

dere der routinemässige Transport hoch-

Grosse Würfe und kurze Nutzungsdauer wegen extremer Leistungszucht: Durch die Anpaarung mit super-

zahlen die Tiere: Meist werden die Mutter-

tragender Sauen.

fruchtbaren Sauen gebären Sauen immer

geliefert, im eigentlich für Schweine noch

Mangelnde Liegequalität: Anstelle von

mehr Ferkel pro Wurf, teilweise bereits

jungen Alter von knapp drei Jahren. Auf

Einstreu oder anderen geeigneten Liege-

mehr, als milchführende Zitzen vorhanden

diese Weise müssen pro Jahr wesentlich

materialien sind auch harte, perforierte

sind. Dabei hat es die Natur so eingerichtet,

mehr junge Muttersauen erzeugt und äl-

Betonböden zulässig. Diese entsprechen

dass die Ferkel schon kurz nach der Geburt

tere geschlachtet werden.

den Ansprüchen von Schweinen an ei-

sauen, völlig abgemagert und abgesaugt, bereits nach fünf Würfen zum Schlachten

Mastschweine

nen Liegeplatz – sie bauen sich mit Stroh Schlafnester – überhaupt nicht. Die Böden verschmutzen rasch, werden glitschig und führen bei den Schweinen vermehrt zu Druckstellen und Hautschürfungen. Rund 40 % der Masttiere wird heute ein schweinekonformer Liegeplatz vorenthalten.

Kaum freie Bewegung: Für die bis zu 105 Kilogramm schweren Mastschweine sind lediglich 0,9 Quadratmeter Fläche vorgeschrieben, das heisst auf der Fläche eines durchschnittlichen Autoparkplatzes liessen sich völlig legal 10 Schweine mästen. Dieser Platz reicht nur gerade zum Liegen, nicht aber für das artgemässe Fortbewegungsverhalten. Noch immer werden rund 40 % aller Schweine in derart beengten Platzverhältnissen gemästet.

Legale Spaltenbodenhaltung für Mastschweine, ohne Einstreu und ohne Auslauf ins Freie

44

Fehlen von Auslauf: 40 % der Mastschweine verlassen den Stall nur am Tag ihrer Schlachtung. Sie werden ansonsten

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


ohne Auslauf ins Freie, in beengten, kahlen Stallbuchten gehalten.

Kastration: Seit dem 1. Januar 2010 dürfen männliche Ferkel nur mehr unter Schmerzausschaltung kastriert werden. Das ist bislang weltweit einzigartig. Alllerdings zeigen Untersuchungen, dass gegen 10 % der Ferkel nicht korrekt betäubt werden, was den Forderungen der Tierschutzgesetzgebung widerspricht. Besser wäre es, Ferkel gar nicht zu kastrieren und Jungebermast zu betreiben.

Rasches Wachstum: Aus wirtschaftlichen Gründen, um billiger Schweinefleisch erzeugen zu können, wird auf immer rascher wachsende und Muskelfleisch ansetzende Tiere gezüchtet. Während der Mast nehmen Mastschweine mittlerweile täglich ein Kilogramm Gewicht zu. Es besteht die Gefahr, dass die Knochen, Ge-

Vorbildliche Hühnerwiese

lenke und Sehnen dadurch überbean-

8.4 Tierschutzprobleme Geflügel

sprucht werden, was sehr schmerzhaft ist

siko»). Das Tierwohl hängt mit von der

für die Tiere. Als Konsequenz bewegen sie

Grösse eines Tierbestandes ab. So nimmt

sich wenig und können eine tierfreundli-

bei Schweinen, aber auch bei allen an-

che Haltung mit Auslauf oder eine Frei-

deren Tierkategorien, der Betreuungs-

landhaltung kaum mehr richtig nutzen.

aufwand je Tier mit zunehmender Grösse

Zuchthühner, Elterntierhaltung

Bei der Anpaarung mit sehr rasch wach-

rapid ab. Damit schneiden sich die Bau-

Wenig Auslauf ins Freie: Die Eltern der

senden ausländischen Zuchtlinien zeigen

ern meist ins eigene Fleisch, denn Pflege,

für die Eiererzeugung und Mast benötig-

sich auch bereits Fleischqualitätsmängel

Überwachung und Mensch-Tier-Bezie-

ten Hühner werden grösstenteils in ge-

im Schinken, die dem früheren PSE-Syn-

hung stellen nebst der Art der Tierhal-

schlossenen Ställen gehalten. Lediglich

drom (Fleisch ist pale, soft, exudative –

tung die wichtigsten Einflussfaktoren so-

ein Drittel der Hennen und Hähne hat die

blass, weich, wässrig) ähneln.

wohl auf das Tierwohl als auch auf die

Möglichkeit, ganzjährig in einem Aussen-

ökonomische Rentabilität dar. Da die Im-

klimabereich (Wintergarten) zu frischer

Grenze bei Stallgrösse erreicht: Der

missionen und der Geruch mit steigender

Luft und Sonnenlicht zu gelangen. 83 %

Bund lässt heute den Bau von Mast-

Tierzahl immer grösser werden, tendieren

der Elterntiere dürfen nie auf eine Weide.

schweineställen für bis zu 1500 Tiere

Grossbetriebe zur widernatürlichen Hal-

zu, mit Ausnahmebewilligung sogar für

tung in geschlossenen Stallhüllen, ohne

noch mehr Tiere. Wissenschaftliche Un-

Auslauf ins Freie.

Coupieren von Sporen und Zehen bei männlichen Elterntieren: Diese Ein-

tersuchungen zeigen, dass Grossbetriebe

griffe sind legal und werden unter ande-

mit 2000 und mehr Schweinen vermehrt

rem zum Schutz der Hennen bei der Be-

Gesundheitsprobleme aufweisen. Kommt

gattung gemacht. Allerdings stellt diese

es zu einem Seuchenfall, müssen extrem

Massnahme eine fragwürdige Anpas-

viele Tiere gekeult werden («Klumpenri-

sung des Tiers an die menschengemachten Haltungsbedingungen dar, beispiels-

Resultate Mastleistungsprüfungsanstalt Sempach

weise an den üblichen, relativ hohen An-

Jahr 1980 2010

den, oder bei Mastelternhähnen von Tru-

Masttageszunahmen 800 g 930 g

Anteil wertvolle Fleischstücke 52 % 57 %

Futterverwertung* 3,0 2,5

teil männlicher Hähne in Elterntierherten und Hühnern an das zuchtbedingte hohe Gewicht.

* kg Futter je kg Zuwachs

45


an. Ein Männchen der heutigen Legehybriden müsste mehr als dreimal länger, nämlich 18 Wochen, gemästet werden, um das Schlachtgewicht von Masthybriden zu erreichen. Sie würden dazu gar fünfmal mehr Futter benötigen, wie eine aktuelle deutsche Studie zeigt. Damit ist die Ausmast von auf hohe Legeleistung gezüchteten Hühnern unrentabel und betreffend Futterverwertung ineffizient. Aus diesem Grund werden in der Schweiz und weltweit die männlichen Küken von Legelinien gleich nach dem Schlupf aussortiert und getötet. Eventuell ist es schon bald möglich, Geschlechtsbestimmung im Ei durchzuführen. So müssten Eier, aus denen männliche Küken schlüpfen würden, nicht mehr bebrütet werden und man könnte auf das perverse Eintagsküken-Töten verzichten.

Ein Legehuhn (links) und ein Masthuhn (rechts), jeweils im Alter von 29 Tagen

Kaum Auslauf ins Freie: Die allermeisten der während rund vier Monaten vom Eintagsküken zur legebereiten Hennen aufge-

Schnabeltouchieren von Legeküken:

haltung geeignete Linien stellen im Porte-

zogenen Junghennen, nämlich 80 %, ha-

Im Unterschied zum Schnabelcoupieren,

feuille dieser Konzerne ein Nischenpro-

ben keinerlei Zugang zu einer Weide. Da-

wo erhebliche Teile des Schnabels wegge-

dukt dar, sodass die Beschaffung für ver-

bei wäre viel Bewegung im Freien gesund-

kürzt werden, soll beim Touchieren ledig-

antwortungsbewusste Schweizer Vermeh-

heitsfördernd und würde die Kondition der

lich die vorderste Schnabelspitze im nicht

rer ein Problem darstellen kann. Männli-

Jungtiere verbessern.

innervierten Bereich entfernt werden. Al-

che Turbotruten nehmen um 150 Gramm

lerdings sind die Unterschiede je nach Ar-

pro Tag zu und wachsen damit doppelt

Legehennen

beitsqualität der durchführenden Fachper-

so schnell wie Rassetruten. Turbopoulets

Alle Legehennen verfügen in der Schweiz

son fliessend. Wird der Hühnerschnabel im

nehmen täglich 50 Gramm zu und wach-

über erhöhte Plätze zum Ruhen, geschützte

innervierten Bereich coupiert, ist dies nicht

sen damit gar viermal schneller als Jung-

Nester zum Eierlegen und Einstreu zum Pi-

nur beim Eingriff selbst schmerzhaft. Viel-

hennen. Turbotruten und -poulets müssen

cken, Scharren und Staubbaden. Fast 90 %

mehr muss ein Huhn dann ein Leben lang

jung geschlachtet werden. Würde man sie

haben ständigen Zugang zu einem Aus-

sogenannte Phantomschmerzen ertragen,

weiter wachsen lassen, könnten sie sich

senklimabereich, und 70 % zu einer Weide.

vergleichbar Menschen mit amputierten

wegen des enormen Körpergewichts und

Die Legehennenhaltung in der Schweiz

Gliedern.

der Schmerzen beim Gehen kaum mehr

kommt international gesehen den Bedürf-

bewegen, und die Todesrate würde auf

nissen der Tiere mit Abstand am nächs-

bis zu 30 % steigen, wie Untersuchungen

ten. Aber auch im Vergleich zum Haltungs-

drastisch zeigen!

standard etwa von Tieren der Rinder- und

Importierte Tierschutz- und Gesundheitsprobleme: Die Zucht von Poulets

Schweinegattung in der Schweiz hat sie

liegt weltweit in den Händen von nur mehr zwei, diejenige von Legehennen von drei

Brut und Junghennen

international tätigen Zuchtkonzernen. Die

Töten der männlichen Legeküken:

Schweiz betreibt seit vielen Jahrzehnten

Wurden noch bis vor sechzig Jahren weib-

Staub und Schadstoffe: Verschiedene

keine eigenständige Wirtschaftsgeflügel-

liche Hühner zum Eierlegen und die Hähn-

Management- und Haltungsaspekte, etwa

zucht, sondern vermehrt lediglich mit den

chen zur Mast gehalten, also eine Art

hohe Besatzdichten, die Einstreu oder un-

importierten Hochzuchttieren. Die meisten

«Zweinutzung» betrieben, änderte sich die

genügende Entmistungs- und Lüftungssys-

dieser Linien sind auf möglichst hohe Leis-

Situation mit dem Aufkommen von spezi-

teme, führen zu teilweise hohen Staub- und

tungen gezüchtet – Gesundheit, Verhalten

alisierten Mastlinien, wo Männchen und

Schadstoffgehalten in der Stallluft. Diese be-

und das Wohl der Tiere spielen dabei kaum

Weibchen gemästet werden. Diese setzen

lasten die Hühner und führen etwa zu Atem-

eine Rolle. Für eine artgerechte Freiland-

viel rascher und viel mehr Muskelfleisch

wegserkrankungen bei Mensch und Tier.

46

ein recht hohes Niveau erreicht.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Nestqualität ungenügend: Hühner ziehen zur Eiablage eingestreute Nester, zum Beispiel Kornspreuer, allen anderen Nesttypen klar vor. Denn nur mit und in manipulierbarem Nestmaterial können sie ihr angeborenes Nest- und Eiablageverhalten ungehindert durchführen. Über 95 % aller Nester entsprechen indessen nicht diesen Vorgaben, sondern enthalten Plastikschalen oder Kunstrasen.

Beleuchtung: Die meisten Vögel, darunter auch Hühner und Truten, schauen die Welt wesentlich anders an als wir Menschen. Sie vermögen UV-Licht und das Flimmern (mit einer Frequenz von 100 Hertz) von Leuchtstoffröhren zu sehen. Letzteres empfinden sie als ständigen blitzschnellen Hell-Dunkel-Wechsel, was zu Nervosität und Verhaltensstörungen führen kann. Natürliches, ungefiltertes Tageslicht ist auch für Hühner das beste, doch

Leben mit künstlicher Beleuchtung. Dies fördert nervöses Verhalten

noch viele Ställe sind ungenügend mit Sonnenlicht versorgt.

sere Einheiten würden dazu führen, dass

längere Mastdauer auf, sodass die Erzeu-

die Böden um den Stall übermässig belas-

gungskosten und der Ladenpreis wesent-

Kurze Nutzung: Nach nur knapp 14 Mo-

tet würden mit Exkrementen, die Weide

lich höher zu stehen kommen. Besser sieht

naten Nutzung und rund 350 gelegten Ei-

überbevölkert und übernutzt würde und

die Situation bei Truten aus. Hier verfü-

ern – also im noch jungen Alter von 1,5

zunehmend Tiere im Stall blieben. Eine

gen 95 % der Tiere über Weidezugang. Er-

Jahren – werden Legehennen heute ge-

solche «Freilandhaltung» wäre dann auch

freulicherweise hat sich hingegen der Aus-

schlachtet. Dies, obwohl sie nach einer

den Konsumenten gegenüber fragwürdig.

senklimabereich, der Wintergarten, sowohl bei den Legehennen als auch beim Mast-

mehrwöchigen jährlichen Legepause, die mit einem Gefiederwechsel verbunden ist,

Berufskrankheiten: Durch die Vorgabe,

geflügel durchgesetzt: 89 % der Masthüh-

jedes Jahr erneut legen würden, und zwar

dass Legehennen in dem einen Jahr der

ner und 95 % der Truten steht ständig ein

bis gegen etwa 1500 Eiern insgesamt. Von

Nutzung immer mehr und schwerere Eier

Aussenbereich zur Verfügung.

Jahr zu Jahr nimmt die Legeleistung al-

legen müssen, werden die Hennen zu ex-

lerdings um etwa 20 % ab, dafür werden

tremen Stoffwechselleistungen gezwun-

aber grössere Eier gelegt. Wegen der ext-

gen. Es treten spezifische Krankheiten der

rem kurzen Nutzung müssen pro Jahr we-

Hochleistungshenne auf wie Eileiterent-

Pouletmastversuche UFA-Bühl

sentlich mehr Junghennen erzeugt und Le-

zündungen und Osteomalazie (Knochen-

1965: 59 Tage Mastdauer bis Tier 1,6 kg

gehennen geschlachtet werden.

erweichung).

schwer ist; 26 g Zunahme je Tag; Futter-

Grenze bei Stallgrösse erreicht: Ställe

Masthühner und -truten

mit bis zu 18 000 Lege- oder Junghennen

Kaum Weide bei Masthühnern: Nur je-

sind in der Schweiz zulässig. Da sich Hüh-

des zehnte Masthuhn hat Zugang zu einer

2008: 38 Tage Mastdauer bis Tier 2,3 kg

ner selbst bei optimaler Gestaltung von

Weide. Der Grund dafür liegt in der Tat-

schwer ist; 60 g Zunahme je Tag; Futter-

Auslauf und Weide (insbesondere Schutz

sache, dass konventionelle Mastlinien we-

verwertung: 1,7 kg Futter für Zuwachs von

vor Raubvögeln), nie mehr als 100 bis 150

gen Überzüchtungserscheinungen Weiden

1 kg.

Meter vom Stall – respektive in der freien

kaum nutzen und deshalb für eine glaub-

Natur von ihrem Schlafbaum – entfernen,

würdige Freiland- respektive Weidehal-

Die heutigen Rassen benötigen also we-

stellt dieser Wert die oberste Grenze dar,

tung gar nicht brauchbar sind. Für die Frei-

sentlich weniger Futter in der Mast, aller-

bei der eine Freilandhaltung ethologisch

landhaltung geeignete, normalwachsende

dings sind die heutigen Futtermischungen

und ökologisch noch vertretbar ist. Grös-

Rassen weisen indessen eine rund 50 %

wesentlich hochwertiger.

verwertung: 2,3 kg Futter für Zuwachs von 1 kg

47


Wenig Platz: Pro Quadratmeter Stallflä-

überbeansprucht. Während Junghennen

flügelarten leben in Hobbyhaltungen. Das

che dürfen 30 Kilogramm Tiere (bei ei-

fliegen und problemlos einen bis andert-

Gros des in der Schweiz konsumierten En-

nem Endgewicht von durchschnittlich 1,8

halb Meter in die Höhe flattern können,

ten-, Gänse-, Perlhuhn-, Fasanen-, Wach-

kg entsprechend knapp 17 Tiere) gehal-

wird Mastgeflügel von Alterswoche zu

tel- und Taubenfleisches wird importiert,

ten werden. Da sich im Unterschied zur

Alterswoche immer träger und ruht zu-

zumeist aus tierschützerisch fragwürdi-

Legehennenhaltung konventionelle Mast-

meist nicht hühnerkonform am Boden.

gen Haltungen.

hühner tagsüber fast ausschliesslich am

Dies auch, weil jede Bewegung die über-

Boden aufhalten, besteht eine hohe Tier-

züchteten Tiere stark beansprucht, ja ih-

dichte.

nen sogar Schmerzen bereiteten kann. Weitere «Berufskrankheiten» von rasch-

8.5 Tierschutzprobleme Schafe, Ziegen und Kaninchen

Grenze bei Stallgrösse erreicht: Ställe

wüchsigen Mastgeflügellinien sind aku-

mit bis zu 18 000 Masthühnern sind in der

tes Kreislaufversagen, Ödemkrankheiten

Schafe

Schweiz zulässig. Da der Betreuungsauf-

und Leberverfettung. Im Gegensatz etwa

Die Schafhaltung wird in der Schweiz

wand je Tier mit zunehmender Grösse ra-

zu den normalwachsenden Freilandmast-

recht extensiv und mit fleissigem Wei-

pide abnimmt, stellt diese Grösse das ab-

hühnerlinien weisen Turbomasthühner

degang betrieben. Rund 80 % der auf

solute Maximum dar. Denn Pflege, Über-

eine fast doppelt so hohe Mortalität auf.

Bauernhöfen gehaltenen Schafe erhal-

wachung und Mensch-Tier-Beziehung

ten Weidegang. Zwei auch tierschütze-

Enten, Gänse, Perlhühner, Fasanen, Wachteln, Tauben

risch bedeutsame Eigenheiten charakteri-

wichtigsten Einflussfaktoren sowohl auf das Tierwohl als auch auf die ökonomi-

Die Tierschutzgesetzgebung regelt die

des Schafbestandes gehört nicht bäuerli-

sche Rentabilität dar.

Haltung dieser Tierarten in der Schweiz.

chen Tierhaltern, und über die Hälfte der

Allerdings existieren hier mit Ausnahme

Schafe wird im Sommer gealpt. In bei-

stellen nebst der Art der Tierhaltung die

»Berufskrankheiten»:

sieren die Schafhaltung: Rund ein Drittel

Mastgeflügel-

einiger weniger Wachtelzuchten, die we-

den Haltungen ist die behördliche Über-

linien werden auf rasches und starkes

sentlich strengere gesetzliche Vorgaben

wachung des Tierschutzes weniger kon-

Wachstum von Brust- und Schenkelmus-

erfüllen als ausländische Betriebe, wo

sequent als auf Bauernhöfen. Auf Alpen

kulatur gezüchtet. Die Muskelentwick-

beispielsweise die Käfighaltung noch zu-

sind die Tierschutzvorschriften, etwa be-

lung läuft der Skelettentwicklung förm-

lässig ist, kaum wirtschaftlich und auf

treffend Witterungsschutz, Wasserzugang

lich davon, Knochen und Sehnen werden

berufsmässiger Basis betriebene Geflü-

oder Tierüberwachung, zudem larger als

durch Gewicht und Kraft der Muskeln

gelhaltungen. Die allermeisten dieser Ge-

im Talgebiet.

Schwanzcoupieren

zulässig:

Vie-

len Schafen wird der Schwanz coupiert, um einem Verschmutzen der Hinterpartie vorzubeugen, etwa bei raschen Futterwechseln. Diese Massnahme ist zweifellos schmerzhaft. Zudem kann durch bessere Pflege und Fütterung die Verschmutzungsgefahr verringert werden.

Ziegen Grosse Verbreitung der restriktiven Anbindehaltung: Rund zwei Drittel der Ziegen dürfen nicht in Gruppen und in strukturierten Freilaufställen leben, wie es ihrer Natur entspräche, sondern sind einzeln angebunden. Darunter leidet das hoch entwickelte Sozialleben und das Bewegungsverhalten der neugierigen Ziegen, insbesondere in der Stallhaltungszeit

Ein Grossteil der Schafe erhält Weidegang

48

von Oktober bis April. Besser geht es den Ziegen in der Vegetationszeit: dann können drei Viertel auf die Weide.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Enthornen: Die meisten einheimischen

Einsatz von Hilfsmitteln, etwa Zäume und

Zunahme Tiertransporte: Für viele Tiere

Milch-Ziegenrassen haben natürlicher-

Hilfszügel, können extremen Einfluss auf

haben die Transportwege im Vergleich zu

weise Hörner. Wie bei den Rindern wird

das Wohl und die Gesundheit von Pferden

früher streckenmässig zugenommen, denn

auch bei Ziegen zunehmend enthornt,

haben. Bis heute regelt die Tierschutzver-

das Schlachten wird in der Schweiz aus

unter Schmerzausschaltung und mit defi-

ordnung diesen tierschutzsensiblen Be-

wirtschaftlichen Gründen auf immer weni-

nierten Methoden. Die Hörner spielen bei

reich allerdings nicht.

ger und immer «leistungsstärkere» Gross-

der Kommunikation, der Festlegung der

betriebe konzentriert. Auch die fortschrei-

8.7 Tierschutzprobleme Transporte

tende Arbeitsteilung und Spezialisierung

wichtige Rolle bei Rind und Ziege. Das Enthornen stellt eine Anpassung an den

Die Schweiz verfügt über die strengste

und Transporte von Tieren an. So wer-

Menschen (Unfallgefahr) oder ans Hal-

Tiertransportgesetzgebung weltweit, mit

den heute die meisten zur Mast bestimm-

tungssystem dar.

einer Ausbildungspflicht für Transpor-

ten Tiere früh in ihrem Leben verkauft und

Rangordnung und der Körperpflege eine

in der Nutztierhaltung kurbeln Handel

teure, einer maximalen Transportdauer

aus den Geburts- in spezialisierte Mast-

Kaninchen

von sechs Stunden und konkreten Vorga-

betriebe verbracht. Legehennen werden in

Verbreitete Einzelhaltung und kaum Auslauf ins Freie: Der Grossteil an Ka-

ben zu Transportmitteln und zum Um-

ihrem Leben gar drei Mal transportiert: als

gang mit transportierten Tieren. Aus tier-

Eintagsküken von der Brüterei in den Auf-

ninchen wird in der Schweiz von Ras-

schützerischen Gründen ist der Transit

zuchtbetrieb, mit knapp vier Monaten auf

sezüchtern für das Schauwesen und in

von Schlachttieren aus dem EU-Raum

den Legebetrieb, und im Alter von rund

Privathaushalten als Kuscheltiere gehal-

durch die Schweiz verboten. In der

18 Monaten, nach der Produktion von 350

ten. Wie diese präferiert auch die Wirt-

Schweiz werden jährlich rund 3 Millionen

Eiern, in den Schlachthof.

schaftskaninchenzucht auf Bauernhöfen

Kälber, Kühe, Rinder, Schweine, Schafe

die noch immer legale Einzelhaltung von

und Ziegen sowie 45 Millionen Hühner

Transport hochträchtiger Tiere: Un-

Zibben. Erst 26 % der Kaninchen dürfen

zum Schlachthof gefahren. Werden noch

verständlicherweise lässt die Tierschutz-

ihrer Natur gemäss frei in Gruppen und in

die Zuchtvieh- und Jungtiertransporte

gesetzgebung den Transport solcher Tiere,

strukturierten Freilaufställen leben. Prak-

dazugerechnet, ergeben sich pro Jahr ge-

die sich in einer extrem belasteten Lebens-

tisch inexistent ist die Auslaufhaltung, in

gen 60 Millionen zu befördernder Nutz-

phase befinden, zu. Mit dem Aufkommen

deren Genuss nur knapp 2 % der Kanin-

tiere. Pro Arbeitstag kommen so auf un-

der arbeitsteiligen Ferkelproduktion hat

chen kommen. Allerdings ist zu sagen,

seren Strassen im Durchschnitt fast eine

insbesondere der Transport hochträchti-

dass die Erwerbskaninchen-Freilandhal-

Viertelmillion Tiere zusammen.

ger Muttersauen stark zugenommen.

tung teilweise mit Mortalitätsraten von 30 bis 40 % aufwartet, was hinter die Tierfreundlichkeit dieser Haltungsform ein grosses Fragezeichen setzt.

8.6 Tierschutzprobleme Pferde Verbreitete Einzelhaltung: Ein erheblicher Teil der Pferde wird ausserhalb der Landwirtschaft gehalten. Tendenziell dürfte es den auf Bauernhöfen gehaltenen Pferden besser gehen, da hier mehr Platz und insbesondere Weiden vorhanden sind. Während rund 80 % der in der Landwirtschaft gehaltenen Pferde erfreulicherweise über Auslauf und Weidegang verfügen, ist die Einzelhaltung von Stuten und Wallachen noch sehr verbreitet. Nur eines von acht erwachsenen Pferden darf artgemäss in Gruppen leben.

Umgang und Hilfsmittel: Die Art und Weise der Ausbildung und der Beanspruchung des Tieres beim Reiten wie auch der

Pferdeleben wie es sein soll: in einer Gruppe mit Weidegang und Auslauf

49


und Schlachtfrequenzen von 600–700 Schweinen pro Stunde die Tierzuführung mit Einzeltreibgängen nur mehr über den regelmässigen, tierschutzwidrigen Einsatz von für die Tiere sehr schmerzhaften Elektrotreibhilfen erfolgt. Nach der Gasoder Elektrobetäubung müssen die Tiere raschestmöglich gestochen werden, damit sie entbluten und sterben und nicht wieder aufwachen. Für die korrekte Ausführung des Stichs mit einem Hohlmesser bleiben den Arbeitern bei derart extremen Frequenzen indessen lediglich 6 Sekunden Zeit! So kommt es bei 1 % der Tiere dazu, dass es nicht richtig gestochen wird und bei vollem Bewusstsein in die Weiterverarbeitung (Brühanlage!) fährt. Ein Horrorszenario, von dem gemäss Experten bei etwa 250 Millionen geschlachteten

Schweine auf ihrer letzten Fahrt

Schweinen in der EU gegen 2,5 Millionen betroffen sein könnten.

Geflügelschlachtung: Die seit JahrTransport mit dreistöckigen Fahrzeugen: Mittlerweile fahren auch in der

schultes Personal einsetzen und besser

zehnten weltweit praktizierte Geflügel-

überwacht werden. Demgegenüber gibt

betäubung im mit Strom durchflossenen

Schweiz solche Fahrzeuge. Wegen der be-

es ein Mehr an Transporten, und je Zeit-

Wasserbad weist enorme Tierschutzpro-

schränkten Höhe bieten sie den Tieren viel

einheit müssen immer mehr Tiere ange-

bleme auf, beginnend beim Aufhängen

weniger Raum und erschweren das Lüften

liefert, abgeladen, in die Wartebuchten

der angelieferten Tiere an den Füssen,

sowie im Sommer die Kühlung. Der Auf-,

getrieben und schlussendlich den Betäu-

über die ungenügende Betäubungssicher-

Um- und Ablad der Tiere wird schwieri-

bungsanlagen zugeführt werden. Das er-

heit, da einzelne Hühner es immer wieder

ger und insbesondere länger, sodass die

fordert eine ausgereifte Technik, Organi-

schaffen, Kopf und Hals über das Was-

Transportdauer zunimmt, was nicht im

sation und Überwachung.

serbad zu halten, bis zur wegen der extrem hohen Schlachtfrequenz kaum mehr

Interesse der Tiere liegt.

Hohe Schlachtfrequenzen: Auch wenn

möglichen Kontrolle und Entnahme von

8.8 Tierschutzprobleme Schlachthöfe

in der Schweiz je Stunde und Schlachtli-

nicht korrekt betäubten Hühnern. In der

nie insbesondere bei Schweinen und Ge-

Schweiz ist diese antiquierte und tier-

Der Bund hat 2010 neue, zeitgemässe

flügel noch mit tieferen Betäubungs- und

schutzproblematische Methode zulässig.

Vorschriften zum Töten von Tieren in

Tötungsfrequenzen gearbeitet wird als in

Eine schonendere und sicherere Betäu-

Schlachtanlagen erlassen. Damit verbes-

den Grossschlachthöfen der EU und der

bung und Tötung von Geflügel gewähr-

serte sich die Situation für viele Tiere am

USA, so haben sich diese im Vergleich zu

leisten moderne Gasbetäubungsanlagen,

Ende ihres Lebens.

fünfzig Jahren früher doch vervielfacht.

wie sie die Bell AG nach Beratung durch

Spezialisierte Schweizer Schlachthöfe tö-

den STS seit 2011 betreibt.

Konzentration der Schlachtanlagen: Über 90 % aller Kühe, Kälber, Rin-

ten heute stündlich 8000 Hühner und 300

der, Schweine, Ziegen, Schafe, Hüh-

sogar 12 000 Hühner und 700 Schweine

ner und Truten schweizweit werden in

pro Stunde. Bei derart hohen Geschwin-

knapp einem Dutzend mittlerer bis gros-

digkeiten wird es immer schwieriger, die

Mensch-Tier-Kontakt

ser Schlachthöfe getötet. Das bringt Vor-

Tiere schonend den Anlagen zuzufüh-

Insbesondere durch die zunehmende Tier-

und Nachteile. Wenige, aber dafür grös-

ren und vor allem die korrekte Betäu-

zahl je Betrieb und durch den Einsatz ar-

sere Schlachtanlagen können Wissen und

bung jedes einzelnen Tieres festzustel-

beitssparender Einrichtungen, beispiels-

Erfahrung samt Investitionen in bessere

len. So zeigen aktuelle EU-Studien, dass

weise den Melkroboter, aber auch in ex-

Einrichtungen rascher umsetzen, gut ge-

bei Restrainer-Elektrobetäubungsanlagen

tensiveren Haltungsformen wie Freilauf-

50

Schweine, im Ausland sind es teilweise

8.9 Weitere Aspekte der Nutztierhaltung

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


ställen, Weidemast oder Mutterkuhhaltung wird der Kontakt zum einzelnen Tier quantitativ oft geringer und der menschliche Zugang zum Einzeltier in der Herde gestaltet sich schwieriger. So gehört das Küheputzen mit Bürste und Striegel in vielen Betrieben längst der Vergangenheit an. Viele Tiere sind es auch nicht mehr gewohnt, angebunden zu stehen oder geführt zu werden. Doch weiterhin müssen Rinder aussortiert, fixiert und geführt werden können, ob für eine veterinärmedizinische Untersuchung oder Impfung, die Klauenpflege, die Umstallung oder den Transport. Ob und wie ein Bauer seine Tiere anspricht und wie diese darauf reagieren, verrät Aussenstehenden oft viel über die Qualität einer Tierhaltung. Ein positiver Kontakt führt meist zu ruhigeren, entspannteren und zutraulicheren Tieren. Sorgfältige Beobachtung und Pflege stel-

Ob und wie ein Bauer seine Tiere anspricht, sagt viel über die Tierhaltung

len mit die gesundheitlich und ökonomisch wichtigsten Schlüsselfaktoren der

zucht oder rasche, frühe Trennung von

und der Bund seit 1996 solche Haltungs-

Tierhaltung dar – aber auch die am meis-

Mutter und Kind durchaus Konsequenzen

formen mit (allerdings geringen) jährli-

ten unterschätzten!

haben und etwa bei Kälbern und Ferkeln

chen Beiträgen unterstützt. Völlig falsch

das gegenseitige Besaugen fördern. Hal-

ist auch das Argument, dass es den Tieren

Eingeschränktes Sozialleben

tungsformen, die dem natürlichen Sozi-

ja wohl sein müsse, wenn sie hohe Nutz-

Das angeborene Sozialverhalten der

alleben Rechnung tragen – beispielsweise

leistungen erbringen. Denn die Leistung

Nutztiere wird aus produktionstechni-

das geniale Konzept des Familienstalls für

ist genetisch fixiert. Ein Hochleistungstier

schen Gründen stark eingeschränkt. Wäh-

Schweine des leider allzu früh verstorbe-

muss viel Milch oder Eier erzeugen oder

rend natürliche Sozialverbände sich in der

nen Zürcher Verhaltensforschers Alex

rasch Fleisch ansetzen, ob es will oder

Regel aus jüngeren und älteren männli-

Stolba –, konnten sich mit Ausnahme der

nicht, ob es eingesperrt ist oder im Frei-

chen und weiblichen Erwachsenen sowie

Mutterkuhhaltung nicht durchsetzen. Mit

land lebt. Untersuchungen der ETH Zürich

aus Halbwüchsigen und Kindern zusam-

Blick auf die Neuausrichtung der Land-

zeigten bereits in den 1980er-Jahren, dass

mensetzen und etwa bei Rindern sowie

wirtschaft hin zu mehr Tierschutz sind

selbst schwer verletzte Hühner in Käfig-

Schweinen Mütter und Töchter oft ein

Wissenschaft und Praxis gefordert, nach

batterien täglich Eier legten!

Leben lang zusammenbleiben, werden in

Lösungen für eine bessere Berücksichti-

Buchhaltungsergebnisse deuten da-

der Tiermast und der Eiererzeugung stets

gung des Sozialverhaltens der Nutztiere

rauf hin, dass die ökonomischen Un-

gleichaltrige Tiere gehalten. Zudem sind

zu suchen.

terschiede zwischen gut und schlecht wirtschaftenden Betrieben grösser sind

Nutztiere häufig schon ganz früh im Leben auf sich alleine gestellt oder wach-

Wirtschaftlichkeit

als die Unterschiede zwischen einzel-

sen gar mutterlos auf. Die Mutter-Kind-

Kaum ein anderes Thema gibt so viel

nen Haltungsformen für Tiere. Die jähr-

Beziehung, welche natürlicherweise bei

Anlass zu Diskussionen zwischen Bau-

lichen Auswertungen der UFA für hun-

allen Nutztieren einen hohen Stellenwert

ern und Tierschützern wie die Ökonomie.

derte von Schweinemast- und -zuchtbe-

einnimmt, wird heute in den allermeisten

In der Tat gilt es hier differenziert hin-

trieben zeigen, dass das erste Viertel der

Fällen fast völlig verunmöglicht. Über die

zuschauen. Die einfache Formel der Ag-

Bauern fast doppelt so viel verdient wie

Folgen für die Muttertiere und die Ent-

rarlobby, «Tierschutz = Kostentreiber»,

das letzte, unabhängig vom Haltungssys-

wicklung der Jungtiere liegen bislang nur

stimmt nicht und greift viel zu kurz im

tem. Als Hauptgrund wird von den Öko-

wenige wissenschaftliche Untersuchun-

Hinblick auf die Tatsache, dass Produkte

nomen stets das bessere Management ge-

gen vor. Praktische Erfahrungen deuten

von Tieren in artgerechter Haltung am

nannt. Ein ähnliches Bild findet man in

indessen darauf hin, dass künstliche Auf-

Markt meist einen besseren Preis lösen

der Mutterkuhhaltung. Die 25 % Topbau-

51


ern verdienen dort 2700 Franken je Kuh

bauten auskommen. Hingegen generie-

und Freilaufhaltung Fruchtbarkeit und

und Jahr, die schlechtesten 25 % indessen

ren tierfreundliche Haltungsformen mit

Tiergesundheit (z. B. Klauenprobleme,

lediglich 1200 Franken! Auch hier spielt

Einstreu und Auslauf teilweise Mehrauf-

Euterentzündungen, Gliedmassenerkran-

das Management, also der Faktor Mensch,

wand. Aus diesem Grund sind Label- und

kungen) verbessern sowie die Lebens-

die grösste Rolle. So finden sich auf den

Biozuschläge sowie die staatlichen BTS/

dauer verlängern können. Hier liegt ein

Betrieben der Gutverdiener lediglich 2 %

RAUS-Beiträge gerechtfertigt.

wesentliches Kostensparpotenzial, geht

Kälberverluste, bei den schlechten indes-

In der Milchviehhaltung hingegen

man doch davon aus, dass Euterentzün-

einen

dungen und Fruchtbarkeitsstörungen den

Für mehrere Tierkategorien trifft die

wichtigen Beitrag zur Senkung der Pro-

40 000 Schweizer Milchbauern Einbussen

Feststellung zu, dass der Tierschutz die

duktionskosten. Eine ETH-Modellrech-

von bis zu einer halben Milliarde Franken

Produktion verteuert, sei dies durch hö-

nung ergab, dass bei Beschränkung des

jährlich zufügen können.

here Investitionskosten oder durch Mehr-

Weidegangs auf die gesetzlichen Vor-

Tierarztkosten sind dabei nur die

aufwand. So brachte die Volierenhaltung

schriften von nur 90-mal Auslauf im

Spitze des Eisbergs. Die Tierarzt- und Me-

als tierfreundliche Alternative zur Käfig-

Jahr der erzielbare Milcherlös um 7 Rap-

dikamentenrechnungen fallen dem Land-

batterie 10–15 % höhere Produktionskos-

pen pro Kilogramm niedriger ausfällt, als

wirt zwar auf und erscheinen in der Buch-

ten mit sich. Sehr hohe Mehrkosten fal-

wenn die Kühe von Frühjahr bis Herbst

haltung. Viel stärker ins Gewicht fallen

len bei der Freilandhühnermast an. Durch

weiden. Der Vollweidebetrieb hat im Ver-

jedoch der Milchausfall während der Be-

das Zurverfügungstellen von Weide, die

gleich zu Betrieben mit Stallhaltung und

handlung und die in der Folge geringere

tieferen Besatzdichten im Stall und pri-

-fütterung ein Kostensparpotenzial von

Milchleistung der Kühe. Bessere Tierge-

mär durch den Einsatz von langsamer

mehreren hundert Franken pro Kuh. Wei-

sundheit bedeutet deshalb nicht nur ge-

wachsenden Hybriden mit einer um 50 %

dehaltung und Freilaufställe können die

ringere Tierarztkosten, sondern vor allem

verlängerten Mastdauer erhöhen sich die

Arbeitszeit reduzieren. Kommt dazu, dass

bessere Leistungen, weniger Leistungs-

Produktionskosten im Vergleich zur kon-

beim Melken im Freilaufstall mit Melk-

ausfälle und Abgänge, bessere Ausnüt-

ventionellen Haltung stark.

stand auch die Arbeitsbelastung vermin-

zung von Gebäuden und Einrichtungen,

sen 15 %!

leisten

Tierschutzmassnahmen

In der Schweinezucht/-mast und der

dert wird. Hier finden sich weniger un-

niedrigere Futter-, Remontierungs-, Ar-

Rindermast unterscheiden sich die Inves-

günstige Körperhaltungen und Arbeitsar-

beits- und Pflegekosten.

titionskosten für die verschiedenen Hal-

ten als beim Melken im Anbindestall.

Tierschutz wird oft mit grossen Neu-

tungsformen wenig, mit Ausnahme von

In- und ausländische Erfahrungen

und Umbauprojekten und damit hundert-

reinen Weidemasten, die ohne teure Stall-

zeigen, dass regelmässiger Weidegang

tausenden von Franken an Investitionen in Verbindung gebracht. Nicht jeder Stall ist aber schon amortisiert, und nicht jeder Tierhalter verfügt über ein derart dickes finanzielles Polster. Ist Tierschutz am Ende nur etwas für reiche Bauern? Keineswegs! Denn es muss nicht immer gleich ein teurer Umbau sein. Mit gutem Willen und Geschick lässt sich auch mit kleinem Portemonnaie viel fürs Wohlbefinden der Tiere tun: • Optimale Fütterung (Qualität, Regelmässigkeit, Häufigkeit) und ständiges Angebot von sauberem Wasser (z. B. Kälbermast!) • Licht und Luft (Vermeiden von Schadgasen, Staub, Zugluft; viel frische Luft durch

offene

Fenster/Stallfronten;

Wände und Decken sauber halten; fleissiges Entmisten; Überhitzung und Un-

Ein Freilaufstall ist gut für die Tiere und reduziert den Arbeitsaufwand

52

terkühlung vorbeugen) • Pflege (Klauen und Fell; Gesundheitszustand), Tiere ansprechen, Überwa-

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


chen der Einrichtungen (Unfall-/Ver-

Treibhausgasemissionen. Durch den Frei-

mehrt CO2 im Humus des Bodens gespei-

letzungsgefahr)

handel werden die klimarelevante Pro-

chert wird. Wiederkäuer auf der Weide

• Einstreu resp. angepasste Liegebereiche

duktion und die weltweite Verschiebung

sind keine Nahrungsmittelkonkurrenten

(Tiere ruhen 50 % von 24 Stunden!), Be-

von Kraftfutter für Tiere begünstigt. Die

der Menschen, da sie Dauergrünland nut-

schäftigung ermöglichen

Schweiz importierte in den letzten zehn

zen, das meist nicht ackerfähig ist, und

Jahren zunehmend auch Kraftfutter aus

aus diesen Gräsern und Kräutern, die der

bezüglich Umwelt- und Klimaschutz pro-

Mensch nicht verdauen kann, Milch und

Viele Landwirtschaftsberater und Bau-

blematischen Erzeugerregionen. Die Um-

Fleisch erzeugen. Eine bäuerliche Tierhal-

ern drängen darauf, menschliche Arbeits-

nutzung von Steppen und anderen na-

tung mit geregelter Weidewirtschaft und

kraft durch teure Technik und Maschinen

türlichen Grasgebieten könnte zudem

eine naturnahe Bewirtschaftung mit Bio-

zu ersetzen. Das kann durchaus Sinn ma-

ein kurzfristiges Phänomen sein, da der

und IP-Betrieben sind deshalb Teil der Kli-

chen, hat aber auch wirtschaftliche Gren-

Ackerbau dort meist in Monokulturen und

malösung – und nicht Verursacher wie die

zen, die oftmals übersehen werden. Wenig

wenig bodenschonend betrieben wird. So

Massentierhaltung. Gerade die Schweiz

sinnvoll ist es beispielsweise, eher güns-

ist es absehbar, dass durch Erosion die

mit ihrem hohen Anteil an Wiesen-, Wei-

tige Arbeitskräfte durch teure Technik

nur dünne fruchtbare Humusschicht ab-

den- und Alpgebieten – weniger als ein

zu ersetzen. Je mehr Technik ein Land-

getragen wird und die Böden danach we-

Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren

wirt etwa um seine Kühe herum investiert,

der zum Ackerbau noch zur Viehhaltung

Fläche ist ackerbaufähig – bietet dafür

desto mehr muss er die Milchleistung stei-

mehr gebraucht werden können.

beste Voraussetzungen.

• Bewegung (Auslauf ins Freie)

gern, um die hohen Kosten auf mehr Kilo-

Es ist zu unterscheiden zwischen ei-

gramm Milch verteilen zu können. So ver-

ner industriellen Tierproduktion und ei-

Umweltrelevanz

ursacht ein Melkroboter im Vergleich zu

ner bäuerlichen, standortangepassten und

Man geht davon aus, dass die weltweite

einem Fischgrätenmelkstand samt Melker

artgerechten Tierhaltung, die in erster Li-

Nutztierhaltung für rund 15 % der men-

jährlich zehntausende von Franken Mehr-

nie auf raufutterverzehrende Tiere wie

schengemachten CO2-Emissionen verant-

kosten. Man kann sich zu Recht fragen,

Kühe, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde

wortlich ist. Da nur eines von tausend

ob dieses Geld nicht besser in einen Men-

setzt und ohne erhebliche Mengen an

Rindern und Schweinen, die weltweit ge-

schen investiert wird, der die Kühe melkt

Kraftfutter auskommt. Solche naturna-

halten werden, in der Schweiz lebt, ist der

und sich um sie kümmert – wozu der Ro-

hen Weidetierhaltungsformen auf dem

Einfluss der Schweizer Viehhaltung auf

boter ja nicht in der Lage ist!

Grünland sind eben gerade nicht klima-

das Weltklima bescheiden. Würde man die

relevant, sondern sorgen dafür, dass ver-

Nutztierhaltung hierzulande verbieten,

Klimaschutz Die Klimarelevanz der industriellen Tierproduktion, die auf Massentierhaltung setzt, ist unbestritten. Bekannt ist auch die Tatsache, dass beim Umbruch von Weideland zu Äckern – ob nun zur menschlichen Ernährung oder zur Futtermittelproduktion – sowie bei der synthetischen Herstellung von Stickstoffkunstdünger und dessen Anwendung grosse Mengen an klimarelevantem CO2 und Lachgas in die Atmosphäre entweichen. Deshalb ist die weltweit zunehmende Ausdehnung der Ackerflächen auf ungeeignete Standorte, etwa zur industriellen Futtermittelproduktion für Tierfabriken, extrem klimarelevant. Weltweit verursacht die Rodung von Tropenwäldern für Viehweiden und die Umnutzung von natürlichem Gras- und extensivem Weideland wie Steppen, Savannen und Pampas zu Ackerland (u. a. Soja- und Getreideanbau) etwa 20 % aller

Rodung für Viehweiden oder Ackerland für Futtermittelanbau

53


zu Jahr steigend und liegt mittlerweile fast wieder drei Mal höher als vor fünfzehn Jahren, bei rund 1 Million Tonnen! Diese Futtermittel wachsen im Ausland auf einer Fläche von rund 250 000 Hektar, was knapp der Fläche des Kantons Tessin entspricht. Gerade umgekehrt verlief die Entwicklung beim inländischen Futtergetreide. Hier nahm die erzeugte Menge von 800 000 Tonnen im Jahr 1995 ab auf heute nur mehr 550 000 Tonnen, davon 70 000 Tonnen Eiweissfuttermittel. Zwar fragt die Schweiz lediglich 0,3 % der weltweit gehandelten Sojamenge nach, während allein die EU und China 60 % abräumen, also 200-mal mehr. Trotzdem ist es bedenklich, dass in der Schweiz der Futtermittelanbau nicht mehr gefördert wird,

Viel Tiere bedeuten auch viel Gülle, schlecht für das Grundwasser und das Klima

zumal mit den heutigen Züchtungen auch der Sojaanbau klimatisch möglich wäre. Stattdessen haben sich die Eiweissimporte verdreifacht, Sojaimporte gar ver-

könnten gerade mal 0,015 % des weltwei-

Phosphor anreichern oder vermehrt Am-

zehnfacht. Die Gründe dafür sind vielfäl-

ten CO2-Ausstosses eingespart werden.

moniak in die Luft entlassen.

tig und liegen unter anderem in der Leistungssteigerung der Nutztiere, der Aus-

Die Schweiz als Ganzes ist «tiermässig» auch nicht überbevölkert, wie ab

Kraftfuttereinsatz

dehnung der Milch- und Fleischerzeu-

und zu behauptet wird. Die 1,3 Millionen

Der Einsatz von Getreide, Mais, Soja, Kar-

gung, der Reduktion des Fischmehlanteils

Grossvieheinheiten (GVE) verteilen sich

toffeln, Rüben und dergleichen in der Tier-

in den Rationen, um der Überfischung der

auf 1,1 Millionen Hektar Landwirtschafts-

haltung ist nicht per se schlecht. So setzt

Weltmeere Einhalt zu gebieten, dem Fütte-

fläche, was einen Besatz von 1,2 GVE/ha

etwa das Geflügel Getreide am effizien-

rungsverbot für Fleischmehl seit der BSE-

ergibt. Zum Vergleich: Die Niederlande

testen aller Nutztiere in Eier oder Fleisch

Krise (Rinderwahnsinn) und dem Verbot

weisen 3,5, Dänemark 1,6 und Deutsch-

um. Bei der Pflanzenproduktion für den

der Speiserestefütterung an Schweine seit

land 1,1 GVE/ha auf. Trotzdem weist die

menschlichen Verzehr fallen grosse Men-

2011 sowie den aktuell relativ tiefen Prei-

Viehhaltung auch in der Schweiz eine

gen an Rückständen an, die insbesondere

sen für Importfuttermittel begründet.

teilweise starke Umweltproblematik auf.

vom Schwein, dem geborenen «Abfall-

Betroffen sind Gewässer, Luft und Bö-

verwerter», optimal genutzt werden kön-

den in jenen Kantonen, die in den letz-

nen. Der steigende Kraftfuttereinsatz bei

8.10 Ressourcenverschleuderung

ten Jahren trotz bereits bestehender, ho-

Raufutterverzehrern hingegen, insbeson-

Auch in der Schweiz werden bei der Le-

her Viehdichte weiter Tierbestände auf-

dere in der Milch- und Rindfleischerzeu-

bensmittelerzeugung und -distribution

stocken liessen. Insbesondere im Kanton

gung, ist äusserst fragwürdig.

noch viel zu viele Ressourcen unnötig ver-

Luzern gibt es Regionen mit sehr hohen

Mitte der 1970er-Jahre erreichten

schleudert. Das fängt bereits in den Stäl-

Tiermassierungen und entsprechend viel

Kraftfutterimporte und -einsatz in der

len an. Insbesondere durch die abverlang-

Anfall von hauptsächlich Gülle, ebenso in

Schweiz einen absoluten Höchststand.

ten Höchstleistungen wird die Lebenser-

den Kantonen Appenzell Innerrhoden, St.

Rund 1,5 Millionen Tonnen wurden ein-

wartung von Kühen, Schweinen und Hüh-

Gallen, Thurgau, Zug, Obwalden, Nidwal-

geführt, weitere 500 000 Tonnen im In-

nern immer kürzer. Das hat zur Folge, dass

den und Freiburg mit 2 und mehr GVE/

land erzeugt, sodass gegen 2 Millionen

jedes Jahr mehr Tiere aufgezogen werden

ha. Hingegen liegen alle anderen Kantone

Tonnen in den Viehtrögen landeten.

müssen, um die immer rascher abtreten-

unter 1,0 GVE/ha. In Regionen mit einem

Zwanzig Jahre später wurden nur mehr

den Vorgenerationen zu ersetzen. Es wird

Zuviel an Nutztieren kann ein Übermass

350 000 Tonnen importiert. Mittlerweile

mehr Futter, mehr Stallraum, mehr Ener-

an ausgebrachtem Hofdünger Grund-

ist der Import, insbesondere von eiweiss-

gie und mehr Arbeit benötigt bei immer

und Oberflächengewässer mit Nitrat und

reichen Futtermitteln wie Soja, von Jahr

grösserem Tierverschleiss!

54

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Lebensmittel im Müll

Tierische Nebenprodukte

kunftsländern über 2 Millionen Schafe

Kaum thematisiert ist die Tatsache, dass

Wenn ein Schwein geschlachtet wird, lan-

geschlachtet werden. Die weniger edlen

30 bis 50 % der weltweit erzeugten Nah-

det ein Drittel des Schlachtkörpers im Ab-

Teile dieser Schlachtkörper gelangen in

rungsmittel im Abfall landen, statt der

fall, bei einer Kuh gar die Hälfte. In der

den asiatischen Raum. Ähnliche Beob-

menschlichen Ernährung zugutezukom-

Schweiz werden jährlich 450 000 Tonnen

achtungen – Konzentration der Fleisch-

men. Das bedeutet, dass es mit dem Um-

Fleisch erzeugt. Dabei fallen 220 000 Ton-

importe auf Edelstücke – lassen sich bei

fang der jetzigen Lebensmittelerzeugung

nen tierische Nebenprodukte an, die nach

Rindfleisch und Poulets aufzeigen. Mitt-

grundsätzlich nicht nur möglich wäre,

den Erfahrungen mit BSE und dem tota-

lerweile stellt die zunehmende Nachfrage

alle Menschen heutzutage satt zu machen,

len Verfütterungsverbot von Mehlen tie-

der kaufkräftigen Schweizer Konsumen-

sondern theoretisch auch im Jahr 2050 –

rischer Herkunft an Nutztiere heute zum

ten nach Edelstücken ein grundsätzliches

trotz der Annahme, dass ein Hektar Land-

grössten Teil entsorgt, das heisst ver-

Problem dar. Die Verwertung der übrigen

wirtschaftsland statt wie heute 4,5 dann

brannt werden. Selbstverständlich sollte

Teile eines im Inland aufgezogenen und

5,5 Menschen ernähren muss.

nicht am Kannibalismusverbot gerüttelt

geschlachteten Tiers wird so nämlich im-

In ärmeren Ländern liegt das Abfall-

werden, welches besagt, dass das Mehl ei-

mer schwieriger.

problem in erster Linie bei der ungenü-

ner bestimmten Tierart nicht der eigenen

Die «minderwertigen» Fleischanteile

genden Lagerung, etwa von Getreide, so-

Art verfüttert werden darf, wie dies bis

müssen deklassiert und unter ihrem Wert

dass allzu viel verdirbt. Bei uns beginnt

1990 noch der Fall war. Aber die heutige

verkauft oder exportiert werden, sodass

die Wegwerfmentalität bereits auf dem

extreme Verschleuderung der Ressource

die Metzger im Gegenzug die Edelstücke

Acker und im Stall, wo zu grosse oder zu

«Tierische Nebenprodukte» sollte Anlass

inländischer Tiere preislich überproporti-

kleine Kartoffeln, Äpfel, Salate oder Eier

sein, über eine sinnvollere Verwendung

onal belasten, um trotzdem auf ihre Rech-

aussortiert werden. Dabei werden vom

statt der Verbrennung nachzudenken!

nung zu kommen. Damit verlieren diese

Handel auch Kriterien festgelegt, die mit

Denn dieses Fütterungsverbot ist mitbe-

gegenüber Importen an Konkurrenzkraft.

dem Nährwert der Produkte nichts zu tun

teiligt daran, dass der ökologisch frag-

Zudem müssen durch diese einseitige

haben. So wird in der Schweiz noch im-

würdige Kraftfutterimport in den vergan-

Edelteilnachfrage mehr Tiere

mer ein Teil der Legehennen nach der

genen zehn Jahren derart angestiegen ist.

und geschlachtet werden. Die Tierzucht

gemästet

versucht dem Rechnung zu tragen und

Schlachtung in Biogasanlagen entsorgt, obwohl sie zartes Fleisch liefern und man

Nachfrage Edelstücke

setzt auf Zuchtlinien mit hohen Anteilen

mit der anfallenden Geflügelfleischmenge

Die Schweiz bezieht rund die Hälfte des

wertvoller Fleischstücke, was dann bei

praktisch die ganze Stadt Winterthur ver-

Schaffleischkonsums aus Australien und

Schwein und Geflügel prompt zu negati-

sorgen könnte. Ein besonders krasses Bei-

Neuseeland, und zwar samt und sonders

ven Einflüssen auf Tierwohl und Tierge-

spiel für fragwürdige «Qualitätsanforde-

Edelstücke. Dafür müssen in den Her-

sundheit führt.

rungen» ist das jahrzehntelange Diktat der Schweizer Metzgerschaft bei der Kalbfleischfarbe. In der Schweiz sollen gemäss Konsumentenschutzorganisationen jährlich über 2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel ungenutzt bleiben, das heisst rund 300 Kilogramm pro Kopf. Allein in den Privathaushalten würden 700 000 Tonnen Lebensmittel im Müll landen! Das riesige Warenangebot und der «Frischefanatismus» bringen es mit sich, dass grosse Mengen an Lebensmitteln entsorgt werden müssen. Die Müllforscherin Felicitas Schneider fand bei ihren Untersuchungen in Österreichs Privathaushalten heraus, dass der Endverbraucher jährlich Lebensmittel im Gegenwert von 400 Euro in den Müll schmeisst, darunter oftmals originalverpackte und noch haltbare Produkte!

Ein Teil der Legehennen wird nach der Schlachtung einfach verbrannt

55


9. Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohles 9.1 Allgemeines

nis und Schweinen, ohne Stroh zum Lie-

Konsumentennachfrage nach Labelpro-

Wer selber einmal nachschaut, wie Bauern

gen und ohne Auslauf ins Freie, sind le-

dukten sowie die Förderung tierfreundli-

heute ihre Tiere halten, wird erstaunt sein.

gal. Und die (Agrar-)Politik will die Gren-

cher Haltungsformen mittels spezifischer

Das gotthelfsche Huhn auf dem Miststock

zen öffnen für immer mehr Nahrungsmit-

Direktzahlungen.

wird er zwar nicht mehr finden. Die Tier-

tel aus bei uns verbotenen Produktionsbe-

haltungen vergrösserten sich stark im

dingungen und Massentierhaltungen. Sie

9.2 Eigenverantwortlichkeit

Vergleich zu früher, und viele technische

setzt damit die Bestrebungen für mehr

Tierschutz verlangt in erster Linie nach ei-

Einrichtungen bis hin zu Melkroboter und

Tierwohl im Inland unter massiven Druck.

genverantwortlichen Menschen, und erst

Fütterungscomputer hielten Einzug. Doch

Der Handlungsbedarf in puncto Tier-

danach nach dem Staat. Den Tierschutz

tierfreundliche Haltungsformen wie Frei-

wohl ist also auch heute gegeben. Dabei

kann man zwar verordnen, er muss aber

laufstall, Auslauf und Weide sind inzwi-

sollten Tierschützer in Zukunft nicht allzu

von Bauern und Konsumenten tagtäg-

schen recht verbreitet und keine Ausnah-

stark auf die Tierschutzgesetzgebung set-

lich und motiviert gelebt werden, damit

meerscheinungen mehr, wie dies noch vor

zen. Diese wurde erst vor wenigen Jah-

die Vorschriften in der Realität zugunsten

zwanzig Jahren der Fall war. Erhebliche

ren vollständig revidiert und viele Über-

der Tiere wirksam werden.

Teile der Schweizer Landwirtschaft und

gangsfristen sind deshalb noch bis 2018

Es geht nicht um Konsumverzicht,

Nutztierhaltung heben sich mittlerweile

am Laufen. Der politische Wille für eine

sondern um einen vertretbaren Kon-

positiv vom Ausland ab.

erneute Totalrevision dürfte entsprechend

sum. Wenn schon Eier, Milchprodukte

Allerdings: Unter den Blinden ist der

gering sein. Zudem gilt es zu beachten,

und Fleisch gegessen werden, muss we-

Einäugige König. Noch immer leben hier-

dass die Tierschutzgesetzgebung nicht be-

nigstens eine anständige Haltung und ein

zulande Millionen Nutztiere in beengten

sonders tierfreundliche Haltungsformen

schonender Umgang mit den Tieren ge-

Ställen ohne Auslauf ins Freie. Kälber

vorschreibt, sondern lediglich die Grenze

währleistet sein. Dabei gilt es, wirtschaft-

werden für helles Fleisch gefüttert, sodass

zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem

liche Gegebenheiten nicht aus den Augen

sie häufiger als jede andere Tierkategorie

festlegt.

zu verlieren. Einerseits wollen auch die

mit Antibiotika behandelt werden müs-

Als effizientestes Mittel zur Verbesse-

tierfreundlichsten Bauern von ihren Tie-

sen. Milchkühe werden zu immer höhe-

rung des Tierwohls in der Landwirtschaft

ren leben, und andererseits können selbst

ren Leistungen getrieben, und Schweine-

hat sich eine Kombination von marktwirt-

tierschützerisch hoch motivierte Konsu-

mütter gebären mehr Ferkel, als sie Zitzen

schaftlichen und staatlichen Massnahmen

menten nicht unbeschränkt Geld für Le-

haben. Karge Buchten zur Mast von Mu-

herausgestellt. Nämlich das Schaffen von

bensmittel ausgeben.

56

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Diese

pragmatische

Sichtweise

schliesst nicht aus, dass sich der STS stark für eine Konsumreduktion tierischer Produkte sowie für vegetarische und vegane Ernährungsweisen einsetzt. Das Beschreiten beider Wege – Einsatz für einen vertretbaren Konsum von Produkten aus tierfreundlicher Haltung und Aufzeigen von Alternativen zu tierischen Produkten – stellt weder einen Widerspruch noch eine Inkonsequenz dar. Vielmehr ist es eine Notwendigkeit für diejenigen Tierschutzorganisationen, die sich messen lassen wollen an den erreichten, konkreten Verbesserungen für die Tiere – im Stall, auf

Was kann ich tun?

Bezug auf Sicherheit und Qualität von

1. Sich informieren über Tierhaltung

Lebensmitteln und die sofortige mediale

und Landwirtschaft, z. B. über www.tierschutz.com und www.essenmitherz.ch. Mit Freunden über Tierschutz und Konsum diskutieren. 2. Vegetarische Lebensweise oder massvoller Fleischkonsum, d. h. nicht täglich Fleisch konsumieren – von Ernährungsphysiologen wird 1- bis 2-mal/Woche empfohlen. Dabei auf höchste Qualität (Fütterung, Tierschutz, bäuerliche Tierhaltung, Transporte, Zucht), Regionalität und Schweizer Herkunft mit glaubwürdigem Label und Kontrollen achten.

«Skandalisierung» bei Unregelmässigkei-

dem Transport und beim Schlachten. Ech-

ten und Problemen. Entsprechend wichtig sind denn auch glaubwürdige Kontrollen und Sanktionen, nebst einer konsequenten Konsumenteninformation samt Deklarationen.

9.4 Die Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft Wer mit Tieren und Produkten tierischer Herkunft Geld verdient, seien dies Bauern, Transporteure,

Metzger,

Detaillisten,

Gastronomen oder Importeure, hat gegenüber Tieren eine klare ethische Ver-

ter Tierschutz muss mehr sein, als nur zu

köpfiger Haushalt gibt nicht über 10 %

pflichtung, die er in seinem Umfeld und

predigen und den moralischen Zeigefinger

aus. Bei einem Monatseinkommen von

mit seinen Möglichkeiten wahrnehmen

zu erheben, um sich billig ein gutes Gewis-

5000 Franken steigt der Anteil auf 13 %.

muss. Der STS nagelt die Bauern und die

sen als besserer Mensch zu verschaffen!

Noch vor fünfzig Jahren lagen diese An-

Nahrungsmittelbranche immer wieder

teile bei 30 % und mehr. Die Schweiz liegt

darauf fest.

9.3 Die Rolle des Konsumenten

hier international gesehen an der Spitze.

Ställe und Einrichtung sind auf Bauern-

Bereits in Deutschland muss der Durch-

höfen oft gegeben, von der Vorgenera-

Konsumenten müssen den Zusammen-

schnittshaushalt 14 % des Budgets für

tion übernommen und noch nicht amor-

hang zwischen ihrem Einkaufsverhalten

Nahrungsmittel ausgeben, obwohl deut-

tisiert. Aus diesem Grund – um Härtefälle

und dem Tierwohl auf den Bauernhöfen

sche Lebensmittelpreise günstiger sind als

zu vermeiden – hat der Gesetzgeber bei

kennen. Nur ein informierter Verbraucher

schweizerische.

Vorschriften zum Tierwohl auch stets

kann sein Einkaufsverhalten überdenken

Der Konsument spielt mit seiner Nach-

Übergangsfristen für bestehende Ställe

und wird bereit sein, für Produkte aus

frage eine extrem wichtige, aber auch

von bis zu zehn Jahren festgelegt. Aber

tierfreundlicher Haltung den erforderli-

schwierige Rolle, denn ihm fehlt heute

Management, Tierpflege/-beobachtung/-

chen Mehrpreis zu entrichten.

praktisch jeglicher Bezug zur tierhalten-

kontakt sowie Auslauf und Weide sind in

Der Schweizer Konsument steht in

den Landwirtschaft und zur Lebensmittel-

der Regel ohne teure Investitionen zu lö-

der Verantwortung wegen des hohen Ver-

verarbeitung. Diese «Entfremdung» wird

sen und können deshalb von jedem ver-

brauchs tierischer Lebensmittel von rund

immer stärker und erscheint irreversibel.

antwortungsbewussten

170 Kilogramm jährlich sowie der Tatsa-

Konsumenten bleibt nichts anderes übrig,

optimal erfüllt werden, unabhängig von

che, dass wir Schweizer heute nur mehr

als Vertrauen zu haben, dass Bauern, Ver-

der baulichen und finanziellen Situation.

7 % der Haushaltausgaben für Ernäh-

arbeiter und Handel alles korrekt machen.

Die einstigen Entwicklungsmotoren

rung ausgeben müssen. Selbst ein vier-

Das erklärt auch die hohe Sensibilität in

bei den Tierwohlprodukten, Migros und

Nutztierhalter

Coop, scheinen mittlerweile etwas auf

Produktequalität und Tierwohl

die Lagerdauer die Fleischqualität stark.

der Stelle zu treten. Ihre Strategie, eine

Schweine in guter Haltung erbringen röt-

breitestmögliche Lebensmittelpalette an-

Im Gegensatz zur Milch von Kühen mit

licheres, hochwertigeres Fleisch durch

zubieten, konkurrenziert die Tierwohlan-

Kraftfutterdiäten und reiner Stallhaltung

fleissige Bewegung. Dasselbe gilt für Käl-

gebote. Diese sind heute nur mehr ein

liefern Tiere mit Weidegang Milch und

ber, die artgerecht gefüttert und gehalten

Angebot unter vielen, von Billigpreisli-

Käse mit mehr Omega-3-Fettsäuren, z. B.

werden.

nien über ein Sammelsurium von Speziallinien (Heidi, Anna’s Best, Betty Bossi,

Linolsäure. Auch das Fleisch von Weiderindern ist ernährungsphysiologisch wert-

Freilandlegehennen legen Eier mit bis zu

Pro Montagna, Jamie Oliver) bis hin zu

voller und zudem zarter. Das zeigt ein ak-

doppelt so hohen Carotinoidgehalten wie

Premium- und Kinderlinien. Entspre-

tueller Vergleich von Stallhaltungs- und

im Stall gehaltene Tiere. Das Fleisch von

chend schmilzt der Werbe- und PR-Etat

Weidetieren der ETH Zürich. Selbstver-

Freilandmasthühnern weist eine bessere

für Tierwohlprodukte und es besteht die

ständlich beeinflussen auch die fach-

sensorische Qualität und ein höheres

Gefahr, dass punkto Tierwohlengagement

gerechte Lagerung, die Abkühlung und

Safthaltevermögen auf.

von Migros und Coop das Interesse und

57


beliebteste Fleischart ausser Haus darstellt, dicht gefolgt von Rindfleisch mit einem Anteil von 23 %. Geflügelfleisch zeigt einen wachsenden Trend und hat aktuell einen Anteil von 18 %. Betreffend

der

Verwendung

von

Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung stechen drei Gastrounternehmen positiv hervor. Aufgrund von Empfehlungen des Schweizer Tierschutz STS bietet McDonald’s, umsatzmässig Nummer eins im Gastrogeschäft der Schweiz, seit Februar 2010 nur noch Schweizer Rindfleisch aus Tierhaltung mit regelmässigem Auslauf ins Freie (RAUS) an. McDonald’s Schweiz bezog im Jahr 2009 3900 Tonnen Rindfleisch von Schweizer Bauern, was 4,5 % des in der Schweiz konsumierten Rindfleisches entspricht. Schon

Fleisch aus Tierhaltung mit regelmässigem Auslauf: McDonald’s

etwas länger hat die Migros, der zweitgrösste Schweizer Gastroakteur, Labelfleisch in ihrem Restaurantangebot. Konsequent auf Labelfleisch setzen die Coop

die Kreativität des Managements, aber

im Portemonnaie kaum etwas. So werden

Restaurants, Nummer sechs der System-

auch die Glaubwürdigkeit gegen aussen

je nach Detaillist Eier, Fleisch und Milch-

gastronomie. Sie verwenden ausschliess-

leiden.

produkte auch ausserhalb von Aktionen

lich Coop Naturafarm Rind- und Schwei-

Es fragt sich, ob den Kunden und Un-

teilweise zu stark unterschiedlichen Prei-

nefleisch sowie Biokalbfleisch.

ternehmen mit der heutigen Vielzahl von

sen abgegeben, was darauf hindeutet,

Die Stiftung «Goût Mieux» zeichnet

Linien tatsächlich gedient ist, oder ob

dass in diesem Bereich noch Kostenspar-

65 Restaurants aus, die sich verpflichtet

diese lediglich zu einer unnötigen Verteu-

möglichkeiten vorhanden wären.

haben, bei der Beschaffung konsequent

erung bei Beschaffung und Verkauf füh-

Während Migros und Coop ein rela-

auf Bio- und tierfreundliche Herkünfte

ren. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass

tiv breites Tierwohlsortiment anbieten,

zu setzen (www.goutmieux.ch). Die Ak-

zwar die Produzentenpreise für Schweizer

ist dieses bei den meisten anderen Detail-

tion «Essen mit Herz» des Schweizer Tier-

Herkünfte und vor allem Labelherkünfte

listen noch ausbaufähig. Beispielsweise

schutz STS führt rund 120 Restaurants

höher sind als in der EU, dies auch des-

führen nur wenige Detaillisten Freiland-

auf, die angeben, stets Vegimenüs sowie

halb, weil höhere Anforderungen an Öko-

poulets oder Labelkaninchen und -lamm-

ein oder mehrere Menüs mit Produkten

logie und Tierwohl gestellt werden. Ge-

fleisch, dafür leider umso mehr Import-

aus tierfreundlicher Haltung anzubieten

rade bei Fleisch und Eiern wird indessen

ware aus bei uns verbotener Massentier-

(www.essenmitherz.ch).

der Anteil des Produzentenpreises an den

haltung, bei der man immer wieder fest-

Das Gros der weit über 20 000 Restau-

Gesamtkosten des Produkts immer gerin-

stellen muss, dass «Kontrolle» ein Fremd-

rants, Personalrestaurants und Schnellim-

ger, das heisst vom Konsumentenfranken

wort ist.

bisse in der Schweiz hingegen verwendet

sehen die Bauern immer weniger. Selbst

Die Gastronomie stellt die grösste

eher wenige Produkte aus tierfreundlicher

wenn sie ihre Tiere zu EU-Preisen in den

Tierwohlbaustelle dar. 2008 wurden in

Haltung, sondern bietet den Gästen ent-

Schlachthof gäben, wären die Fleischend-

der Schweiz mehr als 13 Milliarden Fran-

weder konventionelles Schweizer Fleisch

preise im Laden noch immer höher als im

ken für Essen ausser Haus ausgegeben.

oder noch häufiger Importfleisch und

Ausland. Eine Kostenoptimierung bei

Gemäss einer Studie von amPuls Market

-eier an. Oft sind die Wirte über die Tier-

Fleisch, Milch und Eiern allein auf dem

Research aus dem Jahre 2009 ist Fleisch

haltungsbedingungen im In- und Ausland

Buckel der Bauern schlägt sich einerseits

als Bestandteil eines Gerichts/Menüs

und die verschiedenen Tierwohllabels gar

rasch im Tierwohl und in der Produkte-

nach wie vor die bedeutendste Speiseka-

nicht richtig informiert.

qualität und -sicherheit nieder. Anderer-

tegorie ausser Haus. Ein Viertel aller aus-

Noch immer scheint in der Gastrob-

seits merken die Konsumenten von diesen

wärts konsumierten Fleischgerichte ent-

ranche primär der Preis statt die Quali-

für sie kontraproduktiven Einsparungen

hält Schweinefleisch, welches damit die

tät im Vordergrund zu stehen. Dabei ma-

58

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


chen die Rohstoffpreise eher wenig aus:

Steuergelder einzusetzen.

Bei einem Tiramisu von CHF 6.60 liegen

Die Nutztierhaltung ist nicht nur der

deshalb

ein

«Freilandhaltungsland»

Schweiz an und hat dazu einen agrarpolitischen Massnahmenkatalog erarbeitet.

die Kosten für ein Freilandei bei nur 4 %.

finanziell wichtigste Sektor für die Le-

Bei einem Menü mit Steak, Pommes und

bensmittelwirtschaft, sondern wirkt sich

Gemüse für CHF 23 macht der Preis für

auch auf die Qualität von Milchproduk-

Fleisch aus Schweizer Herkunft konven-

ten, Fleisch und Eiern, aber auch auf jene

1. Massnahme: Konsequente Qualitätsstrategie

tionell 33 %, bei tierfreundlicher Her-

von Luft, Böden und Wasser aus. Die Nah-

Der STS fordert seit fünfundzwanzig Jah-

kunft/Labelfleisch 37 % aus, also knapp

rungsmittelversorgung, das Landschafts-

ren eine konsequente Qualitätsstrategie

einen Franken mehr. Ob vom Wirt nun

bild, die Nutzung des Agrarlandes sowie

für die Landwirtschaft und engagiert sich

etwas teurere, aber tierfreundliche Pro-

der Verbrauch von Ressourcen und Ener-

bei Aufbau und Umsetzung von Tierwohl-

dukte verwendet werden, wird der Gast

gie oder der Ausstoss von Klimagasen

labelprogrammen sowie der entsprechen-

im Portemonnaie kaum bemerken. Für die

werden ebenfalls von der Nutztierhaltung

den Konsumenteninformation. Wichtig

Tiere und die Qualität der Mahlzeit bedeu-

beeinflusst. Nach allen gemachten Erfah-

ist, dass nun auch die Agrarpolitik auf

tet es aber viel!

rungen und dem aktuellen Stand der Wis-

eine Qualitätsstrategie festgelegt wird,

Da fast die Hälfte des in der Schweiz

senschaft darf man sagen, dass ein ho-

um Synergien zu erzielen, bei Marktver-

konsumierten Fleisches von Restaurants

hes Tierwohl in einer bäuerlich geprägten

sagen ergänzend einzugreifen und im

umgesetzt wird, ist es von grösster Wich-

Tierhaltung all diese wichtigen Aspekte

sich öffnenden internationalen Agrar-

tigkeit, dass die Gastrobranche ihre Ver-

positiv beeinflusst. Während Massen-

markt bestehen zu können. Eine halbher-

antwortung gegenüber den Tieren und

tierhaltung und Tierfabriken zwar kurz-

zige Doppelstrategie zu fahren wie bis an-

deren Wohlergehen endlich wahrnimmt.

fristig billigere Produkte abliefern, be-

hin – die Agrarpolitik fördert hier etwas

Es gäbe genügend Gäste, die solche An-

zahlen Mensch, Tier und Umwelt dafür

Klasse und dort etwas Masse – ist ineffizi-

gebote honorieren würden. Gemäss ei-

aber langfristig einen hohen Preis, etwa

ent und macht in einem kleinen Land wie

ner STS-Gastroumfrage von 2011 veran-

durch ständig wiederkehrende Lebensmit-

der Schweiz keinen Sinn.

schlagten selbst die Wirte das Gästepoten-

telskandale, Umweltschäden oder Tier-

In Zeiten weltweit knapper werden-

zial beim Tierwohl auf 50 %.

quälereien. Von Massnahmen für ein bes-

den Landwirtschaftslandes und eines ext-

seres Tierwohl profitieren hingegen wir

remen Nachfrageanstiegs nach Futtermit-

9.5 Die Rolle des Staates

alle: Bauern, Konsumenten und Steuer-

teln und Produkten tierischer Herkunft,

Der Staat muss tätig werden, um Miss-

zahler – aber auch die Umwelt!

insbesondere in vormals ärmeren Län-

bräuche und tierschutzwidrige Prakti-

Der Schweizer Tierschutz STS strebt

dern, muss der langfristigen Nahrungs-

ken und Haltungen abzustellen, Übertretungen zu verfolgen und zu ahnden. Im Weiteren soll er im Falle von Marktversagen eingreifen, also dort, wo Markt und Konsumenten alleine es nicht richten können, weil es etwa kein Angebot von Labelprodukten gibt respektive der Markt gar tierschutzwidrige Haltungen und Praktiken fördert, wie im Falle von Billigimporten aus ausländischer Massentierhaltung oder Importen von Stopfleber oder Froschschenkel. Dies beispielsweise, indem er deren Importe untersagt, eine Tierschutzdeklaration von Lebensmitteln fordert oder tierfreundliche Stallbauten und Auslaufhaltungen fördert. Dieser Einsatz des Staates zugunsten des Tierwohls bezieht seine Legitimität auch aus der Tatsache, dass für die Schweizer Bevölkerung die tierfreundliche Haltung der Nutztiere das grösste Anliegen an die Landwirtschaft ist und man bereit ist, hier in relativ hohem Masse

Nur mit hohen Ansprüchen an die Qualität und das Tierwohl sind die Schweizer Preise zu rechtfertigen

59


mittelversorgung der einheimischen Be-

modern, effizient und trotzdem naturnah

Ställe und den regelmässigen Auslauf ins

völkerung durch die Schweizer Bauern

und tierfreundlich zu produzieren.

Freie massiv erhöht werden. Ziel: Alle Tiere sollen ins Freie können!

wieder ein höherer Stellenwert beigemes-

Der Biolandbau stellt eine energie-

sen werden. Dabei müssen die Bedürfnisse

und ressourcensparende sowie umwelt-

Im Weiteren fordert der STS den Auf-

der Konsumenten sowie die Qualität und

schonende Landbaumethode dar. Nach-

bau eines Weideprogramms für raufut-

Nachhaltigkeit der Produkte ins Zentrum

dem in der Schweiz die weltweit verbrei-

terverzehrende Nutztiere und damit die

gestellt werden.

tetste Biomethode, der organisch-biolo-

Abkehr von extremen Hochleistungstie-

gische Landbau, entwickelt worden ist,

ren und übermässigem Kraftfuttereinsatz.

2. Massnahme: Zielgerichtete Direktzahlungen

spielt unser Land hier bis heute eine Pi-

Selbst der Bundesrat hat mittlerweile er-

onier- und Vorreiterrolle. In Zeiten von

kannt: «Der Trend bei der Wiederkäuer-

Die jährlich entrichteten 2.8 Milliarden

knapper werdenden Ressourcen kommt

fütterung geht in Richtung eines verstärk-

Franken Direktzahlungen sollen nicht wie

dem Biolandbau inskünftig eine wichtige

ten Kraftfuttereinsatzes. Dadurch droht

bis anhin im Giesskannenprinzip, sondern

Rolle bei der Welternährung zu.

ein strategischer Wettbewerbsvorteil der

zielgerichteter und für konkrete Leistun-

Obwohl das Tierwohl das wichtigste

Schweizer Milch- und Fleischproduktion

gen der Bauern ausgeschüttet werden.

Anliegen der SteuerzahlerInnen an die

langfristig verloren zu gehen.» (Botschaft

Ökologie und Tierwohl müssen besser

Bauern und die Agrarpolitik darstellt,

zu «Agrarpolitik 2014–17»)

gefördert werden, das ist der Dreh- und

wurde es bislang vom Bundesrat nur be-

Der Bundesrat will deshalb Betriebe

Angelpunkt der angepeilten Qualitäts-

scheiden gefördert. Lediglich 9 % der

fördern, die den Futterbedarf überwie-

strategie. Die Bio- und Tierwohlbeiträge

jährlich 2.8 Milliarden Franken Direkt-

gend durch Gras, Heu, Emd und Grassi-

sollen ergänzend zum Markt und den La-

zahlungen wurden in das Tierwohl inves-

lage decken. Betriebe mit geringem Kraft-

belprogrammen ausgerichtet und ausge-

tiert. Die Konsequenz: Noch immer müs-

futtereinsatz und hohem Weideanteil sind

baut werden. Markt und staatliche För-

sen Millionen Nutztiere in der Schweiz

tierfreundlicher und ökologischer. Die

derung ergänzen sich damit optimal. Nur

ihr Dasein in ständiger, beengter Stall-

Weidehaltung garantiert wichtige Vorteile

mit Qualität und hohem Tierwohl kann

haltung ohne adäquate Liegeflächen und

für Mensch, Tier und Umwelt, wie einen

sich die Schweiz im offenen Agrar-/Le-

ohne Auslauf ins Freie fristen. Der STS

substanziellen Beitrag zum Umwelt- und

bensmittelmarkt profilieren und erfolg-

fordert deshalb eine Verlagerung der Di-

Klimaschutz, bessere Produkte (z. B. mehr

reich behaupten. Mit zielführend festge-

rektzahlungen: Die allgemeinen Tierhal-

CLA- und Omega-3-Fettsäuren in Milch

legten Bio- und Tierwohlbeiträgen wer-

tungsbeiträge sollen gestrichen und da-

und Fleisch) sowie gesündere und langle-

den unsere Bauern in der Lage sein wird,

für die Förderbeiträge für tierfreundliche

bigere Tiere mit weniger gesundheitsbedingten Ausfällen und Abgängen.

3. Massnahme: Konsequente Kontrollen und Sanktionen Mit einem bundesgerichtlichen Urteil vom Sommer 2011 mussten einem rechtsgültig verurteilten Thurgauer Bauern, der unter anderem ein Jungpferd beim Beschlagen derart hart angefasst hatte, dass es verstarb, die vom Kanton teilweise verweigerten Direktzahlungen am Ende doch noch ausgerichtet werden. Dieses skandalöse Bundesgerichtsurteil kommt insbesondere Tierquälern extrem entgegen und muss raschestmöglich revidiert werden. Der STS fordert, dass Tierschutzsünder nicht nur ihre gerechte Strafe erhalten wegen der Tierschutzverstösse, sondern ihnen wegen Nichterfüllen der Leistungen die Direktzahlungen gekürzt oder gestri-

Direktzahlungen trotz Tierquälerei: Schluss damit

60

chen werden können. Das Streichen von Direktzahlungen stellt keine Strafe dar, vielmehr hat der Landwirt die geforderte

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Leistung im Bereich Tierschutz nicht erbracht, sodass er wegen weniger Leistung auch nur Anrecht auf weniger Direktzahlungen (oder im Extremfall auf gar keine) hat. Im Weiteren fordert der STS vermehrt unangemeldete Tierhaltungskontrollen.

4. Massnahme: Tierfreundliches Bauen fördern Der Bund fördert heute mit Investitionskrediten tierschutzproblematische und unwirtschaftliche Stallbauten wie Anbindeställe für Kühe und Aufzuchtrinder oder Ställe ohne eingestreute Liegeflächen sowie ohne Auslauf für Mastvieh. Der STS fordert deshalb, dass Investitionskredite inskünftig nur mehr für tierfreundliche Stallbauten ausgerichtet werden. Für Umoder Neubauten von Ställen für horntragende Rinder- und Ziegenrassen, welche grössere Stallflächen beanspruchen, sind die Beiträge und Investitionskredite ange-

In der Schweiz muss die tierfreundliche Landwirtschaft gefördert werden

messen zu erhöhen.

5. Massnahme: Keine Tierfabriken

inskünftig keine Ausnahmen, etwa für in-

lien sofort zu töten, um sich die unrenta-

dustrielle Schweinemästereien, mehr ge-

ble Ausmast zu sparen. Derartige Irrwege

macht werden.

der Tierzucht, die ohne Rücksicht auf ethische Grundsätze agiert sowie die Krank-

Eine bei Konsumentinnen, Steuerzahlern

6. Massnahme: Stopp Extremzuchten

heitsanfälligkeit der Tiere fördert und ihre

tätsstrategie sowie die Akzeptanz des gesamten Direktzahlungssystems hängen

Die Förderung der einheimischen Tier-

in Zukunft nicht mehr mit Steuergeldern

zu grossen Teilen davon ab, ob der Bund

zucht durch den Bund ist sinnvoll und

fördern!

weiterhin an einer bäuerlichen Tierhal-

unbestritten. Allerdings: Die einseitige

tung festhält oder die Weichen zur Mas-

Hochleistungszucht hat heute etwa bei

sentierhaltung (Tierfabriken) nach aus-

Masthühnern und Truten Linien auf den

7. Massnahme: Tierschutzwidrige Importe verbieten

ländischem Vorbild umlegt, wie dies ge-

Markt gebracht, die sich nicht mehr art-

Der Bund muss sich in Zukunft die Mög-

wisse bäuerliche Vertreter in der Vergan-

gerecht verhalten und bewegen können

lichkeit offenhalten, den Import ethisch

genheit immer wieder forderten. Nicht

und durch das übermässige und einseitige

fragwürdiger Produkte zu verbieten oder

zuletzt hängt das Tierwohl auch von der

Muskelwachstum ständig unter Schmer-

wenigstens für eine konsequente Dekla-

Grösse des Tierbestandes ab. So lässt sich

zen leiden. In der Schweinezucht wer-

ration zu sorgen. Heute geschieht es per-

beispielsweise beim Geflügel oberhalb ei-

den mit der Anzucht von superfrucht-

manent, dass die Konsumenten ohne ihr

ner gewissen Grenze keine echte Freiland-

baren Sauen immer mehr Ferkel gebo-

Wissen mit ausländischen Produkten aus

haltung mehr realisieren, und bei Schwei-

ren – teilweise mehr, als die Sau Zitzen

tierschutzwidrigen Produktionssystemen

nen und anderen Tierkategorien nimmt

aufweist. Als Folge davon kommen mehr

überschwemmt werden. Insbesondere bei

der Betreuungsaufwand je Tier mit zu-

Kümmerer zur Welt und die Tiergesund-

Geflügelfleischimporten (Poulets, Truten)

nehmender Bestandesgrösse rapid ab.

heit leidet bei Sau (Übernutzung!) und

mit mengenmässig rund 45 000 Tonnen

Dabei stellen Pflege, Überwachung und

Ferkeln (künstliche Aufzucht; Kümme-

sowie in puncto Tierschutzwidrigkeit und

Mensch-Tier-Beziehung nebst der Art der

rer). Infolge der einseitigen Zucht auf ext-

Gefährdungspotenzial (Antibiotikaeinsatz;

Tierhaltung die wichtigsten Einflussfak-

rem hohe Milchleistung wird die Ausmast

Salmonellenvorkommen in den Ställen)

toren sowohl auf das Tierwohl als auch

von nicht zur Zucht benötigten Kälbern

liegt heute der grösste Handlungsbedarf.

auf die ökonomische Rentabilität dar. Der

immer unwirtschaftlicher. Bereits werden

STS fordert, dass die heutigen Tierhöchst-

auch in der Schweiz Rufe laut, neugebo-

grenzen pro Betrieb aufrechterhalten und

rene Kälber wie in Neuseeland oder Ita-

und Tierschützern glaubwürdige Quali-

Widerstandskraft schwächt, darf der Bund

61


und Medikamentensituation weniger besorgniserregend wäre. Die negativen Seiten des Freihandels, nämlich ein ökologisch fragwürdiges Hinund Hergeschiebe von Nahrungsmitteln und die Zerstörung regionaler bäuerlicher Strukturen, zeigt der Geflügelfleischmarkt in der EU. Die Exporte erreichten 2011 mit rund 1,3 Millionen Tonnen einen Spitzenwert. Das Fleisch, vor allem Schenkel und Flügel, wird um den ganzen Erdball abgesetzt – nach Russland, Hongkong, SaudiArabien und selbst nach Afrika, nach Ghana und Benin. Im gleichen Zeitraum importierte die EU aber auch 700 000 Tonnen Geflügelfleisch, hauptsächlich aus Brasilien und Thailand. Weltweit boomt der Geflügelfleischmarkt. Experten gehen davon aus, dass spätestens 2020 über 120

Die weltweit steigende Tierhaltung lässt die Futtermittelpreise steigen

Millionen Tonnen erzeugt werden (heute: 95 Mio. Tonnen) und die Geflügel- dann die Schweinefleischproduktion mengenmässig überholt haben wird.

9.6 Die Rolle der internationalen Politik

gungsgrad beim Fleisch von 94 % im Jahr

Die weltweite Entwicklung der in-

2000 auf heute 115 % gesteigert. Möglich

tensiven Tierproduktion wird von Exper-

Während die Schweiz rund 40 % der ver-

wurde dies, wie bei den anderen Über-

ten mit Besorgnis zur Kenntnis genom-

zehrten Kalorien importiert, darunter

schussproduzenten auch, durch den mas-

men. Damit in Zukunft 9 Milliarden Men-

120 000 Tonnen Fleisch jährlich, was un-

siven Import von teilweise gentechnisch

schen satt werden können, müssten nicht

gefähr einem Viertel des Gesamtkonsums

verändertem Kraftfutter aus Brasilien, Ar-

Grossfarmen, sondern Kleinbauern geför-

entspricht, stocken viele Länder in der EU

gentinien und den USA sowie dem Aus-

dert werden, so der Tenor von Landwirt-

ihre Tierhaltungen massiv auf. So produ-

bau der Massentierhaltung.

schaftsexperten, etwa der UNO-Taskforce

ziert Dänemark fast 4-mal, Irland 3-mal,

Um ein Einkommen von rund 50 000

gegen den Hunger. Man müsse die klei-

Holland und Belgien doppelt so viel

Euro jährlich erzielen zu können, muss

nen Landwirte befähigen, ihre Produkti-

Fleisch, wie jeweils selbst benötigt wird.

ein deutscher Mäster 550 000 Poulets er-

vität ökologisch nachhaltig zu steigern. Es

Besonders krass ist die Situation beim

zeugen, denn je Tier bleiben ihm kaum 10

brauche keine neue grüne, sondern eine

Schweinefleisch, wo Dänemark 6-mal,

Cents! Kein Wunder, ist der Einsatz von

immergrüne Revolution, gaben Vertreter

Holland und Belgien 2,5-mal mehr er-

Antibiotika in diesen Hähnchenmasten

dieses Gremiums 2011 zu Protokoll. Ext-

zeugen. Diese Überschusserzeugung geht

zur gängigen und notwendigen Praxis ge-

rem wichtig sei es, die Frauen und deren

ganz klar auf Kosten des Tierwohls, der

worden. Eine Studie im Auftrag des Ver-

Gleichberechtigung zu stärken, verrichte-

Ökologie sowie der Qualität und Sicher-

braucherschutzministeriums von Nord-

ten sie doch weltweit 60 bis 80 % der

heit der Produkte. Damit diese industriell

rhein-Westfalen aus dem Jahr 2011 zeigt,

landwirtschaftlichen Arbeit.

betriebenen Tiermasten überhaupt funkti-

dass bei 83 % der erfolgten Mastdurch-

Doch genau die Kleinbauern und die

onieren, müssen riesige Mengen an Kraft-

gänge antimikrobielle Substanzen einge-

bäuerliche Landwirtschaft stehen welt-

futter aus Übersee importiert werden.

setzt wurden. Insgesamt wurden 96 % der

weit unter Druck wegen der Überschuss-

Nebst diesen «traditionellen» Über-

Tiere aus den untersuchten Betrieben mit

exporte der USA, der EU und von Brasi-

schussproduzenten rüstet mittlerweile

Antibiotika behandelt, teilweise erhielten

lien. So brach Im Jahr 2000 der funkti-

auch Deutschland auf. Innert fünf Jahren

sie in der kurzen Lebenszeit von weniger

onierende einheimische Geflügelfleisch-

ist die Ausfuhr von Fleisch und Fleisch-

als sechs Wochen bis zu 8 Antibiotikaga-

markt in Kamerun zusammen, nach-

waren um 60 % gestiegen. Nebst dem

ben mit drei verschiedenen Wirkstoffen!

dem die EU das Land mit Billigexporten

Ausbau der Geflügelmast stiegen auch

Es gibt wenig Grund zur Annahme,

von Geflügelteilen überschwemmt hatte.

die Schweineschlachtungen stark an.

dass in anderen Ländern mit vergleichba-

2008/09 überrannte die boomende deut-

Deutschland hat seinen Selbstversor-

rer Massentierhaltung die Gesundheits-

sche Hähnchenproduktion den französi-

62

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


schen Geflügelfleischmarkt mit Teilstü-

ursachte – Klimawandel greift und die

Es ist daher zu begrüssen, dass die

cken. Als Folge davon rüsten Frankreich

Nachfrage nach Lebensmitteln weiter an-

Fragen nach Versorgungssicherheit und

und weitere EU-Staaten nun ebenfalls ihre

steigt, dürfte in den kommenden Jahren

Ernährungssouveränität der Staaten zu-

industrielle Geflügelmast auf. Alle Über-

das Thema Versorgungssicherheit wie-

nehmend auf die nationale und inter-

schussproduzenten, auch die EU, suchen

der aktuell werden. Nach der Immobi-

nationale Polittraktandenliste gelangen.

weltweit fieberhaft nach Absatzkanälen.

lien- und der Bankenpleite raten immer

Auch, um ein Gegengewicht zu den WTO-

Die angestrebten Freihandelsabkommen,

mehr Experten den Anlegern, im Port-

Verhandlungen zu bilden, deren grosses

etwa zwischen der EU und der Schweiz

folio auch landwirtschaftliche Rohstoffe

Ziel der globale Freihandel mit Nahrungs-

oder Indien, sollten auch unter diesem As-

zu halten. So sind heute Milliardengelder

mitteln ist – ohne ökologische, tierschüt-

pekt gesehen werden. Für Indien bedeu-

in Rohstoffen und deren Handel invol-

zerische und soziale Leitplanken –, und

tet ein Freihandelsabkommen mit der EU

viert, was Spekulanten anlockt. Ein Lied

welche einseitig die überschussprodu-

den Wegfall von 150 Milliarden Euro Zöl-

davon konnten die Hilfsorganisationen

zierenden und exportorientierten Länder

len oder 11 % des Haushaltbudgets! Mil-

im 2011 überschwemmten Pakistan sin-

bevorzugen, auf Kosten der kleinen und

lionen von indischen Kleinbauern und

gen: Obwohl genügend Weizen vorhan-

mittleren Bauern und einer bäuerlich geprägten, artgerechten Tierhaltung. l

Strassen-/Einzelhändler fürchten, durch

den war, hatten Spekulanten an den in-

EU-Importe und EU-Handelsketten ver-

ternationalen Rohstoffbörsen die Preise in

drängt zu werden.

die Höhe gedrückt, sodass die zur Verfü-

Weil Landwirtschaftsland und Res-

gung stehenden Hilfsgelder nur mehr für

sourcen begrenzt sind, der – ob nun

die Hälfte der beabsichtigten Weizenkäufe

menschengemachte oder «natürlich» ver-

reichten!

Glossar

Nutztierarten; 1 GVE entspricht einer

Kühen und Rindern regelmässig zur Er-

Milchkuh oder jeweils 6 Ziegen, Schafen

höhung der Milch- und Fleischleistung

Are 100 Quadratmeter AML Antimikrobielle Leistungsförderer

oder Schweinen oder 100 Legehühnern

gespritzt wird. In der Schweiz verboten.

3R-Prinzip An die Eigenverantwortung

(«Futtermittel-Antibiotika»)

Hektare 100 Aren Laktation Auf 305 Tage standartisierte

BVET Bundesamt für Veterinärwesen BLW Bundesamt für Landwirtschaft BTS Staatliches Programm zur Förde-

Milchmenge, die eine Kuh pro Jahr gibt

dämmung von Tierversuchen (reduce/

ÖLN Ökologischer Leistungsnachweis Grundbedingungen, die ein Bauer

reduzieren, refine/verfeinern, replace/

rung von besonders tierfreundlichen Ställen

im Pflanzenbau und in der Tierhaltung

SPF Sanierungskonzept gegen die Über-

erfüllen muss, damit er Direktzahlungen

tragung von Schweinekrankheiten (spe-

«Club of Rome»-Bericht Das Buch pro-

erhält

cific pathogen free (frei von spezifischen

phezeite in den 1970er-Jahren (fälschlicherweise) massive Überbevölkerung samt einem Zurneigegehen von Roh- und fossilen Brennstoffen ab 2000

PSE Fleisch Fleischqualitätsmangel, v.a.

Krankheitserregern)), das sich durch

beim Schwein (pale/hell, soft/weich,

keimfreie Haltung der Sauen und den Er-

exudativ/wässrig)

satz der natürlichen Ferkelgeburt durch

RAUS Staatliches Programm zur För-

den Kaiserschnitt auszeichnet

ETH-Zürich Eidgenössische Technische

derung von regelmässigem Auslauf für

Hochschule

Nutztiere

TschG Tierschutzgesetz TschV Tierschutzverordnung (Ausfüh-

GVE Grossvieheinheit: Umrechnungs-

rBST Künstlich erzeugtes Wachstums-

rungsbestimmungen)

schlüssel zum Vergleich verschiedener

hormon, das insbesondere in den USA

Herausgeber

Autor

Fotos

Schweizer Tierschutz STS Dornacherstrasse 101, Postfach CH-4018 Basel Tel. 061 365 99 99 Fax 061 365 99 90 Postkonto 40-33680-3 sts@tierschutz.com www.tierschutz.com

Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH Geschäftsführer Fachbereich Schweizer Tierschutz STS

123RF, Lydia Baumgarten, Michael Götz, iStockphoto, KAGfreiland, Keystone, Barbara Marty, Lolita Morena, Reuters, Mark Rissi, Franz J. Steiner, Simon Templar, tierschutzbilder.de

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Gestaltung

der Forscher gerichtetes Konzept zur Ein-

ersetzen)

basel

63


N1’/7.2017

Milchproduktion und Tierschutz – Hintergrundfakten Der Bericht listet den tierschüt-

Wie steht es um tierschutz-

zerischen Handlungsbedarf bei

konforme Importprodukte und

Haltung, Fütterung, Tierzucht,

Tierschutzstandards im Ausland:

dem Management und der Mensch-

ein Faktencheck.

Tier-Beziehung detailliert auf.

MILCHPRODUKTION UND TIERSCHUTZ

HINTERGRUNDFAK TEN

Format A4, 16 Seiten, gratis*

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Bleibt bei einem Freihandels-

Kleinigkeiten im Stall erhöhen

abkommen das Tierwohl auf der

den Tierkomfort oft massgeblich.

Strecke? Ein Vergleich der Hal-

Innovative Tierhalter aus der

Format A4, 20 Seiten, gratis*

70’/1.07/die zwei

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

TIERGERECHTE UND

KOSTENGÜNSTIGE

STÄLLE

Alp und der Weide sowie beim

in der Geflügelhaltung Schweiz–EU

Transport lohnt sich.

sind ernorm. Fakten und Zahlen

B L AT T

NUTZTIERE

Stall mit Suhle und Weide für Zuchtsauen

B L AT T

TIERGERECHTE UND

KOSTENGÜNSTIGE

FOTOLIA

brauchen sie der umgehen können, r. artgemäss miteinan und zum Tierhalte Kühe in der Herde g untereinander zur Kuh. Damit gute Beziehun Hörner gehören Freie sowie eine und Auslauf ins genügend Platz

Es ist ein warmer Sommertag. Die Zügen. Langsam NUTZTIERE Muttersauen geniesse waten

TIERGERECHTE UND KOSTENGÜNSTIGE STÄLLE / TKS 6.3

SCHWEIZER TIERSCHUT TIERSCHUTZ STS

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

1

Format A5, 12 Seiten, gratis*

Informativ, lehrreich und mit vielen Beispielen aus der Praxis zu den Themen:

Das mobile Hühnerhaus

Die Suhle befindet sich zwischen Auslauf. Weide und he mit Hörnern.

TI N II MEP ORR TLG EEF L ÜIGDE L

STS-Merkblätter Nutztiere (Rinder, Schweine, Pferde, Hühner, Ziegen, Schafe und Kaninchen)

S T S - M E R K B L AT T

n das Schlamm sie in den Tümpel ziehen sich dabei bad vor dem Stall und schieben mit in vollen sich in das Richtungen wegsprit einer hellbraunen Erdschic ht. Dann schütteln schlammige Nass. Sie überzt und gehen über Suhle nachflies sie sich, dass zu dem aufgehän st. Hier heben die Erde in alle gten Schlauch die Tiere den Nass. Kopf in den Wasserst , aus welchem Wasser in die rahl und spielen mit dem kühlen

halten Mutterkü di und Vreni Zweifel aus haben Familie Hansrue Vom Laufhof im Kanton Glarus. Blick in das Tal Tier einen weiten Mensch und den Berge. und die umgeben wirt seinen Anhat der Bergland für Im Jahre 2012 e in einen Laufstall iMilchküh für . Gleichze bindestall t und erweitert Mutterkühe umgebau über die ganze StalllänLaufhof dass die Tiere tig hat er einen «Es war mir wichtig, Der Laufhof ge angebaut. er. kommen», erzählt nach draussen breit und nach und sechs Meter ist 43 Meter lang Kühe im Laufhof

dazu.

STÄLLE / TKS 1.19

terkühen Haltung von Mut mit Hörnern

zur Kuh Hörner gehören

VERSTECKTES

*Zu bestellen über www.tierschutz.com/publikationen/nutztiere

TKS 3.3

STS-MERK

Format A4, 24 Seiten, gratis*

1

Die tierschützerischen Unterschiede

Format A5, 16 Seiten, gratis*

STS-MERK

aus der Praxis.

Vorbeugen im Stall, auf der

Checkliste Unfallursachen.

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

ganzen Schweiz zeigen Beispiele

Verstecktes Tierleid in Importgeflügel

liste Mit Check sachen Unfallur

Schweizer Tierschutz STS · Dornacherstrasse 101 · CH-4008 Basel el. 061 365 99 99 · Fax 061 365 99 90 · sts@tierschutz.com · www.tierschutz.com

TIERKOMFORT BEISPIELE AUS DER PRAXIS

Vorbeugen ist besser als heilen

Mit Beispielen, Tipps und

VORBEUGEN IST BESSER ALS HEILEN

Format A4, 20 Seiten, gratis*

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Tierkomfort – Beispiele aus der Praxis

in der EU stimmt skeptisch.

UND TIERSCHUTZ EIN VERGLEICH SCHWEIZ–EU

TIERSCHUTZ HÖRT NICHT AN DER GRENZE AUF INTERNATIONALE NUTZTIERSCHUTZSTANDARDS

Freihandel und Tierschutz – ein Vergleich Schweiz-EU

tungsformen in der Schweiz und

FREIHANDEL

Tierschutz hört nicht an der Grenze auf

STS-RECHERCHE

Ihr Hof befindet

sich in Linthal

Aus dem Schlauch läuft Wasser in die Suhle.

• Tiergerechte und kostengünstige Ställe • Pflege und Umgang mit Tieren 1

• Verhalten von Nutztieren • Tiergerechte Stalleinrichtungen

Dank des mobilen Hühnerhauses haben die Hühner ganzjährigen Zugang in Freiland. Die Auslauffläche bleibt bewachsen und die Ausscheidungen verteilen sich auf 1 einer grossen Fläche. Es ist morgens. Noch sind die Hühner im mobilen Hühnerhaus eingesperrt. Doch schon, während der Hühnerhalter Ruedi Hauser das Windschutznetz öffnet, das den Wintergarten begrenzt, strömen die Hühner auf die Weide. Sie fangen an, Gras zu picken und sich um ihr mobiles Heim herum zu verteilen. Unter Schutzdächern finden sie Schatten. Der mobile Stall für 250 Hühner ist innen 8 m lang, 2.40 m breit und 3.80 m hoch. Wie ein gestreckter Ladewagen hat er hinten eine Achse und vorne eine Deichsel. Er sieht aus wie ein Haus mit einseitigem Giebeldach und einer kleinen Solaranlage. Über eine Treppe neben der Deichsel gelangt der Tierhalter in den Stall. Links im Bild befindet sich der Wintergarten, ein Gestell aus Stangen und Windschutznetzen, welches sich zum Transport mit einer Handkur-

Format A4, Download über www.tierschutz.com/publikationen/nutztiere 1

Schweizer Tierschutz STS · Dornacherstrasse 101 · Postfach · CH-4018 Basel Tel. 061 · www.essenmitherz.ch 64 365 99 99 · Fax 061 365 99 90 · Postkonto 40-33680-3 · sts@tierschutz.com · www.tierschutz.com SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.