TUND I ERS C HUT Z LANDWIRTSCHAFT
TIERWOHL GEHT UNS ALLE AN
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Tierschutz und Landwirtschaft: Tierwohl geht uns alle an Die extrem ansteigende Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten, weit über den «reichen Westen» hinaus auch in vormals ärmeren Ländern, erfüllt viele Menschen mit Sorge. Denn hinter der weltweiten Demokratisierung des Fleisch-, Milchprodukte- und Eierkonsums verbergen sich zumeist eine intensive Tierproduktion mit Massentierhaltung in tierquälerischen Haltungsformen, überzüchtete Tiere, Qualtransporte, brutale Schlachtmethoden und ökologisch, ethisch und tiergesundheitlich fatale (Kraft-)Futterdiäten. Grundsätzliche Fragen nach der ethischen Berechtigung der Tiernutzung werden heute nicht nur von Ethikern und Tierrechtsaktivisten, sondern auch von breiten Kreisen der Bevölkerung gestellt, insbesondere auch von jungen Menschen, die sich vegetarisch oder gar vegan ernähren. Dieser tierethisch konsequenten Haltung entgegnen Kritiker, dass Tierhaltung nicht gleich Tierhaltung sei. Vielmehr sei eine bäuerliche, standortangepasste und artgerechte Tierhaltung im Unterschied zur Massentierhaltung eben gerade kein Problemverursacher, sondern könne einen nachhaltigen Beitrag zur zukünftigen Ernährung der Menschheit und zum Schutz der weltweiten Ressourcen leisten. Die vorliegende Broschüre soll interessierten Tierschützerinnen und Konsumenten Entwicklung, Bedeutung und Probleme der Nutztierhaltung aufzeigen und ihnen bei der Bildung einer eigenen Meinung behilflich sein. Denn die Nutztierhaltung geht uns alle an. Diese Dokumentation will aber auch Rechenschaft über den Nutztierschutz in den vergangenen Jahren ablegen und darlegen, wo heute beim Tierwohl in der Schweiz und international Handlungsbedarf besteht. Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH Geschäftsführer Fachbereich Schweizer Tierschutz STS
2
1.
Nutztierhaltung im Spannungsfeld
3
2.
Landwirtschaft und Nutztierhaltung
7
2.1
Domestikation
7
2.2
Geschichtliches zur Nutztierhaltung
8
2.3
Zum Mensch-Tier-Verhältnis
10
2.4
Tiernutzung: ethisch gerechtfertigt?
12
3.
Nutztierhaltung in der Schweiz im 20. Jahrhundert
14
3.1
Tierwohl trotz Notzeiten
14
3.2
Verlorene Jahrzehnte
14
4.
Tierschutzgesetz
17
4.1
Entwicklung Tierschutzgesetzgebung von 1981 bis 2011
17
4.2
Bewertung des neuen Tierschutzgesetzes (TSchG)
20
4.3
Bewertung der neuen Tierschutzverordnung (TSchV)
20
4.4
Vollzug
22
5.
Agrarpolitik
23
5.1
Entwicklungen von 1951 bis 2011
23
5.2
Landwirtschaftsgesetz und Direktzahlungen
26
5.3
Tierwohlförderung
27
5.4
Stellenwert des Tierwohls bei Steuerzahlern und Konsumenten
28
6.
Information, Markt und Konsum
29
6.1
Entwicklung von 1972 bis 2011
29
6.2
Information und Beratung
33
6.3
Detailhandel setzt auf Produkte aus tierfreundlicher Haltung
33
6.4
Zögerliche Gastronomie
34
7.
Tierschutzkonforme Importe
35
7.1
Gesetzliche und privatwirtschaftliche Möglichkeiten
35
7.2
Unterschiedliche Bedeutung des Tierwohls in der Schweiz und der EU
36
8.
Tierwohlhandlungsbedarf in der Schweiz
39
8.1
Allgemeines
39
8.2
Tierschutzprobleme Rindergattung
39
8.3
Tierschutzprobleme Schweinegattung
43
8.4
Tierschutzprobleme Geflügel
45
8.5
Tierschutzprobleme Schafe, Ziegen und Kaninchen
48
8.6
Tierschutzprobleme Pferde
49
8.7
Tierschutzprobleme Transporte
49
8.8
Tierschutzprobleme Schlachthöfe
50
8.9
Weitere Aspekte der Nutztierhaltung
59
8.10 Ressourcenverschleuderung
54
9.
Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohls
56
9.1
Allgemeines
56
9.2
Eigenverantwortlichkeit
56
9.3
Die Rolle des Konsumenten
57
9.4
Die Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft
57
9.5
Die Rolle des Staates
59
9.6
Die Rolle der internationalen Politik
62
Glossar/Impressum
63
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
1. Nutztierhaltung im Spannungsfeld Im mit Nahrungsmitteln seit Jahrzehn-
durch die Agrolobbyisten immer weniger.
Synonym für Tierquälerei. In der Kritik
ten «gesättigten» Westen steht die heute
Der hohe und weltweit steigende Konsum
stehen aber auch negative Konsequenzen
weltweit praktizierte intensive Tierpro-
tierischer Produkte wird von NGOs und
der Tierproduktion für Umwelt und Na-
duktion zunehmend in der Kritik. Grund-
Medien häufig als Ursache für viele öko-
tur, so etwa der hohe regionale Anfall von
sätzliche Fragen nach der ethischen Be-
logische und gesundheitliche Probleme
Gülle, der zu übermässigem Eintrag von
rechtigung der Tiernutzung werden nicht
sowie den Welthunger dargestellt, und
Stickstoff und Phosphor in die Böden füh-
nur von Ethikern und Tierrechtsaktivis-
die rein pflanzliche Ernährung als Lösung
ren kann, oder Ammoniak- und klimar-
ten, sondern auch von breiten Kreisen der
der Ernährungsprobleme einer wachsen-
elevante CO2- und Methanemissionen.
Bevölkerung gestellt, insbesondere auch
den Menschheit propagiert.
Ebenfalls beanstandet werden die Art und
von jungen Menschen, die sich vegeta-
Platzsparende und reizarme Hal-
Weise sowie der wachsende Umfang des
tungsformen, zunehmender und länder-,
Kraftfutteranbaus für das Vieh und der
Das Mensch-Tier-Verhältnis verän-
ja Kontinente übergreifender Verkehr und
weltweite Kraftfutterhandel. Auch die in
dert sich zusehends. Die einst scharf ge-
Handel mit Zucht- und Schlachttieren
gewissen Ländern betriebene Überschuss-
zogene Trennlinie zwischen Heim- und
sowie extreme Leistungsanforderungen,
produktion von Fleisch und anderen tie-
Nutztieren verblasst, und das bei Stadt-
verbunden mit teilweise «tierartwidri-
rischen Produkten wird kritisiert: Durch
und Landbewohnern. Das Tier rückt näher
gen» Futterkomponenten, beeinträchtigen
die weltweite Absetzung der Überschüsse
an den Menschen heran, samt der Bereit-
das Tierwohl und die Tiergesundheit. Die
mittels (Dumping-)Export werden Bau-
schaft der Tierhalter, dafür den nötigen
enorme Ausdehnung der Tierproduktion
ern und Märkte in den Empfängerländern
materiellen und emotionalen Aufwand zu
weltweit, der routinemässige Einsatz von
konkurrenziert und starke Abhängigkei-
leisten. Dabei geht es vielfach nicht um
Hormonen und Antibiotika zur Leistungs-
ten geschaffen.
eine abzulehnende Vermenschlichung des
steigerung in vielen Ländern ausserhalb
Mit Ausnahme der Schweiz sowie ei-
Tieres, sondern um eine neue, bewusstere
Europas und die Qualität von Billigle-
niger wenigen westeuropäischen Ländern
und verantwortungsvollere Form des Zu-
bensmitteln aus Tierfabriken werden hier-
nimmt der Fleisch-, Milch- und Eierkon-
sammenlebens von Mensch und Tier.
zulande von immer mehr Menschen hin-
sum und damit die Nutztierhaltung in
Das Argument der günstigen und si-
terfragt. Die EU-Schlachttiertransporte
praktisch allen Ländern seit Jahren stark
cheren Lebensmittelversorgung sticht bei
und die Schafexporte von Australien und
zu – besonders in früher armen Zweit- und
der Rechtfertigung von tierschutzwid-
Neuseeland in arabische und südostasi-
Drittweltstaaten. Weltweit soll eine Milli-
rigen Zuständen in der Nutztierhaltung
atische Staaten wurden nachgerade zum
arde Bauern von der Tierhaltung leben, die
risch oder gar vegan ernähren.
3
Weltweite Massenproduktion in Tierfabriken
1970 auf heute 62 Kilogramm pro Kopf
Allerdings: Der überwiegende Teil des
und Jahr vervierfacht. Von dem Fleisch,
weltweit verfügbaren Landwirtschafts-
das in China in einem Jahr verzehrt wird,
landes ist wie in der Schweiz nicht acker-
könnte die Schweizer Fleischnachfrage
fähig, kann aber als Weideland für raufut-
rund zweihundert Jahre gedeckt werden!
terverzehrende Nutztiere gebraucht wer-
Bemerkenswert ist die boomende Nach-
den. Werden diese Böden trotzdem um-
frage nach Milchprodukten in asiatischen
gebrochen, setzen sich hohe CO2-Mengen
Ländern und in Russland, welche zu einer
frei und es besteht die Gefahr, dass die
starken Ausdehnung der Milchviehhal-
fruchtbaren Humusschichten in wenigen
tung führt. Selbst in den «Entwicklungs-
Jahren erodieren und die Flächen danach
ländern» verdoppelte sich der Fleischver-
weder zum Ackerbau noch zur Viehhal-
brauch seit 1970 auf heute 30 Kilogramm
tung mehr nutzbar sind. Die Weidenut-
pro Kopf und Jahr.
zung ist ökologisch und für die menschli-
Dieser ausgeprägte Hunger nach tie-
che Ernährung sinnvoll, da Rinder, Schafe
rischen Produkten wird hauptsächlich
und Ziegen das Wiesenfutter in Milch und
durch eine industrielle Tierproduktion in
Fleisch umwandeln können. Problema-
Massentierhaltung und faktisch ohne Be-
tisch ist indessen die Übernutzung von
rücksichtigung des Tierwohls befriedigt.
Steppengebieten mit zu vielen Weide-
Rund um die Metropolen in Asien, In-
tieren in Asien und Teilen Afrikas, wel-
dien, den arabischen Staaten und Brasi-
che wie ein nicht nachhaltiger Ackerbau
lien werden Pouletmastställe aus dem Bo-
Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit der
den gestampft, die hunderttausende von
Böden kaputt und die Steppen zu Wüs-
Tieren nach westlichem Vorbild «beher-
ten macht.
Hälfte davon in armen Ländern. Sie nut-
bergen». Der Futtermittelanbau für die
EU-Regionen mit intensiver Tierpro-
zen 1,4 Milliarden Kühe und Rinder so-
Intensivtierhaltung, etwa Mais, Soja und
duktion, etwa Nordwestdeutschland, die
wie eine Milliarde Schweine. Würde man
Getreide, soll mittlerweile rund 15 % der
Niederlande, Belgien, Dänemark, die Bre-
all diese Tiere nebeneinander platzieren,
weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflä-
tagne und die Po-Ebene, sowie die USA
ergäbe dies ein 60-facher Tiergürtel rund
che beanspruchen. Zum Vergleich: Der
und einige südamerikanische Staaten, al-
um die Erde! Dazu werden 68 Milliar-
Pflanzenbau für die direkte menschliche
len voran Brasilien, produzieren im Un-
den Hühner gehalten. China baut gegen-
Ernährung (z. B. Getreide, Kartoffeln, Ge-
terschied zur Schweizer Landwirtschaft
wärtig die weltweit grösste Nutztierhal-
müse, Früchte, Obst) benötigt rund 20 %
enorme Überschüsse. Sie forcieren deshalb
tung auf. Es hat den Fleischkonsum seit
der verfügbaren Agrarfläche.
den Export von Hühner-, Schweine- und
Agrarland weltweit: 5 Mia. Hektar; davon
weit werden bis zu 50 % der geernteten
räte (ein wichtiger Dünger) und den Auf-
3,5 Mia. Hektar Dauergrünland. Weltweit
Nahrungsmittel «verschleudert» (Lager-
kauf von Landwirtschaftsland insbeson-
stehen 72 Aren landwirtschaftliche Nutz-
verluste, Qualitäts- und «Frischevorschrif-
dere in Afrika, Südamerika, Südostasien
fläche pro Mensch zur Verfügung, davon
ten» etc.), d. h. heute würde mehr als ge-
und Australien durch private Investoren
sind aber nur 20 Aren ackerbaufähig.
nug produziert, um alle Menschen satt zu
aus China, Indien, den Golfstaaten sowie
In der Schweiz stehen 14 Aren landwirt-
machen.
den USA und Europa. Man vermutet, dass
schaftliche Nutzfläche pro Mensch zur
Das für Nahrungsmittelerzeugung
Verfügung, davon 6 Aren ackerbaufä-
und Tierhaltung verfügbare Landwirt-
hig. Auf diesen 14 Aren werden 60 % der
schaftsland nimmt in Zukunft ab infolge
von der Schweizer Bevölkerung benötig-
nicht nachhaltiger Nutzungs- und Anbau-
ten Nahrungskalorien erzeugt; zieht man
methoden (z. B. Erosion fruchtbarer Bo-
importierte «Inputs» ab, z. B. Kunstdün-
denschichten, Versalzung von Böden),
ger oder Kraftfutter, sind es noch 50 %.
des vermehrten Flächenbedarfs zur Pro-
Rund 40 % der Nahrungskalorien muss
duktion von Energiepflanzen sowie des
für Nahrungs- und Futtermittel in Zukunft
die Schweiz importieren.
Klimawandels. Die Nahrungsmittelversor-
ansteigen.
diese bereits mehr Land gekauft oder geleast haben als die gesamte Landwirtschaftsfläche Europas, um im grossen Stil am Weltmarkt (spekulativ) handelbare Monokulturen anzubauen. Im Zuge dieser Entwicklung werden die Weltmarktpreise
Prognostiziertes Bevölkerungswachs-
gung der Weltbevölkerung wird aber auch
tum bis 2050: Von heute 7 auf 9 Milliar-
gefährdet durch den zunehmenden Was-
den. Heute ist 1 Milliarde Menschen mit
sermangel in trockenen Regionen, das
Zur Info: 1 Are = 100 m2,
Nahrungsmitteln unterversorgt, aber welt-
zur Neige Gehen der Weltphosphatvor-
1 Hektar = 100 Aren = 10 000 m2
4
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Rindfleisch mit allen Mitteln. Am stärksten ausgedehnt und industrialisiert wurde die Pouletproduktion. Sie hat sich innert dreissig Jahren verfünffacht auf heute 93 Millionen Tonnen pro Jahr, da im Unterschied zu Schwein und Rind der Verzehr von Hühnerfleisch weltweit auf keine religiösen Vorbehalte trifft, und das Fleisch mittlerweile billiger als alle anderen Fleischarten angeboten werden kann. Denn Masthühner wachsen heute unglaublich schnell – sie erreichen in der halben Zeit ihr Schlachtgewicht wie früher –, werden im Ausland in Hallen von bis zu 100 000 Tieren gehalten, und eine moderne Turboschlachtanlage beendet pro Stunde das Leben von 10 000 und mehr Hühnern. Die Wachstumsmärkte in Lateinamerika, Asien und Osteuropa sorgen Experten zufolge dafür, dass bereits im Jahr 2020 die Geflügelfleischproduktion die bislang weltweit führende Schweinefleischerzeu-
In dreissig Jahren verfünffacht: Die Pouletproduktion steigt weltweit am stärksten
gung überholt haben und auf 120 Millionen Jahrestonnen angestiegen sein wird.
lungs- und Schwellenländern um Arbeit
Dabei sind die Gewinnspannen der Inten-
und Verdienst. Als Folge davon werden
Das für Nutztiere bestimmte Futterge-
sivtierproduktion extrem tief. So verdient
diese Länder in der Nahrungsmittelver-
treide und -eiweiss wird heute zum gröss-
ein Geflügelmäster in Deutschland knapp
sorgung immer abhängiger von den in-
ten Teil von den grossen Überschuss-
zehn Rappen an einem Masthuhn.
ternationalen, teils spekulativ betriebenen
exportproduzenten in der EU, den USA,
Agrarmärkten.
China und Brasilien sowie aufstrebenden
Neuseeland und Australien kurbelten insbesondere die Lammfleischerzeugung
sehr vieler vormals armer Staaten.
Drittweltstaaten beansprucht. Damit sind
Ob der berechtigten Kritik an der massiven Ausdehnung der Tierhaltung und an der weltweit grassierenden intensiven Tierproduktion sowie deren klar ersichtlichen negativen Folgen für Mensch, Umwelt und Tier sollten drei Tatsachen nicht vergessen werden:
die aus den 1980er-Jahren stammenden,
Agrarkonzernen und industriell-gewerb-
1.
Der «Hunger» nach Produkten tieri-
quenzen für unser Land und unsere Le-
lichen Betrieben dominiert. Ethik, Tier-
scher Herkunft samt der teilweisen Über-
bensmittelversorgung zu ziehen. Wie im-
schutz, Ökologie und Klimaschutz spie-
nahme westlicher Ernährungsmuster in
mer sich die Schweiz entscheiden wird –
len hier keine Rolle. Ziel ist einzig das Er-
Gesellschaften und Staaten, die wirt-
ob sie die Landwirtschaft und Nahrungs-
zeugen von möglichst viel und möglichst
schaftlich aufschliessen, entspricht haar-
mittelerzeugung im Inland herunterfährt
billigem Fleisch, Milch und Eiern. Kleine
genau der Entwicklung in der Schweiz
und zunehmend auf Billigimporte zum
und mittlere Bauernbetriebe mit ihren tra-
nach dem 2. Weltkrieg. Fleisch war da-
Beispiel aus Tierfabriken setzt, oder ob sie
ditionellen Tierhaltungsformen und Wei-
mals ein Symbol für Wohlstand und
in eine eigene, naturnahe Landwirtschaft
dewirtschaften werden wegrationalisiert.
wurde immer erschwinglicher. Eine zu-
und tierfreundliche Tierhaltung mit etwas
Billigexporte der EU, der USA oder von
nehmend sichere Versorgung mit Nah-
teureren Produkten investiert –, es ändert
Brasilien gefährden heute auch die noch
rungsmitteln und eine Demokratisierung
sich nichts am klaren Trend zur massi-
grösstenteils bäuerlich geprägte Tierhal-
des Konsums tierischer Produkte läuft
ven Ausdehnung der intensiven Tierpro-
tung in der Schweiz und bringen weltweit
heute weltweit ab und ist gekoppelt an die
duktion in der übrigen Welt. Die Schweiz
Millionen von Kleinbauern in Entwick-
erfreuliche wirtschaftliche Verbesserung
könnte ihre Tierhaltung komplett stillle-
mit Exportmärkten in den arabischen Staaten und Südostasien, aber auch in Nordamerika und Europa an. Die Schweiz bezieht rund die Hälfte des Schaffleischkonsums aus diesen Ländern, und zwar samt und sonders Edelstücke. Die weltweite Tiermast, die Milch- sowie die Eierproduktion werden häufig von
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
heute noch immer kolportierten ideologischen Aussagen, wonach die Schweiz mit dem Getreide der Armen dieser Welt ihr Vieh füttere, überholt. Heute massiert sich die Nutztierhaltung zudem zunehmend ausserhalb des Westens. Daraus gilt es, die richtigen Konse-
5
gen, ohne spürbaren Einfluss auf die Ent-
und Zucht von Nutztieren eine der gröss-
und der Gülle der Tiere wird das Wachs-
wicklung des Klimas oder den Verbrauch
ten kulturellen Taten der Menschheit
tum der Pflanzen und die Ertragssicher-
an Futtermitteln.
darstellt. Die planmässige Tierhaltung
heit und Leistung der Böden stark ver-
Da die verfügbare Landwirtschafts-
brachte mehr Versorgungssicherheit, kur-
bessert, sodass pro Flächeneinheit deut-
fläche der Welt durch fehlerhafte Bewirt-
belte die landwirtschaftliche Produktivi-
lich mehr und sicherer geerntet und viel
schaftung rückläufig ist (Erosion, Versal-
tät an und ermöglichte es, Gegenden zu
mehr Menschen ernährt werden können.
zung), Ackerflächen zur lukrativen Ener-
besiedeln und Böden zu nutzen, die für
Dieses abgestimmte, über Jahrtausende
gieproduktion abgezweigt werden und die
den Ackerbau suboptimal oder überhaupt
entwickelte und laufend verbesserte Zu-
Nachfrage nach (tierischen) Nahrungsmit-
nicht geeignet sind.
sammenwirken von Boden, Weidepflan-
teln mit zunehmender Bevölkerungszahl
Auch in der Schweiz begrenzen Klima
zen und Nutztieren stellt eine der grössten
und wirtschaftlicher Verbesserung steigt,
und Witterung sowie Berg-, Hügel- und
Leistungen der Menschheit dar. Man kann
wird die landwirtschaftlich nutzbare Flä-
Steillagen die Möglichkeiten für den
– und soll – die Nutzung und Tötung von
che dieses Planeten zu einem kostbaren
Ackerbau und damit den Anbau von Pro-
Tieren ethisch grundsätzlich hinterfragen.
Gut. Lebensmittel dürften in Zukunft welt-
dukten direkt für die menschliche Ernäh-
Fakt ist aber auch, dass die Tierhaltung,
weit teurer werden. China, reiche arabi-
rung. Was hier aber gut gedeiht sind Grä-
artgerecht und standortangepasst betrie-
sche Staaten und westliche Investoren
ser, Klee und Kräuter auf Wiesen, Weiden
ben, einen Beitrag zur Lösung des Ernäh-
kaufen vorausschauenderweise rund um
und Alpen, die der Mensch nicht verwer-
rungs- und Klimaproblems leisten kann
die Erde, vorwiegend in Afrika, Land im
ten kann, aus denen aber Rinder, Ziegen,
und heute Milliarden von Menschen Nah-
grossen Stil auf. Bei dieser Ausgangslage
Schafe, Pferde und Kaninchen hochwer-
rung und Auskommen bietet.
täte die Schweiz gut daran, auch in den
tige Produkte für die menschliche Ernäh-
nächsten fünfzig Jahren Sorge zur eige-
rung machen. Schweine sind Allesfresser:
3. Die Schweizer Agrarpolitik, die Land-
nen Landwirtschaft und damit zur siche-
Sie können zwar junges Gras verwerten,
wirtschaftsberatung und -forschung so-
ren Versorgung der Bevölkerung zu tra-
ihre Stärke liegt aber in der Umwand-
wie viele Bauern setzten in den 1960er-,
gen.
lung von Rest- und Abfallprodukten aus
1970er- und teilweise auch noch in den
der Futter- und Lebensmittelherstellung,
1980er-Jahren auf die intensive, ethisch
2. Wenn man heute die Nutztierhaltung
ob nun pflanzlicher oder tierischer Her-
und ökologisch fragwürdige Tierproduk-
grundsätzlich ethisch hinterfragt, sollte
kunft. Hühner wiederum wandeln am ef-
tion. Sie kehrten sich damit völlig ab
nicht vergessen werden, dass die Domes-
fizientesten von allen Nutztieren Getreide
von früher empfohlenen und praktizier-
tikation und die nachfolgende Haltung
in Eier und Fleisch um. Mit dem Mist
ten Tierhaltungsformen. Im Unterschied zu allen anderen Ländern setzte hierzulande indessen bereits Ende der 1970erJahre eine starke Gegenbewegung ein, die von Beginn weg auf mündige, verantwortungsbewusste Konsumenten und die Nachfrage nach naturnahen Produkten sowie solchen aus tierfreundlicher Haltung setzte. Ab den 1990er-Jahren drängten dann auch breite Kreise der Bevölkerung auf eine Kurskorrektur in der Agrarpolitik. So konnte zwischenzeitlich wieder einiges korrigiert und verbessert werden.
China, reiche arabische Staaten und westliche Investoren kaufen rund um die Erde, vorwiegend in Afrika, Land im grossen Stil auf.
6
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
2. Landwirtschaft und Nutztierhaltung 2.1 Domestikation
domestiziert; das Schwein etwa im Na-
len Erwartungen zum Trotz kamen sie mit
Tiere jagen und töten und ihr Fleisch
hen Osten und in Europa sowie in China.
dem Leben in freier Wildbahn absolut zu-
essen, ist dem Menschen seit hundert-
Von abertausenden von Tierarten auf die-
recht und pflanzten sich erfolgreich fort.
tausenden von Jahren vertraut. Doch
ser Welt liessen sich lediglich etwas mehr
Die Domestikation führte zu einer ei-
erst nach der letzten Eiszeit begann die
als ein Dutzend domestizieren und weit
gentlichen Symbiose zwischen Mensch
planmässige Haltung und Nutzung von
über eine oberflächliche Zähmung hinaus
und Tier. Durch das jahrtausendelange
Haustieren. Im Zeitrahmen von sechs-
zu Haustieren machen; neben Hund und
enge Zusammenleben tauschten sich
bis zehntausend Jahren vor unserer Zeit
Katze insbesondere Rind, Ziege, Schaf,
selbst Bakterien und Viren aus und wur-
wurden die allermeisten unserer heutigen
Huhn und Trute, Schwein, Pferd und Esel.
den zu ständigen Begleitern der Völker,
Heim- und Nutztiere domestiziert. mit
Die Affinität dieser Tierarten zum Men-
die eng mit Haustieren zusammenlebten.
zwei Ausnahmen. Das Kaninchen erhielt
schen grenzt fast an ein Wunder, denn
Das mussten die hoch entwickelten Rei-
erst im Mittelalter durch die züchterischen
an unzähligen Versuchen, andere Arten
che der Inkas und Azteken, denen diese
Bemühungen von Mönchen den Haustier-
zu zähmen, hat es über die Jahrtausende
Keime und die dadurch im Organismus
status und neue Funde von Hundeskelet-
hinweg bis in die Neuzeit nicht gefehlt.
entwickelten Abwehrmöglichkeiten fehl-
ten in Höhlen der Dordogne und in Ost-
Doch alle schlugen fehl. Selbst ein so na-
ten, im 15. und 16. Jahrhundert bitterlich
europa deuten darauf hin, dass der Hund
her Verwandter des Pferdes wie das Zebra
erfahren. Wie die moderne Geschichtsfor-
möglicherweise bereits schon vor zwan-
liess und lässt sich nicht domestizieren.
schung zeigt, wurden sie weder von den
zig- bis dreissigtausend Jahren den Men-
Trotz der jahrtausendelangen Hal-
überlegenen Waffen noch der angebli-
schen ein treuer Gefährte war und ihm
tung in der Obhut des Menschen und der
chen Kriegskunst der spanischen Aben-
beim Jagen half. Es wird gar spekuliert,
teilweise extremen Zucht der Neuzeit ha-
teurer und Militärs dahingerafft, sondern
dass es diese erfolgreiche jagdliche Zu-
ben Rind, Schwein und Huhn die biolo-
in erster Linie von deren mitgebrachten
sammenarbeit war, welche dem aus Süden
gischen und ethologischen Bedürfnisse
Keimen.
eingewanderten Homo Sapiens schluss-
ihrer wilden Urahnen erstaunlicherweise
Die Nutzung von Wiesen, Weiden
endlich die Herrschaft in Europa sicherte
weitestgehend behalten. So wurden in den
und Äckern – bis ausgangs des Mittelal-
und die Neandertaler-Vormenschen aus-
1980er-Jahren in Grossbritannien und
ters auch Wäldern – für die Viehhaltung
sterben liess. Bemerkenswerterweise wur-
Schweden hochgezüchtete Schweine und
verbreiterte und bereicherte an den jewei-
den mehrere Tierarten an verschiedenen
Hühner aus konventioneller Stallhaltung
ligen Standorten Flora und Fauna, indem
Orten der Welt unabhängig voneinander
in ausgedehnte Wildgehege verbracht. Al-
neue Lebensräume und damit Nischen für
7
denn das Vieh hielt sich bis dahin ganz selbstverständlich auch in Waldbereichen auf. Damals entstand die heute selbstverständliche Trennung von Wald und Landwirtschaftsflächen. Als Kompensation erschlossen die Menschen neues Kulturland, etwa durch das Trockenlegen von Überschwemmungs-, Sumpf- und Moorgebieten, oder indem dem Meer Land abgerungen wurde. Eine weitere Folge des Weideflächenverlusts war, dass die Tierhaltung vermehrt in Ställe verlagert wurde. Medizinische Traktate rieten allerdings vom Fleisch derart eingekerkerter Tiere ab und empfahlen aus Qualitäts- und Gesundheitsgründen Fleisch von im Freien gehaltenen Tieren. Die Stallhaltung brachte aber Gülle und Mist, welche, auf die Felder ausgebracht, die Erträge der Acker-
Es gab eine Zeit, da kamen die Bauern mit ihren Produkten noch in die Stadt
kulturen steigerten. Die Bauernbetriebe begannen sich nach und nach auf Obstbau, Ackerbau oder Viehhaltung zu spezialisieren und verlagerten sich von der
zusätzliche Baum-, Pflanzen- und Tierar-
über bevorzugten die germanischen Völ-
reinen Selbstversorgung auf den Tausch
ten entstanden. Leider wirkt die intensive
ker im Norden eher die Natur, die Wälder
und Verkauf von Produkten. Ohne Land
Landwirtschaft heute gerade in die gegen-
und die Jagd und setzten weit stärker auf
keine Stadt: Noch bis 1900 wurden Zie-
teilige Richtung. Auch die menschlichen
Tierhaltung und Weiden, als es der Süden
genherden von Fluntern ins Zürcher
Möglichkeiten und Lebensweisen verviel-
tat. Mit dem Ende der Römerzeit nahm der
«Dörfli» getrieben, wo die Stadtfrauen
fachten sich durch die Viehhaltung; vom
Einfluss der nördlichen Gebräuche und
gegen ein Entgelt Ziegen melken konn-
Jäger und Sammler zum Bauern, Hirten
damit auch die Bedeutung von Fleisch
ten. An den Markttagen brachten Bauern
oder Nomaden, von der reinen Selbstver-
europaweit zu. Frankenkönig Lothar ord-
mit Fuhrwerken oder den «Seeschwalben»
sorgung zum Handel und zum Austausch
nete im 9. Jahrhundert an, dass ein Krie-
genannten Limmatschiffen Lebensmittel
von Gütern, mittels Lasttieren auch über
ger, der einen Bischof töte, nicht nur die
nach Zürich.
weite Distanzen hinweg. Die Viehhaltung
Waffen niederlegen, sondern fortan auch
Von der Römerzeit über das Mittel-
und der anfallende Hofdünger führten
ohne Fleisch leben müsse. Chronisten be-
alter bis in die Neuzeit wurden im Zuge
dazu, dass immer mehr Menschen ernährt
richten im Mittelalter von enormen Ver-
des Fernhandels zahlreiche neue Pflanzen
und Überschüsse erzeugt werden konnten.
zehrsraten von bis zu 100 Kilogramm pro
und Tiere nach (Mittel-)Europa gebracht.
So konnte Handel getrieben, Städte ge-
Kopf und Jahr in der Oberschicht – we-
Wer sich heute an Margeriten und Akelei
gründet und die Arbeitsteilung unter den
gen der damals bis zu 150 fleischlosen
in den Blumenwiesen erfreut, dürfte kaum
Menschen vorangetrieben, Verwaltung,
kirchlichen Feiertage bedeutete dies sehr
wissen, dass diese erst im Mittelalter zu
Wissenschaft und Künste etabliert wer-
hohe tägliche Verzehrsmengen. Demge-
uns kamen. Im Zuge der spanischen und
den. Ohne Domestikation und planmäs-
genüber konnten die unteren Schichten
portugiesischen «Entdeckungen» wurden
sige Viehzucht hätte die Menschheit diese
von Fleisch und Fisch meist nur träumen.
Perlhühner und Truten auch in Europa
Entwicklung kaum machen können.
Nicht ohne Grund kam damals die Idee
heimisch. Als die englischen Pilgerväter
vom Schlaraffenland auf.
im 17. Jahrhundert mit der «Mayflower»
2.2 Geschichtliches zur Nutztierhaltung
Ausgangs des 15. Jahrhunderts bean-
nach Amerika segelten, hatten sie nebst
spruchten Adel und Kommunen vieler-
anderen Nutztieren auch einige Truten
Die alten römischen und griechischen
orts die Nutzung der stark geschwunde-
an Bord. Drüben angekommen, staunten
Kulturen schätzten kultiviertes Land mit
nen Wälder – und damit die Verfügbarkeit
sie nicht schlecht, als sie bemerkten, dass
Getreide, Obst, Oliven und Reben. An
über den damaligen Hauptenergie- und
Wildtruten den Kontinent zu Millionen
Nutztieren hatten lediglich Schafe eine
-bauträger, das Holz. Damit gingen in Mit-
bevölkerten.
übergeordnete Bedeutung. Demgegen-
teleuropa grosse Weideflächen verloren,
8
Der durchschnittliche Fleischkonsum
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
eines westeuropäischen Landes lag anfangs des 19. Jahrhunderts bei 30 Kilo-
Anzahl Nutztiere in der Schweiz (in tausend)
gramm pro Kopf und Jahr. Ab Mitte des Jahrhunderts begann dieser dann stetig zu steigen. 1845 wurden die Dosenfleisch-Konservierungstechnologie und zwischen 1855 und 1860 die Milchpulver- und Kondensmilcherzeugung entwickelt, was Vorratshaltung und Versorgungssicherheit verbesserte und als Nebenwirkung – wegen der planbareren Verpflegung der Heere – die Kriegsführung veränderte. Grossbritannien, das im 19. Jahrhundert mächtigste sowie politisch, kulturell und technisch fortschrittlichste und einflussreichste Land der Welt, verabschiedete 1822 das erste Tierschutzgesetz der Neuzeit. 1847 wurde in Manchester die erste vegetarische Gesellschaft gegründet. 1860 setzte Grossbritannien wiederum als erstes Land der Welt ein Gesetz gegen Lebensmittelbetrug in Kraft. Daraus mag man ersehen, dass es auch in der «guten alten Zeit» um die Qualität der
Jahr Kühe 1850 501 1900 744 1950 858 1960 940 1970 896 1980 875 1990 795 2000 714 2010 700 GVE* *Grossvieheinheiten
Rindvieh total 885 1354 1530 1746 1907 2031 1855 1588 1591 76 %
Schweine 339 542 908 1351 1753 2205 1787 1498 1589 13 %
Pferde 104 123 134 100 53 45 45 50 62 3%
Schafe 451 259 192 227 291 354 395 421 434 3%
Ziegen 348 382 165 90 66 80 68 62 87 1%
Hühner – – 6300 5975 5919 6146 5822 6789 8944 4%
Anzahl Halter von Nutztieren in der Schweiz Jahr 1985 2000 2005 2010
Nutztiere 88 600 60 000 54 400 50 000
Rindvieh Schweine Pferde 71 800 36 000 12 600 50 800 15 300 10 700 45 400 11 800 10 300 41 100 8800 9600
Schafe Ziegen 14 000 9800 12 600 7100 11 200 6600 9800 7000
Hühner Kaninchen 41 700 6000 20 700 6000 17 100 4500 13 500 3300
Kälber 470 000 522 000 444 000 408 000 319 000 300 000 253 000
Schweine 740 000 1,4 Mio. 2,3 Mio. 3,4 Mio. 3,3 Mio. 2,6 Mio. 2,8 Mio.
Nahrungsmittel nicht immer zum Besten gestanden hat. Um 1800 war die Viehhaltung in der Schweiz noch relativ unbedeutend. Grössere Bestände gab es nur bei Rindern und Schafen. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollständig. Wegen zunehmender Absatzmöglichkeiten im In- und Ausland sowie der für die
Total Landwirtschaftsbetriebe CH 2012: 59 000 35 000 24 000 41 000 18 000 38 000
in Tal- und Hügelzone im Berggebiet hauptberufliche Betriebe nebenberufliche Betriebe Betriebe sind auf Tierhaltung spezialisiert Durchschnittsgrösse rund 18 ha Anzahl Biobetriebe rund 6000 Pro Tag verschwinden im Durchschnitt 5 bis 6 Betriebe Landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz (Wiesen, Weiden, Ackerland und Dauerkulturen):1,1 Mio. ha, dazu kommen 455 000 ha Alp- und Juraweiden
Schlachtungen in der Schweiz Jahr 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2007
Grossviehmast 65 000 100 000 165 000 231 000 259 000 185 000 210 000
Kühe 111 000 142 000 198 000 237 000 211 000 169 000 151 000
Dazu kommt die Schlachtung von rund 2 Millionen Legehennen und rund 40 Millionen Masthühnern und Truten jährlich.
Tierhaltung günstigen klimatischen und
Die Schweiz importierte damals sowie
topografischen Voraussetzungen wurde
zwischen den Weltkriegen jährlich rund
die Viehhaltung auf Kosten des Getrei-
800 000 Tonnen Getreide, also ungefähr
deanbaus stark ausgebaut. Wegen ver-
gleich viel wie heute, allerdings bei nur
besserter Transportmöglichkeiten mit-
knapp halb so vielen Einwohnern und we-
tels Schiffen und Eisenbahn, besserer
sentlich weniger gehaltenen Nutztieren.
Fruchtfolgen und der weltweiten Verdop-
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er-
pelung der Ackerfläche bis zum 1. Welt-
langte die Milchproduktion in der Schweiz
krieg konnte Getreide auf dem Weltmarkt
die innerlandwirtschaftlich hohe wirt-
extrem günstig angeboten werden, so-
schaftliche Bedeutung, die sie bis heute
dass der Inlandgetreidebau Ende des 19.
innehat. Auslöser waren unter anderem
Jahrhunderts praktisch zusammenbrach.
die Erfindungen der Milchschokolade, der
9
scharpflug in weniger als einer Stunde!
Kondensmilch und der Käseherstellung
der weltweiten Wirtschaftskrise in die
mittels Lab, welche zu einer Vervielfa-
Kritik. «Es ist wahr, diese reinen Gras-
chung der Käsesorten und der Verbreitung
wirtschaften sind nicht mehr eigentliche
brachte der Schweiz ab den 1960er-Jah-
von Käsereien ausserhalb des Berggebietes
Landwirtschaftsbetriebe. Ihre Tätigkeit er-
ren Vollbeschäftigung sowie Arbeitskräf-
führte. Käse, Milchschokolade und Kon-
schöpft sich im Viehfüttern, Melken, Gra-
temangel und damit verbunden kräftig
densmilch wurden denn auch rasch zu er-
sen, Düngen, Heuen und Mosten. Das ist
steigende Löhne. Entsprechend wuchs
folgreichen Schweizer Exportprodukten.
selbstverständlich kein gesunder Land-
die Nachfrage nach tierischen Produkten.
Die Schweizer Rindviehzucht florierte.
wirtschaftsbetrieb», urteilte der damalige
Gleichzeitig hielten Mechanisierung, Ra-
Zuchtvieh wurde in alle Länder Europas –
Bauernpolitiker und Nationalrat Roman
tionalisierung und wissenschaftlich-tech-
teilweise mussten Mensch und Vieh diese
Abt harsch und ideologisch-zeitgeistlich
nisch-biologische Erkenntnisse auf brei-
Wege zu Fuss zurücklegen! – und nach
angehaucht. Fortan wurde hierzulande
ter Front Einzug in Landwirtschaft und
Nordamerika verkauft. Man kann sich
das Hohelied vom bäuerlichen Selbstver-
Tierhaltung. Das führte dazu, dass Le-
heute kaum mehr ausmalen, welche Stra-
sorger und Familienbetrieb gesungen. Der
bensmittel immer kostengünstiger ange-
pazen den Tieren dabei zugemutet wur-
Ackerbau wurde forciert und ging später
boten werden konnten. Obwohl die Fami-
den. Ironie des Schicksals: Weniger als ein
bei extrem schlechter Versorgungslage im
lien mehr konsumierten, sanken die Haus-
Jahrhundert später, ab den 1970er-Jah-
2. Weltkrieg zum Wohl der Bevölkerung
haltausgaben für Lebensmittel infolge der
ren, hatten die ausländischen Braun- und
im «Plan Wahlen» auf.
extremen Produktivitätsfortschritte in der
Die
einsetzende
Hochkonjunktur
Fleckviehzüchter ihre Schweizer Kollegen
Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das
Landwirtschaft rapide von 30 % im Jahr
überholt. In zeitgemässer Form von Sa-
Ende des jahrtausendealten Ochsen- und
1950 auf 14 % im Jahr 1975 und schliess-
men ging die Genetik den Weg zurück in
Pferdezuges in der Landwirtschaft ein-
lich auf nur noch 7 % heute!
die Schweiz und liess dort die Milchleis-
geläutet, und Traktoren übernahmen die
Ohne Tierhaltung und Intensivierung
tung der Kühe explodieren.
schwere Feld- und Zugarbeit. Um ein
der Landwirtschaft wäre diese Entwick-
Nachdem Nestlé als grosser Abnehmer
Ackerfeld von einer Juchart – das dazu-
lung unvorstellbar. Von den positiven
der Milchbauern in den 1930er-Jahren
mal gebräuchliche landwirtschaftliche
Konsequenzen, nämlich einer hohen Er-
die Kondensmilchproduktion verstärkt
Flächenmass, je nach Gegend etwa 3500
nährungssicherheit sowie einem extrem
ins Ausland verlegt hatte und Preiszu-
Quadratmeter – mit einem Tierzug zu
breiten und kostengünstigen Lebensmit-
sammenbrüche wegen wiederkehrender
pflügen, wurden zwei Personen und fast
telangebot, profitieren wir heute tagtäg-
Milchüberproduktion Bauernexistenzen
40 Arbeitsstunden benötigt. Heute erle-
lich. Was für die allermeisten Menschen
ruinierten, gerieten Milchviehbetriebe in
digt dies ein Bauer mit Traktor und Drei-
auf diesem Planeten seit Urzeiten und bis vor hundert Jahren selbst in Westeuropa die grösste Sorge war – die sichere und ausreichende Versorgung mit Nahrung –, wurde und wird glücklicherweise für immer mehr Menschen auf dieser Welt zu einer Selbstverständlichkeit.
2.3 Zum Mensch-TierVerhältnis Dem verbreiteten kulturpessimistischen Urteil, wonach früher alles besser gewesen sei, kann man nicht nur bei Wohlstand und Nahrungsmittelversorgung der Menschen, sondern auch beim MenschTier-Verhältnis konsequent mit Fakten entgegentreten. Der Umgang mit Tieren folgte stets dem «Recht» des Stärkeren und dem Machtgefälle zwischen Mensch und Tier. Er war und ist geprägt von Missbrauch, Ideologien und irrationalen Vor-
Die alten Ägypter verehrten Katzen – im Gegensatz zu den Persern
10
lieben und Vorgaben einzelner Kulturen. So verehrten die alten Ägypter Katzen und verabscheuten Hunde, während die
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Perser Hunden Denkmäler setzten und sie wie Menschen beerdigten, Katzen hingegen als des Teufels erachteten und für vogelfrei erklärten. Die alten Griechen und Römer führten grausame Experimente an lebendigen Tieren durch. In den Arenen von Rom, der damals weltweit grössten Stadt, wurden nebst 200 000 Kriegsgefangenen, Verbrechern und Gladiatoren auch Millionen von Haus- und Wildtieren zur Belustigung hingemetzelt und aufeinandergehetzt. Im Mittelalter wurde in verschiedenen Regionen Europas lebenslange Dunkelhaltung für Kälber, Lämmer und Schafe betrieben. Kochbücher empfahlen, Gänse für rascheres Wachstum an den Schwimmhäuten festzunageln, oder Kälber und Ferkel für zarteres Fleisch mit Seilen zu Tode zu prügeln. Seit jeher zeichnet sich der Mensch durch Herzlosigkeit gegenüber Tieren aus. Nicht erst der «moderne» Mensch der Neuzeit be-
Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Pferd ein geschundenes Kriegs- und Arbeitsgerät
drängt durch seinen Lebensstil Tierarten und verurteilte viele zum Aussterben.
Sie alle haben hemmungslos und ohne
derten Mastrinder von Texas nach Norden
Unsere Vorfahren rotteten viele Tierarten
Einsicht in ökologische Zusammenhänge
in die Verladestationen getrieben wur-
aus, im Mittelalter in der Schweiz bei-
Tierarten ausgerottet und ohne Rücksicht
den, um dann in den Riesenschlachthö-
spielsweise den Wisent und im 19. Jahr-
auf Gewissen, Moral, Ethik oder religiöse
fen Chicagos getötet zu werden. Wer jetzt
hundert Biber und Bär.
Vorgaben Tiere gequält und ausgenützt.
noch immer glaubt, dass es Tieren früher
Auch der «edle Wilde» bleibt in puncto
Besonders übel hat der Mensch dem
besser erging, soll daran denken, dass das
Mensch-Tier-Verhältnis lediglich eine
Pferd mitgespielt. Bis ins 20. Jahrhundert
Betäuben vor dem Töten eine junge, kaum
westlich-romantische Vorstellung. Es ist
hinein war es geschundenes Kriegs- und
hundert Jahre alte Tradition ist, welche
überliefert, dass Indianer in Nordamerika
Arbeitsgerät: Lebenslang unter Tage in
bis heute in manchen Ländern und Kul-
sinnlose Büffelabschlachtungen durch
den Kohlegruben zur Arbeit gezwungen
turen unbekannt ist.
Hinabstürzen in Schluchten praktizier-
und dabei erblindet, um Mühlräder und
Es gibt wenig Anlass zur Behauptung,
ten, oder ihren Kindern auftrugen, Vö-
Pumpen anzutreiben jahrelang tagsüber
Nutztiere hätten es früher besser gehabt.
gel zu fangen, ihnen Beine oder Flügel zu
im Kreis gehend, auf dem harten Pflaster
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das
brechen und mit ihnen zu spielen. Noma-
der Millionenstädte London, Paris, Berlin
Mensch-Tier-Verhältnis heute zumindest
denvölker entnahmen lebenden Rindern
und New York Busse und Kutschen oder
in der Schweiz ein viel engeres ist, als es
Blut, oder schnitten aus den Schwänzen
auf dem Land an Kanälen und Flüssen ent-
noch vor einem Vierteljahrhundert bei In-
ihrer Schafe Fettstücke als Leckerbis-
lang Lastschiffe ziehend, schweisstriefend
krafttreten der Tierschutzgesetzgebung der
sen heraus. Das etwa über die Inuit und
auf den Feldern vor dem Pflug gehend.
Fall war. Im Bewusstsein sehr vieler Men-
andere «Naturvölker» kolportierte Beten
Mit Recht empört man sich heute über
schen wird keine scharfe Trennlinie mehr
oder «Um-Verzeihung-Bitten» vor dem
überlange und unnötige EU-Schlachttier-
zwischen Heim- und Nutztieren gezogen.
Tiere Töten dürfte eher eine sentimentale
transporte. Doch gab es hierzulande be-
Die Nutzung von Rindern, Schweinen und
und gegenüber einer möglichen höheren,
reits ausgangs des Mittelalters vergleich-
Hühnern wird zwar zumeist nicht infrage
strafenden Macht rückversichernde Geste
bares, nämlich Schlachtviehtrecks, etwa
gestellt, aber es herrscht heute ein breiter
darstellen als ein gelebter und bewusster
von Rindern aus Ungarn in die reichen
Konsens darüber, dass diese Tiere, wenn
Ausdruck von Fairness und Liebe gegen-
süddeutschen Kaufmannsstädte oder von
sie schon für unsere Zwecke planmässig
über den Mitgeschöpfen – vergleichbar
Dänemark nach Holland. Zu Fuss muss-
gezüchtet, gehalten und geschlachtet wer-
den Gebräuchen unserer Jäger nach dem
ten die Tiere hunderte, manchmal tausend
den, wenigstens Anrecht auf eine mög-
Abschuss des Wildes. Ob nun sogenannte
und mehr Kilometer zurücklegen. Wie im
lichst schonende Behandlung und eine
«Naturvölker» oder «zivilisierte» Kulturen:
Wilden Westen, wo die zumeist verwil-
artgemässe Haltung haben sollen.
11
zig mögliche Massnahme zur Verminderung des Tierleids darstellt, oder ob auch andere Tierschutzstrategien zielführend oder gar ergänzend notwendig sind. Ein Indiz für Letzteres stellt die Tatsache dar, dass Tierschutz und Vegetarismus verschiedene Wurzeln haben und traditionell zumeist in verschiedenen Organisationen mit nicht deckungsgleichen Zielsetzungen und Zwecken organisiert sind. Praktizierende Vegetarier und Veganer vermindern sozusagen die Gesamtsumme des mit der Nutzung der Tiere verbundenen Leids, indem weniger Tiere genutzt, artwidrig gehalten, brutal transportiert und getötet werden. Ein Mensch, der achtzig Jahre lang Vegetarier ist, verhindert durch seine konsequente Haltung beim gegenwärtigen Schweizer Durch-
Mit dem Image des Schädling als Versuchstier «ethisch» vertretbar?
schnittskonsum das Leben, den Tod und das wahrscheinliche Leid von gesamthaft gegen tausend Masthühnern, Rindern, Kälbern und Schweinen.
Bis heute schützen Menschen Tiere
wegen des «Schädlingimages» dieser Tiere
Rein quantitativ liesse sich dieselbe
selektiv. Das weltweit erste Tierschutzge-
kaum gegen deren Einsatz im Tierver-
Wirkung auch erzielen, wenn die Men-
setz, das anfangs des 19. Jahrhunderts in
such opponiere und die Tierpfleger we-
schen weniger Fleisch essen würden.
Grossbritannien in Kraft gesetzt wurde,
niger an den Nagern hingen. Auch der
Wenn drei Millionen Schweizer auf zwei
galt allein für Pferde. Abgeordnete, die
Nutztierschutz in der EU ist sehr selektiv:
Fleischmahlzeiten pro Woche verzich-
den Schutz auch auf Esel ausdehnen woll-
Bis heute existieren keine verbindlichen
teten, ergäbe das betreffend Reduktion
ten, wurden ausgelacht und überstimmt.
Tierschutzrichtlinien für die Haltung von
der gehaltenen und getöteten Nutztiere
Man mag heute darüber schmunzeln.
Kühen, Rindern, Schafen, Ziegen, Pfer-
die gleiche Wirkung, wie wenn 900 000
Doch der Speziesrassismus lebt noch im-
den und Truten. Wenig konsequent ist
Schweizer Vegetarier würden. Beide Stra-
mer. In Indien sind nicht die Kühe an und
auch die eidgenössische Tier- und Land-
tegien, Vegetarismus oder Reduktion des
für sich geschützt und «heilig», sondern
wirtschaftsgesetzgebung, die zwar richti-
Fleischkonsums, sind aus der Optik einer
nur das reinrassige indische Buckelrind,
gerweise hierzulande den Tierhaltern aus
tierschützerischen Realpolitik also wirk-
teilweise auch «Mischlinge».
ethisch-tierschützerischen Gründen Vor-
sam, wobei es erfahrungsgemäss einfa-
Hoch-
schriften macht, wegen des Geldes und
cher und erfolgversprechender ist, Men-
schulprofessoren betrachten den Ersatz
der hohen Politik aber Importe von Qual-
schen zur Reduktion statt zum Verzicht
von Hunden und Katzen im Tierversuch
produkten wie Stopfleber und Frosch-
zu bewegen. Der erhebliche Rückgang
durch Mäuse und Ratten als Tierschutz-
schenkel sowie Fleisch von Tieren aus
des Fleischkonsums in der Schweiz in
massnahme im Sinne des gesetzlich ver-
Tierfabriken und Qualtransporten zulässt.
den letzten 25 Jahren von 72 auf 53 Ki-
Schweizer
Behörden
und
logramm pro Kopf dürfte denn auch stär-
ankerten 3R-Prinzips: replace (ersetzen),
2.4 Tiernutzung: ethisch gerechtfertigt?
ker darauf beruhen, dass die Menschen
Ehrlicher und auf einem zeitgemässeren Wissensstand sind da die Pharmafirmen,
Unbestreitbar handelt es sich beim Vege-
lich darauf verzichteten. Das heisst nicht,
welche unumwunden zugeben, dass Rat-
tarismus und noch mehr beim Veganis-
dass dieser Befund auch zukünftig gelten
ten entwicklungsbiologisch und in Bezug
mus um einen individuellen und ethi-
muss, scheint der Vegetarieranteil heute
auf Schmerz- und Leidensfähigkeit Hun-
schen Entscheid, der stets auch das Tier-
doch gerade unter jungen Menschen
den in nichts nachstehen. Vielmehr ver-
leid und dessen Minimierung vor Augen
überdurchschnittlich zu sein, während
wende man im Tierversuch aus Kosten-
hat und Respekt verdient. Es stellt sich
die Kriegs- und Grosselterngeneration,
gründen lieber Nagetiere als Hunde oder
darüber hinaus aber die Frage, ob Ve-
bei welcher der Fleischkonsum mehrheit-
Katzen, aber auch, weil die Gesellschaft
getarismus/Veganismus die ethisch ein-
lich noch positiv gedeutet wurde, immer
reduce (reduzieren), refine (verfeinern).
12
weniger Fleisch essen, als dass sie gänz-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
weniger zum Gesamtkonsum beiträgt. Doch auch wenn es Vegetariervereinigungen und Tierschutzorganisationen gelingen sollte, den Vegetarieranteil zu erhöhen, werden Schlachthöfe in der Schweiz nicht abgeschafft. Dies auch wegen der Vegetarier selbst, die zwar kein Fleisch essen, aber Eier und Milchprodukte konsumieren. Bei einem Durchschnittskonsum von rund 180 Eiern pro Kopf und Jahr wird ein Vegetarier nach 80 Lebensjahren 50 Hochleistungslegehennen genutzt haben. Und wird damit, da stets ungefähr gleich viele Männchen und Weibchen geboren werden, zusätzlich für den Tod von 50 männlichen Küken Verantwortung tragen, die bekanntlich nach dem Schlupf aussortiert und getötet werden, da ihre Mast unrentabel ist. Da eine Kuh nur Milch gibt, wenn sie jedes Jahr wieder ein Kälbchen kriegt, und nur jedes zweite Baby ein Weibchen ist,
In der Schweiz verzehren Hunde und Katzen schätzungsweise 60 000 Tonnen Fleisch
das man zur Milchkuh heranziehen kann, zieht eine vegetarische Lebensweise nicht
schützer mit möglichen Konzepten wie
13 Millionen Heimtiere Deutschlands soll
nur das Schlachten von Milchkühen, son-
der Abschaffung der Nutztierhaltung zu
bei rund 900 000 Tonnen jährlich liegen
dern auch die Mast und das Töten männ-
beschäftigen – dazu sollte übrigens nicht
und damit in etwa der Jahresfleischpro-
licher Kälber nach sich.
nur die Haltung von Rind, Schwein und
duktion Österreichs entsprechen. In der
Der Vegetarismus und der Veganis-
Huhn gezählt werden, sondern auch die
EU leben gegen 200 Millionen Heimtiere.
mus liefern beide keine befriedigende
(Aus-)Nutzung von Versuchs-, Wild- und
In der Schweiz verzehren Hund & Katz
Antwort auf die drängende Frage, was
leider auch Heimtieren – und sich ge-
schätzungsweise 60 000 Tonnen Fleisch
das Schicksal der Millionen von Nutz-
gen den übermässigen Konsum von tieri-
jährlich. Allerdings essen Hunde und Kat-
tieren angeht, die jetzt und mit grösster
schen Produkten zu stellen: Es wäre eine
zen in allererster Linie Fleisch, das nicht
Wahrscheinlichkeit auch noch in zwanzig
Sünde wider die Schöpfung, Tieren Hilfe
verwertet werden kann, beispielsweise
oder dreissig Jahren geboren, aufgezogen
und Schutz zu verweigern und zuzulas-
Schlachtnebenprodukte.
und schlussendlich geschlachtet werden.
sen, dass sie weltweit gesehen noch im-
Ethik und Fairness gebieten es, sich auch
mer mit Käfigbatterien, Kastenständen,
um die real existierenden Tiere zu küm-
Qualtransporten sowie mit betäubungslo-
mern. So notwendig es ist, sich als Tier-
ser Kastration und Tötung traktiert wer-
Konsum tierischer Produkte
den! Denn möglicherweise ist letztendlich
Schweiz: Rund 170 kg/Kopf und Jahr
für ein Tier weniger die Tatsache, dass es
(53 kg Fleisch; 180 Eier; 110 kg Milch-
Anteil Vegetarier an Bevölkerung
am Ende seines Lebens getötet wird das
produkte)
Schlimme – sofern dies rasch und scho-
Fleischkonsum Schweiz: 53 kg/Kopf und
Proviande-Studie (2006): 5 % Vegetarier
nend unter Betäubung geschieht –, son-
Jahr; 50 % davon werden ausser Haus
in der Schweiz
dern ein nicht artgerechtes Leben voller
verzehrt (Gastronomie, Take-away); 13 kg
Nationale Verzehrsstudie, Max Rubner In-
Schmerz, Leid und Frustration. Genau das
sind Importe, oft aus Massentierhaltung;
stitut, Deutschland (2007): 1,6 % Vegeta-
aber wird Nutztieren in Massentierhaltun-
Labelanteil je nach Fleischkategorie
rier im Durchschnitt; Frauenanteil 2,2 %,
gen weltweit und systematisch zugefügt.
10–50 %, davon 4 % Biofleisch
Ethisch überhaupt nicht thematisiert
Fleischverzehr international (je Kopf und
Statistik Austria (2007): 1,4 % Vegetarier
wird bislang der Fleischbedarf für die zu-
Jahr): Weltdurchschnitt 40 kg, Entwick-
und 3.9 % Vegetarierinnen
nehmende Haltung von fleischfressenden
lungsländer rund 30 kg; Deutschland
Vegetarierstudie Grossbritannien (1995)
Heimtieren wie etwa Hunde und Katzen.
62 kg; Frankreich 72 kg; Spanien 80 kg;
resp. USA (2009): 5 % resp. 3 % Vegetarier
Allein der Fleischbedarf zur Fütterung der
USA 110 kg
lediglich 0,1 % Veganer
13
3. Nutztierhaltung in der Schweiz im 20. Jahrhundert 3.1 Tierwohl trotz Notzeiten
ern und Studenten ins Stammbuch.
im Winter täglich zweimal aus den Stäl-
Ein Blick in die erste Hälfte des 20. Jahr-
Selbst in den harten Kriegszeiten
len. Bereits damals existierten Betriebe,
hunderts zeigt, dass es in der Schweiz ein-
wollte man zum Tierwohl stehen. So hielt
die tausende von Legehennen hielten.
mal eine (wenn auch nur kurze) Zeit gab,
die Schweizerische Landwirtschaftliche
Diese verteilten sich auf kleinere Einhei-
in der das Tierwohl ganz selbstverständ-
Zeitung am 8. 9. 1944 in einem Artikel
ten in mehreren Hühnerhäuschen auf der
lich zur landwirtschaftlichen Tierhaltung
über den Einfluss des Tierwohls auf die
grünen Wiese. Zur Gesunderhaltung und
gehörte. Ja, es wurde von Bauernfunktio-
Milchleistung fest: «Eigentlich mutet es
als anerkanntes Gesundheitssanierungs-
nären vehement aus eigener Einsicht und
beinahe grotesk an, von Tierschutz zu
verfahren von Zuchtsauenherden galt das
Initiative eingefordert – statt wie heute
sprechen in einer Zeit, wo tausende von
sogenannte schwedische System mit Hüt-
eher zähneknirschend, als Reaktion auf
wertvollen Menschenleben in den Depor-
tenhaltung im Freiland. Auch die Mast-
den gesellschaftlichen Druck. Damals
tierungslagern elend zu Grunde gehen.
schweine wurden zumeist mit Auslauf ge-
stand man auch in wirtschaftlich schwie-
Auf alle Fälle werden solche Gräuelta-
halten. Bezeichnenderweise kursierte da-
rigen Zeiten zur Verantwortung gegen-
ten als ein unauslöschlicher Schandfleck
mals unter Tierärzten und Agronomen der
über den Nutztieren. Ernst Laur (1871–
für unsere heutige Kultur und Zivilisation
Spruch: «Wo die Sonne nicht hinkommt,
1964), Agronomieprofessor für Betriebs-
in die Geschichte eingehen. Ja, die Hilfe
kommt der Tierarzt hin.»
wirtschaft an der ETH Zürich und ers-
für die notleidenden Flüchtlinge ist das
ter Direktor des Bauernverbandes, stellte
dringendste Gebot der Stunde. Aber auch
3.2. Verlorene Jahrzehnte
in den krisengeschüttelten 1920er- und
unsere Haustiere sind auf unseren guten
Mit dem Beginn der zweiten Jahrhundert-
30er-Jahren die Wichtigkeit von Auslauf
Willen angewiesen. Der Mensch hat diese
hälfte setzten sich Forschung und Bera-
und Weiden für Nutztiere heraus. Luft,
Tiere ihrer Freiheit beraubt, gezähmt und
tung und in deren Schlepptau die Bau-
Licht und Bewegung seien beispielsweise
für seine Zwecke nutzbar gemacht. Sie
ern über diesen tierhalterischen Wissens-
für eine wirtschaftliche Schweinehal-
sind ihm auf Gnade und Ungnade aus-
und Erfahrungsschatz hinweg. Die zu-
tung unerlässlich. «Sind die Tiere einmal
geliefert. Er hat daher auch die Verpflich-
vor als gesundheitsfördernd propagierte
an den Aufenthalt im Freien gewöhnt, so
tung, nach bestem Willen für ihr Wohler-
Freilandhaltung wurde jetzt verteufelt,
scheut man sich nicht, sie auch im Winter
gehen zu sorgen.»
die Ausläufe wurden verschlossen und
ins Freie zu lassen, sorgt aber für warme
In den 1950er-Jahren waren Offen-
die Nutztiere in Ställe auf immer weni-
Stallungen, in die sie sich jederzeit zu-
ställe für Kühe Mode geworden. Zum
ger Raum gepfercht. Als Mittel der Wahl
rückziehen können», schrieb er den Bau-
Tränken kamen die meisten Rinder auch
für die Sanierung von Schweinepopulati-
14
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
onen kam anstelle der Freilandhüttenhal-
gen realisiert. Seit 1960 verdoppelten sich
lastet, dass ihr Ökosystem praktisch zu-
tung das SPF-Verfahren (specific patho-
die Kartoffelerträge pro Hektar auf 400
sammenbrach. Die notwendige Sanierung
gen free) in Mode: Hochträchtige Sauen
Tonnen, die Weizenerträge verdreifachten
verschlang enorme Steuermittel, ebenso
wurden mittels Kaiserschnitt entbunden
sich auf 7,6 Tonnen. Innert weniger Jahr-
das Verwerten der Milchüberschusspro-
und die Ferkel in möglichst keimfreier
zehnte stieg die durchschnittliche Leis-
duktion. Seither sind die Tierzahlen wie-
Umgebung aufgezogen. Die Firma Ovo-
tung je Kuh von 4000 auf fast 8000 Liter
der gesunken auf heute 1,6 Millionen
maltine führte für ihre Eierproduktion
je Jahr. Wie den Masthühnern und Truten,
Tiere der Rinder- und 1,6 Millionen der
schon früh die in den USA entwickelten,
so wurde auch dem Schwein immer mehr
Schweinegattung.
als letzter Schrei geltenden Käfigbatterien
Fleisch angezüchtet, sodass heute 57 %
Agrowissenschaft, Beratung und Bau-
ein. Diese begannen sich ab den 1960er-
des Schlachtkörpers sogenannte «edle»,
ern waren und sind extrem erfolgreich bei
Jahren bei «modernen» Geflügelwirten
das heisst verwertbare Fleischstücke sind
der Bereitstellung von Nahrungsmitteln.
immer mehr durchzusetzen, obwohl sol-
und dieser zwei Rippen mehr aufweist.
Durch Rationalisierung (z. B. Spezialisie-
che Ställe in der Anschaffung um ein
Zwischen 1950 und 1980 verzweiein-
rung auf einen Betriebszweig wie etwa
Mehrfaches teurer waren als die früheren
halbfachte sich der Schweinebestand in
Rindermast, Milchvieh oder Legehen-
tierfreundlichen Freilandhaltungsformen.
der Schweiz auf 2,2 Millionen Tiere, und
nen; Einführung von platz- und arbeits-
Dafür wurde Zeit gespart, und mit glei-
der Kuh- und Rinderbestand stieg in die-
sparenden Haltungsformen), Mechanisie-
chem Arbeitsaufwand konnte ein Vielfa-
sem Zeitraum um einen Drittel auf über
rung und Intensivierung (z. B. Fortschritte
ches von Hühnern «betreut» werden.
2 Millionen Tiere. Damit wurde bei den
in der Futtererzeugung und Fütterung so-
Mit dem Aufkommen der Käfigbatte-
beiden bis heute wirtschaftlich wichtigs-
wie Einführung der einseitigen Leistungs-
rien etablierte sich auch die Hybridzucht
ten Tierarten schweizweit zahlenmässig
zucht) konnten die Erzeugungskosten für
bei Hühnern. Bislang wurden die Hennen
ein Allzeithoch erreicht. Entsprechend
tierische Produkte extrem gesenkt wer-
zum Eierlegen genutzt, und die Männchen
viel Gülle fiel aber auch an. Die ökologi-
den. Dank des technisch-wissenschaft-
drei bis vier Monate lang gemästet. Das
schen und wirtschaftlichen Folgen dieses
lichen Fortschritts in der Landwirtschaft
neue Zuchtverfahren beendete die rund
übermässigen Wachstums liessen nicht
können heute pro Hektar Ackerfläche 4,5
achttausendjährige
des
lange auf sich warten. Durch damals weit-
Menschen ernährt werden. 1975, als der
Huhns. Fortan setzte man auf spezifische
gehend ungeregeltes und in viehdichten
«Club of Rome»-Bericht Kultstatus hatte,
Mastlinien und mästete deren Männchen
Regionen wie etwa der Zentralschweiz
waren es noch 2,8, und 1950 gar nur
und Weibchen, weil beide viel des begehr-
sehr konzentriertes Ausbringen der Hof-
1,8 Menschen. Sollte die Weltbevölkerung
ten Brust- und Schenkelfleisches ansetz-
dünger wurden einzelne Seen derart be-
weiterhin zunehmen, rechnet man, dass
Zweinutzung
ten, bereits in sechs Wochen schlachtreif waren und weniger Futter pro Kilogramm Zuwachs verbrauchten. Die Legelinien zeichneten sich durch extrem hohe Legeleistung aus. Legte früher ein Zweinutzungshuhn 150 bis 180 Eier, so liefert ein modernes Hybridhuhn 300 Eier jährlich ab. Da die Mast der schmächtigen männlichen Legetiere nicht rentabel ist, werden sie als Eintagsküken getötet. Allein in Europa betrifft dies 500 Millionen Küken. Diese krasse Entwicklung führte dazu, dass das früher sehr teure Geflügelfleisch heute das billigste Fleisch ist und auch die Eierpreise, mindestens, was die Entschädigung der Bauern betrifft, massiv gesunken sind. In den 1930er-Jahren konnte ein Landwirt in der Schweiz vom jährlichen Ertrag des Eierverkaufs von fünf bis sechs Hühnern eine Kuh kaufen, heute bräuchte er dazu gut hundertmal mehr Hühner. Auf den Feldern und in den Ställen wurden unglaubliche Leistungssteigerun-
Mit der extremen genetischen Leistungssteigerung wurde Geflügel zum heute billigsten Fleisch
15
im Jahr 2050 ein Hektar Ackerfläche 5,5
men auf den Weiden tummeln und erhiel-
näre zynisch, den Schweinen würde es an
bis 6 Menschen ernähren muss.
ten Mastschweine regelmässigen Auslauf
nichts fehlen, schliesslich wüchsen sie ja und setzten fleissig Fleisch an.
Von der Übernahme ausländischer
ins Freie, wurden sie ab den 1960er-Jah-
Ideen zur Nutztierhaltung und der in die
ren komplett eingesperrt. An einem eng
Die einst mit Recht stolzen Schwei-
Wege geleiteten Ablösung der bäuerli-
gezurrten Riemen um die Brust ange-
zer Viehzüchter verloren ihre Verbunden-
chen Tierhaltung durch industrielle Tier-
bunden oder lebenslänglich in einen Kä-
heit mit den Kühen und liessen sich in
produktionsformen profitierten in der
fig aus Eisenrohren gesteckt, dem soge-
jener Zeit von den angeblichen Vorzü-
Schweiz zwischen 1965 und 1985 primär
nannten Kastenstadn, in dem sich das
gen der dauernden Anbinde- und Stall-
Metzger, Detailhandel und Konsumen-
Tier nicht einmal drehen konnte, so stellte
haltung, extrem kurzen Lägern und dem
ten. Was früher wenigen Reichen vorbe-
sich die brutale Realität für Generationen
elektrischen Kuhtrainer überzeugen. Sie
halten war, wurde in kurzer Zeit – weil
von Muttersauen dar! Ihren Kindern, den
beerdigten ihre eigenen Vorstellungen
nun für jedermann erschwinglich – zu
Mastschweinen, erging es nicht besser.
von Tierzucht und deren Zielen und be-
einer Selbstverständlichkeit: unser täg-
Kurz nach der Geburt wurden ihnen rou-
gannen, mehr und mehr Genetik zu im-
lich Fleisch. Doch während die Tierhal-
tinemässig die Eckzähnchen herausge-
portieren. Das ursprüngliche Freiburger
tung boomte und Milchprodukte, Fleisch
brochen und der Schwanz abgeschnitten,
Schwarzfleckvieh verschwand vollstän-
und Eier immer billiger wurden, bezahl-
die männlichen Tiere wurden kastriert
dig. Die auf Zweinutzung gezüchteten
ten die Nutztiere die Zeche. Denn die von
– alles ohne Schmerzausschaltung! In
«Original»-Simmentaler- und Braunvieh-
Wissenschaft und Beratung propagierten
Zehnergruppen vegetierten sie in dunk-
kühe stellen heute kleine Minderheiten
platz- und arbeitssparenden Haltungsfor-
len Ställen ohne Einstreu, auf vollperfo-
dar; durchgesetzt haben sich milchbe-
men sowie die einseitige Leistungszucht
rierten Betonböden und in Kot und Harn
tonte US-Holstein- (rot und schwarz) und
blendeten das Wesen und die Biologie der
liegend der Schlachtung entgegen. We-
Brownswiss-Herkünfte. Wie Schweine
Tiere fast vollkommen aus. Deren Bedürf-
nigstens war man damals noch ehrlich:
wurden auch Mastrinder und -munis in
nisse wurden auf Nahrung und Wasser
Vertreter
Vollspaltenbodenbuchten
reduziert, also weniger, als jeder Pflanze
anstalt Sempach bezeichneten in den
gemästet. Auf der Fläche eines durch-
zugestanden werden muss. Selbst das Ta-
1970er-Jahren diese Vollspaltenboden-
schnittlichen Wohnzimmers von 30 Qua-
geslicht wurde den Schweinen und Hüh-
haltung Besuchern gegenüber als «hart»;
dratmetern quetschte man bis zu fünfzehn
nern damals gestrichen!
man wusste also, was man den Tieren an-
der 500 Kilogramm schweren Mastmunis
der
Mastleistungsprüfungs-
platzsparend
Besonders hart traf es die Schweine.
tat. Erst zehn Jahre später, als diese Tier-
zusammen. Kälbchen zog man Maulkörbe
Durften sich Muttersauen in der ersten
quälerei verstärkt in die öffentliche Kritik
an, damit sie ja kein Hälmchen Heu fres-
Hälfte des 20. Jahrhunderts noch zusam-
geriet, behaupteten die Branchenfunktio-
sen konnten und ihr Fleisch blendend weiss wurde. Einzeln vegetierten sie in kleinen Holzverschlägen, aus denen sie erst zur Schlachtung herauskamen. Ein Grossteil der Schweizer Bauern brach in den Jahrzehnten zwischen 1960 und 1980 fast vollständig mit den in der ersten Jahrhunderthälfte fleissig praktizierten Weide-, Freiland- und Auslaufhaltung. Das Tier wurde vielerorts zum reinen Produktionsfaktor, die Mensch-TierBeziehung auf ein Minimum heruntergefahren. Gleichzeitig weigerten sich die meisten Landwirtschaftsverbandsfunktionäre jahrzehntelang, die sich seit Ende der 1970er-Jahre häufenden praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse über die für Tierwohl und -gesundheit negativen Folgen der intensiven Tierproduktion zur Kenntnis zu nehmen und verleugne-
In den Kastenständen konnten sich die Sauen nicht mehr bewegen
16
ten das tierschützerische Gedankengut ihres ersten Bauernsekretärs völlig.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
4. Tierschutzgesetz 4.1 Entwicklung Tierschutzgesetzgebung von 1981 bis 2011
1985 Die Tierschutzorganisationen the-
fassung aufgenommen. Seit 2008 findet
Anders als im Ausland, wo selbst in der
matisieren zunehmend die tierschützeri-
sich diese auch im Tierschutzgesetz.
EU die intensive Tierproduktion bis heute
schen Defizite der Tierschutzverordnung.
politisch nicht ernsthaft in Frage gestellt
Mittels Petitionen und parlamentarischen
1990 Der Bundesrat ergänzt die Tier-
wird und der Nutztierschutz einen ex-
Vorstössen wird der Bund zum Handeln
schutzverordnung um Vorschriften zum
trem schweren Stand hat, rief der tier-
aufgefordert. Bemängelt werden Lücken,
Schutz von Kaninchen.
quälerische Umgang mit Nutztieren in
unbestimmte Rechtsbegriffe und ungenü-
der Schweiz bereits früh starke und wir-
gende qualitative Vorgaben zur Tierhal-
1991 Die zehnjährige Übergangsfrist für
kungsvolle Gegenkräfte auf den Plan.
tung. Ein weiteres Dauerthema stellt der
die Umsetzung der Tierschutzvorschriften
Tierschützer wehrten sich zusammen mit
Vollzug dar. Stark kritisiert werden lasche
läuft ab. Mit Abstand am konsequentes-
verantwortungsbewussten Bauern und
oder gar inexistente Kontrollen in gewis-
ten haben die Legehennenhalter die neuen
Konsumenten für einen umfassenden ge-
sen Kantonen, die mangelhafte Oberauf-
Vorschriften umgesetzt. Sämtliche Käfig-
setzlichen Schutz der Nutztiere.
sicht des BVET sowie die Überbetonung
batterien sind vor Ablauf der Frist ver-
jährige Anpassungsfrist gewährt.
habe. 1992 wird die STS-Forderung nach der Würde der Kreatur in die Bundesver-
des «Zentimetertierschutzes» der Behör-
schrottet worden. Als tierfreundliche und
1981 Die eidgenössische Tierschutzge-
den auf Kosten des qualitativen Tier-
wirtschaftliche neue Haltungsform setzt
setzgebung tritt in Kraft. Wegen des Kä-
schutzes wie etwa Beleuchtung, Bewe-
sich die an der ETH Zürich entwickelte
figbatterieverbots für Hühner und der
gung oder Beschäftigung von Tieren.
Volierenhaltung durch. Diese gilt heute europaweit als die Alternative zur Käfig-
umfassenden Haltungsregelung (Nutz-, Heim-, Wild- und Versuchstiere) sorgt sie
1988 Eine STS-Postkartenaktion an den
haltung, indem sie den Hühnern Einstreu
für internationale Aufmerksamkeit und
Bundesrat führt zu einem Verbot von
zum Picken, Scharren und Staubbaden,
stellt auch heute noch – nach einer um-
Schildkrötenprodukten in der Schweiz.
geschützte Nester zum Eierlegen und erhöhte Ruhe- und Rückzugsorte anbietet.
fassenden Überarbeitung 2008 – das weltweit fortschrittlichste Tierschutzgesetzes-
1989 Der STS veranstaltet in Basel ersten
werk dar. Um die wirtschaftlichen Kon-
internationalen Kongress gegen Gentech-
1993/1994 Als Konsequenz der perma-
sequenzen abzufedern, wird bestehenden
nik an Tieren. Er fordert, dass die Tierzucht
nenten Kritik am Tierschutzvollzug befas-
nonkonformen Tierhaltungen eine zehn-
die Würde der Kreatur zu gewährleisten
sen sich die Geschäftsprüfungskommissi-
17
onen von National- und Ständerat ver-
tion. Diese Forderungen werden im Rah-
gangsfrist für bestehende Stallungen be-
tieft mit der Tierschutzgesetzgebung und
men der Revision der Tierschutzgesetzge-
trägt zwischen fünf und zehn Jahre.
hören dabei auch Vertreter des STS an.
bung von 2003 bis 2008 vom Bund erfüllt.
Die sachlichen Vorwürfe des Tierschut-
1997 Nachdem der Vorschlag für ein
1999 Das veränderte Mensch-Tier-Ver-
zes werden zu erheblichen Teilen bestä-
überarbeitetes Tierschutzgesetz in der
hältnis führt zur Lancierung der Volks-
tigt und die GPK mahnt eine Revision von
Vernehmlassung vonseiten der Tierhal-
initiative «Tier keine Sache» von STS,
Gesetz und Verordnung an.
ter und des Tierschutzes stark kritisiert
Schweizerischer Kynologischer Gesell-
wurde, stoppt der Bundesrat das Revi-
schaft (SKG) und Schweizer Tierärzteschaft
1996 Der STS lanciert eine Petition für
sionsprojekt und setzt stattdessen eine
(GST). Nachdem das Parlament die Gesetz-
konkrete Tierschutzvorschriften auch für
überarbeitete Tierschutzverordnung in
gebung aufgrund einer parlamentarischen
Pferde, Ziegen und Schafe, welche bis-
Kraft. Diese bringt insbesondere für die
Initiative von Ständerat Dick Marty ent-
lang nicht in der Tierschutzverordnung
Nutztiere Verbesserungen, so etwa die
sprechend angepasst hat, kann die Initia-
erwähnt sind («Vergessene Tiere»). Danach
Gruppenhaltung für Kälber (Ausnahme:
tive im Jahr 2000 zurückgezogen werden.
folgen zwei weitere Petitionen zur Rege-
Einzeligluhaltung) sowie ein Verbot der
lung von Extremzuchten sowie für ein
Vollspaltenböden und der Anbinde- und
2000 Neue Erkenntnisse der Veterinär-
Verbot der betäubungslosen Ferkelkastra-
Kastenstandhaltung für Sauen. Die Über-
medizin, Ethologie und Rechtswissen-
Der Weg zum Tierschutzgesetz
1973 Der Durchbruch: Volk und Stände
Spielfilm «De Grotzepuur». Dieser wird
heissen den neuen Tierschutzartikel in
vom STS mitfinanziert und zeigt erstmals
der Bundesverfassung mit überragender
einem breiten und geschockten Kinopub-
1961 Der STS startet eine Petition für ein
Mehrheit gut: 1 041 282 Ja zu 198 866
likum Hühnerbatterien, angebunde Mast-
eidgenössisches Tierschutzgesetz und
Nein.
kälber mit Maulkorb und Ferkelkäfige. Damit war das Thema Tierfabriken schweiz-
sucht im Parlament nach Verbündeten.
1974 Bundesrat Ernst Brugger setzt eine
weit in der Öffentlichkeit lanciert und die
1963 Der Bundesrat nimmt die Petition
ausserparlamentarische Kommission zur
Notwendigkeit eines Tierschutzgesetzes
samt einem von STS und beigezogenen
Ausarbeitung eines Tierschutzgesetzes
in breiten Kreisen erkannt.
Fachleuten ausformulierten Gesetzesent-
ein, erneut unter der Leitung von Prof. An-
wurf entgegen. Nationalrat Walter Degen,
dreas Nabholz. Mitglied dieser Kommis-
1977 Prominente Persönlichkeiten wie
Kantonstierarzt Baselland, doppelt mit einer
sion ist auch STS-Geschäftsführer Hans-
beispielsweise Nobelpreisträger Konrad
von 41 Räten unterzeichneten Motion für die
Peter Haering. Nabholz und Haering ma-
Lorenz, Zoodirektor Prof. Heini Hediger
Schaffung eines Tierschutzgesetzes nach.
chen Druck für eine fortschrittliche und
und Publizist und Tierforscher Bernhard
umfassende
Tierschutzgesetzgebung.
Grzimek unterstützen den STS in seinem
1965 Das Buch «Animal Machines» der
Aus diesem gemeinsamen Kampf für ei-
Kampf für ein fortschrittliches Tierschutz-
Engländerin Ruth Harrison erscheint unter
nen gesetzlichen Schutz der Tiere wird
gesetz.
dem Titel «Tiermaschinen» auf Deutsch
sich eine lebenslange enge Freundschaft
und befeuert die Forderung nach einem
entwickeln.
1978 Das Parlament beschliesst das erste
Tierschutzgesetz. Es zeigt eindrücklich und
eidgenössische Tierschutzgesetz. Die
schonungslos die Fehlentwicklung der
«Ligue contre la vivisection» ergreift dage-
landwirtschaftlichen Nutztierhaltung auf.
gen das Referendum, während der STS und die Tierärzteschaft trotz gewissen
1967 Der STS legt den Bericht «Nutztier-
Vorbehalten für das neue Gesetz kämp-
haltung ohne Gesetz» vor, in dem er die
fen. Volk und Stände nehmen dieses im
tierschutzwidrigen Zustände in Schweizer
Dezember mit 78 % Jastimmen an.
Ställen aufzeigt und Druck macht für ein Tierschutzgesetz.
1971 Eine Kommission unter der Leitung
Die zwei treibenden Personen hinter dem Tierschutzgesetz: Prof. Dr. Andreas Nabholz und Hans-Peter Haering
ginnen mit der Arbeit zur Tierschutzverordnung. In dieser sollen die konkreten Ausführungsbestimmungen zum Tier-
des Direktors des Bundesamtes für Veterinärwesen, Prof. Andreas Nabholz, nimmt
1975 Der junge Auslandschweizer Mark
die Arbeit für die Ausarbeitung eines Tier-
M. Rissi dreht mit Schaggi Streuli, Ines To-
schutzverfassungsartikels auf.
relli, Jörg Schneider und Walo Lüönd den
18
1979 Die eidgenössischen Behörden be-
schutzgesetz niedergelegt werden.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
schaften sowie das veränderte MenschTier-Verhältnis zeigen immer deutlicher, dass bezüglich des Tierschutzgesetzes Handlungsbedarf besteht und es mit Verordnungsänderungen allein nicht mehr getan ist. Klare Lücken bestehen etwa bei Heimtieren und der Gentechnologie an Tieren, ebenso bei Extremzuchten, wo zwar grundsätzlich ein Konsens für ein Verbot besteht, den Behörden dazu aber die Abstützung auf einen entsprechenden Passus im Tierschutzgesetz fehlt. Auch die vom Parlament beschlossene veränderte Rechtsstellung der Tiere wirkt in diese Richtung.
2001 Nachdem eine vom Bundesrat eingesetzte ausserparlamentarische Kommission, in der auch Vertreter des Tierschutzes und der Tierärzteschaft Einsitz haben, eine umfassende Revision des mittlerweile zwanzigjährigen Tierschutzgesetzes gefordert hat, schickt der Bundesrat eine Botschaft für ein neues Tierschutzgesetz in die Vernehmlassung. Der STS kritisiert den Vorschlag stark, da der Fokus primär auf der Bildung der Tierhalter liegt und
Ein stetiger Kampf für Verbesserungen beim Tierschutzgesetz – für alle Tiere!
kaum materielle Besserstellungen für die Tiere zugestanden werden. Zudem will der
2002 Der STS lanciert die Volksinitia-
2005 Der STS kann die Volksinitia-
Bundesrat die geltende Betäubungsvor-
tive «Tierschutz – Ja!». Diese enthält ei-
tive «Tierschutz – Ja!» zurückziehen, da
schrift für Säugetiere teilweise aufheben.
nen umfangreichen und detaillierten
Stände- und Nationalrat das Tierschutz-
Diese Vorschrift geht auf eine STS-Volks-
Tierschutzforderungskatalog. Aufgrund
gesetz gegen den Willen des Bundes-
initiative zurück, welche 1893 von Volk
dieser Initiative und massiver Proteste
rats in Teilbereichen nachbesserten. Zu-
und Ständen angenommen worden war.
zieht der Bundesrat den Vorschlag nach
dem verspricht der Bundesrat den Tier-
Aufhebung der generellen Betäubungs-
schutzorganisationen, bei der Revision
pflicht beim Schlachten zurück. Damit ist
der Tierschutzverordnung Lücken zu fül-
die Wiedereinführung des betäubungslo-
len (Schafe, Ziegen, Pferde, Fische) und
sen Schlachtverfahrens, des sogenannten
materielle Verbesserungen zugunsten der
Schächtens, vom Tisch. Das Parlament
Tiere durchzusetzen.
beschliesst, die Beratungen für ein neues Tierschutzgesetz um ein Jahr zu verschie-
2006 Der STS lanciert die Volksinitiative
ben, damit dieses Geschäft parallel zur
«Tierschutzanwalt JA!». Mit rund 140 000
STS-Initiative behandelt werden kann.
beglaubigten Unterschriften reicht er diese im Sommer 2007 ein.
Jetzt ist Zeit für mehr Tierschutz! Unterstützen Sie die Volksinitiative «Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz – JA!)»
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
2003 Der STS reicht die Volksinitiative «Tierschutz – Ja!» mit rund 120 000 Un-
2008 Eine komplett überarbeitete neue
terschriften ein. Das Parlament beginnt
Tierschutzgesetzgebung tritt in Kraft.
mit den Beratungen für ein neues Tier-
Diese sieht unter anderem eine Beschrän-
schutzgesetz. Die Tierschutzorganisatio-
kung der Tiertransportdauer auf sechs
nen werden dabei mehrmals gehört und
Stunden, ein Verbot von Extremzuchten
begleiten den Gesetzgebungsprozess in-
und des Ferkelkastrierens ohne Schmer-
tensiv.
zausschaltung sowie konkrete Vorschrif-
19
4.2 Bewertung des neuen Tierschutzgesetzes (TSchG) Das neue TSchG bringt eine ganze Reihe von Verbesserungen zugunsten der Tiere, beispielsweise: • Verbot
der
Ferkelkastration
ohne
Schmerzausschaltung ab 2010 • Beschränkung von Tiertransporten auf maximal sechs Stunden • Importverbot für Hunde- und Katzenfelle • Vorschriften zur Tierzucht und ein Verbot von Extremzuchten • Förderung der Tierschutzforschung • Schutz der «Tierwürde», inklusive Verbot Sodomie • Neue Vollzugsinstrumente: verbesserte Ausbildung und Information von Tier-
Seit 2010 verboten: Ferkelkastration ohne Schmerzausschaltung
haltern,
Tiertransporteuren
und
Schlachthofpersonal; kantonale Tierschutzfachstellen;
gesamtschweize-
risch gültiges Tierhalteverbot; Zielverten zum Schutz von Ziegen, Schafen und
Vorstoss mit dem Ziel, den Viehexport zu
einbarung und Leistungsaufträge; Ver-
Pferden vor. Diese Nutztiere waren bis-
subventionieren.
längerung Verjährungsfristen.
lang von der Tierschutzgesetzgebung
Der Bundesrat legt dem Parlament
nicht geschützt. Neu ist auch eine ver-
eine Minirevision des Tierschutzgesetzes
Insgesamt ist die Revision aus Sicht des
stärkte Aus- und Weiterbildung sowie In-
vor. So sollen Tierversuche transparenter
Tierschutzes aber wegen der mutlosen
formation der Tierhalter festgeschrieben.
deklariert, der Handel mit Katzen- und
Haltung des Bundesrats und den Tier-
Hundefellen gänzlich verboten, der Ein-
schutzbremsern im Parlament ungenü-
2010 Volk und Stände lehnen die Tier-
satz von «Hilfsmitteln» im Umgang mit
gend ausgefallen. Die Tiere hätten ein
schutzanwalt-Initiative mit 77 % Nein-
Tieren geregelt und vorsätzliche wie fahr-
besseres Gesetz verdient. Nicht verankert
stimmen ab.
lässige Verstösse gegen das Tierschutzge-
werden konnten beispielsweise:
Vier Jahre lang haben Tierschützer,
setz angezeigt werden. 2012 nimmt das
Bauern und Veterinäre gegen den Wankel-
Parlament diese tierschützerischen Nach-
• Verbot schwerbelastender Tierversuche
mut des Bundesrats gekämpft, auf Druck
besserungen an. Zudem beschliesst es ein
und ethisch fragwürdiger Versuchszwe-
der EU Schlachttiertransits durch die
Verbot der Delfinhaltung und hebt das
cke (Kosmetika, Putzmittel, Luxusgüter,
Schweiz führen zu wollen. Jetzt schreibt
Schlachttiertransitverbot auf Gesetzes-
der Bundesrat ein umfassendes Schlacht-
stufe. Verboten wird auch der Hausierer-
• Periodischer Auslauf für alle Nutztiere
tiertransitverbot in der Tierschutzver-
handel mit Hunden.
• Artgerechte Haltung von Wild- und
ordnung fest. Nachdem der STS die völ-
Tabak)
Versuchstieren
lig veralteten Tierschutzvorschriften zur
• Verbot von tierschutzwidrigen Impor-
Schlachtung jahrelang kritisiert hat, setzt
ten respektive Deklaration nach Art der
der Bundesrat eine Departementsverord-
Tierhaltung
nung mit substanziellen tierschutzrelevanten Vorschriften für Schlachttiere in Kraft.
2011 Das Parlament lehnt eine Motion ab, welche das Stacheldrahtverbot für Pferdeweiden in der Tierschutzverordnung abschaffen will, und ebenso einen
20
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
4.3 Bewertung der neuen Tierschutzverordnung (TSchV)
lermeisten, teilweise extrem schmerzhaf-
Mastrinder, müssen weiterhin in kahlen,
ten Eingriffe getroffen wie beispielsweise
engen Buchten ohne Einstreu und ohne
für das Zähneabklemmen und Schwanz-
Auslauf ins Freie leben. Auch für die Kühe
Der Wille des Bundesrats, dem vom Par-
coupieren bei Ferkeln, das Einsetzen von
gab es keine relevanten Verbesserungen.
lament beschlossenen höheren Schutzni-
Nasenringen/-klammern bei Schweinen,
Sie dürfen weiterhin den grössten Teil ih-
veau des Gesetzes, aber auch Erkenntnis-
das Kastrieren von Jungtieren oder das
res Lebens angekettet im Stall gehalten
sen zum Tierwohl aus Wissenschaft und
Schnabel- und Flügelcoupieren beim Ge-
werden, und auch der Kuhtrainer bleibt
Praxis Rechnung zu tragen, ist in der
flügel. Punkto schmerzhafter Eingriffe
in bestehenden Ställen legal.
neuen TSchV sichtbar. Davon können im
sind Schweizer Nutztiere damit weltweit
Vergleich zur Situation vor 2008 gleich
am besten geschützt.
Schluss mit fehlernährten Kälbern?
weise die rund sieben Millionen Heimtiere
Lücken geschlossen
Bessere Zeiten sollen für Mastkälber und
sowie Pferde, Ziegen, Schafe, Truten und
Zu den Glückspilzen der Verordnungs-
Kalbfleischfreunde anbrechen. Der oft
Fische. Diese bisher von der TSchV «ver-
revision zählen Schafe, Ziegen, Truten
mangelnden Gesundheit von Mastkäl-
gessenen» Tierarten erhalten nun kon-
und Pferde. Für sie gab es bislang keine
bern aufgrund ihrer widernatürlichen
krete Schutzbestimmungen.
konkreten und verbindlichen Schutzvor-
Fütterung muss bislang mit häufigen An-
Trotzdem: Die neue Tierschutzge-
schriften, nun hat der Bundesrat welche
tibiotikagaben nachgeholfen werden. Ab
setzgebung ist nicht der grosse Wurf zu-
erlassen. Seit 2010 dürfen die 76 000 Zie-
Herbst 2013 sollen die natürlichen Ab-
gunsten der Nutztiere geworden, wie es
gen und 450 000 Schafe in der Schweiz
wehrkräfte von Kälbern gestärkt werden
etwa seinerzeit das Käfigbatterieverbot
weich auf Einstreu liegen. Dieses wissen-
durch eine artgerechte, rohfaserreichere
für Hühner darstellte. Nachdem Nutztiere
schaftlich belegte Grundbedürfnis aller
Zufütterung mit Heu, Silage oder Gras, die
jahrzehntelang ohne Rücksicht auf ihre
Bauernhoftiere – eine Ausnahme bildet
auch die Eisenversorgung verbessert. Die
Bedürfnisse ausgebeutet wurden, hätte
das Geflügel, welches Einstreu zwar zum
Konsumenten müssen deshalb endgültig
unserer Gesellschaft ein konsequenterer
Picken, Scharren und Staubbaden benö-
Abschied nehmen vom hellen Kalbfleisch,
Schritt zur Wiedergutmachung sehr wohl
tigt, aber seiner Natur gemäss auf erhöh-
haben aber dafür Gewähr, dass das in Zu-
angestanden. Doch einmal mehr walzte
ten Sitzstangen zu ruhen pflegt – gesteht
kunft rosa-rötliche Kalbfleisch von ge-
die Agrarlobby mit einer Antitierschutz-
der Bundesrat unseren Nutztieren aller-
sunden Kälbern stammt und der Antibio-
kampagne solche Überlegungen nieder.
dings nur selektiv zu. Zwei der drei Pech-
tikaeinsatz in der Kälbermast zurückgeht.
vögel der Revision, die Mastschweine und
Schweine können jetzt wenigstens
mehrere Tierarten profitieren. Beispiels-
Wasser für alle Nutztiere Die neue TSchV ist strenger als die bisherige und bringt mit vielen Detailverbesserungen den allermeisten Nutztieren wenigstens etwas Erleichterung. Beispielsweise das Recht auf Wasser für alle. Bislang wurde nämlich jenen Mastschweinen und -kälbern, die mit flüssigen, salzreichen Abfällen aus der Käseerzeugung gefüttert wurden, Wasser vorenthalten – mit gerade bei Kälbern verheerenden Folgen für die Gesundheit und deutlich erhöhter Mortalitätsrate.
Weniger Schmerz Zu begrüssen sind auch die geltend gemachte spezifischere Ausbildung und Information von Tierhaltern, der verbesserte Schutz von im Freien gehaltenen Tieren, die Forderung nach Sozialkontakt und Gruppenhaltung sowie der Schutz vor übermässigem Lärm. Endlich wurde auch eine tierschonende Regelung der al-
Bis 2008 gab es in der Tierschutzverordnung für Schafe gar keine Vorschriften
21
im Sommer etwas aufatmen. Da sie nicht
hochträchtiger Muttertiere ist bislang un-
sowie das im Auftrag des BVET erstellte
schwitzen und sich in den Ställen nicht
befriedigend gelöst. Solche Transporte
erste Audit zum Tierschutzvollzug, das
wie in der freien Natur suhlen können,
sind hierzulande leider zulässig, während
im Sommer 2011 publiziert wurde – auch
litten sie bislang an warmen Tagen un-
die EU in den letzten 10 % der Trächtig-
wenn der STS darin gravierende Untersu-
ter Überhitzung. Neu muss der Tierhalter
keit Ferntransporte verbietet.
chungslücken feststellen musste.
für Abkühlungsmöglichkeiten sorgen. Ein
Ein grosser Erfolg für die Tiere konnte
probates Mittel dazu ist etwa die Schwei-
im Bereich des Schlachtens erzielt wer-
nedusche, welche ein hitzegestresstes Tier
den. Die völlig veralteten Vorschriften
selber mit einem Druck der Rüsselscheibe
wurden im Herbst 2010 endlich dem ak-
auslösen kann.
tuellen Wissensstand angepasst
Tiertransporte und Schlachten
4.4. Vollzug
Der Transport von Nutztieren wird mit
Tierschutzanwalt-Initiative durch Volk
der neuen TSchV verbessert, insbesondere
und Stände im Jahr 2010 den Willen vie-
durch die weltweit einzigartige Beschrän-
ler kantonaler Veterinärämter, den Voll-
kung der Transportzeiten auf maximal
zug zu verbessern. Offensichtlich schei-
sechs Stunden. Allerdings sind auch hier
nen die neuen Vollzugsinstrumente zu
noch ungeklärte Fragen zu lösen. Bei-
wirken. Aber auch der politische Wille
spielsweise fehlt eine klare und verbind-
für adäquate Kontrollen und Sanktionen
liche Definition darüber, ab wann Tiere
scheint stärker geworden zu sein. Posi-
nicht mehr als transportfähig gelten und
tiv vermerken die Tierschützer auch die
daher vor Ort oder im nächstgelegenen
ersten Versuche zu periodischen nationa-
Schlachthof zu erlösen wären, statt vor-
len Tierschutzberichten, die sich im Gang
her noch durch die halbe Schweiz gekarrt
befindenden Arbeiten zu einer Regelung
zu werden. Auch die Frage des Transports
von tierschutzrelevanten Extremzuchten
Der STS spürt trotz klarer Ablehnung der
Weltweit einzigartig: die Transportzeit ist auf maximal sechs Stunden beschränkt
22
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
5. Agrarpolitik 5.1 Entwicklungen von 1951 bis 2011
1979 Die Milchkontingentierung wird
1985 Die negativen ökologischen Fol-
eingeführt, um den Milchüberschüssen
gen der intensiven Tier- und Pflanzen-
1951 Das Parlament verabschiedet ein
Einhalt zu gebieten.
produktion treten immer stärker hervor und werden zunehmend öffentlich kriti-
neues Landwirtschaftsgesetz. Dessen nach den bitteren Erfahrungen in den Welt-
1980 Gründung der Kleinbauernverei-
siert. Als Folge davon lanciert die VKMB
kriegsjahren nachvollziehbaren Ziele: Die
nigung (VKMB). Mit ihr arbeitet der STS
die «Kleinbauerninitiative».
Förderung eines gesunden Bauernstandes
in den kommenden Jahrzehnten immer
und der Nahrungsmittelproduktion, um
wieder zusammen: Für eine bäuerlich ge-
1989 Die Kleinbauerninitiative wird nur
die Versorgung der Bevölkerung auch in
prägte, artgemässe Tierhaltung, gegen
ganz knapp mit 51 % Neinstimmen abge-
Krisenzeiten gewährleisten zu können.
Tierfabriken und gegen den forcierten
lehnt. Dieser unerwartete Achtungserfolg
Strukturwandel («Bauernsterben»), nahm
rüttelt Bundesrat und Behörden auf und
1970 Der wissenschaftlich-technische
doch zwischen 1951 und 2011 die Zahl
hilft mit, die Weichen für eine neue Ag-
Fortschritt, die enormen Kraftfutterim-
an Landwirtschaftsbetrieben von 200 000
rarpolitik zu stellen.
porte, die Einkreuzung mit ausländischen
auf 60 000 ab.
1990 Der STS wendet sich gegen die Gen-
Milchrassen und die daraus resultierenden Leistungssteigerungen von Kühen sowie
1981 Die Tierschutzgesetzgebung wird in
technik an Nutztieren, insbesondere ge-
die staatlich festgelegten Preise und Über-
Kraft gesetzt und in der Tiermast werden
gen die Erzeugung von transgenen Tieren
nahmegarantien für Milch, Fleisch und
Höchstbestände festgelegt. So darf ein
und den Einsatz des gentechnisch verän-
pflanzliche Erzeugnisse führen Jahr für
Landwirt nun beispielsweise nicht mehr
derten Wachstumshormons rBST (Rekom-
Jahr
(«Milch-
als 1000 Schweine oder 12 000 Poulets
binantes bovines Somatotropin) zur Leis-
schwemme», «Butterberge») und teuren
mästen, und Stallneubauten werden nur
tungssteigerung bei Kühen, welches ab
Überschussverwertungsmassnahmen. Dies
mehr bodenbewirtschaftenden Betrieben
1993 in der US-Milchproduktion in gros-
und die Entstehung von gewerblichen
bewilligt. Grossbestände und bodenunab-
sem Stil eingesetzt, in der Schweiz und
Tiermastbetrieben, die im grossen Stil
ängige Gewebebetriebe müssten abgebaut
den europäischen Staaten aber nicht zu-
Vieh mästen («Tierfabriken», «Bahnhof-
werden. Damit versucht die Schweiz früh-
gelassen wird. Er bringt seine Forderung
bauern»), ohne Land und Futter zu besit-
zeitig, der Massentierhaltung einen Riegel
nach einem Verbot von Gentech-Tieren
zen, ruft Opposition in Bauern-, Konsu-
zu schieben.
sowie die Idee, tierfreundliche Formen der
zu
Überproduktionen
menten- und Tierschutzkreisen hervor.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Nutztierhaltung mittels Direktzahlungen
23
stützen. Daneben erhalten die Bauern die Möglichkeit, sich freiwillige Mehrleistungen für Ökologie und Tierwohl (Biolandbau; Ökoflächen wie Hecken, Hochstämme oder extensive Wiesen; Freilandhaltung von Nutztieren) über ökologische Direktzahlungen abgelten zu lassen. Sowohl allgemeine als auch ökologische Direktzahlungen sind an den ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) gebunden, das heisst jeder Bauer, der solche Gelder bezieht, verpflichtet sich zu: • tiergerechter Haltung der Nutztiere • ausgeglichener Düngerbilanz • angemessenem Anteil an ökologischen Ausgleichsflächen • geregelter Fruchtfolge • geeignetem Bodenschutz • Auswahl und gezielter Anwendung von
Höhere Investitionskredite gibt es für besonders tierfreundliche Stallbauten
Pflanzenbehandlungsmitteln Bei der Ausarbeitung des Direktzahlungssystems bringt der STS, unterstützt auch
zu fördern, in die von NGOs wie WWF,
1995 Volk und Stände nehmen einen
vom Schweizerischen Bauernverband,
Pro Natura, VKMB und KAGfreiland so-
neuen Landwirtschaftsartikel in der Bun-
das Anliegen ein, besonders tierfreundli-
wie den politischen Parteien SP und LdU
desverfassung an, der das heutige Direkt-
che Ställe (BTS) und den regelmässigen
lancierte «Bauern- und Konsumenten-In-
zahlungssystem festschreibt und mehr
Auslauf (RAUS) speziell zu fördern. Diese
itiative» ein.
ökologische und tierschützerische Leis-
Förderprogramme führen in der Folge
tungen fordert. Mit diesem grossen Er-
zusammen mit der Nachfrage der Kon-
1992 Einreichung der «Bauern- und Kon-
folg können STS, Umweltschutzorgani-
sumenten nach tierfreundlichen Produk-
sumenten-Initiative». Sie verlangt eine
sationen und Kleinbauernvereinigung
ten (Labelprogramme) dazu, dass immer
neue Agrarpolitik mit der Einführung von
die Bauern- und Konsumenten-Initiative
mehr Nutztiere Auslauf und Weidegang
allgemeinen und ökologischen Direktzah-
zurückziehen.
erhalten.
lungen.
Damit hat die alte Agrarpolitik ausgedient. Die Preise für Milch, Fleisch,
1998 Der Bundesrat beschliesst im Rah-
1993 Der STS erstellt einen Hinter-
Eier und pflanzliche Erzeugnisse wer-
men der Strukturverbesserungsmassnah-
grundbericht zur verbreiteten Verabrei-
den in Zukunft nicht mehr vom Staat
men für die Landwirtschaft, an besonders
chung von jährlich zehntausenden von
garantiert, sondern dem Markt überlas-
tierfreundliche Stallneubauten 20 % hö-
Tonnen antimikrobieller Leistungsförde-
sen. Die Marktkräfte Angebot und Nach-
here Investitionskredite als für konventi-
rer (AML), vornehmlich in der Aufzucht
frage sowie die Marktmacht spielen nun
onelle auszurichten. Er kommt damit der
sowie der Mast von Rindern und Schwei-
und lassen die Produzentenpreise schon
STS-Forderung, Investitionskredite nur
nen. Die Hauptkritik: Schlechte Haltungs-
bald teilweise empfindlich zurückgehen.
mehr für BTS/RAUS-konforme Stallbau-
bedingungen können mit diesen «Fütte-
So erhielt ein Bauer 1993 für einen Li-
ten zu sprechen, ein Stück weit entgegen.
rungsantibiotika» übertüncht und Resis-
ter Milch noch 1,08 Franken, heute, nach
Die
tenzen gefördert werden. Nachdem die
Aufhebung der Milchkontingentierung,
wird auf 1999 in Kraft gesetzt. Von den
relevanten Labelprogramme den Ein-
nur noch knapp 60 Rappen!
unterstützten Stallplätzen werden in den
Strukturverbesserungsverordnung
satz von AML bereits ausschliessen, for-
Im Gegenzug werden die früheren
dert der STS nun ein landesweites Verbot,
riesigen Marktagrarsubventionen im In-
analog dem in den 1980er-Jahren in der
land und beim Export schrittweise abge-
Schweiz und später auch in der EU erlas-
baut, um mit einem Teil der so frei wer-
1999 Die Agrarpolitik stellt nebst der
senen Verbot zum Einsatz von Hormonen
denden Gelder die Bauern in Form von
Multifunktionalität der Landwirtschaft
in der Tiermast.
allgemeinen Direktzahlungen zu unter-
(naturnahe, tierfreundliche Lebensmit-
24
letzten Jahren über 90 % als BTS-Ställe gebaut.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
telerzeugung; Sorge um die natürlichen Lebensgrundlagen wie Luft, Böden und Wasser) neu die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (Abbau des früheren Grenzschutzes und vermehrte Importkonkurrenz) ins Zentrum. Diese Zusatzaufgabe wird in der Folge die notwendige Ökologisierung der Landwirtschaft stark behindern. Der Bundesrat erlässt ein AML-Verbot. Damit ist die Schweiz nach Schweden, welches bereits zehn Jahre zuvor den Einsatz von Fütterungsantibiotika verboten hat, weltweit das zweite Land, welches dem AML-Einsatz einen Riegel schiebt. Die EU wird erst 2009 mit einem Verbot nachziehen.
2001 Der STS erreicht, dass Direktzahlungen zur Förderung des regelmässigen Auslaufs von Nutztieren (RAUS-Beiträge) inskünftig nicht mehr für Turbomasthüh-
Gegen neue Tierhöchstbestände: Abgabe der Petition – und Ziel erreicht
nerrassen ausgerichtet, sondern an eine Mindestmastdauer gebunden werden; zu-
techfrei-Initiative der Schweizerischen
2009 Die Milchkontingentierung wird
dem wird die Beitragshöhe für Freiland-
Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) an,
aufgehoben. Der STS hat im Vorfeld vehe-
masthühnerhaltungen erhöht.
deren Mitträger der STS ist. Die Landwirt-
ment davor gewarnt mit dem Argument,
schaft wird auf ein Gentech-Moratorium
dass die Kühe nun zu noch mehr Leis-
verpflichtet (Anbau, Futtermittel).
tung gezwungen würden und der Kraft-
2003 Der Bundesrat setzt die Verordnung
futtereinsatz anstiege. In der Folge fällt
über die Deklaration für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus in der Schweiz verbo-
2006 Der STS deckt das Ansinnen des
der bäuerliche Milchpreis auf knapp 60
tener Produktion in Kraft. Deklariert wer-
Bundesrats auf, anlässlich der Revision
Rappen. Es wird viel zu viel konventio-
den müssen unter anderem importierte
der eidgenössischen Verordnung über
nelle Milch produziert und immer mehr
Käfigbatterieeier oder Fleisch von Tieren,
die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren
importiertes Kraftfutter eingesetzt.
die AML oder Hormone zur Leistungsstei-
und Tierprodukten (EDAV) neu Schlacht-
Der STS erreicht eine Erhöhung der
gerung erhalten, seit 2012 auch Import-
tiertransits zuzulassen. In der Folge wer-
Beiträge zur Förderung von besonders
fleisch von Kaninchen in Käfigbatterien.
den sieben Standes- und eine parlamen-
tierfreundlichen Gruppenkaninchenhal-
Das Gentechnikgesetz tritt in Kraft
tarische Initiative eingereicht, sodass der
tungen.
und verbietet den Einsatz gentechnisch
Bundesrat nicht umhinkommt, 2010 ein
veränderter Nutztiere in der Landwirt-
Transitverbot für alle Schlachttiere in der
2010 Das Ansinnen des Bundesrats, im
schaft. Gentechnisch veränderte Wir-
Tierschutzverordnung festzuschreiben.
Agrarbereich ein umfassendes Freihan-
beltiere dürfen nur für Zwecke der For-
delsabkommen mit der EU abzuschlies-
schung, Therapie und Diagnostik an Men-
2008 Der STS startet die Kampagne «Weg
sen, wird unterschiedlich aufgenommen.
schen oder Tieren erzeugt und in Verkehr
mit dem Stacheldraht». Alle grossen Zau-
Das Spektrum reicht von vorbehaltloser
gebracht werden.
nanbieter verpflichten sich, auf den Ver-
Zustimmung seitens des Handels und der
kauf dieses Produkts für Weidezäune zu
Importeure über ein «Ja, aber» der Agrar-
2005 Zusammen mit der Kleinbauern-
verzichten.
STS-Weidezaunbro-
allianz bis zur Ablehnung durch die meis-
vereinigung reicht der STS eine Peti-
schüre wird breit an Tierhalter verteilt. In
ten bäuerlichen Organisationen. Um sich
tion gegen Tierfabriken mit 90 000 Un-
der Folge verbieten viele Schweizer Ge-
eine eigene Meinung bilden zu können,
terschriften ein. Als Konsequenz hält das
meinden dieses tierschutzwidrige Zaun-
recherchiert der STS die Tierhaltungsbe-
Parlament an den Höchsttierbestandes-
system, und der STS unterstützt Aktionen
dingungen in der EU und stellt sie den
vorschriften fest.
zum Ersatz von Stacheldraht auf Weiden.
schweizerischen Gegebenheiten gegen-
Volk und Stände nehmen die Gen-
Eine
über. Er kommt dabei zum Schluss, dass
25
aus Tierschutzsicht ein Freihandelsab-
sequentere und verstärkte Förderung des
litt indessen durch bekannt gewordene
kommen mit der EU abzulehnen ist, weil
Tierwohls, eine bessere Deklaration von
Mängel bei den Kontrollen und Sanktio-
dadurch unter anderem zunehmend Pro-
Produkten aus verbotenen Produktionsme-
nen. Ein erheblicher Teil der Tierhaltungs-
dukte aus Tierfabriken importiert und die
thoden, die Beibehaltung der Höchsttierbe-
kontrollen wird angemeldet durchgeführt,
einheimischen
standesregelung, die Abschaffung von
sodass der qualitative Tierschutz oft nicht
Tierwohlanstrengungen
Subventionen für öffentliche Viehmärkte
korrekt beurteilt werden kann und tier-
Die Agrarallianz und der STS setzen
und die Auflage, dass Investitionskredite
schutzwidrige Bauern bevorteilt werden.
sich für eine konsequente Qualitätsstrate-
und andere Strukturverbesserungsmass-
Dies, obwohl der ÖLN klipp und klar eine
gie ein, sowohl in der Agrarpolitik bei der
nahmen nur mehr für tierfreundliche Stall-
tiergerechte Haltung als Bedingung für
Neuausrichtung der Direktzahlungen als
bauprojekte gesprochen werden sollen. Das
den Bezug der Direktzahlungen festlegt.
auch am Markt. Die Schweizer Landwirt-
Parlament wird ab Herbst 2012 das neue
Ein Entscheid des Bundesgerichts im Som-
schaft hat langfristig nur eine Chance mit
Landwirtschaftsgesetz und die Neuausrich-
mer 2011 ermunterte Tierquäler geradezu
einer Qualitätsproduktion, welche sich klar
tung des Direktzahlungssystems beraten
und machte die Steuerzahler zu Betroge-
von der weltweit verfolgten Intensiv(tier)
und beschliessen.
nen. Denn das Bundesgerichtsurteil würde
konkurrenziert würden.
in der Praxis dazu führen, dass ein Land-
produktion abhebt. Mit der zwar noch un-
wirt mit legaler Vollspaltenboden-Schwei-
geführten Ökologisierung und Tierwohl-
5.2 Landwirtschaftsgesetz und Direktzahlungen
förderung sowie einer ständig steigen-
Mit Einführung der Direktzahlungen in
lässigt, dass sie verenden, keinerlei Abzüge
den Anzahl sensibilisierter Konsumenten
den 1990er-Jahren änderte sich die Agrar-
bei den Direktzahlungen zu fürchten hätte.
verfügt die Schweiz dafür über gute Aus-
politik drastisch. Der Systemwechsel war
Mit Recht sehen breite Kreise der Bevölke-
gangsbedingungen.
notwendig und richtig. Die Direktzahlun-
rung darin eine Verschleuderung von Steu-
gen haben die Abkehr von der Planwirt-
ergeldern.
genügend unterstützten, aber doch ein-
nemast, der die Schweine derart vernach-
2011 In der Vernehmlassung zur Agrarpo-
schaft hin zur Marktwirtschaft mit ermög-
Das Direktzahlungssystem wurde we-
litik 2014–2017 (AP 2014–17) bringt der
licht und für erste messbare Resultate bei
gen der extremen Dominanz der allgemei-
Bundesrat einen Vorschlag für eine kom-
der notwendigen Ökologisierung und Tier-
nen Direktzahlungen von 80 % der Ge-
plette Neugestaltung des Direktzahlungs-
wohlförderung gesorgt. Der ÖLN als Be-
samtsumme von breiten Kreisen ausser-
systems. Die allgemeinen tierhaltungsbezo-
dingung zur Erhaltung von Direktzahlun-
halb der Landwirtschaft hinterfragt. Die
genen Direktzahlungen sollen komplett ge-
gen war und ist sinnvoll.
gewandelten Bedürfnisse und Erwartun-
strichen werden. Der STS fordert eine kon-
Das Vertrauen in die Direktzahlungen
gen der Steuerzahler und Konsumenten, die gemachten Erfahrungen mit dem bisherigen System und neue Erkenntnisse legen nahe, die allgemeinen Direktzahlungen in Zukunft weniger und die ökologischen (Mehr-)Leistungen in Zukunft stärker zu gewichten. Auch die OECD hat im Herbst 2007 kritisiert, dass nur ein relativ kleiner Teil der über 2,5 Milliarden Franken jährlich ausgeschütteten Direktzahlungen für Konsumenteninteressen wie den Tier- und Umweltschutz und den Biolandbau eingesetzt würden. Die Untersuchungen der Agrarplattform in den Jahren 2005 bis 2007 erbrachten zudem Indizien dafür, dass diverse ökologische Direktzahlungen, insbesondere auch bei den BTS/ RAUS-Förderprogrammen, den Mehraufwand der beteiligten Landwirte nicht annähernd abdecken. Als Konsequenz nach 15 Jahren sol-
Unangemeldete Kontrollen wären wichtig für glaubwürdige Direktzahlungen
26
len mit AP 2014–17 die Direktzahlungen zwar weitergeführt, aber leistungsbezogener ausgeschüttet werden.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
5.3 Tierwohlförderung
lassen sich überhaupt keine Tierwohlla-
die Wahl entsprechender Rassen, welche
Die Agrarpolitik versucht, das Tierwohl
bels schaffen, mit denen sich eine bessere
langsamer wachsen und weniger Fleisch
primär durch zwei Anreizmassnahmen zu
Tierhaltung via Markt und Konsumen-
ansetzen, die Einnahmen vermindert.
fördern: Bei Stallneubauten über 20 %
tennachfrage fördern liesse. Das gilt etwa
BTS/RAUS haben zu nachweislichen
höhere Investitionskredite für besonders
für alle Jung- und Aufzuchttiere, Mutter-
Verbesserungen des Tierwohls und der
tierfreundliche Ställe (BTS), beispiels-
sauen, Ziegen, Schafe und Pferde.
Tiergesundheit geführt, wie dies beispiels-
weise Freilaufställe für Kühe, sowie
Deshalb führte der Bund mit dem Di-
weise Untersuchungen von BVET und
jährliche Direktzahlungen für Bauern, die
rektzahlungssystem Mitte der 1990er-
BLW an Milchkühen oder Mastschwei-
sich verpflichten, die Vorschriften der
Jahre Förderprogramme für besonders
nen zeigen. Die grössten Effekte bezüg-
Tierwohlprogramme Regelmässiger Aus-
tierfreundliche Haltungsformen ein. In
lich Tierwohl und Tiergesundheit wurden
lauf ins Freie (RAUS) und Besonders tier-
Ergänzung zu den beschränkten Möglich-
stets auf jenen Betrieben gemessen, wel-
freundliche Stallhaltung (BTS) einzu-
keiten des Marktes sollten sich Landwirte
che BTS und RAUS kombinieren. Die qua-
halten.
auf freiwilliger Basis an staatlichen Pro-
litativen Vorgaben der BTS- und RAUS-
Die Grundidee der ökologischen und
grammen zur Tierwohlförderung beteili-
Vorschriften haben sich grösstenteils be-
der Tierwohldirektzahlungen – Förderung
gen. Nach übereinstimmender Meinung
währt und gewährleisten ein akzeptables
konkreter und gesellschaftlich erwünsch-
von Behörden, Bauern und Tierschützern
Tierwohl.
ter Leistungen mittels Beiträgen – hat sich
wirken BTS und RAUS zielgenau durch
Die Vorgaben verbessern in Teilberei-
auch bei BTS und RAUS als richtig erwie-
konkrete und nachweisbare Tierwohl-
chen auch die Produktequalität, die Le-
sen. Hier wurde tatsächlich bei mehreren
mehrleistungen, spezifiziert für jede der
bensmittelsicherheit
der geförderten Tierkategorien etwas aus-
rund zwei Dutzend auf Schweizer Bau-
schweinehaltungen weisen deutlich we-
gelöst und somit Gesundheit und Wohlbe-
ernhöfen gehaltenen Tierkategorien. Tier-
niger antibiotikaresistente Keime auf)
finden der Tiere verbessert.
freundliche Haltungsformen kosten mehr
und die Tiergesundheit (z. B. weniger
(BTS/RAUS-Mast-
Das Tierwohl stellt nur teilweise eine
als lediglich gesetzeskonforme. Sie ver-
Hautschäden bei BTS/RAUS-Kühen und
marktfähige Leistung dar, die über das
ursachen Mehrarbeit, erfordern zusätzli-
-Schweinen; tiefere Mortalitätsrate bei
Schaffen von Labels und entsprechen-
che Infrastruktur (Ausläufe, verhaltens-
Freilandpoulets). Die mit RAUS geförderte
der Konsumentennachfrage abgegolten
gerechte Einrichtungen) und Unterhalts-
Weidehaltung von Rindern, Kühen, Zie-
werden kann. Für viele der in der Land-
kosten (Einstreu zum Liegen statt kahle,
gen und Schafen verringert die Ammoni-
wirtschaft genutzten rund 25 Tierkatego-
harte Betonböden). Gleichzeitig wer-
akemissionen und den CO2-Ausstoss.
rien gibt es denn auch keine, respektive
den wie etwa bei Freilandpoulets durch
Indem sie einen Teil dieses Mehraufwands abdecken, bieten BTS- und RAUSBeiträge den Bauern einen gewissen An-
Entwicklung Tierwohl-Förderprogramme BTS und RAUS 1996 bis 2009
reiz, die gesellschaftlich erwünschte Mehrleistung für das Tierwohl zu erbrin-
CHF 180 161 CHF 160
163
153
gen. Ideale Voraussetzungen sind dabei motivierte Tierhalter, deren Betriebe gute bauliche Voraussetzungen für BTS/
144
RAUS aufweisen (Stallsystem erfordert
CHF 140
nur leichte Anpassungen, oder es ist ein Neu-/Umbau geplant) und die eine Tier-
CHF 120 RAUS Gesamte Beitragssumme/Jahr CHF 100 BTS Gesamte Beitragssumme/Jahr CHF 80 56
CHF 60
47
60
50
kategorie, für deren Produkte ein Label im Detailhandel oder im Gastrokanal existiert, auf BTS/RAUS umstellen wollen. Die allermeisten Betriebe, die sich heute an BTS/RAUS beteiligen, dürften zwei oder gar alle drei dieser Voraussetzungen mitbringen. Für rund die Hälfte der Tierkategorien
CHF 40
lassen sich aber keine Tierwohllabels und entsprechende marktgängige Produkte
CHF 29
schaffen, sodass hier keine Synergien zwischen Markt und BTS/RAUS/Agrarpo-
CHF 0 1996
2004
2006
2008
2009
litik spielen können. Der Umstellungsan-
27
Beteiligung an Tierwohl-Förderprogrammen BTS und RAUS Tierkategorie Milchkühe Rinder > 1 Jahr Stiere > 1 Jahr Weibl. Jungvieh 4-12 Monate Männl. Jungvieh 4-12 Monate Mutterkühe Mast (älter als 4 Monate) Total Rindvieh Ziegen Kaninchen Sauen Mastschweine Total Schweine Legehennen Poulets Pferde Schafe * 2009: Änderung der Kategorien
BTS (% aller GVE) 2004 2006 23 27 29 33 30 36 29 32 11 13 80 84 59 60 30 35 27 30 16 45 55 58 64 64 61 62 78 81 85 88
2008 32 36 38 35 15 85 61 39 32 41 66 64 65 86 88
2009 34 39
*
40 33 30 64 64 64 86 88 13**
*** ** BTS-Pferde 2009 eingeführt
RAUS (% aller GVE) 2004 2006 2008 2009 73 77 79 79 69 73 75 74 51 56 57 60 63 66 28 31 33 * 93 94 95 46 48 50 70 73 76 76 69 72 73 75 4 3 4 3 53 59 66 66 57 60 63 50 57 60 63 50 62 65 69 69 10 9 10 11 83 84 84 84 80 82 84 84 *** Es existiert kein BTS-Programm für Schafe
reiz hängt damit ausschliesslich von der
wichtig bis sehr wichtig. 73 % achten beim
einen weit höheren Stellenwert einräu-
Höhe der BTS/RAUS-Beiträge ab. Kom-
Einkaufen auf Labelfleisch. 65 % finden,
men. Die Anliegen der Befragten haben
men dann noch ungünstige betriebliche
dass Labelfleisch qualitativ besser sei.
einen realen Hintergrund: Millionen von
Voraussetzungen hinzu, sind die aller-
Univox-Umfragereihe zum Thema
Nutztieren können noch nicht von BTS/
meisten der heutigen BTS/RAUS-Ansätze
«Landwirtschaft» der ETH (seit 2009 ist
RAUS-Haltungen profitieren und werden
viel zu tief, um in betriebswirtschaftlicher
das BLW Auftraggeber): Seit 1995 ist das
lediglich gemäss den Mindestvorschriften
Hinsicht einen echten Anreiz darzustel-
Tierwohl stets das wichtigste Anliegen der
der Tierschutzverordnung gehalten. Diese
len. Die seit 2006 feststellbare Stagnation
Befragten. Umfrageergebnis 2009: Betref-
garantieren keine tierfreundliche Hal-
bei der BTS/RAUS-Beteiligung hat ihre
fend Einsatz öffentlicher Gelder in der
tung, sondern legen lediglich die Grenze
Ursache in diesen Gegebenheiten.
Landwirtschaft wird an erster Stelle die
zur Tierquälerei fest.
Unterstützung/Förderung der tierfreund-
Den Konsumenten und Steuerzahlern
5.4 Stellenwert des Tierwohls bei Steuerzahlern und Konsumenten
lichen Haltung genannt. Der Wunsch
geht es zweifellos in erster Linie um die
nach Förderung der tierfreundlichen Hal-
Ethik der Tiernutzung. Darüber hinaus
tung mittels spezifischer Direktzahlungen
spielen aber auch eigennützige Motive
Bei der Frage nach der Förderung des Tier-
hat in den vergangenen Jahren zugenom-
eine Rolle. Dazu gehören insbesondere
wohls sind nebst den fachlichen Grundla-
men. In den Augen der Bevölkerung stellt
der wissenschaftlich erhärtete Zusam-
gen der Tierhaltung und den wirtschaftli-
die artgerechte Tierhaltung die wichtigste
menhang zwischen dem Tierwohl einer-
chen Gegebenheiten die Erwartungen der
Aufgabe der Landwirtschaft dar. Weni-
seits und der Tiergesundheit (Krankhei-
Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Die
ger stark gewichtet werden Landschafts-
ten/Seuchen; Medikamenteneinsatz) so-
Bevölkerung kauft nicht nur die von der
pflege, gesicherte Ernährung in Krisenzei-
wie der Produktequalität und -sicherheit
Landwirtschaft und den nachfolgenden
ten, Pflege der bäuerlichen Lebensweise
andererseits. Als weiteres gewichtiges Ar-
Stufen erzeugten Produkte, über die Steu-
und die Besiedelung abgelegener Gebiete.
gument für mehr Tierwohl ist die positive Wirkung eines geregelten und gepflegten
ern kommt sie überdies für die Direktzahlungen auf. Ohne Konsumenten und Steu-
Steuerzahler ernst nehmen
Weidegangs auf den Klimaschutz und die
erzahler keine Landwirtschaft!
Will die Agrarpolitik die Anliegen der
Verminderung von Ammoniakemissionen
Coop Isopublic-Umfrage (2009): Für
Konsumenten und Steuerzahler ernst neh-
zu nennen.
87 % der Befragten ist der Nutztierschutz
men, muss sie dem Tierwohl in Zukunft
28
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
6. Information, Markt und Konsum 6.1 Entwicklung von 1972 bis 2011
dete MUT-Stiftung (MUT = mensch-, um-
niger Fleischkonsum und den Abbau von
welt- und tiergerecht) in den folgenden
Tierfabriken zugunsten tierfreundlicher
Jahren Dutzende von tierschützerisch bei-
bäuerlicher Betriebe plädiert. Seither ist
1972 KAGfreiland wird unter dem Na-
spielhaften, tierfreundlichen Stallbauvor-
der Fleischkonsum auf 53 Kilogramm ge-
men «Konsumenten-Arbeitsgruppe zur
haben mittels zinsloser Darlehen.
sunken, wovon 12 Kilogramm importiert werden.
Förderung tierfreundlicher und umweltgerechter Nutzung von Haustieren» ge-
1984 Als tierfreundliche Alternative zur
Der STS schafft eine Beratungsstelle
gründet und vermarktet ab 1973 Schwei-
tierschutzwidrigen Produktion von weis-
für artgerechte Nutztierhaltung, die für
zer Freilandeier. 1974 kommt das erste
sem Kalbfleisch unterstützt der STS die
mehr Tierwohl in der Landwirtschaft wer-
KAG-Fleisch auf den Markt. Das ist die
1980 gegründete Vereinigung der Am-
ben soll.
Geburtsstunde von Produkten aus tier-
men- und Mutterkuhhalter und hilft mit,
freundlicher Haltung. Der STS arbeitet in
deren Label «Naturabeef» bekannt zu ma-
1986 Der STS startet zusammen mit der
den folgenden Jahrzehnten eng mit KAG-
chen. Bäuerliche Organisationen und
landwirtschaftlichen Schule Bäregg und
freiland zusammen.
Vertreter des BLW fürchten, dass die auf-
einem Dutzend Emmentaler Bauern ein
kommende Labeltierhaltung die konven-
Praxisprojekt zur Erprobung der Grup-
1976 Aus der Einsicht heraus, dass der
tionelle Produktion diskreditieren könnte
penhaltung von Zucht- und Mastkanin-
Tierschutz nicht nur eine Frage von Vor-
und wechseln scharfe Worte mit den Mut-
chen. Bislang wurden Kaninchen in der
schriften und Gesetzen ist, sondern viel
terkuhpionieren und dem STS. Die ableh-
Regel einzeln in engen Verschlägen oder
mit dem Verhalten der Konsumenten zu
nende Haltung verschiedener Bauernor-
Käfigen gehalten. Das Emmentaler Pro-
tun hat, starten STS und die Zeitschrift
ganisationen und -funktionäre gegenüber
jekt hat Signalwirkung: Heute leben rund
«Annabelle» die Aktion «Herz statt Porte-
Produkten aus tierfreundlicher Haltung
ein Drittel aller Kaninchen in der Schweiz
monnaie». Eier aus Boden- und Freiland-
und entsprechender Aktivitäten bleibt bis
in solchen Gruppenhaltungsställen.
haltung werden speziell gekennzeichnet
über das Jahr 2000 hinaus erhalten.
1987 Der STS und die MUT-Stiftung wol-
und vermarktet, die Betriebe vom STS kontrolliert.
1985 Der Fleischverzehr erreicht mit über
len sich im Detailhandel verstärkt für den
70 Kilogramm pro Kopf in der Schweiz ein
Absatz von Produkten von Tieren aus art-
1980 Der STS und der Zürcher Tierschutz
Allzeithoch. Der STS publiziert die Schrift
gerechter Haltung engagieren. Sie gewin-
unterstützen über die von ihnen gegrün-
«Unser täglich Fleisch», in der er für we-
nen den Konsumverein Zürich (K3000)
29
und die landwirtschaftlichen Genossen-
matischen Gründen galten und gelten die
figverbot konsequent umgesetzt. Mit der
schaftsverbände fenaco zur Zusammen-
Anforderungen für die jeweilige Tierka-
Abschaffung der Käfighaltung greifen
arbeit unter dem Label «Gourmet mit
tegorie. Ein Teil dieser privatwirtschaftli-
Schweizer Konsumenten vermehrt zum
Herz/Agri-Natura». Dass ausgerechnet
chen Tierschutzforderungen fanden spä-
tierfreundlichen Schweizer Ei.
die grösste bäuerliche Genossenschaft mit
ter Eingang in die Landwirtschaftsgesetz-
dem STS zusammenarbeitet und die Zei-
gebung, etwa bei den BTS/RAUS-Förder-
1992 Der STS beginnt, regelmässig In-
chen der Zeit erkennt, bringt der fenaco
programmen 1995 oder dem AML-Verbot
formationsmaterial für Nutztierhalter zu
anfänglich landwirtschaftsintern harsche
1999.
publizieren. Er startet die Veranstaltungs-
Kritik ein. Doch fortschrittliche Kreise ha-
reihe «Nutztiertagung», die sich an Tier-
ben längst realisiert, dass eine wachsende
1988 Der STS startet zusammen mit
schützer, Bauern, Berater, Konsumenten,
Schicht von Konsumenten nicht mehr be-
dem Künstler Tomi Ungerer die Kampa-
Behörden und Wissenschaftler richtet und
reit ist, nur das zu essen, was ihr die Land-
gne «Delikatessen aus der Folterkammer».
in der Folge jährlich mit Themen wie Frei-
wirtschaft vorlegt, sondern vielmehr ei-
Es geht um Qualprodukte wie Stopfleber,
landhaltung, behornte Kühe, Ferkelkast-
gene Wünsche hat, insbesondere, was den
Froschschenkel,
ration, Tiertransporte, Schlachten und
Natur-, Umwelt- und Tierschutz bei der
Haifischflossen oder Hummer. Eine Post-
Erzeugung von Fleisch, Milch und Eiern
kartenaktion an den Bundesrat führt zu
anbelangt.
einem Verbot von Schildkrötenproduk-
1993 Der STS recherchiert Tiertransporte
ten.
und Schlachtbedingungen und stösst auf
Alle siebzig K3000-Filialen werden
Schildkrötenprodukte,
umgestellt und bieten eine breite Palette
Konsum in Erscheinung tritt.
erhebliche Missstände. Nach intensiven
von Eiern aus tierfreundlicher Haltung
1989 Der STS veranstaltet in Basel den
Diskussionen gründet er zusammen mit
und Labelfleisch an. Der STS übernimmt
schweizweit ersten Kongress gegen Gen-
engagierten Branchenvertretern, Wis-
die Kontrolle der rund tausend Herkunfts-
technik an Tieren, an dem der amerika-
senschaftlern und Behörden die Interes-
betriebe. Das Label «Gourmet mit Herz/
nische Autor und Konsumentenschützer
sengemeinschaft für tierschutzkonforme
Agri-Natura» setzt wie die Nachfolgerpro-
Jeremy Rifkin ein flammendes Plädoyer
Tiertransporte und Schlachthöfe (IGTTS).
gramme bei Coop, Migros und den an-
für die tierliche Integrität hält. Der STS
Diese bildet in den kommenden fünf-
deren Detaillisten auf drei Schwerpunkte:
fordert, dass die Tierzucht die Würde der
zehn Jahren über 2000 Chauffeure und
Die tiergerechte Haltung mit mehr Platz,
Kreatur zu gewährleisten habe. 1992 wird
Schlachthofmitarbeiter in massgeschnei-
verhaltensgerechten Strukturen und mög-
diese Forderung in die Bundesverfassung
derten Tierschutzkursen aus.
lichst Auslauf ins Freie, den schonen-
aufgenommen und findet sich heute auch
den Umgang mit den Tieren (Transporte,
im Tierschutzgesetz.
Schlachtung) und ein Verbot des Einsatzes von Fütterungsantibiotika. Aus prag-
1994 Coop zieht bei der Ausarbeitung seines
1991 Die Hühnerhalter haben das Kä-
Labelprogramms
«Naturaplan
Porc» den STS bei und überträgt ihm die Kontrolle der Vertragsbetriebe. Später wird das Label in «Coop Naturafarm» umbenannt. Heute sind Naturafarm/Naturaplan die schweizweit bekanntesten Labels. Dem STS wird die Kontrolle der Programme Naturaplan Porc, Naturaplan Poulet und Naturaplan Kalb übergeben, ebenso die Überwachung der Tiertransporte und Schlachthöfe.
1995 Der STS-Kontrolldienst für artgerechte Nutztierhaltung wird schweizweit als erste Tierschutzüberwachungsstelle vom Bund akkreditiert. Rund zehn Kontrolleure, Landwirte, Agronomen und Veterinäre sind mittlerweile hier angestellt und kontrollieren über tausend Labelbe-
Tomi Ungerer unterstützte die Kampagne gegen «Delikatessen aus der Folterkammer»
30
triebe, wöchentlich mehrere Tiertransporte und über ein Dutzend Schlachthöfe in der Schweiz.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Der STS und die Stiftung für Konsumentenschutz führen unter dem Titel «Boykottlets» einen einwöchigen Fleischboykott durch. Die breite Presseberichterstattung lässt die Fleischverkäufe spürbar sinken. Die Fleischbranche zeigt sich danach offener für tierschützerische Verbesserungen. Der STS erhält Gelegenheit, seine Anliegen sowohl an Vorstandssitzungen als auch an der Delegiertenversammlung des Schweizer Metzgermeisterverbandes vorzustellen. In der Folge unterstützt der Verband die STS-Forderungen bei der Revision der Tierschutzgesetzgebung.
1996 Migros und Coop verpflichten sich, keine Importkäfigeier mehr anzubieten. Coop nimmt Froschschenkel und Stopfleber aus dem Sortiment.
1998 Drei Jahre lang, von 1995 bis 1998,
Mark Rissi und Eric Gysling produzierten die Sendung TIERREPORT, die viel zur Konsumenaufklärung beitrug
strahlt das Schweizer Fernsehen die von Mark M. Rissi produzierte und von Erich
zum Konsum tierischer Produkte anbieten
tieren und Schlachten finden sowie um-
Gysling moderierte Tierschutzsendereihe
und Listen von empfehlenswerten Labels,
setzen.
«Tierreport» aus, die Millionen von Zu-
Restaurants und Bäckereien führen.
Das zweite Detaillisten-Tierschutzrating wird durchgeführt. Trotz aufkom-
schauern erreicht und mehrfach ausgezeichnet wird. In 18 Sendungen steht der
2005
Detaillisten-Tierschutz-
mender «Geiz ist geil»-Stimmung, Bil-
Tierschutz im Mittelpunkt. Nebst Tier-
rating. Mit einer Umfrage will sich der
ligimporten und dem Aufkommen von
schutzproblemen werden stets auch Posi-
STS ein Bild machen von den erbrachten
«Budgetlinien» im Detailhandel haben
tivbeispiele gezeigt, und es wird auf den
«Tierschutzleistungen» der grossen De-
Produkte aus tierfreundlicher Haltung bei
Zusammenhang zwischen Konsumver-
taillisten. Untersucht und bewertet wer-
den beiden Grossverteilern in den vergan-
halten und Tierwohl hingewiesen. Wenig
den der Inlandanteil Fleisch, Eier und
genen zwei Jahren zugelegt. Der STS kann
andere Sendungen lösten ein derartiges
Käse, der Label-/Bioanteil und das An-
den Konsumentinnen und Konsumenten
Echo unter den Zuschauern aus.
gebot an «Delikatessen» wie Stopfleber
ein gutes Zeugnis ausstellen. Für sehr
oder Froschschenkel, welche die Detail-
viele von ihnen ist das Tierwohl offen-
1999 Der STS prangert zusammen mit
listen führen. Den ersten Platz im Rating
sichtlich kein vorübergehender Modegag.
der Stiftung für Konsumentenschutz in
nimmt Coop ein.
Freilandeier und Labelfleisch sind damit
Erstes
dem Nischendasein entwachsen. Bei ein-
einer «Kalbfleischwoche» die Fehlernährung von Mastkälbern zur hellen Kalbflei-
2007 Migros und die IP-Suisse-Bau-
zelnen Detaillisten erreichen sie Markt-
scherzeugung an. Als Konsequenz gibt die
ern erteilen dem STS-Kontrolldienst ein
anteile von teilweise 50 bis 75 %. Der
Metzgerbranche bekannt, die Abzüge für
Mandat zur Überwachung ihrer Labeltier-
schweizweite Umsatz wird auf über 1,5
rosa Kalbfleisch fallen zu lassen.
transporte.
Millarden Franken geschätzt. Coop wird
Der STS gründet ein Kompetenzzen-
erneut
«Tierschutz-Schweizermeister»,
2003 Der STS startet die Aktion «Essen
trum für tierschutzkonforme Tiertrans-
nun aber dicht gefolgt von Migros, die
mit Herz». Ziel ist es, Konsumenten, De-
porte und Schlachthöfe (KTTS). Dieses soll
durch eine Kooperation mit IP-Suisse und
tailhandel und die Gastrobranche von den
auf wissenschaftlicher Basis tierschutzre-
die Übernahme des Labels «TerraSuisse»
Vorteilen von Produkten aus tierfreund-
levante Probleme aufzeigen und zusam-
bei Produkten aus tierfreundlicher Hal-
licher Haltung zu überzeugen. Herz-
men mit interessierten Kreisen aus Wirt-
tung stark aufgeholt hat.
stück der Kampagne sind die Homepages
schaft, Detailhandel, Branchenorganisa-
www.essenmitherz.ch und www.manger
tionen und Behörden Lösungen für tier-
2008 Ein beträchtlicher Teil der Impor-
avecducoeur.ch, welche ein breites Wissen
schutzkonformes, schonendes Transpor-
teier und Importeierprodukte (Flüssigei),
31
und Migros mit den Neuen, Lidl und Aldi, verglichen. Während Coop und Migros weitere Fortschritte bezüglich tierfreundlichen Sortiments aufzeigen können, sind bei Aldi und Lidl mit Ausnahme des Eiersortiments kaum nennenswerte Anstrengungen zu finden. In der Folge sucht der STS mit allen Detaillisten in der Schweiz – darunter Spar, Volg, Aldi und Lidl – das Gespräch, um die Nachfrage nach Produkten aus tierfreundlicher Haltung zu fördern. Coop erteilt dem STS-Kontrolldienst ein Mandat zur Überwachung der Naturafarm-Freilandlegehennenhalter sowie für stichprobenweise Kontrollen der Mutterkuhhalter (Label «Naturabeef»). Im Auftrag von Migros und IP-Suisse startet der STS mit der Kontrolle von Schlacht-
Der STS fordert und fördert die tierfreundliche Kaninchenhaltung
höfen, in denen IP-Tiere mit dem Label «TerraSuisse» aufgeführt werden. Selbst in Gourmetrestaurants kommt oft immer noch Fleisch aus Massentier-
darunter auch Käfigbatterie-Herkünfte,
aus Kaninchenkäfighaltung realisiert hat,
haltung auf den Teller. Das zeigt eine ak-
werden von Bäckereien und Konditoreien
setzt sich der STS für eine Ausdehnung
tuelle STS-Umfrage in der Gastrobran-
nachgefragt. Der STS zeichnet deshalb
der tierfreundlichen Kaninchengruppen
che. Deren Labelfleischumsatz liegt im
Geschäfte, die ausschliesslich auf tier-
haltung im Inland ein.
Vergleich zum Detailhandel tief, je nach Fleischart zwischen 35 und 50 %.
freundliche Schweizer Eier setzen, mit einer Urkunde aus und bewirbt sie auf der
2010 Coop fällt den Entscheid, nur mehr
Alle nennenswerten Eierimporteure
Homepage www.essenmitherz.ch.
inländisches Kaninchenfleisch aus Grup-
verpflichten sich gegenüber dem STS, auf
Während bei den beiden führenden
penhaltung anzubieten und erteilt dem
Käfigeierimporte zu verzichten. Der STS
Grossverteilern der Schweiz Labelfleisch
STS-Kontrolldienst die Aufträge, diese
legt grossen Wert auf diese Vereinbarung,
immer mehr an Bedeutung gewinnt,
BTS-Kaninchenhaltungen
die
da das EU-Käfigbatterieverbot auf 2012
kneift die Gastrobranche weitgehend. Nur
Transporte und das Schlachten zu über-
nicht umgesetzt ist, und die EU auch tier-
wenige Restaurants nehmen auf das Tier-
wachen.
schutzwidrige Alternativen zulässt, wel-
sowie
wohl Rücksicht und kochen mit Produk-
Der STS lanciert einen Wettbewerb
che in der Schweiz verboten sind, wie
ten aus tierfreundlicher Haltung. Zu die-
unter Kochlehrlingen. Nebst Fragen rund
etwa die Kleingruppenhaltung von Hüh-
sem Schluss kommt eine STS-Umfrage bei
um Tierschutz und Nahrungsmittel müs-
nern.
Restaurants aus der ganzen Schweiz.
sen die Kandidaten ein Menü mit Produk-
Der STS lädt die Branche zu einem
ten aus tierfreundlicher Haltung und ein
Kälbergipfel, mit den Zielen, die Kälber-
2009 Der STS startet eine Petition für
vegetarisches Menü einreichen. Diese Re-
haltung und -fütterung zu verbessern und
eine tierfreundliche Beschaffungspoli-
zepte stellen die Basis dar für das tier-
das seiner Meinung nach kontraproduk-
tik bei McDonald’s Schweiz. McDonald’s
freundliche Kochbuch «Essen mit Herz»,
tive «Qualitätskriterium» der Kalbfleisch-
setzt als Folge davon auf Schweizer Frei-
welches der STS 2012 publiziert.
farbe abzuschaffen.
landeier und beim Hamburgerfleisch auf
Zusammen mit dem WWF und der
Der STS zieht eine für 2012 geplante
Kühe mit Auslauf- und Weidehaltung.
Stiftung für Konsumentenschutz nimmt
Geflügelkampagne vor, nachdem proble-
Damit geht das umsatzmässig grösste
der STS die Labels unter die Lupe und be-
matische Zustände bei deutschen Hühner-
Gastrounternehmen des Landes in puncto
teiligt sich am WWF-Labelführer.
und Trutenmästern auffliegen und nachgewiesen wird, dass diese ihre tierschutz-
Tierschutz mit gutem Beispiel voran. Nachdem KAGfreiland tierschutzwid-
2011 Zum dritten Mal nach 2005 und
relevante Billigware auch in die Schweiz
rige Kaninchenfleischimporte aufgedeckt
2007 publiziert der STS ein Detaillisten-
liefern.
und eine Deklaration für Importfleisch
Tierschutzrating. Dieses Mal werden Coop
32
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
6.2 Information und Beratung
fasst mittlerweile auch im Ausland Fuss.
beteiligt sich seit der Gründung der «In-
Schon früh wurde dem Tierschutz klar:
Nach einer gemeinsamen Studienreise
teressengemeinschaft für tierschutzkon-
Eine tierfreundliche Haltung fällt nicht
mit Geflügelfachleuten in Frankreich
forme Tiertransporte und Schlachthöfe»
vom Himmel, und auch sie kann Mensch
Ende der 1980er-Jahre beteiligte sich der
im Jahr 1993 mit eigenen Fachleuten an
und Tier Probleme bereiten – einfach an-
STS am Aufbau der zuvor in der Schweiz
der Tierschutzausbildung von Chauffeu-
dere als eine konventionelle Tierhaltung.
unbekannten Freilandhühnermast mit
ren und Schlachthofmitarbeitern.
Seit anfangs der 1990er-Jahre publiziert
speziellen, langsamer wachsenden Rass-
der STS deshalb Broschüren, unter ande-
etieren.
rem zur Hühner- und Schweinehaltung,
Für viele Praxisprobleme der Label-
zur Tierzucht, zur Vermeidung von Un-
tierhaltung konnte man vor 25 Jahren
6.3 Detailhandel setzt auf Produkte aus tierfreundlicher Haltung
fällen mit Nutztieren oder zum Tierkom-
nicht auf Resultate der Wissenschaft zu-
Als KAGfreiland und Schweizer Tier-
fort, Merkblattserien zu kostengünstigen
rückgreifen, sodass es galt, mit Bauern
schutz STS in den 1970er-Jahren began-
und tierfreundlichen Aufstallungsformen
und Beratern in der Praxis Lösungen zu
nen, Schweizer Boden- und Freilandeier
und Flyer zur Gestaltung von Ausläufen
entwickeln, sei dies zur Gestaltung von
speziell zu bewerben und zu vermarkten,
und Weiden. Rund 500 000 Exemplare
Hühnerweiden, zur Freilandhaltung von
hätte niemand Produkten aus tierfreund-
konnten seither an Interessierte abgege-
Schweinen oder zur Unterbringen von
licher Haltung eine derartige Entwicklung
ben werden.
Jungtieren in Kaltställen. Der STS liess
prophezeit. Anfangs der 1990er-Jahre
Der STS scheute sich nicht, zur Erar-
verschiedene Nutztierthemen wissen-
sagten «Experten» diesen Produkten nicht
beitung von Richtlinien zur tierfreundli-
schaftlich abklären, zum Beispiel die Frei-
mehr als 2 bis 5 % Umsatz voraus, und
chen Haltung sowie zum Transport und
landhaltung von Schweinen, das Auslauf-
die meisten Landwirtschaftsfunktionäre
zur schonenden Schlachtung von Rin-
verhalten von Truten und Masthühnern
waren extrem skeptisch eingestellt. Man-
dern, Schweinen oder Hühnern auch auf
oder die Tierschutzrelevanz von Vollspal-
che landwirtschaftlichen Verbände diffa-
externe Fachleute – Bauern, Tierärzte und
tenbodenhaltung für Mastschweine und
mierten die Tierschutzlabelprogramme,
Wissenschaftler – zurückzugreifen. Darü-
-munis. Im Rahmen der Labelprogramme
obwohl diese tausenden von Landwir-
ber hinaus schuf er eine Beratungsstelle
konnte dieses Wissen umgesetzt werden.
ten eine Existenz bieten, das Image der
für artgerechte Nutztierhaltung. Diese
Die Labeltierhaltung war auch der
Schweizer Bauern und deren Umgang mit
hatte die Aufgabe, Landwirte über tier-
Auslöser für die Suche nach praktikab-
den Tieren generell stark verbessert ha-
freundliche Haltungsformen zu informie-
len Betäubungsmethoden zur Ferkelkast-
ben, Millionen von Konsumenten anspre-
ren und Konsumenten den Zusammen-
ration sowie für Verbesserungen im Tier-
chen und mittlerweile über 2,5 Milliarden
hang zwischen Einkaufsverhalten und
transport und in Schlachthöfen. Der STS
Franken Umsatz jährlich generieren.
Art der Tierhaltung näherzubringen. Aufgrund der Erfahrungen mit dieser Stelle für Heim-, Wild- und Versuchstiere sowie für die tierärztliche Beratung ein und gründete einen Kontrolldienst für artgerechte Nutztierhaltung. Die Labeltierhaltung erforderte teil-
STS-MERK TIERGERECHTE
nannten Aussenklimabereich zur Bereicherung der Geflügelfreilandhaltung. Diese Einrichtung bietet Hühnern die Möglichkeit, auch bei schlechtem Wetter oder im Winter einen geschützten Auslauf aufsuchen zu können, um frische Luft, natürliches Licht und Klima zu geniessen. Dieser «Schlechtwetterauslauf» ist in der Legehennen- und Mastgeflügelhaltung der Schweiz heute Standard und
SCHW EIZER TIERS CHUT Z STS
B L AT T
PFLE GE UND UMGA NG MIT TIERE N / MERK BLAT T B
Suhlen und Dusc
Schweine schwitzen
S T S - M E R K B L AT T
. Manchmal nicht abbrechen n nz muss man eht ein tierfreund guten Bausubsta Kühe im Freien fütter edern. Es entst deställe mit einer Melkhaus angli Bestehende Anbin Fressplatz im Freien und ein ein Freilaufstall. lassen sich auch günstigerTIERGERECHTE tlich schaf UND KOSTENGÜNSTIGE STÄLLE tswirt licher und arbei
nicht – darum suhle
hen von Schweine
n
n sie
S T S - M E R K B L AT T
TKS 1.10
TIERGERECHTE UND KOSTENG
ÜNSTIGE STÄLLE
Tierfreundliche Ställe für die Rindermast
triebsformen. So entwickelte der STS teressierten Hühnerhaltern den soge-
STS-MERK
TKS 1.1
splatzes an Anbau eines Fres hviehstall lc bestehenden Mi
weise völlig neue Aufstallungs- und BeMitte der 1980er-Jahre zusammen mit in-
B L AT T
E STÄLLE UND KOSTENGÜNSTIG
Foto: C. Sciar ra
führte der STS später weitere Fachstellen
Mastkaninchen in Gruppen
Als Beispiel für tierfreundliche und praktische Lösungen in der Rindermast zeigt das Merkblatt Ställe von drei Landwirten im Raum Sempachersee. Diese haben ihre ehemaligen Anbindeställe für Milchkühe in Laufställe für Mastrinder umgebaut; jeder hat eine eigene Lösung gefunden. . Fressplatz separate Alle drei Landwirte halten ihre Tiere gemäss den Richtlinien von Weide-Beef, einem Label der une, rechts der . Links die Sche Migros für die Ochsen- und Rindermast. Der Name kommt daher, dass die Tiere während der VeOsten von Der Hof hatte, seine Kühe der den Mutacht getationszeit täglichder während Stunden auf die Weide dürfen. Weitere Anforderunden ersten,mindestens en Breitengra war einer unser i TGLabels es in gen des sind auf derdass letzten Seite aufgeführt.Er hat im hof in Wäld eugt, Wald dem überz auf bin der Landwirt. füttern. «Ich Roland Werner em ist», sagt Probl im Freien zu baut. kein über umge ü.M. Jahr das ganze von 1000 m of und Fressplatz zu einer Höhe tall mit Laufh mindestens bis ll zu einem Laufs n Anbindesta Jahr 1995 seine
n
Anstatt Kaninchen in Käfigen zu halten, kann man ihren Stall wie ein und Zimmern einrichte Haus mit mehreren Etagen n. Auch so ist eine wirtscha ftliche Mast möglich, wie 1 pioniere zeigen. Schweizer Kaninchen«Das Kaninchen ist ein anspruchsvolles Tier. Je mehr wir von ihm wissen, uns bewusst, wie wenig desto stärker werden wir wir eigentlich wissen», erklärt Felix Näf, was ihn tieren so fasziniert. Schon an den wolligen Hoppelals Kind hat er auf dem Bauernh Mittlerweile hat er aus of um die 200 «Chünge dem früheren Hobby einen l» gehalten. landwirtschaftlichen Betriebs Zukunftschancen aufgeba zweig mit guten ut und arbeitet dabei mit Bauern in der Region zusammen.
Boxen zum Liegen Der deckenlastige Anbindestall von Thomas Bühlmann in Ballwil LU stammt aus dem Jahre 1979 und weist eine sehr gute Bausubstanz auf. Im Jahre 2003 richtete der Landwirt seinen Betrieb neu aus. Er wollte mehr Zeit haben, um einer Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft nachzugehen. Rinder-, Schweine- und Pouletmast standen als Alternativen zur Auswahl. Thomas Bühlmann entschloss sich für die Rindermast, da auf dem Betrieb die Raufutterbasis vorhanden ist. Beim Umbau entfernte der Landwirt den Schwemmkanal und das Läger und ersetzte beide durch einen 2,5 m breiten Kanal mit Spaltenboden. Ein Fangfressgitter ersetzte die alte Anbindevorrichtung, während die Hochkrippe belassen wurde. Auf der einen Seite des zweireihigen Anbindestalles brachte er eine Gruppe von 20 jüngeren, auf der anderen Seite von 18 älteren Tieren unter.
Viele der STS-Merkblätter kann man auf www.tierschutz.com downloaden
halten
Schweine könn en nicht schw itzen lungsmöglichke iten angewiesen . Sie sind deswegen auf schattige Plätz 46, dass in neu . Die Tierschutzv e und eingerichteten erordnung aus Zuchtebern Abkü Ställen bei Hitze dem Jahre 2008 andere Abkühhlungsmöglichk Schweinen ab verlangt in Art. verordnung des eiten zur Verfü 25 Bundesamtes gung stehen müss kg in Gruppenhaltung sowie für Veterinärw 28 die Abkühlung en. Die Nutzt esen ier- und BVET ab Temperaturen konkretisiert nen. von 25 °C. Zur dies und verlan HaustierAbkühlung könn gt in Artikel en Suhlen und Duschen dieMit Vorliebe suche Schlammschich n Schweine Schlammbäder auf. Nicht nur t, mit welcher das Baden kühlt sich die Tiere und kühlt die überziehen; sie , sondern auch Tiere über eine speichert näml Bestandteil der die längere Zeit. ich die Feuchtigk Die Freilandhaltung Liegeplatz. Schw im Sommer eben Suhle ist ein wesentlich eit er und eine können sich so wie lässigen Böde selbst eine Suhle Schattenplätze und ein saube notwendiger n für das Wass anlegen, doch rer, zugfreier er besorgt sein. wurmt werden. muss der Zu beachten ist, dass die Schw Tierhalter in durcheine regelmäss ig entEinige Auszüge aus den Unte rsuchungen des braus sollen die Bedeutung Münchener Veter des Suhlens durchschnittlich inärprofessors für das Schw Hans Hinrich en ein illustrieren SamTag auf. Im Tages Tages-Temperaturen zwisc : «Die Sauen hen ablauf gab es suchten bei te zwischen 12 zwei Höhepunk 19 und 28 °C die Suhle im te, einer morg Mittel zweimal und 15 Uhr.» ens nach dem Füttern und der pro zweiKaninchen wollen herumto llen und ausruhen können.
baue Ziele Landwirt zwei ng hatte der stig sein, und Bei der Planu sollte kostengün im Auge. Der Stall n. «Damals ha n sich wohl fühle tekten noch die Tiere sollte hen Archi aftlic irtsch fest. ben die landw Roland Werner gebaut», stellt en andere Ställe Ställe, bei welch t geschlossene wirt Werner Er meint dami Dach ist. Land lel alles unter einem Fressachse paral eine separate Der Baufach wollte jedoch n. baue en Stall zum bestehend der damaligen Caenegem von Bi mann Ludo van Architekt Cyrill der sowie FAT (heute ART) Idee. ihn in seiner schof bestärkten Anstelle der Anbindevorrichtung befindet sich jetzt ein Fressgitter.
Separate Fressachse
TKS 7.2
Schlechte Haltungsbedingun
1
gen im Ausland
Der Grossverteiler Coop setzt bereits seit 1999 auf Fleisch von Kaninch Haltung. Die Nachfrage en aus tierfreundlicher verstärkte sich, als die Schweizer Grossverteiler willige Importsperre von sich Ende 2008 eine freiKaninchenfleisch auferleg ten. Grund waren die dingungen bei den Produze schlechten Haltungsbenten in Frankreich und den Oststaaten. Den Grossver Fleisch aus tierfreundlicher teilern genügend Haltung zu liefern, ist eine Chance und eine landwirtschaftliche Kaninch Herausforderung für die enhaltung in der Schweiz . Felix und seine Frau Rosmari e Näf haben die Firma Kani-Sw kauft, schlachtet und iss GmbH gegründet, welche an die Bell AG, an Coop Kaninchen und an Spitäler liefert. vermarkten nicht nur, Doch Näfs schlachten sondern sie halten auch und selbst Kaninchen in mehrere n Ställen.
1
33
Die Nachfrage von Konsumenten und
stanz und Glaubwürdigkeit verordnet.
wogen, in den vergangenen Jahren ver-
Detaillisten nach Produkten von Tieren
Coop setzt beim Labelkalbfleisch (Natu-
stärkt auf Labelprodukte zu setzen. Dies
aus artgerechter Haltung bestimmt nebst
rafarm) die Haltungsanforderungen klar
betrifft etwa Manor, Volg und Spar. Selbst
der Tierschutzgesetzgebung und der Ag-
höher als die Migros (TerraSuisse): Coop
die Newcomer aus Deutschland, Aldi und
rarpolitik – insbesondere der Förderung
verlangt hier Auslauf- oder Mutterkuh-
Lidl, scheinen mittlerweile um eine ent-
besonders tierfreundlicher Haltungsfor-
haltung, die Migros hingegen verkauft
sprechende Sortimentsausweitung nicht
men durch spezifische Direktzahlungen
bislang Labelkalbfleisch ohne zwingen-
mehr herumzukommen.
– massgeblich das Tierwohl in Schweizer
den Auslauf und fordert damit bei der
Ställen. Für ein glaubhaftes tierfreund-
Haltung nur unwesentlich mehr, als dies
6.4 Zögerliche Gastronomie
liches Label wird seitens des STS heute
die Schweizer Tierschutzvorschriften ver-
Das Gros der weit über 20 000 Restau-
vorausgesetzt, dass mindestens die Vor-
langen. Coop setzt beim Labelrindfleisch
rants, Personalrestaurants und Schnell-
schriften der Bundesprogramme BTS (Be-
auf die vorbildliche Mutterkuhhaltung
imbisse in der Schweiz verwendet eher
sonders tierfreundliche Stallhaltung) und
(Naturabeef). Die Migros will mit dem
wenige Produkte aus tierfreundlicher
RAUS (Regelmässiger Auslauf ins Freie)
2010 neu eingeführten Weide-Beef-Pro-
Haltung, und bietet den Gästen stattdes-
erfüllt werden.
gramm ähnliche Massstäbe setzen. Mi-
sen entweder konventionelles Schweizer
Bei der Labelentwicklung wirkten die
gros weist bei Rind- und Schweinefleisch
Fleisch oder noch häufiger Importfleisch
beiden Grossverteiler Coop und Migros
noch etwas höhere Labelanteile auf als
und -eier an. Häufig sind die Wirte über
als Entwicklungsmotoren. Dank ihrem
Coop. Coop weist beim Eiersortiment
die Tierhaltungsbedingungen im In- und
Einsatz schafften Freilandeier und Label-
klar die höchsten Labelanteile (Schweizer
Ausland und die verschiedenen Tierwohl-
fleisch nach der Jahrtausendwende den
Bio- und Auslauf-/Freilandeier zusam-
labels gar nicht richtig informiert. Dies die
Sprung von Nischen- zu Standardpro-
men 57 %) und mit 10 % den geringsten
ernüchternde Bilanz einer Umfrage des
dukten. Mit «Naturaplan» (bio) und «Na-
Importanteil auf. Bei Migros beträgt der
Schweizer Tierschutz STS aus dem Jahr
turafarm» (tierfreundliche Haltung) plat-
Labelanteil von Schweizer Bio- und Aus-
2008.
zierte Coop in den 1990er-Jahren die kon-
lauf-/Freilandeiern 41 %. Der Importan-
sequentesten und bis heute bestbekann-
teil liegt bei 22 %.
2011 schrieb der STS rund dreihundert gehobene sowie Gourmetrestau-
ten Labels. Migros änderte die Labelna-
Das Beispiel der Grossverteiler und
rants in der ganzen Schweiz an und bat
men und -anforderungen mehrmals, hat
die zunehmende Nachfrage nach Pro-
um Informationen zur Verwendung von
sich nun aber mit «TerraSuisse» und der
dukten aus tierfreundlicher Haltung ha-
Schweizer Labelfleisch und Freilandei-
Zusammenarbeit mit den IP-Bauern Kon-
ben verschiedene andere Detaillisten be-
ern. Bei der Frage nach der Beschaffung von Fleisch, Eiern und Käse steht bei diesen Restaurants gemäss Selbstdeklaration die Qualität an erster Stelle, gefolgt von Herkunft (Schweiz) und Tierwohl. Positiv aus Tierschutzsicht stimmt das Resultat, dass in Zukunft immerhin 38 % mehr Labelfleisch, 26 % mehr Biokäse und 24 % mehr Freilandeier verwenden wollen. Labelfleisch würde von den Gastronomen vermehrt verwendet, wenn es besser verfügbar wäre (29 %), eine bessere Qualität als konventionelles Fleisch aufwiese (28 %), preislich günstiger wäre (24 %) und die Gäste es verstärkt nachfragen würden (19 %). Der Anteil Gäste, welcher bei einem entsprechenden Angebot tierfreundlichere und teurere Menüs bestellen würde, wird auf durchschnittlich 52 % geschätzt. Nach Ansicht dieser Gastronomen besteht also ein erhebliches Potenzial
Mutterkuhhaltung: Vorläuferin der Labelprogramme
34
unter den Gästen in Bezug auf tierfreundliche Produkte; ein Potenzial, das aber erstaunlicherweise nicht ausgenützt wird.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
7. Tierschutzkonforme Importe Der STS teilt die Meinung, dass historisch
Fabrik oder einem Dienstleistungsbetrieb
tarium zur Bekämpfung solcher Miss-
gesehen der Abbau von Zöllen und die
kann man stillgelegte Äcker und Tierhal-
stände geschaffen, doch der Bundesrat
Ausdehnung des freien Verkehrs von Gü-
tungen nicht innert Jahresfrist aus dem
wendet es aus Furcht vor Retorsionsmass-
tern, Waren und Dienstleistungen meist
Boden stampfen, und vom Menschenwil-
nahmen des Auslands kaum an:
zu wirtschaftlichem Fortschritt, Neuent-
len nicht oder wenig beeinflussbare Fak-
wicklung und steigendem Wohlstand ge-
toren (Klima, Wetter, Bodenqualität, Ent-
«Unter der Voraussetzung, dass inter-
führt haben. Die Schweiz als kleines und
stehung von Seuchen und Krankheiten
nationale Verpflichtungen nicht verletzt
rohstoffarmes Land hat diese Entwick-
bei Tieren etc.) spielen eine grosse Rolle
werden, erlässt der Bundesrat für Er-
lungen denn auch stets gefördert und da-
bei der Lebensmittelerzeugung. Ein Bauer
zeugnisse, die nach Methoden produ-
von profitiert. Der STS ist aber dezidiert
ist standortgebunden, während ein Fir-
ziert werden, die in der Schweiz verboten
der Meinung, dass diese positiven Konse-
meninhaber seinen Betrieb (fast) überall
sind, Vorschriften über die Deklaration;
quenzen des Freihandels primär für Güter
aufstellen kann.
er erhöht die Einfuhrzölle oder verbietet
und Waren des 2. und des 3. Sektors gel-
den Import. Als verboten im Sinne von Absatz 1 gelten Produktionsmethoden,
weltweiten Handel mit Nahrungsmitteln
7.1 Gesetzliche und privatwirtschaftliche Möglichkeiten
respektive entsprechenden Rohstoffen zu
Die brutale Kehrseite des Freihandels mit
von Personen, Tieren oder Pflanzen; oder
übertragen sind. Denn der unbeschränkte
Nahrungsmitteln zeigt sich im Fehlen so-
der Umwelt.»
Freihandel hat sich hier bislang stets als
zialer, ökologischer und tierschützeri-
(Art. 18 Landwirtschaftsgesetz)
jene Option herausgestellt, die am meis-
scher Leitplanken. Als Konsequenz drän-
ten Verlierer und unerwünschte Abhän-
gen immer mehr tierschutzwidrige Im-
Nach Meinung des STS soll jedes Land die
gigkeiten zurücklässt und der Spekulation
portprodukte auf den Schweizer Markt.
Möglichkeit haben, unter Beachtung von
mit Lebensmitteln Tür und Tor öffnet.
ten und – wenn überhaupt – nur eingeschränkt und mit aller Vorsicht auf einen
die nicht zulässig sind aus Gründen des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit
110 000 Tonnen Fleisch importiert unser
Ökologie und Tierschutz einen möglichst
Das ergibt sich nicht zuletzt aus den
Land jährlich – fast ein Viertel des Ge-
hohen Beitrag zur Ernährung der eigenen
grundsätzlichen Unterschieden in Be-
samtbedarfs –, darunter beispielsweise
Bevölkerung sicherzustellen. Importe sol-
zug auf die Produktionsgrundlagen und
45 000 Tonnen Poulet- und Trutenfleisch,
len primär das Inlandangebot ergänzen,
-standorte der Landwirtschaft und des 2.
zumeist aus bei uns verbotener Haltung.
beispielsweise dort, wo aus klimatischen
und 3. Sektors. Im Unterschied zu einer
Der Gesetzgeber hat zwar ein Instrumen-
oder anderen Gründen eine Versorgungs-
35
lücke besteht, und mithelfen, die Inland-
Wie es gehen könnte, hat der STS am
Laden erfreulicherweise zu Schweizer Ei-
versorgung sicherzustellen. Weil Tier-
Beispiel der Eier gezeigt. Während in der
ern. Trotzdem beträgt der Eierimport rund
schutz nicht an der Grenze aufhört, setzt
Schweiz seit 1991 nur noch Eier aus Bo-
770 Millionen Eier jährlich. Die Gründe
sich der STS für tierschutzkonforme Im-
den- oder Freilandhaltung erhältlich sind,
für diesen Anstieg liegen bei der Gastro-
porte ein. Denn sonst unterstützt und för-
ist der Import von Käfigbatterieeiern un-
nomie, den Bäckereien und den Herstel-
dert die Schweiz Tierschutzwidrigkeiten,
verständlicherweise bis heute legal. Be-
lern von eierhaltigen Produkten und Fer-
Massentierhaltung und Qualtransporte im
reits Mitte der 1990er-Jahre konnte der
tiggerichten, wo leider noch allzu oft nur
Ausland und konkurrenziert gleichzeitig
Tierschutz die Grossverteiler Migros und
der Preis und nicht die Schweizer Qualität
die tierschützerischen Anstrengungen im
Coop überzeugen, auf den Verkauf von
und das Tierwohl zählen.
Inland.
Importkäfigeiern zu verzichten. Später
Der STS legt grossen Wert auf diese
Der STS will den Menschen weder den
folgten alle Detaillisten diesem Beispiel.
Vereinbarung, da das EU-Käfigbatterie-
Speisezettel vorschreiben noch den mo-
Käfigbatterieeier wurden indessen nach
verbot auf 2012 nicht umgesetzt sein wird
deraten Konsum von Fleisch verbieten. Er
wie vor im grossen Stil als Eiprodukte
und rund 60 bis 80 Millionen Legehen-
setzt sich aber dafür ein, dass Tiere artge-
eingeführt, so etwa Flüssigei für verar-
nen, etwa 20 % des gesamten EU-Bestan-
mäss gehalten und schonend transportiert
beitende Industrie und Gewerbe. Es kann
des, weiterhin in diesem tierquälerischen
und geschlachtet werden, wenn sie schon
davon ausgegangen werden, dass noch
Haltungssystem vegetieren müssen. Län-
für Nahrungszwecke genutzt werden und
bis 2010 jährlich 40 bis 80 Millionen Kä-
der wie Spanien, Portugal, Griechenland,
dafür ihr Leben lassen müssen. Das gilt
figeier in die Schweiz importiert wurden.
Tschechien oder Polen hinken bei der Um-
für Tiere im In- und Ausland. Von ökolo-
Der Schweizer Tierschutz STS hat 2011
setzung des Verbots stark hinterher. Noch
gischen und tierschützerischen Standards
mit 26 Unternehmen, darunter alle gros-
wichtiger ist indessen die Tatsache, dass
im internationalen Handel würden aber
sen Importeure und der Branchenriese
die EU auch tierschutzwidrige Alternati-
auch die Konsumenten profitieren, die
Lüchinger + Schmid AG, eine Vereinba-
ven zulässt, wie etwa die Kleingruppen-
heute mit schöner Regelmässigkeit mit der
rung geschlossen. Darin verpflichten sich
haltung von Hühnern. Diese Haltungs-
unerfreulichen Tatsache konfrontiert wer-
die Firmen, in Zukunft keine Eier und Ei-
form entspricht mit einigen Tierschutz-
den, dass Importprodukte aus Massentier-
produkte aus dem Ausland zu importie-
Alibikorrekturen weitgehend der traditi-
haltungen bezüglich Sicherheit und Qua-
ren, die von Hühnern aus Käfighaltungen
onellen Käfigbatterie (Foto). Die Schweiz
lität oftmals problematisch sind. Profitie-
stammen.
hatte diese Systeme in den 1990er-Jahren
ren und gestärkt würde aber auch die bäu-
Die überwiegende Mehrheit der Kon-
auf Praktikabilität und Tierschutzkonfor-
erliche Tierhaltung in den Exportländern.
sumentinnen und Konsumenten greift im
mität hin untersucht und sie anschliessend richtigerweise verboten.
7.2 Unterschiedliche Bedeutung des Tierwohls in der Schweiz und der EU Von besonderem tierschützerischem Interesse sind drei Unterschiede:
1. Während die Schweizer Gesetzgebung zu allen Nutztieren detaillierte Vorschriften und Mindestmasse vorgibt, fehlen EURichtlinien unter anderem zur Haltung von Kühen, Mastvieh, Truten, Straussen und anderen Geflügelarten (ausser Hühnern), Schafen, Ziegen und Pferden. Damit sind Millionen von Nutztieren in der EU ohne gesetzlichen Schutz.
2. Die EU schreibt keine Tierschutzprüfung vor. In der Schweiz hingegen müssen
In der EU ist die Käfighaltung immer noch weit verbreitet
36
serienmässig hergestellte und verkaufte Haltungssysteme und Stalleinrichtungen auf Tierschutzkonformität und Praxist-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
auglichkeit geprüft und bewilligt werden.
zeliglus mit Auslauf zulässig sind. Einge-
streu vorgeschrieben, in der CH ist dies
Davon profitieren Bauern, die solche Sys-
streute Liegeflächen sind nur in der CH
Pflicht. Das Schnabelcoupieren ist in der
teme kaufen, und natürlich die darin ge-
vorgeschrieben. In der EU dürfen Kälber
CH verboten, in der EU zulässig. Ausge-
haltenen Tiere.
in Vollspaltenbodenbuchten eingestallt
staltete Käfige und Grosskäfige sind in der
werden.
EU trotz Käfigbatterieverbot ab 2012 wei-
3.
terhin zulässig, die Eier müssen allerdings
In der Schweiz sind die allermeisten
schmerzhaften Eingriffe verboten, in der
Schweine: In der EU sind mehrstöckige
als «Käfigeier» deklariert werden. In der
EU dürfen hingegen beispielsweise junge
Ferkelkäfige zulässig, in der CH verbo-
CH wurden diese Haltungsformen geprüft
männliche Kälber, Zicklein, Ferkel etc.
ten. Gleiches gilt für das Ferkelkastrie-
und weil tierschutzwidrig verboten.
ohne Schmerzausschaltung kastriert wer-
ren ohne Schmerzausschaltung. Mast-
den. Unter Einschränkungen sind auch
schweine werden in der CH ab 2018 mehr
Masthühner: Tageslicht und mindestens
das in der Schweiz verbotene Schnabel-
Platz haben: 0,9 m2 statt 0,65 m2 wie in
8 Stunden Dunkelphase sind in der CH
und Schwanzcoupieren oder das Heraus-
der EU. Doch Einstreu zum Liegen ist we-
Pflicht, in der EU sind reine Kunstlicht-
brechen von Zähnen bei Ferkeln zulässig.
der in der CH noch in der EU vorgeschrie-
beleuchtungen und alternierende Licht-
ben. Deutlich besser geht es den Sauen in
programme zulässig. In der CH sind er-
Sowohl die fünf EU-Nutztierschutzricht-
der CH. In der EU dürfen säugende und
höhte Flächen als Rückzugs- und Ruhe-
linien (Schutz landwirtschaftlicher Nutz-
tragende Sauen bis 4 Wochen nach dem
bereich festgeschrieben, in der EU müssen
tiere; Kälber-, Schweine-, Legehennen-,
Decken in Kastenstände gesperrt werden.
die Masthühner auf dem verkoteten Stall-
Masthühnerhaltung) als auch die neue
In der CH dürfen sich säugende Sauen frei
boden ruhen. Die maximale Besatzdichte
Schweizer Tierschutzgesetzgebung legen
bewegen, und tragende Sauen nach dem
beträgt in der CH 30 kg/m2, in der EU 42
keine optimalen Tierschutzstandards fest,
Decken an maximal 10 Tagen eingesperrt
kg/m2; dürfte also ein Schweizer Hühner-
sondern bezeichnen mit konkreten Vor-
werden. Schwanzcoupieren und Zähne-
mäster nach EU-Vorschriften produzieren,
schriften und Detailmassen lediglich die
abklemmen sind in der CH verboten, in
könnte er die Hälfte mehr Tiere in seinen
Grenze zur Tierquälerei. Wer diese An-
der EU darf dies zwar nicht routinemäs-
Stall pferchen.
forderungen nicht einhält, macht sich
sig, aber in begründeten Fällen durchge-
strafbar, wer sie erfüllt, bietet seinen Tie-
führt werden.
ren aber noch lange keine tierfreundliche
Fazit: Obwohl die Schweizer Tierschutzgesetzgebung lediglich Mindestmasse und
Haltung. Generell ist zu sagen, dass diese
Legehennen: In der EU wird zum Schar-
Vorschriften enthält, welche die Grenze
Grenze zur Tierquälerei in der Schweiz
ren, Picken und Staubbaden keine Ein-
zur Tierquälerei definieren und damit
restriktiver festgelegt ist, das heisst die Schweizer Mindestvorschriften bringen den Tieren insgesamt mehr. Nachstehend sind die tierschützerisch wichtigsten Unterschiede zwischen den Tierschutzvorschriften der Schweiz und der EU aufgelistet:
Kühe, Mastvieh, Truten, Strausse und andere Geflügelarten (ausser Hühner), Schafe, Ziegen und Pferde: Konkrete und detaillierte Vorschriften in der CH, demgegenüber fehlen hierzu in der EU verbindliche Richtlinien.
Kälber: In der CH müssen Kälber bereits ab der 2. Lebenswoche in Gruppen gehalten werden, in der EU erst ab der 8. Woche. Die Gruppenhaltung gilt in der EU nur für grössere Haltungen, Kleinbetriebe mit 6 und weniger Kälbern dürfen diese weiterhin einzeln halten, wobei in der CH Ein-
Schweinen geht es in der EU vielfach «dreckig»
37
Der STS hat deshalb 2009 eine Umfrage in EU-Ländern zur Verbreitung von besonders
tierfreundlichen
Haltungs-
formen (Weide; Auslauf- und Freilandhaltung;
Biotierhaltungen)
durchge-
führt. Angeschrieben wurden nationale Bio- und Labelorganisationen, Landwirtschaftsbehörden,
Wissenschaftler
und Tierschutzorganisationen. Sie wurden gebeten, die Verbreitung von Weidegang und Auslauf für Rinder, Schweine und Hühner zu schätzen. Auch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) hat dankenswerterweise wichtige Informationen zur Biotierhaltung in den EU-Ländern geliefert. Die insgesamt 20 auswertbaren Resultate aus 9 EU-Ländern wurden danach mit der Verbreitung von BTS- und RAUS-Haltungsformen in
Die Schweiz ist europaweit Spitze bezüglich tierfreundlicher Haltungsformen
der Schweiz verglichen, ebenso die Auskünfte des FiBL und jene von zehn nationalen Bioorganisationen zum Umfang der Biotierhaltung in der EU respektive in einzelnen EU-Ländern.
keine optimale, tierfreundliche Haltung
Der Nutztierschutzstandard eines Landes
garantieren, sind Schweizer Nutztiere von
definiert sich zwar in erster Linie durch
Es zeigt sich, dass die Schweiz punkto
Gesetzes wegen – mit mehreren bedeut-
die Tierschutzgesetzgebung. Das Beispiel
tierfreundlicher Haltung bei praktisch al-
samen Ausnahmen – besser geschützt als
Schweiz zeigt aber, dass die Nachfrage
len abgefragten Tierarten entweder mit
ihre Kollegen in der EU. Einerseits liegen
am Markt (Labelfleisch, Freilandeier) und
oder alleine an der Spitze steht. Über alle
in der Schweiz für alle Nutztiere konkrete
staatliche Tierschutzförderprogramme die
Tierarten gesehen weist die Schweiz euro-
und detaillierte Vorschriften vor, anderer-
Tierhaltungspraxis wesentlich mitbestim-
paweit mit Abstand die höchsten Anteile
seits sind bei jenen vier Tierkategorien,
men und zugunsten eines höheren, über
an besonders tierfreundlichen Haltungs-
für die EU-Richtlinien existieren (Kälber,
die Mindestvorschriften der Tierschutz-
formen auf.
Schweine, Legehennen, Masthühner), die
gesetzgebung hinausgehenden Haltungs-
Schweizer Vorschriften strenger.
standards beeinflussen können.
Verbreitung besonders tierfreundlicher Haltungsformen CH
A
NL
F
Weidegang Milchkühe
80
20-40
60-80
10
FIN
GB
DK
B
80* 20-40
S
Auslauf Mastvieh
50
5-10
80
10
Auslauf tragende Sauen
66
<5
<5
<5
5 -10
<5
<5
D
60-80*
80
40-60
80
60-80 60-80 20-40
80*
5-10
60-80* 60-80
80 10-20
60-80 40-60 60-80
5-10
<5 40-60
Auslauf Mastschweine
62
<5
5 -10
5-10
Freilandhaltung Legehennen
69
20-40
10-20 10-20 20-40
10-20
Gruppenhaltung tragende Sauen 100
20-40
60-80 10-20
40-60
80
5-10
5-10
10-20 40-60 5
100
<5
<5
<5
IRL
PL
<5
5-10
EST
<5
<5
<5
5-10
<5
20-40 20-40
20-40
<5
5-10
40-60 20-40
20-40 40-60
80
* Diese hohen Werte in Schweden und Finnland gelten lediglich für die Vegetationsperiode, im Winter sind die Tiere im Stall. In der Schweiz können Kühe auch im Winter regelmässig ins Freie. Die Biotieranteile an der Gesamtpopulation wurden von den Bioorganisationen Türkei, Ukraine, Lettland, Litauen, Island, Belgien, Finnland, Estland, Deutschland und Österreich fast bei allen Kategorien unter 1 % angegeben. Höhere Anteile finden sich unter anderem beim Milchvieh in Österreich (16 %), Dänemark (10 %), Estland und Deutschland (je 3 %), bei den Mastschweinen in Griechenland (5 %), Grossbritannien (3 %) und Dänemark (3 %), bei den Legehennen in Deutschland (4 %) und den Niederlanden (4 %) sowie den Masthühnern in Frankreich (12 %) und Belgien (5 %). Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt der Anteil verkaufter Bioeier 17 % und verkauftes Biofleisch 2 %.
38
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
8. Tierwohl: Handlungsbedarf in der CH 8.1 Allgemeines
Die Schweizer Bauern und die nach-
auf einer Fläche von weniger als vier Qua-
Die Tierschutzgesetzgebung von 2008
gelagerten Stufen bis zu den Gastrono-
dratmetern, ohne Stroh zum Liegen und
brachte im Vergleich zu den früheren Vor-
men und zum Detailhandel profitieren
ohne Auslauf verboten werden sollte, ant-
schriften für Nutztiere Verbesserungen.
von den Tierschutzverbesserungen. Das
worteten 86 % mit Ja. 90 % der Befrag-
Damit gewährleistet die Schweiz prinzi-
Image der Bauern sowie die von ihnen
ten möchten eine Haltung verbieten, in
piell ein höheres Tierschutzniveau als dies
verkauften Schweizer Produkte tierischer
der das Milchvieh an 270 Tagen im Jahr
etwa im EU-Raum der Fall ist. Allerdings
Herkunft gewannen stark in der Gunst der
im Stall angebunden ist. 89 % sprachen
gilt es zu berücksichtigen, dass die Vor-
Konsumenten und Steuerzahler, und das
sich für ein Verbot des elektrischen Kuh-
schriften inklusive Mindestmasse etwa
Qualitätsargument «Tierwohl» war und ist
trainers in Milchviehanbindeställen aus.
für den Platzbedarf keine optimale tier-
mitbestimmend für die Preisakzeptanz der
freundliche Haltung garantieren, sondern
teureren Schweizer Produkte im Laden.
nur die Grenze zur amtlich verfolgten und bestraften Tierquälerei festlegen.
Tatsache ist aber: Die erwähnten, von der Bevölkerung stark abgelehnten Hal-
Ein Grossteil der Menschen glaubt
tungsformen sind in der Schweiz legal.
mittlerweile irrtümlicherweise, dass La-
Noch immer müssen Millionen Nutztiere
Wesentlich mehr für das Tierwohl als
beltierhaltungen Standard seien in der
in der Schweiz ohne regelmässigen Aus-
die von Bauern und Tierschützern stets
Schweiz und dass Kuhtrainer, dauernde
lauf ins Freie oder tierfreundliche Stallun-
hart umkämpften Vorschriften der Tier-
Anbindehaltung von Kühen oder das Ein-
gen auskommen!
schutzgesetzgebung brachten im Rück-
sperren von Mastschweinen und -rindern
blick die Kombination der Labelpro-
in engen Buchten, ohne Stroh zum Lie-
gramme und der spezifischen Direktzah-
gen und ohne Auslauf ins Freie, längst
lungen zur Förderung von besonders tier-
verboten seien. Eine Umfrage des STS aus
freundlichen Haltungsformen. Die Tier-
dem Jahr 2008 zeigt, dass über 90 % der
Kälber
wohlverbesserungen, insbesondere die
Befragten finden, dass es verboten sein
Tatsache, dass heute Kühe, Schweine und
sollte, 100 Kilogramm schwere Mast-
Kein Auslauf und praktisch keine Weide: Der Grossteil der Kälber – in der
Hühner wieder vermehrt ins Freie dür-
schweine auf einer Fläche von weniger
Mast gar 9 von 10 Tieren – erhält keinen
fen, was bis Ende der 1980er-Jahre noch
als einem Quadratmeter, ohne Stroh zum
Auslauf ins Freie, obwohl freie Bewegung,
völlig undenkbar war, gehen klar auf das
Liegen und ohne Auslauf zu halten. Bei
frische Luft und Sonne gerade Jungtie-
Konto des Marktes und der erwähnten ag-
der Frage, ob in der Rindermast die Hal-
ren gut tun, und Kälber mit Auslauf ins
rarpolitischen Massnahme.
tung von 500 Kilogramm schweren Tieren
Freie erwiesenermassen gesünder sind
8.2 Tierschutzprobleme Rindergattung
39
und weniger mediziniert werden müssen.
Mutterlose Aufzucht: Seit über hundert
Problematischer Handelszeitpunkt:
Mit Ausnahme bei der Mutterkuhhaltung
Jahren und überall, wo professionell Rin-
Händler kaufen für die Mast bestimmte
ist die für Rinder natürlichste Haltung,
der gezüchtet werden – ob in der Schweiz,
Kälber zu einem Zeitpunkt auf, wo im
die Weidehaltung, bei Kälbern praktisch
der EU, in Nord- und Südamerika oder
Kalb der mit der Muttermilch aufgenom-
überhaupt nicht mehr anzutreffen.
Asien (Ausnahme: Mutterkuhhaltung) –,
mene Schutz gegen Erkrankungen am
werden Kälber den Müttern nach der Ge-
Versiegen, das eigene Immunsystem aber
Kein Sozialkontakt: Die Einzelhaltung
burt weggenommen. Das natürliche Mut-
noch unterentwickelt ist («Immunloch»).
von Kälbern in engen Iglus auf knapp
ter-Kind-Verhältnis wird vollständig un-
Dies trägt nebst der grossen Durchmi-
3 Quadratmeter Fläche ist als Ausnahme
terbunden. Dies zu einem Zeitpunkt, wo
schung aus verschiedensten Herkunfts-
zur ansonsten geforderten Gruppenhal-
die individuelle Bindung von Kuh und
betrieben, der teilweise beengten Haltung
tung legal. Sie bringt den Kälbern im
Kalb noch relativ schwach ist, da beide
ohne Auslauf ins Freie und der vorkom-
Vergleich zur dauernden Stallhaltung ge-
für ein zweifelsfreies geruchliches, opti-
menden Fehlernährung mit dazu bei, dass
sundheitliche Vorteile mit frischer Luft,
sches und stimmliches Erkennen des an-
in der Kälbermast überproportional häu-
Sonne und weniger Staub-, Schadgas-
deren mehrere Tage benötigen. Wird das
fig Antibiotika eingesetzt werden muss.
und Keimgehalt der Luft. Allerdings wer-
Kalb der Mutter erst nach einer Woche
den das angeborene Sozial- und Bewe-
weggenommen, zeigen beide Tiere denn
Tötung nach der Geburt: Die für die
gungsverhalten verunmöglicht. Ein er-
auch viel stärkere Trennungssymptome
Weiterzucht ungeeigneten Kälber aus ex-
heblicher Teil der Aufzuchtkälber in der
wie Unruhe, Suchen oder Rufen.
tremer Milchleistungszucht sind für die
Schweiz lebt in dieser tierschutzwidrigen
Grossvieh- und selbst für die Kälbermast
Fehlernährung bei der Mast: Zwar
zunehmend ungeeignet, da sie viel we-
schob die Tierschutzgesetzgebung der
niger Fleisch ansetzen. Es ist nur eine
Weder Spielen noch Springen: Die
weissen
schon
Frage der Zeit, bis auch in der Schweiz
grundsätzlich tiergerechte Gruppenhal-
1981 mit der Forderung nach Raufutter
ein Teil der Nachkommen von Hochleis-
tung von Kälbern bietet den bis zu 160 Ki-
und genügend Eisen sowie dem Verbot
tungsmilchkühen, insbesondere männli-
logramm schweren Kälbern lediglich eine
von anämisch/krank machenden Futter-
che Tiere, gleich nach der Geburt getö-
äusserst knapp bemessene Fläche von 1,5
rationen theoretisch einen Riegel. Doch
tet werden. So, wie dies bereits in Neu-
Quadratmeter je Tier an. Die spiel- und
noch immer werden Kälber für möglichst
seeland und teilweise in Irland und Ita-
bewegungsfreudigen Jungtiere wachsen
helles Fleisch fehlernährt, mit negativen
lien geschieht, und bei einer anderen Tier-
platzmässig extrem beschränkt auf.
Folgen für die Tiergesundheit.
art, nämlich den männlichen Küken der
Haltungsform.
Kalbfleischerzeugung
Hochleistungslegehühner, seit Jahrzehnten weltweit Usus ist.
Aufzucht- und Mastvieh Mangelnde Liegequalität: Anstelle von Einstreu, Sand oder anderen geeigneten Liegematerialien sind auch harte Gummimatten zulässig, welche den Ansprüchen von Rindern an einen Liegeplatz nicht entsprechen, rasch verschmutzen und glitschig werden. In Wahlversuchen werden diese von den Tieren denn auch gemieden und es wird stets die Einstreu vorgezogen.
Kaum freie Bewegung: Für die bis zu 500 Kilogramm schweren Tiere sind lediglich 3 Quadratmeter Fläche vorgeschrieben, das heisst in einem durchschnittlichen Wohnzimmer könnte man
Kaum verbreitet: Das Weiden von Kälbern
40
8 bis 10 Mastmunis halten! Dieser Platz reicht nur gerade zum Liegen, nicht aber für das artgemässe Fortbewegungsver-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
halten. In der drangvollen Enge stören sich die Jungtiere immer wieder, jagen liegende auf und verdrängen rangniederere unsanft. Ein weiterer Teil der Mastund vor allem der Aufzuchtrinder muss in Anbindehaltung leben. Diese Tiere dürfen an 275 Tagen im Jahr permanent an der Krippe fixiert werden und müssen an den übrigen 90 Tagen lediglich für zwei bis drei Stunden etwas freie Bewegung erhalten. Diesen Jungtieren wird nicht nur die freie Bewegung, sondern auch das natürliche Sozial- und Körperpflegeverhalten weitgehend vorenthalten.
Fehlen von Auslauf und Weide: Während rund drei Viertel der Aufzuchtrinder in den Genuss von Auslauf und Weide kommen, hat etwa die Hälfte des Mastviehs keinen Auslauf ins Freie und muss bis zur Schlachtung in beengten, kahlen Stallbuchten verbringen.
Nur bei einem Neubau eines Stalles verboten: der tierquälerische Kuhtrainer
Kühe
Kaum Bewegung: 65 % der Milchkühe
einen Schritt zurückzutreten, sodass das
Eingeschränktes Sozialverhalten: Die
leben in Anbindeställen, wo die Bewe-
Lager weniger verschmutzt. Das sowieso
seit anfangs der 1980er-Jahre auch in der
gung per se eingeschränkt ist. Rund
schon beengte Leben angebundener Kühe
Schweiz betriebene Mutterkuhhaltung –
120 000 von ihnen erhalten keinen regel-
wird dadurch zusätzlich eingeschränkt
heute rund 90 000 Tiere – kommt dem
mässigen Auslauf ins Freie. Sie werden
und die Fruchtbarkeit der Tiere leidet.
Rindersozialverhalten weitgehend ent-
an 275 Tagen im Jahr permanent an der
gegen. Demgegenüber müssen die rund
Krippe fixiert und müssen an den übri-
Enthornen: Bei den allermeisten in der
600 000 Milchkühe hier teilweise erheb-
gen 90 Tagen lediglich für zwei bis drei
Schweiz gehaltenen Tieren der Milch-
liche Abstriche in Kauf nehmen. Einer-
Stunden etwas freie Bewegung erhalten.
viehrinderrassen (Braun- und Fleckvieh)
seits, weil sich 2 von 3 Kühen nicht frei
Diesen Kühen wird nicht nur die freie Be-
wachsen natürlicherweise Hörner, ebenso
in einer Herde bewegen können, sondern
wegung, sondern auch das natürliche So-
wie bei den meisten einheimischen Milch-
angebunden gehalten werden, oft noch
zial- und Körperpflegeverhalten weitge-
ziegenrassen. Genetisch hornlose Rassen
unter dem elektrischen Kuhtrainer. An-
hend vorenthalten. Ihr hauptsächlicher
und Herden sind in der Fleischrindermut-
dererseits, weil die Kinderaufzucht, das
Lebensraum umfasst eine Fläche von nur
terkuhhaltung von Bedeutung und im
Kuh-Kalb-Verhältnis, wegfällt und die Se-
gerade 110 mal 185 Zentimetern.
Vormarsch. Heute dürften über 90 % der
lektion unter den Kühen durch den Men-
Rinder bereits als Kälber enthornt wer-
schen hoch ist. Aufgrund mangelnder
Kuhtrainer:
schätzungsweise
den. Die gesetzliche Pflicht zur Schmer-
Leistung und Krankheiten verlassen viele
300 000 Kühe sind diesem «Quälinst-
zausschaltung beim Enthornen ist zwin-
Tiere frühzeitig die Herde, sodass Kuh-
rument» ausgeliefert, obwohl eine Stu-
gend, ebenso das Verbot gewisser Enthor-
freundschaften, die unter natürlichen Be-
die des Bundesamtes für Veterinärwe-
nungspraktiken. Die Hörner spielen bei
dingungen oft ein Leben lang halten und
sen schon vor über fünfzehn Jahren
der Kommunikation, der Festlegung der
vornehmlich zwischen Müttern und Töch-
zum Schluss kam, dass es nicht mit den
Rangordnung und der Körperpflege eine
tern bestehen, immer wieder getrennt
Grundsätzen der Tierschutzgesetzgebung
wichtige Rolle bei Rind und Ziege. Das
werden. Zudem neigt die Altersstruktur
zu vereinbaren und demnach Tierquälerei
Enthornen stellt eine Anpassung an den
zu immer jüngeren Herden, weil die heu-
sei. Doch noch immer ist der Einsatz legal.
Menschen (Unfallgefahr) oder ans Hal-
tigen Hochleistungskühe rasch «ausbren-
Lediglich der Einbau in einen neuen Stall
tungssystem dar.
nen» und in der Schweiz im Durchschnitt
ist verboten. Der Kuhtrainer ist ein elekt-
kaum noch drei Jahre Milch geben.
rischer Draht über dem Rücken der Tiere,
Noch
der diese beim Koten oder Harnen zwingt,
41
Weniger Laktationen: Aufgrund strenger Selektion auf immer höhere Milchleistungen sowie des Auftretens von leistungs-, haltungs- und fütterungsbedingten Krankheiten sinkt die Anzahl Laktationen je Kuh ständig. Eine durchschnittliche Braunviehkuh (Fleckvieh/Holstein) wird nur noch 6,7 (6,2/6,3) Jahre alt und bringt 4,1 (3,8/3,3) Laktationen, mit einer Lebensleistung von 27 100 Kilogramm (26 000 kg/26 400 kg) (2008). Zum Vergleich: Vor fünfzig Jahren wurden Kühe im Durchschnitt für 6 Laktationen genutzt, brachten also 6 Kälber zur Welt und konnten 6 Jahre gemolken werden. Auch heute noch gibt es hie und da Tiere, die zeigen, welches Lebensleistungspotenzial in Kühen steckt. So etwa die Kuh «Morchel» der Familie Studach in Mörschwil, die 2011 im 21. Dienstjahr stand und 184 000 Kilogramm Milch erzeugt
Irrwege der Hochleistungszucht
hat, oder die 1990 geborene «Jerry Adoravon» der Familie Eicher in Engelburg, die bis 2011 rekordverdächtige 168 000 Kilo-
Hohe Milchleistung und artwidrige Ernährung: Durch die Optimierung der Füt-
und die Landwirte erhebliche finanzielle Investitionen in deren Vergrösserung täti-
Die hauptsächlichen Abgangsursa-
terung sowie die jahrzehntelange Einkreu-
gen müssen. Infolge der riesigen Euter
chen bei Kühen (Braunvieh, 2008) sind
zung mit Milchrassen steigt die durch-
können sich solche Kühe kaum mehr art-
mit 27 % mangelnde Fruchtbarkeit, mit
schnittliche Milchleistung von Jahr zu
gemäss fortbewegen. Da die Milchproduk-
21 % Euterkrankheiten, mit 17 % Klauen-/
Jahr. Während heute ein Zweinutzungs-
tion selbst bei bestem Grundfutter (Heu,
Gliedmassenkrankheiten, mit 12 % unge-
rind, etwa das Original Schweizer Braun-
Gras, Silage) nicht mehr als 6000 bis 7000
nügende Leistung, mit 6 % Unfälle, mit 5
vieh, im Durchschnitt 6000 Kilogramm
Kilogramm pro Jahr hergibt, benötigen
% Stoffwechselerkrankungen und mit 5
Milch pro Jahr (Laktation) erzeugt, weisen
Hochleistungskühe
hohe
% Abkalbeprobleme (andere Ursachen: 7
die milchbetonten Linien des stark einge-
Kraftfuttergaben. Im Durchschnitt erhal-
%). Im Nachbarland Deutschland liegt die
kreuzten Brown-Swissviehs im Durch-
ten Schweizer Kühe 650 Kilogramm Kraft-
durchschnittliche Laktationsrate bereits
schnitt 7000 Kilogramm auf. Am extrems-
futter. Das Rind, ein ideales Weidetier und
bei nur mehr 2,5 und in den USA bei un-
ten verlief die Milchleistungssteigerung
ein optimaler Grasverwerter, wird fütte-
ter 2 Laktationen. Dieser durch mangelnde
beim Holsteinvieh: von 6400 über 7400 Ki-
rungsmässig zur Sau gemacht. Selbst dem
Tiergesundheit bedingte Abwärtstrend bei
logramm im Jahr 1991 beziehungsweise
Bundesrat ist diese Entwicklung mittler-
der Nutzungsdauer von Kühen drückt auf
2001 auf 8400 Kilogramm je Laktation
weile nicht mehr ganz geheuer. So schreibt
Kosten und Ertrag der Milcherzeugung.
2010; Spitzentiere erreichen in der Schweiz
er in der Botschaft zur Agrarpolitik 2014–
Mit der einseitigen Hochleistungszucht hat
gar über 12 000 Kilogramm. Fütterung und
2017: «Der Trend bei der Wiederkäuerfüt-
sich auch eine Art «Wegwerfmentalität»
Haltung solcher Hochleistungstiere sind
terung geht in Richtung eines verstärkten
breitgemacht. Jedes Jahr müssen wegen
äussert diffizil und stellen höchste Ansprü-
Kraftfuttereinsatzes. Dadurch droht ein
der sinkenden Nutzungsdauer mehr junge
che an Mensch, Stall und Fütterung. Wer-
strategischer
Kühe aufgezogen und ältere geschlachtet
den diese nicht erfüllt, treten rasch und ge-
Schweizer Milch- und Fleischproduktion
häuft leistungsbedingte Krankheiten auf
langfristig verloren zu gehen. Wie der Sys-
wie Euterentzündungen, Stoffwechseler-
temvergleich Hohenrain zeigt, schneidet
Kuhausstellungen und -styling: Diese
krankungen, Lahmheit und Verhaltenspro-
die Milchproduktion mit geringem Kraft-
traditionellen Anlässe sind aus der Züch-
bleme. Mit steigender Milchleistung wer-
futtereinsatz und hohem Weideanteil bei
terszene nicht mehr wegzudenken und ein
den die Kühe auch grösser. Dies hat zur
den meisten ökologischen Indikatoren je
beliebtes Schaufenster der Tierzucht. Da-
Folge, dass die Lagermasse in Anbinde-
Kilogramm Milch besser ab als die kraft-
ran ist aus Tierschutzsicht nichts auszu-
und Freilaufställen heute oft zu klein sind,
futterintensive Stallhaltung.»
setzen. Gewisse Exzesse wie ein zuneh-
42
anteilmässig
Wettbewerbsvorteil
der
gramm Milch erzeugte.
werden.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
mend gekünsteltes Styling oder das Versiegeln des Zitzenkanals sowie das (illegale) Verabreichen von Schmerzmitteln hingegen sind äusserst fragwürdige Begleiterscheinungen.
8.3 Tierschutzprobleme Schweinegattung Abgesetzte Ferkel Frühes Absetzen: In der freien Natur bleiben Sau und Ferkel monatelang zusammen, wobei die Bindung immer loser wird, bis die Mutter kurz vor der Geburt des nächsten Wurfs von ihren Kindern nichts mehr wissen will. In der Schweinehaltung wird die Trennung aus wirtschaftlichen Gründen künstlich und abrupt durch den Menschen vollzogen; in der Schweiz zumeist, wenn die Ferkel fünf Wochen alt sind, im Ausland teilweise bereits mit zwei bis drei Wochen. Das natürliche Mutter-
Die Ferkel werden bereits mit fünf Wochen von der Mutter getrennt
Kind-Verhältnis wird dadurch teilweise unterbunden. Je früher Ferkel entwöhnt
Muttersauen
Platz für freie Bewegung und der Auslauf
werden, desto aufwändiger ist ihre Auf-
Verschiedenartige Temperaturansprüche und mangelnder Auslauf:
ins Freie fehlt vollständig. Die Sauen kön-
zucht. Haltungs- und Fütterungsfehler können sich rasch negativ auf Gesundheit
Während es neugeborene Ferkel gerne
voneinander – etwa bei Rangkämpfen –
und Wohlbefinden auswirken.
warm und behaglich haben, leiden säu-
zurückziehen. Schätzungsweise 20 % der
gende Sauen bei höheren Temperaturen,
tragenden Sauen werden heute noch der-
Fehlender Auslauf: Nur eines von zwan-
denn sie erzeugen wegen der Milchpro-
art minimalistisch gehalten.
zig abgesetzten Ferkeln hat Auslaufmög-
duktion erhebliche zusätzliche Körper-
lichkeit, obwohl freie Bewegung, frische
wärme. So unterscheiden sich die Wär-
Kastenstandhaltung für leere Sauen:
Luft und Sonne gerade Jungtieren gut tun.
meansprüche von Muttersau und deren
Diese Haltung ist zwar nur kurze Zeit bis
Babys um fast 15 Grad. Trotzdem müs-
zur erneuten Belegung der Sauen zuläs-
Ungenügende Bewegung und Beschäftigung: Auf einem Quadratme-
sen sie im gleichen Stall leben. Um bei-
sig. Das Tierverhalten wird in dieser Zeit
den gerecht zu werden und gleichermas-
jedoch bis auf Fressen, Liegen und Stehen
ter dürfen drei Ferkel gehalten werden,
sen Hitze- und Kältestress zu vermeiden,
völlig unterbunden. Als Alternative bietet
und ein ständiges Angebot von Einstreu
bieten sich gewärmte Ferkelnester und
sich die Einzelhaltung in einer Bucht oder
zum Liegen oder Wühlen, Bearbeiten und
für die Sau Auslauf ins Freie an. Damit
die Gruppenhaltung an.
Kauen ist nicht Pflicht. Über ein Drittel
bliebe zudem die Säugebucht sauberer,
der Ferkel wird noch immer derart rest-
da Schweine ihre Kotplätze bevorzugt im
Zu wenig Auslauf und kaum Weide: Ein
riktiv gehalten. Diese massive Einschrän-
Freien anlegen. Allerdings erhalten heute
Drittel der tragenden Sauen wird ständig
kung des Bewegungs- und Beschäfti-
nur 6 % der säugenden Sauen Auslauf-
im Stall gehalten und hat keine Auslauf-
gungsverhaltens kann zu Verhaltensstö-
möglichkeit.
möglichkeit. Praktisch ganz verschwun-
rungen und Verletzungen führen.
nen einander nicht ausweichen oder sich
den ist die Schweineweide, obwohl sie dem Wesen der Sauen optimal entspräche.
Kälteschutz beim Liegen: Im Winter
Tierschutzwidrige Fressliegeboxen für tragende Sauen: Der Liegeplatz einer
können abgesetzte Ferkel beim Ruhen in
solchen Box, der gleichzeitig auch Fress-
Zudem ist die freie Bewegung von grosser
nicht wärmegedämmten Ställen frieren,
platz ist, kann nur unzureichend einge-
Wichtigkeit für die Kondition und damit
was sich an der Haufenlagerung der Tiere
streut werden und zwingt jede Sau in eine
die Gesundheit der durch die regelmässi-
zeigt. Deshalb benötigen sie ein gut ein-
bestimmte, eingeengte Lage beim Liegen.
gen Geburten samt grosser Würfe extrem
gestreutes, geschütztes Ferkelnest.
Der dahinterliegende Raum bietet wenig
geforderten Muttersauen.
Diese können junges Gras gut verwerten.
43
Fehlende verhaltensgerechte Einrichtungen: Da Schweine nicht schwit-
eine Zitzenordnung festlegen und jedem
Übermässiger Transport: Hielt ein
Ferkel eine Zitze «gehört». Durch die Zucht
Bauer früher Muttersauen und mästete
zen können, leiden sie bei hochsommer-
auf derart grosse Würfe gibt es mehr Küm-
deren Junge, hat sich die Branche seit
lichen Temperaturen. Die Tierschutzge-
merer unter den Ferkeln, und der Züchter
über dreissig Jahren konsequent speziali-
setzgebung fordert Abkühlmöglichkeiten.
muss mit erheblichem Mehraufwand Am-
siert in Züchter, welche mit Muttersauen
Gut können sich Schweine mittels Suhlen
men suchen für die überzähligen Ferkel
Ferkel erzeugen und in Mäster, welche
in der Freilandhaltung oder Duschen im
oder sie vollkommen künstlich und mut-
diese Ferkel kaufen und mästen. Seit rund
Auslauf kühlen. Sie lernen rasch, mit der
terlos aufziehen. Heute gebären Sauen
zehn Jahren gibt es ein noch spezialisier-
Schnauze den Druckknopf zum Auslösen
zwar zwei Ferkel mehr als noch vor 25
teres Verfahren, die sogenannte «arbeits-
eines kurzen Duschregens zu betätigen.
Jahren. Aber bereits nach vier Wochen hat
teilige Ferkelproduktion», wobei der Be-
Da erwachsene Schweine wenig bieg-
sich dieser Vorsprung auf ein Ferkel redu-
reich der Schweinezucht weiter unterteilt
sam sind, benötigen sie zur Körperpflege
ziert. Das bedeutet, dass gleichzeitig auch
wird: ein Bauer betreibt das Abferkelge-
und zum Kratzen von Rücken, Flanke und
immer mehr Schweinebabys Kümmerlinge
schäft, ein anderer sorgt für das Belegen
Hinterteil Scheuermöglichkeiten. Aus-
sind und sterben. Die Muttersauen werden
der Sauen mittels Eber oder künstlicher
ser in der Freilandhaltung wird eines der
durch die vielen säugenden Ferkel stark
Befruchtung, ein dritter hält die tragen-
zentralsten Verhaltensbedürfnisse von
beansprucht, es ist fast nicht mehr mög-
den Sauen und ein vierter zieht abgesetzte
Schweinen, das Wühlen, in praktisch al-
lich, sie leistungsgerecht zu füttern. Nach
Ferkel auf. Das hat zur Folge, dass Mut-
len Haltungen grösstenteils verunmög-
dem Absetzen der Ferkel werden sie gleich
tersauen und Ferkel sehr viel häufiger he-
licht. Das Anlegen eines Wühlareals hilft
wieder trächtig gemacht, sodass ihr Kör-
rumtransportiert werden. Problematisch
dem ab.
per permanent eine Riesenfortpflanzungs-
aus Tierschutzsicht ist dabei insbeson-
leistung erbringen muss. Den Tribut dafür
dere der routinemässige Transport hoch-
Grosse Würfe und kurze Nutzungsdauer wegen extremer Leistungszucht: Durch die Anpaarung mit super-
zahlen die Tiere: Meist werden die Mutter-
tragender Sauen.
fruchtbaren Sauen gebären Sauen immer
geliefert, im eigentlich für Schweine noch
Mangelnde Liegequalität: Anstelle von
mehr Ferkel pro Wurf, teilweise bereits
jungen Alter von knapp drei Jahren. Auf
Einstreu oder anderen geeigneten Liege-
mehr, als milchführende Zitzen vorhanden
diese Weise müssen pro Jahr wesentlich
materialien sind auch harte, perforierte
sind. Dabei hat es die Natur so eingerichtet,
mehr junge Muttersauen erzeugt und äl-
Betonböden zulässig. Diese entsprechen
dass die Ferkel schon kurz nach der Geburt
tere geschlachtet werden.
den Ansprüchen von Schweinen an ei-
sauen, völlig abgemagert und abgesaugt, bereits nach fünf Würfen zum Schlachten
Mastschweine
nen Liegeplatz – sie bauen sich mit Stroh Schlafnester – überhaupt nicht. Die Böden verschmutzen rasch, werden glitschig und führen bei den Schweinen vermehrt zu Druckstellen und Hautschürfungen. Rund 40 % der Masttiere wird heute ein schweinekonformer Liegeplatz vorenthalten.
Kaum freie Bewegung: Für die bis zu 105 Kilogramm schweren Mastschweine sind lediglich 0,9 Quadratmeter Fläche vorgeschrieben, das heisst auf der Fläche eines durchschnittlichen Autoparkplatzes liessen sich völlig legal 10 Schweine mästen. Dieser Platz reicht nur gerade zum Liegen, nicht aber für das artgemässe Fortbewegungsverhalten. Noch immer werden rund 40 % aller Schweine in derart beengten Platzverhältnissen gemästet.
Legale Spaltenbodenhaltung für Mastschweine, ohne Einstreu und ohne Auslauf ins Freie
44
Fehlen von Auslauf: 40 % der Mastschweine verlassen den Stall nur am Tag ihrer Schlachtung. Sie werden ansonsten
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
ohne Auslauf ins Freie, in beengten, kahlen Stallbuchten gehalten.
Kastration: Seit dem 1. Januar 2010 dürfen männliche Ferkel nur mehr unter Schmerzausschaltung kastriert werden. Das ist bislang weltweit einzigartig. Alllerdings zeigen Untersuchungen, dass gegen 10 % der Ferkel nicht korrekt betäubt werden, was den Forderungen der Tierschutzgesetzgebung widerspricht. Besser wäre es, Ferkel gar nicht zu kastrieren und Jungebermast zu betreiben.
Rasches Wachstum: Aus wirtschaftlichen Gründen, um billiger Schweinefleisch erzeugen zu können, wird auf immer rascher wachsende und Muskelfleisch ansetzende Tiere gezüchtet. Während der Mast nehmen Mastschweine mittlerweile täglich ein Kilogramm Gewicht zu. Es besteht die Gefahr, dass die Knochen, Ge-
Vorbildliche Hühnerwiese
lenke und Sehnen dadurch überbean-
8.4 Tierschutzprobleme Geflügel
sprucht werden, was sehr schmerzhaft ist
siko»). Das Tierwohl hängt mit von der
für die Tiere. Als Konsequenz bewegen sie
Grösse eines Tierbestandes ab. So nimmt
sich wenig und können eine tierfreundli-
bei Schweinen, aber auch bei allen an-
che Haltung mit Auslauf oder eine Frei-
deren Tierkategorien, der Betreuungs-
landhaltung kaum mehr richtig nutzen.
aufwand je Tier mit zunehmender Grösse
Zuchthühner, Elterntierhaltung
Bei der Anpaarung mit sehr rasch wach-
rapid ab. Damit schneiden sich die Bau-
Wenig Auslauf ins Freie: Die Eltern der
senden ausländischen Zuchtlinien zeigen
ern meist ins eigene Fleisch, denn Pflege,
für die Eiererzeugung und Mast benötig-
sich auch bereits Fleischqualitätsmängel
Überwachung und Mensch-Tier-Bezie-
ten Hühner werden grösstenteils in ge-
im Schinken, die dem früheren PSE-Syn-
hung stellen nebst der Art der Tierhal-
schlossenen Ställen gehalten. Lediglich
drom (Fleisch ist pale, soft, exudative –
tung die wichtigsten Einflussfaktoren so-
ein Drittel der Hennen und Hähne hat die
blass, weich, wässrig) ähneln.
wohl auf das Tierwohl als auch auf die
Möglichkeit, ganzjährig in einem Aussen-
ökonomische Rentabilität dar. Da die Im-
klimabereich (Wintergarten) zu frischer
Grenze bei Stallgrösse erreicht: Der
missionen und der Geruch mit steigender
Luft und Sonnenlicht zu gelangen. 83 %
Bund lässt heute den Bau von Mast-
Tierzahl immer grösser werden, tendieren
der Elterntiere dürfen nie auf eine Weide.
schweineställen für bis zu 1500 Tiere
Grossbetriebe zur widernatürlichen Hal-
zu, mit Ausnahmebewilligung sogar für
tung in geschlossenen Stallhüllen, ohne
noch mehr Tiere. Wissenschaftliche Un-
Auslauf ins Freie.
Coupieren von Sporen und Zehen bei männlichen Elterntieren: Diese Ein-
tersuchungen zeigen, dass Grossbetriebe
griffe sind legal und werden unter ande-
mit 2000 und mehr Schweinen vermehrt
rem zum Schutz der Hennen bei der Be-
Gesundheitsprobleme aufweisen. Kommt
gattung gemacht. Allerdings stellt diese
es zu einem Seuchenfall, müssen extrem
Massnahme eine fragwürdige Anpas-
viele Tiere gekeult werden («Klumpenri-
sung des Tiers an die menschengemachten Haltungsbedingungen dar, beispiels-
Resultate Mastleistungsprüfungsanstalt Sempach
weise an den üblichen, relativ hohen An-
Jahr 1980 2010
den, oder bei Mastelternhähnen von Tru-
Masttageszunahmen 800 g 930 g
Anteil wertvolle Fleischstücke 52 % 57 %
Futterverwertung* 3,0 2,5
teil männlicher Hähne in Elterntierherten und Hühnern an das zuchtbedingte hohe Gewicht.
* kg Futter je kg Zuwachs
45
an. Ein Männchen der heutigen Legehybriden müsste mehr als dreimal länger, nämlich 18 Wochen, gemästet werden, um das Schlachtgewicht von Masthybriden zu erreichen. Sie würden dazu gar fünfmal mehr Futter benötigen, wie eine aktuelle deutsche Studie zeigt. Damit ist die Ausmast von auf hohe Legeleistung gezüchteten Hühnern unrentabel und betreffend Futterverwertung ineffizient. Aus diesem Grund werden in der Schweiz und weltweit die männlichen Küken von Legelinien gleich nach dem Schlupf aussortiert und getötet. Eventuell ist es schon bald möglich, Geschlechtsbestimmung im Ei durchzuführen. So müssten Eier, aus denen männliche Küken schlüpfen würden, nicht mehr bebrütet werden und man könnte auf das perverse Eintagsküken-Töten verzichten.
Ein Legehuhn (links) und ein Masthuhn (rechts), jeweils im Alter von 29 Tagen
Kaum Auslauf ins Freie: Die allermeisten der während rund vier Monaten vom Eintagsküken zur legebereiten Hennen aufge-
Schnabeltouchieren von Legeküken:
haltung geeignete Linien stellen im Porte-
zogenen Junghennen, nämlich 80 %, ha-
Im Unterschied zum Schnabelcoupieren,
feuille dieser Konzerne ein Nischenpro-
ben keinerlei Zugang zu einer Weide. Da-
wo erhebliche Teile des Schnabels wegge-
dukt dar, sodass die Beschaffung für ver-
bei wäre viel Bewegung im Freien gesund-
kürzt werden, soll beim Touchieren ledig-
antwortungsbewusste Schweizer Vermeh-
heitsfördernd und würde die Kondition der
lich die vorderste Schnabelspitze im nicht
rer ein Problem darstellen kann. Männli-
Jungtiere verbessern.
innervierten Bereich entfernt werden. Al-
che Turbotruten nehmen um 150 Gramm
lerdings sind die Unterschiede je nach Ar-
pro Tag zu und wachsen damit doppelt
Legehennen
beitsqualität der durchführenden Fachper-
so schnell wie Rassetruten. Turbopoulets
Alle Legehennen verfügen in der Schweiz
son fliessend. Wird der Hühnerschnabel im
nehmen täglich 50 Gramm zu und wach-
über erhöhte Plätze zum Ruhen, geschützte
innervierten Bereich coupiert, ist dies nicht
sen damit gar viermal schneller als Jung-
Nester zum Eierlegen und Einstreu zum Pi-
nur beim Eingriff selbst schmerzhaft. Viel-
hennen. Turbotruten und -poulets müssen
cken, Scharren und Staubbaden. Fast 90 %
mehr muss ein Huhn dann ein Leben lang
jung geschlachtet werden. Würde man sie
haben ständigen Zugang zu einem Aus-
sogenannte Phantomschmerzen ertragen,
weiter wachsen lassen, könnten sie sich
senklimabereich, und 70 % zu einer Weide.
vergleichbar Menschen mit amputierten
wegen des enormen Körpergewichts und
Die Legehennenhaltung in der Schweiz
Gliedern.
der Schmerzen beim Gehen kaum mehr
kommt international gesehen den Bedürf-
bewegen, und die Todesrate würde auf
nissen der Tiere mit Abstand am nächs-
bis zu 30 % steigen, wie Untersuchungen
ten. Aber auch im Vergleich zum Haltungs-
drastisch zeigen!
standard etwa von Tieren der Rinder- und
Importierte Tierschutz- und Gesundheitsprobleme: Die Zucht von Poulets
Schweinegattung in der Schweiz hat sie
liegt weltweit in den Händen von nur mehr zwei, diejenige von Legehennen von drei
Brut und Junghennen
international tätigen Zuchtkonzernen. Die
Töten der männlichen Legeküken:
Schweiz betreibt seit vielen Jahrzehnten
Wurden noch bis vor sechzig Jahren weib-
Staub und Schadstoffe: Verschiedene
keine eigenständige Wirtschaftsgeflügel-
liche Hühner zum Eierlegen und die Hähn-
Management- und Haltungsaspekte, etwa
zucht, sondern vermehrt lediglich mit den
chen zur Mast gehalten, also eine Art
hohe Besatzdichten, die Einstreu oder un-
importierten Hochzuchttieren. Die meisten
«Zweinutzung» betrieben, änderte sich die
genügende Entmistungs- und Lüftungssys-
dieser Linien sind auf möglichst hohe Leis-
Situation mit dem Aufkommen von spezi-
teme, führen zu teilweise hohen Staub- und
tungen gezüchtet – Gesundheit, Verhalten
alisierten Mastlinien, wo Männchen und
Schadstoffgehalten in der Stallluft. Diese be-
und das Wohl der Tiere spielen dabei kaum
Weibchen gemästet werden. Diese setzen
lasten die Hühner und führen etwa zu Atem-
eine Rolle. Für eine artgerechte Freiland-
viel rascher und viel mehr Muskelfleisch
wegserkrankungen bei Mensch und Tier.
46
ein recht hohes Niveau erreicht.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Nestqualität ungenügend: Hühner ziehen zur Eiablage eingestreute Nester, zum Beispiel Kornspreuer, allen anderen Nesttypen klar vor. Denn nur mit und in manipulierbarem Nestmaterial können sie ihr angeborenes Nest- und Eiablageverhalten ungehindert durchführen. Über 95 % aller Nester entsprechen indessen nicht diesen Vorgaben, sondern enthalten Plastikschalen oder Kunstrasen.
Beleuchtung: Die meisten Vögel, darunter auch Hühner und Truten, schauen die Welt wesentlich anders an als wir Menschen. Sie vermögen UV-Licht und das Flimmern (mit einer Frequenz von 100 Hertz) von Leuchtstoffröhren zu sehen. Letzteres empfinden sie als ständigen blitzschnellen Hell-Dunkel-Wechsel, was zu Nervosität und Verhaltensstörungen führen kann. Natürliches, ungefiltertes Tageslicht ist auch für Hühner das beste, doch
Leben mit künstlicher Beleuchtung. Dies fördert nervöses Verhalten
noch viele Ställe sind ungenügend mit Sonnenlicht versorgt.
sere Einheiten würden dazu führen, dass
längere Mastdauer auf, sodass die Erzeu-
die Böden um den Stall übermässig belas-
gungskosten und der Ladenpreis wesent-
Kurze Nutzung: Nach nur knapp 14 Mo-
tet würden mit Exkrementen, die Weide
lich höher zu stehen kommen. Besser sieht
naten Nutzung und rund 350 gelegten Ei-
überbevölkert und übernutzt würde und
die Situation bei Truten aus. Hier verfü-
ern – also im noch jungen Alter von 1,5
zunehmend Tiere im Stall blieben. Eine
gen 95 % der Tiere über Weidezugang. Er-
Jahren – werden Legehennen heute ge-
solche «Freilandhaltung» wäre dann auch
freulicherweise hat sich hingegen der Aus-
schlachtet. Dies, obwohl sie nach einer
den Konsumenten gegenüber fragwürdig.
senklimabereich, der Wintergarten, sowohl bei den Legehennen als auch beim Mast-
mehrwöchigen jährlichen Legepause, die mit einem Gefiederwechsel verbunden ist,
Berufskrankheiten: Durch die Vorgabe,
geflügel durchgesetzt: 89 % der Masthüh-
jedes Jahr erneut legen würden, und zwar
dass Legehennen in dem einen Jahr der
ner und 95 % der Truten steht ständig ein
bis gegen etwa 1500 Eiern insgesamt. Von
Nutzung immer mehr und schwerere Eier
Aussenbereich zur Verfügung.
Jahr zu Jahr nimmt die Legeleistung al-
legen müssen, werden die Hennen zu ex-
lerdings um etwa 20 % ab, dafür werden
tremen Stoffwechselleistungen gezwun-
aber grössere Eier gelegt. Wegen der ext-
gen. Es treten spezifische Krankheiten der
rem kurzen Nutzung müssen pro Jahr we-
Hochleistungshenne auf wie Eileiterent-
Pouletmastversuche UFA-Bühl
sentlich mehr Junghennen erzeugt und Le-
zündungen und Osteomalazie (Knochen-
1965: 59 Tage Mastdauer bis Tier 1,6 kg
gehennen geschlachtet werden.
erweichung).
schwer ist; 26 g Zunahme je Tag; Futter-
Grenze bei Stallgrösse erreicht: Ställe
Masthühner und -truten
mit bis zu 18 000 Lege- oder Junghennen
Kaum Weide bei Masthühnern: Nur je-
sind in der Schweiz zulässig. Da sich Hüh-
des zehnte Masthuhn hat Zugang zu einer
2008: 38 Tage Mastdauer bis Tier 2,3 kg
ner selbst bei optimaler Gestaltung von
Weide. Der Grund dafür liegt in der Tat-
schwer ist; 60 g Zunahme je Tag; Futter-
Auslauf und Weide (insbesondere Schutz
sache, dass konventionelle Mastlinien we-
verwertung: 1,7 kg Futter für Zuwachs von
vor Raubvögeln), nie mehr als 100 bis 150
gen Überzüchtungserscheinungen Weiden
1 kg.
Meter vom Stall – respektive in der freien
kaum nutzen und deshalb für eine glaub-
Natur von ihrem Schlafbaum – entfernen,
würdige Freiland- respektive Weidehal-
Die heutigen Rassen benötigen also we-
stellt dieser Wert die oberste Grenze dar,
tung gar nicht brauchbar sind. Für die Frei-
sentlich weniger Futter in der Mast, aller-
bei der eine Freilandhaltung ethologisch
landhaltung geeignete, normalwachsende
dings sind die heutigen Futtermischungen
und ökologisch noch vertretbar ist. Grös-
Rassen weisen indessen eine rund 50 %
wesentlich hochwertiger.
verwertung: 2,3 kg Futter für Zuwachs von 1 kg
47
Wenig Platz: Pro Quadratmeter Stallflä-
überbeansprucht. Während Junghennen
flügelarten leben in Hobbyhaltungen. Das
che dürfen 30 Kilogramm Tiere (bei ei-
fliegen und problemlos einen bis andert-
Gros des in der Schweiz konsumierten En-
nem Endgewicht von durchschnittlich 1,8
halb Meter in die Höhe flattern können,
ten-, Gänse-, Perlhuhn-, Fasanen-, Wach-
kg entsprechend knapp 17 Tiere) gehal-
wird Mastgeflügel von Alterswoche zu
tel- und Taubenfleisches wird importiert,
ten werden. Da sich im Unterschied zur
Alterswoche immer träger und ruht zu-
zumeist aus tierschützerisch fragwürdi-
Legehennenhaltung konventionelle Mast-
meist nicht hühnerkonform am Boden.
gen Haltungen.
hühner tagsüber fast ausschliesslich am
Dies auch, weil jede Bewegung die über-
Boden aufhalten, besteht eine hohe Tier-
züchteten Tiere stark beansprucht, ja ih-
dichte.
nen sogar Schmerzen bereiteten kann. Weitere «Berufskrankheiten» von rasch-
8.5 Tierschutzprobleme Schafe, Ziegen und Kaninchen
Grenze bei Stallgrösse erreicht: Ställe
wüchsigen Mastgeflügellinien sind aku-
mit bis zu 18 000 Masthühnern sind in der
tes Kreislaufversagen, Ödemkrankheiten
Schafe
Schweiz zulässig. Da der Betreuungsauf-
und Leberverfettung. Im Gegensatz etwa
Die Schafhaltung wird in der Schweiz
wand je Tier mit zunehmender Grösse ra-
zu den normalwachsenden Freilandmast-
recht extensiv und mit fleissigem Wei-
pide abnimmt, stellt diese Grösse das ab-
hühnerlinien weisen Turbomasthühner
degang betrieben. Rund 80 % der auf
solute Maximum dar. Denn Pflege, Über-
eine fast doppelt so hohe Mortalität auf.
Bauernhöfen gehaltenen Schafe erhal-
wachung und Mensch-Tier-Beziehung
ten Weidegang. Zwei auch tierschütze-
Enten, Gänse, Perlhühner, Fasanen, Wachteln, Tauben
risch bedeutsame Eigenheiten charakteri-
wichtigsten Einflussfaktoren sowohl auf das Tierwohl als auch auf die ökonomi-
Die Tierschutzgesetzgebung regelt die
des Schafbestandes gehört nicht bäuerli-
sche Rentabilität dar.
Haltung dieser Tierarten in der Schweiz.
chen Tierhaltern, und über die Hälfte der
Allerdings existieren hier mit Ausnahme
Schafe wird im Sommer gealpt. In bei-
stellen nebst der Art der Tierhaltung die
»Berufskrankheiten»:
sieren die Schafhaltung: Rund ein Drittel
Mastgeflügel-
einiger weniger Wachtelzuchten, die we-
den Haltungen ist die behördliche Über-
linien werden auf rasches und starkes
sentlich strengere gesetzliche Vorgaben
wachung des Tierschutzes weniger kon-
Wachstum von Brust- und Schenkelmus-
erfüllen als ausländische Betriebe, wo
sequent als auf Bauernhöfen. Auf Alpen
kulatur gezüchtet. Die Muskelentwick-
beispielsweise die Käfighaltung noch zu-
sind die Tierschutzvorschriften, etwa be-
lung läuft der Skelettentwicklung förm-
lässig ist, kaum wirtschaftlich und auf
treffend Witterungsschutz, Wasserzugang
lich davon, Knochen und Sehnen werden
berufsmässiger Basis betriebene Geflü-
oder Tierüberwachung, zudem larger als
durch Gewicht und Kraft der Muskeln
gelhaltungen. Die allermeisten dieser Ge-
im Talgebiet.
Schwanzcoupieren
zulässig:
Vie-
len Schafen wird der Schwanz coupiert, um einem Verschmutzen der Hinterpartie vorzubeugen, etwa bei raschen Futterwechseln. Diese Massnahme ist zweifellos schmerzhaft. Zudem kann durch bessere Pflege und Fütterung die Verschmutzungsgefahr verringert werden.
Ziegen Grosse Verbreitung der restriktiven Anbindehaltung: Rund zwei Drittel der Ziegen dürfen nicht in Gruppen und in strukturierten Freilaufställen leben, wie es ihrer Natur entspräche, sondern sind einzeln angebunden. Darunter leidet das hoch entwickelte Sozialleben und das Bewegungsverhalten der neugierigen Ziegen, insbesondere in der Stallhaltungszeit
Ein Grossteil der Schafe erhält Weidegang
48
von Oktober bis April. Besser geht es den Ziegen in der Vegetationszeit: dann können drei Viertel auf die Weide.
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Enthornen: Die meisten einheimischen
Einsatz von Hilfsmitteln, etwa Zäume und
Zunahme Tiertransporte: Für viele Tiere
Milch-Ziegenrassen haben natürlicher-
Hilfszügel, können extremen Einfluss auf
haben die Transportwege im Vergleich zu
weise Hörner. Wie bei den Rindern wird
das Wohl und die Gesundheit von Pferden
früher streckenmässig zugenommen, denn
auch bei Ziegen zunehmend enthornt,
haben. Bis heute regelt die Tierschutzver-
das Schlachten wird in der Schweiz aus
unter Schmerzausschaltung und mit defi-
ordnung diesen tierschutzsensiblen Be-
wirtschaftlichen Gründen auf immer weni-
nierten Methoden. Die Hörner spielen bei
reich allerdings nicht.
ger und immer «leistungsstärkere» Gross-
der Kommunikation, der Festlegung der
betriebe konzentriert. Auch die fortschrei-
8.7 Tierschutzprobleme Transporte
tende Arbeitsteilung und Spezialisierung
wichtige Rolle bei Rind und Ziege. Das Enthornen stellt eine Anpassung an den
Die Schweiz verfügt über die strengste
und Transporte von Tieren an. So wer-
Menschen (Unfallgefahr) oder ans Hal-
Tiertransportgesetzgebung weltweit, mit
den heute die meisten zur Mast bestimm-
tungssystem dar.
einer Ausbildungspflicht für Transpor-
ten Tiere früh in ihrem Leben verkauft und
Rangordnung und der Körperpflege eine
in der Nutztierhaltung kurbeln Handel
teure, einer maximalen Transportdauer
aus den Geburts- in spezialisierte Mast-
Kaninchen
von sechs Stunden und konkreten Vorga-
betriebe verbracht. Legehennen werden in
Verbreitete Einzelhaltung und kaum Auslauf ins Freie: Der Grossteil an Ka-
ben zu Transportmitteln und zum Um-
ihrem Leben gar drei Mal transportiert: als
gang mit transportierten Tieren. Aus tier-
Eintagsküken von der Brüterei in den Auf-
ninchen wird in der Schweiz von Ras-
schützerischen Gründen ist der Transit
zuchtbetrieb, mit knapp vier Monaten auf
sezüchtern für das Schauwesen und in
von Schlachttieren aus dem EU-Raum
den Legebetrieb, und im Alter von rund
Privathaushalten als Kuscheltiere gehal-
durch die Schweiz verboten. In der
18 Monaten, nach der Produktion von 350
ten. Wie diese präferiert auch die Wirt-
Schweiz werden jährlich rund 3 Millionen
Eiern, in den Schlachthof.
schaftskaninchenzucht auf Bauernhöfen
Kälber, Kühe, Rinder, Schweine, Schafe
die noch immer legale Einzelhaltung von
und Ziegen sowie 45 Millionen Hühner
Transport hochträchtiger Tiere: Un-
Zibben. Erst 26 % der Kaninchen dürfen
zum Schlachthof gefahren. Werden noch
verständlicherweise lässt die Tierschutz-
ihrer Natur gemäss frei in Gruppen und in
die Zuchtvieh- und Jungtiertransporte
gesetzgebung den Transport solcher Tiere,
strukturierten Freilaufställen leben. Prak-
dazugerechnet, ergeben sich pro Jahr ge-
die sich in einer extrem belasteten Lebens-
tisch inexistent ist die Auslaufhaltung, in
gen 60 Millionen zu befördernder Nutz-
phase befinden, zu. Mit dem Aufkommen
deren Genuss nur knapp 2 % der Kanin-
tiere. Pro Arbeitstag kommen so auf un-
der arbeitsteiligen Ferkelproduktion hat
chen kommen. Allerdings ist zu sagen,
seren Strassen im Durchschnitt fast eine
insbesondere der Transport hochträchti-
dass die Erwerbskaninchen-Freilandhal-
Viertelmillion Tiere zusammen.
ger Muttersauen stark zugenommen.
tung teilweise mit Mortalitätsraten von 30 bis 40 % aufwartet, was hinter die Tierfreundlichkeit dieser Haltungsform ein grosses Fragezeichen setzt.
8.6 Tierschutzprobleme Pferde Verbreitete Einzelhaltung: Ein erheblicher Teil der Pferde wird ausserhalb der Landwirtschaft gehalten. Tendenziell dürfte es den auf Bauernhöfen gehaltenen Pferden besser gehen, da hier mehr Platz und insbesondere Weiden vorhanden sind. Während rund 80 % der in der Landwirtschaft gehaltenen Pferde erfreulicherweise über Auslauf und Weidegang verfügen, ist die Einzelhaltung von Stuten und Wallachen noch sehr verbreitet. Nur eines von acht erwachsenen Pferden darf artgemäss in Gruppen leben.
Umgang und Hilfsmittel: Die Art und Weise der Ausbildung und der Beanspruchung des Tieres beim Reiten wie auch der
Pferdeleben wie es sein soll: in einer Gruppe mit Weidegang und Auslauf
49
und Schlachtfrequenzen von 600–700 Schweinen pro Stunde die Tierzuführung mit Einzeltreibgängen nur mehr über den regelmässigen, tierschutzwidrigen Einsatz von für die Tiere sehr schmerzhaften Elektrotreibhilfen erfolgt. Nach der Gasoder Elektrobetäubung müssen die Tiere raschestmöglich gestochen werden, damit sie entbluten und sterben und nicht wieder aufwachen. Für die korrekte Ausführung des Stichs mit einem Hohlmesser bleiben den Arbeitern bei derart extremen Frequenzen indessen lediglich 6 Sekunden Zeit! So kommt es bei 1 % der Tiere dazu, dass es nicht richtig gestochen wird und bei vollem Bewusstsein in die Weiterverarbeitung (Brühanlage!) fährt. Ein Horrorszenario, von dem gemäss Experten bei etwa 250 Millionen geschlachteten
Schweine auf ihrer letzten Fahrt
Schweinen in der EU gegen 2,5 Millionen betroffen sein könnten.
Geflügelschlachtung: Die seit JahrTransport mit dreistöckigen Fahrzeugen: Mittlerweile fahren auch in der
schultes Personal einsetzen und besser
zehnten weltweit praktizierte Geflügel-
überwacht werden. Demgegenüber gibt
betäubung im mit Strom durchflossenen
Schweiz solche Fahrzeuge. Wegen der be-
es ein Mehr an Transporten, und je Zeit-
Wasserbad weist enorme Tierschutzpro-
schränkten Höhe bieten sie den Tieren viel
einheit müssen immer mehr Tiere ange-
bleme auf, beginnend beim Aufhängen
weniger Raum und erschweren das Lüften
liefert, abgeladen, in die Wartebuchten
der angelieferten Tiere an den Füssen,
sowie im Sommer die Kühlung. Der Auf-,
getrieben und schlussendlich den Betäu-
über die ungenügende Betäubungssicher-
Um- und Ablad der Tiere wird schwieri-
bungsanlagen zugeführt werden. Das er-
heit, da einzelne Hühner es immer wieder
ger und insbesondere länger, sodass die
fordert eine ausgereifte Technik, Organi-
schaffen, Kopf und Hals über das Was-
Transportdauer zunimmt, was nicht im
sation und Überwachung.
serbad zu halten, bis zur wegen der extrem hohen Schlachtfrequenz kaum mehr
Interesse der Tiere liegt.
Hohe Schlachtfrequenzen: Auch wenn
möglichen Kontrolle und Entnahme von
8.8 Tierschutzprobleme Schlachthöfe
in der Schweiz je Stunde und Schlachtli-
nicht korrekt betäubten Hühnern. In der
nie insbesondere bei Schweinen und Ge-
Schweiz ist diese antiquierte und tier-
Der Bund hat 2010 neue, zeitgemässe
flügel noch mit tieferen Betäubungs- und
schutzproblematische Methode zulässig.
Vorschriften zum Töten von Tieren in
Tötungsfrequenzen gearbeitet wird als in
Eine schonendere und sicherere Betäu-
Schlachtanlagen erlassen. Damit verbes-
den Grossschlachthöfen der EU und der
bung und Tötung von Geflügel gewähr-
serte sich die Situation für viele Tiere am
USA, so haben sich diese im Vergleich zu
leisten moderne Gasbetäubungsanlagen,
Ende ihres Lebens.
fünfzig Jahren früher doch vervielfacht.
wie sie die Bell AG nach Beratung durch
Spezialisierte Schweizer Schlachthöfe tö-
den STS seit 2011 betreibt.
Konzentration der Schlachtanlagen: Über 90 % aller Kühe, Kälber, Rin-
ten heute stündlich 8000 Hühner und 300
der, Schweine, Ziegen, Schafe, Hüh-
sogar 12 000 Hühner und 700 Schweine
ner und Truten schweizweit werden in
pro Stunde. Bei derart hohen Geschwin-
knapp einem Dutzend mittlerer bis gros-
digkeiten wird es immer schwieriger, die
Mensch-Tier-Kontakt
ser Schlachthöfe getötet. Das bringt Vor-
Tiere schonend den Anlagen zuzufüh-
Insbesondere durch die zunehmende Tier-
und Nachteile. Wenige, aber dafür grös-
ren und vor allem die korrekte Betäu-
zahl je Betrieb und durch den Einsatz ar-
sere Schlachtanlagen können Wissen und
bung jedes einzelnen Tieres festzustel-
beitssparender Einrichtungen, beispiels-
Erfahrung samt Investitionen in bessere
len. So zeigen aktuelle EU-Studien, dass
weise den Melkroboter, aber auch in ex-
Einrichtungen rascher umsetzen, gut ge-
bei Restrainer-Elektrobetäubungsanlagen
tensiveren Haltungsformen wie Freilauf-
50
Schweine, im Ausland sind es teilweise
8.9 Weitere Aspekte der Nutztierhaltung
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
ställen, Weidemast oder Mutterkuhhaltung wird der Kontakt zum einzelnen Tier quantitativ oft geringer und der menschliche Zugang zum Einzeltier in der Herde gestaltet sich schwieriger. So gehört das Küheputzen mit Bürste und Striegel in vielen Betrieben längst der Vergangenheit an. Viele Tiere sind es auch nicht mehr gewohnt, angebunden zu stehen oder geführt zu werden. Doch weiterhin müssen Rinder aussortiert, fixiert und geführt werden können, ob für eine veterinärmedizinische Untersuchung oder Impfung, die Klauenpflege, die Umstallung oder den Transport. Ob und wie ein Bauer seine Tiere anspricht und wie diese darauf reagieren, verrät Aussenstehenden oft viel über die Qualität einer Tierhaltung. Ein positiver Kontakt führt meist zu ruhigeren, entspannteren und zutraulicheren Tieren. Sorgfältige Beobachtung und Pflege stel-
Ob und wie ein Bauer seine Tiere anspricht, sagt viel über die Tierhaltung
len mit die gesundheitlich und ökonomisch wichtigsten Schlüsselfaktoren der
zucht oder rasche, frühe Trennung von
und der Bund seit 1996 solche Haltungs-
Tierhaltung dar – aber auch die am meis-
Mutter und Kind durchaus Konsequenzen
formen mit (allerdings geringen) jährli-
ten unterschätzten!
haben und etwa bei Kälbern und Ferkeln
chen Beiträgen unterstützt. Völlig falsch
das gegenseitige Besaugen fördern. Hal-
ist auch das Argument, dass es den Tieren
Eingeschränktes Sozialleben
tungsformen, die dem natürlichen Sozi-
ja wohl sein müsse, wenn sie hohe Nutz-
Das angeborene Sozialverhalten der
alleben Rechnung tragen – beispielsweise
leistungen erbringen. Denn die Leistung
Nutztiere wird aus produktionstechni-
das geniale Konzept des Familienstalls für
ist genetisch fixiert. Ein Hochleistungstier
schen Gründen stark eingeschränkt. Wäh-
Schweine des leider allzu früh verstorbe-
muss viel Milch oder Eier erzeugen oder
rend natürliche Sozialverbände sich in der
nen Zürcher Verhaltensforschers Alex
rasch Fleisch ansetzen, ob es will oder
Regel aus jüngeren und älteren männli-
Stolba –, konnten sich mit Ausnahme der
nicht, ob es eingesperrt ist oder im Frei-
chen und weiblichen Erwachsenen sowie
Mutterkuhhaltung nicht durchsetzen. Mit
land lebt. Untersuchungen der ETH Zürich
aus Halbwüchsigen und Kindern zusam-
Blick auf die Neuausrichtung der Land-
zeigten bereits in den 1980er-Jahren, dass
mensetzen und etwa bei Rindern sowie
wirtschaft hin zu mehr Tierschutz sind
selbst schwer verletzte Hühner in Käfig-
Schweinen Mütter und Töchter oft ein
Wissenschaft und Praxis gefordert, nach
batterien täglich Eier legten!
Leben lang zusammenbleiben, werden in
Lösungen für eine bessere Berücksichti-
Buchhaltungsergebnisse deuten da-
der Tiermast und der Eiererzeugung stets
gung des Sozialverhaltens der Nutztiere
rauf hin, dass die ökonomischen Un-
gleichaltrige Tiere gehalten. Zudem sind
zu suchen.
terschiede zwischen gut und schlecht wirtschaftenden Betrieben grösser sind
Nutztiere häufig schon ganz früh im Leben auf sich alleine gestellt oder wach-
Wirtschaftlichkeit
als die Unterschiede zwischen einzel-
sen gar mutterlos auf. Die Mutter-Kind-
Kaum ein anderes Thema gibt so viel
nen Haltungsformen für Tiere. Die jähr-
Beziehung, welche natürlicherweise bei
Anlass zu Diskussionen zwischen Bau-
lichen Auswertungen der UFA für hun-
allen Nutztieren einen hohen Stellenwert
ern und Tierschützern wie die Ökonomie.
derte von Schweinemast- und -zuchtbe-
einnimmt, wird heute in den allermeisten
In der Tat gilt es hier differenziert hin-
trieben zeigen, dass das erste Viertel der
Fällen fast völlig verunmöglicht. Über die
zuschauen. Die einfache Formel der Ag-
Bauern fast doppelt so viel verdient wie
Folgen für die Muttertiere und die Ent-
rarlobby, «Tierschutz = Kostentreiber»,
das letzte, unabhängig vom Haltungssys-
wicklung der Jungtiere liegen bislang nur
stimmt nicht und greift viel zu kurz im
tem. Als Hauptgrund wird von den Öko-
wenige wissenschaftliche Untersuchun-
Hinblick auf die Tatsache, dass Produkte
nomen stets das bessere Management ge-
gen vor. Praktische Erfahrungen deuten
von Tieren in artgerechter Haltung am
nannt. Ein ähnliches Bild findet man in
indessen darauf hin, dass künstliche Auf-
Markt meist einen besseren Preis lösen
der Mutterkuhhaltung. Die 25 % Topbau-
51
ern verdienen dort 2700 Franken je Kuh
bauten auskommen. Hingegen generie-
und Freilaufhaltung Fruchtbarkeit und
und Jahr, die schlechtesten 25 % indessen
ren tierfreundliche Haltungsformen mit
Tiergesundheit (z. B. Klauenprobleme,
lediglich 1200 Franken! Auch hier spielt
Einstreu und Auslauf teilweise Mehrauf-
Euterentzündungen, Gliedmassenerkran-
das Management, also der Faktor Mensch,
wand. Aus diesem Grund sind Label- und
kungen) verbessern sowie die Lebens-
die grösste Rolle. So finden sich auf den
Biozuschläge sowie die staatlichen BTS/
dauer verlängern können. Hier liegt ein
Betrieben der Gutverdiener lediglich 2 %
RAUS-Beiträge gerechtfertigt.
wesentliches Kostensparpotenzial, geht
Kälberverluste, bei den schlechten indes-
In der Milchviehhaltung hingegen
man doch davon aus, dass Euterentzün-
einen
dungen und Fruchtbarkeitsstörungen den
Für mehrere Tierkategorien trifft die
wichtigen Beitrag zur Senkung der Pro-
40 000 Schweizer Milchbauern Einbussen
Feststellung zu, dass der Tierschutz die
duktionskosten. Eine ETH-Modellrech-
von bis zu einer halben Milliarde Franken
Produktion verteuert, sei dies durch hö-
nung ergab, dass bei Beschränkung des
jährlich zufügen können.
here Investitionskosten oder durch Mehr-
Weidegangs auf die gesetzlichen Vor-
Tierarztkosten sind dabei nur die
aufwand. So brachte die Volierenhaltung
schriften von nur 90-mal Auslauf im
Spitze des Eisbergs. Die Tierarzt- und Me-
als tierfreundliche Alternative zur Käfig-
Jahr der erzielbare Milcherlös um 7 Rap-
dikamentenrechnungen fallen dem Land-
batterie 10–15 % höhere Produktionskos-
pen pro Kilogramm niedriger ausfällt, als
wirt zwar auf und erscheinen in der Buch-
ten mit sich. Sehr hohe Mehrkosten fal-
wenn die Kühe von Frühjahr bis Herbst
haltung. Viel stärker ins Gewicht fallen
len bei der Freilandhühnermast an. Durch
weiden. Der Vollweidebetrieb hat im Ver-
jedoch der Milchausfall während der Be-
das Zurverfügungstellen von Weide, die
gleich zu Betrieben mit Stallhaltung und
handlung und die in der Folge geringere
tieferen Besatzdichten im Stall und pri-
-fütterung ein Kostensparpotenzial von
Milchleistung der Kühe. Bessere Tierge-
mär durch den Einsatz von langsamer
mehreren hundert Franken pro Kuh. Wei-
sundheit bedeutet deshalb nicht nur ge-
wachsenden Hybriden mit einer um 50 %
dehaltung und Freilaufställe können die
ringere Tierarztkosten, sondern vor allem
verlängerten Mastdauer erhöhen sich die
Arbeitszeit reduzieren. Kommt dazu, dass
bessere Leistungen, weniger Leistungs-
Produktionskosten im Vergleich zur kon-
beim Melken im Freilaufstall mit Melk-
ausfälle und Abgänge, bessere Ausnüt-
ventionellen Haltung stark.
stand auch die Arbeitsbelastung vermin-
zung von Gebäuden und Einrichtungen,
sen 15 %!
leisten
Tierschutzmassnahmen
In der Schweinezucht/-mast und der
dert wird. Hier finden sich weniger un-
niedrigere Futter-, Remontierungs-, Ar-
Rindermast unterscheiden sich die Inves-
günstige Körperhaltungen und Arbeitsar-
beits- und Pflegekosten.
titionskosten für die verschiedenen Hal-
ten als beim Melken im Anbindestall.
Tierschutz wird oft mit grossen Neu-
tungsformen wenig, mit Ausnahme von
In- und ausländische Erfahrungen
und Umbauprojekten und damit hundert-
reinen Weidemasten, die ohne teure Stall-
zeigen, dass regelmässiger Weidegang
tausenden von Franken an Investitionen in Verbindung gebracht. Nicht jeder Stall ist aber schon amortisiert, und nicht jeder Tierhalter verfügt über ein derart dickes finanzielles Polster. Ist Tierschutz am Ende nur etwas für reiche Bauern? Keineswegs! Denn es muss nicht immer gleich ein teurer Umbau sein. Mit gutem Willen und Geschick lässt sich auch mit kleinem Portemonnaie viel fürs Wohlbefinden der Tiere tun: • Optimale Fütterung (Qualität, Regelmässigkeit, Häufigkeit) und ständiges Angebot von sauberem Wasser (z. B. Kälbermast!) • Licht und Luft (Vermeiden von Schadgasen, Staub, Zugluft; viel frische Luft durch
offene
Fenster/Stallfronten;
Wände und Decken sauber halten; fleissiges Entmisten; Überhitzung und Un-
Ein Freilaufstall ist gut für die Tiere und reduziert den Arbeitsaufwand
52
terkühlung vorbeugen) • Pflege (Klauen und Fell; Gesundheitszustand), Tiere ansprechen, Überwa-
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
chen der Einrichtungen (Unfall-/Ver-
Treibhausgasemissionen. Durch den Frei-
mehrt CO2 im Humus des Bodens gespei-
letzungsgefahr)
handel werden die klimarelevante Pro-
chert wird. Wiederkäuer auf der Weide
• Einstreu resp. angepasste Liegebereiche
duktion und die weltweite Verschiebung
sind keine Nahrungsmittelkonkurrenten
(Tiere ruhen 50 % von 24 Stunden!), Be-
von Kraftfutter für Tiere begünstigt. Die
der Menschen, da sie Dauergrünland nut-
schäftigung ermöglichen
Schweiz importierte in den letzten zehn
zen, das meist nicht ackerfähig ist, und
Jahren zunehmend auch Kraftfutter aus
aus diesen Gräsern und Kräutern, die der
bezüglich Umwelt- und Klimaschutz pro-
Mensch nicht verdauen kann, Milch und
Viele Landwirtschaftsberater und Bau-
blematischen Erzeugerregionen. Die Um-
Fleisch erzeugen. Eine bäuerliche Tierhal-
ern drängen darauf, menschliche Arbeits-
nutzung von Steppen und anderen na-
tung mit geregelter Weidewirtschaft und
kraft durch teure Technik und Maschinen
türlichen Grasgebieten könnte zudem
eine naturnahe Bewirtschaftung mit Bio-
zu ersetzen. Das kann durchaus Sinn ma-
ein kurzfristiges Phänomen sein, da der
und IP-Betrieben sind deshalb Teil der Kli-
chen, hat aber auch wirtschaftliche Gren-
Ackerbau dort meist in Monokulturen und
malösung – und nicht Verursacher wie die
zen, die oftmals übersehen werden. Wenig
wenig bodenschonend betrieben wird. So
Massentierhaltung. Gerade die Schweiz
sinnvoll ist es beispielsweise, eher güns-
ist es absehbar, dass durch Erosion die
mit ihrem hohen Anteil an Wiesen-, Wei-
tige Arbeitskräfte durch teure Technik
nur dünne fruchtbare Humusschicht ab-
den- und Alpgebieten – weniger als ein
zu ersetzen. Je mehr Technik ein Land-
getragen wird und die Böden danach we-
Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren
wirt etwa um seine Kühe herum investiert,
der zum Ackerbau noch zur Viehhaltung
Fläche ist ackerbaufähig – bietet dafür
desto mehr muss er die Milchleistung stei-
mehr gebraucht werden können.
beste Voraussetzungen.
• Bewegung (Auslauf ins Freie)
gern, um die hohen Kosten auf mehr Kilo-
Es ist zu unterscheiden zwischen ei-
gramm Milch verteilen zu können. So ver-
ner industriellen Tierproduktion und ei-
Umweltrelevanz
ursacht ein Melkroboter im Vergleich zu
ner bäuerlichen, standortangepassten und
Man geht davon aus, dass die weltweite
einem Fischgrätenmelkstand samt Melker
artgerechten Tierhaltung, die in erster Li-
Nutztierhaltung für rund 15 % der men-
jährlich zehntausende von Franken Mehr-
nie auf raufutterverzehrende Tiere wie
schengemachten CO2-Emissionen verant-
kosten. Man kann sich zu Recht fragen,
Kühe, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde
wortlich ist. Da nur eines von tausend
ob dieses Geld nicht besser in einen Men-
setzt und ohne erhebliche Mengen an
Rindern und Schweinen, die weltweit ge-
schen investiert wird, der die Kühe melkt
Kraftfutter auskommt. Solche naturna-
halten werden, in der Schweiz lebt, ist der
und sich um sie kümmert – wozu der Ro-
hen Weidetierhaltungsformen auf dem
Einfluss der Schweizer Viehhaltung auf
boter ja nicht in der Lage ist!
Grünland sind eben gerade nicht klima-
das Weltklima bescheiden. Würde man die
relevant, sondern sorgen dafür, dass ver-
Nutztierhaltung hierzulande verbieten,
Klimaschutz Die Klimarelevanz der industriellen Tierproduktion, die auf Massentierhaltung setzt, ist unbestritten. Bekannt ist auch die Tatsache, dass beim Umbruch von Weideland zu Äckern – ob nun zur menschlichen Ernährung oder zur Futtermittelproduktion – sowie bei der synthetischen Herstellung von Stickstoffkunstdünger und dessen Anwendung grosse Mengen an klimarelevantem CO2 und Lachgas in die Atmosphäre entweichen. Deshalb ist die weltweit zunehmende Ausdehnung der Ackerflächen auf ungeeignete Standorte, etwa zur industriellen Futtermittelproduktion für Tierfabriken, extrem klimarelevant. Weltweit verursacht die Rodung von Tropenwäldern für Viehweiden und die Umnutzung von natürlichem Gras- und extensivem Weideland wie Steppen, Savannen und Pampas zu Ackerland (u. a. Soja- und Getreideanbau) etwa 20 % aller
Rodung für Viehweiden oder Ackerland für Futtermittelanbau
53
zu Jahr steigend und liegt mittlerweile fast wieder drei Mal höher als vor fünfzehn Jahren, bei rund 1 Million Tonnen! Diese Futtermittel wachsen im Ausland auf einer Fläche von rund 250 000 Hektar, was knapp der Fläche des Kantons Tessin entspricht. Gerade umgekehrt verlief die Entwicklung beim inländischen Futtergetreide. Hier nahm die erzeugte Menge von 800 000 Tonnen im Jahr 1995 ab auf heute nur mehr 550 000 Tonnen, davon 70 000 Tonnen Eiweissfuttermittel. Zwar fragt die Schweiz lediglich 0,3 % der weltweit gehandelten Sojamenge nach, während allein die EU und China 60 % abräumen, also 200-mal mehr. Trotzdem ist es bedenklich, dass in der Schweiz der Futtermittelanbau nicht mehr gefördert wird,
Viel Tiere bedeuten auch viel Gülle, schlecht für das Grundwasser und das Klima
zumal mit den heutigen Züchtungen auch der Sojaanbau klimatisch möglich wäre. Stattdessen haben sich die Eiweissimporte verdreifacht, Sojaimporte gar ver-
könnten gerade mal 0,015 % des weltwei-
Phosphor anreichern oder vermehrt Am-
zehnfacht. Die Gründe dafür sind vielfäl-
ten CO2-Ausstosses eingespart werden.
moniak in die Luft entlassen.
tig und liegen unter anderem in der Leistungssteigerung der Nutztiere, der Aus-
Die Schweiz als Ganzes ist «tiermässig» auch nicht überbevölkert, wie ab
Kraftfuttereinsatz
dehnung der Milch- und Fleischerzeu-
und zu behauptet wird. Die 1,3 Millionen
Der Einsatz von Getreide, Mais, Soja, Kar-
gung, der Reduktion des Fischmehlanteils
Grossvieheinheiten (GVE) verteilen sich
toffeln, Rüben und dergleichen in der Tier-
in den Rationen, um der Überfischung der
auf 1,1 Millionen Hektar Landwirtschafts-
haltung ist nicht per se schlecht. So setzt
Weltmeere Einhalt zu gebieten, dem Fütte-
fläche, was einen Besatz von 1,2 GVE/ha
etwa das Geflügel Getreide am effizien-
rungsverbot für Fleischmehl seit der BSE-
ergibt. Zum Vergleich: Die Niederlande
testen aller Nutztiere in Eier oder Fleisch
Krise (Rinderwahnsinn) und dem Verbot
weisen 3,5, Dänemark 1,6 und Deutsch-
um. Bei der Pflanzenproduktion für den
der Speiserestefütterung an Schweine seit
land 1,1 GVE/ha auf. Trotzdem weist die
menschlichen Verzehr fallen grosse Men-
2011 sowie den aktuell relativ tiefen Prei-
Viehhaltung auch in der Schweiz eine
gen an Rückständen an, die insbesondere
sen für Importfuttermittel begründet.
teilweise starke Umweltproblematik auf.
vom Schwein, dem geborenen «Abfall-
Betroffen sind Gewässer, Luft und Bö-
verwerter», optimal genutzt werden kön-
den in jenen Kantonen, die in den letz-
nen. Der steigende Kraftfuttereinsatz bei
8.10 Ressourcenverschleuderung
ten Jahren trotz bereits bestehender, ho-
Raufutterverzehrern hingegen, insbeson-
Auch in der Schweiz werden bei der Le-
her Viehdichte weiter Tierbestände auf-
dere in der Milch- und Rindfleischerzeu-
bensmittelerzeugung und -distribution
stocken liessen. Insbesondere im Kanton
gung, ist äusserst fragwürdig.
noch viel zu viele Ressourcen unnötig ver-
Luzern gibt es Regionen mit sehr hohen
Mitte der 1970er-Jahre erreichten
schleudert. Das fängt bereits in den Stäl-
Tiermassierungen und entsprechend viel
Kraftfutterimporte und -einsatz in der
len an. Insbesondere durch die abverlang-
Anfall von hauptsächlich Gülle, ebenso in
Schweiz einen absoluten Höchststand.
ten Höchstleistungen wird die Lebenser-
den Kantonen Appenzell Innerrhoden, St.
Rund 1,5 Millionen Tonnen wurden ein-
wartung von Kühen, Schweinen und Hüh-
Gallen, Thurgau, Zug, Obwalden, Nidwal-
geführt, weitere 500 000 Tonnen im In-
nern immer kürzer. Das hat zur Folge, dass
den und Freiburg mit 2 und mehr GVE/
land erzeugt, sodass gegen 2 Millionen
jedes Jahr mehr Tiere aufgezogen werden
ha. Hingegen liegen alle anderen Kantone
Tonnen in den Viehtrögen landeten.
müssen, um die immer rascher abtreten-
unter 1,0 GVE/ha. In Regionen mit einem
Zwanzig Jahre später wurden nur mehr
den Vorgenerationen zu ersetzen. Es wird
Zuviel an Nutztieren kann ein Übermass
350 000 Tonnen importiert. Mittlerweile
mehr Futter, mehr Stallraum, mehr Ener-
an ausgebrachtem Hofdünger Grund-
ist der Import, insbesondere von eiweiss-
gie und mehr Arbeit benötigt bei immer
und Oberflächengewässer mit Nitrat und
reichen Futtermitteln wie Soja, von Jahr
grösserem Tierverschleiss!
54
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Lebensmittel im Müll
Tierische Nebenprodukte
kunftsländern über 2 Millionen Schafe
Kaum thematisiert ist die Tatsache, dass
Wenn ein Schwein geschlachtet wird, lan-
geschlachtet werden. Die weniger edlen
30 bis 50 % der weltweit erzeugten Nah-
det ein Drittel des Schlachtkörpers im Ab-
Teile dieser Schlachtkörper gelangen in
rungsmittel im Abfall landen, statt der
fall, bei einer Kuh gar die Hälfte. In der
den asiatischen Raum. Ähnliche Beob-
menschlichen Ernährung zugutezukom-
Schweiz werden jährlich 450 000 Tonnen
achtungen – Konzentration der Fleisch-
men. Das bedeutet, dass es mit dem Um-
Fleisch erzeugt. Dabei fallen 220 000 Ton-
importe auf Edelstücke – lassen sich bei
fang der jetzigen Lebensmittelerzeugung
nen tierische Nebenprodukte an, die nach
Rindfleisch und Poulets aufzeigen. Mitt-
grundsätzlich nicht nur möglich wäre,
den Erfahrungen mit BSE und dem tota-
lerweile stellt die zunehmende Nachfrage
alle Menschen heutzutage satt zu machen,
len Verfütterungsverbot von Mehlen tie-
der kaufkräftigen Schweizer Konsumen-
sondern theoretisch auch im Jahr 2050 –
rischer Herkunft an Nutztiere heute zum
ten nach Edelstücken ein grundsätzliches
trotz der Annahme, dass ein Hektar Land-
grössten Teil entsorgt, das heisst ver-
Problem dar. Die Verwertung der übrigen
wirtschaftsland statt wie heute 4,5 dann
brannt werden. Selbstverständlich sollte
Teile eines im Inland aufgezogenen und
5,5 Menschen ernähren muss.
nicht am Kannibalismusverbot gerüttelt
geschlachteten Tiers wird so nämlich im-
In ärmeren Ländern liegt das Abfall-
werden, welches besagt, dass das Mehl ei-
mer schwieriger.
problem in erster Linie bei der ungenü-
ner bestimmten Tierart nicht der eigenen
Die «minderwertigen» Fleischanteile
genden Lagerung, etwa von Getreide, so-
Art verfüttert werden darf, wie dies bis
müssen deklassiert und unter ihrem Wert
dass allzu viel verdirbt. Bei uns beginnt
1990 noch der Fall war. Aber die heutige
verkauft oder exportiert werden, sodass
die Wegwerfmentalität bereits auf dem
extreme Verschleuderung der Ressource
die Metzger im Gegenzug die Edelstücke
Acker und im Stall, wo zu grosse oder zu
«Tierische Nebenprodukte» sollte Anlass
inländischer Tiere preislich überproporti-
kleine Kartoffeln, Äpfel, Salate oder Eier
sein, über eine sinnvollere Verwendung
onal belasten, um trotzdem auf ihre Rech-
aussortiert werden. Dabei werden vom
statt der Verbrennung nachzudenken!
nung zu kommen. Damit verlieren diese
Handel auch Kriterien festgelegt, die mit
Denn dieses Fütterungsverbot ist mitbe-
gegenüber Importen an Konkurrenzkraft.
dem Nährwert der Produkte nichts zu tun
teiligt daran, dass der ökologisch frag-
Zudem müssen durch diese einseitige
haben. So wird in der Schweiz noch im-
würdige Kraftfutterimport in den vergan-
Edelteilnachfrage mehr Tiere
mer ein Teil der Legehennen nach der
genen zehn Jahren derart angestiegen ist.
und geschlachtet werden. Die Tierzucht
gemästet
versucht dem Rechnung zu tragen und
Schlachtung in Biogasanlagen entsorgt, obwohl sie zartes Fleisch liefern und man
Nachfrage Edelstücke
setzt auf Zuchtlinien mit hohen Anteilen
mit der anfallenden Geflügelfleischmenge
Die Schweiz bezieht rund die Hälfte des
wertvoller Fleischstücke, was dann bei
praktisch die ganze Stadt Winterthur ver-
Schaffleischkonsums aus Australien und
Schwein und Geflügel prompt zu negati-
sorgen könnte. Ein besonders krasses Bei-
Neuseeland, und zwar samt und sonders
ven Einflüssen auf Tierwohl und Tierge-
spiel für fragwürdige «Qualitätsanforde-
Edelstücke. Dafür müssen in den Her-
sundheit führt.
rungen» ist das jahrzehntelange Diktat der Schweizer Metzgerschaft bei der Kalbfleischfarbe. In der Schweiz sollen gemäss Konsumentenschutzorganisationen jährlich über 2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel ungenutzt bleiben, das heisst rund 300 Kilogramm pro Kopf. Allein in den Privathaushalten würden 700 000 Tonnen Lebensmittel im Müll landen! Das riesige Warenangebot und der «Frischefanatismus» bringen es mit sich, dass grosse Mengen an Lebensmitteln entsorgt werden müssen. Die Müllforscherin Felicitas Schneider fand bei ihren Untersuchungen in Österreichs Privathaushalten heraus, dass der Endverbraucher jährlich Lebensmittel im Gegenwert von 400 Euro in den Müll schmeisst, darunter oftmals originalverpackte und noch haltbare Produkte!
Ein Teil der Legehennen wird nach der Schlachtung einfach verbrannt
55
9. Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohles 9.1 Allgemeines
nis und Schweinen, ohne Stroh zum Lie-
Konsumentennachfrage nach Labelpro-
Wer selber einmal nachschaut, wie Bauern
gen und ohne Auslauf ins Freie, sind le-
dukten sowie die Förderung tierfreundli-
heute ihre Tiere halten, wird erstaunt sein.
gal. Und die (Agrar-)Politik will die Gren-
cher Haltungsformen mittels spezifischer
Das gotthelfsche Huhn auf dem Miststock
zen öffnen für immer mehr Nahrungsmit-
Direktzahlungen.
wird er zwar nicht mehr finden. Die Tier-
tel aus bei uns verbotenen Produktionsbe-
haltungen vergrösserten sich stark im
dingungen und Massentierhaltungen. Sie
9.2 Eigenverantwortlichkeit
Vergleich zu früher, und viele technische
setzt damit die Bestrebungen für mehr
Tierschutz verlangt in erster Linie nach ei-
Einrichtungen bis hin zu Melkroboter und
Tierwohl im Inland unter massiven Druck.
genverantwortlichen Menschen, und erst
Fütterungscomputer hielten Einzug. Doch
Der Handlungsbedarf in puncto Tier-
danach nach dem Staat. Den Tierschutz
tierfreundliche Haltungsformen wie Frei-
wohl ist also auch heute gegeben. Dabei
kann man zwar verordnen, er muss aber
laufstall, Auslauf und Weide sind inzwi-
sollten Tierschützer in Zukunft nicht allzu
von Bauern und Konsumenten tagtäg-
schen recht verbreitet und keine Ausnah-
stark auf die Tierschutzgesetzgebung set-
lich und motiviert gelebt werden, damit
meerscheinungen mehr, wie dies noch vor
zen. Diese wurde erst vor wenigen Jah-
die Vorschriften in der Realität zugunsten
zwanzig Jahren der Fall war. Erhebliche
ren vollständig revidiert und viele Über-
der Tiere wirksam werden.
Teile der Schweizer Landwirtschaft und
gangsfristen sind deshalb noch bis 2018
Es geht nicht um Konsumverzicht,
Nutztierhaltung heben sich mittlerweile
am Laufen. Der politische Wille für eine
sondern um einen vertretbaren Kon-
positiv vom Ausland ab.
erneute Totalrevision dürfte entsprechend
sum. Wenn schon Eier, Milchprodukte
Allerdings: Unter den Blinden ist der
gering sein. Zudem gilt es zu beachten,
und Fleisch gegessen werden, muss we-
Einäugige König. Noch immer leben hier-
dass die Tierschutzgesetzgebung nicht be-
nigstens eine anständige Haltung und ein
zulande Millionen Nutztiere in beengten
sonders tierfreundliche Haltungsformen
schonender Umgang mit den Tieren ge-
Ställen ohne Auslauf ins Freie. Kälber
vorschreibt, sondern lediglich die Grenze
währleistet sein. Dabei gilt es, wirtschaft-
werden für helles Fleisch gefüttert, sodass
zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem
liche Gegebenheiten nicht aus den Augen
sie häufiger als jede andere Tierkategorie
festlegt.
zu verlieren. Einerseits wollen auch die
mit Antibiotika behandelt werden müs-
Als effizientestes Mittel zur Verbesse-
tierfreundlichsten Bauern von ihren Tie-
sen. Milchkühe werden zu immer höhe-
rung des Tierwohls in der Landwirtschaft
ren leben, und andererseits können selbst
ren Leistungen getrieben, und Schweine-
hat sich eine Kombination von marktwirt-
tierschützerisch hoch motivierte Konsu-
mütter gebären mehr Ferkel, als sie Zitzen
schaftlichen und staatlichen Massnahmen
menten nicht unbeschränkt Geld für Le-
haben. Karge Buchten zur Mast von Mu-
herausgestellt. Nämlich das Schaffen von
bensmittel ausgeben.
56
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Diese
pragmatische
Sichtweise
schliesst nicht aus, dass sich der STS stark für eine Konsumreduktion tierischer Produkte sowie für vegetarische und vegane Ernährungsweisen einsetzt. Das Beschreiten beider Wege – Einsatz für einen vertretbaren Konsum von Produkten aus tierfreundlicher Haltung und Aufzeigen von Alternativen zu tierischen Produkten – stellt weder einen Widerspruch noch eine Inkonsequenz dar. Vielmehr ist es eine Notwendigkeit für diejenigen Tierschutzorganisationen, die sich messen lassen wollen an den erreichten, konkreten Verbesserungen für die Tiere – im Stall, auf
Was kann ich tun?
Bezug auf Sicherheit und Qualität von
1. Sich informieren über Tierhaltung
Lebensmitteln und die sofortige mediale
und Landwirtschaft, z. B. über www.tierschutz.com und www.essenmitherz.ch. Mit Freunden über Tierschutz und Konsum diskutieren. 2. Vegetarische Lebensweise oder massvoller Fleischkonsum, d. h. nicht täglich Fleisch konsumieren – von Ernährungsphysiologen wird 1- bis 2-mal/Woche empfohlen. Dabei auf höchste Qualität (Fütterung, Tierschutz, bäuerliche Tierhaltung, Transporte, Zucht), Regionalität und Schweizer Herkunft mit glaubwürdigem Label und Kontrollen achten.
«Skandalisierung» bei Unregelmässigkei-
dem Transport und beim Schlachten. Ech-
ten und Problemen. Entsprechend wichtig sind denn auch glaubwürdige Kontrollen und Sanktionen, nebst einer konsequenten Konsumenteninformation samt Deklarationen.
9.4 Die Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft Wer mit Tieren und Produkten tierischer Herkunft Geld verdient, seien dies Bauern, Transporteure,
Metzger,
Detaillisten,
Gastronomen oder Importeure, hat gegenüber Tieren eine klare ethische Ver-
ter Tierschutz muss mehr sein, als nur zu
köpfiger Haushalt gibt nicht über 10 %
pflichtung, die er in seinem Umfeld und
predigen und den moralischen Zeigefinger
aus. Bei einem Monatseinkommen von
mit seinen Möglichkeiten wahrnehmen
zu erheben, um sich billig ein gutes Gewis-
5000 Franken steigt der Anteil auf 13 %.
muss. Der STS nagelt die Bauern und die
sen als besserer Mensch zu verschaffen!
Noch vor fünfzig Jahren lagen diese An-
Nahrungsmittelbranche immer wieder
teile bei 30 % und mehr. Die Schweiz liegt
darauf fest.
9.3 Die Rolle des Konsumenten
hier international gesehen an der Spitze.
Ställe und Einrichtung sind auf Bauern-
Bereits in Deutschland muss der Durch-
höfen oft gegeben, von der Vorgenera-
Konsumenten müssen den Zusammen-
schnittshaushalt 14 % des Budgets für
tion übernommen und noch nicht amor-
hang zwischen ihrem Einkaufsverhalten
Nahrungsmittel ausgeben, obwohl deut-
tisiert. Aus diesem Grund – um Härtefälle
und dem Tierwohl auf den Bauernhöfen
sche Lebensmittelpreise günstiger sind als
zu vermeiden – hat der Gesetzgeber bei
kennen. Nur ein informierter Verbraucher
schweizerische.
Vorschriften zum Tierwohl auch stets
kann sein Einkaufsverhalten überdenken
Der Konsument spielt mit seiner Nach-
Übergangsfristen für bestehende Ställe
und wird bereit sein, für Produkte aus
frage eine extrem wichtige, aber auch
von bis zu zehn Jahren festgelegt. Aber
tierfreundlicher Haltung den erforderli-
schwierige Rolle, denn ihm fehlt heute
Management, Tierpflege/-beobachtung/-
chen Mehrpreis zu entrichten.
praktisch jeglicher Bezug zur tierhalten-
kontakt sowie Auslauf und Weide sind in
Der Schweizer Konsument steht in
den Landwirtschaft und zur Lebensmittel-
der Regel ohne teure Investitionen zu lö-
der Verantwortung wegen des hohen Ver-
verarbeitung. Diese «Entfremdung» wird
sen und können deshalb von jedem ver-
brauchs tierischer Lebensmittel von rund
immer stärker und erscheint irreversibel.
antwortungsbewussten
170 Kilogramm jährlich sowie der Tatsa-
Konsumenten bleibt nichts anderes übrig,
optimal erfüllt werden, unabhängig von
che, dass wir Schweizer heute nur mehr
als Vertrauen zu haben, dass Bauern, Ver-
der baulichen und finanziellen Situation.
7 % der Haushaltausgaben für Ernäh-
arbeiter und Handel alles korrekt machen.
Die einstigen Entwicklungsmotoren
rung ausgeben müssen. Selbst ein vier-
Das erklärt auch die hohe Sensibilität in
bei den Tierwohlprodukten, Migros und
Nutztierhalter
Coop, scheinen mittlerweile etwas auf
Produktequalität und Tierwohl
die Lagerdauer die Fleischqualität stark.
der Stelle zu treten. Ihre Strategie, eine
Schweine in guter Haltung erbringen röt-
breitestmögliche Lebensmittelpalette an-
Im Gegensatz zur Milch von Kühen mit
licheres, hochwertigeres Fleisch durch
zubieten, konkurrenziert die Tierwohlan-
Kraftfutterdiäten und reiner Stallhaltung
fleissige Bewegung. Dasselbe gilt für Käl-
gebote. Diese sind heute nur mehr ein
liefern Tiere mit Weidegang Milch und
ber, die artgerecht gefüttert und gehalten
Angebot unter vielen, von Billigpreisli-
Käse mit mehr Omega-3-Fettsäuren, z. B.
werden.
nien über ein Sammelsurium von Speziallinien (Heidi, Anna’s Best, Betty Bossi,
Linolsäure. Auch das Fleisch von Weiderindern ist ernährungsphysiologisch wert-
Freilandlegehennen legen Eier mit bis zu
Pro Montagna, Jamie Oliver) bis hin zu
voller und zudem zarter. Das zeigt ein ak-
doppelt so hohen Carotinoidgehalten wie
Premium- und Kinderlinien. Entspre-
tueller Vergleich von Stallhaltungs- und
im Stall gehaltene Tiere. Das Fleisch von
chend schmilzt der Werbe- und PR-Etat
Weidetieren der ETH Zürich. Selbstver-
Freilandmasthühnern weist eine bessere
für Tierwohlprodukte und es besteht die
ständlich beeinflussen auch die fach-
sensorische Qualität und ein höheres
Gefahr, dass punkto Tierwohlengagement
gerechte Lagerung, die Abkühlung und
Safthaltevermögen auf.
von Migros und Coop das Interesse und
57
beliebteste Fleischart ausser Haus darstellt, dicht gefolgt von Rindfleisch mit einem Anteil von 23 %. Geflügelfleisch zeigt einen wachsenden Trend und hat aktuell einen Anteil von 18 %. Betreffend
der
Verwendung
von
Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung stechen drei Gastrounternehmen positiv hervor. Aufgrund von Empfehlungen des Schweizer Tierschutz STS bietet McDonald’s, umsatzmässig Nummer eins im Gastrogeschäft der Schweiz, seit Februar 2010 nur noch Schweizer Rindfleisch aus Tierhaltung mit regelmässigem Auslauf ins Freie (RAUS) an. McDonald’s Schweiz bezog im Jahr 2009 3900 Tonnen Rindfleisch von Schweizer Bauern, was 4,5 % des in der Schweiz konsumierten Rindfleisches entspricht. Schon
Fleisch aus Tierhaltung mit regelmässigem Auslauf: McDonald’s
etwas länger hat die Migros, der zweitgrösste Schweizer Gastroakteur, Labelfleisch in ihrem Restaurantangebot. Konsequent auf Labelfleisch setzen die Coop
die Kreativität des Managements, aber
im Portemonnaie kaum etwas. So werden
Restaurants, Nummer sechs der System-
auch die Glaubwürdigkeit gegen aussen
je nach Detaillist Eier, Fleisch und Milch-
gastronomie. Sie verwenden ausschliess-
leiden.
produkte auch ausserhalb von Aktionen
lich Coop Naturafarm Rind- und Schwei-
Es fragt sich, ob den Kunden und Un-
teilweise zu stark unterschiedlichen Prei-
nefleisch sowie Biokalbfleisch.
ternehmen mit der heutigen Vielzahl von
sen abgegeben, was darauf hindeutet,
Die Stiftung «Goût Mieux» zeichnet
Linien tatsächlich gedient ist, oder ob
dass in diesem Bereich noch Kostenspar-
65 Restaurants aus, die sich verpflichtet
diese lediglich zu einer unnötigen Verteu-
möglichkeiten vorhanden wären.
haben, bei der Beschaffung konsequent
erung bei Beschaffung und Verkauf füh-
Während Migros und Coop ein rela-
auf Bio- und tierfreundliche Herkünfte
ren. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass
tiv breites Tierwohlsortiment anbieten,
zu setzen (www.goutmieux.ch). Die Ak-
zwar die Produzentenpreise für Schweizer
ist dieses bei den meisten anderen Detail-
tion «Essen mit Herz» des Schweizer Tier-
Herkünfte und vor allem Labelherkünfte
listen noch ausbaufähig. Beispielsweise
schutz STS führt rund 120 Restaurants
höher sind als in der EU, dies auch des-
führen nur wenige Detaillisten Freiland-
auf, die angeben, stets Vegimenüs sowie
halb, weil höhere Anforderungen an Öko-
poulets oder Labelkaninchen und -lamm-
ein oder mehrere Menüs mit Produkten
logie und Tierwohl gestellt werden. Ge-
fleisch, dafür leider umso mehr Import-
aus tierfreundlicher Haltung anzubieten
rade bei Fleisch und Eiern wird indessen
ware aus bei uns verbotener Massentier-
(www.essenmitherz.ch).
der Anteil des Produzentenpreises an den
haltung, bei der man immer wieder fest-
Das Gros der weit über 20 000 Restau-
Gesamtkosten des Produkts immer gerin-
stellen muss, dass «Kontrolle» ein Fremd-
rants, Personalrestaurants und Schnellim-
ger, das heisst vom Konsumentenfranken
wort ist.
bisse in der Schweiz hingegen verwendet
sehen die Bauern immer weniger. Selbst
Die Gastronomie stellt die grösste
eher wenige Produkte aus tierfreundlicher
wenn sie ihre Tiere zu EU-Preisen in den
Tierwohlbaustelle dar. 2008 wurden in
Haltung, sondern bietet den Gästen ent-
Schlachthof gäben, wären die Fleischend-
der Schweiz mehr als 13 Milliarden Fran-
weder konventionelles Schweizer Fleisch
preise im Laden noch immer höher als im
ken für Essen ausser Haus ausgegeben.
oder noch häufiger Importfleisch und
Ausland. Eine Kostenoptimierung bei
Gemäss einer Studie von amPuls Market
-eier an. Oft sind die Wirte über die Tier-
Fleisch, Milch und Eiern allein auf dem
Research aus dem Jahre 2009 ist Fleisch
haltungsbedingungen im In- und Ausland
Buckel der Bauern schlägt sich einerseits
als Bestandteil eines Gerichts/Menüs
und die verschiedenen Tierwohllabels gar
rasch im Tierwohl und in der Produkte-
nach wie vor die bedeutendste Speiseka-
nicht richtig informiert.
qualität und -sicherheit nieder. Anderer-
tegorie ausser Haus. Ein Viertel aller aus-
Noch immer scheint in der Gastrob-
seits merken die Konsumenten von diesen
wärts konsumierten Fleischgerichte ent-
ranche primär der Preis statt die Quali-
für sie kontraproduktiven Einsparungen
hält Schweinefleisch, welches damit die
tät im Vordergrund zu stehen. Dabei ma-
58
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
chen die Rohstoffpreise eher wenig aus:
Steuergelder einzusetzen.
Bei einem Tiramisu von CHF 6.60 liegen
Die Nutztierhaltung ist nicht nur der
deshalb
ein
«Freilandhaltungsland»
Schweiz an und hat dazu einen agrarpolitischen Massnahmenkatalog erarbeitet.
die Kosten für ein Freilandei bei nur 4 %.
finanziell wichtigste Sektor für die Le-
Bei einem Menü mit Steak, Pommes und
bensmittelwirtschaft, sondern wirkt sich
Gemüse für CHF 23 macht der Preis für
auch auf die Qualität von Milchproduk-
Fleisch aus Schweizer Herkunft konven-
ten, Fleisch und Eiern, aber auch auf jene
1. Massnahme: Konsequente Qualitätsstrategie
tionell 33 %, bei tierfreundlicher Her-
von Luft, Böden und Wasser aus. Die Nah-
Der STS fordert seit fünfundzwanzig Jah-
kunft/Labelfleisch 37 % aus, also knapp
rungsmittelversorgung, das Landschafts-
ren eine konsequente Qualitätsstrategie
einen Franken mehr. Ob vom Wirt nun
bild, die Nutzung des Agrarlandes sowie
für die Landwirtschaft und engagiert sich
etwas teurere, aber tierfreundliche Pro-
der Verbrauch von Ressourcen und Ener-
bei Aufbau und Umsetzung von Tierwohl-
dukte verwendet werden, wird der Gast
gie oder der Ausstoss von Klimagasen
labelprogrammen sowie der entsprechen-
im Portemonnaie kaum bemerken. Für die
werden ebenfalls von der Nutztierhaltung
den Konsumenteninformation. Wichtig
Tiere und die Qualität der Mahlzeit bedeu-
beeinflusst. Nach allen gemachten Erfah-
ist, dass nun auch die Agrarpolitik auf
tet es aber viel!
rungen und dem aktuellen Stand der Wis-
eine Qualitätsstrategie festgelegt wird,
Da fast die Hälfte des in der Schweiz
senschaft darf man sagen, dass ein ho-
um Synergien zu erzielen, bei Marktver-
konsumierten Fleisches von Restaurants
hes Tierwohl in einer bäuerlich geprägten
sagen ergänzend einzugreifen und im
umgesetzt wird, ist es von grösster Wich-
Tierhaltung all diese wichtigen Aspekte
sich öffnenden internationalen Agrar-
tigkeit, dass die Gastrobranche ihre Ver-
positiv beeinflusst. Während Massen-
markt bestehen zu können. Eine halbher-
antwortung gegenüber den Tieren und
tierhaltung und Tierfabriken zwar kurz-
zige Doppelstrategie zu fahren wie bis an-
deren Wohlergehen endlich wahrnimmt.
fristig billigere Produkte abliefern, be-
hin – die Agrarpolitik fördert hier etwas
Es gäbe genügend Gäste, die solche An-
zahlen Mensch, Tier und Umwelt dafür
Klasse und dort etwas Masse – ist ineffizi-
gebote honorieren würden. Gemäss ei-
aber langfristig einen hohen Preis, etwa
ent und macht in einem kleinen Land wie
ner STS-Gastroumfrage von 2011 veran-
durch ständig wiederkehrende Lebensmit-
der Schweiz keinen Sinn.
schlagten selbst die Wirte das Gästepoten-
telskandale, Umweltschäden oder Tier-
In Zeiten weltweit knapper werden-
zial beim Tierwohl auf 50 %.
quälereien. Von Massnahmen für ein bes-
den Landwirtschaftslandes und eines ext-
seres Tierwohl profitieren hingegen wir
remen Nachfrageanstiegs nach Futtermit-
9.5 Die Rolle des Staates
alle: Bauern, Konsumenten und Steuer-
teln und Produkten tierischer Herkunft,
Der Staat muss tätig werden, um Miss-
zahler – aber auch die Umwelt!
insbesondere in vormals ärmeren Län-
bräuche und tierschutzwidrige Prakti-
Der Schweizer Tierschutz STS strebt
dern, muss der langfristigen Nahrungs-
ken und Haltungen abzustellen, Übertretungen zu verfolgen und zu ahnden. Im Weiteren soll er im Falle von Marktversagen eingreifen, also dort, wo Markt und Konsumenten alleine es nicht richten können, weil es etwa kein Angebot von Labelprodukten gibt respektive der Markt gar tierschutzwidrige Haltungen und Praktiken fördert, wie im Falle von Billigimporten aus ausländischer Massentierhaltung oder Importen von Stopfleber oder Froschschenkel. Dies beispielsweise, indem er deren Importe untersagt, eine Tierschutzdeklaration von Lebensmitteln fordert oder tierfreundliche Stallbauten und Auslaufhaltungen fördert. Dieser Einsatz des Staates zugunsten des Tierwohls bezieht seine Legitimität auch aus der Tatsache, dass für die Schweizer Bevölkerung die tierfreundliche Haltung der Nutztiere das grösste Anliegen an die Landwirtschaft ist und man bereit ist, hier in relativ hohem Masse
Nur mit hohen Ansprüchen an die Qualität und das Tierwohl sind die Schweizer Preise zu rechtfertigen
59
mittelversorgung der einheimischen Be-
modern, effizient und trotzdem naturnah
Ställe und den regelmässigen Auslauf ins
völkerung durch die Schweizer Bauern
und tierfreundlich zu produzieren.
Freie massiv erhöht werden. Ziel: Alle Tiere sollen ins Freie können!
wieder ein höherer Stellenwert beigemes-
Der Biolandbau stellt eine energie-
sen werden. Dabei müssen die Bedürfnisse
und ressourcensparende sowie umwelt-
Im Weiteren fordert der STS den Auf-
der Konsumenten sowie die Qualität und
schonende Landbaumethode dar. Nach-
bau eines Weideprogramms für raufut-
Nachhaltigkeit der Produkte ins Zentrum
dem in der Schweiz die weltweit verbrei-
terverzehrende Nutztiere und damit die
gestellt werden.
tetste Biomethode, der organisch-biolo-
Abkehr von extremen Hochleistungstie-
gische Landbau, entwickelt worden ist,
ren und übermässigem Kraftfuttereinsatz.
2. Massnahme: Zielgerichtete Direktzahlungen
spielt unser Land hier bis heute eine Pi-
Selbst der Bundesrat hat mittlerweile er-
onier- und Vorreiterrolle. In Zeiten von
kannt: «Der Trend bei der Wiederkäuer-
Die jährlich entrichteten 2.8 Milliarden
knapper werdenden Ressourcen kommt
fütterung geht in Richtung eines verstärk-
Franken Direktzahlungen sollen nicht wie
dem Biolandbau inskünftig eine wichtige
ten Kraftfuttereinsatzes. Dadurch droht
bis anhin im Giesskannenprinzip, sondern
Rolle bei der Welternährung zu.
ein strategischer Wettbewerbsvorteil der
zielgerichteter und für konkrete Leistun-
Obwohl das Tierwohl das wichtigste
Schweizer Milch- und Fleischproduktion
gen der Bauern ausgeschüttet werden.
Anliegen der SteuerzahlerInnen an die
langfristig verloren zu gehen.» (Botschaft
Ökologie und Tierwohl müssen besser
Bauern und die Agrarpolitik darstellt,
zu «Agrarpolitik 2014–17»)
gefördert werden, das ist der Dreh- und
wurde es bislang vom Bundesrat nur be-
Der Bundesrat will deshalb Betriebe
Angelpunkt der angepeilten Qualitäts-
scheiden gefördert. Lediglich 9 % der
fördern, die den Futterbedarf überwie-
strategie. Die Bio- und Tierwohlbeiträge
jährlich 2.8 Milliarden Franken Direkt-
gend durch Gras, Heu, Emd und Grassi-
sollen ergänzend zum Markt und den La-
zahlungen wurden in das Tierwohl inves-
lage decken. Betriebe mit geringem Kraft-
belprogrammen ausgerichtet und ausge-
tiert. Die Konsequenz: Noch immer müs-
futtereinsatz und hohem Weideanteil sind
baut werden. Markt und staatliche För-
sen Millionen Nutztiere in der Schweiz
tierfreundlicher und ökologischer. Die
derung ergänzen sich damit optimal. Nur
ihr Dasein in ständiger, beengter Stall-
Weidehaltung garantiert wichtige Vorteile
mit Qualität und hohem Tierwohl kann
haltung ohne adäquate Liegeflächen und
für Mensch, Tier und Umwelt, wie einen
sich die Schweiz im offenen Agrar-/Le-
ohne Auslauf ins Freie fristen. Der STS
substanziellen Beitrag zum Umwelt- und
bensmittelmarkt profilieren und erfolg-
fordert deshalb eine Verlagerung der Di-
Klimaschutz, bessere Produkte (z. B. mehr
reich behaupten. Mit zielführend festge-
rektzahlungen: Die allgemeinen Tierhal-
CLA- und Omega-3-Fettsäuren in Milch
legten Bio- und Tierwohlbeiträgen wer-
tungsbeiträge sollen gestrichen und da-
und Fleisch) sowie gesündere und langle-
den unsere Bauern in der Lage sein wird,
für die Förderbeiträge für tierfreundliche
bigere Tiere mit weniger gesundheitsbedingten Ausfällen und Abgängen.
3. Massnahme: Konsequente Kontrollen und Sanktionen Mit einem bundesgerichtlichen Urteil vom Sommer 2011 mussten einem rechtsgültig verurteilten Thurgauer Bauern, der unter anderem ein Jungpferd beim Beschlagen derart hart angefasst hatte, dass es verstarb, die vom Kanton teilweise verweigerten Direktzahlungen am Ende doch noch ausgerichtet werden. Dieses skandalöse Bundesgerichtsurteil kommt insbesondere Tierquälern extrem entgegen und muss raschestmöglich revidiert werden. Der STS fordert, dass Tierschutzsünder nicht nur ihre gerechte Strafe erhalten wegen der Tierschutzverstösse, sondern ihnen wegen Nichterfüllen der Leistungen die Direktzahlungen gekürzt oder gestri-
Direktzahlungen trotz Tierquälerei: Schluss damit
60
chen werden können. Das Streichen von Direktzahlungen stellt keine Strafe dar, vielmehr hat der Landwirt die geforderte
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Leistung im Bereich Tierschutz nicht erbracht, sodass er wegen weniger Leistung auch nur Anrecht auf weniger Direktzahlungen (oder im Extremfall auf gar keine) hat. Im Weiteren fordert der STS vermehrt unangemeldete Tierhaltungskontrollen.
4. Massnahme: Tierfreundliches Bauen fördern Der Bund fördert heute mit Investitionskrediten tierschutzproblematische und unwirtschaftliche Stallbauten wie Anbindeställe für Kühe und Aufzuchtrinder oder Ställe ohne eingestreute Liegeflächen sowie ohne Auslauf für Mastvieh. Der STS fordert deshalb, dass Investitionskredite inskünftig nur mehr für tierfreundliche Stallbauten ausgerichtet werden. Für Umoder Neubauten von Ställen für horntragende Rinder- und Ziegenrassen, welche grössere Stallflächen beanspruchen, sind die Beiträge und Investitionskredite ange-
In der Schweiz muss die tierfreundliche Landwirtschaft gefördert werden
messen zu erhöhen.
5. Massnahme: Keine Tierfabriken
inskünftig keine Ausnahmen, etwa für in-
lien sofort zu töten, um sich die unrenta-
dustrielle Schweinemästereien, mehr ge-
ble Ausmast zu sparen. Derartige Irrwege
macht werden.
der Tierzucht, die ohne Rücksicht auf ethische Grundsätze agiert sowie die Krank-
Eine bei Konsumentinnen, Steuerzahlern
6. Massnahme: Stopp Extremzuchten
heitsanfälligkeit der Tiere fördert und ihre
tätsstrategie sowie die Akzeptanz des gesamten Direktzahlungssystems hängen
Die Förderung der einheimischen Tier-
in Zukunft nicht mehr mit Steuergeldern
zu grossen Teilen davon ab, ob der Bund
zucht durch den Bund ist sinnvoll und
fördern!
weiterhin an einer bäuerlichen Tierhal-
unbestritten. Allerdings: Die einseitige
tung festhält oder die Weichen zur Mas-
Hochleistungszucht hat heute etwa bei
sentierhaltung (Tierfabriken) nach aus-
Masthühnern und Truten Linien auf den
7. Massnahme: Tierschutzwidrige Importe verbieten
ländischem Vorbild umlegt, wie dies ge-
Markt gebracht, die sich nicht mehr art-
Der Bund muss sich in Zukunft die Mög-
wisse bäuerliche Vertreter in der Vergan-
gerecht verhalten und bewegen können
lichkeit offenhalten, den Import ethisch
genheit immer wieder forderten. Nicht
und durch das übermässige und einseitige
fragwürdiger Produkte zu verbieten oder
zuletzt hängt das Tierwohl auch von der
Muskelwachstum ständig unter Schmer-
wenigstens für eine konsequente Dekla-
Grösse des Tierbestandes ab. So lässt sich
zen leiden. In der Schweinezucht wer-
ration zu sorgen. Heute geschieht es per-
beispielsweise beim Geflügel oberhalb ei-
den mit der Anzucht von superfrucht-
manent, dass die Konsumenten ohne ihr
ner gewissen Grenze keine echte Freiland-
baren Sauen immer mehr Ferkel gebo-
Wissen mit ausländischen Produkten aus
haltung mehr realisieren, und bei Schwei-
ren – teilweise mehr, als die Sau Zitzen
tierschutzwidrigen Produktionssystemen
nen und anderen Tierkategorien nimmt
aufweist. Als Folge davon kommen mehr
überschwemmt werden. Insbesondere bei
der Betreuungsaufwand je Tier mit zu-
Kümmerer zur Welt und die Tiergesund-
Geflügelfleischimporten (Poulets, Truten)
nehmender Bestandesgrösse rapid ab.
heit leidet bei Sau (Übernutzung!) und
mit mengenmässig rund 45 000 Tonnen
Dabei stellen Pflege, Überwachung und
Ferkeln (künstliche Aufzucht; Kümme-
sowie in puncto Tierschutzwidrigkeit und
Mensch-Tier-Beziehung nebst der Art der
rer). Infolge der einseitigen Zucht auf ext-
Gefährdungspotenzial (Antibiotikaeinsatz;
Tierhaltung die wichtigsten Einflussfak-
rem hohe Milchleistung wird die Ausmast
Salmonellenvorkommen in den Ställen)
toren sowohl auf das Tierwohl als auch
von nicht zur Zucht benötigten Kälbern
liegt heute der grösste Handlungsbedarf.
auf die ökonomische Rentabilität dar. Der
immer unwirtschaftlicher. Bereits werden
STS fordert, dass die heutigen Tierhöchst-
auch in der Schweiz Rufe laut, neugebo-
grenzen pro Betrieb aufrechterhalten und
rene Kälber wie in Neuseeland oder Ita-
und Tierschützern glaubwürdige Quali-
Widerstandskraft schwächt, darf der Bund
61
und Medikamentensituation weniger besorgniserregend wäre. Die negativen Seiten des Freihandels, nämlich ein ökologisch fragwürdiges Hinund Hergeschiebe von Nahrungsmitteln und die Zerstörung regionaler bäuerlicher Strukturen, zeigt der Geflügelfleischmarkt in der EU. Die Exporte erreichten 2011 mit rund 1,3 Millionen Tonnen einen Spitzenwert. Das Fleisch, vor allem Schenkel und Flügel, wird um den ganzen Erdball abgesetzt – nach Russland, Hongkong, SaudiArabien und selbst nach Afrika, nach Ghana und Benin. Im gleichen Zeitraum importierte die EU aber auch 700 000 Tonnen Geflügelfleisch, hauptsächlich aus Brasilien und Thailand. Weltweit boomt der Geflügelfleischmarkt. Experten gehen davon aus, dass spätestens 2020 über 120
Die weltweit steigende Tierhaltung lässt die Futtermittelpreise steigen
Millionen Tonnen erzeugt werden (heute: 95 Mio. Tonnen) und die Geflügel- dann die Schweinefleischproduktion mengenmässig überholt haben wird.
9.6 Die Rolle der internationalen Politik
gungsgrad beim Fleisch von 94 % im Jahr
Die weltweite Entwicklung der in-
2000 auf heute 115 % gesteigert. Möglich
tensiven Tierproduktion wird von Exper-
Während die Schweiz rund 40 % der ver-
wurde dies, wie bei den anderen Über-
ten mit Besorgnis zur Kenntnis genom-
zehrten Kalorien importiert, darunter
schussproduzenten auch, durch den mas-
men. Damit in Zukunft 9 Milliarden Men-
120 000 Tonnen Fleisch jährlich, was un-
siven Import von teilweise gentechnisch
schen satt werden können, müssten nicht
gefähr einem Viertel des Gesamtkonsums
verändertem Kraftfutter aus Brasilien, Ar-
Grossfarmen, sondern Kleinbauern geför-
entspricht, stocken viele Länder in der EU
gentinien und den USA sowie dem Aus-
dert werden, so der Tenor von Landwirt-
ihre Tierhaltungen massiv auf. So produ-
bau der Massentierhaltung.
schaftsexperten, etwa der UNO-Taskforce
ziert Dänemark fast 4-mal, Irland 3-mal,
Um ein Einkommen von rund 50 000
gegen den Hunger. Man müsse die klei-
Holland und Belgien doppelt so viel
Euro jährlich erzielen zu können, muss
nen Landwirte befähigen, ihre Produkti-
Fleisch, wie jeweils selbst benötigt wird.
ein deutscher Mäster 550 000 Poulets er-
vität ökologisch nachhaltig zu steigern. Es
Besonders krass ist die Situation beim
zeugen, denn je Tier bleiben ihm kaum 10
brauche keine neue grüne, sondern eine
Schweinefleisch, wo Dänemark 6-mal,
Cents! Kein Wunder, ist der Einsatz von
immergrüne Revolution, gaben Vertreter
Holland und Belgien 2,5-mal mehr er-
Antibiotika in diesen Hähnchenmasten
dieses Gremiums 2011 zu Protokoll. Ext-
zeugen. Diese Überschusserzeugung geht
zur gängigen und notwendigen Praxis ge-
rem wichtig sei es, die Frauen und deren
ganz klar auf Kosten des Tierwohls, der
worden. Eine Studie im Auftrag des Ver-
Gleichberechtigung zu stärken, verrichte-
Ökologie sowie der Qualität und Sicher-
braucherschutzministeriums von Nord-
ten sie doch weltweit 60 bis 80 % der
heit der Produkte. Damit diese industriell
rhein-Westfalen aus dem Jahr 2011 zeigt,
landwirtschaftlichen Arbeit.
betriebenen Tiermasten überhaupt funkti-
dass bei 83 % der erfolgten Mastdurch-
Doch genau die Kleinbauern und die
onieren, müssen riesige Mengen an Kraft-
gänge antimikrobielle Substanzen einge-
bäuerliche Landwirtschaft stehen welt-
futter aus Übersee importiert werden.
setzt wurden. Insgesamt wurden 96 % der
weit unter Druck wegen der Überschuss-
Nebst diesen «traditionellen» Über-
Tiere aus den untersuchten Betrieben mit
exporte der USA, der EU und von Brasi-
schussproduzenten rüstet mittlerweile
Antibiotika behandelt, teilweise erhielten
lien. So brach Im Jahr 2000 der funkti-
auch Deutschland auf. Innert fünf Jahren
sie in der kurzen Lebenszeit von weniger
onierende einheimische Geflügelfleisch-
ist die Ausfuhr von Fleisch und Fleisch-
als sechs Wochen bis zu 8 Antibiotikaga-
markt in Kamerun zusammen, nach-
waren um 60 % gestiegen. Nebst dem
ben mit drei verschiedenen Wirkstoffen!
dem die EU das Land mit Billigexporten
Ausbau der Geflügelmast stiegen auch
Es gibt wenig Grund zur Annahme,
von Geflügelteilen überschwemmt hatte.
die Schweineschlachtungen stark an.
dass in anderen Ländern mit vergleichba-
2008/09 überrannte die boomende deut-
Deutschland hat seinen Selbstversor-
rer Massentierhaltung die Gesundheits-
sche Hähnchenproduktion den französi-
62
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
schen Geflügelfleischmarkt mit Teilstü-
ursachte – Klimawandel greift und die
Es ist daher zu begrüssen, dass die
cken. Als Folge davon rüsten Frankreich
Nachfrage nach Lebensmitteln weiter an-
Fragen nach Versorgungssicherheit und
und weitere EU-Staaten nun ebenfalls ihre
steigt, dürfte in den kommenden Jahren
Ernährungssouveränität der Staaten zu-
industrielle Geflügelmast auf. Alle Über-
das Thema Versorgungssicherheit wie-
nehmend auf die nationale und inter-
schussproduzenten, auch die EU, suchen
der aktuell werden. Nach der Immobi-
nationale Polittraktandenliste gelangen.
weltweit fieberhaft nach Absatzkanälen.
lien- und der Bankenpleite raten immer
Auch, um ein Gegengewicht zu den WTO-
Die angestrebten Freihandelsabkommen,
mehr Experten den Anlegern, im Port-
Verhandlungen zu bilden, deren grosses
etwa zwischen der EU und der Schweiz
folio auch landwirtschaftliche Rohstoffe
Ziel der globale Freihandel mit Nahrungs-
oder Indien, sollten auch unter diesem As-
zu halten. So sind heute Milliardengelder
mitteln ist – ohne ökologische, tierschüt-
pekt gesehen werden. Für Indien bedeu-
in Rohstoffen und deren Handel invol-
zerische und soziale Leitplanken –, und
tet ein Freihandelsabkommen mit der EU
viert, was Spekulanten anlockt. Ein Lied
welche einseitig die überschussprodu-
den Wegfall von 150 Milliarden Euro Zöl-
davon konnten die Hilfsorganisationen
zierenden und exportorientierten Länder
len oder 11 % des Haushaltbudgets! Mil-
im 2011 überschwemmten Pakistan sin-
bevorzugen, auf Kosten der kleinen und
lionen von indischen Kleinbauern und
gen: Obwohl genügend Weizen vorhan-
mittleren Bauern und einer bäuerlich geprägten, artgerechten Tierhaltung. l
Strassen-/Einzelhändler fürchten, durch
den war, hatten Spekulanten an den in-
EU-Importe und EU-Handelsketten ver-
ternationalen Rohstoffbörsen die Preise in
drängt zu werden.
die Höhe gedrückt, sodass die zur Verfü-
Weil Landwirtschaftsland und Res-
gung stehenden Hilfsgelder nur mehr für
sourcen begrenzt sind, der – ob nun
die Hälfte der beabsichtigten Weizenkäufe
menschengemachte oder «natürlich» ver-
reichten!
Glossar
Nutztierarten; 1 GVE entspricht einer
Kühen und Rindern regelmässig zur Er-
Milchkuh oder jeweils 6 Ziegen, Schafen
höhung der Milch- und Fleischleistung
Are 100 Quadratmeter AML Antimikrobielle Leistungsförderer
oder Schweinen oder 100 Legehühnern
gespritzt wird. In der Schweiz verboten.
3R-Prinzip An die Eigenverantwortung
(«Futtermittel-Antibiotika»)
Hektare 100 Aren Laktation Auf 305 Tage standartisierte
BVET Bundesamt für Veterinärwesen BLW Bundesamt für Landwirtschaft BTS Staatliches Programm zur Förde-
Milchmenge, die eine Kuh pro Jahr gibt
dämmung von Tierversuchen (reduce/
ÖLN Ökologischer Leistungsnachweis Grundbedingungen, die ein Bauer
reduzieren, refine/verfeinern, replace/
rung von besonders tierfreundlichen Ställen
im Pflanzenbau und in der Tierhaltung
SPF Sanierungskonzept gegen die Über-
erfüllen muss, damit er Direktzahlungen
tragung von Schweinekrankheiten (spe-
«Club of Rome»-Bericht Das Buch pro-
erhält
cific pathogen free (frei von spezifischen
phezeite in den 1970er-Jahren (fälschlicherweise) massive Überbevölkerung samt einem Zurneigegehen von Roh- und fossilen Brennstoffen ab 2000
PSE Fleisch Fleischqualitätsmangel, v.a.
Krankheitserregern)), das sich durch
beim Schwein (pale/hell, soft/weich,
keimfreie Haltung der Sauen und den Er-
exudativ/wässrig)
satz der natürlichen Ferkelgeburt durch
RAUS Staatliches Programm zur För-
den Kaiserschnitt auszeichnet
ETH-Zürich Eidgenössische Technische
derung von regelmässigem Auslauf für
Hochschule
Nutztiere
TschG Tierschutzgesetz TschV Tierschutzverordnung (Ausfüh-
GVE Grossvieheinheit: Umrechnungs-
rBST Künstlich erzeugtes Wachstums-
rungsbestimmungen)
schlüssel zum Vergleich verschiedener
hormon, das insbesondere in den USA
Herausgeber
Autor
Fotos
Schweizer Tierschutz STS Dornacherstrasse 101, Postfach CH-4018 Basel Tel. 061 365 99 99 Fax 061 365 99 90 Postkonto 40-33680-3 sts@tierschutz.com www.tierschutz.com
Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH Geschäftsführer Fachbereich Schweizer Tierschutz STS
123RF, Lydia Baumgarten, Michael Götz, iStockphoto, KAGfreiland, Keystone, Barbara Marty, Lolita Morena, Reuters, Mark Rissi, Franz J. Steiner, Simon Templar, tierschutzbilder.de
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Gestaltung
der Forscher gerichtetes Konzept zur Ein-
ersetzen)
basel
63
N1’/7.2017
Milchproduktion und Tierschutz – Hintergrundfakten Der Bericht listet den tierschüt-
Wie steht es um tierschutz-
zerischen Handlungsbedarf bei
konforme Importprodukte und
Haltung, Fütterung, Tierzucht,
Tierschutzstandards im Ausland:
dem Management und der Mensch-
ein Faktencheck.
Tier-Beziehung detailliert auf.
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TIERGERECHTE UND KOSTENGÜNSTIGE STÄLLE / TKS 6.3
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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
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Format A5, 12 Seiten, gratis*
Informativ, lehrreich und mit vielen Beispielen aus der Praxis zu den Themen:
Das mobile Hühnerhaus
Die Suhle befindet sich zwischen Auslauf. Weide und he mit Hörnern.
TI N II MEP ORR TLG EEF L ÜIGDE L
STS-Merkblätter Nutztiere (Rinder, Schweine, Pferde, Hühner, Ziegen, Schafe und Kaninchen)
S T S - M E R K B L AT T
n das Schlamm sie in den Tümpel ziehen sich dabei bad vor dem Stall und schieben mit in vollen sich in das Richtungen wegsprit einer hellbraunen Erdschic ht. Dann schütteln schlammige Nass. Sie überzt und gehen über Suhle nachflies sie sich, dass zu dem aufgehän st. Hier heben die Erde in alle gten Schlauch die Tiere den Nass. Kopf in den Wasserst , aus welchem Wasser in die rahl und spielen mit dem kühlen
halten Mutterkü di und Vreni Zweifel aus haben Familie Hansrue Vom Laufhof im Kanton Glarus. Blick in das Tal Tier einen weiten Mensch und den Berge. und die umgeben wirt seinen Anhat der Bergland für Im Jahre 2012 e in einen Laufstall iMilchküh für . Gleichze bindestall t und erweitert Mutterkühe umgebau über die ganze StalllänLaufhof dass die Tiere tig hat er einen «Es war mir wichtig, Der Laufhof ge angebaut. er. kommen», erzählt nach draussen breit und nach und sechs Meter ist 43 Meter lang Kühe im Laufhof
dazu.
STÄLLE / TKS 1.19
terkühen Haltung von Mut mit Hörnern
zur Kuh Hörner gehören
VERSTECKTES
*Zu bestellen über www.tierschutz.com/publikationen/nutztiere
TKS 3.3
STS-MERK
Format A4, 24 Seiten, gratis*
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Die tierschützerischen Unterschiede
Format A5, 16 Seiten, gratis*
STS-MERK
aus der Praxis.
Vorbeugen im Stall, auf der
Checkliste Unfallursachen.
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ganzen Schweiz zeigen Beispiele
Verstecktes Tierleid in Importgeflügel
liste Mit Check sachen Unfallur
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TIERKOMFORT BEISPIELE AUS DER PRAXIS
Vorbeugen ist besser als heilen
Mit Beispielen, Tipps und
VORBEUGEN IST BESSER ALS HEILEN
Format A4, 20 Seiten, gratis*
SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Tierkomfort – Beispiele aus der Praxis
in der EU stimmt skeptisch.
UND TIERSCHUTZ EIN VERGLEICH SCHWEIZ–EU
TIERSCHUTZ HÖRT NICHT AN DER GRENZE AUF INTERNATIONALE NUTZTIERSCHUTZSTANDARDS
Freihandel und Tierschutz – ein Vergleich Schweiz-EU
tungsformen in der Schweiz und
FREIHANDEL
Tierschutz hört nicht an der Grenze auf
STS-RECHERCHE
Ihr Hof befindet
sich in Linthal
Aus dem Schlauch läuft Wasser in die Suhle.
• Tiergerechte und kostengünstige Ställe • Pflege und Umgang mit Tieren 1
• Verhalten von Nutztieren • Tiergerechte Stalleinrichtungen
Dank des mobilen Hühnerhauses haben die Hühner ganzjährigen Zugang in Freiland. Die Auslauffläche bleibt bewachsen und die Ausscheidungen verteilen sich auf 1 einer grossen Fläche. Es ist morgens. Noch sind die Hühner im mobilen Hühnerhaus eingesperrt. Doch schon, während der Hühnerhalter Ruedi Hauser das Windschutznetz öffnet, das den Wintergarten begrenzt, strömen die Hühner auf die Weide. Sie fangen an, Gras zu picken und sich um ihr mobiles Heim herum zu verteilen. Unter Schutzdächern finden sie Schatten. Der mobile Stall für 250 Hühner ist innen 8 m lang, 2.40 m breit und 3.80 m hoch. Wie ein gestreckter Ladewagen hat er hinten eine Achse und vorne eine Deichsel. Er sieht aus wie ein Haus mit einseitigem Giebeldach und einer kleinen Solaranlage. Über eine Treppe neben der Deichsel gelangt der Tierhalter in den Stall. Links im Bild befindet sich der Wintergarten, ein Gestell aus Stangen und Windschutznetzen, welches sich zum Transport mit einer Handkur-
Format A4, Download über www.tierschutz.com/publikationen/nutztiere 1
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