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SO RIECHT DIE ZUKUNFT
Private Haushalte in Deutschland verbrauchen 70 Prozent ihrer Energie fürs Heizen. Energiewende ohne Wärmewende geht nicht. Eine kleine Kirchengemeinde im Schwarzwald taugt als Vorbild.
Kirche kann Zukunft. In einem kleinen Dorf im Schwarzwald macht sie vor, wie Wärmewende geht. Mutig, begeisternd, regional. Allen Widerständen zum Trotz. Aus Baden-Württemberg verbreitet sich die Idee bis ans Ende der Welt: über Pittsburgh (USA) nach Zhengzhou (China).
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Am Anfang steht das Umweltteam der Kirchengemeinde Pfalzgrafenweiler. Die Kirche steht leicht erhöht, nicht weit vom Ortskern. Eine Linde verdeckt den Turm zur Hälfte. Über die Treppen geht es Richtung Kircheneingang. Neben einer Seitentür ist ein kleines Schild befestigt: „Grüner Gockel“.
Die Mitglieder des Umweltteams wollen 2006 ihre Kirchengemeinde im Rahmen des „Grünen Gockel“ zertifizieren lassen. Der „Grüne Gockel“ wurde im Jahr 2000 als Umweltmanagementsystem für Kirchengemeinden und Einrichtungen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg eingeführt. Für das Zertifikat erarbeitet das Team aus Pfalzgrafenweiler Umweltleitlinien. Dabei entdecken sie Interessantes.
Mit rund 20.000 Euro im Jahr zahlt die Kirchengemeinde am meisten für Wärme. Der größte Hebel für Veränderungen zugunsten der Umwelt ist ausgemacht. Schnell gibt es eine Idee, wie das Problem zu lösen ist. Ein Energieunternehmen baut gerade am Rand von Pfalzgrafenweiler ein Kraftwerk, das aus Holz Strom produzieren soll. Dabei entsteht jede Menge Abwärme, die zum Heizen genutzt werden kann.
Probleme Ber Probleme
Die Lösung: eine Wärmeleitung durch den Ort bis zur Kirche. Und wenn die Straße schon mal offen ist, könnten auch ganz pragmatisch die anliegenden Häuser mit angeschlossen werden. Ein Nahwärme-Netz entstünde. Doch der Bürgermeister stellt sich quer. „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, zitiert er den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt.
So erzählt es Klaus Gall, Architekt in dritter Generation und damals Mitglied des Umweltteams. Dieses gibt nicht auf. Wenn die Stadt nicht mitzieht, dann macht es die Kirche eben selbst. Sie gründen 2008 zu zwölft eine Energiegenossenschaft: die WeilerWärme eG. Gall wird Vorstand. Das nächste Problem lässt jedoch nicht auf sich warten: Keine Bank will einen Kredit geben. Zu unsicher ist ihnen das Ganze.
Das Umweltteam bleibt dran. Schlussendlich müssen zehn Leute je 10.000 Euro ihres eigenen Vermögens als Sicherheit hinterlegen, um einen Kredit von 120.000 Euro zu bekommen. Endlich kann es losgehen mit dem Bau der Nahwärmeleitungen. Die Bagger rücken an, reißen Straßen auf und das Projekt nimmt Fahrt auf. Den Eigentümern von anliegenden Häusern steht es frei, sich anzuschließen, aber die meisten trauen dem Projekt noch nicht.
Der Pfarrer und ein Ex-Banker, der 50 Jahre lang die Gegend mit Geld versorgt hat, unterstützen die Nahwärme-Genossenschaft. Diese Rückendeckung reicht für den Start. Aber um das ganze Dorf zu überzeugen, braucht es mehr. Die WeilerWärme eG bewirbt sich deshalb 2010 um den Titel eines Bioenergiedorfs. Eine Bedingung ist es, kommunale Gebäude ans Nahwärmenetz anzuschließen. Die Sporthalle soll sowieso eine neue Heizung bekommen. Allerdings liegen bereits Entwürfe vor. Es gilt, die Kommune zu einer Planänderung zu bewegen.
Der Gemeinderat überstimmt den Bürgermeister. Pfalzgrafenweiler gewinnt und darf sich seitdem „Bioenergiedorf“ nennen. Die öffentliche Aufmerksamkeit überzeugt auch den Bürgermeister. Nun gibt es kein Halten mehr. Die Mitgliederzahl der Genossenschaft springt innerhalb eines Jahres von 117 auf 388. Inzwischen sind es über 900.
Vom Schwarzwald In Die Weite Welt
Ein Wirtschaftsprofessor aus den USA wird auf das Projekt aufmerksam. Er lädt Klaus Gall für einen Vortrag an seine Universität nach Pittsburgh ein. Von da entstehen Kontakte nach China. Gall fliegt nach Zhengzhou und informiert Vertreter des Wirtschaftsministeriums. „Ich hätte nie erwartet, wie arbeitsintensiv, aber auch interessant die Vorstandstätigkeit in einer neu gegründeten Energiegenossenschaft wird“, sagt er.
Nach und nach erweitert sich das Nahwärmenetz, umliegende Dörfer schließen sich an. Aus rund acht Kilometern Nahwärmenetz im Jahr 2010 werden über 40 Kilometer im Jahr 2022. Die Zahl der Gebäudeanschlüsse verfünffacht sich in dieser Zeit – von 116 auf 627 (Stand 2019). Über 80 Prozent aller Haushalte in Pfalzgrafenweiler werden laut Gall an Nahwärmeleitungen angeschlossen. Und die WeilerWärme eG baut weitere Heizhäuser und schließt eine Biogasanlage mit an.
Diese erzeugen neben Strom jährlich etwa 25 Millionen Kilowattstunden (kWh) Wärme und sparen rund 6.600 Tonnen CO2. Private Haushalte in Deutschland verbrauchen pro Jahr rund 70 Prozent von 670 Milliarden kWh Gesamtenergieverbrauch fürs Heizen. Nah- und Fernwärme [funktioniert wie Nahwärme, nur über größere Entfernungen; Anm. d. Red.] liegen bei den Energiequellen allerdings nur auf Platz vier. Ihre Effizienz macht sie für die Energiewende unverzichtbar. Dänemark, Vorreiter in Sachen Wärmewende, setzt voll darauf. Fernwärme (zur Hälfte aus erneuerbaren Energien) versorgt dort 63 Prozent der Haushalte.
Eines der Kraftwerke in Pfalzgrafenweiler befindet sich im Industriegebiet. Der Hof liegt voller grober Holzhackschnitzel. Abfall aus der lokalen Forstwirtschaft. „Es gilt, die Ressourcen vor Ort zu nutzen“, ist Gall überzeugt. Was im Norden der Wind sei, ist im Schwarzwald die Biomasse. Er führt auf eine Empore im Inneren des Kraftwerks. Eine dicke Schicht Staub bedeckt den Fußboden und das Geländer. Es ist angenehm warm. Der Geruch von Holz liegt in der Luft. So riecht also die Zukunft.
PASCAL ALIUS ist Volontär bei Jesus.de und MOVO im SCM Bundes-Verlag.