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Portrait: Der Bademeister
((( DER CHEF AN SEINEM SCHREIBTISCH – MIT DANK AN WOLFRAM RICHTER )))
Der Bademeister
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Zaki Aadam ist seit 60 Jahren in Mainz, die meiste Zeit davon im Neubrunnenbad
Das „Neubrunnenbad“ in der Neubrunnenstraße 8 ist von der Straße ein wenig zurückversetzt gelegen und hat eine lange Historie. Das äußere Erscheinungsbild mit den symmetrischen Giebelfassaden und dem historischen Schriftzug ist von besonderem baukulturellen Interesse. Anfang des 20. Jahrhunderts – Quellen nennen 1901 oder 1903 – wurde es als „Institut für physikalische Heilmethoden“ von Dr. Eduard Frank, nach dem auch eine Straße in Mainz benannt ist, gegründet, als erstes deutsches Institut, das körperbehinderte Kinder medizinisch förderte. Frank, von 1892 bis 1925 als Sozialdemokrat Mitglied im Stadtrat, besaß ein Gespür für die sozialen und hygienischen Missstände. In den luft- und lichtarmen, oft überfüllten Wohnungen der Stadt litten die Kinder häufig an Mangelkrankheiten, vor allem Tuberkulose und Rachitis. Als Vorreiter der physikalischen Therapie eröffnete er das Bad als Institut für „physikalische“ Heilmethoden. Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau gelang ihm 1939, über Rotterdam, die Flucht in die USA.
Die Seele des Bades Heute wie früher war und ist das Neubrunnenbad eine Anlaufstelle für Klienten physischer und psychischer Belange. Derzeit befinden sich im Haus der Verein Yoga Vidya, diverse Psychologen und Therapeuten, wie auch ein TattooStudio und eine Sprachschule. Das Haus gehört dem Mainzer Immobilieninvestor Wolfram Richter. Zwischendurch war es jedoch auch kurz in der Hand der „guten Seele des Neubrunnenbads“ Zaki Aadam, der immer noch Räumlichkeiten im Erdgeschoss bewohnt und seit über 40 Jahre die Geschichte des Hauses ausmacht. Der 1937 im Irak geborene Macher heißt eigentlich Zaki Schaker Mohamed Aadam und hat eine bewegte Geschichte. Persönlich bekannt mit Saddam Hussein, floh er in den 60er Jahren aus dem Irak, nachdem dort 1958 die Unabhängigkeit ausgerufen worden war und hunderttausende Iraker auf die Straßen strömten, um ath-Thawra (die Revolution) zu feiern. Die Monarchie wurde abgeschafft, das alte Regime gestürzt, und die letzten britischen Soldaten verließen das Land. 1963 putschte die die irakische Baath-Partei, die wenige Monate später gestürzt wurde. So ging es hin und her, es folgten Massenhinrichtungen und Verhaftungen, vor allem von kommunistischen und linksgerichteten Intellektuellen, zu denen auch Zaki Aadam zählte, der eigentlich in Bagdad Medizin studieren wollte. Es folgte die Flucht nach Berlin und von dort nach Mainz, wo der Sohn seiner Schwester studierte. Ohne Deutschkenntnisse und nach verschiedenen Gelegenheitsjobs kam er in den 70er Jahren ins Neubrunnenbad, einer damals angesagten Adresse und absolvierte dort eine Ausbildung als Masseur. Das Neubrunnenbad war zu dem Zeitpunkt eine Sauna und Wäscherei, die Oberschicht verkehrte hier, und Zaki sammelte durch sein Können einflussreiche Kontakte, politisch und wirtschaftlich wie auch in der Fastnacht. Zu seinen Freunden zählte die Familie Neger und einige andere Lokalprominenz. In den 80er Jahren stieg er auf zum Leiter des Bades und gründete sein eigenes „Institut für physikalische Therapie“, eine Art Praxis, in der es bis heute noch wenige Patienten behandelt. Zusammen mit einem Partner kaufte er sogar einst die Immobilie, ging jedoch in Konkurs.
Rüstiger Nicht-Rentner Und so ist Zaki mit seinen 85 Jahren immer noch rüstig und lustig unterwegs, obschon ihm gesundheitlich der Rücken Probleme bereitet. Wie ein Grand Seigneur wirkt der immer akkurat gekleidete Iraker in seinen zwei kleinen Räumen direkt im Erdgeschoss. Die sind vollgestellt mit allerlei Krimskrams aus über 50 Jahren Neubrunnenbad und Leben. An den Wänden hängen Gemälde seiner Frau, mit der er vier Kinder bekommen hat. Das Paar wohnt privat im Münchfeld. Einmal sei er noch im Irak gewesen, 2003 zu Embargo-Zeiten. Mit mehreren Freunden hätten sie ein Flugzeug gemietet und seien von Frankfurt nach Bagdad geflogen, obwohl es von der UNO verboten gewesen wäre. Am 20. März 2003 begann der Irakkrieg mit Luftangriffen auf die Hauptstadt. Das Land befindet sich seitdem in keinem guten Zustand. 2010 verließen die letzten US-Truppen das Land. Zaki Aadam selbst bezeichnet sich als immer noch links und kritisiert aus seinen Erfahrungen heraus daher auch Kriege sowie massive Waffenlieferungen wie jetzt an die Ukraine oder auch anderswo. Das Embargo und die Sanktionen seien falsch, man sollte besser nach Wegen der Diplomatie suchen. Wenn er es nicht weiß, wer dann…
David Gutsche Fotos: Katharina Dubno
Ach, das Fahrrad da oben gehörte mal meinem Sohn …
Zaki Aadam inmitten seiner „Gerätschaften“
Freunde und Familie